Report | Kulturation 2/2008 | Dietrich Mühlberg | Das Schloss der Hohenzollern – von Ihnen sollte ein Signal ausgehen
Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister
| Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister!
In der Geschichte meiner schon lange in Berlin ansässigen Familie
(meine Enkelsöhne Wilhelm und Friedrich sind in der achten Generation
Berlingeborene) kommen zwei Linien zusammen, die knapp als
„sozialdemokratische Bindung an Preußen“ zu charakterisieren wären.
Diese Verbundenheit schloss immer eine traditionsbewusste Haltung zu
unserer Heimatstadt ein, die auch mich geprägt hat und aus der heraus
ich mich an Sie mit einigen Bedenken und mit einer Bitte wende.
Mein Urgroßvater ganz rechts im Bilde auf dem Pferd vorn rechts (alle Fotos: Verfasser)
Doch zunächst möchte ich Ihnen eine große Erleichterung anzeigen.
Als Urenkel eines kaiserlich-königlichen Vorreiters (der - wie schon
sein Vater - Träger der Hohenzollernspange für treue Dienste war) sehe
ich mich nun in der über Jahrzehnte währenden Gewissheit bestätigt,
dass früher oder später die Leistung des Hauses Hohenzollern für die
Begründung der deutschen Nation auch in der Bundesrepublik Deutschland
gewürdigt wird. Es erfüllt mich mit Genugtuung, dass Abgeordnete aus
allen deutschen Provinzen sich mehrheitlich für die Wiedererrichtung
des Gebäudes ausgesprochen haben, von dem aus über Jahrhunderte die
Voraussetzungen für die Einigung der Deutschen unter Preußens Führung
geschaffen worden sind. Auch der Gedanke, im Schloss der Hohenzollern
ein Humboldt-Forum einzurichten, kann (bei all der Verschwommenheit,
die das noch hat!) nur ausdrücklich begrüßt werden. Erinnert dies doch
symbolisch an die epochemachenden Leistungen Reformpreußens nach der
Niederringung des französischen Usurpators. Damals wurde so gut wie
alles geleistet, was Preußens König wenige Jahrzehnte später zum Kaiser
aller Deutschen werden ließ. Das ihm gewidmete deutsche Nationaldenkmal
auf der Schlossfreiheit hat die wirren Zeiten nicht überstanden, und es
wäre wegen seiner inzwischen überholten ästhetischen Anmutung wohl
tatsächlich nicht wiederherzustellen. Darum ist die Idee brillant, an
die Reichseinigung von 1871 dadurch zu erinnern, dass an dieser Stelle
und auf seinem Fundament nun der Einigung von 1989 monumental gedacht
werden soll. Das ist politisch korrekt und dennoch von starker
Symbolkraft.
Schloss mit dem ehemaligen „Nationaldenkmal“ (rechts, angeschnitten)
Auch das inzwischen gekürte architektonische Konzept zur
Wiederherstellung von Deutschlands zentralem Ort befriedigt mich trotz
seiner Geschichtslosigkeit letztlich. Wenn ich auch nicht ganz so
euphorisch wie unser lokaler Spezialist Hans Stimman daran Schlüter und
Eosander mitwirken sehe, erkenne ich doch in der monotonen Strenge des
von Franco Stella geplanten neuen Baukörpers preußische Zucht („mehr
sein als scheinen“). Ein Prinzip, das nach Meinung weiterer Kenner
sogar in der Monumentalarchitektur Albert Speers sich behauptet hatte –
etwa in der Fassade der Neuen Reichskanzlei (zeitgleich mit dem
Berliner Schloss abgetragen).
Doch auch einige Bedenken muss ich Ihnen freimütig äußern dürfen.
Wenn ich das Rekonstruktionsmodell als befriedigende Lösung akzeptiere,
kann mich die offizielle Verlautbarung über die künftige Nutzung dieses
Gebäudes nicht wirklich überzeugen. Hier scheint mir auch die Stadt
Berlin – gestatten Sie mir das böse Wort – etwas kleingeistig und
unangemessen zu operieren. Soll das wiedergewonnene Schloss tatsächlich
dafür herhalten, die Raumnot unserer städtischen Bibliothek durch
zusätzliche Stellflächen zu überwinden? Dafür werden Sie doch sicher
einen anderen Weg finden. Das gilt auch für die Sammlungen unserer
Universität. Diese Bestände haben – wie mir gut bekannt ist – auch sehr
interessante Partien, die von früherer wissenschaftlicher
Leistungsfähigkeit der Deutschen zeugen. Doch muss bedacht werden, dass
selbst die universitären Sammlungen des 19. Jahrhunderts noch etwas vom
Flair der früheren Kuriositätenkabinette hatten. Schon deshalb können
wir es uns nicht wirklich wünschen, dass die lokale Universität ihre
Schätze aus dem Keller holt und an diesem nationalen Ort ausbreitet.
