Report | Kulturation 2/2003 | Simone Barck | Antifa-Geschichte(n). Eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre Reihe: Autoren im Netz
Interview Dietrich Mühlberg | Im
Auftrag der Redaktion unseres Online-Journals befrage ich die Autorin
Simone Barck zu ihrem jüngsten Buch. Ich kann das nicht als Spezialist
für die Geschichte des Antifaschismus. Ich bin hier nur ein
wissenschaftlich interessierter Leser und frage aus dieser Perspektive.
Und da hat mich zunächst der Titel des Buches etwas irritiert:
"Antifa-Geschichte(n). Eine literarische Spurensuche in der DDR der
1950er und 1960er Jahre". Werden bei einem solchen Titel nicht allerlei
Geschichten vor dem Hintergrund der großen Historie des Antifaschismus
erwartet? Warum der in Klammern angedeutete Plural, warum
Geschichte(n)? Klingt das nicht ein bisschen wie Geschichtchen?
Dieses „N“, dieser Plural ist natürlich ganz absichtsvoll. Und hat bei
mir schon eine gewisse Tradition, weil ein mit Siegfried Lokatis und
Martina Langermann zusammen veröffentlichtes Buch „Jedes Buch ein
Abenteuer. Zensursystem und literarische Öffentlichkeite(n) in der DDR“
(Berlin 1996) auch diesen Plural im Titel führte. Es meint in diesem
konkreten Fall, dass es nicht nur eine Antifa-Geschichte gibt für die
DDR über 40 Jahre, sondern dass es eine Fülle davon gibt. Die
Geschichte des Antifaschismus, genauer die Geschichte des literarischen
Antifaschismus, denn das ist das Thema des Buches, hat man sich wie ein
polyphones Orchester vorstellen, in dem sehr viele Instrumente sowohl
solo wie zusammen spielen. Es ist eigentlich das erste Buch von mir, wo
ich "Ich" sage in der Vorbemerkung. Ich weiß nicht, ob es Dir
aufgefallen ist, es ist ja unüblich im akademischen Diskurs, man ist ja
sehr objektiv und spricht meistens nicht von sich selbst. Ich hab's
auch noch nie getan, und es hängt wohl mit dem fortschreitenden Alter
zusammen, aber in diesem Fall es hat es vor allen Dingen sehr viel mit
meiner eigenen Arbeits-Biografie zu tun.
Da knüpft meine zweite Frage an. Du bist als
Literaturwissenschaftlerin unter Historikern gegangen und arbeitest an
einem zeithistorischen Institut, dem Zentrum für Zeithistorische
Forschungen in Potsdam. Dort hast Du an einem Projekt mitgewirkt, das
"Geschichte als Herrschaftsdiskurs" hieß und die politische
Geschichtsschreibung der DDR darauf untersuchte, wie sie die Herrschaft
der SED stützte und zu legitimieren suchte. Meine Frage: Was hat eine
Literaturwissenschaftlerin zu dieser offensichtlichen historischen
Kritik der DDR-Geschichtsschreibung zu sagen?
Das Buch ist hervorgegangen aus einem interdisziplinären Projekt,
dessen gemeinsames Dach so lautete. Wir waren ursprünglich fünf oder
sechs Kollegen, außer mir alles Historiker, die diesen sehr
ambitioniert klingenden Titel "Geschichte als Herrschaftsdiskurs"
gewählt haben. Das hängt unmittelbar mit dem Zentrum für
Zeithistorische Forschungen zusammen, das ja weitgehend durch
Drittmittelförderung lebt, d.h. wir sind eigentlich fluktuierende
Wissenschaftler, die sich ausschließlich über Anträge finanzieren.
Unser Haus selber hat also nur ganz wenige fest angestellte
Mitarbeiter. Um nun also diese Anträge bei der Deutschen
Forschungsgemeinschaft durchzubekommen, ist es notwendig, auch
theoretisch immer auf der Höhe der modernen Paradigmen zu sein. Das
meint aber im Grunde nichts weiter, als dass Geschichte in der DDR
eigentlich sehr wichtig war für die Legitimation des Staates und das
hängt ursächlich mit der deutschen Geschichte nach 1945 zusammen. Ein
Staat, der sich 1949 gründete und programmierte, alles dagegen tun zu
wollen, dass ein Faschismus aus Deutschland nicht wieder hervorgeht.
Und insofern ist der Antifaschismus konstitutiv gewesen, und so haben
es viele auch 40 Jahre lang wahrgenommen. Meine Motivation kam aus der
DDR-Sozialisierung. Ich bin Jahrgang 1944, d.h. ich habe in den
fünfziger Jahren die Schule besucht und in den Sechzigern studiert. Es
ging um ein Sich-selbst-befragen alles dessen, was ich als Teil meiner
Generation an Antifaschismus aufgenommen habe im Verlaufe der
DDR-Geschichte. Mich haben diese flotten Thesen nach dem Ende der DDR,
insbesondere diese These vom verordneten Antifaschismus oder auch vom
„Mythos Antifaschismus“ sehr empört. Ich selber fand nie, dass er uns
verordnet worden wäre. Und für mich war er auch eine gelebte Realität.
Überhaupt, was heißt das eigentlich? Das wollte ich genauer befragen.
So habe ich im Rahmen dieses Gesamtprojektes den literarischen Strang
bearbeitet. Mein Kollege Thomas Heimann hat das Gleiche für die Medien
gemacht, insbesondere für den Film, der in der DDR sehr wichtig war.
