KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 2/2003
Simone Barck
Antifa-Geschichte(n). Eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre
Reihe: Autoren im Netz
Interview Dietrich Mühlberg

Im Auftrag der Redaktion unseres Online-Journals befrage ich die Autorin Simone Barck zu ihrem jüngsten Buch. Ich kann das nicht als Spezialist für die Geschichte des Antifaschismus. Ich bin hier nur ein wissenschaftlich interessierter Leser und frage aus dieser Perspektive. Und da hat mich zunächst der Titel des Buches etwas irritiert: "Antifa-Geschichte(n). Eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre". Werden bei einem solchen Titel nicht allerlei Geschichten vor dem Hintergrund der großen Historie des Antifaschismus erwartet? Warum der in Klammern angedeutete Plural, warum Geschichte(n)? Klingt das nicht ein bisschen wie Geschichtchen?

Dieses „N“, dieser Plural ist natürlich ganz absichtsvoll. Und hat bei mir schon eine gewisse Tradition, weil ein mit Siegfried Lokatis und Martina Langermann zusammen veröffentlichtes Buch „Jedes Buch ein Abenteuer. Zensursystem und literarische Öffentlichkeite(n) in der DDR“ (Berlin 1996) auch diesen Plural im Titel führte. Es meint in diesem konkreten Fall, dass es nicht nur eine Antifa-Geschichte gibt für die DDR über 40 Jahre, sondern dass es eine Fülle davon gibt. Die Geschichte des Antifaschismus, genauer die Geschichte des literarischen Antifaschismus, denn das ist das Thema des Buches, hat man sich wie ein polyphones Orchester vorstellen, in dem sehr viele Instrumente sowohl solo wie zusammen spielen. Es ist eigentlich das erste Buch von mir, wo ich "Ich" sage in der Vorbemerkung. Ich weiß nicht, ob es Dir aufgefallen ist, es ist ja unüblich im akademischen Diskurs, man ist ja sehr objektiv und spricht meistens nicht von sich selbst. Ich hab's auch noch nie getan, und es hängt wohl mit dem fortschreitenden Alter zusammen, aber in diesem Fall es hat es vor allen Dingen sehr viel mit meiner eigenen Arbeits-Biografie zu tun.

Da knüpft meine zweite Frage an. Du bist als Literaturwissenschaftlerin unter Historikern gegangen und arbeitest an einem zeithistorischen Institut, dem Zentrum für Zeithistorische Forschungen in Potsdam. Dort hast Du an einem Projekt mitgewirkt, das "Geschichte als Herrschaftsdiskurs" hieß und die politische Geschichtsschreibung der DDR darauf untersuchte, wie sie die Herrschaft der SED stützte und zu legitimieren suchte. Meine Frage: Was hat eine Literaturwissenschaftlerin zu dieser offensichtlichen historischen Kritik der DDR-Geschichtsschreibung zu sagen?

Das Buch ist hervorgegangen aus einem interdisziplinären Projekt, dessen gemeinsames Dach so lautete. Wir waren ursprünglich fünf oder sechs Kollegen, außer mir alles Historiker, die diesen sehr ambitioniert klingenden Titel "Geschichte als Herrschaftsdiskurs" gewählt haben. Das hängt unmittelbar mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschungen zusammen, das ja weitgehend durch Drittmittelförderung lebt, d.h. wir sind eigentlich fluktuierende Wissenschaftler, die sich ausschließlich über Anträge finanzieren. Unser Haus selber hat also nur ganz wenige fest angestellte Mitarbeiter. Um nun also diese Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchzubekommen, ist es notwendig, auch theoretisch immer auf der Höhe der modernen Paradigmen zu sein. Das meint aber im Grunde nichts weiter, als dass Geschichte in der DDR eigentlich sehr wichtig war für die Legitimation des Staates und das hängt ursächlich mit der deutschen Geschichte nach 1945 zusammen. Ein Staat, der sich 1949 gründete und programmierte, alles dagegen tun zu wollen, dass ein Faschismus aus Deutschland nicht wieder hervorgeht. Und insofern ist der Antifaschismus konstitutiv gewesen, und so haben es viele auch 40 Jahre lang wahrgenommen. Meine Motivation kam aus der DDR-Sozialisierung. Ich bin Jahrgang 1944, d.h. ich habe in den fünfziger Jahren die Schule besucht und in den Sechzigern studiert. Es ging um ein Sich-selbst-befragen alles dessen, was ich als Teil meiner Generation an Antifaschismus aufgenommen habe im Verlaufe der DDR-Geschichte. Mich haben diese flotten Thesen nach dem Ende der DDR, insbesondere diese These vom verordneten Antifaschismus oder auch vom „Mythos Antifaschismus“ sehr empört. Ich selber fand nie, dass er uns verordnet worden wäre. Und für mich war er auch eine gelebte Realität. Überhaupt, was heißt das eigentlich? Das wollte ich genauer befragen. So habe ich im Rahmen dieses Gesamtprojektes den literarischen Strang bearbeitet. Mein Kollege Thomas Heimann hat das Gleiche für die Medien gemacht, insbesondere für den Film, der in der DDR sehr wichtig war. Herrschaftsdiskurs, d.h. natürlich auch, dass untersucht werden musste, was die Parteigeschichtsschreibung jetzt im engeren Sinne insbesondere für die ersten 20 Jahre für Anliegen hatte, was für Forschungen gemacht worden, welche Ergebnisse erzielt worden sind und was alles nicht vorgekommen ist. Das hat z.B. Siegfried Lokatis detailliert untersucht, dessen Buch „Der rote Faden“ jetzt gerade erschienen ist. Diskursgeschichte ist nach Michel Foucault auch immer etwas, was nicht gesagt und nicht geschrieben wird. Also einerseits das, was gesagt und geschrieben wurde, und andererseits steht auch immer das mit im Raum, was nicht thematisiert worden ist. So sind einige der Sachen zu erklären, die ich dann untersucht habe.

