Report | Kulturation 1/2008 | Horst Groschopp | Die „neuen Atheisten“, das „Ferkelbuch“ und der organisierte Humanismus
| Was hat ein Kinderbuch mit „neuem Atheismus“ zu tun?
Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg vom letzten
Freitag (15. Februar 2008) enthält das 36-seitige Kinderbuch "Wo bitte
geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" des Philosophen Michael
Schmidt-Salomon und des Zeichners Helge Nyncke, erschienen vor
Weihnachten 2007 im freidenkerischen „Alibri“-Verlag (Aschaffenburg),
keine strafbaren Inhalte. Es sei allerdings ein "perfides Machwerk in
der Maske des religiösen Kinderbuchs".
Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hatte Anfang Februar Strafanzeige
gestellt. Das Buch verfolge das Ziel, Kindern den Gottesglauben der
drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam als
unsinnig zu erklären. So würde im Buch beispielsweise der Vorwurf des
Kannibalismus gegen katholische Christen erhoben. Der Religionspädagoge
Albert Biesinger sagte dazu, er lasse sich „von niemandem als
’Menschenfresser’ titulieren, weil ich mich am Brotbrechen und
Kelchtrinken im Sinne des Auftrags Jesu beteilige."
In der aktuellen Debatte über Religion und Religionskritik, Kirche
und Staat, Wissenschaft und Glauben wird mit harten Bandagen gefochten.
Derzeit untersucht die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften“ auf Antrag des Bundesfamilienministeriums, ob das Buch
indiziert wird. Am 6. März soll ein Gremium, dem auch Vertreter der
Kirche, der Jugendhilfe und Autoren angehören, darüber entscheiden, ob
das Buch auf den Index kommt.
Vertreter säkularer Verbände, besonders Freidenker und Humanisten,
laufen, trotz teils starker eigener Vorbehalte gegen den Stil des
Buches, dagegen Sturm. Es werden im Wesentlichen zwei Argumente
angeführt, das der „Meinungsfreiheit“ und das des Rechts der Eltern,
selbst zu entscheiden, was ihre Kinder gefährdet und was nicht.
Besonders im „Humanistischen Pressedienst“ [www.hpd-online.de] und auf
einer besonderen „Ferkelseite“ [www.ferkelbuch.de] wird der Streit
fortlaufend dokumentiert.
Das „Ferkelbuch“, wie die Publikation in den Medien abgekürzt
genannt wird, wurde vom Verlag als das „frechste Kinderbuch aller
Zeiten“ angekündigt, als „Erste-Hilfe-Set für genervte Eltern“, als
„subversiver Erwachsenencomic“ und als „Heidenspaß für Groß und Klein“.
Bei letzterer Bezeichnung muss man wissen, dass „Heidenspaß“ sich
tatsächlich auf „Heiden“ bezieht und diverse Komitees v. a. in
Süddeutschland mit diesem Namen immer mal wieder demonstrativ
„Religionsfreie Zonen“ organisieren – wenn der Papst kommt oder
Kirchenfeste stattfinden.
Das Buch erzählt die Geschichte eines kleinen Ferkels und eines
kleinen Igels. Sie hatten immer „großen Heidenspaß", bis sie eines
Tages ein Plakat entdeckten, auf dem stand: „Wer Gott nicht kennt, dem
fehlt etwas!" Darüber erschraken die beiden sehr. Bisher wussten sie
nicht, dass ihnen etwas fehlen könnte. Als „Gottsucher“ besuchen sie
Rabbi, Bischof und Mufti, die sie sich zum Schluss in den Haaren
liegen. Sie sind gleichermaßen verrückt. Ferkel und Igel stellen nach
ihren überstandenen Abenteuern fest: „Und die Moral von der Geschicht':
Wer Gott nicht kennt, der braucht ihn nicht!"
Angesichts dieser Geschichte sprach der Berliner „Tagesspiegel“ am
4. Februar von einem „atheistischen Ferkel“. Es war aber besonders die
Ankündigung des Verlages, das „Ferkelbuch“ sei ein „Dawkins for Kids“,
die den Streit in eine grundsätzlichere Kulturdebatte einbrachte – in
die Debatte um den „neuen Atheismus“. Seit etwa einem halben Jahr
beschäftigt das Thema „neuer Atheismus“ einschlägige Magazine wie
„Spiegel“, „Stern“ oder „Focus“ und neuerdings auch „Maischberger“ und
„Kerner“. Sie reflektieren nicht nur die Debatte, sondern geben ihr die
Richtung, die sie hat: nämlich ein Medienereignis zu sein.
Um was geht es im „Ferkelstreit“?
Der Streit ist initiiert durch einen Indizierungsantrag aus dem
Bundesfamilienministerium wegen der im Buch angeblich zum Ausdruck
kommenden Blasphemie gegen alle drei großen monotheistischen
Weltreligionen, aber auch wegen des Vorwurfs des Antisemitismus (am
Beispiel des dargestellten Rabbi). Das ist zweifellos eine maßlos
überzogene Reaktion. Diese ist nur in ihrem Kontext verständlich.
