Report | Kulturation 1/2007 | Riem Spielhaus | Musliminnen und ihr Engagement im Gemeindeleben
| Dieser
Text gehört – wie die anhängenden Informationen über die
Religionszugehörigkeit und über die Organisationsstrukturen islamischer
Gemeinden – zu einer 2006 erstellten interdisziplinären Studie über das
islamische Gemeindeleben in Berlin. Die inzwischen publizierte Studie
ist in unserem Rezensionsteil (Kritik: Muslime in Berlin) näher
vorgestellt.
Ein einfaches Kopftuch trägt die Predigerin der Berliner Gemeinden des
DITIB-Verbandes; wie die 25 türkischen Frauen im Rentenalter, die zum
Unterricht in eine Kreuzberger Moschee gekommen sind. Mit einem
„Hoºgeldiniz“ – „Willkommen!“ empfängt sie die Wissenschaftlerinnen,
die mit ihr über die Frauenarbeit der Gemeinde und ihre Rolle als
Predigerin und Lehrerin, im Türkischen Hoca
genannt, sprechen wollen. Im geräumigen Frauenraum der Moschee, in dem
an diesem Donnerstagvormittag arabische Schrift und Koranrezitation
geübt werden, setzen wir uns neben die Frauen auf den Teppich. Hoca
Nihal beginnt mit einer Rezitation aus dem Koran, spricht frei und
fließend, mit ruhiger und voller Stimme. Den nächsten Abschnitt liest
eine Schülerin. Immer wieder nickt die Hoca anerkennend. Ab und zu
jedoch berichtigt sie ein Wort, mit dessen Aussprache sie nicht
zufrieden war. Nachdem fünf Frauen gelesen haben, beginnt Hoca Nihal
ein Bittgebet für ein verstorbenes Mitglied der Gemeinde, dabei spricht
sie türkische Bitten und arabische Koransuren abwechselnd aus. Immer
wieder sprechen die Frauen gemeinsam ein paar Worte und schließen das
Bittgebet mit der ersten Sure des Koran, der Fatiha, beide Hände gen
Himmel geöffnet, ab. Es folgt das Mittagsgebet und dann werden auf
einer Papierplane hausgemachte Köstlichkeiten serviert.
Bevor Hoca Nihal vor drei Jahren nach Deutschland kam, hat die
Mutter von vier Kindern eine vier Jahre dauernde theologische
Ausbildung in Izmir und Istanbul absolviert und anschließend 18 Jahre
lang in der Türkei als Religionslehrerin gearbeitet. Nun betreut sie
nicht nur diese eine Moschee, in der sie an vier Tagen in der Woche
Frauen die arabische Schrift und das Koranrezitieren lehrt. Regelmäßig
besucht sie auch die anderen Berliner Moscheen des Verbands und hält
dort Vorträge oder bietet Fragestunden für deren Besucherinnen an.
Dabei ginge es hauptsächlich um drei Themenbereiche. Die Frauen würden
nach den Ibadat, den Einzelheiten der religiösen Pflichten wie
dem Gebet fragen, nach Rat in familiären Angelegenheiten, z.B. bei
Erziehungsproblemen, sowie nach Rechten und Pflichten in der Ehe und
bitten nicht zuletzt auch um psychologische Hilfe bei persönlichen
Schwierigkeiten. Die seelsorgerische Betreuung der Hoca umfasst auch
den Krankenbesuch zu Hause. Ihre persönlichen Nöte und Freuden teilen
die Frauen. Hier ist spürbar, dass die religiöse Gemeinschaft zugleich
soziales Netzwerk ist.
Straßenfest des IKZ, Neukölln 2006 (Foto: Hans-Georg Gaul) und Flohmarkt der Haci Bayram Gemeinde, Wedding 2006 (Foto: Daniel Winkler)
Über die Hälfte der Berliner Moscheen hat Frauenräume
In den meisten islamischen Ländern existieren keine separaten
Gebetsräume für Frauen. Sie beten auf einer Empore, hinter den Männern,
in einem mit Vorhängen abgetrennten Teil oder gar nicht in der Moschee.
