Report | Kulturation 1/2004 | Christine Wagner | "Verlorne Kinder" - Ist der Ostrock tot wie die DDR?
| Kurze
Zeit flammte der alte Ostrock neu auf. In den von meist Westdeutschen
produzierten Shows zeigten sich die alten Stars noch einmal wie früher.
Da Wessis in Zeiten des Kalten Krieges selten ostwärts schauten,
entdeckten sie verspätet das alte Erbe des untergegangenen Landes wie
ein Weltereignis. Und staunten mehr als es kritisch zu hinterfragen.
„Pionierlieder – die mussten wir doch alle singen“, sagte da der
DDR-Schlagerstar Nr.1, der es nebenberuflich zum Vizepräsidenten des
Komitees für Unterhaltungskunst schaffte. Und machte sich so zum
zweiten Mal zum Opfer. Dabei hatte er doch früher selbst der Stasi
frech mit der Lampe ins Gesicht leuchten können. Eisprinzessin Kati
Witt band sich das Pioniertuch so freiwillig und begeistert um, als
wäre sie früher gern zum Fahnenappell angetreten. Kann ja sein.
Zweifellost blieb sie ihrem Ruf, das schönste Gesicht des Sozialismus
zu sein, so zumindest treu.
Doch – einem Sänger liefen einige Tränen übers Gesicht. „Nichts ist
unendlich, so sieh es doch ein, ich weiß du willst unendlich sein“
verkündete er seine seit der Wende oft wiederholte Botschaft. Wollte
die aber einer wirklich hören in den Shows der Spaßgesellschaft?
Bei aller Ostalgie, der noch einmal kräftig das Portemonnaie aller
Beteiligten füllte, bleibt ein bitterer Geschmack zurück. Die Welle ist
inzwischen verebbt. Spuren aber hat sie nicht wirklich hinterlassen.
Ist der Ostrock tot wie die DDR? Vielleicht. Eine tiefere
Auseinandersetzung um seine Vergangenheit hat bis heute nicht
stattgefunden. Und jene, die nach der Wende die ausgelatschten Spuren
verließen, um auf die Suche nach sich selbst zu gehen, sind
größtenteils aus der Öffentlichkeit verschwunden. Und die
Rebellischsten von ihnen gescheitert – auch am eigenen Leben mit den
zusammengebrochenen Idealen? War die Trauer so unüberbrückbar groß,
dass sie die Sehnsucht nach Zukunft erstickte? Warum starben Gerhard
Gundermann und Tamara Danz mit 43 - und Gerulf Pannach wenig älter?
Der Schock über den plötzlichen Tod des singenden Baggerfahrers aus
der Lausitz trieb vor sechs Jahren mehr als 3000 Menschen der einst
bunten DDR-Musikszene zum Waldfriedhof Hoyerswerda. Die meisten
Trauernden waren nicht viel jünger oder älter als Gundermann. Er hatte
die 30- bis 45jährigen eine „übersprungene Generation“ genannt - und
meinte vor allem die kulturell-künstlerische Intelligenz. Eine in der
DDR geborene Generation, deren Erfahrungen weder in der Ära Honecker
noch in der erweiterten Bundesrepublik unter Kohl von Interesse
scheinen. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder - aber nicht wieder bei so
einem traurigen Anlass“, sagte ein junger Grauhaariger zu einem
Bekannten aus alten Zeiten. Doch während er den Wunsch vieler
aussprach, ahnte er schon: Da ist keiner, der die mit dem Ende der DDR
verlorengegangenen Fäden einer Gemeinschaft neu knüpfen wird. Was
bleibt, ist eine Vertrautheit wie aus Kindertagen. Mit Gundermann, der
sich mit Liedern oft voller Todessehnsucht als „Tankstelle für
Verlierer“ verstand, hat sich die wichtigste Oststimme der 90er Jahre
davongemacht.
Nur wenige Wochen vorher im Mai siegte der Krebs über Gerulf
Pannach. Mit seinen Texten für die legendäre Klaus-Renft-Combo prägte
er die lustvollen Anfangsjahre des DDR-Rock entscheidend mit. Zu Beginn
der 70er Jahre schossen Bands wie Pilze aus dem Boden, die mit eigenen
romantisch-lyrischen Songs um Profil und Publikum rangen. Langhaarige
im Saal und auf der Bühne hörten aufmerksam einander zu, lebten in
Parties lang unterdrückte Gefühle aus und glaubten mit Honecker an
einen toleranten Sozialismus. Schließlich förderte er nun die Bands,
die Ulbricht verboten hatte. Zehn Jahre später waren die Illusionen
erloschen und die Rockmusik unter fördernder staatlicher Kontrolle.