Im Resümee nennst Du Deine Aufgabe die „Rekonstruktion des historischen Antifaschismus“. Damit ist gemeint, wie denn in der Geschichte der SBZ und DDR mit dem antifaschistischen Kampf vor 1945 umgegangen worden ist. Das nennst Du einen verschlungenen und beschwerlichen Weg gehen. Warum ist diese Aufgabe so mühevoll und kompliziert?

Genau dafür, für die historische Rekonstruktion, hat sich für mich diese Methode, die diskursanalytische Analyse, als produktiv erwiesen. Da wird dieser Diskursansatz ganz praktisch angewendet. Verschlungen und schwierig war es deshalb, weil ich mich mit der parteioffiziellen Geschichtsschreibung auseinandersetzen musste und zwar in all ihren verschiedenen Facetten, denn sie ist auch nicht nur auf einen Nenner zu bringen. Wir hatten z.B. die achtbändige Geschichte der Arbeiterbewegung aus den 60er Jahren, welche Periodisierungen und Darstellungen sind da entwickelt worden, welche Bilder entworfen und , was für Linien gezogen worden. Wie etwa Widerstand gewesen sein soll, wer daran Anteil hatte oder wer nicht, wie die führende Rolle der KPD war, ob sie wirklich immer führend war, auch in der Illegalität z.B. oder im Exil. Verschlungen sind diese Entwicklungen in hohem Maße, was ich schon aus meiner über 20jährigen Beschäftigung mit der sozialistischen Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre und speziell des sowjetischen Exils wusste. Aber 1989/90 entstand mit der Öffnung der sowjetischen Quellen eine völlig neue Forschungslage, die es erst jetzt ermöglichte, die ganze Kompliziertheit dieser Vorgänge zu erkennen. Nötig war ein genaues "re-reading", alles noch mal neu lesen und gucken, was hat Bestand und was hat eben nicht Bestand und was kommt vor allen Dingen überhaupt nicht vor. Das sich aus den Quellen ergebende neue Wissen über Vorgängen und Schicksale mußte eingearbeitet werden. Leider sind diese Projekte natürlich sehr endlich und wenn die Förderung ausläuft, dann hat das Buch immer fertig zu werden. Das brachte in meinem Fall vor allem die Beschränkung für den Untersuchungszeitraum mit sich.

Du hättest gerne noch eine Weile dran gearbeitet und noch mehr aufgenommen?

Ich hätte gerne die nächsten 20 Jahre auch bearbeitet. In der Buchpremiere im Berliner Brechthaus wurde ich auch gefragt, wieso ich denn nur diese ersten 20 Jahre so schön ausführlich mache. Es ist klar, dass sich in den 70er/80er Jahren auch wieder vieles ändert auf diesem Feld, manches sich erweitert, manches differenzierter darstellbar ist, aber auch anderes wieder völlig verschwindet.

An der DDR-Geschichtsschreibung wird zu Recht kritisiert, dass sie den kommunistischen Widerstand in die Mitte rückte und überbetonte und anderes darüber vernachlässigt hat. Nun lese ich Dein Buch – und auch da kommt nur der kommunistische Widerstand vor

Das hängt mit meiner Motivation zusammen. Dieser Kernbereich der DDR-Geschichtsschreibung hat mich eigentlich am meisten interessiert. Für mich war die Arbeit an dem Buch immer dann am spannendsten, wenn ich feststellen musste, eigentlich eine Banalität, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt. Diese Verstricktheit und dieses Verschlungensein. Aber im Einzelnen geht das dann oft über den kommunistischen Widerstand hinaus, z.B. in dem Kapitel über Charlotte Bischof und Peter Weiss. Es war mir wichtig, insbesondere auch Frauen genauer zu betrachten, also nicht nur Charlotte Bischof, sondern auch eine Fallschirmspringerin, die völlig unbekannt geblieben ist. Erna Eifler, die mit dem Leben dafür bezahlt hat, sich als Antifaschistin aktiv zu betätigen. Oder auch Erika Buchmann, die die Geschichtsschreibung des Konzentrationslagers Ravensbrück begründet hat in der DDR und aus ganz erklärbaren Gründen, wie man dann sieht, wenn man es genauer betrachtet, ausgegrenzt wurde mit ihrer Darstellung, obwohl sie eine Kommunistin von Anfang bis Ende war. Je mehr solcher verschütteten Geschichten ich entdeckte, umso wichtiger erschien es mir sie auch zu erzählen. Z.B. kannte ich zu DDR-Zeiten die Schriftstellerin Hedda Zinner recht gut, habe auch über sie geschrieben. Sie hatte mir seinerzeit auch von Erika Buchmann berichtet, aber mein Interesse galt damals allein der Zeitzeugin des sowjetischen Exils. Als ich an dem Buch arbeitete, konnte ich Hedda Zinner, die inzwischen verstorben war, schon nicht mehr fragen. So schlossen sich für mich bei dieser Arbeit immer wieder diese Kreise von persönlichen Bekanntschaften, archivalischen Funden und den Anforderungen, die aus dem Umkämpftsein des Antifaschismus in Bezug auf die DDR nach der Wende entstanden sind.

