Report | Kulturation 2/2007 | Dietrich Mühlberg | „Ein bayerischer Kommunist im doppelten Deutschland“
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Ernst Schumacher am 14. November bei der „Kulturdebatte im Turm“
Die „Kulturdebatte im Turm“ am 14. November war für Ernst
Schumacher die dritte Runde, in der er seine „Aufzeichnungen
1945-1991“, den Band „Ein bayerischer Kommunist im doppelten
Deutschland“ vorstellte. Dieser Abend war nicht annähernd so
spektakulär, wie der am 18. Oktober in München, als das dortige
Institut für Zeitgeschichte geladen hatte. Franziska Augstein sprach in
ihrem Bericht von einem „Pfingstwunder“: "Das IfZ hatte einen
waschechten Kommunisten eingeladen, einen der immer noch zum
Kommunismus steht, ja es hat sogar seine Tagebücher aus 5 Jahrzehnten
publiziert." Für die Vorstellung des Buches hatte das IfZ ausgerechnet
Peter Gauweiler engagiert. In „wütender Begeisterung“ war der zu dem
Schluss gekommen: "In diesem Buch finden sie alles, was wir immer
bekämpft haben." Dennoch: die Gegner aus alten Tagen erwiesen sich
(allerdings erst nach dem Ende der DDR) als Bayern, die die Heimkehr
des verlorenen Sohnes rührte (F. Augstein, "Ein roter Bayer im
schwarzen Institut für Zeitgeschichte", SZ vom 20. 10.).
Ähnlich auch im Plenarsaal der Akademie der Künste, wo am 5.
November Egon Bahr (mit 85 Jahren fast gleichaltrig) einen
versöhnlichen Grundton fand und das Buch des politischen Gegners von
einst ein "faszinierendes Panorama" nannte und als "eine persönliche
Zeitgeschichte der Zerrissenheit in einem zerrissenen Land" würdigte.
Auch im „Turm“ ging es in Schumachers Lesung vor allem um seine
politische Haltung und seinen heutigen Blick auf den Lebensabschnitt
zwischen Kriegsende und Untergang der DDR. Auch hier las er am Ende ein
Gedicht aus dem Jahre 1980, das er dann 2001 auf dem PC ins Reine
geschrieben hat:
sich nicht so wichtig nehmen
die meisten Bäume leben länger
auch der vollendete kommunismus
ist nicht das ewige leben …
die poesie war zu schön
die emphase zu treuherzig
die blauäugigkeit zu leuchtend
das trotzalledem zu mitreißend
die kaskaden der berge zu herausfordernd
…
was bleibt ist
die große wut im bauch
das nichteinverstandensein
das nichtannehmen seiner selbst
das sichnichtabfinden
das ungefügtsein …
Dies Gedicht bildet als „Dokument 83“ den Schluss des Bandes, mit
dem auf 720 Seiten für die Spanne von 1945 bis 1991 Aufzeichnungen von
Ernst Schumacher vorliegen. Es sind keine rückblickenden Betrachtungen,
sondern seine Notizen aus diesen Jahren, teilweise in der Form von
wertenden Jahresrückblicken auf das eigene Tun als Journalist, als
Theaterkritiker, Stücke- und Drehbuchschreiber, Poet und
Theaterwissenschaftler und da vor allem immer wieder als
Brecht-Forscher.
Aufzufinden sind diese Texte im Archiv der Akademie der Künste und
- nach langwieriger gründlicher Arbeit - nun in einer Auswahl als Band
24 der Serie „Biographische Quellen zur Zeitgeschichte“, der 2007 im
Oldenbourg Wissenschaftsverlag München erschienen ist. Der Band ist
gründlich kommentiert, bald ein Drittel des Textes sind kleingedruckte
erläuternde Anmerkungen des Herausgebers Michael Schwartz.
Der zählt in seiner „einführenden Skizze“ auch die Vorzüge dieses
biographischen Materials auf. Vor allem eben handele es sich eben nicht
um einen Erinnerungsband, sondern um subjektive Reflexionen auf das
jeweilige Zeitgeschehen, „eine bisher so nicht verfügbare, überaus
reichhaltige Quelle zur Erkundung der DDR-Kulturgeschichte … die ihre
subjektiven Beobachtungen und Urteile nicht ex post, sondern überaus
zeitnah gewonnen hat“ S. 44).
