KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 1/2005
Lutz Haucke
20. Friedensfilmpreis auf der Berlinale 2005
20.Friedensfilmpreis auf der Berlinale wurde am Sonntag, 20. 02. 05 verliehen an:
TURTLES CAN FLY / AUCH SCHILDKRÖTEN KÖNNEN FLIEGEN von dem iranischen Regisseur Bahman Ghobadi.

Die Jury begründete die Preisvergabe so:
„Ein kurdisches Flüchtlingslager im Grenzgebiet zwischen Irak und Iran: Die Menschen leben in großer Armut, die Felder sind vermint – eine ständige Bedrohung für die Kinder und die Erwachsenen. Die Kinder verdienen sich ein paar Groschen beim Minenräumen, viele von ihnen sind für ihr Leben verstümmelt und dennoch spielen sie ihre Kindheit.

Ein Film des Schmerzes und der Verstörung, der die Zukunft der Kinder in allen Kriegsgebieten mit erschütternder Deutlichkeit zeichnet. Obwohl sich die Kinder umeinander kümmern und im Flüchtlingslager ihre eigene parallele Welt entsteht, zeigt Bahman Ghobadi die Folgen des Krieges – Elend und die Auflösung aller Strukturen – mit Bildern, die nicht aus dem Kopf gehen.“

Der Film, der als Kinderfilm auf der Berlinale eingestuft worden war, erzählt die erschütternde Geschichte von vor allem zwei der halbwüchsigen Kinder in einem kurdischen Flüchtlingslager. Es ist zum einen die grausame Geschichte eines Mädchens, das beim militärischen Überfall (Türken oder Iraker?) auf ihr Dorf die Eltern verlor und vergewaltigt wurde. Das Kind, das sie gebären musste und das blind ist, trägt sie auf ihrer Wanderschaft durch die Flüchtlingslager auf dem Rücken und kann und will „den Bastard“ nicht annehmen. Satellit wird der Junge gerufen, der sich um sie bemüht und der die Jungs einteilt zur Minensuche auf den Feldern, die um das Flüchtlingslager liegen. Sie setzt ihr Kind auf einem Minenfeld aus, in der Hoffnung, dass es umkommt, aber Satellit rettet es und verliert dabei einen Fuß. Schließlich ertränkt sie das Kleinkind in einem kleinen Teich und stürzt sich selber eine Felswand hinab. Der Film ist weitgehend in Totalen und Halbtotalen erzählt, also in der Distanz, aber trotzdem wird der Zuschauer schließlich vom Schicksal dieser Kinder überwältigt.


Im Vorfeld der Berlinale zeigte das Arsenal in Berlin am Potsdamer Platz die Preisträger von 1994, 1995, 1997, 2000 und 2004:

- BALAGAN von Andres Veiel (BRD), Preisträger 1994, ein Dokumentarfilm über eine Theatergruppe aus Israel, in der Juden und Araber gemeinsam Theaterstücke entwickeln und für die Überwindung des Hasses eintreten.

- ER NANNTE SICH HOHENSTEIN und der EPILOG: DREI FRAUEN AUS PODDEMBICE von Hans-Dieter Grabe (BRD), Preisträger 1995, zwei Dokumentarfilme in denen der eine mit dem Tagebuch eines Amtskomissars (Bürgermeisters) in einer Kleinstadt im besetzten Polen 1940 - 42 den Widerspruch von deutscher Kulturbringeridentität und dem Scheitern angesichts der Verwaltungsaufgaben bei der Vertreibung und Tötung von Juden und der Durchsetzung des Deutschtums gegen polnische Identitäten erzählt. Die Interviews mit der Frau des Zahnarztes, der Pastorenwitwe und der Müllersfrau - nun im hohen Alter- schließen sich im EPILOG an und sind Zeugnisse der stillen Anpassung an die Gegebenheiten der Okkupation. Der Vorzug beider Dokumentarfilme – auch in den heutigen Auseinandersetzung mit NPD-Parolen wie „Deutschland über alles“ – besteht in der schlichten Erzählung vom gewöhnlichen, vom alltäglich gelebten Faschismus der Deutschen, ihr Funktionieren in der Maschinerie der unmenschlichen Erniedrigungen in Polen.

- NACH SAISON von Mirjam Quinte und Pepe Danquart (BRD), Preisträger 1997, ist ein Dokumentarfilm über den Versuch, die Bewohner von Mostar nach den Kriegswirren in Jugoslawien miteinander auszusöhnen.

- LONG NIGHTS JOURNEY INTO DAY von Frances Reid und Deborah Hoffmann (USA) ist ein Dokumentarfilm über die „Truth and Reconciliation Commission (TRC)“ in Südafrika. Dazu hieß es in der Begründung der Jury des Friedenspreises: „Indem der Film Menschen porträtiert, die sich aus unterschiedlichen Gründen ihrer individuellen Schuld und Verantwortung stellen, schafft er ein Verständnis für die Widersprüche des Lebens, die jenseits der politischen Bedeutung des Themas liegen. Vielmehr rührt dieses vielschichtige Porträt an die existenziellen Fragen des Menschen, die im Zuschauer tiefe Irritation und Erschütterung hervorrufen, aber auch Hoffnung wecken.“

- SVEJDOCI/ZEUGEN von Vinko Bresan (Kroatien), Preisträger 2004, ein Dokumentarfilm über die Folgen des Krieges in Jugoslawien, zu dem die Jury geurteilt hatte: „ Die Existenz dieses Filmes und sein Entstehen beendet die Sprachlosigkeit des Nachkrieges und ermöglicht Dialog, Kontroverse und Hoffnung.“

Der Friedensfilmpreis wurde 1986 im UNO-Jahr des Friedens von Friedensgruppen gestiftet, wobei die Heinrich-Böll-Stiftung den Preis in Höhe von 5000,-€ trägt.