Report | Kulturation 1/2005 | Simin Falsafi | "Europa eine Seele geben" - auf der Suche nach kultureller Identität Bericht von einer "Berliner Konferenz" zur europäischen Kulturpolitik | Unter
dem Motto von Jacques Delors „Europa eine Seele geben“ lud die
Kulturstiftung des Bundes zur Berliner Konferenz Ende November 2004 an
den Pariser Platz ein. Internationale Politiker und Kulturschaffende
kamen, wie einige Außenminister, der EU-Kommissionspräsident José
Manuel Barroso, die lettische Kulturministerin Heléna Demakova und der
rumänische Rektor des New Europe College, Andrei Plesu. Das Ziel der
Initiatoren: "Einen Impuls setzen, um der Kultur in der europäischen
Politik mehr Gewicht zu verleihen".
Zum Auftakt der Konferenz, die von der Bundeskulturstiftung
finanziell unterstützt wurde, forderte Kultur-Staatsministerin Christa
Weiß einen Mentalitätswandel. Europa sei nicht allein als
Wirtschaftsunion über den Euro zu definieren, sondern über seine
kulturellen Bezüge. Wie Weiß hob auch der frisch ernannte
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hervor, dass "In der
Hierarchie unserer Werte kulturelle Werte höher einzustufen sind als
ökonomische“. Der Kern der europäischen Identität sei die Vielfalt der
Kulturen. Europa dürfe sich jetzt keine Vernachlässigung der Kultur
leisten, so Barroso und plädierte für die Herstellung einer
europäischen Öffentlichkeit mittels eines gemeinsamen TV-Senders.
Bundeskanzler Schröder sagte zur Eröffnung, zur kulturellen
Identität der einzelnen Menschen käme das europäische Element mit der
Zeit von ganz allein hinzu, wenn Außen-, Wirtschafts- und
Sicherheitspolitik gemeinsam vorangetrieben würden. Wie Schröder nannte
auch Außenminister Fischer die gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik, sowie eine gemeinsame europäische Verfassung als
vordringliche Aufgabe und forderte den baldigen Beitritt der Türkei zur
Europäischen Union. Die Seele Europas sei, so Fischer “die Konsequenz,
die es aus den Jahrhunderten des Totalitarismus gezogen“ habe.
„Nationalismus ist Krieg“ zitierte er Mitterand. Europa stehe für eine
liberale Demokratie und die Idee der Integration, was „ein paralleles
Stehenlassen und nicht den Clash of Civilisation“ bedeute. Dieser
Transformationsprozeß stehe auf Seiten Europas und nicht der USA.
„Unser Problem ist“, beklagte Fischer, „wir Europäer sind von größerer
Bedeutung, als wir es uns zutrauen. Wir sind nicht alt – wir kommen von
weit her.“
Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker forderte
eingehend gegenseitigen Respekt der Völker. "Nichts trennt die Völker
mehr als Hochmut und Arroganz", sagte von Weizsäcker. Staat und
Religion seien strikt zu trennen. Unser elementares Interesse sei es,
einen „Kampf der Kulturen“ (Samuel P. Huntington) zu verhindern –
"Kreuzzüge werden wir nicht dulden" – und ein Zusammenleben in Freiheit
zu gewährleisten.
Europas Akteure zeigten sich in den Konferenzbeiträgen enttäuscht
über das Desinteresse der Öffentlichkeit an der Bedeutung ihrer Arbeit.
Viele wünschen sich mehr Identifikation mit den europäischen
Institutionen. Denn Europa, so hob der ehemalige Außenminister Genscher
hervor, sei mehr als eine Straßenverkehrsordnung.
Die lettische Kulturministerin Heléna Demakova kritisierte das
bürokratische Förderungswesen der EU, dass der Erinnerung an die uralte
lettische Bauernkultur nicht gerecht werde und die nationale kulturelle
Identität -beinahe wie noch unter der Zugehörigkeit zur SU - ungern
unterstütze. „Was haben die Bürger von Talinn und Lissabon gemein?“
fragte der Europaabgeordnete Jo Leinen die Teilnehmer der Konferenz.