Bemerkenswert auch Schumachers „doppelte Perspektive“. Als
politisch Verfolgter bayerischer Kommunist in die DDR übergesiedelt,
habe er die gesamtdeutsche Situation nie aus dem Auge verloren und die
„West-Perspektive“ quasi in seine „Ostperspektive“ integriert.
Auch habe ihm die enge Bindung an den KPD-Apparat jene Beziehungen
zu einflussreichen Leuten der SED-Führung („Vernetzung mit hochrangigen
SED-Funktionären“, S. 31) eingetragen, die ihm Handlungsfreiheiten
jenseits der DDR-Normalität einbrachten und dem Leser nun zeit- und
kulturhistorisch interessante Einblicke in die Praxis der SED-Führung
ermöglichen.
Insgesamt bescheinigt der Herausgeber, dass Ernst Schumacher seit
seiner Konversion vom Katholiken zum „Kommunismus sowjetischen, ja
stalinistischen Typs“ ein Roter geblieben ist. Der habe sich zwar – wie
die anderen linken DDR-Intellektuellen auch – dem Untergang der DDR
nicht entgegengestemmt und seine Jahresbilanz 1989 überschrieben:
„keinen Gedanken verschwendet an das unabänderliche“. Dieses
vieldeutige Motto hat er schon damals mit einem Fragezeichen versehen.
Sicher an seiner Haltung zu diesem abgeschlossenen Kapitel seiner
Geschichte ist aber, dass ihm der historische Optimismus des
Kommunisten auch danach, in der letzten Lebensphase, nicht abhanden
gekommen sei.
Mit der „letzten“ Phase spielte der Herausgeber nicht auf das Alter
seiner Gewährsperson an, sondern auf eine Dreiteilung, die da den
heutigen Ernst Schumacher von dem jungen, durch Kriegserfahrung
pazifistischen Katholiken und dem darauf folgenden deutsch-deutschen
Kommunisten unterscheidet. Heute ist der an Marx und Brecht geschulte
Kritiker des Kapitalismus der „der alte mensch unter neuen
Verhältnissen“ (b.b.) und so las er im Turm am Frankfurter Tor vor
allem politische Texte und analytische Beobachtungen zur
DDR-Gesellschaft. Und dann legte er Wert darauf, auf seine katholische
Prägung und ästhetische Bildung in der sinnlich überbordenden
Kulturlandschaft seiner Kindheit und frühen Jugend, dem südbayerischen
Pfaffenwinkel hinzuweisen. An deren sakraler Pracht habe sich früh sein
Denken in Bildern geschult. Auch von Begegnungen mit Anna Seghers und
mit Zhou Enlai wurde berichtet. Und es konnte nicht ausbleiben, dass er
am historischen Orte – hoch oben in einem der beiden „Henselmann-Türme“
– etwas aus dem „Dokument 52“ von 1976 vorlas, in dem einige der
Anekdoten von Hermann Henselmann aufgezeichnet sind. Selbstverständlich
eine davon über Brecht (die andere über Propst Grüber).
Die Turmrunde interessierte sich dann vornehmlich für den
Theatermann und Hochschullehrer Schumacher. In den Aufzeichnungen
findet sich da seine heftige Kritik an der Unbeweglichkeit des
Hochschul- und Wissenschaftssystems, das trotz besseren Wissens so gut
wie nichts für eine „Theorie der darstellenden Kunst“ getan habe. Auch
das eigene Institut habe sich als starr und nicht begeisterungsfähig
erwiesen: „Gulliver von den Zwergen überwältig“. (367) Die Pflichten
des Hochschullehrers hätten sich für dieses Projekt als hemmend
erwiesen. Dem mag man beipflichten, doch wenn man liest, was da an
Theateraufführungen jährlich absolviert wurde (der Jahresbericht 1984
zählt 111 besuchte Vorstellungen auf, dazu 26 Kinofilme und
selbstverständlich etliche TV-Sendungen. Schumacher selbst hielt das
für deutschen Professorenrekord, 555/56), wie viele Theaterkritiken
erschienen sind, welche Verbandsfunktionen und internationalen Ämter
auszufüllen waren, wie exzessiv weit gereist wurde, welche Stücke und
Drehbücher in Arbeit waren, und welche Zeit überdies dem nachhaltigen
Hauptgegenstand Brecht gewidmet war, kann man über solche Produktivität
nur staunen. Lag es dann aber wirklich nur an der Ungunst der Umstände,
wenn es mit der Arbeit an der neuen Theorie nur langsam voran ging?