In einigen Moscheen, das gilt für Berlin ebenso wie beispielsweise für
Kairo, treffen sich Frauen zu festen Zeiten. Während dieser Zeit
betreten Männer die Moschee nicht. Frauen treffen sich hier wie dort
nicht nur in Gemeinderäumen, sondern auch in privaten Räumlichkeiten,
um sich der Religion zu widmen. In Berlin jedoch haben sich die
Funktionen der Moscheen erweitert und auch Frauenräume fungieren oft
als soziale Treffpunkte. Hier kommen Frauen unterschiedlicher Herkunft
zur gemeinsamen Religionsausübung zusammen, die vielfältigen Angebote
der Moschee zu nutzen und einander gegenseitig zu unterstützen. Im
Frauenraum wird gebetet, Unterricht abgehalten, die Freitagspredigt aus
der Hauptmoschee über Lautsprecher oder gar per Videoübertragung
verfolgt, im Ramadan das Fasten gebrochen und bei religiösen sowie
privaten Anlässen wie Totenfeiern, Trauungen, Hochzeiten und
Hennaabenden gefeiert.
Der Frauenraum hat keine heiligen Symbole wie eine Mihrab (Gebetsnische) mit Qibla (Gebetsrichtung) und Minbar
(Predigtkanzel). Frauen in einer Berliner Moschee erklärten das wie
folgt: Es habe den Vorteil, dass Frauen diesen Raum auch während ihrer
Menstruation oder nach der Entbindung betreten könnten. In dieser Zeit,
in der sie nicht im Zustand der rituellen Reinheit seien, würden sie
die Hauptmoschee nicht betreten. Den Frauenraum könnten sie jedoch
immer betreten, auch während der „Ausnahmezeiten“. Zwar verrichteten
sie dann nicht die Gebete, aber es stehe ihnen weiter die Möglichkeit
offen, ihre Kontakte zu pflegen und Gemeindearbeit zu leisten.
Im Jahre 1998 verfügten 36 der 51 befragten Berliner Moscheen über
separate Räume für Frauen. Aufgrund von Umzügen in größere
Räumlichkeiten hat sich in den vergangenen Jahren die Zahl leicht
erhöht. Ein Frauenraum ist ein Anzeichen für unabhängiges Arbeiten von
Frauen der Gemeinde. Aufgrund von Platzmangel wird ein separater Raum
nur dann eingerichtet, wenn er auch genutzt wird.
Besitzt eine Gemeinde keinen eigenen Frauenraum, heißt dies jedoch
nicht automatisch, dass es hier keine aktive Frauenarbeit gibt. Einige
Gemeinden richten bewusst keinen zusätzlichen Raum für die
Besucherinnen ein, da sie diese Form der Trennung der Geschlechter
nicht für notwendig erachten. In solchen Fällen beten die Frauen hinter
einem Vorhang, in einigen Moscheen ohne Trennwand im selben Raum hinter
den Männern. Häufig nutzen Frauen den Gebetsraum der Moschee während
festgelegter Zeiten, in denen Männer ihn nicht betreten.
Lediglich in einer pakistanischen Moschee mit einem hohen Grad an
Geschlechtersegregation scheint der Besuch von Frauen oder gar eine
Gemeindearbeit unter Frauen innerhalb der Moschee nicht vorgesehen zu
sein. Sie treffen sich reihum in Wohnungen, die Moschee dagegen ist den
Männern vorbehalten.
Während die Untersuchung vor acht Jahren ergab, dass nichttürkische
Moscheen erheblich weniger von Musliminnen genutzt werden, bietet sich
diesbezüglich im Jahr 2006 ein anderes Bild. Neu gegründete
Gemeindezentren wie das IZDB berücksichtigen die Besucherinnen schon
bei der Planung der Räume.
