Report | Kulturation 2011 | Harald Dehne | „Wie das so brummt“. Zwei Solo-Cellisten im Osten und im Westen Berlins
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Die Berliner Rohnstock-Biografien hatten am 11. März 2011 in
ihre Räumlichkeiten erneut zu einem ihrer beliebten Ost-West-Salons
eingeladen. Diesmal erzählten zwei Solo-Cellisten über ihre
musikalischen Berufserfahrungen in wohl unterschiedlichen
Gesellschaftsordnungen, aber innerhalb derselben, wenngleich durch die
Berliner Mauer geteilten Stadt. Götz Teutsch, ein 1941 in Herrmannstadt
gebürtiger Siebenbürger Sachse, spielte seit 1970 bei den Berliner
Philharmonikern, ab 1976 dreißig Jahre lang als Solo-Cellist. Ein
Sachse aus der Leipziger Region hingegen ist Hans-Joachim Scheitzbach,
geboren im Jahre 1939 und Solo-Cellist an der Komischen Oper seit 1967.
Diese „Besetzung“ wurde komplettiert zum einen verbal durch Prof. Dr.
Dietrich Mühlberg, der die Veranstaltung moderierte, und Levin Röder,
der die Salongäste begrüßte, zum anderen auch musikalisch durch die
beiden Kogans, die die kammermusikalische Praxis einbrachten, die eine
am Klavier, die andere – sie hatte gerade ihren 11. Geburtstag – am
Cello.
Zunächst
erzählten beide, wie sie als Knaben von ungefähr zehn Jahren das Cello
als ihr Musikinstrument entdeckten. Gemeinsam ist ihnen eine gediegene
Ausbildung und ihre Leidenschaftlichkeit beim Musizieren. Früh traten
beide in ein Orchester ein, ohne die Aussicht, jemals im westlichen
Ausland auftreten zu können, aber auch ohne das Verlangen, unbedingt
ein Westpublikum zu brauchen, um ihre ungestüme Freude am Cellospiel
ausleben zu können. Das Radio-Sinfonieorchester in Bukarest bzw. das
Gewandhausorchester Leipzig waren ihre ersten Stationen. Als sich für
Teutsch in Rumänien die Chance ergab, im Rahmen von
Familienzusammenführung in den Westen auszuwandern, tat er dies im
Jahre 1968. Da war der DDR-Sachse schon da, aber auf der anderen Seite
der Mauer.
Natürlich schwärmten die beiden von der hohen
künstlerischen Qualität, die während ihrer „Spielzeit“ in ihren
jeweiligen Orchestern im Vordergrund stand, vom großen
Gemeinschaftsgeist im Ensemble, der zum einen wesentlich aus dem
klanghaften Gemeinschaftserlebnis gespeist wurde, zum anderen durch die
günstigen Umstände, dass das Konkurrenzverhalten unter den Musikern
seinerzeit viel geringer ausgeprägt war als heute. Früher waren auch
die altgestandenen Musiker noch etwas wert. Schnell war man bei der
Gegenwart. Der Leistungsdruck sei heute enorm – das merke man erst als
älter werdender Cellist. Das leidenschaftliche Engagement reicht dann
auch nicht mehr aus zur Kompensation, wenn die Kräfte nachlassen. Heute
spielen vor allem junge Musiker, anscheinend können die mit diesem
Druck auch gut umgehen. Aber das muss man erstens abwarten, und
zweitens funktioniert die Eliteauswahl heute anders. Auch die Quelle
für Nachwuchsmusiker ist inzwischen global geworden. Das steigert den
Leistungsdruck und zugleich die Leistungsbereitschaft, ebenso die
Virtuosität in der Beherrschung des Instruments. Aber auch das zeigt
eine Kehrseite: Hatten Orchester von Weltruf einst immer eine
unverwechselbare Farbe im Klang, so lässt die musikalische Bravour der
einzelnen Musiker manches Orchester schon eher wie eine
Solistenvereinigung tönen. Infolge der Globalisierung des Musikbetriebs
sind auch regionale Bezüge weitgehend verloren gegangen. Früher saßen
im Leipziger Gewandhaus oder in der Dresdner Staatskapelle vor allem
Musiker aus Sachsen oder eben Norddeutsche in der Berliner Philharmonie
bzw. dem Orchester der Komischen Oper. Heute scheint nur noch bei den
Wiener Philharmonikern darauf geachtet zu werden, dass zumindest der
alte geografische k.u.k-Raum stark repräsentiert bleibt.