Herrschaftsdiskurs, d.h. natürlich auch, dass untersucht werden musste,
was die Parteigeschichtsschreibung jetzt im engeren Sinne insbesondere
für die ersten 20 Jahre für Anliegen hatte, was für Forschungen gemacht
worden, welche Ergebnisse erzielt worden sind und was alles nicht
vorgekommen ist. Das hat z.B. Siegfried Lokatis detailliert untersucht,
dessen Buch „Der rote Faden“ jetzt gerade erschienen ist.
Diskursgeschichte ist nach Michel Foucault auch immer etwas, was nicht
gesagt und nicht geschrieben wird. Also einerseits das, was gesagt und
geschrieben wurde, und andererseits steht auch immer das mit im Raum,
was nicht thematisiert worden ist. So sind einige der Sachen zu
erklären, die ich dann untersucht habe.
Im Resümee nennst Du Deine Aufgabe die „Rekonstruktion des
historischen Antifaschismus“. Damit ist gemeint, wie denn in der
Geschichte der SBZ und DDR mit dem antifaschistischen Kampf vor 1945
umgegangen worden ist. Das nennst Du einen verschlungenen und
beschwerlichen Weg gehen. Warum ist diese Aufgabe so mühevoll und
kompliziert?
Genau dafür, für die historische Rekonstruktion, hat sich für mich
diese Methode, die diskursanalytische Analyse, als produktiv erwiesen.
Da wird dieser Diskursansatz ganz praktisch angewendet. Verschlungen
und schwierig war es deshalb, weil ich mich mit der parteioffiziellen
Geschichtsschreibung auseinandersetzen musste und zwar in all ihren
verschiedenen Facetten, denn sie ist auch nicht nur auf einen Nenner zu
bringen. Wir hatten z.B. die achtbändige Geschichte der
Arbeiterbewegung aus den 60er Jahren, welche Periodisierungen und
Darstellungen sind da entwickelt worden, welche Bilder entworfen und ,
was für Linien gezogen worden. Wie etwa Widerstand gewesen sein soll,
wer daran Anteil hatte oder wer nicht, wie die führende Rolle der KPD
war, ob sie wirklich immer führend war, auch in der Illegalität z.B.
oder im Exil. Verschlungen sind diese Entwicklungen in hohem Maße, was
ich schon aus meiner über 20jährigen Beschäftigung mit der
sozialistischen Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre und
speziell des sowjetischen Exils wusste. Aber 1989/90 entstand mit der
Öffnung der sowjetischen Quellen eine völlig neue Forschungslage, die
es erst jetzt ermöglichte, die ganze Kompliziertheit dieser Vorgänge zu
erkennen. Nötig war ein genaues "re-reading", alles noch mal neu lesen
und gucken, was hat Bestand und was hat eben nicht Bestand und was
kommt vor allen Dingen überhaupt nicht vor. Das sich aus den Quellen
ergebende neue Wissen über Vorgängen und Schicksale mußte eingearbeitet
werden. Leider sind diese Projekte natürlich sehr endlich und wenn die
Förderung ausläuft, dann hat das Buch immer fertig zu werden. Das
brachte in meinem Fall vor allem die Beschränkung für den
Untersuchungszeitraum mit sich.
Du hättest gerne noch eine Weile dran gearbeitet und noch mehr aufgenommen?
Ich hätte gerne die nächsten 20 Jahre auch bearbeitet. In der
Buchpremiere im Berliner Brechthaus wurde ich auch gefragt, wieso ich
denn nur diese ersten 20 Jahre so schön ausführlich mache. Es ist klar,
dass sich in den 70er/80er Jahren auch wieder vieles ändert auf diesem
Feld, manches sich erweitert, manches differenzierter darstellbar ist,
aber auch anderes wieder völlig verschwindet.
An der DDR-Geschichtsschreibung wird zu Recht kritisiert, dass sie
den kommunistischen Widerstand in die Mitte rückte und überbetonte und
anderes darüber vernachlässigt hat. Nun lese ich Dein Buch – und auch
da kommt nur der kommunistische Widerstand vor
Das hängt mit meiner Motivation zusammen. Dieser Kernbereich der
DDR-Geschichtsschreibung hat mich eigentlich am meisten interessiert.
Für mich war die Arbeit an dem Buch immer dann am spannendsten, wenn
ich feststellen musste, eigentlich eine Banalität, dass alles mit allem
irgendwie zusammenhängt. Diese Verstricktheit und dieses
Verschlungensein. Aber im Einzelnen geht das dann oft über den
kommunistischen Widerstand hinaus, z.B. in dem Kapitel über Charlotte
Bischof und Peter Weiss. Es war mir wichtig, insbesondere auch Frauen
genauer zu betrachten, also nicht nur Charlotte Bischof, sondern auch
eine Fallschirmspringerin, die völlig unbekannt geblieben ist. Erna
Eifler, die mit dem Leben dafür bezahlt hat, sich als Antifaschistin
aktiv zu betätigen. Oder auch Erika Buchmann, die die
Geschichtsschreibung des Konzentrationslagers Ravensbrück begründet hat
in der DDR und aus ganz erklärbaren Gründen, wie man dann sieht, wenn
man es genauer betrachtet, ausgegrenzt wurde mit ihrer Darstellung,
obwohl sie eine Kommunistin von Anfang bis Ende war. Je mehr solcher
verschütteten Geschichten ich entdeckte, umso wichtiger erschien es mir
sie auch zu erzählen. Z.B. kannte ich zu DDR-Zeiten die
Schriftstellerin Hedda Zinner recht gut, habe auch über sie
geschrieben. Sie hatte mir seinerzeit auch von Erika Buchmann
berichtet, aber mein Interesse galt damals allein der Zeitzeugin des
sowjetischen Exils. Als ich an dem Buch arbeitete, konnte ich Hedda
Zinner, die inzwischen verstorben war, schon nicht mehr fragen. So
schlossen sich für mich bei dieser Arbeit immer wieder diese Kreise von
persönlichen Bekanntschaften, archivalischen Funden und den
Anforderungen, die aus dem Umkämpftsein des Antifaschismus in Bezug auf
die DDR nach der Wende entstanden sind.