Konservativen Kräften im Land soll das „Ferkelbuch“ als Exempel
dienen, dem erwachenden Selbstbewusstsein religionslos lebender
Menschen mit einer Kampagne zu begegnen. Gezielt wird auf radikale
Religionskritiker, getroffen werden sollen die Konfessionsfreien
allgemein, besonders dort, wo sie ihre Interessen anmelden:
Religionsunterricht, Jugendweihe, Sterbehilfe – um nur drei Hausnummern
zu nennen.
Die Kampagne gegen das „Ferkelbuch“ nahm zeitweise in einigen
Medien Formen einer Erweckungskampagne gegen Aufklärung, Atheismus und
Humanismus an. Dabei spielte immer weniger das Büchlein selbst eine
Rolle. Die Debatte selbst nahm insgesamt einen „merkwürdigen Verlauf
und ist deshalb ein besserer Gegenstand der Analyse als das Buch
selbst“, schrieb Lorenz Jäger am 4. Februar 2008 in der FAZ. Die
Öffentlichkeit erlebt einen „Kulturkampf“.
Auf diesen soll im Folgenden in dessen Bezug auf den „neuen
Atheismus“ eingegangen werden, weil dies die kulturelle Frage am
Klarsten ausdrückt, um die es geht: Wie halten es die Atheisten,
Agnostiker und Humanisten mit den Religionen und deren Organisationen?
Zu den politischen Implikationen, wie sie z.B. im „Humanistischen
Verband“ (HVD) gesehen werden, hat sich der Autor dieses Textes
(ebenfalls im Humanistischen Pressedienst) am 5. Februar 2008
umfänglich geäußert. Dort findet sich am 7. Februar auch ein Artikel
Berliner Lebenskundelehrer unter der Überschrift „Religionen
humanistisch erklären“, der im Streit der Säkularen dem Vorwurf zu
großer Religionsfreundlichkeit ausgesetzt ist. („Humanistische
Lebenskunde“ ist ein freiwilliger Bekenntnisunterricht, der in Berlin
und neuerdings auch Brandenburg als Alternative zum Religionsunterricht
vom HVD an Schulen angeboten wird und den derzeit 45.000 Schüler
frequentieren.)
Inzwischen herrscht im „Ferkelstreit“ so etwas wie Ruhe vor dem
Sturm, denn zum ersten hat der Generalsekretär des „Zentralrates der
Juden in Deutschland“ am 6. Februar 2008 verlauten lassen: „Der
Meinung, das Buch sei antisemitisch, kann man so nicht folgen, da es
gleichermaßen alle drei großen monotheistischen Religionen verleumdet.
Es ist einfach Antireligion, Anti-Gottes-Glaube und alles, was sich
daraus ergibt.“
Zum zweiten hat sich der Ton in der Öffentlichkeit gemildert,
besonders seit Thomas Klingenmaier in der „Stuttgarter Zeitung“ am 7.
Februar 2008 schrieb: „Nun haben eben mal zwei Atheisten ein wenig
schmeichelhaftes Bild des organisierten Glaubens gezeichnet, ein
unangenehm didaktisches atheistisches Gegenstück zu den vielen naiven
Bilderbüchern, Traktätchen und Kinderbibeln, die Glaubenswerbung
betreiben und Religion als rosarote Flauschigkeit oder als Sammlung
spannender Abenteuer mit einem gütigen Wächter im Himmel darstellen.
Das kann man aushalten, das verstört auch Kinder viel weniger als
manche Gruselmär von Höllenstrafen. Über unterschiedliche Positionen
muss man reden können. So und nur so lassen sich die Karikaturen
zürnender Fanatiker widerlegen.“
Drittens steht das Bundesfamilienministerium nach wie vor zu seinem
Antrag und dieser wird am 6. März 2008 vor der „Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien“ geheim vor einem 12er Gremium verhandelt,
nach Anhörung der Kläger und der Produzenten.
Was ist der „neue Atheismus“?
Eine Gruppe vorwiegend naturwissenschaftlich tätiger
Intellektueller führt seit etwa vier Jahren einen neuen Kampf gegen
Religion. Der Begriff „Die Neuen Atheisten“ ist noch jünger. Er wurde
am 23. Oktober 2006 – also erst vor 16 Monaten – von Gary Wolf, dem
amerikanischen „Executiv Poducer“ des Internetportals „Wired.com“ in
dem Artikel „Battle of the New Atheism“ benutzt.
Er definierte ihn wie folgt: „So lautet die Herausforderung der
Neuen Atheisten: Wir sind dazu aufgerufen, wir lockeren Agnostiker, wir
hingebungslosen Ungläubigen, wir unbestimmten Deisten, denen es
peinlich wäre, antike Absurditäten wie die Jungfrauengeburt zu
verteidigen oder die Behauptung, dass Maria in den Himmel aufgefahren
sei ohne vorher zu sterben, oder jeden anderen himmelschreienden
Mythos. Das fordert uns auf, uns Unentschlossene, diesen lähmenden
Fluch zu exorzieren: Den Fluch des Glaubens.“
Richard Dawkins, der englische Evolutionsbiologe und wichtigste
Theoretiker des „neuen Atheismus“, hat den Vorwurf des „Gotteswahns“
erhoben. Mit der Kennzeichnung religiösen Glaubens als „Wahn“
(Einbildung, Dunstbild, Erfindung, Hirngespinst, Täuschung, Trug,
Aberglaube, Ekstase ...) ist eine Sprache (erneut) in die
Religionskritik gekommen, deren Ton zwar aus amerikanischen
Verhältnissen heraus (christliche Erweckungsbewegungen, Kreationismus)
verständlich, aber für deutsche Verhältnisse neu ist. Dawkins selbst
(„Imagine No Religion“) ergänzt seine Beweise, dass es Gott als
„Meister-Ingenieur“ nicht gebe, dass dies schließlich jeder Idiot
erkennen könne.