Für vollends verfehlt halte ich den Gedanken, Deutschlands zentrales
Gebäude als ethnologisches Museum zu nutzen. So sehr ich mir wünsche,
dass Preußens überaus reichhaltige völkerkundliche Sammlung (früher
recht knapp in Stülers Neuem Museum) an einen zentralen Ort überführt
und so dem internationalen Tourismus zugänglich gemacht wird (unsere
Schulklassen können auch nach Dahlem rausfahren) – dafür muss doch
nicht ausgerechnet das neue Schloss herhalten! Dann wäre es sogar
besser, auf die frühere Nutzung als kulturhistorisches Museum
zurückzukommen (und dann auch das Germanische Nationalmuseum aus der
Provinz hierher zu überführen).
Wer aus Paris oder Warschau, Moskau oder Kairo, Tokio oder London
herkommt und sieht, dass er am wichtigsten Ort der deutschen Nation die
Artefakte der Lebensweise und Kultur kleiner außereuropäischer
Völkerschaften im 18. und 19. Jahrhundert ausgestellt sieht, kann sich
nur verwundert die Augen reiben. Es ist einfach völlig unglaubwürdig,
dass die Präsentation dieser Objekte ein völkerverbindendes Bekenntnis
der Deutschen abgeben könnte. Und erst recht keinen „Weltort der Kunst
und Kultur“! Nun verfügt hoheitlich in dieser Sache zwar die Stiftung
Preußischer Kulturbesitz, doch auch das Land Berlin hat da Sitz und
Stimme. Darum meine Bitte an Sie: verhindern Sie, dass dort die Hütten
der „Naturvölker“ (nun politisch korrekt) aufgebaut und – wie vom neuen
Chef schon angekündigt – die bekannten ethnologischen Erlebniswelten
(„Aktionsinseln“) projektiert werden, wie Eventmanager Hermann
Parzinger schon drohte: „Trommelkurse, Teezeremonien, Maskenspiele“.
Der ostdeutsche Kulturexperte Wolfgang Tiefensee dazu: „Deutschland als
Kulturnation legt seine Schätze ins Schaufenster“.
Die heutige Nutzungskonzeption ist allzu offensichtlich eine
Notlösung. Auch mit einem Humboldt-Forum hat das wenig zu tun.
Ethnologische Sammlung - weil Alexander von Humboldt als forschender
Polyhistor die Welt bereist hat? Sammlungen der Universität, um das
Genie ihres geistigen Vaters zu würdigen? Teile der Stadtbibliothek,
weil Wilhelm von Humboldt das bürgerliche Bildungsideal mitgeprägt hat?
Das alles verdeckt doch nur, dass niemand sagen kann (oder sagen
möchte), wie Deutschlands Größe angesichts seiner (sicherlich
widersprüchlichen) Nationalgeschichte in der heutigen Welt zu würdigen
wäre. Bevor das nicht geklärt ist, sollte die gute Milliarde, die das
Schloss gewiss kosten wird, zurückgehalten werden.
Die eifrigen Befürworter einer historischen Attrappe (fast alles
Zugereiste, darunter viele verklemmte „Deutschnationale“) meinen
offensichtlich, es wäre schon viel erreicht, wenn das Schloss der
Hohenzollern wenigstens als Fassade wieder stehe (Christoph Stölzl „Die
Schönheit der Außenhaut nach barockem Vorbild wird bald alle Kritiker
verstummen machen“). Zurückhaltende Befürworter denken wohl, man könne
das preußische Stammhaus als Baulichkeit wieder herrichten und dann so
tun, als habe es weder mit den Schlossherren noch mit dem durch
Besatzerdekret untergegangenen Preußen etwas zu tun. Sie scheuen –
gleich den organisierten Eiferern und Spendensammlern - das offene
Bekenntnis zu Preußen und damit auch zur Nation. „Geschichte als eine
abgelegte Option“? Übergang „in gewöhnliche alltagspatriotische
Verhältnisse“, wie nun auch Peter Sloterdijk verkündete? Sie sehen, wie
schnell man mit dieser Unentschiedenheit unter die rechten
Normalisierungsprediger gerät. Wenn den Geschichtsrevisionisten statt
einer klaren Aussage nur Kulturgeschwurbel entgegengehalten werden
kann, sollte besser auf den Nachbau verzichtet werden, denn er bliebe
auch inhaltlich nur Fassade und könnte bestenfalls als Kuriosum
durchgehen. (Hanno Rauterberg: „Nichts als nationale Leere“). In diesem
Falle sollte man klar bekennen, dass das Schloss gar nicht gebraucht
wird und sich dann neu für eine moderne städtische Mitte entscheiden.
