Report | Kulturation 1/2007 | Dietrich Mühlberg | Biermann über Ehrenbürgerschaft wahrscheinlich erfreut
| Viel
Lärm hat es wieder einmal um Wolf Biermann gegeben. Als er sich endlich
legte, hat Franziska Augstein in der Süddeutschen Zeitung [1]
resümierend vorausgesagt, Biermann werde sich wahrscheinlich über die
Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin freuen. „Wolf Biermann braucht
Applaus, die gesellschaftliche Linke, die ihm den einst spendete, gibt
es nicht mehr. Dafür sind andere eingesprungen. An dem Beifall, der ihn
als Ehrenbürger Berlins erwartet, wird er sich erfreuen.“ Da käme er
auf Platz 115, und noch vor Köhler und Merkel, für die der
Stänkeradvokat Lehmann-Brauns sicher die nächsten Anträge einbringen
wird, einer muss für so etwas ja einen inneren Auftrag verspüren.
Der Blick auf die Liste der Berliner Ehrenbürger bringt einen ob
der Beflissenheit zum Schmunzeln, mit der hier Stadtregierungen einst
fällige Ergebenheiten zelebrierten. Die Liste von 1949 (Hitler,
Goebbels, Göring und Frick war die Ehrenbürgerschaft gerade aberkannt
worden) bis 1990 liest sich als Who is Who der Frontstadtpolitik: so
gut wie kein westdeutscher politischer Großredner fehlt. Sie alle
hatten in Westberlin ihren Auftritt. Nach 1990 ging es mit der großen
Politik weiter. Dreizehn Ehrungen gab es seither, zehn für Politiker,
zwei für Künstler (Marlene Dietrich und Fischer-Dieskau) und eine für
den Antifaschisten, Sammler und Mäzen Berggruen. Illustre Namen
darunter: Reagan, Bush, Kohl und sogar ein KPdSU-Generalsekretär.
Allerdings tragen auch vier ehemalige SED-Mitglieder noch immer diese
Würde, freilich sind sie nur Übriggebliebene aus dem Ostsektor: Anna
Seghers, Siegmund Jähn, Wolfgang Heinz und Wieland Herzfelde. Wie man
sieht, ging es im Osten gleichfalls etwas zufällig zu. Und nun kommt
mit Biermann erstmals nach 1990 ein ehemaliges SED-Mitglied neu dazu,
ein beachtliches Novum. In seinem Falle trat das politische Prozedere
einer solchen Auszeichnung schön zu Tage und zeigte allen, was von
dieser Ehrung zu halten ist. Die CDU-Rechte schlug hinterrücks einen
Exkommunisten vor und die SPD konnte sich lange nicht entschließen, wie
sie mit dieser Stinkbombe umgehen soll. Köstlich ferner, was die Stadt
zu bieten hat und wie charmant da mit Leben und Tod jongliert wird: man
spendiert einen Freifahrschein auf Lebenszeit und ggf. ein Ehrengrab.
In diesem Gezerre um Biermann geriet ein Aspekt etwas in den
Hintergrund: er lebt noch, gottlob. Welchen Sinn macht sonst der
Freifahrschein? Aber zu bedenken wäre, dass bei diesem politischen
Künstler damit auch das Lebenswerk nicht abgeschlossen vorliegt.
Marlene Dietrich war bei der Ehrung schon lange tot (konnte sich also
nicht wehren) und Fischer-Dieskau (zum Glück am Leben) hat immer die
Texte anderer gesungen. Von den geehrten Politikern sind zwar nur
Ronald Reagan und Johannes Rau nicht mehr unter uns, aber bei den
Überlebenden war und ist nicht zu befürchten, dass sie ihr politisches
Credo noch ändern werden. Anders bei Wolf Biermann – und das könnte zu
Peinlichkeiten führen, denn erneute Schwenks sind nicht auszuschließen.
Eine Art Lebensprinzip, wie Franziska Augstein beobachtete. Es wurde
einstens sogar kolportiert, dass jenes ahnungsvoll-dunkle Wort des
späten Erich Honecker, dass „jähe Wendungen in der Politik nicht
ausgeschlossen“ wären, auf Wolf Biermann zurückgehe. Er soll es seinem
frühen Förderer Erich bereits 1955 an Margots Familientisch aufmunternd
zugerufen haben, als der gerade erst begann, seine Parteikarriere
auszubauen und dafür erst einmal auf ein Jahr nach Moskau zum Studieren
musste. Wolf schickten sie zum Studium der politischen Ökonomie und
rieten ihm zum Eintritt in die SED. Doch der fand es
verständlicherweise spannender, beim Berliner Ensemble reinzuschauen.
Da war der Chef gerade verstorben und die Nachfolge offen. Doch
einstweilen musste sich der Marxist-Leninist (solche Bezeichnung ist
keine Häme, der junge Linke W. B. ließ damals keine Gelegenheit
ungenutzt, seine ideologische Überlegenheit gelehrsam herauszukehren)
mit dem „Berliner Arbeiter- und Studententheater“ zufrieden geben. Doch
immerhin stand in der Bürotür in der Belforter Straße jetzt
„Intendant“. Zugleich studierte der Intendant nun Mathematik und
Philosophie.
