Report | Kulturation 2/2003 | Isolde Dietrich | Hammer, Zirkel, Gartenzaun
SED-Politik gegenüber den Kleingärtnern Reihe Autoren im Netz
Interview: Dietrich Mühlberg | Du
hast Dein Buch “Hammer, Zirkel, Gartenzaun” genannt. Suchmaschinen
werden es vielleicht als Heimwerkerbuch für Gartenfreunde einordnen,
denn sie lesen den Untertitel nicht: “Die Politik der SED gegenüber den
Kleingärtnern”. Was muss man sich darunter vorstellen, wovon handelt
das Buch, worum geht es, was ist daran heute interessant?
Zugegeben - der Titel klingt etwas nach Baumarkt. Und tatsächlich haben
ihn manche Internetanbieter unter “Gartenbau” bzw.
“Kochen-Lifestyle-Garten-Pflanzen...” eingereiht.
Ich hatte bei der Überschrift aber an das Staatswappen der DDR gedacht.
Da hätte eigentlich auch ein Symbol des Kleingartens hineingehört, wenn
man den gesellschaftlichen Rang bedenkt, der ihm beigemessen wurde.
Denn aus der Sicht der Staatspartei war der ideale DDR-Bürger einer,
der sich tagsüber voll in seinen Beruf hineinkniete und nach Feierabend
mit gleichem Einsatz sein eigenes Obst und Gemüse anbaute, möglichst
auch noch Kaninchen oder Hühner hielt.
Das Buch zeigt, wie und warum die SED-Führung entgegen früheren
Vorstellungen schließlich zu so einer Auffassung kam und was sie
unternahm, um dieses Ziel durchzusetzen. Es ist also kein Ratgeber für
den Gartenfreund, keine Studie aus dem Kleingartenmilieu, keine
Organisationsgeschichte des Verbandes der Kleingärtner, Siedler und
Kleintierzüchter (VKSK). Es handelt sich um ein politisches Sachbuch,
das die Haltung der SED gegenüber der Kleingärtnerei aus nachgelassenen
Dokumenten zu rekonstruieren und zu erklären versucht.
Mir ging es dabei weniger um “Vergangenheitsbewältigung”. Die kleinen
Gärten sind weltweit wieder im Kommen. Von Tokio bis New York, von
Nairobi bis Havanna müssen Stadtverwaltungen und Parlamente,
Regierungen und Parteien auf diese Entwicklung antworten. Die Reaktion
fällt unterschiedlich aus, reicht vom Niederwalzen über das
stillschweigende Dulden bis zur umfassenden Förderung. Da fand ich es
interessant, einmal am geschichtlichen Modell einer Partei dem Wandel
in den Ansichten und in der praktischen Politik nachzugehen. Vor diesem
Hintergrund verblassten die ideologischen Absichtserklärungen und
politischen Sinnzuweisungen. Übrig blieb ein rechtlich und
wirtschaftlich gesicherter Rahmen, in dem Hunderttausende eigene Ziele
verfolgen konnten und lernten, sparsam mit nicht unbegrenzt zur
Verfügung stehenden Ressourcen umzugehen.
Hast Du eine persönliche Beziehung zum untersuchten Gegenstand? Bist Du vielleicht selbst Kleingärtnerin?
Ja und nein. Ich kenne das Leben in der Laubenkolonie, habe selbst eine
Parzelle, seit 35 Jahren. Von Kleingartenpolitik habe ich da allerdings
kaum etwas gespürt, vielleicht weil ich nie zu einer Gartenversammlung
gegangen bin und auch die Kleingärtnerzeitung nicht gelesen habe.
Jedenfalls sind die unzähligen Beschlüsse und Direktiven, Instruktionen
und Verordnungen, von denen mein Buch jetzt eine Auswahl enthält,
irgendwie völlig unbemerkt in großer Ferne an mir vorbeigezogen.
Eigentlich bin ich erst durch das Leipziger Kleingärtnermuseum darauf
gestoßen. Von dort kam Mitte der 90er Jahre die Bitte, im Bundesarchiv
nach Dokumenten zur Kleingartenpolitik der SED zu schauen. Ich habe
leichtfertig zugesagt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass da
viel zu finden ist. Ich dachte die Sache in zwei Wochen hinter mich zu
bringen. Daraus sind - mit Unterbrechungen - fast sechs Jahre geworden.