Schon die erste Ausschreibung hatte dafür interessante Vorschläge
eingetragen.
Jetzt sollte von Ihnen aber ein Signal ausgehen, das helfen könnte,
die Schlossrekonstruktion durch eine klare Legitimation doch noch zu
ermöglichen. Sie regieren ja heute im Roten Rathaus. Es wurde einst in
bürgerlichem Selbstbewusstsein als Gegen-Ort zu der
Hohenzollern-Zwingburg mit ihrer abweisenden Fassade errichtet, der
Stelle, von der aus die bürgerliche Stadt über die Jahrhunderte
geknebelt worden ist. Sie könnten (heute überlegen und völlig
angstfrei) Vorschläge machen, wie mit Preußen und dem Hohenzollern-Erbe
würdig umzugehen sei. Denn bei aller Raumnot von städtischen Kultur-
und Wissenschaftseinrichtungen kann es doch nicht angehen, dass wir uns
als Berliner schon darüber freuen, dass die Mitte unserer Stadt endlich
wieder bebaut wird. Wir müssen uns als traditionsbewusste Hauptstädter
mit Verantwortung beweisen!
Doch das ist zugleich Sache aller Deutschen. Vielleicht könnten Sie
anregen, dass die Abgeordneten aus allen Bundesländern, die sich 2002
das Preußenschloss als zentralen Ort für alle Deutschen gewünscht
haben, nun auch sagen, was sie davon erwarten? Das scheint mir schon
deshalb geboten, weil die Umfragen zeigen, dass das von den Politikern
damals präferierte Projekt bei den steuerzahlenden Bürgern momentan
keine Mehrheit findet. Wie so oft könnten auch in dieser Sache die
Politiker klüger und weitsichtiger sein. Sie müssten aber noch
nachreichen, was die Bürger mit diesem größten deutschen Bauvorhaben
gewinnen.
Ich sehe (und sage das auch als Nachfahre von durchaus kritischen
Domestiken des Hauses Hohenzollern) solchen Stellungnahmen von
Politikern aller deutschen Länder und Fraktionen mit großer Spannung
entgegen, erwarte ich doch einen erneuten Treuebeweis zu der über viele
Generationen von Preußen getragenen nationalen Idee der Deutschen.
Sicher wird aus diesen Antworten noch kein neues Nutzungskonzept
abzulesen sein. Sehr wohl aber die Richtung, in der weiter darüber
nachzudenken sein sollte.
Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung
Ihr wohlmeinender Bürger
Dietrich Mühlberg
Der Autor bei einer Kostümprobe für die bevorstehende Schlosseröffnung
Ein Postskriptum sei gestattet:
Zur Aufklärung über den obwaltenden Geisteszustand (sog.
Mainstream) in dieser Sache könnten Sie den Befragten einen Band
empfehlen, den Florian Langenscheidt bereits vor zwei Jahren
herausgebracht hat: „Das Beste an Deutschland: 250 Gründe, unser Land
heute zu lieben.“ Hier wird Deutschland – wie es anpreisend heißt - „in seiner
ganzen Vielfalt und Schönheit, Größe und Tiefe präsentiert“. Die
„Gründe“ für die Deutschlandliebe hat eine Jury gekürt, in die
bezeichnenderweise keine Politiker aufgenommen worden sind, dafür aber
viele beredte und betuchte „gute Deutsche“: Franz Beckenbauer, Sabine
Christiansen, Eric Bettermann, Graf von Faber-Castell, Petra Gerster,
Cosma Shiva Hagen, Wolfgang Ischinger, Giovanni di Lorenzo, Helmut
Markwort, Jean-Remy von Matt, Heinrich von Pierer, Friede Springer,
Ulrich Wickert, Anne Will und Jochen Zeitz.
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