Michael Shermer („Rational Atheism“), selbst atheistischer
Skeptiker, beobachtet seit der Jahrtausendwende eine neue Militanz
unter Religionsskeptikern. Sam Harris bezeichnet in der „Washington
Post“ (29. August 2007) Gläubige als „religiöse Spinner“. Christopher
Hitchens („Belief in Belief“) spricht vom „Gangstertum“ und der
ausbeutenden Seite der Religion und ihrer nicht weniger klaren Neigung,
Kriege, Gräueltaten und Verdrängungen auszulösen. Religion vergifte
alles und (so der deutsche Buchtitel) „Der Herr ist kein Hirte“:
Glauben sei Dummheit und wer ihr folge, gehöre „zu den Kleinkindern
unserer Spezies.“ Die einheimische Variante dieses Vorwurfs ist etwas
milder gefasst, aber nicht weniger respektlos: „Glaubst Du noch oder
denkst Du schon?“
Vielen, auch Gutmütigen, nicht nur Theologen und
Religionsfunktionären, auch Atheisten und organisierten Humanisten
erscheint dieser Stil als nahe an der „Gier nach
Skandalöffentlichkeit“, als „Anti-Religion-Agitation“ oder gar als
„zähnefletschender Atheismus“, gerade in einer kulturellen Situation,
die Peter Sloterdeijk kürzlich in seinem neuen Buch „Gottes Eifer“ –
bezogen auf die europäischen Religionsverhältnisse – so beschrieben
hat, dass in der säkularen Zivilität der Gegenwart ein abgeklärter
Monotheismus den Eifer für einen Gott längst institutionalisiert und
gemildert habe. Wer die Zivilisation erhalten wolle, brauche
demographische Aufklärung, eine Entwicklungspolitik, die
Machtstrukturen aufbricht, und eine Kulturwissenschaft, die verstehen
hilft, wo sich diese zivilisatorischen Impulse auch in einer religiösen
Sprache äußern.
Wo finden wir den „neuen Atheismus“?
Das „Ferkelbuch“ wird in der Öffentlichkeit als Zeichen des „neuen
Atheismus“ wahrgenommen, zumal es die Schöpfer – wie oben bereits
erwähnt – als „Dawkins für Kids“ ankündigten. Wer sich über die „neuen
Atheisten“ und ihre Ideen informieren möchte, schaut am Besten
ebenfalls in den „Humanistischen Pressedienst“. Dort sind auch die
obigen Zitate entnommen. Seit 21. Februar 2007 steht dort immer
freitags ein von Andreas Müller meist aus dem Englischen oder
Amerikanischen übersetzter Text – also inzwischen mehr als zwanzig
Originale, seit kurzem auch Videos und Comedy Shows per Link zu
„Youtube“.
Eine zweite Quelle ist die Homepage der deutschen „Brights“ (die
„Klaren“, „Hellen“, „Erhellten“), wo auch die entsprechenden Bücher,
Zeitschriften, Homepages und Blogs regelmäßig ausgewertet werden und wo
der gleiche Andreas Müller, ein junger Würzburger Literatur- und
Anglistikstudent, Redakteur beim hpd, viele Texte und Autoren
vorstellt, die sich neuatheistisch äußern, vom berühmten
Wissenschaftler bis zum bekannten Komiker.
Eine dritte Quelle ist eine Vielzahl von Büchern, die in den
letzten Jahren meist auf Englisch, nun zunehmend auf Deutsch erschienen
sind und die sich alle mit „Gott“ beschäftigten. Sie wurden
geschrieben, um dessen Nichtexistenz zu beweisen, sei es in den
klassischen Argumentationen der Widerlegung der so genannten
Gottesbeweise, sei es in Form von Ideengeschichten oder in neueren
Erörterungen des Theodizee-Problems.
Wichtig ist hier, dass neuerdings Weltanschauungssysteme
vorgestellt werden (sozusagen „Weltall – Erde – Mensch“), die entweder
ohne Humanismus auskommen wollen oder zu können meinen; oder aber sich
nicht als „neuer Atheismus“ verstehen, sondern einen „neuen Humanismus“
vorstellen, der seinen Anhängern eine evolutionäre Weltanschauung und
deshalb wissenschaftlich („naturalistisch“) begründbar ist. Zu
verweisen ist hier auf Michael Schmidt-Salomon, der 2005 ein
entsprechendes „Manifest des evolutionären Humanismus“ verfasst hat,
und auf die „Giordano-Bruno-Stiftung“.