Du machst darauf aufmerksam, dass vom Institut für
Marxismus/Leninismus viele autobiographische Interviews und Protokolle
gesammelt worden sind. Erst jetzt könne man darauf zugreifen und sie
auswerten. Ist das tatsächlich so?
Es handelt sich dabei um das so genannte Erinnerungsarchiv, das einen
besonderen Fond des ehemaligen Zentralen Parteiarchivs der SED bildete,
heute im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde zu benutzen. Er bewahrt
über 2.000 solcher Erinnerungsberichte, und zwar verschiedenster Art.
Entstanden ist dieses einzigartige „Archiv“ des Parteigedächtnisses im
Zusammenhang der Bemühungen um die Parteigeschichtsschreibung Ende der
50er / Anfang der 60er Jahre. Da gab es einen Politbürobeschluss, der
festlegte, dass die alten Genossen systematisch zu befragen sind. Das
war eigentlich eine sehr weise Entscheidung, denn damals lebten noch
sehr viele. Nach einem bestimmten Fragebogen begann also diese Arbeit
und ging über viele Jahre. Die Ergebnisse wurden dann transkribiert und
in dem Parteiarchiv gespeichert. Allerdings war es leider so, dass sie
in DDR-Zeiten für die Forschung, konkret kann ich das für die
Exilforschung sagen, die ich ab 1975 damals an der Akademie der
Wissenschaften machen konnte, nicht bzw. nur sehr bedingt zugänglich
waren. Als diese Materialien nach der Wende zu benutzen waren, sah man
auch, warum das so war. Weil dort Sichten auf die Geschichte enthalten
sind, Berichte von Ereignissen, die die Genossinnen und Genossen
miterlebt haben, von der Parteigründung der KPD 1919 über die 20er
Jahre, Komintern-Kongresse usw. um nur mal ein paar Stichworte zu
nennen, die sich mit dem parteioffiziellen Bild der Parteigeschichte,
wie man dort meinte, nicht vertrugen. Über diese verschenkten Chancen
einer lebendigen Geschichtsschreibung habe ich mich sehr geärgert. Als
ich diese Erinnerungsberichte gelesen habe, fiel mir vor allen Dingen
auf, dass die von Frauen zu den aufschlussreicheren gehören. Der
weibliche Blick auf den Alltag, ob in der Parteiarbeit, in der
Illegalität und im Exil, ist meist sehr viel konkreterer als der der
Männer. Was natürlich dem Historiker viel mehr und anderes Material in
die Hand gibt. Für mich war auch wichtig, eine optische Anschauung von
diesen Akteuren zu geben. Und so gibt es in dem Buch eine Reihe von
Fotos, darunter sehr schöne, wie ich finde, von einigen vorkommenden
Frauen. Das war gleich ein kleiner Kraftakt, weil das sofort die
Herstellung finanziell belastet. Leider ist es ja so, dass unsere
Bücher so teuer sind, dass sie sich kaum jemand kaufen kann. Ich
persönlich hätte lieber ein preiswertes Taschenbuch gemacht aus dem
Ganzen. Aber mit unserer wissenschaftlichen Förderung hängt zusammen,
dass wir zunächst verpflichtet sind, in diesem teuren Hardcover zu
publizieren.
Abweichende Erinnerungen an die Parteigeschichte sind also
vorsorglich sekretiert worden. In Deinem Buch spielt aber eine viel
grundsätzlichere Praxis eine Rolle. Du nimmst die Behauptung auf, dass
die SED die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus vermieden hat und
dies die Darstellung des Antifaschismus kastriert habe, ihr viel von
möglicher Wirkungskraft nahm und sie formalisierte. Worin bestehen
eigentlich die Folgen von unterdrückter Stalinismuskritik für den
Umgang mit der Geschichte des Antifaschismus?
Ich spreche von dem symbiotischen Zusammenhang von Antifaschismus und
Stalinismus. Gemeint ist damit, dass die Akteure in den 30er Jahren,
genauer seit 1934 und dem einsetzenden großen Terror zugleich gegen den
Faschismus kämpften und stalinistisch geprägt wurden. Wobei die
stalinistischen Veränderungen in der kommunistischen Weltbewegung
natürlich schon Ende der 20er Jahre beginnen. Die fehlende
Auseinandersetzung mit dem Stalinismus in der SED nach 1956, als dies
nach dem XX. Parteitag möglich gewesen wäre, schloss die empörende
Ausgrenzung der stalinistischen Opfer ein. Wenn diese Genossen
zurückkamen, sagte man ihnen als erstes im Zentralkomitee, dass sie zu
schweigen hätten über das, was sie in den Lagern oder Gefängnissen usw.
erlebt haben. An dieses Schweigegebot haben sich die meisten gehalten.