Nun ist Archivarbeit ja wirkliche Kärrnerarbeit. Aber wer einmal Blut
geleckt hat, kommt nicht mehr davon los. So habe ich dann 43 Jahre
SED-Politik am Beispiel des Kleingartenwesens verfolgt und allmählich
den Mechanismus begriffen, nach dem Partei, Staat und Gesellschaft
funktionierten. Für mich war dies das eigentlich Aufregende am Thema.
Als Insider der Kleingartenszene hatte ich zusätzlich meinen Spaß. Weil
ich die Lage vor Ort kannte, habe ich die Dokumente nicht für bare
Münze genommen, wusste, dass sie keine Tatsachen abbildeten, sondern
nur Auffassungen darüber. Die komische Diskrepanz zwischen offiziellen
Legitimationen und der realen Lebenswelt Kleingarten schien noch in der
drögesten Parteiberichtsprosa durch. Bei aller Beklemmung gab es immer
auch viel zu lachen.
Gibt es andere Arbeiten von Dir zu den beiden Themenkreisen “SED-Politik” und “Kleingarten”?
Beide Themenkreise gehörten nie zu meinen beruflichen Arbeitsfeldern.
Deshalb habe ich dazu bis zur Wende auch nichts veröffentlicht - mit
einer kleinen Ausnahme. Das war der Katalog zur Ausstellung Parzelle, Laube, Kolonie - Kleingärten zwischen 1880 und 1930”,
die 1988/89 im Museum Berliner Arbeiterleben um 1900 lief. Diese Sache
hatte ich aber nur notgedrungen übernommen, mich dabei auf Vorarbeiten
anderer gestützt. Die Erfahrungen mit dieser Ausstellung habe ich im
Sommer 1989 auf einer Fachtagung zur Diskussion gestellt (vgl.
Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung Nr. 27, Berlin
1990, S. 89-100). Als Anfang der 90er Jahre das Projekt Arbeiterkultur
an der Humboldt-Universität abgebrochen wurde, hatte ich mich gerade
etwas für das Kleingartenthema erwärmt. Seit dem beruflichen Aus war
kontinuierliches Arbeiten an einem Gegenstand nicht mehr möglich.
Dennoch sind im Laufe der Jahre etwa zehn Beiträge für Zeitschriften
und Sammelbände entstanden, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem
Kleingarten beschäftigten. Dazu gehörten u.a. Abschied von der Laubenkolonie? in Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung Nr. 37, Berlin 1996, S. 346-361, Mikrokosmos Kleingarten in Berliner Debatte INITIAL, 10 (1999), S. 63-73 sowie ‘Ne Laube, ‘n Zaun und ‘n Beet. Kleingärten und Kleingärtner in der DDR
in: Evemarie Badstübner (Hrsg.), Befremdlich anders. Leben in der DDR.
Berlin 2000, S. 374-414. Beim Kleingartenthema kann ich inzwischen
etwas mitreden, zu den SED-Forschern rechne ich mich nicht.
Die marxistisch orientierte deutsche Arbeiterbewegung war doch
ein Gegner der Kleingärtnerei. Friedrich Engels hat in seinem Aufsatz
zur “Wohnungsfrage” ganz grundsätzlich die sog. Eigenheime und jede
andere Art von Schollenbindung für das moderne Proletariat abgelehnt.
1930 schrieb Erich Weinert das satirische Gedicht “Ferientag eines
Unpolitischen” (“Der Postbeamte Emil Pelle hat eine Laubenlandparzelle,
wo er nach Feierabend gräbt und auch die Urlaubszeit verlebt”), darin
zählt er minutiös alle Seiten der Laubenpieperei auf um die Illusion zu
kritisieren, dass ein Leben ohne politisches Engagement möglich ist.
War das nach 1945 plötzlich anders, hat Ulbricht denn die
Kleingärtnerei gefördert?
Den unpolitischen
Kleingärtner halte ich für eine bürgerliche Erfindung. Das haben sich
Leute ausgedacht, die im 19. Jahrhundert Gartenkonzepte für städtische
Unterschichten entwickelten und dafür Land brauchten. Heute würde so
etwas wohl unter Projektantragslyrik fallen. Das Bild vom Kleingärtner,
der sich in seiner Freizeit nur um seine Parzelle und um seine Familie
kümmert, den Alkohol meidet und auch sonst nicht ausschweifend lebt,
keine politischen Forderungen erhebt und sich von organisierten
Aktionen fernhält, ist seinerzeit unter einem bestimmten
Legitimationsdruck entstanden. Die Protagonisten des
Kleingartengedankens hatten damit bei Kommunen, Unternehmern, Kirchen
und anderen Grundeigentümern Erfolg. Die Aussicht auf handzahme,
zufriedene, loyale und nicht zuletzt gesunde Staatsbürger und
Arbeitskräfte überzeugte.