Was ist überhaupt Atheismus?
Atheismus ist eine weltanschauliche Grundhaltung des Nichtglaubens
bzw. des Fehlens eines Glaubens an einen Gott, wobei das Wort Glauben
im Sinne von „annehmen“, „etwas für wahr halten“ und „vermuten“
interpretiert und auf Religion, besonders – hierzulande – die
christliche, aber immer mehr auch die islamische bezogen wird.
Bei „Atheismus“ geht es um Nicht-Glauben im Gegensatz zu
theistischen (meist sogar monotheistischen) kulturellen Konstruktionen.
Dabei gibt es zwei Interpretationsvarianten, in denen Atheismus
gewöhnlich gebraucht wird, die für unser Thema nicht unwichtig sind,
nämlich zum einen als ausdrückliche Verneinung der Existenz einer
Gottheit (oder mehrerer Götter; Beispiel: Es gibt keinen Gott) und zum
anderen als ausdrückliche Verneinung transzendenter Wesen überhaupt
(Atheologie; Beispiel: In der Natur wirken natürliche Gesetze, die ich
nicht Gott nenne; oder: Gott ist nicht das Unbekannte an sich).
Wichtig für das Verständnis der aktuellen Debatte ist, dass stets zwei Dimensionen des Atheismus zu unterscheiden sind.
Die erste fragt nach einem häufig diffusen und zwischen
lebenspraktischem Materialismus und theoretischer Einsicht
angesiedeltem Selbstverständnis. Bezogen auf die DDR spricht man hier
von „Volksatheismus“, der gar nicht mehr fragt, ob es einen Gott geben
könnte. Schon die Frage wird häufig nicht verstanden oder abgelehnt. Am
Treffendsten ist hier das von Friedrich Engels stammende Zitat, bezogen
auf Arbeiter im schönen Wuppertal vor 1848, die sind: „Mit Gott einfach
fertig“. Ein kirchlich inspiriertes Buch von Alfred Hoffmann (Leipzig
2000) über den DDR-Atheismus trägt diesen Titel. – Papst Benedict XVI.
hat es eleganter ausgedrückt, worum es dabei geht: „Schwerhörigkeit für
Gott“.
Die zweite Dimension sieht im Atheismus ein institutionell
geprägtes Phänomen und will wissen, wer welche kirchenfernen
Einrichtungen nutzt, welche und wie viele davon zur Verfügung stehen
und wie es mit der Zugehörigkeit zu weltlichen Organisationen aussieht.
Hier geht es um die Lebenspraxis, z.B.: Jugendweihe oder Konfirmation,
Kulturhaus oder Kirche, Kirche oder HVD usw.
Für das Verständnis der aktuellen Debatte um den neuen Atheismus
sind noch drei Merkwürdigkeiten festzuhalten. Erstens die, dass diese
vielen Dimensionen von Atheismus im „neuen Atheismus“ gar nicht
reflektiert werden. Es geht vielmehr fast allein um die Wahrheitsfrage
in Weltanschauungen im Gegensatz zu Nichtwahrheiten in Religionen,
wobei diese in aller Regel ernst genommen werden in ihren Aussagen, was
mitunter auch zu skurrilen Beweisführungen führt, denn bekanntlich sind
die Wahrheiten des Lebens nicht unbedingt naturwissenschaftlich
feststellbar.
Zweitens wird Religion recht eindimensional als falsche Erkenntnis
oder gar Ideologie wahrgenommen, weniger als Kulturphänomen mit einer
entsprechenden Geschichte, die mehr ist eine „Kriminalgeschichte des
Christentums“, wie ein mehrbändiges Werk von Karlheinz Deschner heißt.
Der „Deschner-Preis“ der „Giordano-Bruno-Stiftung“ wurde am 12. Oktober
2007 in Anwesenheit des Namenspatrons an Dawkins verliehen.
Drittens wird weitgehend verkannt, dass sich Atheismus auf Theismus
bezieht und dessen Formen und Inhalte zu widerlegen versucht. Er ist
kein Gegensatz zu Religion generell, da es im Panorama der
Gläubigkeiten zahlreiche Religionen, „Sekten“, religiöse Sondergruppen
und Gemeinschaften gibt, die ohne Gott oder Götter auskommen. Der
allgemeine Gegensatz zu Religion wäre Nicht-Religion, Nicht-Glauben,
Humanismus (wenn er als solcher gefasst wird) oder auch Sozialismus,
wie ihn die frühe Arbeiterbewegung verstand (vgl. hier das Buch von
Sebastian Prüfer: Sozialismus statt Religion, Berlin 2002).
Warum „neuer“ Atheismus?
Es ist zunächst festzuhalten, dass der Atheismus-Vorwurf so alt ist
wie theologisches Nachdenken über die eigene und die fremde Religion.