Du machst darauf aufmerksam, dass vom Institut für Marxismus/Leninismus viele autobiographische Interviews und Protokolle gesammelt worden sind. Erst jetzt könne man darauf zugreifen und sie auswerten. Ist das tatsächlich so?

Es handelt sich dabei um das so genannte Erinnerungsarchiv, das einen besonderen Fond des ehemaligen Zentralen Parteiarchivs der SED bildete, heute im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde zu benutzen. Er bewahrt über 2.000 solcher Erinnerungsberichte, und zwar verschiedenster Art. Entstanden ist dieses einzigartige „Archiv“ des Parteigedächtnisses im Zusammenhang der Bemühungen um die Parteigeschichtsschreibung Ende der 50er / Anfang der 60er Jahre. Da gab es einen Politbürobeschluss, der festlegte, dass die alten Genossen systematisch zu befragen sind. Das war eigentlich eine sehr weise Entscheidung, denn damals lebten noch sehr viele. Nach einem bestimmten Fragebogen begann also diese Arbeit und ging über viele Jahre. Die Ergebnisse wurden dann transkribiert und in dem Parteiarchiv gespeichert. Allerdings war es leider so, dass sie in DDR-Zeiten für die Forschung, konkret kann ich das für die Exilforschung sagen, die ich ab 1975 damals an der Akademie der Wissenschaften machen konnte, nicht bzw. nur sehr bedingt zugänglich waren. Als diese Materialien nach der Wende zu benutzen waren, sah man auch, warum das so war. Weil dort Sichten auf die Geschichte enthalten sind, Berichte von Ereignissen, die die Genossinnen und Genossen miterlebt haben, von der Parteigründung der KPD 1919 über die 20er Jahre, Komintern-Kongresse usw. um nur mal ein paar Stichworte zu nennen, die sich mit dem parteioffiziellen Bild der Parteigeschichte, wie man dort meinte, nicht vertrugen. Über diese verschenkten Chancen einer lebendigen Geschichtsschreibung habe ich mich sehr geärgert. Als ich diese Erinnerungsberichte gelesen habe, fiel mir vor allen Dingen auf, dass die von Frauen zu den aufschlussreicheren gehören. Der weibliche Blick auf den Alltag, ob in der Parteiarbeit, in der Illegalität und im Exil, ist meist sehr viel konkreterer als der der Männer. Was natürlich dem Historiker viel mehr und anderes Material in die Hand gibt. Für mich war auch wichtig, eine optische Anschauung von diesen Akteuren zu geben. Und so gibt es in dem Buch eine Reihe von Fotos, darunter sehr schöne, wie ich finde, von einigen vorkommenden Frauen. Das war gleich ein kleiner Kraftakt, weil das sofort die Herstellung finanziell belastet. Leider ist es ja so, dass unsere Bücher so teuer sind, dass sie sich kaum jemand kaufen kann. Ich persönlich hätte lieber ein preiswertes Taschenbuch gemacht aus dem Ganzen. Aber mit unserer wissenschaftlichen Förderung hängt zusammen, dass wir zunächst verpflichtet sind, in diesem teuren Hardcover zu publizieren.

Abweichende Erinnerungen an die Parteigeschichte sind also vorsorglich sekretiert worden. In Deinem Buch spielt aber eine viel grundsätzlichere Praxis eine Rolle. Du nimmst die Behauptung auf, dass die SED die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus vermieden hat und dies die Darstellung des Antifaschismus kastriert habe, ihr viel von möglicher Wirkungskraft nahm und sie formalisierte. Worin bestehen eigentlich die Folgen von unterdrückter Stalinismuskritik für den Umgang mit der Geschichte des Antifaschismus?

