Report | Kulturation 2/2003 | Anna Scheer | „Generation 89!“
| Meistens
gibt es erst das Kind und dann einen Namen. Hier ist es andersrum: man
hat einen Namen, „Generation 89!“, und will nun wissen, wer so heißen
könnte. Vielleicht vermutet der Veranstalter, das „Forum Ostdeutschland
der Sozialdemokratie e.V.“, diese Generation in Berlin, im Stadtbad
Oderberger Straße, denn dorthin wurde am 29.Oktober abends geladen.
Womit die im Jahr ´89 geborene Generation ausgeschlossen ist – denn die
liegt um diese Zeit im Bett. Gemeint ist vielmehr die ostdeutsche
Jugend der Wendezeit. Die, aber vor allem deren Elterngeneration, saßen
nun erwartungsvoll in dem maroden Stadtbad, in dem seit 17 Jahren nicht
mehr gebadet wird. Dort ist es jetzt kalt wie in einem Bergwerk, aber
es kamen so viele, dass die Stühle nicht reichten und übriggebliebene
Kirchentagspapphöckerchen gereicht wurden.
Manfred Stolpe, der Vorsitzende dieses Vereins, zog seinen wärmsten
Pullover an, stellte sich in den tiefen Teil des Schwimmbeckens und
eröffnete die Suche nach der „Generation 89!“, dem „selbstbewussten
Osten“ wie es genau heißt. Er erinnerte, dass sie 2001 in einer großen
Veranstaltung in Leipzig untersucht hatten, ob der Osten in der
Literatur überhaupt zur Sprache komme. Seither entwickelte sich die
DDR-Erinnerungsliteratur zu einem funktionierenden Markenzeichen. Die
„Zonenkinder“ kamen auf die Bestsellerlisten, wurden talkshowfähig. Sie
hatten „Lust am Aufräumen“, so nennt es Wolfgang Thierse und der
Präsident des Deutschen Bundestages betonte nachdrücklich, dass diese
Ostdeutschen „selbstbewusst, nicht rückwärtsgewandt und ohne Nostalgie“
sind.
Der Kultursoziologe Wolfgang Engler dagegen hat grundsätzliche Zweifel
an diesem Generationsbegriff und dem Umgang mit der DDR-Geschichte.
Nach der „Überdramatisierung“ kommt nun die „Normalisierung“, in der
sich vieles auflöst. Die DDR ist für das Fernsehformat zurechtgemacht.
Es wird nicht die ganze DDR beleuchtet, sondern bleibt beschränkt auf
die 80er Jahre und die Großstädte. Außerdem, meint Engler, braucht es
für eine Generation mehr als nur gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse.
Für eine „Generation 89“ fehlt es an gemeinsamen Konzepten: es gab
nicht die Generation, die – wie zuletzt die 68er mit der Gründung von
„Die Grünen“ – Schlussfolgerungen aus der Situation zog.
Die Formulierung „ostdeutsches Selbstbewusstsein“ griff Steffen
Mensching in seiner Rede spielerisch auf, indem er das Internet
benutzte. Als Suchbegriff eingegeben gab es mehr Ergebnisse als für
„westdeutsches Selbstbewusstsein“ – aber „dies ist nur natürlich, sucht
man doch den Ausdruck weibliche Schwangerschaften auch vergeblich“. Der
Autor fragte nach Gründen zum Selbstbewusstsein der Ostdeutschen: Stieg
es proportional zur Arbeitslosenquote? Ist es „klammheimliche
ostdeutsche Schadenfreude“ angesichts der Krisen im Westen? Vielleicht
fühlt sich der Ostler überlegen: „haben schon einen Systemzusammenbruch
überstanden, werden auch diesen überleben“.
Krisenerfahren und dieses „Sowohl-als-auch-Sein“, beide
Gesellschaftssysteme zu kennen, zeichnet die „Generation 89“ aus, macht
sie kreativ – das ist, was in dieser Debatte immer wieder formuliert
wird. Auch das Podium, was anschließend diskutierte, wollte sich auf
keinen weiterführenden Generationenbegriff einigen. Jakob Hein, der mit
seinem Buch „Mein erstes T-Shirt“ zu den eher witzig-entspannten
DDR-Erinnerungsarbeitern gehört, sagte gleich zu Beginn: „Ganz
Deutschland ist die Generation 89.“ Dieses weitgesteckte Feld nun zu
beackern, gelang der Moderatorin Kerstin Decker nicht. Zwischen der
Journalistin und dem viel zu großem und komplex zusammengestelltem
Podium blieb eine Distanz. Auf sperrige Fragen folgten launische
Antworten wie von der Potsdamerin Enie van de Meiklokjes, die sich an
ihr Spielzeug erinnerte – „Pebe-Steine“, die wie Lego waren – und
forsch hinzusetzte: „Wir sind überall! Es gäbe im Fernsehen nichts mehr
zu gucken, wenn wir nicht wären.“
Jeder sollte mal sein DDR-Gefühl beschreiben: Die Autorin Jana Simon
fand, „Osten war nicht gerade cool“, weswegen sie sich vor der Wende
schämte, Ostlerin zu sein. Der Weimarer Galerist Frank Motz konnte der
DDR immerhin einen „Unterhaltungsaspekt“ abgewinnen. Thomas Krüger
findet seine Generation ausgesprochen heterogen, weil Umbrüche immer
ungewöhnliche Lebenswege fördern. Katrin Molkentin, SPD-Vize in
Brandenburg, erkannte: „Wir sind nicht Ostdeutschland. Wir haben ganz
andere Chancen als beispielsweise die in der Ostprignitz.“
Das Publikum schien wenig Gefallen an der uncharmant moderierten
Debatte zu haben, so dass die Hälfte ging, bevor überhaupt alle
Podiumsteilnehmer zu Wort kamen. Das Scheitern dieser Diskussion ist
symptomatisch für den Versuch, mit verschiedenen Wahrnehmungen eine
Geschichte zu erzählen. Keiner der vermeintlichen Vertreter dieser
„Generation 89“ will so sein wie ein anderer. Allen gemeinsam ist die
Skepsis gegenüber Vereinheitlichung unter vereinfachende Begriffe.
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