Report | Kulturation 1/2003 | Dietrich Mühlberg | Schlösser im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit - welch schöner Anlass für eine nationale Sammlungsbewegung Kommentar zur Schlossplatz-Debatte des Deutschen Bundestages am 4. Juli 2002 | Historiker
waren - als professionell Arbeitende wie als historisch Gebildete -
immer eine verschwindende, aber mitunter einflussreiche Minderheit in
der deutschen Gesellschaft. Im 19. Jahrhundert hatte dieses kleine
Grüppchen sogar eine gewisse politische Deutungsmacht, obwohl sich
schon hier abzeichnete, was sie im 20. Jahrhundert, dann auch in Ost
und West auf verschiedene Weise, hauptsächlich zu leisten vermochte:
die Legitimierung der eigenen und die Delegitimierung der anderen
Mächtigen. Später stellten sie sich - scheinbar unpolitisch -sogar auf
die Unterhaltungsbedürfnisse der modernen Medien ein. Über sie wäre
also viel Schlechtes zu sagen, aber nicht, dass sie es tolerieren
könnten, einen historischen Ort durch die maßstabgetreue Kopie einer
seiner Bebauungen zu entweihen. Dies nicht nur, weil sie jedes
Falsifikat ablehnen, sondern schon, weil Bebauungen gewöhnlich viele
Stadien haben und jede Entscheidung für eine davon einen
Historikerstreit auslösen könnte. Ein moderner Bau mit vorgehängten
historisierenden Fassaden fiele nicht in ihre Zuständigkeit. Selbst
wenn man aus gegebenem Anlass nur die (unter ihnen immer noch
vorhandenen) Freunde des Hauses Hohenzollern zusammenzöge, dürfte es da
zu keiner Einigung kommen. Allein ihr Eventmanager Christoph Stölzl
sagte dpa: "Ich bin rundum glücklich".
Zum Glück ist der Anteil historisch gebildeter Akademiker unter den
Bundestagsabgeordneten verschwindend gering. Darum konnte der
nationalbewusste und schlossentschiedene Kanzler getrost in die
Abstimmung über die Bebauung des Schlossplatzes gehen. Hier würde er
keine Niederlage hinnehmen müssen. Hier waren die gleich ihm national
Gesonnenen in der Mehrheit, dazu ein paar naive Ästheten (gefühlsmäßig
gegen die Moderne) und vor allem die Freunde von Donald Duck. Die
schienen allerdings zu übersehen, dass der Hohenzollernklotz - selbst
als sichtbar vorgehängte Fassade - keinem Vergleich mit Neuschwanstein
standhalten kann. Er würde Disneyland einfach platt machen. Allerdings
muss man zugute halten, dass es manchen Liebhaber alter Architektur
geben wird, der sich von großdimensionierten Barockbauten faszinieren
lässt. Wie trutzig das auf alt gemacht Neue aussehen kann, lässt sich
an der Burg Hohenzollern besichtigen, die Friedrich Wilhelm IV. nach
der Niederschlagung der 48er Revolution wiederherstellen ließ.
Allerdings - das sei zugegeben - wimmelt es dort von japanischen und
amerikanischen Touristen, denen es sichtlich egal ist, ob dieses
Prachtstück tausend oder hundertfünfzig Jahre alt ist. Übrigens: Der
Bekenntnisbayer Edmund Stoiber hielt sich aus der nationalen Debatte
fein raus und konnte so nicht in den Geruch geraten, von sich aus für
die Wiederherstellung der saupreußischen Zentrale votiert zu haben.
Bayern hält seine Schlösser ja auch auf eigene Kosten beisammen und
macht daraus keine nationale Entscheidungsfrage. Nach dem
Mehrheitsbeschluss bekundete allerdings auch er seine Freude, wie
glücklich die Berliner nun sein könnten, denn Berlin brauche "den Bezug
zur Tradition".
Die Mehrheit der Abgeordneten war sich einig, dass mit ihrer
Entscheidung nicht nur die Missetat eines nationalen Bilderstürmers nur
zu sühnen war, sie war zugleich in ihren baulichen Folgen aufzuheben.
Alle Ikonoklasten werden von zeitbedingter ideologischer Konsequenz
angetrieben. Dagegen sind die Freunde der Disneyländer eher harmlos.