Ich spreche von dem symbiotischen Zusammenhang von Antifaschismus und Stalinismus. Gemeint ist damit, dass die Akteure in den 30er Jahren, genauer seit 1934 und dem einsetzenden großen Terror zugleich gegen den Faschismus kämpften und stalinistisch geprägt wurden. Wobei die stalinistischen Veränderungen in der kommunistischen Weltbewegung natürlich schon Ende der 20er Jahre beginnen. Die fehlende Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der SED nach 1956, als dies nach dem XX. Parteitag möglich gewesen wäre, schloss die empörende Ausgrenzung der stalinistischen Opfer ein. Wenn diese Genossen zurückkamen, sagte man ihnen als erstes im Zentralkomitee, dass sie zu schweigen hätten über das, was sie in den Lagern oder Gefängnissen usw. erlebt haben. An dieses Schweigegebot haben sich die meisten gehalten. Ich kannte z.B. Trude Richter, die solch ein Schicksal hatte. Sie hatte dies alles aufgeschrieben, es aber leider nicht mehr erleben können, als ihr Buch "Totgesagt" 1990 noch in der DDR erschien. Dieses Manuskript kursierte intern und ich hatte es von ihr zum Lesen bekommen. Aber ich konnte damit offiziell nicht arbeiten, solange die DDR existierte. Andere Darstellungen, etwa von Margarete Buber-Neumann, die als Antikommunistin für uns natürlich nicht zitierbar war, in ihrer Beschreibung über die Moskauer Jahre oder auch von Ruth von Mayenburg, also diese schon klassischen Darstellungen über das sowjetische Exil konnten wir nicht benutzen. In unserer Reclam-Reihe haben wir versucht, dem etwas entgegen zu setzen und unsere Variante der Geschichte zu schreiben. Wie man heute weiß, eine sehr fragwürdige Variante, weil sie einfach noch der entscheidenden Quellen entbehrte. Denn das Ausmaß des Gulag, das Ausmaß des Terrors, der Umfang der Opfer, nicht nur unter den Politemigranten, war vor 1989 nur annähernd bekannt. An dem makabren Streit um die Opferzahlen möchte ich mich nicht beteiligen, aber wir wissen heute z.B., dass die gigantischen Zahlen des „Schwarzbuches des Kommunismus“ (1997) viel zu hoch gegriffen waren. Neueste russische Forschungen, z.B. von „Memorial“, dieser Moskauer Einrichtung, die die Namen, soweit es eben heute noch möglich ist, erfasst und auch die Zahlen immer wieder zu verifizieren bemüht ist. Aber das Ausmaß des Terrors war schon gewaltig. Dieses Ausmaß ist für mich, und da streite ich mich oft mit Kollegen darüber, erst nach der Wende offenbar geworden, diese Größe, diese Dimensionen, die das hatte. Noch einmal zum Zusammenhang Stalinismus-Antifaschismus, den der Filmregisseur Frank Beyer gut auf den Punkt gebracht hat. Auch bei Christa Wolf gibt es ähnliche Äußerungen, wenn sie darüber gefragt wurden, warum habt ihr euch denn nicht dagegen gewandt usw., antwortete Frank Beyer in einer dieser Diskussionen, das waren eben die Antifaschisten, die in der DDR den Stalinismus etabliert haben. Man kann es auch umdrehen, es ist auch austauschbar: es waren die Stalinisten, die auch die Antifaschisten waren in der DDR. Deshalb erschien es vielen so schwer, sie zu kritisieren. Es kommt hinzu, dass 1956 der Umgang mit den Eröffnungen des XX. Parteitages der KPdSU, die ja weltweit für die kommunistische Bewegung insgesamt alarmierend und für viele schockierend waren, in der DDR ein besonderer war. Von allen kommunistischen Parteien war für mich der Umgang der SED mit dem XX. Parteitag am unangenehmsten, am unzutreffendsten, unzureichendsten. Dass man sich noch nicht mal getraut hat, Chruschtschows Geheimbericht zu veröffentlichen und behauptet hat, es sei wieder mal eine Erfindung des Gegners. Es wurde dann auch von Ulbricht ziemlich schnell verkündet, auch öffentlich, dass „wir“ (KPD und SED) uns ja solche „Dinge“ nicht hätten zuschulden kommen lassen etc. Keinen Personenkult und keine Repressionen, das war natürlich eine Lüge. Denn wir wissen inzwischen aus den Akten von den stalinistischen Verstrickungen der KPD-Führung, bekamen eine Vorstellung von den komplizierten Arbeits- und Lebensbedingungen der kommunistischen deutschen Führungsgruppe in Moskau, dass eigentlich jeder Angst haben musste und keiner gefeit davor war, dass nicht bei ihm nachts der Fahrstuhl hielt und er abgeholt wurde. Z. B. die Rolle von Herbert Wehner, von dessen Involvierung in den Repressionsapparat wir demnächst in dem neuen Buch von Reinhard Müller vom Hamburger Institut für Sozialforschung werden lesen können.

Das ist wieder allein die kommunistische Traditionslinie des Antifaschismus, die hier zur Debatte steht. Für die ersten beiden Jahrzehnte nach 1945 liegen die Motive, darüber nicht zu sprechen, ja klar auf der Hand. Nun war Honecker dann sicher nicht der Mann, der sich mit Moskau anlegen wollte. Ganz im Gegenteil, führte er uns zunächst dorthin zurück. Dann aber es hat doch Versuche gegeben, stärker selbständig zu werden. Und dennoch ist gerade dieses Thema in der DDR länger tabuisiert gewesen als in Moskau. Wie konnte es dazu kommen? Ich dachte immer, das Verschweigen und Herunterspielen stalinistischer Verbrechen geschehe auf Druck Moskaus.

Das geht immer in Zickzackwellen wie so manches in der Politik und auch in der Geschichte. Worauf Du jetzt Bezug nimmst, das ist das, was mit Glasnost 1985 und Gorbatschow losgegangen ist. Wir wissen, dass ein „Sputnik“ eingezogen worden ist genau aus diesem Grund, wo dann der Postminister später gesagt hat, er hätte es aus der Zeitung erfahren, dass er das gemacht hat. Woran man sehen kann, dass es in der Endphase der DDR wirklich schon sehr makaber zuging.

War der Postminister nicht von der CDU?

Ja! Nach der Wende jedenfalls war das dann plötzlich ein großes Thema. Es erschien ja noch 1988 ein in meinen Augen wirklich unglaublicher Artikel im ND von dieser Leningrader Historikerin.

