Report | Kulturation 2/2006 | Günter Mayer | Kritische Theorie, Kultur und Macht
X. Internationale Konferenz des Berliner Instituts für kritische Theorie
| Es
war nun schon die X. Internationale Konferenz des InkriT, die in diesem
Jahr zu Pfingsten (2. - 5. Juni) im Tagungshotel Esslingen bei
Stuttgart stattgefunden hat. Knapp 100 Teilnehmer aus 13 Ländern
(Bundesrepublik Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland,
Kanada, Mexiko, Niederlande, Österreich, Schweden, Schweiz, Spanien,
Türkei, USA) haben aktiv dazu beigetragen, dass die unter dem Dachthema
"Kritische Theorie, Kultur und Macht" geplanten 36
Einzelveranstaltungen mit guten Zwischenresultaten und vielseitigen
Anregungen für die weitere Arbeit erfolgreich realisiert werden
konnten.
Und darin liegt das Besondere der InkriT-Konferenzen: sie sind vor
allem konzentrierte Beratungen von Autoren, die am großen weltweiten
Projekt Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus
bereits vor – und nach - der Konferenz fast durchgehend auf der Ebene
des Internet in vielseitigen nationalen und internationalen Kontakten
mitarbeiten und jeweils einmal im Jahr zusammenkommen, um die
bisherigen Resultate der Arbeit am jeweiligen Band – es ist nun der
Band 7 (Kaderpartei bis Krisentheorien) und wenige Beiträge zu späteren
Bänden (8, 9 und 10) zu diskutieren, auf den aktuellen Stand der
gesellschaftlichen Widerspruchsbewegung und der wissenschaftlichen
Diskurse hin zu konkretisieren, die vorhandenen Kräfte zu stimulieren
und neue einzubeziehen. Diese ergebnisorientierte, kollektive
Projektarbeit unterscheidet die InkriT-Konferenzen sehr deutlich von
den allgemein üblichen wissenschaftlichen Kongressen/Konferenzen von
Philosophen, Historikern, Kunstwissenschaftlern, Ästhetikern usw., wo
Referateketten und Round-Tables meist unverbindlich aufeinander folgen,
häufig kaum aufs allgemein vorgegebene Thema bezogen sind und
bestenfalls in Protokoll-Bändern gebündelt publiziert werden.
Und schließlich besteht der wesentliche Vorzug darin, dass die
Teilnehmer in den InkriT -Konferenzen in den vielen Facetten der
gemeinsamen Arbeit am HKWM-Projekt seit 1994 regelmäßig konzentriert
die Formierung und Förderung der internationalen, marxistisch orientierten wissenschaftlichen Community sinnlich und theoretisch erleben und mitgestalten.
Dementsprechend wird in jeder dieser Konferenzen angestrebt, die
Teilung zwischen Sprechenden und Zuhörenden zu reduzieren, im
Brechtschen Sinne möglichst viele der Teilnehmer zu Wort kommen zu
lassen und sie aktiv in die Arbeit einzubeziehen. Die hauptsächliche
Arbeitsform sind daher die Wörterbuch-Werkstätten: in ihnen
wird die in der Regel bereits vor Beginn der Konferenz formulierte
Konzeption, bzw. Version des betreffenden, ins Konferenzprogramm
aufgenommenen Stichworts vom Autor vorgestellt (in 20-30 Minuten),
gefolgt von verschiedenen Kommentaren (Voten zu je 5-10 Minuten), die
auch schon meist vor Beginn der Konferenz bestellt worden sind. In
diesen Voten geht es darum, das Problemfeld des Stichwortes zu klären,
kritische Hinweise zu seiner Struktur zu geben, auf zusätzliche weitere
Materialien, Quellen zu verweisen, nicht nur Fragen zur Aktualisierung
des theoretischen Feldes aufzuwerfen, sondern dem Autor auch konkrete
Vorschläge zu weiteren Quellen, zur Konkretisierung und möglichen
Konzentration des Textes, seiner Abgrenzung von sachlichen
Überlagerungen mit anderen Stichwörtern zu unterbreiten, auch
persönliche Zuarbeit anzubieten usw. Danach ist das Gespräch für alle
anderen Teilnehmer des Workshops offen. Dieser wird jeweils von einem
vorher bestellten Moderator geleitet.
In diesem Jahr gab es je eine Wörterbuch-Werkstatt zu den folgenden Stichwörtern von Bd. 7:
Kapitalismus; kapitalistische Produktionsweise; Katastrophe;
Kausalität; Kazikentum; Kinder; Kitsch; Klasse/Rasse/Geschlecht; Klasse
an sich, Klasse für sich; Klientelismus; Klonen; Knechtschaft; Köchin;
Kommune/Pariser Kommune; Kontingenz; Korruption.
Im Vorgriff auf Bd. 8 gab es je eine Wörterbuch-Werkstatt zu: kulturelles Kapital, und Macht und Marktsozialismus, im Vorgriff auf Bd. 9 eine zu Migration, im Vorgriff auf Bd. 10 eine zu Neue soziale Bewegungen.
Neben den Werkstätten gab es Round-Tables zu den Themen: Neuer kritischer Marxismus in Russland sowie zu China quo vadis? und Necla Kelek und der Aufstand der Migrationsforscher.
Schließlich wirkten in der Konferenz als Klammer für alle
Teilnehmer einige Plenarveranstaltungen, einmal bezogen auf ein
wesentliches Stichwort von Bd. 7: zu Krieg; sowie im Hinblick auf die allgemeinen Themen Umrisse marxistischen Philosophierens und How To Live When Communism is a Necessity but Not a Given?
