Report | Kulturation 2017 | Manfred Gräber | Erinnerungen an die Kindheit im Bombenkrieg
| Die
us-amerikanische Bildungsplattform WGBH Educational Foundation hat in
ihrem Geschichtsbereich "American Experience" historische TV-Serien
herausgebracht. Im Kontext ihrer historischen TV-Dokumentation "The
Bombing of Germany" (https://www.youtube.com/watch?v=bB7Z-wOhO4c)
wurden auch Interviews mit Zeitzeugen beider Seiten geführt und
veröffentlicht ("What are Your WWII Stories?"). Dabei entstand dieses
Interview mit Manfred Gräber (*1937), der als kleiner Junge 1942/43
mitten in Berlin - am Alexanderplatz - die Luftangriffe der alliierten
Bomberverbände erlebt hatte.
Das Interview für American Experience wurde von Spiegel TV
History aus Hamburg vorbereitet, es fand im Studio von Spiegel TV,
Pariser Platz 4 a, am 24. 02. 2009 statt. Die Leitung hatte der
Journalist Verne Woods.
Es wurde ins Englische übersetzt. Ebenso die Interviews mit Horst
Sinske (damals Lehrling in einem Rüstungsbetrieb), Heinz Reinhardt
(Luftwaffenhelfer) und Ralph Giordano; sie können bei WGBH American
Experience abgerufen werden
(http://ec2-184-73-243-168.compute-1.amazonaws.com/wgbh/americanexperience/features/interview/interview-manfred-graber/).
Dominic Nelke hat das Interview mit Horst Gräber ins Deutsche zurück
übertragen.
Manfred Gräber war während der Bombardierung Deutschlands erst ein
kleiner Junge. Sehr genau erinnert er sich aber an die Wege zu den
Luftschutzräumen und an von den Nazis verbreiteten Rassismus und
Paranoia
Frage: Wenn sie an die Zeit zurück denken als sie 6 Jahre alt
waren, was geht ihnen durch den Kopf wenn jemand „Bombenkrieg",
„Luftüberfall" sagt? Welches Gefühl, welche Erinnerungen kommen dann in
ihnen hoch? Für mich ist der Bombenkrieg selbst heute
noch sehr stark mit dem heulen der Sirenen verbunden. Die Sirene die
Alarm geschlagen hat mit diesem Heulen durch die dunklen Straßen, die
ist selbst jetzt als älterer Mann noch immer tief in meinem Gedächtnis
verankert. In den Sommermonaten, wenn ich in meiner Freizeit in den
brandenburgischen Gewässern außerhalb von Berlin angeln gehe, höre ich
manchmal ganz schwach in der Ferne das Aufheulen einer Sirene. Ein
Anschwellen und Abebben. Einmal brach ein Waldbrand aus welcher den
Feueralarm in einem nahegelegenen Ort ausgelöst hat. Ich habe sofort
meine Frau darauf hingewiesen: „Hörst du nicht die Sirene?" Sie sagte:
„Ich höre keine Sirene." Und trotzdem, dieser feine anschwellende und
abschwellende Ton ist mir immer im Gedächtnis geblieben.
Frage: Können sie das beschreiben? Ein Angriff, wenn die Sirenen heulen, diesen Ablauf, wie war das damals?
Nachts wenn es draußen dunkel wurde kam mit der Dunkelheit auch die
Angst in die Stadt und in die Wohnungen und Häuser der Menschen. Nachts
hatte man vor allem vor den Nachtangriffen Angst, die meistens zwischen
20:00 und 23:00 geflogen wurden. Ein sicheres Zeichen dafür war die
Unterbrechung der Radiosendung - für die, die ein Radio besaßen, für
die Anderen war das in den Zimmern des Hauses leise hörbar - mit der
Nachricht das sich feindliche Fliegerverbände nähern. 1943 gab es auch
noch einen sogenannten Kuckuck den man über das Radio hörte. Wenn der
Kuckuck ertönte waren noch ca. 20 Minuten Zeit bis die Sirenen
Vollalarm gaben. Vollalarm bedeutete eine an - und abschwellende
Sinuswelle im 200-500 MHz FreFrageuenzbereich. Besonders außerhalb des
Hauses, wenn man auf der Straße in Richtung Alexanderplatz lief, wie
damals 1943, dann war genau dieses Sirenengeräusch unheimlich schaurig
und jagte einem Angst und Schrecken ein.