Alle haben ihn mit Kopfschütteln gelesen

Alle haben ihn gelesen und es gab viele Proteste an das „Neue Deutschland“. Ich weiß es von Fritz Klein, weil er in seinen Erinnerungen (Drinnen und Draußen. Ein Historiker in der DDR, Frankfurt a. M. 2000) darüber berichtet, dass sein Protestschreiben gegen den Abdruck dieses Artikels nicht veröffentlicht wurde. Dieser russische Artikel wiederholte noch einmal alle bekannten Argumente der dogmatischen Geschichtsschreibung. Dass die Behandlung der sog. heißen Themen schädlich ist und nur dem „Gegner“ diene etc. Ob das nun der Nichtangriffsvertrag war oder die Existenz des Gulags, was in dieser Sicht immer als Verleumdung bezeichnet worden ist. Warum die DDR in ihrer Endphase dann noch päpstlicher als der Papst war, hängt wohl nicht zuletzt mit dem hohen Alter unserer führenden Genossen zusammen. Denn wenn man die Protokolle von Kurt Hager, aus seiner Abteilung Wissenschaften beim ZK der SED liest, muss man zu diesem Schluß kommen. In dem gerade erschienenen Buch von Ulrich Dietzel („Männer und Masken. Kunst und Politik in Ostdeutschland“, Leipzig 2003), der lange an der Akademie der Künste an leitender Stelle tätig war, wird berichtet, wie Hager die Veröffentlichung von Trude Richters Text in Sinn und Form 1988 empört kommentierte: „Haben wir dafür gekämpft? Habe ich dafür in Spanien gekämpft?“ Leider kommen diese Dinge in der Autobiographie vom Genossen Hager alle überhaupt nicht vor. Wenn man seine „Erinnerungen“ (Berlin 1996) liest, dann passiert immer alles irgendwie, irgendwelche Pläne und irgendwelche Sachen, die er auch nicht versteht. Also als ob die Geschichte vor sich hin west und keiner ist irgendwie das Subjekt. Er auf jeden Fall überhaupt nicht. Wir wissen es ja aus der Zensurforschung von Siegfried Lokatis, dass die letzten Entscheidungen, ob irgendein Buch erscheinen kann, auch bei Peter Weiss war das z.B. der Fall, immer dort gefallen sind. Dass selbst die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel noch diese Hager-Abteilung über sich hatte, die diese letzten Entscheidungen zu treffen hatte. Auch das kann man bei Kurt Hager nicht lesen.

Aber haben die Gerontokraten nicht Recht behalten? Sind sie nicht nachträglich durch den Gang der Dinge in ihrer Haltung und Auffassung irgendwie auch bestätigt worden? Du polemisierst gegen den geschichtswissenschaftlichen Umgang der Westdeutschen mit dem DDR-Antifaschismus. Du siehst deren Verfahrensweise sehr kritisch und Gerd Kaiser hat in der Rezension Deines Buches ganz lapidar festgestellt: der Anti-Antifaschismus derzeitiger Eliten zielt auf die Delegitimierung des gescheiterten Versuchs, eine neue Welt aufzubauen. Er meint, dieses Nachtreten wäre ebenso blind, wie der Umgang der SED mit dieser Geschichte. Worin äußert sich diese Blindheit? Bestätigt der heutige tendenziöse Umgang mit der Geschichte nicht die weise Vorsicht, die Dinge nicht an die Öffentlichkeit zu bringen?

Nein, auf keinen Fall. Denn für mich ist die kommunistische oder sozialistische Bewegung einst mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Erkenntnis und Wahrheit angetreten. Zu messen etwa an dem schon klassischen Text des „Kommunistischen Manifests“. Ein sehr wichtiger und nach wie vor in den Zielstellungen interessanter Text, auch in der Methode, die dort praktiziert wird. Die ganze marxistische Methode, wie sie von den Gründern Marx und Engels entwickelt worden ist, den Historischen Materialismus sehe ich als analytische Methode, die auf Wahrheit aus ist. Insofern war es für mich eigentlich nur eine Perversion, was wir in „Gewi“ an den Universitäten vermittelt bekommen haben, weil ja gar nicht mehr die marxistischen Texte im Original gelesen wurden, sondern nur ein zurecht gestutzter fragwürdiger Verschnitt. Ich wurde bei der Wende bei der Abwicklung der Akademie von unseren westlichen Evaluatoren gefragt, wie halten Sie es fürderhin mit dem Marxismus? Sollte man sich nicht von bestimmten Begriffen wie z.B. Klasse jetzt verabschieden? Stattdessen von sozialer Schicht sprechen, oder so? Das schien mir an der Sache wenig zu ändern.

Das was Gerd Kaiser meint, hat mit diesen Demontagen nach der Wende zu tun. Das hat mich empört, dass diese 40 Jahre DDR-Leben und Erfahrungen mit diesen Totschlagformeln vom verordneten Antifaschismus oder auch vom Unrechtsstaat weggewischt werden sollten. Da wollte ich etwas dagegen setzen und zeigen, was es da realiter eigentlich alles gegeben hat. Wenn man sieht, was für Bücher allein unter dem Aspekt des Antifaschismus, und zwar internationale, in der DDR erschienen sind, ist das eine ganz schöne Palette. Sicher, es ist nicht alles erschienen, was vielleicht notwendig gewesen wäre, aber wenn ich auf die andere Seite gucke, die Bundesrepublik zur gleichen Zeit, 50er Jahre etwa, dann war die Rede vom Globke-Staat usw. - was wir auch in der Schule vermittelt bekommen haben - nicht ganz unberechtigt. Die alten Eliten waren ja in der Bundesrepublik wieder da.

