Report | Kulturation 2/2003 | Dietrich Mühlberg | Wir amüsierten uns zu Tode?
| Davor
hatte uns Neil Postman gewarnt. Jetzt ist er selbst tot, er verstarb in
der vorigen Woche. Hat ein ostdeutscher Kulturwissenschaftler darum
Anlaß, sich zu erinnern? Kann er überhaupt eine Erinnerung daran haben?
Postman ist sehr wohl gleich nach dem Erscheinen seines Buches in den
USA von den kulturell Interessierten in der DDR wahrgenommen worden. Er
hatte seine Thesen ja medienwirksam zugespitzt – und so wußten viele
schon lange bevor sie das Buch in der Hand hielten, von seiner
kulturkritischen Provokation.
Er ist ja auch schnell von der mehr offiziellen
Imperialismuskritik zitiert worden. Das verstand sich von selbst, denn
er zeichnete ja ein recht schauriges Bild vom Kultur- und
Geisteszustand der USA: eine unmündige Bevölkerung, kontrolliert durch
das Werbe- und Unterhaltungsgeschäft der privaten Medienindustrie.
Allerdings wussten Ostler damals nicht so genau, wovon der Mann
eigentlich sprach, welche Realität er kritisch beschrieb. Es war
schwer, das für bare Münze zu nehmen, was da mehr nach Aldous Huxleys
„Schöner neuer Welt“ klang als nach Kulturanalyse. Aber es war ja als
eindringliche Warnung vor drohenden Gefahren angelegt.
Und dann wirkte seine Argumentation – schließlich nachgelesen – recht
holzschnittartig. Aber dadurch auch sehr einprägsam: Religion wird zur
Unterhaltung - Unterhaltung wird zur Religion, Politik wird zur Werbung
- Werbung wird zur Politik, so jedenfalls ist die Erinnerung. Doch für
solch einen kulturellen Wandel fehlte den Ostdeutschen einfach die
Anschauung, denn der deutsche Westen sah so nicht aus wie die von
Postman geschilderten USA. Noch nicht.
Heute haben wir auch hier die Dominanz der privaten Medienindustrie und
es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, wann die hiesigen Politiker
wie Schwarzenegger aussehen müssen. Und es ist nicht ausgeschlossen,
dass sich Dieter Bohlen für das Amt des Bundespräsidenten bewerben
wird.
Postman ist noch immer eine anregende Lektüre zu kulturellen
Grundsatzfragen und in manchem aktueller als damals. In der DDR war es
ehr die „konservative“ Kulturfraktion, die sich für ihn erwärmte. Denn
Postman war ja ein Verfechter der Wortkultur und dies auch noch in
volkspädagogischer Absicht.
Die DDR-Kulturwissenschaftler dagegen fühlten sich als Verwandte der
englischen Cultural Studies, die den alltäglichen Umgang mit den
diversen kulturellen Medien zu erkunden suchten um herauszubekommen,
wie die Kulturen der Gruppen und Milieus die medialen Außeneinflüsse
verarbeiten und für sich zu nutzen vermögen.
Auch sahen wir weder in den neuen audiovisuellen Möglichkeiten noch in
der schon erkennbaren revolutionären Veränderung der
Informationssysteme einen kulturellen Niedergang - sondern Chancen, die
es auch in der kleinen DDR schnell zu nutzen galt. Doch dafür fehlte
nicht nur das Verständnis der politischen Elite, sondern auch die
technische Basis war nicht danach.
Neil Postman traf Mitte der 80er vielleicht – und das ist nur aus der
Kulturgeschichte der DDR heraus zu erklären – auf eine eigenartige
Weise eine gemeinsame Grundstimmung in der Bildungsschicht, bei den
Reformern und den Bürgerbewegten.
In den 1960ern waren vermehrt Stimmen zu hören, die mehr „Freude und
Frohsinn“ forderten. Dies besonders mit dem Blick auf die junge
Generation. Das Projekt Sozialismus sollte nicht nur anstrengende
Arbeit nach dem Motto „saure Wochen, frohe Feste“ sein, sondern es
sollte selbst Spaß machen. Das lockerte die eher asketisch Arbeits- und
Pflichtorientierung ein wenig.
Nachdem 1970 in Moskau die bessere Bedürfnisbefriedigung zur
politischen Maxime erklärt worden war, wurde 1971 in der DDR mit
Honecker auch der Übergang in eine Freizeit- und Konsumgesellschaft
eingeleitet. Hier hieß es programmatisch: die immer bessere
Befriedigung der ständig wachsenden Bedürfnisse der Bevölkerung sei das
politische Ziel. Damit war plötzlich auch das sog.
„Unterhaltungsbedürfnis“ legitim. Das war von einigem Einfluß auf den
Kultur- und Medienbetrieb der DDR.
In dem Maße nun, wie sich dann zeigte, dass diese Konsum- und
Freizeitpolitik offensichtlich gleich zwei gesellschaftliche Ressourcen
aufzehrte, vermehrten sich die Mahner, die dann Mitte der 80er in
Postman einen Seelenverwandten erkannten.
Denn einmal (das war nicht Postmans Problem) wurden dadurch die
materiellen Grundlagen wirtschaftlicher Entwicklung aufgezehrt – und
zum andern verflüchtigten sich damit die Werte und Sinngebungen des
Sozialismus-Projekts endgültig. Menschliche Sinngebung, Erhalt der
tradierten Werte - das war ja Postmans Anliegen.
Nun war die „sozialistische Freizeitgesellschaft“ der DDR eine mehr und
weniger lustige Veranstaltung. Augenblicklich wird unkorrekt
überwiegend Frohsinn erinnert. Nimmt man das Amüsement in einem weiten
Sinne (wie es bei Postman ja auch gemeint war), so kann der Titel „Wir
amüsieren uns zu Tode“ durchaus als ein "Schicksalsmotiv" der
verstorbenen DDR verstanden werden.
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