Report | Kulturation 2/2005 | Claus-Peter Haase | "Das Museum für Islamische Kunst ist ein idealer Ort für einen neuen Blick auf die historische Kunst."
Welche Rolle kann ein historisches
Museum im Dialog mit der Islamischen Welt spielen? Claus-Peter Haase
sieht in Zwischenausstellungen moderner Künstler die Möglichkeit,
Fragen des Westens an die heutigen islamischen Bewegungen zu stellen.
Denn diese beträfen - genau wie die Ausstellungen des Mittelalters -
große Themen und müssten auf einem anspruchvollen Niveau stattfinden. Prof. Dr. Claus-Peter Haase leitet die Abteilung Museum für islamische Kunst im Pergamon-Museum zu Berlin. Mit ihm sprach Simin Falsafi. | Herr
Prof. Haase, heute wird ja fast alles ausgestellt, von peruanischen
Mumien bis zu plastinierten Leichen. Um was soll es nun gehen, wenn
moderne Künstler des Ostens hier im Museum plötzlich inmitten der Kunst
islamischer Völker des 8. – 19 Jahrhunderts ausstellen?
Das ist natürlich ein Sprung und nicht nur ein Sprung in der
Konzeption von Kunst des Islam sondern auch ein Sprung aus den
Jahrhunderten in die Gegenwart.
Den Sprung hat die Gesellschaft in den Islamischen Ländern längst
getan und es gab Begegnungen mit europäischer Kunst seit dem
Mittelalter. Immer wieder haben sich die verschiedenen Kunstkreise
gegenseitig beäugt, sich wahrgenommen und zeigten sich natürlich auch
irgendwie voneinander beeindruckt.
Für die Gegenwart ist das ein schwieriges Gebiet, denn wir erleben
(...) zunehmende Abgrenzungen des Orients gegenüber dem Westen. Manche
Kreise möchten den Islam als Gegenmodell gegen die abendländische Welt
und ihre Sicht des Menschen wieder aufrufen. Sie möchten den Islam
durchsetzen als ein rigides System, um den Menschen in seine Grenzen zu
weisen. Künstler stehen aber in einer besonderen Verantwortung und
sehen die Möglichkeiten des Menschen auf anderen Gebieten als
Soziologen, Politiker und Wissenschaftler und sie haben das Recht dazu,
sich ihre Welt selbst auszusuchen, in der sie wirken wollen. Und diese
Künstler aus dem Orient, die jetzt in vielerlei Weise herausgefordert
sind von der eigenen Gesellschaft, von der internationalen Kunstszene,
von der „abendländischen Gesellschaft“, die sind besonders lebendig und
besonders eindrucksvoll.
Kann denn ein historisches Museum integrationspolitisch wirken, also den Dialog fördern?
Ich glaube schon. Nun ist der Dialog ein etwas abgegriffener
Ausdruck für die Möglichkeiten menschlicher Begegnung, menschlicher
Anteilnahme und auch menschlicher Wahrnehmung. Wir sehen immer wieder
neue Modelle, wie der Mensch sich und seine Situation in der Welt
begreifen könnte. Immer wird etwas neu entworfen, sei es aus
Ideologien, sei es aus Erfahrungen, angeblichen Erfahrungen oder der
Tradition, die auf das konservative Verhalten zurückgeht.
Ein Museum als ganz besonderer Ort, der alte Werte sammelt und ausstellt, aber als Ort auch herausfordert?
Diese alten Werte und Leistungen standen zu ihrer Zeit in einer
bestimmten Interpretation. Heute müssen wir nicht unbedingt dieselbe
Interpretation an diese Sicht des Menschen und seine Umwelt
wiederaufleben lassen, wie die historischen Künstler sie auffassten,.
Heute können wir den Blick zurück anders gestalten, anders fokussieren,
als das früher üblich war. Die Kunstgeschichte hat zwei Richtungen: Sie
forscht einerseits in die Geschichte zurück und sie gibt andererseits
aus ihrer Gegenwart Modelle der Interpretation von historischer Kunst.
Wir sehen Dinge heute anders als der mittelalterliche Mensch, obwohl
wir uns bemühen müssen, die mittelalterliche Sicht auch zu verstehen.
Das Museum für Islamische Kunst ist ein idealer Ort für diesen neuen
Blick auf die historische Kunst. Ich will hier nicht Propaganda für das
Mittelalter machen, doch Fragen, wie ist ein Künstler in
mittelalterlicher Zeit unter mittelalterlichem Patronat und Mäzenat mit
den Herausforderungen umgegangen, was hat er für Möglichkeiten gehabt,
die Sicht des Menschen voranzutreiben, wollen wir ansprechen. Also die
Sicht des Menschen auf sich selbst und auf seine Umgebung.
Verändert sich das Image des Museums für Islamische Kunst, wenn hier
wie kürzlich bei der Ausstellung „The Guardians“ zwischen historischen
Ritterrüstungen moderne Kunst in Form von Uniformen iranischer
Machthaber ausgestellt werden?