Wenn der Luftangriff vorbei war/kam ein langer gleichbleibender Ton und
es war so als würde dieser Ton die ganze Spannung der Situation wieder
lösen. Viele Leute sagten dann Sachen wie: „Wir sind übrig geblieben!"
Oder: „Wir sind wieder auferstanden!" Ich habe immer noch dieses
Gefühl, da in vielen Brandenburger Kommunen die Sirenen aus dem Krieg
noch vorhanden sind. Hier in Berlin wurden sie abgebaut, wir haben sie
in Museen. Aber wenn man diese Sirenen aus der Ferne hört, und das ist
nicht übertrieben, läuft einem ein kleiner Schauer über den Rücken. Die
zweite Sache, die eine sehr beängstige Wirkung auf die Kinder hatte,
war die Verdunklung.
Frage: Warum Angst und Schrecken? Was hat das damals ausgelöst? Wie können sie das erklären?
Der Start der Sirene war an und für sich nicht der entscheidende
Faktor. Schon als Kind hat man einiges aufgegriffen und verfolgte
aufmerksam die Gespräche der Erwachsenen und alles was in der Umgebung
passierte. Meiner persönlichen Erfahrung nach unterschätzen Erwachsene
oft, dass Kinder trotz ihres Alters die ein oder anderer Sache deutlich
verstehen, aufnehmen und verarbeiten können.
Es kam zum Beispiel heraus, dass in Hamburg tausende von Menschen
verbrannt sind. Diese Tatsache wurde nicht durch das Radio oder die
Presse verbreitet, sondern eher in Form einer Flüsterkampagne und
Gerüchten. Man wusste nichts Genaues, aber man wusste trotzdem, dass
etwas passiert war. Dies auch, weil sich mehr als eine Million
Flüchtlinge aus Hamburg nicht nur in der Umgebung der zerstörten Stadt,
sondern im ganzen Lande verteilt hatten. Und so war im Herbst 1943 die
Angst besonders groß so einen Angriff auch in der Reichshauptstadt zu
erleben.
Frage:
Haben ihre Eltern versucht sie auf solche Ereignisse vorzubereiten? Gab
es Gespräche, Übungen? Wie soll man sich das vorstellen? Ja,
als Kind wurde man frühzeitig vorbereitet. Ich kann mich noch gut daran
erinnern, dass es eine ganze Reihe an Bilderbüchern gab in denen man
Situationen vorfand die sich später im Krieg auch so darstellten.
Brennende Häuser zum Beispiel. Es gab auch Spiele, Würfelspiele, die
bereits im Kindergarten spielerisch eingeführt wurden. Bei meiner
Arbeit bei dem Verein Berliner Unterwelten gibt es noch so ein Spiel;
anhand dessen wir unseren Besuchern zeigen wie früh in den 30ern damit
begonnen wurde die Kinder auf diese Sachen vorzubereiten. Es waren vor
allem Brandschutzmaßnahmen, die Angst vor Feuer und auch schon Erste
Hilfe Fragen. Was muss ich tun wenn jemand verletzt ist? Wem muss ich
das sagen?
Frage: Und im Gegensatz dazu die Realität. Wie sah die aus?
Die Realität war so, dass der Terror und das mächtige Sichtbarwerden
des Krieges nicht synchron mit dem waren was man gelesen oder zumindest
gesehen hatte. Im Gegenteil, das Auftreten so massiver Bombenangriffe
1943 war ein erdrückendes Gegengewicht zu der Vorbereitung die man so
früh begonnen hatte.
Frage: Können Sie das beschreiben? Was passierte wenn der Alarm ausgelöst wurde?
Wenn der Alarm losging musste man sich entscheiden welcher Schutzraum
benutz werden sollte, ob man in das Gebäude in dem man wohnte gehen
wollte, in den so genannten „Splitterschutzkeller" (man konnte
natürlich nicht von „Bombensicher" sprechen), oder ob man Zuflucht in
einem verstärkten Betonbunker suchte, wie zum Beispiel am
Alexanderplatz. Das Wichtigste war, den Ort rechtzeitig zu erreichen.