Ein Grund, weshalb sich auch viele andere mit der DDR identifiziert haben, lag für mich in dieser Zielstellung begründet, mit Militarismus, Kapitalismus und sozialer Ungerechtigkeit Schluss zu machen. Auf der kulturellen Seite gehörte dann auch diese Kulturrevolution dazu, in der die Vermittlung des Antifaschismus eine ganz wichtige Rolle spielte. Ich denke, dass bei den für die DDR wichtigen Generationen diese Bindungskraft des Antifaschismus und die Attraktivität eines neuen Gesellschaftsmodells im Verlaufe der DDR abgenommen hat. Daran sind wir teilweise selber mit schuld, dass kann man nicht bloß an andere delegieren. Sehe ich da das eigene Feld, so haben wir es uns zwangsläufig vielfach zu einfach gemacht, es fanden eben diese Ausgrenzungen von bestimmten Personen, von bestimmten Vorgängen statt. Ich nenne nur den Fall Willi Münzenberg um zu verdeutlichen, dass wir bedeutende Leute unserer eigenen Bewegung totgeschwiegen haben. Das ist der große Ärger für mich nach wie vor, wenn ich an die DDR denke, es nicht geschafft zu haben, solche und viele andere Persönlichkeiten mit ihren Leistungen und Erfahrungen in unser Geschichtsbild zu integrieren, so dass man heute unter grundsätzlich veränderten Bedingungen oft bei Null anfängt.

Um nicht bei einer abstrakten Konfrontation „der“ westdeutsche Geschichtswissenschaft mit „der“ ostdeutschen Vergangenheit stehen zu bleiben: Ich hatte beim Lesen Deines Buches den Eindruck, dass Du kaum auf westdeutsche Historiker eingehst. Zwei von den möglichen „Verbündeten“ aber scheinen Dir wenig sympathisch zu sein. Einmal Wolfgang Emmerich, wohl wegen seiner tendenziösen Wandlungen als literaturwissenschaftlicher Fachmann für die DDR. Und dann auch Lutz Niethammer, der zusammen mit Karin Hartewig die Buchenwald-Debatte durch seine Veröffentlichungen in Gang gesetzt hat. Das siehst Du recht kritisch, oder ist der Eindruck falsch?

Nein, der Eindruck ist richtig. Wenngleich ich nicht zu denjenigen gehöre, die dieses Buch irgendwie verteufeln oder es ablehnen. Im Gegenteil, ich begrüße, dass dieses Buch über die Roten Kapos erschienen ist, weil es ein sehr wichtiges Tabu berührt, zu dem wir aus der DDR kaum etwas vorgelegt hatten. Man kann sicher im Einzelnen streiten, aber das Buch ist aus den Quellen gearbeitet und da steht es und damit kann man sinnvoll arbeiten. Eine andere Frage ist, ob man das auf diese Sache begrenzt oder ob man weiter und auch anders fragt. Für mich war es eher anregend, weil ich in einem Kapitel über Ravensbrück geschrieben habe. Das war echtes Neuland für mich und ich glaube auch, dass dieser Teil zu den Dingen gehört, die vielleicht neu sind in dem Buch. Ich stellte fest, dass es auch im Falle Ravensbrück diese Diskussion um die Roten Kapos unmittelbar nach dem Krieg gegeben hat. Dass da also eine Parallele zu Buchenwald war, die öffentlich nie behandelt worden ist. Die hier eingesperrten weiblichen Funktionshäftlinge kamen in ganz ähnliche Konflikte. Die Quellenlage ist so, dass heute dazu in der Gedenkstätte Ravensbrück noch interessante Quellen existieren, die der Auswertung harren.

Aber hat nicht die Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt eine Debatte ausgelöst, die die tendenziöse Einseitigkeit erst ermöglicht hat, die wir heute beklagen?

Das denke ich nicht. Die Bücher, wenn sie in solch einer aufgeheizten Situation erscheinen, können ja nichts für ihre Instrumentalisierung. Lutz Niethammer hat auch bei uns im ZZF das Buch vorgestellt, da war die Debatte schon im Gange, und bei uns war das eine sehr anregende wissenschaftliche Debatte. Er selber hat das ja auch beklagt, dass das jetzt politisch einseitig vereinnahmt worden ist.

Na, er ist doch kein Träumer, hat er das etwa nicht erwartet?

Ein Träumer ist er sicher nicht, aber man kann das Buch nicht verteufeln, das halte ich einfach für falsch. Auch das neue Buch von Karin Hartewig (Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Berlin 2000) ist ein sehr anregendes Buch, weil es sehr stark aus zu großen Teilen bisher unbekannten Quellen gearbeitet ist. Auch da, wo sie z. B. zu anderen Wertungen und Schlüssen als ich kommt. Wir hatten ja in den vergangenen zehn Jahren nach der Wende ununterbrochen irgendwelche Debatten um die DDR-Geschichte. Ich denke, dass man gut beraten ist, wenn man in solchen Debatten immer versucht, auf die Realgeschichten zurückzugehen. Die Realgeschichte vom Konzentrationslager Buchenwald etwa oder auch von Ravensbrück, da stellt sich heraus, dass da noch vieles zu erforschen ist.

Das war für mich im Falle Ravensbrück eine ganz erstaunliche Erfahrung. Ich fragte mich, was haben wir, also die Geschichtswissenschaft der DDR, da eigentlich gemacht über 40 Jahre, wenn bestimmte Punkte in der Ereignisgeschichte von Ravensbrück, etwa die brisante Frage, wann die Gasöfen dort gebaut sind und wie lange sie gestanden haben, bis heute nicht klar beantwortbar ist. Erst in den letzten Jahren ist dort eine Forschung dort in Gang gekommen, die solche wichtigen Fragen beantworten kann.