Glaubenden, wenn sie an einen Gott glauben, gilt der eigene Gott stets
als Wirklichkeit. Der eigene Gott ist der wahre Gott, weil sonst die
Glaubenden ja keine Gläubigen hinsichtlich ihres eigenen wahren Gottes
wären. Glaubende, die an einen anderen Gott glauben, glauben in den
Augen der anderen an einen falschen Gott. Sie sind Atheisten
hinsichtlich dieses (eigenen) wahren Gottes. So erschienen die ersten
Christen den Römern als Atheisten und die Protestanten den Katholiken
und die Christen vielen Moslems usw. (und in der Gegenwart lehnt
besonders die Katholische Kirche gemeinsame religiöse Feiern mit
Muslimen ab, weil diese an einen anderen Gott glauben).
Es sind zwei mögliche Herangehensweisen zu konstatieren, das
Problem überhaupt zu formulieren, was Atheismus ist: Es handelt sich
hier – grob gesprochen – sowohl um eine philosophische und eine
wissenschaftliche. Dass beide Verfahren zu unterscheiden sind, hat
kulturelle und erkenntnistheoretische Gründe. Philosophie kann
wissenschaftlich betrieben werden, ist aber selbst keine Wissenschaft:
Sinnfragen sind nicht wissenschaftlich beantwortbar. Wissenschaft
wiederum kann betrieben werden, ohne ihre Ergebnisse philosophisch zu
vertiefen. Sinnfragen werden dann nicht gestellt.
Wissenschaft als Philosophie und Philosophie als Wissenschaft zu
sehen ist so alt wie der moderne Atheismus. Es war dies eine der
Hauptfragen in der Philosophie des 18. Jahrhunderts. Wohl in dieser
Zeit beginnen auch Versuche, an die Stelle des religiösen Glaubens eine
„wissenschaftliche Weltanschauung“ zu setzen. Die ganze Sache – das
Verhältnis von Wissenschaft und Philosophie und der „Weltanschauungen“
mittenmang – ist vornehmlich ein Produkt der Freidenkerei und der
Aufklärung und damit auch der Geschichte freigeistiger, freireligiöser,
freidenkerischer, humanistischer Organisationen (vgl. H. Groschopp:
„Dissidenten“, 1997). Es hat diese Vermengung immer gegeben und
insofern ist der „neue Atheismus“ nicht neu.
Dazu ist aber eine Ergänzung nötig, denn diejenigen, die sich als
„neue“ Atheisten sehen, sehen diese Unterscheidung in aller Regel
nicht, wollen sie auch nicht sehen, arbeiten überhaupt nicht historisch
oder gar kulturhistorisch. Das hat sehr viel mit ihrem Herkommen und
ihren Absichten zu tun – und selbstverständlich mit aktuellen
Situationen, die alten Fragen neu aufwerfen, sie als neue Fragen
erscheinen lassen, besonders dem Publikum gegenüber.
Die „neuen Atheisten“ bewegen philosophische Fragen des 18. Jh. gut
vermengt mit sehr aktuellen Fragen der Genetik, der Evolutionstheorie
und der Hirnforschung – und das macht ihre Lektüre spannend, deshalb
finden sie Interessenten.
Was charakterisiert die „neuen Atheisten“?
Es sind zunächst die „Brigths“ von den „neuen Atheisten“ zu
unterscheiden. Nach ihren Selbstauskünften sind die „Brights“ eine
naturalistische Bürgerrechtsbewegung, die per Aufklärung und Netzwerken
im Internet auf Probleme von Konfessionsfreien hinweisen will, die sie
vor allem in religiösen Angriffen auf deren Überzeugungen sieht.
Die „neuen Atheisten“ wiederum legen Wert darauf, damit nicht
verwechselt zu werden. Denn genau genommen handelt es sich hier um vier
bis fünf amerikanische, britische und kanadische Intellektuelle,
nämlich Sam Harris, Richard Dawkins, Christopher Hitchens, Daniel
Dennett und PZ Myers, die zum Teil (und dies eher locker) sich selbst
zu den „Brights“ rechnen bzw. dazu gerechnet werden.
Neuere atheistische Schriften – im Folgenden werden nur einige
deutsche genannt – von Franz Buggle, Eric Hilgendorf, Norbert Hoerster,
Burkhart Müller, Bernulf Kanitscheider, Ernst Salcher, Paul Schulz sind
genau genommen nur schwer unter die „neuen Atheisten“ zu rechnen, auch
wenn jetzt, besonders in den Medien, alle darunter gezählt werden, die
sich atheistisch äußern. Aus der Fremdzuschreibung, zu den „neue“
Atheisten zu gehören, ist inzwischen weitgehend eine Selbstbezeichnung
geworden. Außerdem: Wer will schon zu „alten Atheisten“ gehören?
Die „Brights“ haben sich, z.B. auf der entsprechenden Homepage,
klar definiert. Ein „Bright“ ist eine Person mit einem naturalistischen
Weltbild, das frei von übernatürlichen und mystischen Elementen ist und
dessen Ethik und Handlungen auf einem naturalistischen Weltbild
basieren. Die Bewegung wurde 2003 von Mynga Futrell und Paul Geisert
ins Leben gerufen. Ursprünglich war sie vor allem eine Reaktion auf die
Ausgrenzung und Diskriminierung, der Naturalisten in den Vereinigten
Staaten ausgesetzt sind. Das Kunstwort „Bright“ ist entstanden, weil
„Atheist“ in den USA geradezu ein Schimpfwort ist. Man wollte diesem
mit einem positiven Begriff begegnen.