Damit hatte die Kleingartenbewegung von Beginn an eine
antisozialistische Tendenz. Sie sollte der erstarkenden
Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln nehmen. So gesehen waren
Marxisten völlig im Recht, wenn sie auf Distanz gingen. Ob die
Kleingärtnerei allerdings jemals die erhofften oder befürchteten
Wirkungen hatte, ist nie untersucht worden. Vielleicht ist Erich
Weinert in diesem Punkt nur der bürgerlichen Agitation auf den Leim
gegangen.
Fest steht aber, dass die deutschen Kleingartenvereine, selbst ganze
Verbände, zu Beginn der 30er Jahre Domänen der Sozialdemokratie
geworden waren. Man müsste nun hier die ganze Geschichte der
Arbeiterbewegung aufrollen, die Flügelkämpfe um Grundfragen, das
Verhältnis zu Reform und Revolution. Jedenfalls schieden sich zu dieser
Zeit auch am scheinbar so beschaulichen Kleingartenthema die Geister
ganz grundsätzlich.
Ulbricht war nie ein Freund von Kleingärten. Er hat sie auch nicht
gefördert. Seine Ressentiments stammten alle aus der Zeit vor 1945,
rührten vor allem aus den Querelen zwischen Sozialdemokraten und
Kommunisten und aus seinen Erfahrungen in der Sowjetunion. Dort wurde
der Sozialismus schließlich auch ohne Kleingärten aufgebaut. Dass
Engels’ Schriften zur Lage der arbeitenden Klasse in England und zur
Wohnungsfrage dabei eine größere Rolle spielten, glaube ich kaum. Die
bezogen sich doch vor allem auf die ländliche Hausindustrie, auf
kleinbürgerliche Lösungen, bei denen “Häuschen, Gärtchen und Feldchen”
Mobilität wie Kommunikation behinderten und “Knechtsseelen” erzogen.
Ulbricht war in der Kleingartenfrage in einem wirklichen Dilemma. Aus
ernährungspolitischen Gründen hätte das Kleingartenwesen gefördert
werden müssen. Dagegen sprachen alle Vorstellungen von der künftigen
sozialistischen Gesellschaft und vor allem sicherheitspolitische
Bedenken. Er befürchtete, dass mit einem blühenden Kleingartenwesen in
der SBZ bzw. DDR auch die alten politischen Orientierungen, sprich der
“Sozialdemokratismus” wieder die Oberhand gewinnen würden. Heute
erscheint die Sorge skurril, dass ausgerechnet die Zunft der
Hobbygärtner und Kaninchenzüchter den Staat hätte aus den Angeln heben
können. Das Bild vom unpolitischen Kleingärtner hat sich unter Ulbricht
in das Klischee vom politisch unsicheren Kantonisten gewandelt, der
besonderer Aufsicht und Kontrolle bedurfte. Dafür eine dauerhafte Form
zu finden, war selbst für so einen alten Organisationsfuchs wie
Ulbricht nicht einfach. Das gelang erst mit der Gründung des VKSK,
vierzehn Jahre nach Kriegsende, im sechsten Anlauf. Noch länger dauerte
es, bis Kleingärten und Kleingärtner von der SED wirklich akzeptiert
und gefördert wurden. Genau genommen währte das Kleingärtnerparadies
DDR nur von 1977 bis 1989. Heute wird manchmal vergessen, dass diese
letzten zwölf Jahre der Honeckerära ja nur eine relativ kurze
Zeitspanne in den 43 Jahren SED-Herrschaft ausmachten. Davor wurde das
Kleingartenwesen immer politisch beargwöhnt und auf Sparflamme gehalten.
Bestätigen Deine Untersuchungen die These, dass der strategische
Schwenk, den die kommunistischen Parteien sozialistischer Länder
1970/71 vollzogen haben, den Übergang von der Arbeitsgesellschaft in
eine Freizeit- und Konsumgesellschaft nachvollzogen oder eingeleitet
hat? Hast Du Wandlungen im Gesellschaftskonzept auf der Ebene der
“Kleingartenpolitik” bemerkt?