Ein Aspekt der Diskussion um die Roten Kapos war für mich, dass damit auch die ganze Frage der Shoa und überhaupt des Nazi-KZ-Systems, die Frage nach den Tätern wieder aufgekommen ist. Wenn damit der große Unterschied, der zwischen den Funktionshäftlingen, den politischen, den Roten Kapos bestanden hat, die ja hier als Täter in Zwangslagen vorgestellt werden, und den großen und freiwilligen Nazi-Massenmördern in Auschwitz oder Buchenwald begreifbar wird, wenn das auch zur Debatte gehört, sie so öffnet, da bekommt das wieder für mich Sinn. Was ich vielleicht gelernt habe – man muss ja immer vorsichtig sein mit dem, wenn man behauptet, dass man irgendwas gelernt hat – ist dass man offen sein muss für jede Art von Fragestellung und auch für jedes Buch. Wenn ich meine eigene Biographie betrachte, so habe ich mir nie verboten, Bücher zu lesen, aber wir haben uns vielleicht zu wenig bemüht, wichtige und für die eigene Überzeugung schmerzliche Bücher zur Kenntnis zu nehmen, und das passiert mir heute nicht mehr.

Am Ende Deines Buches wurde es für mich etwas lyrisch wenn Du fragst, wie Anna Seghers auf die in sich so widerspruchsvolle Darstellung von Peter Weiss reagiert hätte, wenn ihr die "Ästhetik des Widerstands" bekannt geworden wäre. Anna Seghers ist für Dich ja die Klassikerin der antifaschistischen Literatur überhaupt und gilt sicher auch international dafür. Motiv für Deine Frage ist die mit der Zeit schwindende Bindungskraft des historischen Antifaschismus. Die Ursache dafür siehst Du im politischen, pädagogischen, geschichtswissenschaftlichen etc. Umgang mit diesem Traditionsbestand. Meine Frage ist nun, ob es auch andere Ursachen geben könnte als der offizielle oder nicht-offizielle Umgang damit in Ost und West. Du zitierst Sätze von Probst Heinrich Grüber, der 1949 das Sachsenhausen-Buch von Arnold Weiss-Rüthel rezensierte und das mangelhafte Interesse des deutschen Publikums beklagte. Er sagte, die einen wollen nicht erinnert werden an Zeiten und Zustände, an denen sie in irgendeiner Form mitschuldig waren. Und der andere Teil glaubt, gleiches oder ähnliches erlebt zu haben, weil der Krieg und das Kriegsende für die deutsche Bevölkerung insgesamt ja ein schreckliches Ereignis war, ohne aber eine klare Vorstellung von den wirklichen Gräueln zu haben. Der Autor Weiss-Rüthel selbst meinte: „und eines Tages wird die Menschheit es überhaupt satt haben, sich damit zu beschäftigen und alles längst vergessen haben, wenn einer neuer böser Mensch heraufzieht.“

Wie war das bei mir? Für mich gehörte ein großer Teil der in Deinem Buch genannten Bücher familiär bedingt zur jugendlichen Pflichtlektüre. Ich kann aber nicht sagen, dass die Gräuel- und Widerstandsgeschichten für mich zum gesuchten Lesestoff geworden sind. Später war es berufliches Interesse. Ich kann mir nicht vorstellen, warum andere sie brauchen oder gar suchen sollten. Könnte es dafür Gründe geben? Hast Du die Erwartung, dass ein Interesse daran aufleben könnte? Bleibt es nicht ein Spezialinteresse der Historiker oder siehst Du darüber hinaus ein allgemeineres Interesse an dieser Phase der deutschen Geschichte, am Antifaschismus?


Klar sehe ich das. Jetzt haben wir z. B. in letzter Zeit die so genannte Bomber- oder auch Luftkriegs-Debatte, in der es um die Deutschen als Opfer im Zweiten Weltkrieg geht. Insofern sehe ich ununterbrochen den Bedarf, auf die andere Seite hinzuweisen. Natürlich waren die Deutschen auch Opfer, aber wer hat den Krieg begonnen, wer hat ihn geführt und wer ist bis zum Ende mitmarschiert? Das gehört für mich zusammen. Ganz im Unterschied zu Dir sehe ich eher die andere Gefahr, dass Geschichte kommerzialisiert und modisch vermarktet wird. Gedächtnis und Erinnerung sind Mode, in den Medien und auch im Wissenschaftsbereich, die Geschichtswissenschaft ist voll davon, die Literaturwissenschaft ebenfalls. Das ist seit vielen Jahren ein Hauptthema der Forschung.

Nun kann man berechtigt fragen, schreiben wir das nicht nur für uns selber? Wen interessiert das? Ich denke, dass die Weitergabe dieser Erfahrungen wichtig bleibt. Dabei sind gesellschaftliche und individuelle Tradierungsformen zu entwickeln. Und da gibt es Grenzen. Wer selber keinen familiären Zugang hat, wo also im Alltag nichts weiter erzählt wird, denn Geschichte gehört für mich zur Kultur, der hat es schwerer im Zugang. Für mich wäre das Leben einfach ärmer ohne diese Antifa-Geschichte(n). Ich finde auch den neuen Film der Margarethe von Trotta wichtig, bei aller berechtigten Detail-Kritik der Historiker. Denn er bringt einfach das Gespräch über Zivilcourage und Widerstand in Gang. Ich habe ja Mitte der neunziger Jahre einen Film über die Große Hamburger Straße drehen können, in dem die Rosenstraßen-Geschichte auch schon eine Rolle spielt, also die Fabrikaktion, die Abholung der letzten Juden, die noch in Berlin waren, weil der Führer im April 1943 ein „judenfreies“ Berlin haben wollte. Diese Vorgänge habe ich versucht, meinen Enkeln im Alter von 8 bis 18 Jahren, nahe zu bringen. Natürlich hole ich mir da auch Kritik ins Haus, wenn es heißt, Mensch Mutter, jetzt belästigst Du schon die kleinen Kinder mit diesen grauenvollen Geschichten, die es natürlich sind, aber wenn man dort dieses schöne Denkmal von Ingeborg Hunzinger dort sieht, dann muss man einfach die dazu gehörigen Geschichten erzählen. Ich mache mir insgesamt natürlich keine großen Illusionen, was die Wirkung von historiographischer Arbeit betrifft, aber ich persönlich finde es einfach wichtig.