Nahezu alle Moscheen der drei großen türkischen Verbände verfügen
über Frauenräume. Lediglich zwei von zwölf DITIB-Moscheen können aus
Platzmangel keinen einrichten. Die neun Berliner Moscheen des
„Verbandes der Islamischen Kulturzentren“ (VIKZ) haben ohne Ausnahme
große und gut ausgestattete Frauenräume, mehr als die Hälfte davon gar
separate Eingänge und Waschräume für ihre Besucherinnen. In zwei der
Berliner Moscheen des Verbands sind die Frauenbereiche größer als die
Räume der Männer. Zahlreiche, bis auf wenige Ausnahmen ehrenamtlich
arbeitende Religionslehrerinnen unterrichten die Besucherinnen in
religiösen Fragen. Die weiblichen Mitglieder des VIKZ nutzen die
Moscheen des Verbands in gleichem oder sogar größerem Maße als die
männlichen. Allem Anschein nach wird dieser Zustand von männlichen
Gemeindemitgliedern erkannt und sogar gefördert. Unter den
Besucherinnen der Moscheen sind alle Altersgruppen, insbesondere aber
Mütter zwischen 30 und 40 vertreten.
Bereits während der ersten Umfrage 1996 zu Moscheen in Berlin
stellte sich heraus, dass die Antworten auf Fragen nach den
Frauenaktivitäten der Moscheen häufig vom Geschlecht der
Gesprächspartner abhängig waren. So kam es vor, dass männliche
Vertreter einer Gemeinde berichteten, es gäbe bei ihnen keine
Aktivitäten von weiblichen Mitgliedern, obwohl der Gebetsraum über
einen Frauenraum mit separatem Eingang verfügte. In gezielten Besuchen
bei diesen Vereinen konnte ich mich allerdings von zahlreichen
Frauenaktivitäten überzeugen. Dies verdeutlicht, dass beide Gruppen nur
wenig miteinander vernetzt sind, kaum Einwirkungsmöglichkeiten
aufeinander besitzen oder nicht einmal voneinander wissen. Musliminnen
beschreiben es als positiv, dass diese Form von Segregation ihnen
Freiräume schafft, in denen sie selbstbestimmt agieren können.
Einen anderen Weg gehen Frauen, die vollkommen selbständig ihren
eigenen Verein gründen. Der 1996 gegründete „Hayru Nisa e.V.“, was auf
Deutsch so viel wie „die frommen Frauen“ heißt, zog vor zwei Jahren in
eine eigene Moschee. Die männlichen Familienmitglieder der Musliminnen
halfen bei der Einrichtung des Gebetsraums. Die beiden türkischen
Gründerinnen sind im Rentenalter. Fast täglich treffen sich auch hier
die Frauen, deren Kinder längst aus dem Haus sind und die nun Zeit für
sich haben. In anderen deutschen Städten ist diese Entwicklung jedoch
in noch größerem Maße zu beobachten, z.B. in Köln, wo wichtige Vereine
von und für Musliminnen gegründet wurden, wie das „Zentrum für
islamische Frauenforschung und -förderung“ (ZIF) und das „Begegnungs-
und Fortbildungszentrum für muslimische Frauen“ (BFmF).
Das Engagement von Frauen in der Gemeindearbeit hat sich weiter verstärkt
Die dieser Veröffentlichung vorausgegangenen Umfragen und
Beobachtungen in Berliner Moscheen zeigen, dass sich das Engagement von
Musliminnen in der Gemeindearbeit in den vergangenen Jahren weiter
verstärkt hat. Kennzeichen dafür sind nicht nur die Frauenräume in
nahezu jedem zweiten Gemeindezentrum und die Frauenmoschee, sondern
auch die Mitgliedschaft von Frauen im Vorstand einiger Moscheen und die
zahlreichen Angebote der Moscheen für ihre weiblichen Besucher. Viele
der Angebote gelten dem Erwerb religiösen Wissens und dem Austausch
über spirituelle Fragen. Darunter finden sich Vorträge, Beratung und
unterschiedlichste soziale Aktivitäten. Aber auch Computer-, Näh-,
Handarbeits- und Alphabetisierungskurse werden speziell für Frauen
angeboten. Die Neuköllner Nur Moschee verfügt über einen Sportraum, in
dem Fitnesskurse für Frauen stattfinden. Seit einigen Jahren bieten
mehrere Gemeinden in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule für Mädchen
und Frauen Deutsch- und EDV-Kurse an. Der Unterricht wird von
Lehrkräften der Volkshochschule gehalten, findet jedoch in
Gemeinderäumen statt. Die Kurse sind ein Erfolg, weil die
Schwellenangst niedrig ist und häufig parallel zum Unterricht eine
Kinderbetreuung angeboten wird. Ein Vorstandsmitglied eines Weddinger
Bildungszentrums berichtet, dass die Mädchen und Frauen neben der
Sprache so auch die Arbeit der Volkshochschule kennen lernen würden und
sich dann zutrauten, für weiterführende Kurse direkt zur
Volkshochschule gehen.
