Report | Kulturation 1/2005 | Lutz Haucke | 20. Friedensfilmpreis auf der Berlinale 2005
| 20.Friedensfilmpreis auf der Berlinale wurde am Sonntag, 20. 02. 05 verliehen an:
TURTLES CAN FLY / AUCH SCHILDKRÖTEN KÖNNEN FLIEGEN von dem iranischen Regisseur Bahman Ghobadi.
Die Jury begründete die Preisvergabe so:
„Ein kurdisches Flüchtlingslager im Grenzgebiet zwischen Irak und
Iran: Die Menschen leben in großer Armut, die Felder sind vermint –
eine ständige Bedrohung für die Kinder und die Erwachsenen. Die Kinder
verdienen sich ein paar Groschen beim Minenräumen, viele von ihnen sind
für ihr Leben verstümmelt und dennoch spielen sie ihre Kindheit.
Ein Film des Schmerzes und der Verstörung, der die Zukunft der
Kinder in allen Kriegsgebieten mit erschütternder Deutlichkeit
zeichnet. Obwohl sich die Kinder umeinander kümmern und im
Flüchtlingslager ihre eigene parallele Welt entsteht, zeigt Bahman
Ghobadi die Folgen des Krieges – Elend und die Auflösung aller
Strukturen – mit Bildern, die nicht aus dem Kopf gehen.“
Der Film, der als Kinderfilm auf der Berlinale eingestuft worden
war, erzählt die erschütternde Geschichte von vor allem zwei der
halbwüchsigen Kinder in einem kurdischen Flüchtlingslager. Es ist zum
einen die grausame Geschichte eines Mädchens, das beim militärischen
Überfall (Türken oder Iraker?) auf ihr Dorf die Eltern verlor und
vergewaltigt wurde. Das Kind, das sie gebären musste und das blind ist,
trägt sie auf ihrer Wanderschaft durch die Flüchtlingslager auf dem
Rücken und kann und will „den Bastard“ nicht annehmen. Satellit wird
der Junge gerufen, der sich um sie bemüht und der die Jungs einteilt
zur Minensuche auf den Feldern, die um das Flüchtlingslager liegen. Sie
setzt ihr Kind auf einem Minenfeld aus, in der Hoffnung, dass es
umkommt, aber Satellit rettet es und verliert dabei einen Fuß.
Schließlich ertränkt sie das Kleinkind in einem kleinen Teich und
stürzt sich selber eine Felswand hinab. Der Film ist weitgehend in
Totalen und Halbtotalen erzählt, also in der Distanz, aber trotzdem
wird der Zuschauer schließlich vom Schicksal dieser Kinder überwältigt.
Im Vorfeld der Berlinale zeigte das Arsenal in Berlin am Potsdamer Platz die Preisträger von 1994, 1995, 1997, 2000 und 2004:
- BALAGAN von Andres Veiel (BRD), Preisträger 1994, ein
Dokumentarfilm über eine Theatergruppe aus Israel, in der Juden und
Araber gemeinsam Theaterstücke entwickeln und für die Überwindung des
Hasses eintreten.
- ER NANNTE SICH HOHENSTEIN und der EPILOG: DREI FRAUEN AUS
PODDEMBICE von Hans-Dieter Grabe (BRD), Preisträger 1995, zwei
Dokumentarfilme in denen der eine mit dem Tagebuch eines Amtskomissars
(Bürgermeisters) in einer Kleinstadt im besetzten Polen 1940 - 42 den
Widerspruch von deutscher Kulturbringeridentität und dem Scheitern
angesichts der Verwaltungsaufgaben bei der Vertreibung und Tötung von
Juden und der Durchsetzung des Deutschtums gegen polnische Identitäten
erzählt. Die Interviews mit der Frau des Zahnarztes, der Pastorenwitwe
und der Müllersfrau - nun im hohen Alter- schließen sich im EPILOG an
und sind Zeugnisse der stillen Anpassung an die Gegebenheiten der
Okkupation. Der Vorzug beider Dokumentarfilme – auch in den heutigen
Auseinandersetzung mit NPD-Parolen wie „Deutschland über alles“ –
besteht in der schlichten Erzählung vom gewöhnlichen, vom alltäglich
gelebten Faschismus der Deutschen, ihr Funktionieren in der Maschinerie
der unmenschlichen Erniedrigungen in Polen.
- NACH SAISON von Mirjam Quinte und Pepe Danquart (BRD),
Preisträger 1997, ist ein Dokumentarfilm über den Versuch, die Bewohner
von Mostar nach den Kriegswirren in Jugoslawien miteinander
auszusöhnen.
- LONG NIGHTS JOURNEY INTO DAY von Frances Reid und Deborah
Hoffmann (USA) ist ein Dokumentarfilm über die „Truth and
Reconciliation Commission (TRC)“ in Südafrika. Dazu hieß es in der
Begründung der Jury des Friedenspreises: „Indem der Film Menschen
porträtiert, die sich aus unterschiedlichen Gründen ihrer individuellen
Schuld und Verantwortung stellen, schafft er ein Verständnis für die
Widersprüche des Lebens, die jenseits der politischen Bedeutung des
Themas liegen. Vielmehr rührt dieses vielschichtige Porträt an die
existenziellen Fragen des Menschen, die im Zuschauer tiefe Irritation
und Erschütterung hervorrufen, aber auch Hoffnung wecken.“
- SVEJDOCI/ZEUGEN von Vinko Bresan (Kroatien), Preisträger 2004,
ein Dokumentarfilm über die Folgen des Krieges in Jugoslawien, zu dem
die Jury geurteilt hatte: „ Die Existenz dieses Filmes und sein
Entstehen beendet die Sprachlosigkeit des Nachkrieges und ermöglicht
Dialog, Kontroverse und Hoffnung.“
Der Friedensfilmpreis wurde 1986 im UNO-Jahr des Friedens von
Friedensgruppen gestiftet, wobei die Heinrich-Böll-Stiftung den Preis
in Höhe von 5000,-€ trägt. |
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