Die Band Silly fing die düstere Stimmung im Land, Wut und Ohnmacht
über die Lügen der erstarrten alten Machtmänner ein. Sie beherrschte
die Kunst perfekt, Wahrheiten schwungvoll gedrechselt zwischen den
Zeilen zu verstecken. Mit dem Krebs-Tod ihrer Sängerin Tamara Danz (43)
wurde schon 1996 ein wichtiger Teil jener frustgeladenen 80er Jahre
endgültig Geschichte.
Hinter Pannach, Danz und Gundermann stand keine Industrie, die aus
den Toten wirklich Kapital schlagen konnte. Die Übriggebliebenen haben
weder ausreichend Kraft, noch Lobby und Geld, sich mit neuen Songs auf
dem riesigen Musikmarkt Achtung zu verschaffen - trotz hervorragender
musikalischer Qualitäten. Aber war nicht das Ende des teilnationalen
Ostrock mit dem Untergang der DDR beschlossene Sache?
Auf den ersten Blick scheint die drei toten Rebellen wenig
miteinander zu verbinden. Der intellektuelle Einzelgänger Pannach fiel
mit seinem roten Schal, Baskenmütze, schwarzem Mantel und
zusammengebundenem Pferdeschwanz auf. Er war ein kleiner, zäher Typ,
der mit seiner unverblümt-sarkastischen Sprache einen zutraulichen
Eindruck erweckte. Er konnte sentimental sein, immer aber
unberechenbar, oft aggressionsgeladen, streitsüchtig und störrisch.
Die distanziert-kühle Rocklady mit dem Sexappeal dagegen schob mit
ihrer schnoddrigen Art Konflikte an - um dann von ihnen davon zu
laufen. Die blonde Löwenmähne und die schicken Lederklamotten machten
die charismatische Tamara Danz zu einer Kunstfigur. Ihre rauchige,
aggressive Stimme schützte wie ein Panzer ihre weichen, verletzlichen
Seiten.
Der ökologisch denkende Vegetarier Gerhard Gundermann passte mit
Fleischerhemd, roten Hosenträgern und Hornbrille nicht ins
Showbusiness. Seine Stimme krächzte mehr als sie schwang. Aber er hatte
Mut , sich auf eine Bühne zu stellen. Er redete wie ein Wasserfall und
fuchtelte er mit den Armen, als müsse er einen schützenden Graben
zwischen sich und seinem Gegenüber schaffen. Konzentriert und verbissen
füllte er als Baggerfahrer und Rockpoet zwei Berufe. Arbeit - das war
sein höchster Lebensgenuss.
Die drei trieb der Drang nach Freiheit in dem von Mauern umgebenen
Land zur Musik. Als Idole bekundeten sie stellvertretend für ihre
Generation „Stinkwut über diesen DDR-Scheinsozialismus“, ohne sich von
der Idee des Sozialismus zu trennen. Gefangen von den autoritären
DDR-Strukturen stellten sie sich nicht mutig genug ihren persönlichen
Konflikten zwischen Anpassung und Protest. Die DDR hielt sie fester,
als ihnen lieb und bewusst war.
Die Widersprüche, an denen sie scheiterten, reichen zurück in die
Kindheit. Gerhard Gundermanns Eltern ließen sich scheiden. Der Vater,
ein Werkzeugmacher, brach den Kontakt zum Sohn ab und gab ihm die
Schuld für „sein versautes Leben“. Auch die Mutter, eine
Sachbearbeiterin und Gewerkschaftsfunktionärin, kam aus „einer
Generation, die um so vieles betrogen wurde“. Mit ihren Kindern zog sie
von der Naturidylle Weimar in die Betonstadt Hoyerswerda. Als „Gundi“
in einem Schulaufsatz schrieb, dass sich hier der „Abschaum der
Menschheit“ träfe, macht ihm die Lehrerin klar, dass er dazugehört. Es
mangelte nicht nur drei Tage vorm Lohntag an Geld, sondern wohl vor
allem an Liebe. Die Schwester landete im Jugendwerkhof. Und der Junge
mit den Segelohren und der hässlichen Brille hatte nie einen
Schulfreund. Dabei sehnte Gundermann sich danach, „einer unter anderen
zu sein“. Der Außenseiter musste andere Wege finden, um auf sich
aufmerksam zu machen.