Die „neuen Atheisten“ sind weitgehend eine Medienerfindung ohne
klare Definition. Manchmal sind das die wenigen (aber doch
einflussreichen) oben genannten Autoren, manchmal machen diese in ihren
Interviews und Vorträgen eine Bewegung daraus. Häufig sagen sie, sie
seien „Skeptiker“, die in Deutschland ihre organisatorische
Entsprechung in der GWUP haben, der vor zwanzig Jahren entstandenen
„Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von
Parawissenschaften“. Doch zeichnet sich diese Vereinigung hierzulande
gerade dadurch aus, dass in ihren Reihen auch Nicht-Atheisten, selbst
Theologen, organisiert sind
Der stärkste Unterschied zwischen den „Brights“ und dieser Handvoll
Intellektuellen ist die Haltung zur Religionskritik. Die „Brights“ sind
daran weniger interessiert, während sich die „neuen Atheisten“ gerade
darin exponieren, Gottes Existenz pausenlos zu bestreiten. Sie agieren
dabei sehr medien- und trendbewusst. Sie erscheinen als Gruppe, obwohl
sie kein gemeinsames Konzept haben.
Was ist „organisierter Humanismus“?
Der organisierte Humanismus ist eine Folge der Säkularisation seit
Beginn des 19. Jahrhunderts und der Herausbildung von
konfessionsfreien, ethischen und bürgerrechtlichen Organisationen, die
sich auf ein humanistisches Programm verpflichten, sich aber (wie
aktuell die „Humanistische Union“) nicht unbedingt weltanschaulich
festlegen, wie es der „Humanistische Verband“ tut.
Humanismus war seit dem Ende des Mittelalters eine aufklärende
kulturelle Bewegung, die sich dadurch auszeichnete, keine „eigene
Religion“ sein zu wollen. Der Universalitätsgedanke der Menschenwürde,
zuerst von Pico della Mirandola vorgetragen, der Toleranzgedanke von
Erasmus von Rotterdam und der Staatsgedanke Machiavellis prägen den
frühen Humanismus. Die unbedingte Religions-, wie besonders die
Kirchenkritik, und damit der Atheismus, aber mehr noch der
Agnostizismus, die Evolutionslehre und Erkenntnisse der modernen Natur-
und Gesellschaftswissenschaften und die politische Theorie der Trennung
von Staat und Religion kamen im 19. und besonders im 20. Jahrhundert
ebenso hinzu wie Marx’ Kapital- und Freuds Psychoanalyse.
Den humanistischen Ideen folgend, sind eigentlich alle Mitglieder
der Gesellschaft Humanisten, wenn sie diese Leitideen mittragen. Die
Frage ist nun, ob der Humanismus ein universeller Kulturanspruch der
Selbstbestimmung für alle und Toleranz allen gegenüber sein kann, aber
zugleich den Anspruch erheben darf, eine besondere Weltanschauung einer
bestimmten Gruppe zu sein, die den Humanismus vertritt und die sich
Humanisten nennen.
Für gesonderte humanistische Organisationen spricht, dass es
erstens der Humanisten als sozialen Trägern einer Idee gegenüber
anderen Ideen bedarf; und dass es zweitens nach wie vor der Aufhebung
sozialer, staatlicher und gesellschaftlicher Privilegien bedarf, z.B.
der kirchlichen, die eine Gleichbehandlung aller Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften und damit aller Menschen einer
Gesellschaft behindern.
Hier nun kommen der Atheismus allgemein und der „neue“ im
Besonderen ins Spiel. Einige Konzepte der organisierten Säkularen sehen
nämlich Religionen nur als zu überwindende Kulturauffassungen. Ein
weitgehend atheistisch verstandener „neuer“ Humanismus wird als
„Leitkultur“ formuliert und den christlichen, muslimischen, jüdischen
usw. „Leitkulturen“ entgegengestellt – im „Ferkelbuch“ exemplarisch
vorgeführt. Konzeptionell folgert daraus, dass der organisierte
Humanismus sich v.a. als „Konkurrenz“ den Religionsgemeinschaften
begreift, besonders zu den Kirchen.
Ein anderes humanistisches Konzept will diese Privilegierung
aufheben durch (vereinfacht gesprochen) Abschaffung der Privilegien. Es
bestreitet den Religionsgesellschaften und mit ihnen den Religionen
keineswegs das Existenzrecht, will sie aber auf normale Kulturvereine
reduzieren, die mit anderen Kulturvereinen konkurrieren. In diesem
Konzept ist umstritten, inwiefern einige Kulturvereine –
Weltanschauungs- als Pendant zu Religionsgemeinschaften – dabei selbst
den „Kirchenstatus“ erringen und „Körperschaft des öffentlichen Rechts“
werden sollten.
Die unterschiedlichen Antworten drücken sich auch in
unterschiedlichen Organisationsformen aus. Aus diesen wiederum kamen
unterschiedliche politische Stellungnahmen zum „Ferkelbuch“. Die sollen
hier nicht verhandelt werden. Aber diese Varianten unterscheiden sich
auch in ihrer jeweiligen Auffassung von Humanismus, besonders den
Stellenwert, den Religion darin einnimmt.