Ich kannte z.B. Trude Richter, die solch ein Schicksal hatte. Sie hatte
dies alles aufgeschrieben, es aber leider nicht mehr erleben können,
als ihr Buch "Totgesagt" 1990 noch in der DDR erschien. Dieses
Manuskript kursierte intern und ich hatte es von ihr zum Lesen
bekommen. Aber ich konnte damit offiziell nicht arbeiten, solange die
DDR existierte. Andere Darstellungen, etwa von Margarete Buber-Neumann,
die als Antikommunistin für uns natürlich nicht zitierbar war, in ihrer
Beschreibung über die Moskauer Jahre oder auch von Ruth von Mayenburg,
also diese schon klassischen Darstellungen über das sowjetische Exil
konnten wir nicht benutzen. In unserer Reclam-Reihe haben wir versucht,
dem etwas entgegen zu setzen und unsere Variante der Geschichte zu
schreiben. Wie man heute weiß, eine sehr fragwürdige Variante, weil sie
einfach noch der entscheidenden Quellen entbehrte. Denn das Ausmaß des
Gulag, das Ausmaß des Terrors, der Umfang der Opfer, nicht nur unter
den Politemigranten, war vor 1989 nur annähernd bekannt. An dem
makabren Streit um die Opferzahlen möchte ich mich nicht beteiligen,
aber wir wissen heute z.B., dass die gigantischen Zahlen des
„Schwarzbuches des Kommunismus“ (1997) viel zu hoch gegriffen waren.
Neueste russische Forschungen, z.B. von „Memorial“, dieser Moskauer
Einrichtung, die die Namen, soweit es eben heute noch möglich ist,
erfasst und auch die Zahlen immer wieder zu verifizieren bemüht ist.
Aber das Ausmaß des Terrors war schon gewaltig. Dieses Ausmaß ist für
mich, und da streite ich mich oft mit Kollegen darüber, erst nach der
Wende offenbar geworden, diese Größe, diese Dimensionen, die das hatte.
Noch einmal zum Zusammenhang Stalinismus-Antifaschismus, den der
Filmregisseur Frank Beyer gut auf den Punkt gebracht hat. Auch bei
Christa Wolf gibt es ähnliche Äußerungen, wenn sie darüber gefragt
wurden, warum habt ihr euch denn nicht dagegen gewandt usw., antwortete
Frank Beyer in einer dieser Diskussionen, das waren eben die
Antifaschisten, die in der DDR den Stalinismus etabliert haben. Man
kann es auch umdrehen, es ist auch austauschbar: es waren die
Stalinisten, die auch die Antifaschisten waren in der DDR. Deshalb
erschien es vielen so schwer, sie zu kritisieren. Es kommt hinzu, dass
1956 der Umgang mit den Eröffnungen des XX. Parteitages der KPdSU, die
ja weltweit für die kommunistische Bewegung insgesamt alarmierend und
für viele schockierend waren, in der DDR ein besonderer war. Von allen
kommunistischen Parteien war für mich der Umgang der SED mit dem XX.
Parteitag am unangenehmsten, am unzutreffendsten, unzureichendsten.
Dass man sich noch nicht mal getraut hat, Chruschtschows Geheimbericht
zu veröffentlichen und behauptet hat, es sei wieder mal eine Erfindung
des Gegners. Es wurde dann auch von Ulbricht ziemlich schnell
verkündet, auch öffentlich, dass „wir“ (KPD und SED) uns ja solche
„Dinge“ nicht hätten zuschulden kommen lassen etc. Keinen Personenkult
und keine Repressionen, das war natürlich eine Lüge. Denn wir wissen
inzwischen aus den Akten von den stalinistischen Verstrickungen der
KPD-Führung, bekamen eine Vorstellung von den komplizierten Arbeits-
und Lebensbedingungen der kommunistischen deutschen Führungsgruppe in
Moskau, dass eigentlich jeder Angst haben musste und keiner gefeit
davor war, dass nicht bei ihm nachts der Fahrstuhl hielt und er
abgeholt wurde. Z. B. die Rolle von Herbert Wehner, von dessen
Involvierung in den Repressionsapparat wir demnächst in dem neuen Buch
von Reinhard Müller vom Hamburger Institut für Sozialforschung werden
lesen können.
Das ist wieder allein die kommunistische Traditionslinie des
Antifaschismus, die hier zur Debatte steht. Für die ersten beiden
Jahrzehnte nach 1945 liegen die Motive, darüber nicht zu sprechen, ja
klar auf der Hand. Nun war Honecker dann sicher nicht der Mann, der
sich mit Moskau anlegen wollte. Ganz im Gegenteil, führte er uns
zunächst dorthin zurück. Dann aber es hat doch Versuche gegeben,
stärker selbständig zu werden. Und dennoch ist gerade dieses Thema in
der DDR länger tabuisiert gewesen als in Moskau. Wie konnte es dazu
kommen? Ich dachte immer, das Verschweigen und Herunterspielen
stalinistischer Verbrechen geschehe auf Druck Moskaus.
Das geht immer in Zickzackwellen wie so manches in der Politik und auch
in der Geschichte. Worauf Du jetzt Bezug nimmst, das ist das, was mit
Glasnost 1985 und Gorbatschow losgegangen ist. Wir wissen, dass ein
„Sputnik“ eingezogen worden ist genau aus diesem Grund, wo dann der
Postminister später gesagt hat, er hätte es aus der Zeitung erfahren,
dass er das gemacht hat. Woran man sehen kann, dass es in der Endphase
der DDR wirklich schon sehr makaber zuging.
War der Postminister nicht von der CDU?
Ja! Nach der Wende jedenfalls war das dann plötzlich ein großes Thema.
Es erschien ja noch 1988 ein in meinen Augen wirklich unglaublicher
Artikel im ND von dieser Leningrader Historikerin.
Alle haben ihn mit Kopfschütteln gelesen
Alle haben ihn gelesen und es gab viele Proteste an das „Neue
Deutschland“. Ich weiß es von Fritz Klein, weil er in seinen
Erinnerungen (Drinnen und Draußen. Ein Historiker in der DDR, Frankfurt
a. M. 2000) darüber berichtet, dass sein Protestschreiben gegen den
Abdruck dieses Artikels nicht veröffentlicht wurde. Dieser russische
Artikel wiederholte noch einmal alle bekannten Argumente der
dogmatischen Geschichtsschreibung. Dass die Behandlung der sog. heißen
Themen schädlich ist und nur dem „Gegner“ diene etc. Ob das nun der
Nichtangriffsvertrag war oder die Existenz des Gulags, was in dieser
Sicht immer als Verleumdung bezeichnet worden ist. Warum die DDR in
ihrer Endphase dann noch päpstlicher als der Papst war, hängt wohl
nicht zuletzt mit dem hohen Alter unserer führenden Genossen zusammen.