Das war die Zeit, als auch ich mit ihm ein – freilich winziges -
Projekt erfolgreich realisierte: ein Fest für Frauen. 1963 war ich als
„Aspirant“ an das Philosophische Institut zurückgekommen und bald
„Parteigruppenorganisator“ einer Doktorandengruppe, der Biermann
ebenfalls angehörte, weil er kein regulärer Student war. Wir hatten den
Auftrag, gemeinsam die Frauentagsfeier des Philosophischen Instituts am
8. März 1964 im Direktionszimmer auszurichten: Blumen, Getränke, Torte
und künstlerische Umrahmung. Biermann brachte seine Gitarre mit und
hatte schon einige seiner kräftigen Lieder drauf, sang aber auch was
von Brecht und Villon. Die Damen vom Sekretariat kicherten wegen der
„Anzüglichkeiten“ des Künstlers, der hier so hautnah mitten unter ihnen
saß, Kolleginnen aus dem akademischen Bereich wussten nicht recht, was
sie von diesen ungewohnten Tönen halten sollten – politisch wie
sexuell. Ich war sehr angetan von dieser neuen Art sangbarer Poesie und
besaß bald den Tonbandmitschnitt eines Auftritts.
Wolf Biermann hatte nur eine lockere Bindung zum Philosophischen
Institut, aber hier sollte er nun endgültig in die Partei aufgenommen
werden. Dies war wohl schon einige Zeit verschleppt worden, und jetzt
hieß es „von oben“, er solle besser aus der Liste gestrichen werden.
Das war aber so eindeutig nicht. Und dann wussten wir ja, dass er
„oben“ Rückendeckung hatte, dass Margot Honecker ihn förderte, die
gerade ihren Aufstieg zur Ministerin erlebte und in der „Ideologischen
Kommission“ der SED saß. Er hatte damals meine volle Sympathie und ich
habe mit ihm gesprochen, um herauszubekommen, was er selbst denn wolle.
Nach einer Versammlung saßen wir in der „Schildkröte“, links auf der
langen hölzernen Wandbank dieser Bierkneipe in der Zetkin- Ecke
Friedrichstraße. Er meinte nur, er würde schon in der Partei bleiben,
könne es aber nicht, solange gewisse Leute da nicht rausgeworfen
würden. Etwa Paul Verner, der Berliner SED-Chef. Das war so zwischen
Ulk und Ernsthaftigkeit angelegt. Ähnlich sprach er von der Treue zu
seinen Freunden und ließ es im Vagen, ob er damit seinen gerade
verstorbenen Lehrer Hanns Eisler, seinen Förderer Hermlin, den
politisch und ideologisch mächtig agierenden Robert Havemann oder die
Honeckers meinte. Ein längeres Gespräch mit seiner Mutter, einer
prinzipienfesten Kommunistin, die mit in unserer Runde saß, brachte in
dieser Sache ebenfalls nicht viel. Auf die Frage, ob ihr Sohn denn im
Unterscheiden von falschen und echten Freunden sicher sei, meinte sie
nur: er brauche seine Freunde als Schutz. Wahrscheinlich wusste die
Frau mehr, als sie zu erkennen gab. Für mich war die Situation damals
noch offen, denn nach dem Mauerbau schienen die Debatten über den
Sozialismus und seine Zukunft wieder in Schwung zu kommen, eine neue
Generation von jungen Leuten – der eitle Biermann gehörte dazu – hatte
begonnen, ihre Ansprüche zu artikulieren. In der Parteiführung war die
Sache offenbar noch nicht entschieden. Man denke nur an das geheime (?)
Doppelkonzert Neuss/Biermann, dass sich die Parteioberen im Brechtschen
Theater am Schiffbauer Damm genehmigten. Übrigens das einzige Ereignis
mit „Berlin-Bezug“; es spricht dafür, auch Wolfgang Neuss für die
Ehrenbürgerwürde vorzuschlagen.
Franziska Augstein unterstellt mit dem Blick auf die vielen
Wandlungen des Wolf Biermann, schon zu jener Zeit wäre er nicht echt
gewesen, sei es ihm nur um den Applaus der jungen intellektuellen Szene
des Ostens und nicht wirklich um die Sache gegangen. Die (damals
bereits) Alten von der SED-Führung hätten sich viel erspart, wenn sie
Biermann zu jener Zeit den Nationalpreis gegeben hätten. Die beiden
Förderer des jungen Barden - Hermlin und Havemann - hätten es
seinerzeit ja richten können, beide hatten sie einst einen guten Draht
zu Honecker. Ich hätte es ebenso sofort unterschrieben, mir gefielen
Witz und Schärfe seiner kritischen Tiraden und die dialektische Poesie
seiner Lieder. Das ließ den Mangel an Selbstironie verschmerzen, selbst
wenn es etwas peinlich wirkte, dass vorgeführter Selbstzweifel sich
immer als dramaturgisches Mittel für eine Belehrung erwies.