Häufig spiegelt sich das Engagement von Frauen nicht in
Entscheidungspositionen wieder. Vielen Gemeindevorständen gehören keine
Frauen an. Die Interessen der weiblichen Gemeindemitglieder werden dann
im Bestfall, wie in vielen türkischen Moscheen, über die Frau des Hocas
in die männlichen Entscheidungsgremien übermittelt. Dies entspricht dem
separaten Aufbau der Gemeinde, in der weibliche und männliche Sphären
Parallelstrukturen hervorbringen. Es gibt jedoch immer mehr Ausnahmen.
Dies sind Gemeinden, in denen Frauen nicht nur an Entscheidungen – z.B.
über die Auswahl des Imams – mitwirken, sondern mit den männlichen
Gemeindemitgliedern u.a. im Vorstand zusammenarbeiten.
Musliminnen bringen sich immer stärker auf der zivilgesellschaftlichen Ebene ein
Neben dem Engagement im Moscheeverein sind einige Frauen zudem
bemüht, sich über die Vereinsgrenzen hinweg zu organisieren und zu
vernetzen. Sie setzen ihr Engagement außerhalb fort und bringen sich in
zivilgesellschaftliche Diskussionen Berlins ein. Einige Frauen fühlen
sich in keiner speziellen Gemeinde zu Hause und sind ausschließlich
außerhalb aktiv. Gemeinsam mit einer nichtmuslimischen Soziologin
gestaltet eine junge engagierte Berliner Muslimin die Internetseite Muslimische-Stimmen.de.
Sie richtet sich an Menschen über den Berliner Raum hinaus, nimmt vor
allem bundesrelevante Themen auf und will zum Meinungsaustausch
anregen. Im Berliner Islamforum beispielsweise vertreten vier
Musliminnen ihre Gemeinden (siehe Informationskasten S.26).
Neben geschlechterübergreifenden Initiativen und Aktivitäten
richten sich Musliminnen auch mit ganz spezifischen Angeboten an
weibliche Zielgruppen. Das Frauennetzwerk „Mira“ veranstaltet
regelmäßig Treffen von Musliminnen aus unterschiedlichen
Moscheevereinen und -verbänden. Der Newsletter „Muslimat“ informiert
Interessierte über relevante, d.h. Veranstaltungen mit Islambezug an
allen möglichen Orten der Stadt wie Moscheen, politischen Stiftungen,
evangelischen und katholischen Akademien. Seit einigen Jahren betreiben
Berliner Musliminnen interreligiöse Frauenprojekte aktiv mit. Zwei
besondere Beispiele sind das Projekt „Sarah-Hagar“ der überparteilichen
Fraueninitiative Berlin, das feministische Positionen aus Judentum,
Christentum und Islam von 2002 bis 2004 immer wieder an einen Tisch
brachte. Auch das 2004 ausgelaufene Lernprojekt für Frauen „EPIL“
gestalteten Berliner Musliminnen aktiv mit. Gläubige Frauen
verschiedener Religionszugehörigkeit aus Zürich, Barcelona, Berlin,
Beirut, Sarajewo und Mostar kamen zusammen, um sich über Ansätze des
konstruktiven Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher
Hintergründe weiterzubilden.
