Report | Kulturation 2/2004 | Dorothea Kolland | Perspektiven durch Kultur Der Berliner Kultursenator meint es ernst
| Es
schien so, als ob Thomas Flierl (PDS), Kultursenator der rot-roten
Berliner Regierung und eher bezirklicher Kultur- und
Stadtentwicklungspolitik verbunden als den Tempeln der Hochkultur, wie
so mancher Vorgänger keine Chance erhalten würde, unter dem Druck der
immensen Sparzwänge, die verschuldet (Bankenskandal,
Subventionsmentalität) und unverschuldet (Kosten der Vereinigung,
Wegfall der Berlin-Subventionen) den Berliner Haushalt desolat werden
lassen und jede Aufgabe auf den Prüfstand ihrer Pflichtigkeit stellen
(Kultur wird da besonders harsch bewertet). Zwischen der Härte des
Finanzsenators Sarrazin und dem eigentlich selbst gerne Kulturpolitik
machenden Bürgermeister Wowereit gelang es ihm nur mühsam, mit seinen
leise, aber zäh und nachdrücklich vorgetragenen Positionen wahrgenommen
zu werden, zumal seine Konzepte keine spektakulären Paukenschläge sind,
sondern Versuche, absolut notwendige neue Strukturen in die Berliner
Kulturlandschaft einzuziehen, die nicht nach dem Gusto von
Erbbauernhöfen oder Goldgräberclaims entwickelt werden, sondern die in
dem Prinzip Hoffnung auf Machbares, Vernünftiges, Zukunftsträchtiges
und doch Finanzierbares gründen.
Kurz vor den Sommerferien legte Thomas Flier sein Konzept
»Berlin: Perspektiven durch Kultur« vor. Nach langer, langer Zeit, in
der Kulturpolitik aus Amtsübergaben und Bemühenszusagen zu bestehen
schien, versuchte damit ein Berliner Kultursenator, einen politischen
Begründungszusammenhang für seine Arbeit vorzulegen, in dem er seine
bereits erfolgten Entscheidungen darlegte und zu lösende Aufgaben
formulierte.
Dass er es ernst meint (und angesichts der Haushaltslage
ernst meinen muss, soll er nicht in eine Wiederholung des
Schillertheaterdebakels geraten), wurde mit der tatsächlichen
Vorbereitung der Gründung einer Berliner Opernstiftung bewiesen -
keiner seiner Vorgänger hatte die lange überfällige Opernreform
ernsthaft begonnen. Ernst wurde es auch für die Berliner Symphoniker
e.V., die seit dem 1. September 2004 keine Zuschüsse mehr erhalten -
das kleine e.V. hinter dem Namen machte sie haushaltstechnisch »k.w.«,
auch dies eine langjährig diskutierte, aber nie gewagte Entscheidung.
Die Lücken im Kulturetat zwingen zu Prioritätensetzungen.
Thomas Flierl begründet seine Entscheidungen und Vorhaben
mit den strategischen Zielen »nachhaltige kulturelle Sustanzerhaltung«,
»rigorose Modernisierung der Kulturinstitutionen« und »begründete
Prioritätensetzung«, wobei eines das andere bedinge. Den Impetus für
seine Zielformulierung holt er sich aus der nach eigener Überzeugung
und in vielen Studien belegten Tatsache, dass Kultur als eine der
wenigen (er fügt hinzu »bei kluger Politik«) erneuerbaren Ressourcen
und als Zukunftspotential der Stadt gilt.
Er benennt deutlich die politisch-strukturellen
Problemfelder: Unterfinanzierung und Reformstau seit den neunziger
Jahren und die für Berlin unbefriedigend gehandhabte Finanzierung der
Hauptstadtaufgaben. Zwar sind einige Einrichtungen in die Finanzhoheit
des Bundes übergegangen, Flierl moniert jedoch mit Recht mangelnde
Systematik und politische Konsequenz. Insbesondere der
Gedenkstättenbereich ist in seiner politischen (und finanziellen)
Verantwortung unzureichend geklärt. Und zum Thema Unsystematik steckt
allen noch die großartige Spende des Bundeskanzlers von drei Millionen
Euro für Daniel Barenboim in den Knochen, die dieser an seine
Staatskapelle weitergab und damit das Tarifgefüge der Opernorchester
aushebelte - Kenner wissen, welch' Todsünde dies ist.
Ausführlich und exemplarisch begründet Flierl die
möglichen Alternativen, die es in der Opernstiftung gibt (auch ohne den
Bund gibt es Varianten, wenn auch unbefriedigende), macht aber
deutlich, dass es zu ihr selbst keine Alternativen gibt. Ein Schlüssel
zur Lösung der Probleme ist für ihn die »Entstaatlichung als
Vergesellschaftung, das heißt Rekonstruktion öffentlicher Trägerschaft
in privatrechtlichen Formen, als Stiftungen und/oder gemeinnützigen
GmbHs«, nicht zuletzt, weil er nur in diesen Betriebsformen eine
Möglichkeit sieht, sich der erdrückenden und Kultur erdrosselnden
Tarif- und Haushaltsstruktur zu entziehen. Er hofft auf
Gesprächsbereitschaft der Gewerkschaften, auf Unterstützung durch den
Deutschen Bühnenverein.