In diesem Jahr war noch ein zweites Projekt in das Programm der
Konferenz aufgenommen worden: die Neugestaltung der Zeitschrift Das Argument,
d.h. Beratungen über die Linie, Projekte, Autoren, Konflikte, über neue
kollektive Arbeitsformen, die künftig ebenfalls jährlich unter dem Dach
des InkriT bilanziert werden sollen. Anlass dafür ist die Neugründung
der Zeitschrift, mit der auf Grund der Veränderung der bisherigen
Daseinsbedingungen der Zeitschrift eine den Zeiten des Internet und der
Internationalisierung des akademischen Arbeitsmarktes entsprechende
Organisationsform entwickelt werden soll.
Es geht darum, einen anstehenden Vergesellschaftungsschub der
Zeitschrift zu erreichen, um im gnadenlosen Überlebenskampf am Markt
die wissenschaftlichen Rationalitätspotentiale der Linken zu bestärken
und die Argument-Kultur gegen rationalistische Verengungen auf
der Seite der Linken zu verteidigen, d.h. die Tradition einer linken
Theoriezeitschrift fortzusetzen, die unter Verzicht auf Illustrationen
und andere Mittel populärer Massenkommunikation versucht, die Sache der
Unterworfenen im Sinne Gramscis mit den besten Elementen der Hochkultur
zu verbinden. Die Arbeit an der Zeitschrift wie am Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus
vollzieht sich in einem Netzwerk, in welchem sich ständig neue Netze
knüpfen und alte wieder auflösen. Insofern ist die Struktur als eine
lernende angelegt, verbunden mit der Intention, dass mit der neuartigen
Einbindung der Zeitschrift ins Milieu des InkriT die Fortführung des
Gesamtprojekts im Hinblick auf das absehbare Ausscheiden seiner Gründer
angebahnt werde.
Wolfgang Fritz Haug hat in seiner Begründung einige wesentliche Argument-Maximen
in Erinnerung gerufen: "Schreiben, als ob es darauf ankäme (das
Privileg der Ohnmacht verschmähen); erwiderbar schreiben; die
Rationalitätspotentiale der Linken stärken (Abendroth); die
Widersprüche herausarbeiten (Widerspruchsansatz) statt Opferdiskurs und
‚politischer Korrektheit’; nichts Vorhandenes verdoppeln; Stilfragen
sind Hegemoniefragen."
Den Kern der Neugründung bilden im Rahmen des InkriT zwei neu
geschaffene Institutionen: 1. Der wissenschaftliche Beirat (dem ca. 150
Mitglieder angehören) und 2. Die Projektredaktionen. Letztere bestehen
nur auf Zeit. Die Mitglieder aller jeweils heftbezogenen
Projektredaktionen bilden zusammen mit den Herausgebern, der
Gesamtkoordinatorin und den Rezensionsredakteuren die
Redaktionsversammlung, in welcher Heftthemen und Textangebote beraten
und die zum Themenschwerpunkt hinzukommenden aktuellen Analysen und
sonstige Beiträge und Editorialentwürfe diskutiert und bearbeitet
werden. Während sich die Redaktionsversammlung mit der Bildung und
Auflösung der Projektredaktionen im Rhythmus des Erscheinens der Hefte
fortlaufend umschichtet, sind permanent arbeitende Organe der
Zeitschrift die Herausgeber: Frigga Haug, Wolfgang Fritz Haug, Peter
Jehle, die Gesamtkoordinatorin: Vanessa Lux und die
Rezensionsredakteure: Richard Heigl (Geschichte); Peter Jehle
(Literatur); Ingar Solty (Soziale Bewegungen und Politik); Thomas Weber
(Kultur); Wolfgang Fritz Haug (Philosophie); Jutta Meyer-Sieber/Frigga
Haug (Frauenredaktion). Permanent besteht auch der wissenschaftliche
Beirat, der in Planungsangelegenheiten konsultiert wird und
wesentlicher Teil des personellen Hintergrunds ist, aus dem sich die
jeweiligen Projektredaktionen rekrutieren und: dessen Mitglieder pro
Jahr eine Rezension zu schreiben haben.
Zu diesem Gesamtkomplex fand bereits am ersten Tage der Konferenz nach der Eröffnung ein Plenum statt: Zur Argument-Neugründung. Diesem folgten Argument-Heftprojekte zu den Themen Kapitalismuskritik und/oder Anti-Kapitalismus; Frauenredaktion: Liebesverhältnisse; Kulturwissenschaften/Kulturimperialismus; Zur Situation an den Hochschulen; China in Bewegung.
Am Sonntag, dem 4. Juni fand ein Feier-Abend statt: Zehn Jahre InkriT.
Die Programm-Ankündigung wurde so realisiert wie angekündigt: Am
Klavier Mathias Spahlinger und Gerd Rienäcker; Günter Mayer singt und
führt durch den Abend; Volker Braun und Karen Kramer-Ruoff lesen
Gedichte; Wolf Haug erzählt aus dem Innenleben eines Herausgebers von
vor vierzig Jahren und lässt zu seinem Siebzigsten eine Runde springen;
den satirischen Biss liefert der Stuttgarter Anstifter und Kabarettist
Peter Grohmann.
In der Auswertung der X. Konferenz ist Übereinstimmung erzielt
worden, dass die XI. vom 7. – 10. Juni 2007 wiederum in Esslingen
stattfinden soll.
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