Report | Kulturation 2011 | Simone Tippach-Schneider | BilderBühnen – Leinwandszenen aus dem Kunstarchiv Beeskow, 1978 bis 1988
| Am
9. Oktober vorigen Jahres wurde auf der Burg Beeskow die Ausstellung
„BilderBühnen – Leinwandszenen aus dem Kunstarchiv Beeskow 1978 bis
1988“ eröffnet. Diese Präsentation kann noch bis zum 22. Mai 2011
besichtigt werden. Zur Ausstellung ist ein Katalog u.a. mit Beiträgen von sieben
Theatermachern erschienen, die die Werke ihrer malenden Kollegen
kommentieren: BilderBühnen. Leinwandszenen aus dem Kunstarchiv
Beeskow, 94 Seiten, 50 Farbabbildungen, Format 29 x 24 cm, Beeskow
2010, ISBN 978-3-00-031450-6, 14,50 Euro
Nachstehend wird in leicht gekürzter Fassung das Manuskript
der Rede veröffentlicht, die die Kuratorin zur Eröffnung der
Ausstellung gehalten hat.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Frank Castorf hatte in einem Interview über die Gruppe Silly einmal
geantwortet: „Ich war kein Fan ihrer Musik. Ich habe sowieso nicht
verstanden, wie man als Rockmusiker in der DDR bleiben konnte. Ich habe
mal zu Toni Krahl von City gesagt: ' Wenn Du Rockmusik schreiben
willst, musst du auf dem Highway sein. Da kannst du doch nicht dein
Plim-Plim im Komitee für Unterhaltungskunst machen.' Dieses Hofieren
der Staatsmacht. Die meisten DDR-Rockgruppen haben doch sowieso nur als
politische Multiplikatoren gewirkt. Um die Jugend zu erreichen.“ (Alexander Osang: Tamara Danz - Legenden, Berlin 1997)
Castorf illustrierte damit sehr klar seine Vorstellung von der Freiheit
in der Kunst. Das Zitat macht auch deutlich, dass die
Auseinandersetzungen über die widersprüchliche Rolle von Literatur,
Rockmusik oder Theater in der DDR erhebliche Parallelen zu dem Streit
um die Bilder aufweisen, die wir heute in der Ausstellung „BilderBühnen
– Leinwandszenen aus dem Kunstarchiv Beeskow“ zeigen werden.
Das Kunstarchiv Beeskow hat in seinem Bestand rund 23.000 Werke, die
seit den fünfziger Jahren von den Parteien und Massenorganisationen der
DDR und dem Magistrat von Berlin angekauft oder in Auftrag gegeben
wurden, davon allein 1.500 Tafelbilder. Mehr als die Hälfte dieser
Gemälde entstand im letzten Jahrzehnt der DDR und entgegen der gängigen
Meinung, in Beeskow lagere ein ideologiekonformer Kunstbestand, der nur
Aufbauromantik, Siegerpathos und gesellschaftliche Idylle abbildet,
lässt sich ein Großteil dieser Werke den Themenbildern zuordnen, die
Krieg, gesellschaftliche Konflikte und persönliche Ängste zum Inhalt
haben.
Die Ausstellung zeigt 25 großformatige Bilder, alles figurative
Arbeiten, in denen menschliche Figuren zentrale Symbolträger sind und
Botschaften vermitteln. Es sind thematische Arbeiten von drei
Künstlergenerationen, die als Studenten und Lehrer an den
Kunsthochschulen in Berlin, Leipzig, Dresden und Halle tätig waren und
deren unterschiedliche bildkünstlerische Arbeiten die Kunst der DDR
maßgeblich prägten. Darunter sind Lehrer wie Willi Sitte, Gabriele
Mucchi und Gerhard Kurt Müller, die mittlere Generation wie Peter
Hoppe, Hubertus Giebe, Heinrich Tessmer oder Ulrich Hachulla und junge
studentische Arbeiten von Roland Böttcher, Andreas Schmidt, Lothar
Rericha oder Neo Rauch. Die Künstler sind mit ihren Bildern auf
gesellschaftliche Konfliktfelder programmatisch eingegangen. Sie haben
wie viele Künstler in der DDR auf diese Weise dazu beigetragen, dass
die Kunst eine Begleit- und Kommentierungsfunktion für den
gesellschaftlichen Prozess übernahm und Sichtweisen anbot, die sonst
nirgendwo zu bekommen waren. Diese Dialogfähigkeit der Bildwerke machte
sie damals und macht sie auch heute noch anfällig für ihre
Instrumentalisierung, in deren Folge immer wieder ihre
Daseinsberechtigung als Kunst überhaupt in Frage gestellt wird.