Ich denke schon. Das war natürlich ein Reiz, diesen Sprung zu
wagen, mit einem modernen Künstler, der die komplizierte Sicht aus dem
Osten in den Westen und umgekehrt beherrscht. Gerade mit Künstlern, die
beide Kreise in besonderer Weise zu erfassen versuchen und in
besonderer Weise auch erfahren haben, glauben wir eine neue Sicht auf
die Geschichte, auf die Geschichte der Kunst und auf die heutige
Interpretation von Kunst werfen zu können.
Künstler helfen ja nicht nur Museumsbesuchern sondern eigentlich
der ganzen Welt, etwas von den eingetretenen Pfaden und von der für
unvermeidlich gehaltenen Entwicklung, dem unvermeidlich gehaltenen
Fortschritt in die eine oder wenige Richtungen abzukommen und etwas
ganz Neues zu erschließen.
Kam auch Kritik an den veränderten Uniformen der iranischen Künstlerin Farkondeh Sharoudi?
Ein Besucher traf genau ins Schwarze: Er beschwerte sich bitter
über die Ausstellung. Man verherrliche dort die modernen Uniformen und
man wisse wohl nicht, dass diese Uniformen in Iran z.B. nicht nur als
Verteidigung des Landes sondern auch gegen Teile der eigenen
Bevölkerung eingesetzt würden. Von Uniformierten wird auf die
Bevölkerung, auf Demonstranten geschossen. Genau das war das Thema der
iranischen Künstlerin. Genau das wollte sie in Erinnerung rufen. Wenn
wir uns heute moderne Armeeuniformen anschauen, wissen wir das. Doch
wenn wir historische Rüstungen bewundern und ihre Schönheit erfassen,
dann vergessen wir leicht, dass es früher auch nicht eine einseitige
Verherrlichung eines Systems war. Das es auch Kritik hervorrief, nicht
nur beim Feind, sondern auch oft mit sozialen Unruhen im Innern des
jeweiligen Kulturbereichs einherging.
Was uns - als westliche Betrachter der Kultur von islamischen Ländern -
angeht, so sind wir von der Herkunftskultur geprägt, die wir kennen,
von den Bildern, die uns die Medien über diese Länder zeigen und auch
von den Bildern, die die migrierenden Künstler uns zeigen. Meinen Sie,
dass so etwas wie eine Deterritorialisierung von Kultur einsetzt?
Das ist sehr schwer zu sagen, weil es sehr verschiedene Richtungen
gibt. Wir sehen auch Migranten aus diesen Ländern, die ganz konservativ
geblieben sind und tief verschleiert und verschleiernden Blickes einer
Tradition anhängen und glauben, dass man in dieser Tradition noch in
kleinen Schritten weiterdenken kann. Das schafft Ungeduld auf anderer
Seite und wird insbesondere in den sehr schnell agierenden
abendländischen Kreisen nicht wahrgenommen und nicht ernst genommen. Im
Augenblick müssen wir Fragen beantworten, die aus dem Westen an die
islamischen Bewegungen gerichtet sind, die sehr kritisch sind. Denn es
droht sogar ein Desinteresse an allem, was aus dieser Gegend kommt,
weil man sich angegriffen und in den Grundfesten erschüttert fühlt.
Aber diese Sicht ist einseitig. Können moderne Künstler mit ihren
Mitteln die Vielfalt aufzeigen, die kulturelle Bewegungen im Orient
ausmachen?
Nun, wir möchten die herausgreifen, die die Brücke zwischen den
orientalischen Ländern und der, wie wir immer gerne sagen,
internationalen Kunstszene betreten haben und die diese Brücke
mitgestalten.
Denn mit ihrem Sprung nach Westen, durch die Immigration oder durch
die physische Immigration oder die gedankliche Einvernahme des Westens,
findet schon eine Entfernung aus dem eigenen Bereich statt. Durch diese
Entfernung ergibt sich auch ein Blick - ich will das Wort
Globalisierung vermeiden – der nicht nur das eigene Land, das eigene
Volk betrifft, sondern der eine internationale, kunstinteressierte
Gesellschaft erreicht und genau dieser Blick ist für uns
aufschlussreich. Da sehen wir neue Möglichkeiten aus dem den Sackgassen
der Missverständnisse und der Fehlaktionen herauszukommen.
Ausstellen ist ja auch eine Form der Kommunikation. Gibt es da
jetzt für die historische Museumsinsel, für das Museum für Islamische
Kunst neue Perspektiven in der Kunst des Ausstellungswesens in Bezug
auf das Potential, was die Gegenwartskunst der migrierenden, nicht nur
islamisch geprägten Künstler bietet?
Von einer großen Konzeption möchte ich noch nicht sprechen. Wenn
wir so frech sind, einen Vorschlag einfach zu praktizieren, bevor wir
ihn groß zur Diskussion gestellt haben, dann will ich damit anderen
nicht vorgreifen. Das kann jedes Museum auf der Museumsinsel für sich
gestalten.
Aber werfen wir mal einen Blick etwa in die Dahlemer Museen. Dort
haben das Museum für Ostasiatische Kunst und das Museum für Indische
Kunst mit den eingeschränkten Mitteln, die uns allen hier in Berlin zur
Verfügung stehen, immer schon den Sprung in die Moderne gewagt und
vollzogen. Und das mit Erfolg.