Von diesem
strategischen Schwenk war in der Kleingartenpolitik zunächst nichts zu
spüren. Im Gegenteil, es herrschte große Verunsicherung, um nicht zu
sagen Eiszeit. Sieben Jahre lang fand kein Verbandstag statt, weil
nicht abzusehen war, wie es mit den Kleingärten in Zukunft weiter gehen
würde. Erst nach dem IX. Parteitag 1976 begann sich abzuzeichnen, wie
die neue Führung um Honecker über Kleingärten dachte. Tatsächlich
fasste dann 1977 das Sekretariat des ZK der SED einen gesonderten
Beschluss zur Förderung der Kleingärtner. Das bis dahin anhaltende
Kleingartensterben hatte ein Ende. Kleingärten wurden in ihrem
Freizeit- und Erholungswert gewürdigt und nicht mehr vordergründig als
landwirtschaftliche Kleinstbetriebe zur Selbstversorgung behandelt.
Man kann darüber streiten, ob das ein Übergang von der Arbeits- zur
Freizeitgesellschaft war. Ebenso gut könnte man das Gegenteil
behaupten. Durch die Förderung des Kleingartenwesens sollten weit mehr
Menschen als bislang veranlasst werden, in ihrer Freizeit zu arbeiten
und einen Beitrag zu ihrer eigenen Ernährung zu leisten. Das wäre dann
ein reiner Etikettenschwindel gewesen. In der Zeitbudgetforschung war
das deutlich zu beobachten. Gartenarbeit war dort immer wie Hausarbeit
und Kinderbetreuung zur notwendigen Reproduktionsarbeit gezählt worden.
Nun erschien sie plötzlich unter den Freizeitbetätigungen. Weil sie bei
allen Schichten der Bevölkerung kontinuierlich zunahm, ließ sich auf
diese Weise statistisch ein Zuwachs an Freizeit ausweisen, der die
realen Verluste kaschierte. Nun lässt sich bei Gartenarbeit ja wirklich
schwer trennen, was aus Passion und was aus schlichter Notwendigkeit
getan wird. Diesen ganzen Bereich aber einfach den Liebhabereien
zuzuschlagen, den Freizeitvergnügungen und der aktiven Erholung ist
wohl unredlich. In einem Land wie der DDR, wo Obst und Gemüse bis
zuletzt Mangelware waren, mussten sich viele zur Selbstversorgung
entschließen, wenn sie sich halbwegs vernünftig ernähren wollten. In
den anderen sozialistischen Ländern war die Situation wohl ähnlich. Nur
hielt man das dort nicht der Rede wert oder hat aus Scham geschwiegen.
Jedenfalls hat sonst keine der herrschenden Parteien so ein
gigantisches propagandistisches Brimborium über dem Kleingarten
errichtet wie die SED.
Die Kleingärten waren ja mal angelegt worden, um die ergänzende
Selbstversorgung der Vielen zu ermöglichen. Einst war das wohl normal,
als Hegel Rektor der Berliner Universität wurde, gehörte zu diesem Amt
auch ein Stück Gartenland für die eigene Versorgung. In der DDR – so
sagt es die Statistik – hatte mehr als die Hälfte der Familien einen
Garten. Nicht alle waren Nutzgärten, aber doch sehr viele. War das
nicht tatsächlich eine beträchtliche volkswirtschaftliche Ressource?
Das läßt sich schwer einschätzen. Am Ende gab es in der DDR wesentlich
mehr Freizeitgärtner als Beschäftigte in den Landwirtschafts- und
Gartenbaubetrieben. Die haben auch allerhand an Obst und Gemüse
erzeugt. Die hierzu veröffentlichten Zahlen dürften aber eher Fiktion
als Realität gewesen sein. Jeder Kleingärtner weiß, wie sie zustande
gekommen sind. Jährlich waren Ernteberichte abzuliefern, von der
einzelnen Parzelle, der Sparte, dem Kreis- und Bezirksverband, dem VKSK
insgesamt. Nur etwa die Hälfte der Kleingärtner hat irgendwelche
Angaben gemacht. Kontrolliert wurde das nicht, man konnte schreiben,
was man wollte. Der Rest wurde von den Vorständen geschätzt. Insofern
ist da jede Statistik mit Vorsicht zu genießen. Man darf auch nicht
vergessen, dass diese Art der Kleinstproduktion die volkswirtschaftlich
denkbar teuerste war, wenn man die Arbeitskraft und Zeit der Leute mit
in Rechnung stellte.