Damit
sind wir bei der Frage nach den Ost-West-Unterschieden. Die beiden
Cellisten winkten zunächst ab, denn die Noten seien doch immer die
gleichen – unabhängig vom Gesellschaftssystem. In der Tat muss man wohl
konzedieren, dass im Berufsleben dieser beiden Ausnahmemusiker wenig
Unterschiede auszumachen sind, zumal ihre sehr beieinander liegenden
Geburtsjahrgänge auch auf Aufstiegschancen einer ganz bestimmten
Generation verweisen, die für nachfolgende Generation in dieser Weise
nicht mehr bereitstanden. Ihre Karriere ging steil aufwärts, wobei
vielleicht festzuhalten wäre, dass der West-Cellist seine Solorolle
erst mit 36 Jahren erhielt, während der Ost-Cellist diese Position
bereits mit 28 Jahren inne hatte. Doch Zufälle spielen auch dabei immer
eine große Rolle.
Man muss schon sehr genau auf die Geschichte
der orchestralen Musizierpraxis in Ost und West zur Zeit des Kalten
Krieges schauen, um deutliche Unterschiede aufspüren zu können. Dass im
Osten der Erste Cellist am Pult rechts saß, während der im Westen links
saß, verweist als ein Bonmot nur auf einen rein formalen Unterschied,
bei dem man höchstens nachfragen könnte: Wie war das eigentlich vor der
Teilung in Ost und West, und wie sind die Sitzordnungen bei anderen
Orchestern?
Natürlich haben die Orchestermitglieder im Westen
mehr Geld verdient als ihre Ostkollegen – dafür hätten diese wohl auch
mehr arbeiten müssen, z.B. für die vielen Platteneinspielungen...
Natürlich konnten die Berliner Philharmoniker durch die Welt reisen,
was den Ostmusikern viel weniger möglich war, so dass nur auf dieser
Seite der Mauer das Thema Absetzbewegungen bei Tourneen ins westlichen
Ausland eine Rolle spielte. Unterschiede kann man ferner feststellen,
wenn man auf die Wirkungspraxis der Orchesterauftritte sieht. Auch wenn
es vereinfachend klingen mag, so ist doch diese Aussage von Götz
Teutsch nachvollziehbar: Das Ost-Publikum brauchte Musik als ein
notweniges Lebenselixier, im Westen wurden Konzertauftritte dagegen
eher als bürgerlicher Luxus zelebriert – allerdings ändert sich das
indessen auch im Osten immer mehr. Für das direkte Ansprechen
unterbürgerlicher Schichten durch das Orchester der Komischen Oper
sprechen die Aktivitäten, vor Arbeitern in den Werkhallen oder auf dem
Land zu musizieren. Und nicht zuletzt tun sich dann ein weites Feld
auf, wenn man fragt, welche Empfindungen und Gedanken das Publikum mit
den Inhalten einer gehörten Musik verbindet. Hans-Joachim Scheitzbach
erzählte dazu die Geschichte, wie der Dirigent Rolf Reuter den Chor
„Wach auf“ im letzten Akt der Meistersinger von Nürnberg während der
Probenarbeit als einen aktuellen gesellschaftlichen Appell verstanden
wissen wollte.
Eine kulturhistorische Aufarbeitung der
Wirkungspraxis von Orchestern in Ost und West wird an dieser Stelle
gewiss noch aufschlussreiche Ergebnisse zu Tage fördern können.
Schließen wir den Bogen, indem wir wieder anthropologisch interessante
Aussagen wie diese aufgreifen: Cellisten an sich sind gemütlichere
Menschen als die Geiger. Und: Das Cello ist so menschlich, während eine
Geige immer penetrant ist – sagt der Cellist.
Beide
Solo-Cellisten mögen schon lange nicht mehr unterrichten. Ihre Maxime
lautet: sich selbst beobachten und dann das Instrument so spielen, wie
man es selbst für richtig hält und wie es einem selbst gut tut – und
nicht, wie es der Lehrer will. Keine Subordination eben, sondern freie
Entfaltung des Individuums. Mit der heute üblichen Lehrpraxis sei diese
Herangehensweise aber nicht kompatibel. So sind die beiden Musiker wohl
auch in dieser Hinsicht Ausnahmeerscheinungen.
Beide haben
Musik studiert, weil sie Musik lieben und Spaß am Spielen haben, auch
Freude an der Leistung – nicht aber um reich zu werden oder um in
anderen Ländern zu musizieren. Ihre lebendige Leidenschaftlichkeit im
Musizieren als Lebensinhalt war auch an diesem Abend ganz eindringlich
und sehr unterhaltsam spürbar. Wenn es so etwas wie Synergieeffekte
wirklich gibt, dann wohl, wenn sich jedes Instrument klangvermehrend
und ergänzend in einer Wechselwirkung mit anderen einbringt und dieses
individuelle Engagement dann zum wohltemperierten Gleichklang eines
Orchesterganzen zu führen vermag. Dafür zu spielen lohnt es sich
überall auf der Welt.
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