Die Kunst aus der DDR steht seit 1989 heftig in der Kritik. Einige
sagen, das sei alles nur alimentierte Kunst, schmückendes Beiwerk für
Büros, Kantinen und Schulungsgebäude in der DDR gewesen und andere
meinen, die Kunst hätte den Charakter von Historienmalerei, sie sei
deutsch-provinziell und die Künstler seien in ihrer Arbeit zu sehr mit
dem Parteiapparat der DDR verflochten gewesen. Bereits Anfang der
achtziger Jahre machten junge Kunstkritiker in der DDR selbst auf die
Gefahren bei der künstlerischen Bewältigung von bestimmten Themen
aufmerksam. Die Polemik bemängelte grundsätzlich, dass die moralische
Intention der Künstler, mit ihren Bildthemen Politik herauszufordern,
immer offenkundiger, aber die formale Bewältigung als der eigentliche
Erkenntnisprozess in der Kunst immer fragwürdiger werde.
Diese Intention der Künstler ist historisch begründet. Seit der
Gründung der DDR 1949 hatten die Künste für sich in Anspruch genommen,
an der Bildung eines Bewusstseins teilzuhaben, das auf die
Verwirklichung einer großen Gemeinschaftsvision in einem neuen
Deutschland zielte. Die Mehrheit der bildenden Künstler, Regisseure und
Schriftsteller verband gleichermaßen die Hoffnung, an dem Projekt des
gesellschaftlichen Neubeginns im Osten Deutschlands und am Aufbau eines
sozialistischen Gesellschaftssystems mitzuarbeiten.
Herrschte in den Anfangsjahren der DDR noch weitgehend Einigkeit über
dieses Ziel, so verlor das Projekt doch spätestens nach dem Mauerbau
1961, dem Kulturplenum 1965 und dem Einmarsch der Warschauer
Vertragsstaaten in die ÈSSR 1968 seine verbindende utopische Kraft. Die
Spannungen zwischen utopischen Gedanken und realsozialistischem Alltag
wurden aber weiterhin im künstlerischen Diskurs ausgetragen. Theater,
Literatur, Film und bildende Kunst haben in der Auseinandersetzung mit
sozialistischen Positionen thematisch Vergleichbares verhandelt. Die
DDR war dabei immer ihr Gegenstand. Es ist eine Besonderheit der Kunst
der DDR, dass in vielen bildhaften Bezügen die sozialistische Idee und
der konfliktreiche Versuch ihrer Umsetzung unmissverständlich
durchscheinen.
Um neue Sichtweisen in der Auseinandersetzung mit dem Kunstbestand in
Beeskow zu gewinnen, habe ich Theaterwissenschaftler, Dramatiker und
Regisseure im Vorfeld der Ausstellung gebeten, sich den Bildern der
achtziger Jahre aus der Perspektive eigener Erfahrungen zu nähern. Mit
einer jeweils sehr persönlichen Lesart nahmen Thomas Oberender aus
Salzburg, Martin Linzer, Jörg Mihan, Andrea Koschwitz, Thomas Irmer und
Hartmut Krug aus Berlin und Barbara Kaesbohrer aus München einzelne
Kunstwerke in ikonografischen Beschreibungen auseinander und eröffneten
zum Teil ungewohnte Interpretationsräume. Indem sie sich den
Kunstwerken näherten, erinnerten sie auch an das, was zeitgleich in den
Theatern zu erleben war.