Denn wenn man die Protokolle von Kurt Hager, aus seiner Abteilung
Wissenschaften beim ZK der SED liest, muss man zu diesem Schluß kommen.
In dem gerade erschienenen Buch von Ulrich Dietzel („Männer und Masken.
Kunst und Politik in Ostdeutschland“, Leipzig 2003), der lange an der
Akademie der Künste an leitender Stelle tätig war, wird berichtet, wie
Hager die Veröffentlichung von Trude Richters Text in Sinn und Form
1988 empört kommentierte: „Haben wir dafür gekämpft? Habe ich dafür in
Spanien gekämpft?“ Leider kommen diese Dinge in der Autobiographie vom
Genossen Hager alle überhaupt nicht vor. Wenn man seine „Erinnerungen“
(Berlin 1996) liest, dann passiert immer alles irgendwie, irgendwelche
Pläne und irgendwelche Sachen, die er auch nicht versteht. Also als ob
die Geschichte vor sich hin west und keiner ist irgendwie das Subjekt.
Er auf jeden Fall überhaupt nicht. Wir wissen es ja aus der
Zensurforschung von Siegfried Lokatis, dass die letzten Entscheidungen,
ob irgendein Buch erscheinen kann, auch bei Peter Weiss war das z.B.
der Fall, immer dort gefallen sind. Dass selbst die Hauptverwaltung
Verlage und Buchhandel noch diese Hager-Abteilung über sich hatte, die
diese letzten Entscheidungen zu treffen hatte. Auch das kann man bei
Kurt Hager nicht lesen.
Aber haben die Gerontokraten nicht Recht behalten? Sind sie nicht
nachträglich durch den Gang der Dinge in ihrer Haltung und Auffassung
irgendwie auch bestätigt worden? Du polemisierst gegen den
geschichtswissenschaftlichen Umgang der Westdeutschen mit dem
DDR-Antifaschismus. Du siehst deren Verfahrensweise sehr kritisch und
Gerd Kaiser hat in der Rezension Deines Buches ganz lapidar
festgestellt: der Anti-Antifaschismus derzeitiger Eliten zielt auf die
Delegitimierung des gescheiterten Versuchs, eine neue Welt aufzubauen.
Er meint, dieses Nachtreten wäre ebenso blind, wie der Umgang der SED
mit dieser Geschichte. Worin äußert sich diese Blindheit? Bestätigt der
heutige tendenziöse Umgang mit der Geschichte nicht die weise Vorsicht,
die Dinge nicht an die Öffentlichkeit zu bringen?
Nein, auf keinen Fall. Denn für mich ist die kommunistische oder
sozialistische Bewegung einst mit dem Anspruch auf wissenschaftliche
Erkenntnis und Wahrheit angetreten. Zu messen etwa an dem schon
klassischen Text des „Kommunistischen Manifests“. Ein sehr wichtiger
und nach wie vor in den Zielstellungen interessanter Text, auch in der
Methode, die dort praktiziert wird. Die ganze marxistische Methode, wie
sie von den Gründern Marx und Engels entwickelt worden ist, den
Historischen Materialismus sehe ich als analytische Methode, die auf
Wahrheit aus ist. Insofern war es für mich eigentlich nur eine
Perversion, was wir in „Gewi“ an den Universitäten vermittelt bekommen
haben, weil ja gar nicht mehr die marxistischen Texte im Original
gelesen wurden, sondern nur ein zurecht gestutzter fragwürdiger
Verschnitt. Ich wurde bei der Wende bei der Abwicklung der Akademie von
unseren westlichen Evaluatoren gefragt, wie halten Sie es fürderhin mit
dem Marxismus? Sollte man sich nicht von bestimmten Begriffen wie z.B.
Klasse jetzt verabschieden? Stattdessen von sozialer Schicht sprechen,
oder so? Das schien mir an der Sache wenig zu ändern.
Das was Gerd Kaiser meint, hat mit diesen Demontagen nach der Wende zu
tun. Das hat mich empört, dass diese 40 Jahre DDR-Leben und Erfahrungen
mit diesen Totschlagformeln vom verordneten Antifaschismus oder auch
vom Unrechtsstaat weggewischt werden sollten. Da wollte ich etwas
dagegen setzen und zeigen, was es da realiter eigentlich alles gegeben
hat. Wenn man sieht, was für Bücher allein unter dem Aspekt des
Antifaschismus, und zwar internationale, in der DDR erschienen sind,
ist das eine ganz schöne Palette. Sicher, es ist nicht alles
erschienen, was vielleicht notwendig gewesen wäre, aber wenn ich auf
die andere Seite gucke, die Bundesrepublik zur gleichen Zeit, 50er
Jahre etwa, dann war die Rede vom Globke-Staat usw. - was wir auch in
der Schule vermittelt bekommen haben - nicht ganz unberechtigt. Die
alten Eliten waren ja in der Bundesrepublik wieder da.
Ein Grund, weshalb sich auch viele andere mit der DDR identifiziert
haben, lag für mich in dieser Zielstellung begründet, mit Militarismus,
Kapitalismus und sozialer Ungerechtigkeit Schluss zu machen. Auf der
kulturellen Seite gehörte dann auch diese Kulturrevolution dazu, in der
die Vermittlung des Antifaschismus eine ganz wichtige Rolle spielte.
