Report | Kulturation 1/2003 | Vera Thümmel | „TROTZALLEDEM ...“ - Gedanken zum 9. Africa Alive Festival
| Und damit unser Traum wiedergeboren wird
Im Schweben des Windes und des Korns,
sind wir wieder hier,
wie die Spiegel
am Webstuhl unseres Daseins.
(Jao Armando Artur, geb. 28.12.1962 in Zambesi)
Lusitania – so nannten die Römer ihre potugiesischsprachigen
Provinzen. Lusophon wird heute der Sprachraum bezeichnet, in dem die
portugiesische Sprache gesprochen wird.
Das Africa Alive Festival 2003, das zum 9. Mal in Frankfurt am Main vom
21.1.-9.2.03. einschließlich Verlängerung der Ausstellungen bis zum
2.3.03 stattfand, öffnete auch in diesem Jahr seine Tore für
afrikanische Kunst und Kultur. Für einige immer noch ein Grenzgänger,
für sehr viele bereits eine feste Adresse, eine Instanz in Frankfurt,
bietet dieses Festival eine stetig wachsende Plattform für afrikanische
Kulturmacher (Künstler, Filmemacher, Musiker, Autoren) sowie
Journalisten, Politikern und politisch Engagierten.
Das lusophone Afrika ist hierzulande immer noch wenig bekannt. Daher
wandte sich Africa Alive mit dem diesjährigen thematischen Schwerpunkt
in Film, Literatur, Kunst, Musik und Podiumsdiskussion jenen Ländern
zu, die durch eine gemeinsame portugiesische Kolonisationserfahrung
miteinander verbunden sind. Das sind Angola, Mosambik, Guinea-Bissau,
Kap Verden und São Tomé und Príncipe. Die Wahl dieser Region geschah
auch aus aktuellem Anlass, da die politische Entwicklung der letzten
Jahre diese Länder aus den Kriegswirren bzw. der Vergessenheit heraus
und hinein ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Diese Länder haben
historische Persönlichkeiten hervorgebracht, die unvergesslich für die
revolutionären Befreiungsbewegungen Afrikas stehen und für das
historische Bewusstsein in Afrika zu einem Markstein avancierten.
Den Startschuß und das Motto gaben Musiker aus Guinea Bissau, die zur ersten Liga der Weltmusiker gehören: Carlos Robalo und Mandjau Fati mit Ihrer 1984 gegründeten Band Dunyabélé,
was „Für die ganze Welt“ bedeutet. Sie boten einen grandiosen
musikalischen Einstieg in die faszinierende Klangwelt und ließen die
zahlreichen musikalischen und sprachlichen Wurzeln und
Wechselbeziehungen erahnen, die bis nach Brasilien, Amerika und Europa
führen. Diese fanden ihre Entsprechung auf der Diskursebene in den
weiteren Genreangeboten.
Das Festival, das außerdem ein in Deutschland einmaliges jährliches
Forum für die aktuellsten afrikanischen Filmproduktionen darstellt,
wurde eröffnet mit dem beeindruckenden Film NDEYSAAN - LE PRIX DE PARDON des jungen senegalesischen Regisseurs Mansour Sora Wade.
Dieser Film - eine afrikanische Legende, erzählt in einer eigenwilligen
Bildsprache und frappierenden Farbenpracht - besitzt eine
Parabelfunktion und einen hohen Aktualitätswert: er ist ein Plädoyer
für die Versöhnung zwischen den Generationen und politisch verfeindeten
Gruppen in einer zunehmend zerrissenen Gesellschaft. Der Film wurde
Hauptpreisträger des nordafrikanischen Filmfestivals Karthago 2002.
Sora Wade begeisterte anschließend mit einer spannenden Diskussion über
die erstaunliche Symbolik von Bild, Musik und Farbe in seinem Film.
Sieben Jahre hatte er um finanzielle Unterstützung werben müssen.
Afrikanische Filme und Regisseure haben es ungleich schwerer eine Lobby
zu finden, ganz zu schweigen außerhalb Afrikas Eingang in die regulären
Kinos zu finden. Da bedarf es in Deutschland immer noch eines
Festivals, um sich für kurze Zeit ein Fenster durch unsere zunehmend
feste US-amerikanisch-geprägte Kulturhülle zu reißen.
Auch dieses Mal war das Africa Alive Festival wieder sehr gut besucht.