Gerhard Kurt Müller, Flüchtlinge, 1987 © Kunstarchiv Beeskow
In der DDR-Kulturpolitik stießen Texte, Bilder, Theaterinszenierungen
und Lieder mit direkten und unverschlüsselten Bezügen zu Alltag und
Politik auf höchstes Misstrauen und starrsinnige Abwehr, in deren Folge
regelmäßig Theaterstücke verboten, Bilder abgehängt und Künstler am
Arbeiten gehindert wurden. So ist es nicht verwunderlich, dass schon
Anfang der sechziger Jahre im Theater die schwierigen Wahrheiten nur
indirekt angesprochen worden waren. Benno Bessons Theaterinszenierung
zu Jewgenij Schwarz’ »Der Drache« von 1965 am Deutschen Theater hatte
sich ins kollektive Gedächtnis als erstes Anzeichen für den
Richtungswechsel zu einer verschlüsselten Sprache in den Künsten
eingeschrieben. Seitdem versuchten immer mehr Regisseure, vor allem
klassische Stücke der Antike für gegenwärtige Probleme aufnahmefähig zu
machen. Die bildende Kunst griff auf die Stilmittel der Dramatik
zurück, um Konflikte und Widersprüche sichtbar zu machen, ohne diese
konkret zu benennen. In der Kunst der DDR wimmelte es von motivischen
und stilistischen Zitaten, Metaphern, Symbolen, historischen und
literarischen Gestalten, so dass durchaus von einer Verschlüsselung als
methodisches Prinzip gesprochen werden kann. Die Ausstellung
„BilderBühnen“ liefert dafür beste Beispiele.
Unabhängig davon, ob Künstler historische Tatbestände ernsthaft
abfragten oder effektvoll und oberflächlich Gleichsetzungen vornahmen,
die sinnhaften Parallelen zur Gegenwart führten generell zu mehr
Realitätsnähe in der Kunst und schließlich zu einem wachsenden
Publikumsinteresse. So hatte sich in den achtziger Jahren in Bezug auf
die kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwart ein besonderes
Verhältnis zwischen Theater und Zuschauern entwickelt. In den Theatern
wurden kritische Töne erwartet und als solche verstanden. Das Publikum
war über die Jahre durch Erfahrungen – politisch wie künstlerisch – mit
gewachsen und hatte Lesarten entwickelt, anspruchsvollem Theater wie
Castorfs »Bau« und Müllers »Macbeth« ästhetisch zu folgen. Das gleiche
Publikum besuchte die zentralen Kunstausstellungen der DDR und forderte
indirekt Realismus, Wahrheitsgehalt und kritische Anspielungen ein. Für
das gleiche Publikum war das Lied „Am Fenster“ von der Rockgruppe City
immer mehr als ein Liebesbekenntnis, wenn sie mitsangen:
„Immer mit der Angst,
Dass man was versäumt,
Dass, das plötzlich alles war,
Abgeräumt, verschüttet, ausgeträumt.
Manchmal spürt man, wie die Zeit anhält.
Dann kamst du –
Jetzt flieg ich durch die Welt. Flieg ich durch die Welt...“
Die Forderungen der fünfziger und sechziger Jahre nach einem Realismus
in der Kunst, der den Fortschritt der Gesellschaft thematisiert, hatten
in den achtziger Jahren gewechselt zu Forderungen an einen Realismus
unter umgekehrten Vorzeichen. Die Kunst ging nun stärker und
engagierter auf Probleme und Spannungen in der DDR-Gesellschaft ein.
Viele Künstler verstanden sich als zeitkritische Kommentatoren über die
widersprüchlichen Lebensumstände in der DDR und zielten mit ihrer Kunst
auf Veränderung.
In Vorbereitung der Ausstellung „BilderBühnen“ konnte ich erneut
erleben, wie in den Diskussionen nicht die ästhetische Qualität der
Kunstwerke nachgefragt wurde, sondern die moralische Integrität der
Künstler. Im Zentrum des Bilderstreits scheinen nach wie vor nicht
künstlerische, sondern immer wieder moralisch-ethische Kategorien zu
stehen. Nach dem Motto: Sage mir, ob du ein Parteibuch hattest, und ich
sage dir, ob deine Kunst was wert ist.
Auch zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung provozieren nicht die
Kunstwerke, sondern die Biografien der Künstler. Überhaupt werden mit
jeder Thematisierung von Kunst in der DDR die inneren Widersprüche des
Staates und die Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West
wiederbelebt. Eckhart Gillen schrieb dazu vor einem Jahr „Nach der
Implosion der SED-Herrschaft innerhalb weniger Wochen bleibt bis zur
Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 keine Zeit, die aufgestauten
Konflikte im eigenen Haus zu bearbeiten. Der Bilderstreit wird daher zu
einer Ersatzbühne für eine große gesellschaftspolitische Debatte und
bestätigt die Rolle der bildenden Künste in der DDR als Kompensation
für die fehlende politische Öffentlichkeit.“ (Eckhart
Gillen: Die Kunstszene der DDR als Familienbande, der Beitrag wird in
erweiterter Fassung erscheinen in: Karl Siegbert Rehberg u.a. (Hg.),
Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch. Die Debatten um die Kunst in der
DDR als Stellvertreterdiskurs der deutsch-deutschen Wiedervereinigung,
Berlin 2010)
Da wäre zum Beispiel eine geradezu zwanghaft durchgeführte Einteilung
in offizielle und inoffizielle Kunst festzustellen. Die Werke der
Ausstellung „BilderBühnen“ werden der offiziellen Kunst zu geschrieben.