Wie Tamara Danz, die verwöhnte Diplomatentochter. Der Vater, ein
glühender Kommunist, impfte ihr mit dem Namen seinen von der Partei
geprägten Willen in die Seele: Tamara hieß die Tochter des
DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck mit dem zweiten Vornamen. Die kleine Danz
wuchs wohlbehütet in Sofia und Bukarest auf und besuchte die
privilegierte Botschaftsschule in der Sowjetunion. Doch sie lebte nicht
gern in der Fremde. Sie hatte Sehnsucht nach Berlin, wo sie nur in den
Ferien sein durfte. Die „angesagtesten Klamotten“, die sie trug, waren
ein Stück Ersatz dafür, dass die Karriere des spießigen Vaters ihr
Leben bestimmte.
Wer in der politisierten DDR lebte, hatte zwangsläufig einen
dritten Elternteil: Vater Staat. Spätestens in der Schule hämmerte er
den Kindern heroische Ideale in die Köpfe. Ihnen sollte es einmal
besser gehen. Deshalb mussten sie wie die Mächtigen Verantwortung für
die ganze Welt übernehmen, damit diese sich zum Guten entwickle. So wie
die sozialistische DDR. Vertrauen in die Kinder, den eigenen Weg zu
suchen und zu finden, hatte der strenge Vater Staat ebenso wenig wie
die Masse der leibhaftigen Eltern. Statt den Aufwachsenden Halt zu
geben, ließen die Erwachsenen sie fallen, wenn sie sich in eine
ungewünschte Richtung bewegten. Die mutigsten Kinder rebellierten gegen
das aus den 30erJahren stammende Erbe der Altkommunisten. Sie maßen
hohle Phrasen am Alltag, um ein Stück vom eigenen Ich zu bewahren.
Außerdem machte es Spaß, die Verbote der Alten auszutricksen. Der
Kreislauf aus Mitmachen und Verweigerung dominierte auch den Lebensweg
von Pannach, Danz und Gundermann.
Gerulf Pannach fiel schon in der Schule als „überheblicher
Oberschüler, der mehr gelesen hatte als andere“ auf. Das Jurastudium
brach er ab. In der Theaterhochschule lief er auf, weil er die
Sowjetunion „beleidigte“ und sich nicht treu zu den starren Prinzipien
des sozialistischen Realismus bekannte. Warnungen linientreuer
Kulturfunktionäre vor Anarchisten und Abweichlern erzeugten in den 60er
Jahren bei dem Mitarbeiter des staatlichen Bezirkskabinetts für
Kulturarbeit das Gegenteil: Er ließ sich provokativ Haare und Bart
wachsen, wollte die verbotenen Jeans und politischen Beat.
Tamara Danz brach gegen den Willen des Vaters das Sprachstudium zu
Gunsten einer unsicheren Musikerkarriere ab. Die Scheue lernte zunächst
geschützt und angepasst im Background von Chören, was sie eigentlich
nicht wollte: Im Oktoberclub mitzusingen für die Partei, die immer
recht hatte, und in der Horst-Krüger-Combo Schlager trällern auf
Betriebsfesten.
Gundermann scheiterte an der Offiziershochschule. Ein „Soldat der
Revolution“ wie Ché wollte er sein, aber keine Lobeshymnen auf den
DDR-Verteidigungsminister singen. Wenig später fand er sich als
Hilfsarbeiter im Tagebau wieder. Und wurde trotzdem Mitglied der SED.
Die schloss den Träumer später wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“
aus. Als IM Grigori bespitzelte er Kollegen und beklagte sich über
korrupte Kader. Dann verweigerte er den Dienst , und die „Firma“ nahm
ihn ins Visier.
In der DDR-Rockmusik tobte sich das immense Bedürfnis nach
Unabhängigkeit aus. Musiker und ihr gleichaltriges Publikum verbündeten
sich in heruntergekommenen Kulturhäusern. Die da oben auf der Bühne und
die da unten im Saal genossen bedingungsloses Vertrauen und grenzenlose
Nähe zueinander - so, wie sie es sich von ihren Eltern erhofft hatten.
Ihr gemeinsames Schicksal widerspiegelte sich in einem diffusen
Wir-Gefühl, das das Ich nicht wertschätzte. Der Staat der sowjetischen
Besatzungsmacht bot sich hervorragend an als Projektionsfläche für
Auseinandersetzungen, die kaum in den Familien stattfanden.
Richtig schocken konnte der romantische Weltverbesserer Gerulf
Pannach mit trotzig-aufrührerischen Zeilen wie denen „Zwischen Liebe
und Zorn“. Er forderte den „Geist der Kommune“ gegen „die am Hintern zu
schwer und im Kopfe zu bequem sind“. Selbst dämpften der wütende
Pannach und die plebejischen Renft-Brüder ihren unbändigen Lebensdrang
mit reichlich Alkohol und nächtelangen Diskussionen.