Wenn das in Wohnblöcken passierte, musste man auf schnellste Weise den
Ausgang aus dem Haus finden, ohne Licht, aus dem 3. oder 4. Stock.
Unten am Eingang wurde man schon vom Luftschutzwart erwartet, dessen
Schreien einen großen Einfluss auf die Menschen hatte und der sie im
Dunkeln vorangetrieben hat. Dann ist man in den Keller gerannt oder man
musste noch weiter in den jeweiligen Bunker laufen, wie zum
Alexanderplatz zum Beispiel.
Frage: Und gab es dann Kämpfe, Gedränge und Panik? Wer darf noch rein, wer nicht? Oder wie soll man sich das vorstellen?
Im Wohnblock selber war die Situation klar, das waren mehr oder weniger
immer die gleichen Personen, die vom Luftschutzwart im Empfang genommen
und weiter geleitet wurden. In den Zentralen Schutzräumen allerdings
war die Zusammensetzung der Menschen sehr unterschiedlich. Am
Alexanderplatz kamen Züge mit Soldaten auf Fronturlaub an, die
ebenfalls den Platz überFrageueren und den Bunker erreichen wollten.
Das Beispiel vom Alexanderplatz hat aber gezeigt , dass man durch
strukturelle Maßnahmen bestimmte Effekte wie Panik vermeiden kann. Man
musste keine Treppen überwinden um in den Bunker zu kommen, man ist
einfach Rampen runtergelaufen. Für Kinder war es bis zu einen
bestimmten Grad angenehm, dass sie solche Rampen runter rennen konnten.
Folglich kam es selten zu Staus um in diese Gebäude zu gelangen. Daran
kann ich mich noch sehr gut erinnern.
Frage: War Angst spürbar, oder lief es diszipliniert ab?
Ich würde das abhängig machen von dem Jahr, in dem man das erlebt hat.
Am Anfang des Krieges war das alles etwas einfacher. Ich kann mich gut
daran erinnern, dass wir 1942 ein relativ ruhiges Jahr hatten. Es gab
wohl nur neun Bombenangriffe, was nicht viel für die Stadt war. In
diesem Jahr gab es vollständigen Dampferverkehr in der Stadt. Man
konnte Tagesausflüge zu beliebten Ausflugszielen machen. Meine Mutter
ging mit uns zum Müggelsee und auch ins Spreebad. Wir haben den Sommer
also immer noch genossen.
Das änderte sich 1943 abrupt. Bei jeder Aktion die man unternahm stand
die Frage, „Wo ist der nächste Luftschutzraum?" immer im Vordergrund.
Das war etwas was man auf keinen Fall vergessen durfte. Eltern haben
ihre Kinder niemals aus den Augen verloren.
Frage: Wie lange hat das gedauert? Hat man die Attacken mitbekommen? Haben sie das mitbekommen als sie im Bunker waren?
Auch hier muss man differenzieren. Die Mehrheit der Bevölkerung ging in
die Schutzräume der Wohngebäude. Hier in Berlin waren es ca. 80 Prozent
die Schutz in den Kellern ihrer Häuser suchten. Nur 20 Prozent hatten
die Möglichkeit, den Angriff in sogenannten bombensicheren Bunkern zu
überstehen. In den Luftschutzkellern der Häuser sind die Lichter
zumeist sofort nach Beginn der Bombardierung ausgegangen, was vor allen
Dingen bei Kindern zu einem Aufschrei führte. Das war Angst, Frauen
waren in dieser Situation oft überfordert. Beruhigende Worte kamen dann
oft vom Luftschutzwart und die Lage entspannte sich wieder etwas. In
den Zentralen Schutzanlagen hatte man in dieser Hinsicht wenig zu
befürchten. Dort waren der Lärm der Bomben oder andere Geräusche nicht
so intensiv spürbar wie im Luftschutzkeller. Ich selbst habe in der
Umgebung vom Bunker am Alexanderplatz Einschläge gesehen die nicht zum
Ausbruch von Panik führten.