Also nicht der Kunst, die zeitgleich in der alternativen Szene
entstand, in der sich immer mehr Künstler einer inhaltlich-ästhetischen
Bevormundung entziehen wollten. Aber was schließen wir daraus?
Handelt es sich bei der offiziellen Kunst, nun um Bilder, die nur im
System der DDR Gültigkeit und nur dort ihre Berechtigung hatten und
haben? Wohl nicht. Ich möchte daran erinnern, dass gerade in den
achtziger Jahren die Kunst aus der DDR – protegiert durch die
offizielle Kulturpolitik und den Kunsthandel – eine große Akzeptanz in
westdeutschen Ausstellungen und Medien, bei westdeutschen Sammlern und
Käufern fand. Obgleich sie auch bekämpft wurde und zwar mit ähnlichen
Vorwürfen wie nach 1989. Der Bedarf des Kunstmarktes im Westen wirkte
auf die offizielle Kunstpolitik des Ostens zurück. Was wir in der
Ausstellung „BilderBühnen“ sehen, war gefragt in den achtziger Jahren
sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik. Sie übernahm eine
Vermittler- und Kommentierungsfunktion für die einen und war
potentielle Exportware für die anderen. In den achtziger Jahren häuften
sich größere Retrospektiven der Kunst aus der DDR in der
Bundesrepublik. Die erst offizielle Ausstellung fand mit Willi Sitte
1975 in Hamburg statt. Es folgte 1976 der spektakuläre Auftritt von
Mattheuer, Heisig, Tübke und Sitte auf der 6. dokumenta in Kassel. Und
Ende der siebziger Jahre waren es dann Industrielle wie Höchst, Ludwig,
BASF oder Salamander, die das Sammeln, Ausstellen oder Sponsoring von
Kunst aus der DDR übernahmen.
Peter Hoppe, memoria O. P. (Olof Palme), 1986 © Kunstarchiv Beeskow
Frank Eckart gab 1993 in dem Katalog von Dokumenten der alternativen
Kulturszene der DDR zu bedenken: „Beim Bilderstreit wird häufig
verschwiegen, dass die heute bekämpften Staatskünstler der DDR durch
die bundesdeutsche Wirtschaft mit ihrem Eigeninteresse im
innerdeutschen Handel und durch Mäzene gefördert wurden. Sie verhalfen
ihnen in Westeuropa vor 1989 zum Durchbruch.“ (Frank Eckart in: Eigenart und Eigensinn, alternative Kulturszenen in der DDR 1980-1990, Bremen 1993)
Und so kann die Ausstellung zwei Denkrichtungen anstoßen. Sie können
zum einen an konkreten Beispielen nachverfolgen, mit welchen
Kunstwerken gesellschaftlich relevante Themen begleitet oder
kommentiert wurden und inwieweit die Forderung nach eindeutig
konnotierten Bildinhalten der Malweise einzelner Künstler entgegenkam
oder sie einschränkte. Sie können zum anderen eine Antwort darauf
finden, warum diese Kunst vor 1989 im Westen so gut ankam. Die Bilder
der Ausstellung sind erkennbar deutsch – durch ihre Anspielungen,
Metaphern und Sinnbezüge, sie sind traditionsbewusst, vor allem in
ihrem Handwerklichen und durch ihre Rückgriffe auf Expressives,
Surreales, Veristisches und Altmeisterliches, sie sind inhaltsreich –
weil thematisch absichtsvoll auf gesellschaftliche Ereignisse abzielend
und sie sind moralisch erbauend, weil mahnend, warnend und
gesellschaftliche Prozesse in Frage stellend. Damit brachte die Kunst
ab Mitte der siebziger Jahre durchaus Abwechslung in die von
informeller Kunst, Minimal-Art, Konzeptkunst und Performance geprägte
Kunstlandschaft in Westeuropa.