Andererseits hätte es ohne Kleingärtner bei der Obst- und
Gemüseversorgung noch wesentlich trüber ausgesehen. Besonders bei
handarbeitsaufwendigen und empfindlichen Kulturen und beim Ausnutzen
von Rest- und Splitterflächen konnte die Großproduktion in
Genossenschaften und Staatsbetrieben nicht mithalten. Von dort kam
eigentlich nur das Grobe und auch das nicht immer ausreichend: Kraut,
Rüben, Zwiebeln und Äpfel, dazu je nach Saison vielleicht noch vier,
fünf andere Arten.
Frische Erbsen, Bohnen, Rosenkohl, Spargel, Erdbeeren, Himbeeren,
Kirschen usw. gehörten schon zu den Raritäten. Die konnte man nicht mal
im Intershop für Westgeld kaufen. Wer darauf nicht verzichten wollte,
musste so etwas selber anbauen. 1,2 Millionen organisierte
Kleingärtner, dazu die Besitzer von Hausgärten und
Wochenendgrundstücken machten zusammen mit ihren Familien wohl mehr als
die Hälfte der DDR-Bevölkerung aus. Auch wenn sich damit nicht
unbedingt die Anzahl der verärgerten Kunden in den Gemüsegeschäften
halbierte - eine spürbare Entlastung für die staatliche Planwirtschaft
und für die Devisenkasse war das schon. Das Fehlende hätte sonst
importiert werden müssen. Auch die indirekten Einsparungen sind nicht
zu unterschätzen. Gartenbesitzer waren die einzigen, die halbwegs die
von Ernährungswissenschaftlern empfohlenen Richtwerte beim Obst- und
Gemüseverbrauch erreichen konnten und so etwas für ihre Gesundheit
taten. Sie moserten auch nicht über fehlende Urlaubsplätze oder
Naherholungsangebote, blockierten keine Ausflugsgaststätten usw.
Der marxistischen Theorie wird vorgeworfen, dass sie alle
reproduktiven Tätigkeiten – vor allem die Arbeit der Hausfrauen – gar
nicht weiter berücksichtigt. Dazu gehört auch die Selbstversorgung aus
dem Garten. Liegt in der hoch angesetzten Bewertung der Kleingärtnerei
nicht eine theoretische Wende in der Arbeitsauffassung?
Eine theoretische Wende würde ich darin nicht sehen. Wie schon gesagt,
seit Ende der 70er Jahre rangierte Gartenarbeit nur noch unter
sinnvoller Freizeitgestaltung und aktiver Erholung. Der Arbeitsbegriff
wurde also eher verengt als ausgeweitet. Hauswirtschaftliche
Tätigkeiten, Eigenarbeit aller Art waren da ausgeschlossen. Dass sie in
der Realität einen sehr hohen Stellenwert hatten, stand auf einem
anderen Blatt. Viele Güter und Dienstleistungen waren käuflich ja gar
nicht zu erwerben. Es fehlte den Leuten weniger an Geld dafür. Es gab
einfach kein entsprechendes Angebot. Gartenarbeit war da nur eine Form
der Selbsthilfe unter vielen anderen. In den Familien wurde auch
massenhaft genäht und gestrickt, gebaut, gemalert und repariert. Do it
yourself war in der DDR kein Weg, einen überteuerten Markt zu umgehen
oder die eigenen Talente unter Beweis zu stellen, sondern
lebensnotwendig. Als Arbeit ist das aber nicht gewürdigt worden.
Hinsichtlich der täglichen Regelarbeitszeit, auch der Wochen-, Jahres-
und Lebensarbeitszeit lag die DDR ohnehin mit an der Spitze in der
Welt. Wäre die gesamte informelle Arbeit noch dazugeschlagen worden,
hätte sich die Freizeit auf einen Bruchteil verkürzt. Insofern würde
ich hier auch nicht von einer Freizeit- und Konsumgesellschaft
sprechen. Der den Ostdeutschen oft nachgesagte Zeitwohlstand ist wohl
ein Phantom gewesen.
Die SED hat versucht, die Kleingärtnerei stark zu verregeln und
in bestimmte Richtungen zu lenken. Nun höre ich, dass die Regeln der
Bundesrepublik, die über die Ostdeutschen gekommen sind – noch viel
rigoroser sind? Kannst Du das bestätigen?