In den Zwischenfeldern dieser beiden Varianten findet nämlich ein
Grundstreit statt. Der geht darum, wie mit Religionen umgegangen werden
soll: Sind sie und ihre Kulturverbände zu tolerieren und zu erhalten
oder sind sie als „Verdummungsvereine“ zu entlarven oder gar zu
beseitigen.
„Neuer Atheismus“ und Streit um das „Ferkelbuch“
Interessanterweise scheiden sich die Geister im säkularen Spektrum
an der Frage, wie sich organisierter Humanismus zur Religion verhalten
sollte. Sowohl hinsichtlich der Religionsgesellschaften (besonders zu
den christlichen Kirchen) als auch bezogen auf gläubige Menschen,
eingeschlossen Kinder. Hier kommen das „Ferkelbuch“ und der Streit
darüber ins Spiel.
Berliner Lebenskundelehrer hatten – wie vorn bereits erwähnt – am
7. Februar 2008 im „Humanistischen Pressedienst“ ihren „Rahmenlehrplan“
als inhaltliche und pädagogische Kritik am „Ferkelbuch“ dessen
Religionsablehnung zitiert und meinten, Kritik der Religion müsse auch
eine „Übersetzungsarbeit“ sein. Es sei nötig zu erklären, welche
menschlichen Konflikterfahrungen hinter den Religionssystemen stehen
und man müsse Kindern und Jugendlichen helfen, fragen zu lernen, ob
nicht bessere Möglichkeiten der Befriedigung herstellbar sind als durch
religiöse Heilserwartungen angeboten werden.
Ihre Erfahrungen zuspitzend schrieben sie: „Im Übrigen haben wir in
Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen, die religiöse Überlegungen
anstellen, nicht unbedingt den Eindruck, dass sie ’ziemlich verrückt’
sind und ’ihnen etwas fehlt’, wie es im Buch über religiöse Menschen
heißt. Religiöse Überlegungen von Kindern und Jugendlichen können sehr
kreativ sein, religiöse Bindungen können Rücksicht fördern. Religion
kann auch ein Beitrag zum Frieden sein.“
Das ist aber genau das Problem, das der „neue Atheismus“ anders
herum zuspitzt. Hier dominiert die Ablehnung von Religion (wie aller
Ideologien) und es ist nach diesem Konzept unsinnig, ja schädlich,
Schülern – zum besseren Verständnis – in Religion zu unterrichten, weil
sie ja damit (siehe oben) an eine verdummende Weltsicht auch noch
herangeführt würden, wenn auch unbeabsichtigt.
Was bedeutet der „neue Atheismus“ für den „organisierten Humanismus“?
Die Daseinsweise des „neuen Atheismus“ als intellektuelle Lektüre
und als Medienereignis befördert nach wie vor die Bekanntheit der
„neuen Atheisten“, besonders weil ihre Widersacher – allesamt
Kirchenleute – endlich auch wieder einen richtigen Gegner haben, sogar
öffentliche Tribunale inszenieren können wie gegen Dawkins bei
„Kerner“. Das führt zu interessanten Schaugefechten und
Solidaritätseffekten bei den Gottlosen, aber wahrscheinlich zu
Fehleinschätzungen hinsichtlich der realen Wirkung in der Bevölkerung
(das liegt aber im Dunkel des demoskopisch Unbekannten).
Die enorme Solidarität mit diesen Gleichgesinnten etwa bei der
Verteidigung des „Ferkelbuches“ (jedenfalls gemessen an Effekten, die
bisher im säkularen Spektrum zu erzielen waren), vermittelt den
Eindruck einer breiten Bewegung, ja gar der Organisation, die aber so
nicht vorhanden ist.
Vielleicht hilft eine historische Parallele bei der Analyse der
Vorgänge. Um 1900 gelang dem „Giordano-Bruno-Bund“ die Sammlung
besonders philosophisch interessierter Naturwissenschaftler und
Künstler und zahlreicher Mäzene. Diese eher lose Gruppierung war ein
Debattenklub, der die Freidenkerbewegung um 1900 zu konzeptionellen
Klarstellungen zwang. 1905 spalteten sich die philosophischen Zirkel in
rechte und linke Freidenkergruppen, in spätere Germanengläubige,
ethische Dienstleistungshumanisten, freidenkerische Sozialisten und
gläubige Kommunisten. Parallelen zu aktuellen Debatten über „neuen“
Atheismus bzw. Humanismus herstellen zu wollen ist reine Spekulation.
Ein historischer Vergleich bietet sich noch in anderer Hinsicht an:
Wie damals das „Weimarer Kartell“ entstand als Folge von
Zentralisationsbestrebungen in den bestehenden freigeistigen Verbänden
selbst und vereint im Abwehrkampf gegen die konservative „Lex Heinze“,
ist es diesmal die Idee eines neuen Bündnisses in Form eines Zentral-
bzw. Koordinierungsrates (parallel zu den religiös orientierten
„Zentralräten“), die 2003 von Michael Schmidt-Salomon zuerst öffentlich
vorgetragen wurde (anlässlich einer Tagung der Humanistischen Akademie
Berlin) und die alle Beteiligten bewegt angesichts von einem Drittel
konfessionsfreier Bevölkerung.