Frage:
Waren die Menschen daran gewöhnt? Oder wie muss man sich das
vorstellen? War das ein Schicksal dem man sich gefügt hat? Man
versuchte zu überleben. Wie muss man sich in diesem Bezug die Denkweise
der Leute vorstellen? Man muss die Denkweise der Menschen auf
unterschiedliche Weise sehen. Es gab häufig Frauen - und daran kann ich
mich persönlich noch erinnern - die im Keller mit einem Brief in der
Hand saßen, einem offiziellen Brief, und überhaupt nicht begreifen
konnten, dass sie eine Todesnachricht von der Front bekommen hatten.
Diese Frauen waren hoffnungslos. Ich erinnere mich noch, als das Licht
dunkler wurde versuchte sich eine Frau das Handgelenk aufzuschneiden.
Das war ein Akt der Verzweiflung.
Nach 1945, als ich ehemalige Nachbarn wieder traf, die den Krieg
ebenfalls überlebt hatten, habe ich noch von anderen Sachen gehört. In
den Bunkern, sogar in den Luftschutzkellern die nicht annähernd
bombensicher waren, wurden nationalsozialistische Lieder während der
Bombenangriffe gesungen. Das Horst-Wessel-Lied zum Beispiel.
Frage:
Wie reagiert man als Kind darauf, dass eine Frau ihr Handgelenk
aufschlitzt, oder verstümmelte, verkohlte Menschen sieht? Wie haben sie
darauf reagiert? Ja, die Frage nach dem Selbstmordversuch der
Frau. Das war eigentlich neu. Das war erschreckend neu. Das passte
nicht zu der Erziehung, zu der ganzen Art der Wahrnehmung, die man zu
Hause mitbekommen hatte. Vielleicht ein anderes Beispiel:
Wir lenken nochmals die Aufmerksamkeit auf die Bombardierung in der
Nacht vom 23. November 1943. Als wir den Bunker am Alexanderplatz nach
einem ca. 40-minütigen Angriff verließen und wir uns unserer Wohnung
näherten, kamen wir zu einem Eckhaus, das Aufgrund der Explosion in
zwei Hälften gerissen war. Eine sogenannte Luftmine hatte das Haus
zerteilt. Zu dieser Zeit war die Neue Friedrichstraße/in die wir gehen
mussten; gesperrt.
Dort waren schon eilig zusammengerufene OT- Männer - Rettungsarbeiter
der Organisation Todt, Mitglieder der Streitkräfte - und vor allem
Feuerwehrmänner am arbeiten. Sie holten Menschen aus einem breiten Loch
in den Trümmern und legten sie einen nach dem anderen auf den
Bürgersteig. Diese Menschen hatten keine schweren Verletzungen. Da wir
die Straße nicht weitergehen konnten, habe ich deutlich gesehen wie
ihnen Blut aus den Mundwinkeln lief. Später wurde uns erzählt, dass die
Lungen dieser Menschen aufgrund der Druckwelle der extrem großen Bomben
geplatzt sind.
Die Feuerwehrleute sprachen miteinander und ich war erstaunt als ich
sah, dass sie Schnapsflaschen hatten. Später habe ich festgestellt,
dass sie für solche Missionen Alkohol ausgaben. Ich sagte dann zu
meiner Mutter, die das nicht verstanden hatte: „Mama, die
Feuerwehrmänner, die reden so komisch. Was sind das den für
Feuerwehrmänner?" Daraufhin wechselte sie kurz ein paar Worte mit den
Feuerwehrleuten und grinste trotz der Situation ein bisschen und sagte:
„Manfred, die Feuerwehrmänner kommen aus Leipzig. Das sind Sachsen."
Also als Kind bemerkte man aufmerksam das die Rettungskräfte selbst
sprachlich von verschiedener Natur waren. In Bezug auf meiner
Forschungstätigkeit bei dem Verein Berliner Unterwelten habe ich
herausgefunden, dass 53% der Leipziger Feuerwehreinheiten, die
schlagkräftigsten Einheiten, 1943 nach Berlin verlegt wurden um die
Reichshauptstadt zu retten. Das hat die Bewohner von Leipzig ein Jahr
später sehr wütend gemacht.