Ich denke, dass bei den für die DDR wichtigen Generationen diese
Bindungskraft des Antifaschismus und die Attraktivität eines neuen
Gesellschaftsmodells im Verlaufe der DDR abgenommen hat. Daran sind wir
teilweise selber mit schuld, dass kann man nicht bloß an andere
delegieren. Sehe ich da das eigene Feld, so haben wir es uns
zwangsläufig vielfach zu einfach gemacht, es fanden eben diese
Ausgrenzungen von bestimmten Personen, von bestimmten Vorgängen statt.
Ich nenne nur den Fall Willi Münzenberg um zu verdeutlichen, dass wir
bedeutende Leute unserer eigenen Bewegung totgeschwiegen haben. Das ist
der große Ärger für mich nach wie vor, wenn ich an die DDR denke, es
nicht geschafft zu haben, solche und viele andere Persönlichkeiten mit
ihren Leistungen und Erfahrungen in unser Geschichtsbild zu
integrieren, so dass man heute unter grundsätzlich veränderten
Bedingungen oft bei Null anfängt.
Um nicht bei einer abstrakten Konfrontation „der“ westdeutsche
Geschichtswissenschaft mit „der“ ostdeutschen Vergangenheit stehen zu
bleiben: Ich hatte beim Lesen Deines Buches den Eindruck, dass Du kaum
auf westdeutsche Historiker eingehst. Zwei von den möglichen
„Verbündeten“ aber scheinen Dir wenig sympathisch zu sein. Einmal
Wolfgang Emmerich, wohl wegen seiner tendenziösen Wandlungen als
literaturwissenschaftlicher Fachmann für die DDR. Und dann auch Lutz
Niethammer, der zusammen mit Karin Hartewig die Buchenwald-Debatte
durch seine Veröffentlichungen in Gang gesetzt hat. Das siehst Du recht
kritisch, oder ist der Eindruck falsch?
Nein, der Eindruck ist richtig. Wenngleich ich nicht zu denjenigen
gehöre, die dieses Buch irgendwie verteufeln oder es ablehnen. Im
Gegenteil, ich begrüße, dass dieses Buch über die Roten Kapos
erschienen ist, weil es ein sehr wichtiges Tabu berührt, zu dem wir aus
der DDR kaum etwas vorgelegt hatten. Man kann sicher im Einzelnen
streiten, aber das Buch ist aus den Quellen gearbeitet und da steht es
und damit kann man sinnvoll arbeiten. Eine andere Frage ist, ob man das
auf diese Sache begrenzt oder ob man weiter und auch anders fragt. Für
mich war es eher anregend, weil ich in einem Kapitel über Ravensbrück
geschrieben habe. Das war echtes Neuland für mich und ich glaube auch,
dass dieser Teil zu den Dingen gehört, die vielleicht neu sind in dem
Buch. Ich stellte fest, dass es auch im Falle Ravensbrück diese
Diskussion um die Roten Kapos unmittelbar nach dem Krieg gegeben hat.
Dass da also eine Parallele zu Buchenwald war, die öffentlich nie
behandelt worden ist. Die hier eingesperrten weiblichen
Funktionshäftlinge kamen in ganz ähnliche Konflikte. Die Quellenlage
ist so, dass heute dazu in der Gedenkstätte Ravensbrück noch
interessante Quellen existieren, die der Auswertung harren.
Aber hat nicht die Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt eine Debatte
ausgelöst, die die tendenziöse Einseitigkeit erst ermöglicht hat, die
wir heute beklagen?
Das denke ich nicht. Die Bücher, wenn sie in solch einer aufgeheizten
Situation erscheinen, können ja nichts für ihre Instrumentalisierung.
Lutz Niethammer hat auch bei uns im ZZF das Buch vorgestellt, da war
die Debatte schon im Gange, und bei uns war das eine sehr anregende
wissenschaftliche Debatte. Er selber hat das ja auch beklagt, dass das
jetzt politisch einseitig vereinnahmt worden ist.
Na, er ist doch kein Träumer, hat er das etwa nicht erwartet?
Ein Träumer ist er sicher nicht, aber man kann das Buch nicht
verteufeln, das halte ich einfach für falsch. Auch das neue Buch von
Karin Hartewig (Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten
in der DDR, Berlin 2000) ist ein sehr anregendes Buch, weil es sehr
stark aus zu großen Teilen bisher unbekannten Quellen gearbeitet ist.
Auch da, wo sie z. B. zu anderen Wertungen und Schlüssen als ich kommt.
Wir hatten ja in den vergangenen zehn Jahren nach der Wende
ununterbrochen irgendwelche Debatten um die DDR-Geschichte. Ich denke,
dass man gut beraten ist, wenn man in solchen Debatten immer versucht,
auf die Realgeschichten zurückzugehen. Die Realgeschichte vom
Konzentrationslager Buchenwald etwa oder auch von Ravensbrück, da
stellt sich heraus, dass da noch vieles zu erforschen ist.
Das war für mich im Falle Ravensbrück eine ganz erstaunliche Erfahrung.
Ich fragte mich, was haben wir, also die Geschichtswissenschaft der
DDR, da eigentlich gemacht über 40 Jahre, wenn bestimmte Punkte in der
Ereignisgeschichte von Ravensbrück, etwa die brisante Frage, wann die
Gasöfen dort gebaut sind und wie lange sie gestanden haben, bis heute
nicht klar beantwortbar ist. Erst in den letzten Jahren ist dort eine
Forschung dort in Gang gekommen, die solche wichtigen Fragen
beantworten kann.