Obwohl in Zeiten der PISA-Studie manchen Journalisten der Begriff
„lusophon“ zu kompliziert erschien und das Thema angeblich für den
herkömmlichen Leser als „zu weit hergeholt“ angenommen wurde. – So
wurde die Ankündigung im Frankfurter Journal mit einer kleinen
Rätselrunden zu diesem Begriff „aufgefrischt“. Letztlich ließen sich
die heutigen mündigen Leser und Besucher aber davon nicht beirren.
Neben den aktuellen Filmen standen im Fokus Filme aus dem
portugiesischsprachigen Afrika, darunter eine Werkschau gewidmet dem
Regisseur Flora Gomez
(Guinea Bissau). Diese Länder verbinden eine ähnliche Geschichte und
ähnliche Erfahrungen. Die filmische Arbeit in Mosambik und Angola hat
ihre Wurzeln im Unabhängigkeitskampf und wurde später auch von
staatlicher Seite unterstützt - auch wenn die Mittel sehr gering waren.
Zunächst wurden eher Dokumentarfilme gedreht, die die soziale und
politische Wirklichkeit der Länder zeigen. Einige davon, mit einem
ethnographischen Anspruch, gaben einen tiefen Einblick in das Leben im
Südosten Angolas: PRESENTE ANGOLANO / TEMPO MUMULIA (Angola).
Um die legendären Persönlichkeiten des Unabhängigkeitskampfes aus
Angola, Agostinho Neto, und von den Kap Verden, Amilcár Cabral, die
außerdem als Poeten bekannt wurden, ging es in den beiden
Dokumentarfilmen AMILCÁR CABRAL (Kap Verden / Portugal) und NO CAMINHO DA ESTRELAS
(Angola). Waren sie die letzten mythischen Gestalten Afrikas aus der
Zeit des Unabhängigkeitskampfes, der auch in den Spielfilme MORTU NEGA (Guinea Bissau) und XIME (Guinea Bissau) thematisiert wurde?
Welche neuen Ansätze existieren im heutigen Afrika, die Probleme großer
Teile der Bevölkerung, die ums Überleben kämpfen (Filmreihe 'Steps for
the Future') zu lösen, den Kontinent in seiner Entwicklung zu
stabilisieren und ihm in der internationalen Staatengemeinschaft eine
neue starke Stimme zu verschaffen? Unter dem Thema „Afrikanische
Renaissance – ein neuer Anfang für Afrika?“ diskutierten in einer
Podiumsrunde der Journalist der Deutschen Welle, Abteilung Afrika,
Antonio Rocha, der Journalist aus Angola Emanuel Matondo, der Fotograf
Sérgio Santimano und die Autorin Lilia Momplé aus Mosambik Gedanken und
Konzepte dazu. Die kontroverse Diskussion und die engagierten
Fragestellungen und Kommentare des Publikums spiegelten einerseits die
Hoffnung wieder, auf die wachsende Stärke der Zivilgesellschaft zu
setzen. Dabei wird die Bedeutung der eigenen Kultur und der kreativen
und motivierenden Funktion der Künstler im Entwicklungsprozeß immer
bewusster. Andererseits konnte in der Diskussion auch die Wut und
Enttäuschung nicht verborgen werden angesichts der Missachtung
afrikanischer Eliten gegenüber ihren eigenen Bevölkerungen. Ihre
Souffleure-Finanziers befinden sich, wie längst bekannt ist, in Europa
und Amerika. Diese Komplizenschaft verhinderte auf Dauer, dass die
afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen tatsächlich Früchte tragen
konnten.
Traumatisiert und z. T. fragmentiert durch die blutigen und
jahrzehntelangen Kriege, die einst als Stellvertreterkriege begannen,
aber mit großer Hoffnung und wachsendem Enthusiasmus, gehen die
portugiesischsprachigen Länder daran - nach dem Tod des UNITA-Führers
Savimbi nun auch Angola - die neu angebrochene Zeit zu gestalten. Der
Anspruch auf Eigenständigkeit und Selbstbestimmung - die Idee der
„Afrikanischen Renaissance“ – ist keine neue, vielmehr eine stetig
wachsende Bewegung auf dem afrikanischen Kontinent, ungeachtet der
vielen Rückschläge.