In der kunstvollen Silly-Musik erschien die DDR voller
Widersprüche, was sie offiziell nicht sein durfte. Die Band übte Kritik
an den machtgierigen Männern.„lass sie ruhn die Väter dieser Stadt/die
sind so tot seit Deutschlands Himmelfahrt/ die Mütter dieser Stadt
hab’n den Berg zusamm’gekarrt“ heißt es in.dem Song über Berlins
berühmtesten Trümmerberg Mont Klamott. Selbstkritisch erkannten sie:
„ich schleppe die falschen Freunde mit/weil ich zu feige bin für den
Tritt“. Und gaben 89 resignierend erste Zeichen des eigenen Untergangs.
„Die verlornen Kinder in den Straßen von Berlin“, die sich nach den
warmen Ländern sehnten, spürten illusionslos die Kälte um sich herum -
die in ihnen nahmen sie nicht wahr. „Erfroren zwischen den Menschen“
war die Selbstmörderin in „Unter ihr taute das Eis“.
Bei Gundermann fanden Intellektuelle, Arbeiter, Obdach- und
Arbeitslose wieder die bedingungslose Gemeinschaft, die sie nach der
Wende vermissten. Seine Lieder erzählten mal spöttisch, mal subtil und
oft in einem heiteren Grundton Geschichten - von korrumpierten Vor- und
Nachwendepolitikern, der grünen Armee, untergehenden
Industrielandschaften, arbeitslosen Menschen mit viel Zeit und der
ewigen Suche nach den Vätern. Der Baggerfahrer sang an gegen
„amerikanische Plastikträume“, auch gegen die DDR-Nostalgiefraktion.
Trotz und Heimatgefühl mischten sich in die unter dem Schock der
deutschen Vereinigung entstandenen Lieder. Mit Zeilen wie „überlebe
wenigstens bis morgen/denn morgen kommt es wieder andersrum“ wollte er
Mut machen. Dabei hatte sich längst die Todessehnsucht in seine Lieder
geschlichen. Es klingt wie ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns,
wenn Gundermann auf der letzten CD „Engel überm Revier“ über seine
Kumpel singt: „die haben harte hände und ein hartes herz/die streiten
ohne ende und die sterben früh/die suchen ein vergnügen/ und finden nur
den schmerz/die können lügen aber leben können die nie“.
DDR-Staat und Musiker spielten Katz und Maus. Pannach und Renft
verloren das Spiel. Die „Glaubensfragen“ und die „Rockballade vom
kleinen Otto“ mochte die Katze nicht verdauen. „DDR-Leben ist wie
Lotto. Doch die Kreuze macht ein Funktionär“ waren zu gewürzt. Und der
kleine Otto, den es in den Selbstmord treibt, weil er nicht zu seinem
Bruder in den Westen darf, brach gleich zwei Tabus: Selbstmord passte
nicht zum Bild einer optimistischen DDR-Jugend und der Gedanke an eine
deutsche Wiedervereinigung nicht in die Zeit der Abgrenzung zwischen
Ost und West. Dass Renft sich zuvor mit Förderverträgen, Preisen und
guten Honorare ködern ließ, gehört zu den normalen DDR-Widersprüchen.
Die staatlichen Stellen erklärten die Band im September 1975 für „nicht
mehr existent“. Pannach fand sich im Knast wieder - und ein Jahr später
in der Bundesrepublik.
Tamara Danz rebellierte in ihren Songs - und genoss wie andere
Musiker Privilegien. Westautos, Wohnungen, Telefon u.a. erhielten in
dem Staat der Gleichen nur Auserwählte. Auch auf Bildern mit Erich
Honecker tauchte die Rebellin, die von allen geliebt sein wollte, auf.
Unter Androhung, das Land zu verlassen, erzwang sie für Silly die
Erlaubnis, ab Mitte der 80er Jahre im Westen zu touren.
Gundermann ließ sich nicht durch materielle Dinge kaufen. Obwohl
der populäre Musiker von Kunst hätte leben können, blieb er
Baggerfahrer. Er wollte sich nicht „verbiegen, um überleben zu können
mit Kultur“. Die Genossen hatten auf dem Bitterfelder Weg Ende der 50er
Jahre die Arbeiter in den Betrieben aufgefordert, mit eigener Kunst die
„Höhen der Kultur“ zu stürmen. Gundermann tat es wie ein
Vorzeigeprolet, der er nicht sein wollte. Konsequent starb er wenige
Monate, nachdem er arbeitslos den geliebten Bagger im für immer
geschlossenen Tagebau Scheibe verlassen musste.