Insbesondere seit der Debatte um kopftuchtragende Lehrerinnen an
staatlichen Schulen beteiligen sich Musliminnen an vielen
Veranstaltungen zu gesellschaftspolitischen Themen Berlins als
Expertinnen und aktive Diskussionsteilnehmerinnen. Während einer
öffentlichen Podiumsdiskussion zum Kopftuchstreit im Jahr 2005 stand
eine Gymnasiastin auf und wandte sich an ihre zahlreich anwesenden
„Schwestern im Glauben“, wie sie sagte. Es sei richtig, dass die so
genannten Ehrenmorde nichts mit dem Islam zu tun hätten. Die Mehrheit
der muslimischen Gläubigen sei genauso gegen solche Formen der
Selbstjustiz wie alle anderen Menschen. Dennoch kämen „Ehrenmorde“
unter Muslimen vor und deshalb müssten sich muslimische Gemeinden auch
und gerade aus religiösen Gründen dagegen einsetzen. Weniger als zwei
Wochen später war die junge Frau mit den älteren Musliminnen, die
applaudiert hatten, auf einer Demonstration gegen „Ehrenmorde“ in
Neukölln und Kreuzberg. Sie trugen große Plakate mit dem Koranvers
„Kein Zwang im Glauben!“ und dem Hinweis „Unser Prophet setzte sich für
Frauenrechte ein. Hat Man(n) das vergessen?“.
Musliminnen aktiv gegen häusliche Gewalt
Durch eine mediale Berichterstattung, die Themen wie
Zwangsverheiratung und so genannte Ehrenmorde als typisch islamisch
charakterisiert und in einem Diskurs platziert, in dem Zugehörigkeit
zur Gesellschaft zur Diskussion gestellt wird, geraten Musliminnen, die
Gewalt gegen Frauen in ihren Gemeinden thematisieren, in eine
schwierige Lage. Zum einen habe die Öffentlichkeit solche Probleme
endlich erkannt, äußern zwei aktive Frauen eines Berliner
Moscheevereins, teilweise sei jedoch an der Zielsetzung der Akteure in
Politik und Medien zu zweifeln. Ob es wirklich um die Frauen gehe, sei
ihnen nicht immer klar. Zu oft hätten sie das Gefühl, aus der
Diskussion ausgeschlossen zu werden. Dabei seien Moscheen häufig die
ersten Anlaufstellen für Frauen in Not aus muslimischen Familien. Zur
Moschee könnten Frauen meist selbst dann gehen, wenn die familiäre
Situation sehr schwierig sei.
Wenn die Frauen innerhalb der Gemeinde Fälle häuslicher Gewalt
ansprächen, berichtet eine engagierte junge Muslimin aus einer Moschee
im Wedding, zeigten sich die Männer darüber durchaus bestürzt. Oft
scheint die Reaktion der männlichen Gemeindemitglieder jedoch eher
abwiegelnd zu sein. Allerdings werde Gewalt in den eigenen Reihen nicht
deshalb ignoriert, betont die Muslimin, weil man sie aus religiösen
Gründen gerechtfertigt sieht, sondern weil man die Auseinandersetzung
scheue. Manchmal komme es ihr vor, als pflegten die Männer lieber ihr
Bild von der heilen Welt der Muslime. Seit der verstärkten medialen
Aufmerksamkeit sehen sich Musliminnen so zusätzlich dem Argument der
Nestbeschmutzung ausgesetzt.
Die öffentliche Diskussion wird von muslimischen Frauen und Männern
als größtenteils stark verallgemeinernd und stigmatisierend
wahrgenommen. Zuzugeben, dass eine Gemeinde die vorgeworfenen Probleme
hat, scheint dabei kein gangbarer Weg mehr zu sein. Denjenigen Männern,
die in einer Thematisierung von Gewalt gegen Frauen oder von
strukturellen Mängeln in der Gemeinde eine Gefährdung ihres
Wirkungsbereichs sehen, scheint eine stigmatisierende Diskussion sogar
in die Hände zu spielen.
Auf der anderen Seite haben Musliminnen vor allem dann, wenn sie
Kopftuch tragen und sich als praktizierende Gläubige verstehen und
präsentieren, auch außerhalb ihrer Gemeinden Probleme, mit ihrer Arbeit
gegen frauenfeindliche Praktiken ernst genommen zu werden oder gar
Unterstützung zu erhalten. Die Idee, eine Kopftuchträgerin könne gegen
patriarchalische Strukturen und Gewalt und für
Geschlechtergerechtigkeit arbeiten, erscheint vielen paradox.