Dass in den achtziger Jahren diese kritischen Themenbilder in der DDR
offiziell zugelassen waren, beruht letztlich auf zwei Tatsachen: Sie
ließen sich gut über die Grenzen hinweg verkaufen und sie wirkten als
Ventil für den Unmut einer erschöpften Gesellschaft, in der sich
Nachkriegswerte und Konsensbildung relativiert hatten.
Die Dramaturgin Andrea Koschwitz sieht in den Kunstwerken der achtziger
Jahre eine Unbedingtheit und Verlorenheit, die sie an die Anfänge ihrer
Theaterarbeit an der Seite von Frank Castorf in Karl-Marx-Stadt
erinnert. In ihrer Bildbetrachtung stellt sie verschiedenen Werken
einzelne Theaterszenen assoziativ gegenüber, und setzt sie zu ihrer
eigenen Theaterarbeit dieser Jahre in Beziehung. Die Expressivität
beider Kunstformen deutet sie gleichsam als Bruch mit herkömmlichen und
offiziellen Deutungs- und Bedeutungsmustern. Es schien die einzige
Möglichkeit, sich von künstlerischem und gesellschaftlichem Stillstand
zu befreien.
(Andrea Koschwitz, Expressive Kunst und Theater im letzten Jahrzehnt
der DDR, in: Simone Tippach-Schneider (Hg.), BilderBühnen,
Leinwandszenen aus dem Kunstarchiv Beeskow, 2010)
Mit der wirtschaftlichen Stagnation und der politischen Agonie im Land
begann in den achtziger Jahren der Ausstieg vielen Menschen aus den
kollektiven Denk- und Handlungsmustern. Der Rückzug in private
Schutzräume und Schutzbeziehungen erzeugte eine besondere Stimmung.
»Dableiben ohne Hoffnung«, nennt es der Theaterwissenschaftler Martin
Linzer: »In Karl-Marx-Stadt inszenierte Castorf 1987 Müllers BAU in
einer Weise, dass man wirklich annehmen konnte, die DDR sei eigentlich
schon zu Ende.«
(Martin Linzer, Theaterleidenschaft mit gordischem Knoten, Gespräch mit
Thomas Irmer und Matthias Schmidt in: Die Bühnenrepublik. Theater in
der DDR, Berlin 2003, S. 231)
Diese Grundstimmung von Teilnahmslosigkeit und Stillstand vermittelt
auch Walter Eislers Bild »Centrum-Warenhaus Leipzig« in der Ausstellung
„BilderBühnen“. Der junge Punk im Vordergrund des Bildes interessiert
sich nicht für sein Umfeld, und die Utopie der Gesellschaft hat sich
auf eine zufällige Ansammlung von Kaufhausbesuchern reduziert. Frank
Castorf bezeichnete diese Art des Ausstiegs als asozial im
unmittelbaren Sinne: »Das Ende der DDR von innen war der glorreiche
Sieg des Asozialen – indem immer mehr gesagt haben: Ich mache das Spiel
einfach nicht mehr mit – die Fassade, bitte sehr, aber jeder macht sein
eigenes Spiel. So kann man natürlich eine Kultur- und Industrienation
nicht auf einen erfolgreichen Kurs halten.« (Frank
Castorf, Ja, ja, weiter im Zusammenbruch, Gespräch mit Thomas Irmer und
Matthias Schmidt, in: Die Bühnenrepublik. Theater in der DDR, Berlin
2003, S. 259)
Vor allem die jüngere Künstlergeneration versuchte in den achtziger
Jahren – mit mehr oder weniger Erfolg – fernab von thematischen
Vorgaben und ausgefahrenen ästhetischen Gleisen eine eigene
künstlerische Sprache zu entwickeln. Hartmut Pinieks verfremdete
Bildorganisation mit figurativen Objekten in dem Bild »Familie
unterwegs« kommentiert beispielsweise nicht den Familienalltag in der
DDR, sondern sie verweist auf das über das Gegenständliche hinaus
gehende Immaterielle. Der Titel des Bildes wird zur Marginalie. In
Michael Zschochers Bild »Mann nimmt die Augenbinde ab (1945/1985)« sind
die Jahreszahlen unmittelbare Träger der Botschaft, so dass die Figur –
unzugänglich und verschlossen – von ihrer steten Vermittlerrolle
entbunden ist. Zschochers Bild verdeutlicht die Umkehrung von einer
materialisierten Botschaft zurück zur Idee von Farbe und Form.