Allerdings: Der aktuelle Streit um das „Ferkelbuch“ hat nicht die
bindende und breite Kraft einer „Kulturbewegung“, wie sie vor 1900 die
„Lex Heinze“ auslöste. Das liegt im Wesentlichen in der Uneinigkeit der
Säkularen begründet, wie mit Religionen und ihren Organisationen (etwa
den Kirchen) öffentlich und politisch umgegangen werden soll und welche
Forderungen der organisierte Humanismus erheben und ob eine
Gegenbewegung überhaupt humanistisch argumentieren sollte.
Ein Blick auf die Organisationswilligen lehrt wiederum, dass der
„neue Atheismus“ überhaupt nicht gesondert vertreten ist, er aber in
allen Verbänden irgendwie vorkommt, aber nirgends dominant ist. Gerade
deshalb fordert er zu intellektuellen Anstrengungen heraus, mit denen
sich der praktische Humanismus etwas schwer tut. Letzterer ist medial
nicht so attraktiv, für Intellektuelle nicht genug präsent. In dieser
Situation bringen die Ideen der „neuen Atheisten“, weniger die Personen
selbst (die ja auch im Ausland leben und englisch sprechen), eine neue
Dynamik in die Landschaft der Verbände.
Wie kann der „organisierte Humanismus“ Nutzen aus der Lage ziehen?
Der „Humanistische Verband“ (HVD) ist auf dem Weg, die aktuelle
Situation als Chance für den organisierten Humanismus sehen. Der „neue
Atheismus“ hat in seinen Augen nämlich zwei Probleme, die er nicht
selbst lösen kann.
Das erste Problem ist, dass er rein medial agiert und davon sehr
abhängig ist. Verbände dagegen haben Strukturen und dehnen sich aus,
sie gehen aufeinander zu, haben vorzeigbare „Apparate“ und erfolgreiche
Projekte.
Das zweite Problem ist gravierender: Der „neue Atheismus“
vernachlässigt den praktischen Humanismus, den die Menschen wollen und
die mehr davon wollen. Denn er hilft ihnen nicht nur im Leben von der
Wiege bis zur Bahre. Er gibt auch ethische Antworten. Als Atheist
dagegen kann man im Prinzip auch Nationalsozialist sein oder Rassist –
als Humanist kann man dies nicht sein.
Deshalb deutet sich an, dass konfessionsfreie Säkulare und ihre
Organisationen die Idee eines Bündnisses prüfen unter der Bedingung:
Mitglieder können nur rechtsfähige Organisationen werden, die
demokratisch bzw. in der demokratischen Gesellschaft anerkannt
funktionieren und öffentlich kontrollierbar sind. Eine atheistische
Erweckungsbewegung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Wenn das Bündnis Menschen empfiehlt, die sich engagieren wollen,
eine Mitgliedschaft in den sich beteiligenden Organisationen zu suchen,
dann werden alle profitieren und es wird sich in der Praxis zeigen, wer
für was eintritt und wo Menschen Mitglied werden oder Angebote nutzen.
Ein Bündnis lediglich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner der
jeweiligen Spezialforderungen, den „Schnittmengen“ folgend, ignoriert
zwei Erfahrungen aus dem „Ferkelstreit“. Die erste Einsicht ist die,
dass er zu interessanten Bündnissen und diversen Erklärungen geführt
hat, die auch jeweils Haltungen zum „neuen Atheismus“ ausdrücken.
Zweitens zeigt die Mengenlehre, dass sie zwar mathematisch
funktioniert, aber wohl nicht politisch. „Schnittmengen“ ergeben sich
meist aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Wahrscheinlichkeit und
die Kenntnis der Verbände spricht dafür, dass die „Schnittmengen“
wahrscheinlich weder mobilisierende Kraft besäßen (weder nach innen
noch nach außen) noch in der Lage wären, Antworten auf moderne Fragen
zu geben.
Wenn es etwas werden soll mit einem neuen „Weimarer Kartell“, so
wird es wohl zum einen auf die Akzeptanz der Vielstimmigkeit
hinauslaufen. Aber zum anderen wird ein bindendes Programm benötigt,
das auf neue Fragen nicht die alten Antworten gibt, die in der
deutschen Nachkriegsgeschichte die säkularen Verbände ins politische
und kulturelle Abseits geführt haben. Wenn ein mögliches Programm
vorliegt, dann kann sich die Szene neu ordnen und diejenigen
zusammenführen, die das Konzept teilen.
Wie sich der organisierte Humanismus dann darstellt, wird sich
zeigen – unabhängig vom Schicksal eines kleinen Ferkels, dessen
Schicksal aber lehrreich ist für alle Beteiligten.
Der Autor ist Präsident des Humanistischen Verbandes. Sein Text
entstand als Vortrag für die Leitungskonferenz des HVD Berlin am 12.
Dezember 2007 und wurde am 17. Februar 2008 anlässlich der Ereignisse
um das Buch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“
überarbeitet.
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