Report | Kulturation 2/2007 | Claudia Gochmann | Gib dem Kiez dein Gesicht - eine Fotoausstellung
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16. November an läuft eine Fotoausstellung in der Galerie
Hope&Glory in Berlin Neukölln. Tanja Schnitzler und Ines Borchart
haben im „Körnerkiez“ Jugendliche porträtiert. Am 29. November spricht
um 20.00 Uhr die Kunsthistorikerin Claudia Gochmann in der Galerie über
das Fotoprojekt "Gib dem Kiez dein Gesicht". Vorab hier ihre Einführung.
Foto: Schnitzler und Borchart
Es ist nicht einfach, fotografiert zu werden. Wer das Gegenteil
behauptet, ist entweder ein professionelles Model oder lügt. Das
Kameraauge ist gnadenlos zielgerichtet und zieht alles in seinen
gläsernen Bann. Sich jetzt für die richtige Pose zu entscheiden und sie
für sich selbst zufrieden stellend umzusetzen, ist mit Sicherheit keine
einfache Sache. Wenn man aber zusätzlich noch mit den Schwierigkeiten
des Erwachsenwerdens hadert, dann wird aus einer einfachen Pose der
alles entscheidende Punktgewinn: Der Rücken streckt sich, die Schultern
werden nach hinten gezogen, das Kinn hebt sich und alles, was noch zu
sagen ist, wird in den Blick gelegt. Rasch das kindliche Lächeln
verstecken, her mit den richtigen Accessoires und Hintergrundbildern,
die Füße fest auf dem Boden verankert: Ich habe keine Angst. Zumindest
zeige ich sie nicht.
Die Porträts von Ines Borchart (*1971) und Tanja Schnitzler (*1973)
sind einfühlsame Zeugnisse dieser Selbstfindung inmitten einer
problembehafteten Umgebung. In den Medien steht es zu lesen: hoher
Migrantenanteil in der Bevölkerung, Verwahrlosung, Arbeitslosigkeit,
Kriminalität und Drogen prägen das Leben in Neukölln. Die beiden
Fotografinnen suchten in Kenntnis dieser klischeehaften Folie nach dem
alltäglichen Leben der Jugendlichen. Dabei ging es ihnen nicht um die
Bestätigung oder Widerlegung von Vorurteilen. Sie dokumentierten, was
sich ihnen zeigte. Gleichwohl mag man in den Posen der Jugendlichen wie
im Blickwinkel der Fotografinnen noch die Schatten jener
Stigmatisierung erkennen. Für Jugendliche bedeutet das Aufwachsen in
einem „Problemkiez“ einen zähen Kampf um die Selbstbehauptung, der
zusätzlich zu den Tücken der Adoleszenz hinzukommt. Das fotografische
Resultat sind Bilder zwischen Schüchternheit und Trotz, Stolz und
Argwohn, Ungezwungenheit und Unnahbarkeit. Eben allen Facetten
jugendlichen Heranwachsens – auch im Körnerkiez.
Foto: Schnitzler
Ines Borchart und Tanja Schnitzler sind mit ihren Kameras nicht
wahllos durch die Straßen gelaufen, um Fotos im Stil eines flüchtigen
Streetlife- oder Reportage-Fotografen zu machen. Sie haben sich
monatelang mit den Menschen und ihrer Welt auseinandergesetzt, sind
eingetaucht, ohne sich aufzudrängen, um eine Tür zu finden, die den
Blick hinter die Kulissen erlaubt. Dabei hat Ines Borchart die
Jugendlichen direkt in ihren Lebensräumen zu Hause aufgenommen, während
Tanja Schnitzler sie in ihrer alltäglichen Welt draußen im Kiez
festgehalten hat. Jede für sich im eigenen Stil, doch beide mit einer
gemeinsamen Idee und Formensprache. Dabei ließen die Fotografinnen, die
übrigens selbst in Neukölln wohnen, den Kiezbewohnern genügend Freiraum
zur Selbstentfaltung. Vielleicht wirken die Bilder – trotz der
gegebenen Künstlichkeit des Fotografiertwerdens – genau deshalb so
unverkrampft und authentisch?
Foto: Borchart
Gerade in dieser wahrhaftigen Wirkung liegt das große Plus dieser
Dokumentation. Sie lässt den Betrachter die Anwesenheit der
Fotografinnen beinahe vergessen. Wir treten in einen scheinbar
unvermittelten Kontakt zu den Jugendlichen, meinen ihr Lebensumfeld und
ihre Befindlichkeit förmlich zu begreifen. Damit beweisen Ines Borchart
und Tanja Schnitzler eindrucksvoll ihr Können: mit ihrer ausgewogenen
Bildgestaltung, aber auch mit dem intensiven Ausdruck, der sich durch
die Augen der Jugendlichen dem Betrachter vermittelt. Ein sensibles
Können, das bei fotografischen Porträts entscheidend ist.
Galerie Hope&Glory
Emserstraße 126
12051 Berlin
U + S-Bahn Neukölln
Öffnungszeiten: Mi. bis So. 15.00 – 20.00
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