Report | Kulturation 2015 | Ute Mohrmann | Ausstellung zum künstlerisches Laienschaffen in der DDR - Baustein für eine faire kulturhistorische Bilanz
| Redaktionelle Vorbemerkung
Nachstehend geben wir den Text des Eröffnungsvortrags wieder,
den Prof. Ute Mohrmann am 7. November in Eisenhüttenstadt gehalten hat.
Nachdem die Fürstenwalder Rathausgalerie mit der Ausstellung
„Herkunft: Bildnerisches Volksschaffen“ (sie lief bis zum 13. November
2015) auf die breite volkskünstlerische Bewegung der DDR und die
gegenwärtige Kreativität der ehemaligen Zirkelmitglieder aufmerksam
gemacht hatte, stellte nun das Kunstarchiv Beeskow Werke von Amateurkünstlern aus seinem Bestand aus.
Da das eigene Haus umgebaut wird, ging das Projekt ins benachbarte Eisenhüttenstadt und wurde am 7. November im dortigen Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR
eröffnet. Bürgermeisterin Dagmar Püschel begrüßte es, dass das Zentrum
nun wieder besser genutzt werde und durch eine weitere sehenswerte
Präsentation neben der ständigen Ausstellung auch mehr Besucher
anziehen könne.
Ilona Weser, Kulturdezernentin des Landkreises und verantwortliche
Leiterin der Beeskower Sammlung, hob hervor, dass das Archiv hier
erstmals einen Ausschnitt aus seinem reichen Bestand an
laienkünstlerischen Werken öffentlich macht. Und dies unter einem
Motto, das auf den kulturellen Zusammenhang verweist, aus dem diese
Zeugnisse künstlerischer Betätigung stammen: "Freizeit, Kunst &
Lebensfreude".
Die Ausstellung ist in der Erich-Weinert-Allee 3 bis zum 3. Januar
2016 von Dienstag bis Sonntag zwischen 11 und 17 Uhr geöffnet.
Ihr Besuch kann mit der Besichtigung der Ausstellung
“Amateurkünstler aus Guben und Eisenhüttenstadt“ in der Galerie des
Städtischen Museums Eisenhüttenstadt/OT. Fürstenberg, Löwenstraße 4
verbunden werden. (21.November bis 23. Dezember 2015, Di.- Fr. 10-17
Uhr, Sa. u..So. 13-17 Uhr)
Meine Damen und Herren, vor allem liebe Künstlerinnen und Künstler, verehrte Frau Bürgermeisterin Püschel und Frau Dr. Weser,
diese Ausstellung ist das dritte Vorhaben, das mich mit
Eisenhüttenstadt verbindet. Zum 50. Jahrestag der Stahlstadt im Jahre
2000 ging es um eine Ausstellung zur Geschichte des FrauenAlltags seit
der Entstehung von Werk und Stadt bis zur Wende. Gut 7 Jahre später
begleitete ich ein Studienprojekt der Humboldt-Universität vor Ort. Die
Ethnologie-Studenten hatten sich für den gegenwärtigen FrauenAlltag im
östlichsten deutschen Osten: Eisenhüttenstadt interessiert. Seitdem
sind wieder gut 7 Jahre vergangen und ich kann im 65. Jahr der Stadt
mein ureigenstes Interesse am Laienschaffen in der DDR hier einbringen.
Das tue ich sehr gern, zumal die Zusammenarbeit mit dem Städtischen
Museum, Hartmut Preuß, insbesondere auch mit dem Kunstarchiv Beeskow,
Kristina Geisler, sowie mit unseren Mitstreitern Uwe Burckhard, Dr.
Barbara Herrmann, Martin Wegner und Hans Wiese sehr produktiv und
angenehm war. Dafür soll besonderer Dank gesagt sein!
Das Kunstarchiv Beeskow stellt erstmalig Werke der Laienkunst in einer
speziell ihr gewidmeten Ausstellung aus. Es gibt dafür keinen besseren
Ort als das Dokumentationszentrum DDR-Alltagskultur! Handelt es sich
doch beim Laienschaffen um einen Bestandteil populärer kultureller
Lebensgestaltung von damals. Der Ausstellungstitel „Freizeit, Kunst
& Lebensfreude“ greift DDR-Sprache auf, will die authentische
Programmatik aber bewusst als Ausschnitt gelebten Lebens verstanden
wissen. Die Fotoserie aus dem ehemaligen Grafikzentrum Pankow gibt
Einblick in die Atmosphäre von Freizeitkunst, Kommunikation und
Geselligkeit.
Einst wies die offizielle Statistik 70.000 Mitglieder in 5000
Zirkeln für Malerei und Grafik, für Plastik und Keramik, für Schnitzen
und Holzgestaltung sowie für Textilkunst aus. Ungeachtet der eher
euphorischen Zählung war das „Bildnerische Volksschaffen“ - wie das
nebenberufliche Laienschaffen offiziell benannt wurde - eine breite,
kulturelle Bewegung. Sie stand im Spannungsfeld von Kulturpolitik,
lenkender Vermittlung und materieller Förderung, vor allem durch Staat
und Kommunen, Gewerkschaft und Betriebe, Schulen und Hochschulen sowie
durch die Jugend- und Frauenorganisation und den Kulturbund, nicht
zuletzt durch den VBK-DDR, dessen Mitglieder vielerorts als
Zirkelleiter tätig waren.