Vielleicht muss man der im Buch abgedruckten Beurteilung durch die
Bezirksverwaltung für Staatssicherheit eine gewisse Realitätsnähe
zugestehen (der Kommentator Schwartz nennt sie „gehässig“ und „ohne
jedes Gespür für wissenschaftliche Arbeit und Individualität“): „Er ist
für eine wissenschaftliche Gemeinschaftsarbeit nicht aufgeschlossen.
Eher neigt er dazu, ins Gigantische treibende Aufgaben allein
bewältigen zu wollen.“ (S. 588). Ist es üble Nachrede, wenn einem
bescheinigt wird, dass man zur Arbeit in Autorenkollektiven weder
Neigung verspürt noch Eignung besitzt?
Schumacher mag (wie andere auch) ein gutes Beispiel dafür sein, wie
gut sich monomanische Züge und soziales wie politisches Gewissen
vertragen, ja vielleicht bedingen. Denn wenn man versuchte, Schumachers
Leistung und Selbstverständnis in einem Satz zusammenzufassen, dann
lautete der wohl: Der Kommunist Schumacher verfocht im Sinne seines
Lehrers Brecht ein politisches Theater, das seine Mittel für die
Veränderung der Verhältnisse mobilisiert.
Zu solcher Zielsetzung gehört zwangsläufig ein gewisses dauerhaftes
Unbehagen am Erreichten, eingeschlossen gelegentliche Selbstzweifel.
Diese Eigenheit macht übrigens auch die „Aufzeichnungen“ so
aufschlussreich. Das gilt nicht nur für die anhaltende „Mängelkritik“,
die Schumachers Bekenntnis zur DDR von Anfang an begleitet hat (sehr
instruktiv die lange Liste der Unzulänglichkeiten von 1954, die den
westdeutschen Besuchern an der DDR unangenehm auffallen, S. 196 – 202).
Mit den 70ern wuchs vor allem sein kritisches Unbehagen am
Utopieverlust der nachwachsenden Künstlergenerationen. Immer weiter
habe sich schließlich jene Gleichgültigkeit gegenüber den
gesellschaftlichen Zuständen ausgebreitet, die Schumacher schon der
„Davonläuferin“ Sarah Kirsch vorgehalten hatte und bereits 1976 als ein
allgemeines Übel beklagte: entweder verfalle man auf einen
„unrealistischer Utopismus“ oder begnüge sich mit „bloßem Raisonieren,
dem keine Kraft zur Veränderung, auch kein ernsthafter Wille innewohnt“
(398).
Auf die aktuelle Kunstsituation angesprochen, mochte der Verfechter
des eingreifenden Theaters keine Besserung erkennen. Hier hat sich für
ihn offenbar nur verstärkt, was er vor 28 Jahren auf dem
Theaterkongress in Florenz erlebte: „die negative Utopie, rückwärts
gespiegelt. ich kam mir wie brecht in den usa vor: ‚aus dem zeitalter
herausgenommen’. meine position, unmissverständlich dargelegt, fand
wenig beifall. ich wurde als störenfried empfunden. der sozialistische
realismus ist ganz ‚out’ bei den westlichen künstlern. das
wesentlichere ist aber, dass sie keine anderen als negativen
vorstellungen über die zukunft haben.“ (S. 493) In der Turmdebatte
musste offen bleiben, wie weit ein pessimistisches Urteil über die
heutige Kunstsituation rechtens ist. Gern hätten die Anwesenden am Ende
des Abends weiter darüber diskutiert, ob und wo in den heutigen Künsten
Signale zu entdecken sind, die es wenigstens relativieren und die
geeignet wären, einen weitgreifenden historischen Optimismus zu
bestärken.
Ernst Schumacher
Ein bayerischer Kommunist im doppelten Deutschland
Aufzeichnungen des Brechtforschers und Theaterkritikers in der DDR 1945-1991.
Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Michael Schwartz.
720 S., 56 Abb. ISBN 978-3-486-58361-8, € 69,80
Biographische Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 24
R. Oldenbourg Verlag München 2007
Renate und Ernst Schumacher mit Jost Hermand nach der Turmveranstaltung
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