Europa muss ein Bürgerprojekt werden und vorankommen, forderte er und
dazu gehöre die Schaffung einer gelebten Identifikation. Das
europäische Parlament mit seinen Parteien vertrete zwar die Interessen
seiner Bürger, doch stellte Leinen wie vorher Barrosso fest: "Identity
does not appear in the European constitution“. Dies sei jedoch, sagte
Leinen, eine Aufgabe der Verfassung.
Für den Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani ist Europa
eine Idee, ein sekulares Projekt und kein Land. „Sie alle, die Sie hier
sitzen, haben Europa doch gar nicht nötig", sagte er zu den Teilnehmern
der Konferenz. Es ist eine bequeme Ausgangsposition, wenn die private
und politische Existenz nicht von etwas abhängt. Deshalb riefe Europas
Einigung wenig Enthusiasmus bei Politikern und Bürgern hervor. Es
fehle, so Kermani, der europäischen Idee an Verzweiflungsdruck. "Falls
es mit Europa nichts werden sollte, dann sind Sie immer noch
erfolgreiche Holländer, Engländer oder Franzosen." Er fühle sich als
Europäer, aber er, wo gehöre er hin, fragte Kermani. „Für mich ist die
EU eine Verheißung“, sagte er. Als Deutscher bleibe er jedoch
Deutsch-Iraner, so wie die Eingewanderten in Deutschland immer Türken,
Libanesen, Iraker blieben, und verwies auf die zunehmend verschärfte
Diskussion zur Einwanderung. In dem Augenblick, in dem Europa die
Identität als Frage kultureller Zugehörigkeit begreifen soll, als
etwas, das veränderbar ist, definiert die Politik Identität als gegeben
und ordnet sie innerhalb offizieller, geographischer Grenzen ein.
Kermani beklagte, dass es an Universitäten einen Austausch zwischen
Orient und Christentum nicht gebe und forderte eine jüdisch-islamische
Akademie für Europa. Denn, so wörtlich, der „ Ausgleich mit dem Orient
und Islam wie auch mit dem Judentum braucht Räume – keine Hinterhöfe“.
Nach der Wende spüren jedoch viele Kulturschaffende eine nachlassende
Aufmerksamkeit für Kultur.
Andrei Plesu, der rumänische Kunsthistoriker, Philosoph und
Ex-Außenminister, sagte, es sei Illusion zu glauben, die kulturelle
Einheit Europas sei bereits gegeben. Vielmehr sei die europäische
Integration, eine organische Entwicklung und kein "Fünfjahresplan“. Der
Begriff Kultur habe sich fast aufgelöst. Kultur scheine nicht recht
ernst genommen zu werden und tauge offenbar nur noch für Festivals. Je
mehr sich der Körper der EU im Zuge der Erweiterung in der Horizontalen
aufblähe, umso mehr verliere er in der Vertikalen, nach unten in die
Tiefe der Geschichte und nach oben in den Himmel der Ideale - so Andrei
Plesu. Um sich „der Seele Europas“ etwas zu nähern empfahl Plesu den
Beamten aus Brüssel einen Besuch in Bulgarien, südlich der Donau. Dort
läge, die von byzantinischen Mauern umgebene Stadt Plowdiw, die er ein
"Wunder an Diversität" nannte.
Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer fragte in ihrem Vortrag
nach der Rolle der großen Städte und erinnerte an die Stadt als
Vorbild. Sie sei ein gutes Beispiel für die Einbindung kultureller
Macht. Die Stadt zeige die Form, wie sich Gemeinschaft zu erkennen
gibt. Europas Kultur, so Vollmer, mache die kulturelle und religiöse
Toleranz ihrer Städte aus. Wörtlich sagte sie, „Religionen gehören
innerhalb der Städte zur Kultur, um zu zeigen, ihr seid Teil der
Städte. Das Ausfransen ins Gesichtslose, wie die Gettoisierung, gilt es
zu verhindern“. Frau Vollmer sprach sich für die Einbindung des
Berliner Schlosses in Bibliotheken und Theater aus. Das gute
Zusammenleben fand in den Theatern statt, meinte Vollmer. Diese Art von
Stadtbild sei wieder zu erarbeiten.
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