Nur einmal, im September 89, schien es, als könnten sich die
Ostrockmusiker mit ihrer Resolution von der vereinnahmenden DDR lösen.
Plötzlich sprachen sie über eigene Fehler und kündigten den
Funktionären die Freundschaft. Doch als die Bundesrepublik sich als
gnadenloser Sieger gebärdete, siegten alte Ängste: Wer in der DDR
Fehler zugab, musste mit nochmaliger Bestrafung rechnen. Das kratzte am
Selbstvertrauen. Die kommerzielle Musikindustrie, die anspruchsvolle
Rockmusik wenig schätzt, übernahm ungewollt die Rolle der
DDR-Funktionäre. Schadenfreude, dass die inzwischen auch an
dünnbrüstigen Superstars gescheitert ist, mag nicht so recht aufkommen.
Verloren haben beide Seiten.
Tamara Danz stand in Wendezeiten wütend in der ersten Reihe. Als
das Publikum die Band ignorierte, deren Alben jahrelang die Nummer 1
waren, verschaffte sie sich als Mitglied des Komitees für Gerechtigkeit
und in Talk Shows Aufmerksamkeit. Grund zur Wut hatte sie: Der
Music-Major BMG Ariola, der sich vor der Wende um die Band mit ihrem
Exotenstatus gerissen hatte, wollte Silly in eine Art Münchner Freiheit
verwandeln. Ihren Wunsch, „daß man uns etwas Zeit lässt, unsere
Angelegenheiten zu bereinigen, statt bereinigt zu werden“, erfüllte sie
sich nicht. Lautlos verlies das Vorstandsmitglied den Verein der
DDR-Musiker, statt mit Kollegen die Vergangenheit in ihren
widersprüchlichen Facetten zu verdauen. Mit früheren Stasispitzeln
mochte sie nicht reden, um ihnen „keine Absolution zu erteilen“. Die
Frau, die keine Kinder in die „schlechte“ Welt setzen wollte, meinte,
alles mit sich selbst ausmachen zu können. Und so richtete sie wohl die
Wut ihrer Lieder, die an der neuen Gesellschaft wie an einer Gummiwand
abprallten, gegen sich selbst.
Gundermann spielte nach ‘89 ohne Pause. Der ehemalige IM bedauerte
seine „ekligen Petzberichte“, ohne ganz an sich heranzulassen, dass er
das Vertrauen von Freunden und Kollegen missbraucht hatte. Dafür
glaubte er sich „ vor der Sache des Sozialismus“ schuldig gemacht zu
haben. Pannach hatte die Erfahrung, dass den Westdeutschen die DDR nur
mäßig interessiert, längst gemacht. Während seine LP „Fluche Seele
Fluche“ heimlich nach seiner Ausreise in der DDR kursierte, blieb sie
wie Pannach im Westen ein Geheimtipp. Nach ‘89. schrieb er belanglose
Texte für die einst verachteten Puhdys. Auch mit der Nostalgiefraktion
Renft stand er noch einmal vereint auf der Bühne.
Die schrille Medienwelt der Spaßgesellschaft überhört die leisen
Hilferufe Einsamer. Wer bemerkte schon, dass die Danz auf der zwei
Jahre vor ihrem Tod veröffentlichten CD „Hurensöhne“ auf dem CD-Booklet
- fotografiert hinter einer Milchglasscheibe - wie ein toter Engel
starrt. Aber fühlte sie die selbstaufgebaute Distanz, wenn sie sang
„Wie kann ich leben in der dünnen Luft/die ihr verbraucht für euer
Marktgeschrei/ ihr hört nicht mal wenn einer Hilfe schreit“? Den Text
für das Lied vom „Fliegenden Fisch“ hatte ihr Gundermann geschrieben.
Er liebte es so, dass er es ein Dreivierteljahr vor seinem Tod neu
produzierte.
Vielleicht sollten wir wieder hören – einander zuhören - lernen?
Der Tod ist ein schleichender Begleiter, wartet auch in Festivals des
politischen Liedes und anderen Jubelsängen auf die Vergangenheit. Über
den spürbaren Tod zurück zum Leben zu finden – das wäre doch mal was.
Wer aber wagt es, sein persönlicher Schutzmäntelchen ganz fallen zu
lassen? IC Falkenberg, Dirk Zöllner, André Herzberg, OSTEN.de., Dirk
Michaelis, City, Ines Paulke, die drei Highligen – oder wer? Schaun wir
mal.
|
| |