„TROTZALLEDEM …“ zieht sich somit als programmatischer Leitfaden durch
dieses Festival und bildete auch den Titel der Ausstellung des
mosambikanischen Fotografen Sérgio Santimano.
In Mosambik entwickelte sich nach der Unabhängigkeit eine der
bedeutendsten Schulen der Fotografie auf dem afrikanischen Kontinent,
Sérgio Santimano ist einer ihrer prominenten Vertreter. Durch seine
Fotoreportagen, seine internationalen Ausstellungen und Bildbände zu
aktuellen und politisch brisanten Themen wurde er schon bald zu einem
Fotografen mit internationalem Renommee. Er widmet seine Werke dem
bewundernswerten Lebensmut der Menschen seiner Heimat, die nach den
verheerenden Kriegsjahren wieder langsam Hoffnung fassen und ihr Land
aufbauen. Er will mit seinen beeindruckenden Bildern gegen die gängigen
Klischees, die Afrika nur als einen Kontinent der Kriege und
Katastrophen darstellen, ein Zeichen setzen. Er lebt und arbeitet in
Maputo und engagiert sich im traditionsreichen Fotografenverband
Mosambiks, der derzeit wieder aufgebaut wird.
„Débloquer le coeur – um der Hoffnung willen“ – die zweite Ausstellung, die Werke des jungen Künstlers Braima Injai aus Guinea Bissau / Frankreich zeigte, sowie die Lesungen der Schriftstellerinnen Lilia Momlé aus Mosambik und Ana Paula Tavares
aus Angola, setzen sich – jede/r in seiner / ihrer eigenen
bemerkenswerten Sprache – mit Entwicklung, Kolonialismus, Situation der
Frauen, Zerrissenheit zwischen den Kulturen und immer wieder mit der
Hoffnung auseinander.
Neu war, dass das diesjährige Africa Alive Festival einen
Musikfilmabend gestaltete und, bereits zum zweiten Mal, neben
Schulprojekten auch ein Universitätsangebot auf die Beine stellte: und
zwar mit den geladenen Künstlern und Schriftstellern zu Diskussionen
und Workshops an die Schulen sowie an die Goethe-Universität Frankfurt
ging. Diese direkten Kontakte ließen bereits weitere konkrete Ideen und
Projekten entstehen.
Damit unterscheidet sich dieses Festival von jenen glamourösen
Filmfestivals, die auf der Welle der Cineast-Mode und Massenkultur
schwimmen, und gleichermaßen von jenem leicht-seichten
Multikultimelange bzw. nicht wenigen afrikanischen Festivals, die sich
überwiegend mit Musik, Kulinarischem und Kunstmarkt begnügen.
Africa Alive hält die Spannung aus zwischen jährlich aktuellen
Diskursangeboten - in denen in erster Linie nicht Europäer über Afrika
diskutieren, sondern Kulturschaffende aus Afrika ein Forum bekommen,
ihre Denkansätze und Werke zur Diskussion anzubieten – und genügend
Raum zu geben für das Miteinander, Kennenlernen, aber auch
Wiedertreffen hier lebender Afrikaner und Afrika interessierter
Deutscher / Europäer. Und das ganz selbstverständlich und unprätentiös
– bereits seit 9 Jahren. Nicht zuletzt seien die vielen binationalen
Paare und Familien erwähnt, für die das Kinderfest zum Africa
Alive-Abschluß schon zu einem beliebten Muß geworden zu sein scheint.
Vielleicht wird dieses beliebte MUSS ja bald zu einem ganz alltäglichen
Sein, zum ALLTAG in ganz Deutschland? Es wäre überflüssig zu sagen,
dass das genau im Sinne der Africa Alive – Organisatoren wäre, die als
eine ehrenamtliche Initiative arbeiten, selbst unterschiedlicher
Herkunft sind, aus verschiedenen beruflicher Sparten kommen und
projektbezogen mit verschiedenen Frankfurter Vereinen und Institutionen
kooperieren.
Es bleibt nur noch zu wünschen, dass auch das nächste Festival –
nunmehr das 10jährige Jubiläum – wieder spannend wird und seinen hohen
Anspruch wahren kann: hoffentlich wieder Dank großzügiger Unterstützung
von Sponsoren oder möglicherweise doch durch einen festen Haushalt
seitens der Stadt?! Wenigstens einmalig… Das wäre doch ein wahres
Geschenk zum 10jährigen!
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