Ein Aspekt der Diskussion um die Roten Kapos war für mich, dass damit
auch die ganze Frage der Shoa und überhaupt des Nazi-KZ-Systems, die
Frage nach den Tätern wieder aufgekommen ist. Wenn damit der große
Unterschied, der zwischen den Funktionshäftlingen, den politischen, den
Roten Kapos bestanden hat, die ja hier als Täter in Zwangslagen
vorgestellt werden, und den großen und freiwilligen Nazi-Massenmördern
in Auschwitz oder Buchenwald begreifbar wird, wenn das auch zur Debatte
gehört, sie so öffnet, da bekommt das wieder für mich Sinn. Was ich
vielleicht gelernt habe – man muss ja immer vorsichtig sein mit dem,
wenn man behauptet, dass man irgendwas gelernt hat – ist dass man offen
sein muss für jede Art von Fragestellung und auch für jedes Buch. Wenn
ich meine eigene Biographie betrachte, so habe ich mir nie verboten,
Bücher zu lesen, aber wir haben uns vielleicht zu wenig bemüht,
wichtige und für die eigene Überzeugung schmerzliche Bücher zur
Kenntnis zu nehmen, und das passiert mir heute nicht mehr.
Am Ende Deines Buches wurde es für mich etwas lyrisch wenn Du
fragst, wie Anna Seghers auf die in sich so widerspruchsvolle
Darstellung von Peter Weiss reagiert hätte, wenn ihr die "Ästhetik des
Widerstands" bekannt geworden wäre. Anna Seghers ist für Dich ja die
Klassikerin der antifaschistischen Literatur überhaupt und gilt sicher
auch international dafür. Motiv für Deine Frage ist die mit der Zeit
schwindende Bindungskraft des historischen Antifaschismus. Die Ursache
dafür siehst Du im politischen, pädagogischen,
geschichtswissenschaftlichen etc. Umgang mit diesem Traditionsbestand.
Meine Frage ist nun, ob es auch andere Ursachen geben könnte als der
offizielle oder nicht-offizielle Umgang damit in Ost und West. Du
zitierst Sätze von Probst Heinrich Grüber, der 1949 das
Sachsenhausen-Buch von Arnold Weiss-Rüthel rezensierte und das
mangelhafte Interesse des deutschen Publikums beklagte. Er sagte, die
einen wollen nicht erinnert werden an Zeiten und Zustände, an denen sie
in irgendeiner Form mitschuldig waren. Und der andere Teil glaubt,
gleiches oder ähnliches erlebt zu haben, weil der Krieg und das
Kriegsende für die deutsche Bevölkerung insgesamt ja ein schreckliches
Ereignis war, ohne aber eine klare Vorstellung von den wirklichen
Gräueln zu haben. Der Autor Weiss-Rüthel selbst meinte: „und eines
Tages wird die Menschheit es überhaupt satt haben, sich damit zu
beschäftigen und alles längst vergessen haben, wenn einer neuer böser
Mensch heraufzieht.“
Wie war das bei mir? Für mich gehörte ein großer Teil der in Deinem
Buch genannten Bücher familiär bedingt zur jugendlichen Pflichtlektüre.
Ich kann aber nicht sagen, dass die Gräuel- und Widerstandsgeschichten
für mich zum gesuchten Lesestoff geworden sind. Später war es
berufliches Interesse. Ich kann mir nicht vorstellen, warum andere sie
brauchen oder gar suchen sollten. Könnte es dafür Gründe geben? Hast Du
die Erwartung, dass ein Interesse daran aufleben könnte? Bleibt es
nicht ein Spezialinteresse der Historiker oder siehst Du darüber hinaus
ein allgemeineres Interesse an dieser Phase der deutschen Geschichte,
am Antifaschismus?
Klar sehe ich das. Jetzt haben wir z. B. in letzter Zeit die so
genannte Bomber- oder auch Luftkriegs-Debatte, in der es um die
Deutschen als Opfer im Zweiten Weltkrieg geht. Insofern sehe ich
ununterbrochen den Bedarf, auf die andere Seite hinzuweisen. Natürlich
waren die Deutschen auch Opfer, aber wer hat den Krieg begonnen, wer
hat ihn geführt und wer ist bis zum Ende mitmarschiert? Das gehört für
mich zusammen. Ganz im Unterschied zu Dir sehe ich eher die andere
Gefahr, dass Geschichte kommerzialisiert und modisch vermarktet wird.
Gedächtnis und Erinnerung sind Mode, in den Medien und auch im
Wissenschaftsbereich, die Geschichtswissenschaft ist voll davon, die
Literaturwissenschaft ebenfalls. Das ist seit vielen Jahren ein
Hauptthema der Forschung.
Nun kann man berechtigt fragen, schreiben wir das nicht nur für uns
selber? Wen interessiert das? Ich denke, dass die Weitergabe dieser
Erfahrungen wichtig bleibt. Dabei sind gesellschaftliche und
individuelle Tradierungsformen zu entwickeln. Und da gibt es Grenzen.
Wer selber keinen familiären Zugang hat, wo also im Alltag nichts
weiter erzählt wird, denn Geschichte gehört für mich zur Kultur, der
hat es schwerer im Zugang. Für mich wäre das Leben einfach ärmer ohne
diese Antifa-Geschichte(n). Ich finde auch den neuen Film der
Margarethe von Trotta wichtig, bei aller berechtigten Detail-Kritik der
Historiker. Denn er bringt einfach das Gespräch über Zivilcourage und
Widerstand in Gang. Ich habe ja Mitte der neunziger Jahre einen Film
über die Große Hamburger Straße drehen können, in dem die
Rosenstraßen-Geschichte auch schon eine Rolle spielt, also die
Fabrikaktion, die Abholung der letzten Juden, die noch in Berlin waren,
weil der Führer im April 1943 ein „judenfreies“ Berlin haben wollte.