Frage:
Noch mal die Frage, oder vielleicht um es etwas zu konkretisieren, wie
kann ein Kind reagieren das Tote Menschen dort liegen sieht? Oder war
das einfach ein Teil des Krieges den sie anerkannten. Ihnen war
natürlich bewusst das Krieg war. Das diese Menschen dort
nebeneinander lagen - sie waren nicht gestapelt und da waren auch
einige Kinder dabei - das war ein großes Gesprächsthema in den nächsten
Wochen und persönlich sind diese Bilder immer bei mir geblieben, wie
diese Kinder dort lagen und sich nicht mehr bewegten.
Frage: Aber hat sie das mit Panik erfüllt? < Nein,
ich würde nicht sagen Panik. Das hat einen gewissen Respekt ausgelöst
und auf jeden Fall Angst, aber nicht so, dass es zu einer Katastrophe
geführt hätte.
Frage: Gab es dafür dann irgendwelche Erklärungen?
Ja. Die Erklärungen waren, sagen wir eher von technischer Natur. Es
passierte aufgrund der Bombenangriffe und der Explosion dieser Bomben.
Danach wurden alle Insassen, sogar in den Luftschutzkellern, darauf
hingewiesen, dass sie sich vom ersten Bombeneinschlag an ducken müssen
und dass Kinder in Deckung gehen sollen und ihre Brusthöhle mit den
Armen verschränken und den Mund weit öffnen sollen. Das war eine
Reaktion auf den Einsatz dieser Superbomben.
Frage:
Wenn die Tür nach einen Luftangriff geöffnet wurde, wie würden sie das
beschreiben? Apokalypse? Oder welche Wörter gibt es um zu beschreiben
was man dann gesehen hat, oder wie hat man das als Kind wahrgenommen,
wenn Einschläge in der Nähe waren? Bei dem Beispiel von den
Geschehnissen vom November 1943, dem 18. November, ist der erste
Luftangriff mehr oder weniger am Alexanderplatz vorbeigeflogen.
Aufgrund seiner Größe konnte ganz Berlin nicht von einem
Bombengeschwader angegriffen werden. Es wurde laut Generalstab
unterschiedlich angegriffen, Bezirk für Bezirk. In diesem Fall wurde
der Schwung des Angriffes auf Reinickendorf, Kreuzberg und Lichtenberg
aufgeteilt.
Als wir den Komplex verlassen konnten - man ist nicht darauf
vorbereitet, man ist nicht darüber informiert was einen draußen
erwartet - aber als wir raus kamen, haben wir den Alexanderplatz im
mehr oder weniger gleichen Zustand vorgefunden, wie wir ihn beim
Runterrennen der Rampe gesehen hatten. Der Eindruck war mehr oder
weniger ein positiver. Die zweite Sache, die immer auffiel, war der
Schein des Feuers. Insbesondere das Feuer über Lichtenberg und
Kreuzberg. Der Himmel war rot und flackerte lavendel färbend. Das ist
ein Farbenspiel das man nie richtig beschreiben kann. Es ist
erschreckend. Hell, aber dennoch dunkel. Dann schaut man sich um, ob
der Weg frei ist, und man hat eigentlich nur einen Wunsch, schnell nach
Hause zu kommen, um zu gucken ob alles noch so ist, wie man es
hinterlassen hatte.
Der zweite Angriff am 22. und 23. konzentrierte sich auf das Zentrum,
einschließlich des Alexanderplatzes. Straßenbahnen wurden umgestürzt.
Die Oberleitungen der Straßenbahnen lagen auf der Straße. Man wusste
nicht einmal, ob man die Straße überFrageueren sollte. Ist da noch
Strom drauf oder nicht? Die Leute schrien: „Stopp! Nicht weitergehen!
Seit vorsichtig." Mit anderen Worten, es war Chaos. Die Straßen waren
voller Trümmer. Glas der rausgeflogenen Fensterscheiben lag auf der
Straße. Überall brannten einzelne Häuser. Das war eine Situation, bei
der viele Menschen ohne Orientierung einfach in eine bestimmte Richtung
gelaufen sind, manchmal sogar in Richtung eines Feuers. Sie rannten
einfach überall hin. Meine Mutter packte uns und hielt uns ganz doll
fest. Wir haben dort ein Gepäckstück liegen gelassen. Es war mir
wichtig, dass wir nicht wie alle in irgendeine beliebige Richtung
flohen. Ja, das war eine schreckliche Situation. Der Alexanderplatz war
nicht mehr wiederzuerkennen.