Ja. Die
SED hatte nur wenige Möglichkeiten, zu regeln und zu lenken. Sie konnte
das Kleingartenwesen mit einem dichten Geflecht von Anleitung und
Kontrolle überziehen, sie konnte werben, moralisch appellieren, mit
Geld locken. Aber sie hatte keine juristische Handhabe. Es gab in der
DDR kein einheitliches Kleingartengesetz, nur einen Flickenteppich von
Verordnungen und Rechtsvorschriften, die teilweise einander
widersprachen und in denen sich kaum noch einer zurechtfand. Das schuf
Raum für Willkür und Schlendrian, aber auch für allerlei Wildwuchs
sowie quasi naturrechtliche Ansprüche und Gewohnheiten seitens der
Pächter. Im Unterschied zur DDR sitzen Kleingärtner heute am kürzeren
Hebel. Man lässt sie gewähren, ist aber nicht mehr auf sie angewiesen.
Innerhalb des Grundstücksmarktes sind ihre Flächen eigentlich ein
Anachronismus. Auch ostdeutsche Kleingärtner sind inzwischen von
Eigentümern umzingelt, die mit Argusaugen über die Einhaltung eines
ausgefinkelten Kleingartengesetzes wachen. Insofern sind die Regeln und
Sanktionen heute tatsächlich wesentlich rigoroser. Verglichen mit den
Freiheiten, die Kleingärtner besonders im letzten Jahrzehnt der DDR
hatten, ist der Spielraum viel enger geworden.
Dein Buch ist illustriert, nicht nur mit einigen Fotos und
Faksimiles von Rundschreiben und Protokollen, sondern vor allem mit
zeitgenössischen Karikaturen. Die spitzen zu und sind großenteils
kritisch. Zeichnen sie nicht ein falsches Bild von den ostdeutschen
Kleingärtnern?
Ich weiß nicht, wie ein richtiges Bild hätte aussehen sollen und ob
Karikaturen überhaupt zu diesem Zweck gemacht werden. Auf alle Fälle
brachten sie andere Wahrheiten ans Licht als die schriftlichen Quellen.
Kleingärtner wurden auf den Zeichnungen immer wieder als
Arbeitsbummelanten, Langfinger, Schwarzbauer, Schluckspechte,
Kulturbanausen und Umweltsünder vorgeführt.
Mit Sicherheit standen dahinter bestimmte Pressekampagnen. Karikatur
wurde von der SED als Kampf- und Erziehungsmittel der Partei
verstanden. Eine satirische Zeitschrift wie Frischer Wind oder Eulenspiegel
unterstand wie alle anderen offiziellen Medien der Abteilung Agitation
des ZK der SED, erhielt von dort die berühmte Anleitung und Kontrolle.
Wenn Kleingärtner so wenig schmeichelhaft dargestellt wurden, muss es
dazu eine Aufforderung oder zumindest grünes Licht von höchster Stelle
gegeben haben.
Was die Zeichner dann allerdings aus solchen Vorgaben machten, war eine
ganz andere Frage. Meines Erachtens stand der Kleingärtner in der
Karikatur für den DDR-Bürger schlechthin. Den konnte man noch so sehr
zum Helden der Arbeit und zum selbstlosen Kollektivmenschen
hochstilisieren - er machte doch, was er wollte. An der ostdeutschen
Kleingärtnerschaft ließ sich auch deshalb so viel Allgemeingültiges
zeigen, weil sie sogar im soziologischen Sinne repräsentativ war. In
ihren Reihen waren alle Berufs- und Altersgruppen, alle Bildungs- und
Einkommensschichten sowie beide Geschlechter gebührend vertreten. Für
Karikaturisten müssen Kleingärtner einfach ein gefundenes Fressen
gewesen sein. Sie waren die einzigen, die viel von ihrem Privatleben in
der Öffentlichkeit zeigten. Was sich sonst hinter ostdeutschen
Wohnungstüren verbarg, wurde in den Laubenkolonien unbekümmert zur
Schau gestellt. Ich glaube nicht, dass mit den Karikaturen speziell den
Kleingärtnern alle möglichen Untugenden angehängt werden sollten.
Vielmehr sehe ich darin ein Sittengemälde des Landes, ein Lehrstück in
Sachen Privatleben, das im Schutze nahezu grenzenloser sozialer
Sicherheit die sonderbarsten Blüten trieb.
In meinem Buch sollten die Zeichnungen die öden Kanzleitexte nicht
auflockern oder illustrieren. Sie sollten einfach einen Gegenpol
bilden, einen stillen Kommentar zu den markigen Worten und großen
Parolen liefern, ohne lange Erklärungen die Wertewelt der schriftlichen
Dokumente in Frage stellen.
|
| |