Die ausgestellten Arbeiten gehörten zum ehemaligen Besitz vor allem
des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Gesellschaft für
Deutsch-Sowjetische Freundschaft und des Kulturbundes sowie
verschiedener kultureller Einrichtungen. Sie wurden als
Sammlungsbestände und zum öffentlichen Gebrauch angekauft. Dabei
fungierten die obengenannten „Träger“ als Auftraggeber oder sie
erwarben u. a. Werke der Malerei, Grafik und Plastik in Ausstellungen.
Dieser Bestand kann also keine repräsentative Auswahl des
DDR-Laienschaffens sein.
Um ein differenziertes Bild der künstlerischen Qualität der
bildenden und angewandten Kunst vermitteln zu können, wären z.B. der
Fundus im Archiv der Akademie der Künste, die Ankäufe des Museums Junge
Kunst in Frankfurt(O) und die Sammlung des Museums Europäischer
Kulturen Berlin-Dahlem hinzuzuziehen. Das war nicht beabsichtigt, zumal
hier auch nur ein Bruchteil der in Beeskow archivierten Arbeiten
gezeigt werden kann und die Bereiche der angewandten Kunst, wie die der
Textilgestaltung, ausgespart bleiben mussten.
Heute sind 54 Ausstellende, darunter 10 Künstlerinnen, mit ca. 70
Werken vertreten. Die relativ geringe Anzahl von Exponaten zeigt
dennoch eine Vielfalt der von den Amateuren bevorzugten Genres und
Themen, darunter Landschafts- und Porträtmalerei, Darstellungen der
Arbeitswelt und des Alltags sowie literarischer Rezeptionen und
politischer Anliegen, nicht zuletzt Reiseerlebnisse.
Die vorwiegend in den 1970er- und beginnenden 80er- Jahren
entstandenen Arbeiten drücken den Zeitstil der ästhetischen Wahrnehmung
von Realität aus, sind eine realistische Kunst. Naturnahe
Widerspiegelungen und erzählende Geschichten stehen neben
Individualisierungen in der Porträtkunst und kritischen, mitunter
satirischen wie drastisch realistischen Interpretationen. Neben Öl- und
Aquarellmalerei fällt vor allem die Präsenz vielfältiger grafischer
Techniken, wie Holz- und Linolschnitt, Lithographie, Siebdruck,
Aquatinta, Kaltnadel u. a., auf. Die Plastiker sind mit Bronze- und
Spritzguss sowie mit Gips-, Ton- und Holzarbeiten vertreten.
Wer sind die Ausstellenden? Keineswegs sind sie anonym, aber
sie tragen auch nicht die Namen bekannter DDR-Künstler. Sie waren bzw.
sind jedoch in ihrem unmittelbaren Lebensumkreis keine Unbekannten. Sie
stellten (und tun dies mitunter auch heute noch) in Ausstellungen des
In- und Auslandes aus, vor allem aber in ihrem Lebensumfeld, dabei in
ihrem beruflichen Wirkungsbereich als „Kollegen von nebenan“.
Hauptberuflich waren sie Ingenieure, Werbegestalter, Dekorationsmaler,
Fotografiker, Retuscheur, Glasmaler, Kunsterzieher/in, Arzt,
Technologe, Ökonom, Angestellter, Bote, darüber hinaus
Schiffsreparaturschlosser, Aufzugsmonteur, Maschinenbauer, Waldarbeiter
und Bau-Maler.
Diese Aufzählung macht deutlich, dass das Laienschaffen nicht
mehrheitlich von „Arbeitern und Genossenschaftsbauern“ - wie politisch
gewollt - repräsentiert wurde. Zugang fanden vielmehr Angehörige von
Berufsgruppen, die durch professionelle oder familiäre Voraussetzungen
begünstigt waren, nicht zuletzt Hausfrauen und Rentner. Inzwischen sind
Einige von ihnen verstorben. Viele sind nach Brüchen in ihrem Arbeits-
und Lebensumfeld seit der „Wende“ Ruheständler und/oder freie Künstler.
Das Statement „Ich male, also bin ich“ drückt ihr Credo aus: Wir
betrieben und betreiben Kunst als wichtigen Lebensinhalt!
Die Ausstellenden waren in der Regel Mitglied in einem Mal- und
Zeichenzirkel, so beispielsweise in den Reichsbahnausbesserungswerken
in Berlin und Potsdam, im Halbleiterwerk Frankfurt/0, im
Braunkohlenkombinat Senftenberg, im Martin –Hoop - Werk Zwickau, am
Kulturhaus der Glasarbeiter Weißwasser, im VEB Narva Berlin, im
Barkaswerk Karl-Marx-Stadt oder Mitglied des Grafikzentrums Pankow und
Absolventen von Förderklassen.