Besonderes Beratungsangebot
Der vor zehn Jahren gegründete bosnische Verein für traumatisierte
Kriegsflüchtlinge kombiniert Gemeindeleben und Beratung. Er hat ein
umfangreiches Angebot im „Islamischen Kulturzentrum der Bosniaken“
aufgebaut und beschäftigt drei Psychologinnen. Sie haben sich auf die
spezifischen Probleme bosnischer Frauen eingestellt, die während des
Krieges Anfang der 1990er Jahre Vergewaltigungen und andere
Kriegstraumata erlebten. Es dauere Jahre, berichtet eine der
Gründerinnen des Vereins, diese zu verarbeiten und zu einem normalen
Leben zurückzukehren. Einige von ihnen suchten Heilung der psychischen
Wunden in der Religion, manche nutzten die Beratung, ohne
praktizierende Musliminnen zu sein. Dennoch fänden sie im Verein eine
Atmosphäre des Zusammenhalts vor, der sie im Alltag unterstütze und den
sie in Angeboten anderer Organisationen nicht fänden.
Seit Januar 2005 ist es Lehrerinnen an Berliner Schulen gesetzlich
verboten, sichtbare religiöse Symbole vor der Klasse zu tragen. Dieses
Gesetz wurde als Kopftuchverbot öffentlich diskutiert und scheint sich
nun als solches auch auf andere Bereiche des Arbeitslebens auszuwirken.
Musliminnen berichten, es werde immer schwieriger für eine Frau mit
Kopftuch, in Berlin eine Anstellung zu finden, ob sie das Tuch nun
freiwillig trage oder aufgrund sozialen oder psychischen Drucks der
Familie oder des sozialen Umfelds wegen. Dennoch äußern Musliminnen,
die sich darüber im privaten Kreis oder in der Gemeinde beklagen,
Bedenken, mit diesen Problemen an die Öffentlichkeit oder gar vor
Gericht zu gehen. Die Klage einer muslimischen Lehrerin aus
Baden-Württemberg vor dem Bundesverfassungsgericht habe eigentlich nur
Negatives gebracht, resümieren sie. Denn durch den Prozess hat sich die
öffentliche Aufmerksamkeit auf die Kopftuchfrage fixiert. Dass für
Musliminnen, die sich dieser Ambivalenz aussetzen, die Gemeinde zu
einem stärkeren Bezugspunkt wird, erscheint dann nachvollziehbar.
Die Moschee als kommunikativer und sozialer Ort für Frauen
Es hat sich gezeigt, dass in Berlin viele Frauen die Moscheen
besuchen. Das Engagement von Musliminnen innerhalb und außerhalb
islamischer Gemeinden hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Im
öffentlichen Diskurs um patriarchalische Strukturen in islamischen
Gemeinden werden innermuslimische Aktivitäten noch selten erkannt und
unterstützt.
Berliner Moscheen und Gebetsräume werden, verglichen mit denen in
Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, sehr viel häufiger
von Frauen besucht und zu vielfältigeren Zwecken genutzt. Frauen
verrichten in Berlin nicht nur die Pflichtgebete in der Moschee,
sondern sie treffen sich in großer Zahl, um gemeinsam den Koran zu
lesen und ihr Wissen auf unterschiedlichsten Ebenen zu erweitern.
Gerade am Beispiel der Aktivitäten von Frauen in Berliner Moscheen wird
deutlich, dass die Moschee in der „Fremde“ nicht mehr nur einen
religiösen Ort darstellt, sondern zusätzlich kommunikative und soziale
Funktionen übernimmt.
Literatur
Amir-Moazami, Schirin (2006): Politisierte Religion. Der Kopftuchstreit in Deutschland und Frankreich. Bielefeld.
ZIF - Zentrum für Islamische Frauenforschung und
Frauenförderung (2005): Ein einziges Wort und seine große Wirkung. Eine
hermeneutische Betrachtungsweise zum Qur'an, Sure 4 Vers 34, mit Blick
auf das Geschlechterverhältnis im Islam. Köln.
El-Solami, Riem/Hamza Chourabi (1999): Frauenräume – Räume
für Frauen? In: Gerdien Jonker/Andreas Kapphan (Hrsg.): Moscheen und
islamisches Leben in Berlin. Berlin, S.35-40
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