Frage: Beschreiben sie das noch etwas genauer.
Bombenkrater in der Größenordnung von 10 bis 20 Metern Durchmesser. So
tiefe Löcher wurden durch die Straßenoberfläche in die Erde gebohrt.
Die Fassaden der Häuser waren von den Granatsplittern buchstäblich
rasiert worden. Putz, Verzierungen von den umliegenden Häusern, all das
Lag auf dem Boden. Feuerwehrschläuche, die aus irgendwelchen Gründen
noch vom 18. herumlagen, waren teilweise geplatzt. Wasser lief überall
hin. Das war Chaos. Man konnte den Platz nicht ohne weiteres
überFrageueren. Entweder lag einen Straßenbahn Frageuer, oder da waren
Oberleitungen, oder es lagen Trümmer, Schutt usw. herum.
Frage: Noch einmal die Frage, wie reagiert ein Kind auf so etwas? Ist das ein unwirklicher Moment, oder ist er sehr reell?
Ich würde sagen, als Kind kauert man sich eher an jemanden, an seine
Eltern. Es bilden sich kleine Gemeinschaften, wenn man in so einem
Bunker ist, selbst für einen kurzen Zeitraum. Man freundet sich sehr
schnell mit jemanden an, der das gleiche Schicksal wie man selber
teilt, der die gleiche Last tragen muss wie du, weil man weiß, dass es
besser ist eine Gruppe, oder ein Paar zu sein, als alleine. So kam es
häufig dazu, dass man sagte: „Wir gehen zuerst zu dir und bringen dich
nach Hause." Abhängig von der Moral, davon wer sich emotional besser
fühlte. Erst dann ging man selber nach Hause. Man hat einen kleinen
Umweg gemacht und erst die Frau, die drei Kinder und ein kleines Baby
hatte, nach Hause gebracht. Die Familien waren größer, die Männer waren
nicht zu Hause, sie waren im Krieg und die Familien hatten drei oder
vier Kinder. Die Frauen hatten auch ein Gepäckstück dabei. Zuerst
brachte man diese Frau zum Haus Nr. 68 zum Beispiel und dann ging man
zu seinem eigenen Wohnhaus und hat sich einen Überblick der Situation
verschafft. Es ist ein Stück Solidarität, man hat das nicht einfach
eine Bunkergemeinschaft genannt, sondern eine Solidarität unter den
Menschen. Das hat sich in solchen Situationen spontan entwickelt.
Frage:
Hatten die Menschen den Eindruck, dass es ein Verbrechen war das auf
sie verübt wurde oder sahen sie das als Teil des Krieges? Das
ist eine schwierige Frage, wie die Menschen in solch einer Situation
reagiert haben. Natürlich gab es Personen, die den Krieg klar abgelehnt
haben und auch deutlich zum Ausdruck gebracht haben, dass er beendet
werden muss. Aber überall wo man hinschaute, sogar in den Bunkern,
hingen Plakate auf denen Stand: „Pst, Feind hört mit!" Diese
Propaganda, die überall deutlich zu sehen war, hat letztendlich die
Menschen in den Bunkern direkt betroffen ... es gab genug Informanten
und es gab genug Beispiele, die ans Licht kamen, wo Personen die etwas
spontan ausgesprochen haben, von der Polizei, von der Gestapo
festgenommen wurden und nie wieder in diesen Schutzräumen gesehen
wurden und unter anderem als Verräter des Volkes beschuldigt wurden.
Frage:
Sie haben auch miterlebt, wie Feinde des Volkes, oder angebliche Feinde
des Volkes behandelt wurden. Können sie das noch mal kurz erklären, das
über die Halbjuden, oder die, die für Halbjuden gehalten wurden?
In der Neuen Friedrichstraße 70 war ein respektables Mittelklasse-Haus.
Im Vorderhaus gab es auch mehrere Besitzer von kleineren Unternehmen.