Helfen migrierende Künstler ein neues Kulturverständnis zu entwickeln?
Wir sehen aus der Islamischen Welt verstärkt eine Immigration von
Künstlern. Und das geht auf die Schwierigkeiten des gesellschaftlichen
Wandels in diesen Ländern zurück, den wir beobachten. Wir hoffen
natürlich, mit Hilfe der Kunst, dieser Brücke des Kulturverständnisses
entgegenzukommen. Das ist Aufgabe aller Museen, denke ich.
Es genügt nicht den Blick nur in das alte Ägypten um des alten
Ägypten Willens zu richten. Das hat immer großen Erfolg. Es ist aber
nötig, die Leistungen, die damals in Abstraktion und reiner Ästhetik
gefunden wurden auch für uns anwendbar zu machen. Und das können nur
Künstler so transformieren, dass es für uns in unserer Zeit Gültigkeit
bekommt, ästhetische Gültigkeit bekommt und auch über das Kunstgewerbe
hinaus als eine ästhetische Dimension begriffen wird.
Dafür brauchen wir Künstler, dass können Museumsleute alleine nicht
leisten. Und dafür brauchen wir natürlich auch die direkte
Konfrontation oder den direkten Dialog der Künste von heute mit denen
der Vergangenheit.
Erreicht denn eine Ausstellung wie die hier angesprochene von
Farkondeh Shahroudi ein großes Publikum, oder sogar den Mainstream?
Das können wir schwer nachvollziehen. Wir hatten das Glück, in diesem
Jahr, dass ja das Jahr unseres hundertsten Museumsjubiläums ist, einen
erheblichen Besucherzuwachs von über 25% zu verzeichnen. Auf welche
einzelnen Aktionen das zurückgeht, können wir schwer messen. Wir haben
keine eigenen Umfragen gemacht. Ich sehe aber an den Reaktionen der
Besucher, die uns verstärkt erreichten, in Briefen, direkten
Bemerkungen, dass man sich damit beschäftigt, dass etwas im Gang ist.
Ich sah auch die Schulklassen, die sich auf die Uniformen nun warfen.
Die hatten sich vorher auch schon immer gerne auf diese Waffen und auf
die Rüstungen gestürzt. Denn das scheint immer noch bei Jugendlichen
ein Faszinosum zu sein: Der Ritter in seltsamer schwerer Verkleidung,
wenn die wüssten...
Auch Jugendliche und Kinder kamen zur Ausstellung. Zu sehen gab
es das Video mit den Szenen der Verletzlichkeit und mit Szenen der
Verteidigungsmöglichkeiten einer Frau. Auch Fotos, die die Bereiche des
Nähens, Stechens und des Zusammenfügens und auch Verschließens
berührten.
... ja all diesen wunderbaren Themen, die im Innersten Emotion wachrufen ...
... sodass auch negative Reaktionen kamen und manche dachten, man kann
ja in diese Museen nicht mehr mit Kindern gehen, dass sind ja
schreckliche Szenen, die sie hier zeigen ...
Wenn einen der Schrecken nicht angesichts der berühmten
Türkendolche ergreift, oder wenn einen der Schrecken nicht angesichts
eines Dschungels von Arabesken erreicht, die die menschliche Umgebung
umzingeln und die Blicke in die Wüste, die wir nun überall bieten, wer
das nicht als Schrecken in der Kunst ausgedrückt begreift, der braucht
eben eine moderne Künstlerin, die ihm das erläutert: Da stehst du und
das ist deine Umgebung.
Haben Sie den Eindruck, dass das eine Perspektive für das Museum für
Islamische Kunst der nächsten Jahre ist? Wo doch öffentliche Kritik
besteht, diese verstaubten historischen Museen seien nur Kostgänger und
trügen nichts zu den Fragen bei, die der heutige Mensch hat?
Ganz bestimmt. Das ist, glaube ich, eine Art Aufrütteln des
Bewusstseins: Wir wollen hier natürlich auch die normalen Touristen,
die gerne mal für eine Stunde ins Museum gehen, die sich etwas gleiten
lassen, an diesem oder an jenem hängen bleiben und sich mehr oder
weniger zufällig auf etwas gestoßen fühlen und etwas aufmerksam gemacht
fühlen. Aber wir wollen auch den bewussten Besucher, der etwas sucht im
Museum und ganz verstört herauskommt und sagt, ich muss meine Meinung
über diese und jene Dinge ändern. Genau den wollen wir auch einfangen
oder ihm irgendwie seine Fragen beantworten helfen.
Welche Zwischensausstellung gibt es demnächst?
Nun mit dem Raum des Menschen im Orient haben sich ja nicht nur
orientalische Künstler beschäftigt, sondern es war auch immer eine
Sehnsuchtsgegend für abendländische Künstler und wir sind dabei, eine
der großen lebenden Abstraktionskünstler zu gewinnen für eine
Ausstellung im nächsten Jahr – darüber verraten wir noch nichts.
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