Doch das Kräftemessen der jungen Intellektuellen mit dem „Apparat“
ging zugunsten der Alten (und der „Jungen“ aus der parteitreuen
Flakhelfergeneration) aus, die auf dem berühmten 11. ZK-Plenum 1965
über die sozialistischen Künstler herzogen, obwohl es eigentlich gegen
Ulbricht gehen sollte. Pikanterweise musste Erich Honecker den
diffamierenden Bericht verlesen. Biermann lebte fortan in einer Art
Edel-Exil in der Chausseestraße und die Stasi war sein Eckermann. Als
die Ulbricht-Affären durch Honecker endlich aufgelöst waren, hat es
dann verschiedene Ansätze gegeben, den Geschassten wieder ins Spiel zu
bringen, doch den intoleranten alten Männern war jede liberale Regung
fremd.
Es ist vorgekommen, dass prominente Figuren und Nutznießer des
SED-Regimes sich später voller Empörung davon distanzierten. Wolf
Biermann hatte allen Grund zu solchem Furor, wurde er doch durch die
„eigenen Leute“ über ein Jahrzehnt heftig gemaßregelt. Schon darum kann
man den Dichter nicht mit solchen Typen, wie dem heuchlerischen
Politprofi Schabowski vergleichen. Doch es wirkte auch bei ihm leicht
unappetitlich, als er sich so heftig von denen distanzierte, deren Brot
er vordem aß.
Doch für solche Überreaktionen könnte man Gründe finden, vor allem
die mediale Deutung der Folgen, die Biermanns Ausweisung 1976 hatte.
Sicher übertreibt Frau Augstein nicht, wenn sie (wie viele andere
vordem) den Umgang der SED-Oberen mit Biermann einen kardinalen
politischen Fehler nennt. Doch solch Allüren waren für eine Führung,
die das Land nach Gutsherrenart regierte, logisch und
selbstverständlich: wen wir reinholen und bei uns aufnehmen, den können
wir auch wieder rausschmeißen, wenn er uns anpinkelt. Genauso war die
Empörung der linken Künstler und Intellektuellen (damals mehrheitlich
um die Vierzig) zu erwarten: sie verstanden sich als mündige
Sozialisten und wollten nicht wie Leibeigene behandelt werden. Zwar
rangierten nur wenige von ihnen der gesellschaftlichen Stellung nach
ähnlich wie Biermann, doch privilegiert waren sie irgendwie alle. Und
dieser Protest war tatsächlich grundsätzlicher Art, war
Selbstbehauptung und weniger die Solidarisierung mit einem bissigen
Egomanen, dem die Heimat verweigert worden ist.
Franziska Augstein hat in ihrer Kolumne gedrängt beschrieben, was
danach noch alles passiert ist. Dabei ist das ja logisch: wer ganz
links anfängt, kann sich nur nach rechts bewegen. Wie wir an einigen
Achtundsechzigern gesehen haben, kann man dabei sehr weit vom
Ursprünglichen abkommen. Mal sehen, wie weit es Wolf Biermann noch
treibt. „Heute hier, gestern dort – immer da, wo es Applaus gibt“
befindet Franziska Augstein. Und so gehört es zu dieser bewegten
Gesinnungskarriere, dass er heute offenbar Vergnügen daran findet, von
CDU und SPD in Berlin zum Ehrenbürger gemacht zu werden. Wahrscheinlich
wird er irgendwann bemerken, dass diese städtische Huldigung kein
richtig cooler Akt war und nicht als Krönung des Dichterlebens gelten
kann. Dafür wird er sich selbst kein Bein abhacken, sondern vermutlich
den bemühten Stadtvätern was ins Gesicht schmieren wollen.
Einen kleinen Beitrag zu dieser Provinzposse hat die Linkspartei
geliefert. Sie fand einen Weg, sich da rauszuhalten. Zunächst
versicherte sie, wie hoch sie Biermanns Anteil am Niedergang der DDR
schätze, sein Eintreten für die US-Aggression gegen den Irak ihn aber
disqualifiziert habe. Dann jedoch beteuerte sie scheinheilig, dass sie
da besser gar nicht mitwirke, um dem Herzenswunsch ihres
Koalitionspartners nicht im Wege zu stehen – denn der Kandidat könnte
die Ehrung ja ablehnen, wenn die bösen Genossen von einst zu den
Ruhmrednern von heute gehörten. Viel Lärm hat es wieder einmal um Wolf
Biermann gegeben.
[1] Franziska Augstein, Der mit dem Strom schwimmt.
Ehrenbürger Biermann: Heute hier, gestern dort - immer da, wo es Applaus gibt
SZ vom 03.02.2007. Meinungsseite
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