Das war so zu sagen ein Haus, das sehr geschätzt wurde. In dem Haus
wohnten extrem unterschiedliche Menschen aber alle hatten entweder
Arbeit oder waren in der Rente. Der Luftschutzwart war ein Mann, der
100% auf der Seite der Nationalsozialisten stand und aufgrund seines
Alters nicht mehr zu den Streitkräften gezogen wurde, der sogar
zwischen den Angriffen immer seinen Luftschutzhelm dabei hatte: Herr
Wernege. Schon zu diesem Zeitpunkt waren die einzelnen Bewohner gegen
ihn. Es gab damals ein deutsches Sprichwort, ein altdeutsches
Sprichwort: "Gib einem Deutschen eine Funktion und du wirst ihn nicht
wiedererkennen". So hat sich Herr Wernege verhalten. Es kam immer mal
wieder vor, dass ein Kind den sogenannten Verdunklungsbefehl verletzt
hat, das irgendwo ein kleines Licht schien, eine Tür geöffnet wurde,
ohne dass das Licht vorher gelöscht wurde. Dann brüllte er immer die
Treppen hoch: „Wenn das noch mal vorkommt dann muss ich dich als
Volksverräter anzeigen!" Man war in diesem Moment ein Staatsfeind.
In diesem Haus wohnte ein junger Theaterregisseur dessen Vorfahren
nicht 100% auszumachen waren, so zu sagen. Er hat keinen gelben Stern
getragen und wurde daher nicht als Jude gesehen. Herr Wernege
allerdings wusste Bescheid und hat den Theaterregisseur vor allen
anderen im Schutzraum immer angeschwärzt und ihn darauf hingewiesen,
dass er nachweisen muss, dass er wirklich arisch ist, denn nur Arier
dürfen in seinen Luftschutzraum. Als Kind hat mir das sehr wehgetan,
denn der Theaterregisseur hat sich viel mit den Kindern des ganzen
Hauses beschäftigt und versuchte in dieser schrecklichen Situation ihre
Stimmung mit kleinen Spielchen aufzuheitern. Als Theaterregisseur
verdiente er natürlich auch so seinen Lebensunterhalt. Ich habe nie
wieder etwas von Ihm gehört.
Es gab eine weitere Person, welche die so genannten Lebensmittelkarten
verteilte. Das war jemand mit einer wichtigen Funktion in den
nationalsozialistischen Kreisen. Mit der Lebensmittelkarte hatte man
die Kontrolle über die Menschen. Wer in der Stadt vorankam und wer
nicht. Diese Karten wurden nicht für einen Monat ausgegeben, sondern
für unterschiedliche Zeiträume. Manchmal für eine Woche, manchmal für
12 Tage. Jedes Mal musste man zu einer Beamtin gehen, Frau Venske, und
danach bekam man die Lebensmittelkarte. Meine Mutter wollte mit uns
Kindern nach Frankfurt an der Oder fahren, um unsere Großeltern zu
besuchen, was in der Tat von der Regierung und der Stadtverwaltung
unterstützt wurde. Wer konnte, sollte die Stadt verlassen. Frau Venske
hat versucht, das mit aller Macht zu verhindern. Sie hat unsere Abreise
mehrere Male verhindert in dem sie uns unsere Lebensmittelmarken einen
Tag später gab. Sie hat meiner Mutter sogar einmal gesagt: „Oh! Sie
möchten wieder weglaufen und den Führer verlassen." Das ist die
Einstellung, die Nationalsozialisten damals Anderen gegenüber hatten.
Frage: Gab es Hass gegen die Invasoren? Hat sich das verbreitet?
Natürlich gab es Hass den Aggressoren gegenüber, besonders nach 1943.
Ich muss dieses Jahr immer wieder erwähnen, weil das Jahr 1943 einen
einschneidenden Kurs im Hinblick der Richtung des Krieges nahm. Nicht
nur die Bomber wurden stärker. Das Kaliber der Bomben und Waffen war
stärker geworden und bei den Zerstörungsversuchen verließ man sich
jetzt stärker auf Brandbomben und Feuer, als auf traditionelle
Sprengbomben. Diese Feuerbrünste führten auch zu schweren
Verbrennungen. Ich habe selber gesehen, wie Menschen brannten und dann
mit Decken bedeckt und gelöscht wurden, als sie den Bunker verließen,
um nach Hause zu gehen, zum Beispiel. Das führte dazu, dass man immer
bereit war zu glauben, dass Deutschland diesen Krieg letztendlich doch
noch gewinnen könnte.