Andreas Schmidt, Der Märchenerzähler ist da, 1985 © Kunstarchiv Beeskow
Ein außergewöhnlicher Künstler, der Hallenser Andreas Schmidt,
beschrieb im Tagebuch seine künstlerische Unfähigkeit für die
abbildhafte Darstellung der Welt und sehnte sich nach einem
unbekümmerten Umgang mit bildnerischen Mitteln. In seinem Bild »Der
Märchenerzähler ist da«, das auch zum Motiv der Ausstellung wurde,
hatte er direkte gesellschaftliche Bezüge vermieden und seine Sehnsucht
nach einer kommentarfreien Kunst offenbart. Schmidts sensibler und
gefährdeter Kosmos des Kindseins ist ein Gleichnis für den sensiblen
und gefährdeten Kosmos der freien Kunst in der Gesellschaft überhaupt.
Das ist meine persönliche Lesart. Ich möchte aber anmerken, dass gerade
diese nuancenreichen Haltungen der jüngeren Künstler in dem bisherigen
Streit um die Kunst noch immer seltsam unbemerkt geblieben und
unbearbeitet sind.
Bleibt zum Schluss die Frage: Welche Bedeutung haben diese vielen
Kunstwerke der DDR heute noch? Zum einen haben sie uns noch immer etwas
mitzuteilen. Sie können den nächsten Generationen sehr differenziert
Geschichte vergegenwärtigen, denn die Gesellschaft der DDR und das, was
sie im Inneren zusammengehalten und letztlich zu ihrem Ende geführt
hat, lässt sich ohne die Kunst überhaupt nicht begreifen. Zum anderen
hat eine tatsächliche Auseinandersetzung um die ästhetische Qualität
der Kunstwerke und ihrer Rezeption noch nicht stattgefunden, und sie
wird auch nicht stattfinden, solange politisch-moralische oder
ästhetische Pauschalurteile überwiegen und eine undifferenzierte
Einteilung in die Staatskünstler und die Künstler-Dissidenten den
Bilderstreit beherrschen. Die Kunstprozesse und Künstlerbiografien
waren in der DDR kompliziert und vielschichtig. Als Künstler zu agieren
war ein ständiger zäher Kampf um die Emanzipation der Kunst, der immer
mit Widerstand und mit Anpassung geführt wurde.
Die Kunst – auch die Kunst als ein Ereignis mit politisch-kritischem
Hintergrund – ordnet sich nicht den Gesetzen der Realität unter,
sondern im Idealfall den Gesetzen des Neuvollzugs – gegen die Realität.
Die Kunst ist ein Denken ihrer eigenen Situation und zielt auf ihre
Veränderbarkeit. Mit jedem Kunstwerk wird insofern auf die bisherige
Wirklichkeit der Kunst angespielt und zwar hinsichtlich ihrer möglichen
Überschreitung. Wer sich die Mühe macht und den Blick auf das einzelne
Kunstwerk und seinen Urheber lenkt, der erfährt etwas über die
Instrumente der Kunst, über schöpferische Untersuchungen der eigenen
Mittel, über die Wirklichkeit der Kunst und die Fähigkeit oder
Unfähigkeit zum Neuvollzug. Für die einen Künstler waren dabei die
äußeren Umstände in der DDR ideal, für die anderen bedeutete das
gesellschaftliche System das Ende ihrer Kunst, weil die Vielfalt der
künstlerischen Veränderungs- und Überschreitungsmöglichkeiten in der
Kunstpolitik und -praxis reglementiert wurde.
Ich habe meine Ausführungen mit einem Zitat begonnen und möchte mit
einem Zitat enden. Der im Januar verstorbene Kunsthistoriker, Galerist,
Museumsgründer und Hochschulrektor Klaus Werner schrieb 1991:
„Abstraktion und Informell galten als Ästhetik der Demokratie …
gegenüber dem sozialistischen Realismus, dem ästhetischen Stilmittel
des Totalitarismus. Diese Diskussion der Kunstkritik hatte viele
Argumente, aber nicht die Geduld der Berührung.“ Wenn ich Ihnen etwas
mit auf den Weg in die Ausstellung geben könnte, dann wäre es diese
Geduld für Berührung.
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