Ich habe Dein Buch in einem Zuge und auch mit wachsender Spannung gelesen. Ich sage das für mögliche Interessenten, weil das erste Kapitel dies noch nicht so ganz erkennen ließ, das ist stark organisationsgeschichtlich, da kommt alles Mögliche vor. Aber jenseits der ersten 20 Seiten wird es wirklich eine spannende Sache. Nun abschließend und mit der Bitte um ganz kurze Antworten: über die Enkel hast Du schon gesprochen, aber gegen wen hast Du das Buch geschrieben?

Ich habe es geschrieben gegen die Demontage des Antifaschismus in der DDR.

Also gegen die Demontierer?

Gegen die Demontierer, ja.

Und für wen?

Zunächst für meine eigene Generation, wir haben ja daran Anteil und man soll sich seine Sachen nicht wegnehmen lassen, die man erarbeitet hat und die man aufgeklärt hat usw., die man auch weitergeben muss. Vor allem aber für die nächste Generation. Ich meine, dass eine Reihe guter Texte zur Weltliteratur gehören und ihre Wirkungspotenzen behalten. Außerdem ist die antifaschistische Literatur ja nicht zu Ende, sie ist auch eine aktuelle Literaturströmung. Solange es Zeitzeugen wie Imre Kertezs oder Jorge Semprun gibt, wird dieses Thema der Shoa nicht verschwinden.

Wir haben im Projekt selber natürlich auch über den Stellenwert des Antifaschismus in der Geschichtsschreibung der DDR gestritten. Die fünf, sechs Kollegen, die da unter diesem Dach "Geschichte als Herrschaftsdiskurs" gearbeitet haben sind ganz unterschiedlich und kommen in ihren einzelnen Büchern zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Aber das ist eigentlich auch das Schöne, finde ich. Ich wurde bei der Buchpremiere im Brecht-Haus danach gefragt, ob es nicht ein tief ein pessimistisches Buch sei. Für mich ging es darum, historische Gerechtigkeit bei einigen Personen herzustellen. Sie sollten Namen und Gesicht bekommen, deshalb auch die Fotos. Weil sie früher ausgegrenzt waren, müssen sie heute hineingeholt werden in Öffentlichkeit. Sicher kann man auch sagen, wen interessiert das noch, aber als Wissenschaftler kämpft man immer relativ einsam auf seinem Feld. Ich mache mir da auch keine Illusionen, aber ich finde nicht, dass es pessimistisch ist, im Gegenteil. Denn es liegt an uns, den Bestrebungen dieser Akteure Sinn zu verleihen. Für mich war die Begegnung mit diesen aufrechten kämpferischen Persönlichkeiten sehr wichtig. Die Fallschirmspringerin etwa, das war für mich wie ein Kriminalroman und ich schreibe den auch noch über sie, das habe ich mir schon vorgenommen.

Im Resümee: ein Buch für alle, die an der DDR-Geschichte, an der Sozialismus-Geschichte und im engeren Sinne an der Kommunismus-Geschichte interessiert sind. Wie könnte eine Forschung über die verschiedenen Antifaschismen weitergehen?

Das wäre wirklich wichtig, ist aber unter den gegenwärtigen Förderungsbedingungen schwer zu realisieren. Noch an der Akademie hatten wir die Idee, eine Kulturgeschichte des Antifaschismus zu schreiben. Und zwar international. Heute, wo so viel von Europa die Rede ist, wird übersehen, dass der Antifaschismus auch eine gemeinsame Erfahrung ist mit jeweils ganz verschiedenen Formen und Ergebnissen.

Was müsste eine solche Kulturgeschichte des Antifaschismus denn leisten? Kann sie überhaupt als eine europäische Geschichte geschrieben werden?

Für den literarischen Bereich könntest Du es ohne weiteres machen. Es gibt genügend Spezialisten für alle diese Länder, die da in Frage kommen. Die Exilforschung war gut entwickelt, wird heute allerdings kaum noch gefördert. Insofern wird sie nicht geschrieben, weil sie nicht gefördert wird. Solche Forschungen gehören jedenfalls nicht zum postmodernen Mainstream. Und daher bedürfte es energischer und kollektiver Anstrengungen. Hinzu kommt, dass dieser Traditionsstrang in den einzelnen Ländern auch durchaus sehr umstritten ist. Z. B. die Resistance in Frankreich oder auch in Spanien, der ganze Umgang mit dem Bürgerkrieg bis heute. Da ist vieles noch im Fluss und man kann in viele heikle Töpfe fassen und auch reinfallen. Aber dass es auch politisch wichtig wäre, machen die nationalistischen Bestrebungen in einzelnen Ländern deutlich, die sich nicht zuletzt auf faschistisches Gedankengut berufen.