Frage: Also man schloss sich zusammen, da es keine Alternative zur Beharrlichkeit gab, oder wie würden sie das formulieren?
Aus Sicht meiner heutigen Erfahrung, nach dem man das Ganze sozusagen
nicht vergessen und es aufgearbeitet hat, würde ich sagen, dass dieses
Intensivierung der Bombardierung, welche natürlich zum Ziel hatte, die
Moral der deutschen Bevölkerung zu schwächen, dass diese Angriffe, von
den Briten selbsternannte Terrorangriffe - ich habe das in den
Direktiven gelesen die heutzutage jedem zugänglich sind, man kann das
in jedem Archiv nachlesen - nicht zur Zerstörung der Moral führten,
sondern an diesem Punkt trat die nationalsozialistische Partei, die
NSDAP, ein, wandte sich an die Menschen und bot ihnen Hilfe an. Nach
den Luftangriffen bauten sie Notfallküchen auf und sahen sich nach
Wohnraum um, so dass die Spaltung zwischen dem Volk, den einfachen
Menschen und den verhassten nationalsozialistischen Kämpfern nicht
schlimmer wurde.
Frage: Aber gab es Ausdrücke des Hasses, oder nationalsozialistischer Gesinnung gegenüber den Bombern?
Hass aus der Bevölkerung gegenüber den Alliierten äußerte sich, wie ich
später feststellte, im Lynch Mob von Rüsselsheim. In meinem Umfeld habe
ich solche Vorkommnisse hier in Berlin als Kind nicht erlebt.
Allerdings habe ich erfahren, wie unmittelbar nach einem schweren
Beschuss, verzweifelte Menschen schrien: „Dieser verfluchte Krieg, wann
wird dieser verfluchte Krieg endlich vorbei sein?" Die sogenannten
Spitzel und absoluten Parteianhänger haben das in dieser Situation
toleriert, sie haben nicht eingegriffen und es gestattet, dass
nationalsozialistische Ideologie verschwand.
Frage: Hat man differenziert zwischen Briten und Amerikanern? Zwischen Tages- und Nachtangriffen?
Um das in einem Satz zu beantworten, die Amerikaner wurden bevorzugt.
Das mag daran liegen, dass die britischen Streitkräfte schon länger
Krieg führten und nur nachts angriffen. Man hatte eine
aufgeschlossenere Beziehung zu den amerikanischen Piloten als zu den
Briten. Diese Tatsache zeigte sich auch 1945, als die amerikanischen
Truppen in das Gebiet um Leipzig vorrückten. Nach ein paar Tagen nur,
haben die Amerikaner aus ihren Autos heraus den Kindern Schokolade
zugeworfen und von Anfang an war das eine ganz andere Beziehung, als
wir erwartet hatten.
Frage: Aber die Bomben die tagsüber fielen konnten doch genauso töten wie die die nachts fielen?
Natürlich. Rein nach dem Effekt zu urteilen, konnte man keinen
Unterschied sehen. Im Gegenteil, in den letzten Kriegsmonaten war es
der Fall, dass es Kriegsverbrechen seitens der US-Streitkräfte gab, wie
die Kampfflugzeuge, die in Brandenburg Bauern erschossen, die gerade
ihre Felder bestellten. Auch Fahrradfahrer wurden von Kampflugzeugen
erschossen. Leider gab es solche Vorfälle. Andererseits war das nur ein
kurzer Zeitraum. Die Strategie der US-Streitkräfte war von Anfang an
anders und nicht so stark am Flächenbombardement orientiert.
Frage: Das war einem als Kind schon klar?
Das war uns sogar als Kind schon klar. Die amerikanischen Streitkräfte,
die Bombergruppen - ich erlebte sie später, 1944-45 in der Umgebung von
Leipzig - konzentrierten sich in erster Linie auf Kohlehydrierwerke um
den Kraftstoff zu zerstören, der so wichtig für die Wehrmacht war. Es
gab weniger Terrorangriffe die ausschließlich gegen die
Zivilbevölkerung der Städte gerichtet waren.
Vielen Dank.
Ich hoffe, ich konnte mit dem Interview die Fragen zu ihrer Zufriedenheit Beantworten.
Ja, es gibt nicht mehr viele, die das aus eigener Erfahrung erzählen können.
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