KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 2/2005
Claus-Peter Haase
"Das Museum für Islamische Kunst ist ein idealer Ort für einen neuen Blick auf die historische Kunst."
Welche Rolle kann ein historisches Museum im Dialog mit der Islamischen Welt spielen? Claus-Peter Haase sieht in Zwischenausstellungen moderner Künstler die Möglichkeit, Fragen des Westens an die heutigen islamischen Bewegungen zu stellen. Denn diese beträfen - genau wie die Ausstellungen des Mittelalters - große Themen und müssten auf einem anspruchvollen Niveau stattfinden.
Prof. Dr. Claus-Peter Haase leitet die Abteilung Museum für islamische Kunst im Pergamon-Museum zu Berlin. Mit ihm sprach Simin Falsafi.
Herr Prof. Haase, heute wird ja fast alles ausgestellt, von peruanischen Mumien bis zu plastinierten Leichen. Um was soll es nun gehen, wenn moderne Künstler des Ostens hier im Museum plötzlich inmitten der Kunst islamischer Völker des 8. – 19 Jahrhunderts ausstellen?

Das ist natürlich ein Sprung und nicht nur ein Sprung in der Konzeption von Kunst des Islam sondern auch ein Sprung aus den Jahrhunderten in die Gegenwart.

Den Sprung hat die Gesellschaft in den Islamischen Ländern längst getan und es gab Begegnungen mit europäischer Kunst seit dem Mittelalter. Immer wieder haben sich die verschiedenen Kunstkreise gegenseitig beäugt, sich wahrgenommen und zeigten sich natürlich auch irgendwie voneinander beeindruckt.

Für die Gegenwart ist das ein schwieriges Gebiet, denn wir erleben (...) zunehmende Abgrenzungen des Orients gegenüber dem Westen. Manche Kreise möchten den Islam als Gegenmodell gegen die abendländische Welt und ihre Sicht des Menschen wieder aufrufen. Sie möchten den Islam durchsetzen als ein rigides System, um den Menschen in seine Grenzen zu weisen. Künstler stehen aber in einer besonderen Verantwortung und sehen die Möglichkeiten des Menschen auf anderen Gebieten als Soziologen, Politiker und Wissenschaftler und sie haben das Recht dazu, sich ihre Welt selbst auszusuchen, in der sie wirken wollen. Und diese Künstler aus dem Orient, die jetzt in vielerlei Weise herausgefordert sind von der eigenen Gesellschaft, von der internationalen Kunstszene, von der „abendländischen Gesellschaft“, die sind besonders lebendig und besonders eindrucksvoll.

Kann denn ein historisches Museum integrationspolitisch wirken, also den Dialog fördern?

Ich glaube schon. Nun ist der Dialog ein etwas abgegriffener Ausdruck für die Möglichkeiten menschlicher Begegnung, menschlicher Anteilnahme und auch menschlicher Wahrnehmung. Wir sehen immer wieder neue Modelle, wie der Mensch sich und seine Situation in der Welt begreifen könnte. Immer wird etwas neu entworfen, sei es aus Ideologien, sei es aus Erfahrungen, angeblichen Erfahrungen oder der Tradition, die auf das konservative Verhalten zurückgeht.

Ein Museum als ganz besonderer Ort, der alte Werte sammelt und ausstellt, aber als Ort auch herausfordert?

Diese alten Werte und Leistungen standen zu ihrer Zeit in einer bestimmten Interpretation. Heute müssen wir nicht unbedingt dieselbe Interpretation an diese Sicht des Menschen und seine Umwelt wiederaufleben lassen, wie die historischen Künstler sie auffassten,. Heute können wir den Blick zurück anders gestalten, anders fokussieren, als das früher üblich war. Die Kunstgeschichte hat zwei Richtungen: Sie forscht einerseits in die Geschichte zurück und sie gibt andererseits aus ihrer Gegenwart Modelle der Interpretation von historischer Kunst. Wir sehen Dinge heute anders als der mittelalterliche Mensch, obwohl wir uns bemühen müssen, die mittelalterliche Sicht auch zu verstehen. Das Museum für Islamische Kunst ist ein idealer Ort für diesen neuen Blick auf die historische Kunst. Ich will hier nicht Propaganda für das Mittelalter machen, doch Fragen, wie ist ein Künstler in mittelalterlicher Zeit unter mittelalterlichem Patronat und Mäzenat mit den Herausforderungen umgegangen, was hat er für Möglichkeiten gehabt, die Sicht des Menschen voranzutreiben, wollen wir ansprechen. Also die Sicht des Menschen auf sich selbst und auf seine Umgebung.

Verändert sich das Image des Museums für Islamische Kunst, wenn hier wie kürzlich bei der Ausstellung „The Guardians“ zwischen historischen Ritterrüstungen moderne Kunst in Form von Uniformen iranischer Machthaber ausgestellt werden?