Diese Vorgänge habe ich versucht, meinen Enkeln im Alter von 8 bis 18
Jahren, nahe zu bringen. Natürlich hole ich mir da auch Kritik ins
Haus, wenn es heißt, Mensch Mutter, jetzt belästigst Du schon die
kleinen Kinder mit diesen grauenvollen Geschichten, die es natürlich
sind, aber wenn man dort dieses schöne Denkmal von Ingeborg Hunzinger
dort sieht, dann muss man einfach die dazu gehörigen Geschichten
erzählen. Ich mache mir insgesamt natürlich keine großen Illusionen,
was die Wirkung von historiographischer Arbeit betrifft, aber ich
persönlich finde es einfach wichtig.
Ich habe Dein Buch in einem Zuge und auch mit wachsender Spannung
gelesen. Ich sage das für mögliche Interessenten, weil das erste
Kapitel dies noch nicht so ganz erkennen ließ, das ist stark
organisationsgeschichtlich, da kommt alles Mögliche vor. Aber jenseits
der ersten 20 Seiten wird es wirklich eine spannende Sache. Nun
abschließend und mit der Bitte um ganz kurze Antworten: über die Enkel
hast Du schon gesprochen, aber gegen wen hast Du das Buch geschrieben?
Ich habe es geschrieben gegen die Demontage des Antifaschismus in der DDR.
Also gegen die Demontierer?
Gegen die Demontierer, ja.
Und für wen?
Zunächst für meine eigene Generation, wir haben ja daran Anteil und man
soll sich seine Sachen nicht wegnehmen lassen, die man erarbeitet hat
und die man aufgeklärt hat usw., die man auch weitergeben muss. Vor
allem aber für die nächste Generation. Ich meine, dass eine Reihe guter
Texte zur Weltliteratur gehören und ihre Wirkungspotenzen behalten.
Außerdem ist die antifaschistische Literatur ja nicht zu Ende, sie ist
auch eine aktuelle Literaturströmung. Solange es Zeitzeugen wie Imre
Kertezs oder Jorge Semprun gibt, wird dieses Thema der Shoa nicht
verschwinden.
Wir haben im Projekt selber natürlich auch über den Stellenwert des
Antifaschismus in der Geschichtsschreibung der DDR gestritten. Die
fünf, sechs Kollegen, die da unter diesem Dach "Geschichte als
Herrschaftsdiskurs" gearbeitet haben sind ganz unterschiedlich und
kommen in ihren einzelnen Büchern zu ganz unterschiedlichen
Ergebnissen. Aber das ist eigentlich auch das Schöne, finde ich. Ich
wurde bei der Buchpremiere im Brecht-Haus danach gefragt, ob es nicht
ein tief ein pessimistisches Buch sei. Für mich ging es darum,
historische Gerechtigkeit bei einigen Personen herzustellen. Sie
sollten Namen und Gesicht bekommen, deshalb auch die Fotos. Weil sie
früher ausgegrenzt waren, müssen sie heute hineingeholt werden in
Öffentlichkeit. Sicher kann man auch sagen, wen interessiert das noch,
aber als Wissenschaftler kämpft man immer relativ einsam auf seinem
Feld. Ich mache mir da auch keine Illusionen, aber ich finde nicht,
dass es pessimistisch ist, im Gegenteil. Denn es liegt an uns, den
Bestrebungen dieser Akteure Sinn zu verleihen. Für mich war die
Begegnung mit diesen aufrechten kämpferischen Persönlichkeiten sehr
wichtig. Die Fallschirmspringerin etwa, das war für mich wie ein
Kriminalroman und ich schreibe den auch noch über sie, das habe ich mir
schon vorgenommen.
Im Resümee: ein Buch für alle, die an der DDR-Geschichte, an der
Sozialismus-Geschichte und im engeren Sinne an der
Kommunismus-Geschichte interessiert sind. Wie könnte eine Forschung
über die verschiedenen Antifaschismen weitergehen?
Das wäre wirklich wichtig, ist aber unter den gegenwärtigen
Förderungsbedingungen schwer zu realisieren. Noch an der Akademie
hatten wir die Idee, eine Kulturgeschichte des Antifaschismus zu
schreiben. Und zwar international. Heute, wo so viel von Europa die
Rede ist, wird übersehen, dass der Antifaschismus auch eine gemeinsame
Erfahrung ist mit jeweils ganz verschiedenen Formen und Ergebnissen.
Was müsste eine solche Kulturgeschichte des Antifaschismus denn
leisten? Kann sie überhaupt als eine europäische Geschichte geschrieben
werden?
Für den literarischen Bereich könntest Du es ohne weiteres machen. Es
gibt genügend Spezialisten für alle diese Länder, die da in Frage
kommen. Die Exilforschung war gut entwickelt, wird heute allerdings
kaum noch gefördert. Insofern wird sie nicht geschrieben, weil sie
nicht gefördert wird. Solche Forschungen gehören jedenfalls nicht zum
postmodernen Mainstream. Und daher bedürfte es energischer und
kollektiver Anstrengungen. Hinzu kommt, dass dieser Traditionsstrang in
den einzelnen Ländern auch durchaus sehr umstritten ist. Z. B. die
Resistance in Frankreich oder auch in Spanien, der ganze Umgang mit dem
Bürgerkrieg bis heute. Da ist vieles noch im Fluss und man kann in
viele heikle Töpfe fassen und auch reinfallen. Aber dass es auch
politisch wichtig wäre, machen die nationalistischen Bestrebungen in
einzelnen Ländern deutlich, die sich nicht zuletzt auf faschistisches
Gedankengut berufen.
|
| |