Neben der Opernstiftung, die möglichst alle drei
Opernhäuser absichern soll, betreibt er die Einrichtung einer
»Kulturstiftung Berlin«, als Kumulationsstelle aller öffentlichen
Fördermittel ohne die Zwänge und Unberechenbarkeiten der jährlichen
Haushalte, und die Gründung des »Kulturbüros«, das als instrumentelles
Managementinstrument Kultur machen soll, als Zusammenfassung bisher im
Museumspädagogischen Dienst, in der Berliner Veranstaltungs- und Kultur
GmbH und im Senat selbst geleisteter Arbeit, doch auch durch die (noch
strittige) Übernahme von bisherigen bezirklichen Aufgaben.
Als Petitum gefordert und durch Kooperation mit dem
Wirtschaftssenat ganz vorsichtig angeschoben, sind die Handlungsfelder
Kulturwirtschaft und Kulturmarketing, mit Recht als wesentliche
»erneuerbare Energien« und neues Markenzeichen Berlins avisiert, in
ihrer Bedeutung aber noch keineswegs erfasst.
Nicht berührt Flierl den ganz wesentlichen Schnittpunkt
von Kultur und Bildung, weder den im eigenen Haus möglichen durch die
Hochschulen repräsentierten, noch den (viel wichtigeren) mit der Schul-
und Jugendpolitik in der Stadt. Kooperation mit anderen
Senatsverwaltungen wird in Berlin sehr ungern praktiziert. In
Konsequenz sind wesentliche Träger der kulturellen Bildung
(Musikschulen, Volkshochschulen, Jugendkultureinrichtungen, aber auch
Schule insgesamt inklusive der Entwicklung eines Programms für die
neuen Ganztagsschulen) von der Kulturlandschaft entkoppelt.
Nicht berührt Flierl auch ein großes Feld von
Kulturpolitik, das für die Stadt zunehmend Bedeutung erlangt: Man darf
sich nicht nur mit Internationalität schmücken und auf die große
Attraktivität Berlins setzen, man muss auch etwas dafür tun - sei dies
durch eine Neusortierung der Künstlerförderung, sei dies durch
Förderung kultureller Aktivitäten (aktiv wie passiv!) der hier lebenden
Migranten.
Nicht berührt Flierl schließlich das hochsensible Terrain
der wieder zunehmenden Spannungen zwischen dem alten Osten und dem
alten Westen und der »Neuen Mitte«, die rationale, strukturell
begründete Entscheidungen verzerren und die ihm selbst immer wieder auf
die Füße fallen.
Ein großes Problem der »Perspektiven durch Kultur« bleibt stehen, von Flierl mit Überzeugung an zentraler Stelle genannt: die Schwäche des Städtischen
in der Berliner Kultur, ein auf der Absenz (und, dies sei ergänzt: der
Vertreibung) eines gewachsenen, Kultur fördernden Bürgertums
gegründetes Defizit. Zu sehen ist diese Schwäche für Flierl z. B. in
den öffentlichen Bibliotheken, in der Stiftung Stadtmuseum, in der
ständigen Existenzbedrohung der Kultur in den Bezirken - also überall
dort, wo es die Berliner Bevölkerung direkt betrifft. Es ist in Berlin
nie geklärt worden, wo genau und präzise die Aufgaben des Landes, wo
die der Bezirke liegen - und nur beide zusammen machen das »Städtische«
aus. Im Zuge der Abschmelzung öffentlicher Aufgaben wird gegenwärtig
von beiden Seiten abgeschmolzen, ohne sich vorher auf die Substanz zu
verständigen, die bestehen bleiben soll. Immerhin hat Flierl für den
Bibliotheksbereich eine kleine Expertenkommission benannt, für den
Bereich »Kunst und Kultur in den Bezirken« arbeitet seit zwei Monaten
eine vom Parlament eingesetzte Strukturkommission, um den Auftrag an
die bezirkliche Kulturverantwortung neu zu formulieren. Wenn allerdings
Flierls Zeitplan greifen sollte - »wenn die Hauptstadtfrage geklärt und
die Fusion zwischen Berlin und Brandenburg vollzogen ist, spätestens
dann wird die Berliner Kulturpolitik mit allem Nachdruck auf ihre
städtischen und kommunalen Aspekte verwiesen« -, werden die
Empfehlungen dieser Kommissionen nie umgesetzt werden.
Die Kommissionen werden trotzdem arbeiten, denn bei aller
Kritik im Detail sind die Berliner Kulturakteure froh darüber, dass von
Flierl und seinem Haus Kulturpolitik konzeptionell gedacht und
realisiert wird, nicht nur verbalisiert. Und auch wenn es dabei immer
wieder verdammt schmerzt - Flexibilität tut not. Das wissen alle.
Dorothea Kolland ist Leiterin des Kunstamtes Berlin-Neukölln und Vorstandsmitglied der Kulturpolitischen Gesellschaft. Für deren Kulturpolitische Mitteilungen (Nr. 106, Heft III/2004) hat sie diesen Kommentar zum konzeptionellen Vorschlag des Berliner Kultursenators geschrieben.
|
| |