Ich denke schon. Das war natürlich ein Reiz, diesen Sprung zu wagen, mit einem modernen Künstler, der die komplizierte Sicht aus dem Osten in den Westen und umgekehrt beherrscht. Gerade mit Künstlern, die beide Kreise in besonderer Weise zu erfassen versuchen und in besonderer Weise auch erfahren haben, glauben wir eine neue Sicht auf die Geschichte, auf die Geschichte der Kunst und auf die heutige Interpretation von Kunst werfen zu können.

Künstler helfen ja nicht nur Museumsbesuchern sondern eigentlich der ganzen Welt, etwas von den eingetretenen Pfaden und von der für unvermeidlich gehaltenen Entwicklung, dem unvermeidlich gehaltenen Fortschritt in die eine oder wenige Richtungen abzukommen und etwas ganz Neues zu erschließen.

Kam auch Kritik an den veränderten Uniformen der iranischen Künstlerin Farkondeh Sharoudi?


Ein Besucher traf genau ins Schwarze: Er beschwerte sich bitter über die Ausstellung. Man verherrliche dort die modernen Uniformen und man wisse wohl nicht, dass diese Uniformen in Iran z.B. nicht nur als Verteidigung des Landes sondern auch gegen Teile der eigenen Bevölkerung eingesetzt würden. Von Uniformierten wird auf die Bevölkerung, auf Demonstranten geschossen. Genau das war das Thema der iranischen Künstlerin. Genau das wollte sie in Erinnerung rufen. Wenn wir uns heute moderne Armeeuniformen anschauen, wissen wir das. Doch wenn wir historische Rüstungen bewundern und ihre Schönheit erfassen, dann vergessen wir leicht, dass es früher auch nicht eine einseitige Verherrlichung eines Systems war. Das es auch Kritik hervorrief, nicht nur beim Feind, sondern auch oft mit sozialen Unruhen im Innern des jeweiligen Kulturbereichs einherging.

Was uns - als westliche Betrachter der Kultur von islamischen Ländern - angeht, so sind wir von der Herkunftskultur geprägt, die wir kennen, von den Bildern, die uns die Medien über diese Länder zeigen und auch von den Bildern, die die migrierenden Künstler uns zeigen. Meinen Sie, dass so etwas wie eine Deterritorialisierung von Kultur einsetzt?

Das ist sehr schwer zu sagen, weil es sehr verschiedene Richtungen gibt. Wir sehen auch Migranten aus diesen Ländern, die ganz konservativ geblieben sind und tief verschleiert und verschleiernden Blickes einer Tradition anhängen und glauben, dass man in dieser Tradition noch in kleinen Schritten weiterdenken kann. Das schafft Ungeduld auf anderer Seite und wird insbesondere in den sehr schnell agierenden abendländischen Kreisen nicht wahrgenommen und nicht ernst genommen. Im Augenblick müssen wir Fragen beantworten, die aus dem Westen an die islamischen Bewegungen gerichtet sind, die sehr kritisch sind. Denn es droht sogar ein Desinteresse an allem, was aus dieser Gegend kommt, weil man sich angegriffen und in den Grundfesten erschüttert fühlt.

Aber diese Sicht ist einseitig. Können moderne Künstler mit ihren Mitteln die Vielfalt aufzeigen, die kulturelle Bewegungen im Orient ausmachen?

Nun, wir möchten die herausgreifen, die die Brücke zwischen den orientalischen Ländern und der, wie wir immer gerne sagen, internationalen Kunstszene betreten haben und die diese Brücke mitgestalten.

Denn mit ihrem Sprung nach Westen, durch die Immigration oder durch die physische Immigration oder die gedankliche Einvernahme des Westens, findet schon eine Entfernung aus dem eigenen Bereich statt. Durch diese Entfernung ergibt sich auch ein Blick - ich will das Wort Globalisierung vermeiden – der nicht nur das eigene Land, das eigene Volk betrifft, sondern der eine internationale, kunstinteressierte Gesellschaft erreicht und genau dieser Blick ist für uns aufschlussreich. Da sehen wir neue Möglichkeiten aus dem den Sackgassen der Missverständnisse und der Fehlaktionen herauszukommen.

Ausstellen ist ja auch eine Form der Kommunikation. Gibt es da jetzt für die historische Museumsinsel, für das Museum für Islamische Kunst neue Perspektiven in der Kunst des Ausstellungswesens in Bezug auf das Potential, was die Gegenwartskunst der migrierenden, nicht nur islamisch geprägten Künstler bietet?

Von einer großen Konzeption möchte ich noch nicht sprechen. Wenn wir so frech sind, einen Vorschlag einfach zu praktizieren, bevor wir ihn groß zur Diskussion gestellt haben, dann will ich damit anderen nicht vorgreifen. Das kann jedes Museum auf der Museumsinsel für sich gestalten.

Aber werfen wir mal einen Blick etwa in die Dahlemer Museen. Dort haben das Museum für Ostasiatische Kunst und das Museum für Indische Kunst mit den eingeschränkten Mitteln, die uns allen hier in Berlin zur Verfügung stehen, immer schon den Sprung in die Moderne gewagt und vollzogen. Und das mit Erfolg.

