Report | Kulturation 2011 | Redaktion | Der Arbeitskreis Wissenschaft der KulturInitiative'89 beginnt ein Projekt zur Geschichte der ostdeutschen Kulturwissenschaft
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den Jahren 1963/64 wurde in der DDR an den Universitäten Leipzig und
Berlin der erste deutsche Diplomstudiengang Kulturwissenschaft
eröffnet. Praktische wie theoretische Probleme sozialistischer
Gesellschaftsentwicklung waren Ursache und Anlass dieser Neuerung, die
zudem Voraussetzungen in langen Traditionen praktischer Kulturarbeit
wie Kulturpolitik hatte. Ferner bildete eine starke Strömung in der
deutschen Wissenschaftsgeschichte den Hintergrund: eine fortdauernde
Kulturdebatte, die bis in das 17. Jahrhundert, bis auf Samuel von
Pufendorf zurückreicht.
Mit dieser Gründung wurde die systematische Beschäftigung mit einer
marxistisch geprägten Kulturauffassung möglich, wegen der nun zu
bewältigenden Lehrverpflichtungen aber auch dringend nötig. Wie weit es
dann tatsächlich gelungen ist, eine „Kulturwissenschaft“ zu entwickeln,
welche Position sie in der interdisziplinären Kommunikation einnahm,
welchen Einfluss sie auf Politik, gesellschaftliches Leben und
Kulturentwicklung hatte und von welchen Faktoren sie abhängig war – das
alles war und ist ein Moment ostdeutscher Kulturgeschichte von 1945 bis
heute.
Das 2011 begonnene „Projekt Kulturwissenschaft“ kann diese
Dimension nicht ausleuchten und hat sich weit bescheidenere Ziele
gesetzt. Das ist einmal die Erarbeitung einer Bibliografie
kulturwissenschaftlicher Publikationen (1945 bis 2011), die in einer
zweiten Phase über das Internetjournal kulturation allgemein nutzbar
sein soll. Sie wird reale Standorte der Titel im Umkreis der Kollegen
ausweisen und die Bildung einer Fachbibliothek aus Spenden und
Nachlässen ermöglichen. Dabei sollen auch Dissertationen, Lehrbriefe,
Manuskriptdrucke und internes Diskussionsmaterial berücksichtigt
werden. Aktuell wird an einer Maske für die Datenerfassung gearbeitet,
die den Möglichkeiten von kulturation ebenso entspricht und die
zugleich eine variable Nutzung des Bestandes ermöglicht. Dafür wird
bibliothekswissenschaftlicher Ratschlag eingeholt.
Ein zweites Arbeitsfeld bildet die Sicherung und digitale
Präsentation wichtiger Publikationen der Angehörigen des ehemaligen
kulturwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität. Das ist
zunächst eine Auswahl aus 37 Ausgaben der „Mitteilungen aus der
kulturwissenschaftlichen Forschung“ (MKF) und die Produktion einer
digitalen Ausgabe der 1975 zusammengestellten Studientexte, in denen
die kulturwissenschaftlich bedeutsamen Texte von Marx und Engels
vorgestellt und interpretiert worden sind. Diese Sammlung hatte eine
Auflage von 40 Exemplaren (die meisten gingen an die Autoren), war in
MEW-Kunstleder gebunden, erhielt (aus guten Gründen) den Titel „Der
Beitrag von Marx und Engels zur wissenschaftlichen Kulturauffassung der
Arbeiterklasse“ und war als „Blaues Wunder“ (588 Seiten im A 4 Format)
ein beliebter Zitatenschatz.
Weiterreichende Vorhaben sind möglich, hängen aber davon ab, wer
für die Mitwirkung am Projekt gewonnen werden kann und welche Mittel
einzuwerben die Projektgruppe in der Lage ist. Das wird sich zeigen,
wenn sie sich an den großen Kreis derer wendet, die es in der DDR und
danach mit dieser „Kulturwissenschaft“ zu tun hatten.
Für dieses Projekt zeichnen im Oktober 2011
I. Dietrich, F. Götze, G. Moeller, D. Mühlberg, R. Schuster.
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