Sie wollen nur etwas, was hübsch alt aussieht und was - so Günter
Rexrodt - "auch in 200 und 300 Jahren dem Geschmack der Menschen"
entspricht. Während zu Honeckers Freude das Nicolaiviertel so schön
historisch gebaut worden ist, ließ der Ideologe Ulbricht noch Schlösser
und Kirchen sprengen. Grundsätzlich unverzeihlich, doch sollten wir uns
auch seiner Ideologie erinnern. Der ursächsische Preußenhasser hielt
das Berliner Schloss tatsächlich für ein Symbol nationaler Hybris. Für
den ehemaligen Sozialdemokraten war es die feindliche Residenz in der
Arbeiterstadt Berlin, die Zentrale der Reichsherrschaft über die
deutschen Länder, Heimstatt der hochmütigen Arbeiterfeinde und der
Antisemiten. Wäre er 1945 Stalins
Berater gewesen, hätte er ihm sicher vorgeschlagen, das Siegesbanner
seiner Soldaten auf dem Stadtschloss zu hissen; von der Reichstagsruine
hätte der Abgeordnete Ulbricht abgeraten. Dass dieser Mann - wie andere
in seiner Umgebung auch - nicht auf die Gegenstimmen zu hören vermochte
und das Schloss dennoch sprengen ließ, spricht dauerhaft gegen ihn. In
der Zeit, als die Entscheidung über die Neubebauung des
Marx-Engels-Platzes fiel, wurde in der DDR auch über das Erbe Preußens
gesprochen. Die moderne Palast-Lösung wurde von so gut wie allen
Ost-Intellektuellen bekrittelt und konnte bei ihnen bestenfalls als
Gegensatz zur Scheußlichkeit des Berliner Doms durchgehen. An einen
Wiederaufbau des Schlosses wurde dabei auch gedacht. Allerdings hätte
es die DDR schon materiell nicht vermocht, bereits der "Palast"-Bau
überstieg eigentlich ihre Möglichkeiten.
An diese Phase der Schlossgeschichte wird erinnert, weil alle
Entscheidungen ihren historischen Kontext haben. Er wird von jenen
plausiblen Argumenten nicht berührt, die für eine möglichst
originalgetreue Schlossattrappe sprechen. Wolfgang Thierse hat sie in
seinem Plädoyer eindrucksvoll zusammengefasst, mochte dabei aber nicht
auf die Begründungen der CDU/FDP-Opposition eingehen. Neben anderen
hatte Günter Rexrodt das Bedürfnis nach Identität in der Geschichte
genannt und dazu aufgerufen, etwas vom "natürlichen
Geschichtsverständnis" anderer Völker zu übernehmen. Er verwies auf den
historischen Kontext der Entscheidung: "Wir haben es verdient und
können es uns leisten, unsere Geschichte mit der Zukunft zu verbinden."
Neuerdings werden solche Floskeln der Liberalen mit geschärfter
Aufmerksamkeit dafür gelesen, welche Geschichte denn da "die unsere"
sein soll.
Ein Beschluss der SED über den Wiederaufbau anfangs der 70er Jahre wäre
etwas anderes gewesen, als es das Votum der politischen Repräsentanten
des neuen Deutschland im Jahre 2002 ist - angefeuert durch Leute, die
ganz verschieden motiviert sind, dies für eine rein ästhetische,
städtebauliche oder architektonische Entscheidung auszugeben. Es lässt
aufmerken, wenn der Ästhetiker Thierse schon vor einem möglichen
Architektenwettbewerb die barocke Fassade zur ästhetisch besten Lösung
erklärt. Als der Kanzler aus wahltaktischen Erwägungen sich den
Erpressern der Unternehmerfraktion beugte (sie drohten, nach München zu
gehen) und ihnen mit der Adresse Schlossplatz Nr. 1 auch das
Staatsratsgebäude vermachte, war das nur die Privatisierung exponierten
öffentlichen Raums. Die Schlossentscheidung der Parlamentarier dagegen
war eine ideologische Demonstration. Die Neudefinition des zentralen
öffentlichen Areals der deutschen Hauptstadt bot dafür nur den Anlass.
Denn denkwürdig war diese Bundestagssitzung nicht, weil mit ihrer
Entscheidung tatsächlich der Neubau der Fassaden des Berliner
Hohenzollernschlosses eingeleitet worden ist. Ob das tatsächlich
geschehen wird, ist weiter offen. Ihr Gewicht hat diese Veranstaltung
durch die Stimmungslage und die geistige Verfassung, die die Mehrheit
der Bundestagsabgeordneten zu ihrem Votum bewogen hat. Das war keine
Pflichtübung vor der Sommerpause, sondern die Gelegenheit zu einem
Bekenntnis, das man inzwischen für öffentlich möglich hält. Darüber
wird anderswo und später sicher lange und ausführlich gesprochen
werden. Verdächtig die vielen Entschuldigungen der Schlossbefürworter:
hätte der böse Ulbricht es nicht gesprengt, hätten wir das Schloss eh,
überdies haben da schon lange keine Kaiser mehr regiert und keine
Hofprediger mehr gepredigt, es war ja längst ein Museum, auch die Polen
haben ja ihr Warschauer Schloss in schwerer Zeit wieder aufgebaut usw.
Was von solchen Beschwichtigungen wird noch zu hören sein, wenn jetzt
eine nationale Sammlungsbewegung beginnt, um die Summe aufzubringen,
die der Bau erfordert? Eine schöne Gelegenheit zur Sammlung aller
deutschen Freunde von Auftragskunst und Architektur der in Europa so
beliebten Hohenzollern. Sicher werden schon die Nationalliberalen -
obwohl sie mehr könnten - darauf bestehen, genau 18 Prozent der Summe
aufzubringen. Vielleicht hat Edmund Stoiber nicht nur deshalb die
Bekenntnissitzung ignoriert, weil der gegenwärtige Kanzler ein so
vehementer Schlossfreund ist?
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