Helfen migrierende Künstler ein neues Kulturverständnis zu entwickeln?

Wir sehen aus der Islamischen Welt verstärkt eine Immigration von Künstlern. Und das geht auf die Schwierigkeiten des gesellschaftlichen Wandels in diesen Ländern zurück, den wir beobachten. Wir hoffen natürlich, mit Hilfe der Kunst, dieser Brücke des Kulturverständnisses entgegenzukommen. Das ist Aufgabe aller Museen, denke ich.

Es genügt nicht den Blick nur in das alte Ägypten um des alten Ägypten Willens zu richten. Das hat immer großen Erfolg. Es ist aber nötig, die Leistungen, die damals in Abstraktion und reiner Ästhetik gefunden wurden auch für uns anwendbar zu machen. Und das können nur Künstler so transformieren, dass es für uns in unserer Zeit Gültigkeit bekommt, ästhetische Gültigkeit bekommt und auch über das Kunstgewerbe hinaus als eine ästhetische Dimension begriffen wird.

Dafür brauchen wir Künstler, dass können Museumsleute alleine nicht leisten. Und dafür brauchen wir natürlich auch die direkte Konfrontation oder den direkten Dialog der Künste von heute mit denen der Vergangenheit.

Erreicht denn eine Ausstellung wie die hier angesprochene von Farkondeh Shahroudi ein großes Publikum, oder sogar den Mainstream?

Das können wir schwer nachvollziehen. Wir hatten das Glück, in diesem Jahr, dass ja das Jahr unseres hundertsten Museumsjubiläums ist, einen erheblichen Besucherzuwachs von über 25% zu verzeichnen. Auf welche einzelnen Aktionen das zurückgeht, können wir schwer messen. Wir haben keine eigenen Umfragen gemacht. Ich sehe aber an den Reaktionen der Besucher, die uns verstärkt erreichten, in Briefen, direkten Bemerkungen, dass man sich damit beschäftigt, dass etwas im Gang ist. Ich sah auch die Schulklassen, die sich auf die Uniformen nun warfen. Die hatten sich vorher auch schon immer gerne auf diese Waffen und auf die Rüstungen gestürzt. Denn das scheint immer noch bei Jugendlichen ein Faszinosum zu sein: Der Ritter in seltsamer schwerer Verkleidung, wenn die wüssten...

Auch Jugendliche und Kinder kamen zur Ausstellung. Zu sehen gab es das Video mit den Szenen der Verletzlichkeit und mit Szenen der Verteidigungsmöglichkeiten einer Frau. Auch Fotos, die die Bereiche des Nähens, Stechens und des Zusammenfügens und auch Verschließens berührten.

... ja all diesen wunderbaren Themen, die im Innersten Emotion wachrufen ...

... sodass auch negative Reaktionen kamen und manche dachten, man kann ja in diese Museen nicht mehr mit Kindern gehen, dass sind ja schreckliche Szenen, die sie hier zeigen ...

Wenn einen der Schrecken nicht angesichts der berühmten Türkendolche ergreift, oder wenn einen der Schrecken nicht angesichts eines Dschungels von Arabesken erreicht, die die menschliche Umgebung umzingeln und die Blicke in die Wüste, die wir nun überall bieten, wer das nicht als Schrecken in der Kunst ausgedrückt begreift, der braucht eben eine moderne Künstlerin, die ihm das erläutert: Da stehst du und das ist deine Umgebung.

Haben Sie den Eindruck, dass das eine Perspektive für das Museum für Islamische Kunst der nächsten Jahre ist? Wo doch öffentliche Kritik besteht, diese verstaubten historischen Museen seien nur Kostgänger und trügen nichts zu den Fragen bei, die der heutige Mensch hat?

Ganz bestimmt. Das ist, glaube ich, eine Art Aufrütteln des Bewusstseins: Wir wollen hier natürlich auch die normalen Touristen, die gerne mal für eine Stunde ins Museum gehen, die sich etwas gleiten lassen, an diesem oder an jenem hängen bleiben und sich mehr oder weniger zufällig auf etwas gestoßen fühlen und etwas aufmerksam gemacht fühlen. Aber wir wollen auch den bewussten Besucher, der etwas sucht im Museum und ganz verstört herauskommt und sagt, ich muss meine Meinung über diese und jene Dinge ändern. Genau den wollen wir auch einfangen oder ihm irgendwie seine Fragen beantworten helfen.

Welche Zwischensausstellung gibt es demnächst?

Nun mit dem Raum des Menschen im Orient haben sich ja nicht nur orientalische Künstler beschäftigt, sondern es war auch immer eine Sehnsuchtsgegend für abendländische Künstler und wir sind dabei, eine der großen lebenden Abstraktionskünstler zu gewinnen für eine Ausstellung im nächsten Jahr – darüber verraten wir noch nichts.