Ihre künstlerische Qualifizierung verdanken sie insbesondere den
anleitenden akademischen Künstlern. Hier in der Region bzw. in Berlin
und Brandenburg, gilt der Dank der Ausstellenden vor allem Werner
Voigt, Günter Neubauer von Knobelsdorf, Walter Kreisel, Christian
Heinze, Wolfgang Speer, Dagmar Glaser-Lauermann und Arnold Pemman. Dem
Berliner Maler Arnold Pemman haben wir stellvertretend für alle
anderen, auch für die Zirkelleiter aus dem Kreis der Laienkünstler,
eine Anerkennung zukommen lassen. Er ist in der Ausstellung mit seiner
Ölmalerei „Meine Freunde vom Zirkel“ vertreten.
Arnold Pemman „Meine Freunde vom Zirkel“
Nach dem Ende der DDR waren die Träger der Kulturarbeit weitgehend
abgewickelt. Gruppen und Zirkel büßten ihre Unterstützung ein und
lösten sich auf. Einige wenige bestehen fort. Auch das möchte die
Ausstellung zeigen. Die präsentierte Zirkelchronik wird bis heute
fortgeschrieben vom gegenwärtigen Kunstverein MAL-HEURE, der seit 2009
den ehemaligen Berliner Zirkel am Institut für Nachrichtenwesen und das
bekannte Studio Otto Nagel vereint.
Die Ausstellung könnte die Frage aufwerfen, ob und inwieweit den
DDR- Laienkünstlern bzw. dem DDR -Laienschaffen überhaupt eine
Spezifik/Besonderheit zukommt? Mitunter äußern vor allem Interessenten
aus dem westlichen Ausland – natürlich jenseits der offiziellen
Meinungsbildung - ihre begeisterte bis idealisierende Bewunderung. Sie
sprechen von der Einmaligkeit dieses kulturellen Phänomens.
Da sind wir selbst schon etwas kritischer! Zunächst: „Kreativität
der Vielen“ hat es schon jenseits der DDR gegeben und sie lebt sich in
verschiedenen Spielarten auch in der Gegenwart aus. Für die
Vergangenheit können wir uns der Geschichte der Kunst, besonders die
der sogenannten Outsider Art, bedienen. (Eine aktuelle Ausstellung im
Folkwang - Museum Essen widmet sich gerade dem Miteinander von In- und
Outsider Kunst!)
Die Kunstgeschichte kennt spätestens seit dem 19. Jahrhundert in
Europa die „Sonntagsmaler“, die nicht nur - wie die traditionellen
Volkskünstler - auf dem Lande, sondern auch in den Städten zu Hause
waren. Ihre tümelnden bis meisterhaft poesievollen Bilder wurden
zunächst von der offiziellen bürgerlichen Kritik verlacht und
missachtet bis sie z.B. von den Neoimpressionisten in deren
Salonausstellungen und schließlich seit Beginn des 2o. Jahrhunderts in
den Kunstmarkt einbezogen wurden.
Wir denken dabei nicht nur an den Klassiker unter den sogenannten
„Naiven Malern“, den Zöllner Henri Rousseau, sondern auch an die
unüberschaubare Gruppe von malenden Waldarbeitern, Tagelöhnern,
Postbeamten, Gelegenheitsarbeitern, Zirkusclowns, Bauern und
Handwerkern. Ihr bekannt gewordenes Werk verkörperte ein
„ursprüngliches“, oft expressiv exotisches Verhältnis zur Realität und
hatte gerade darüber Verbindung zu den Bemühungen der künstlerischen
Avantgarde gefunden.
Während der Ruhrfestspiele in den 1980er- Jahren begegneten sich in
Recklinghausen die „Malenden Kumpels an der Ruhr“ mit den
„DDR-Freizeitkünstlern“ (bzw. deren Werken). Gemeinsamkeiten und
Unterschiede der jeweiligen Präsentationen wurden deutlich. Die
Festspiele stellten sich als ein Zentrum für Naive Kunst und einen
Treff für Laienkünstler vor. 1956 hatte die Stadt Recklinghausen
begonnen, eine Sammlung von zeitgenössischer Laienkunst und von
Klassikern der Naiven Kunst aus verschiedenen europäischen und
außereuropäischen Ländern aufzubauen. Diese Traditionslinie spiegelten
die ausgestellten Arbeiten der malenden Kumpel. Verbunden mit der
bergmännischen Arbeit, mit Festen und Freizeit verkörperten die im
„naiven“ Duktus verhafteten farbenfreudigen Arbeiten ein
außerordentlich starkes soziales Ethos.
Mag dieses das Kunstschaffen der Amateure aus dem Ruhrgebiet und
aus der DDR verbunden haben. Die bildhafte Präsentation unterschied
sich.
Die Exponate der hiesigen Ausstellung, etwa in der gleichen Zeit
entstanden, lassen – sicher auch Sie - die Verschiedenheit vermuten.
Das Motto der gewerkschaftlichen Ruhrfestspiele bezog sich allerdings
ebenso wie die DDR- Programmatik auf die alte Forderung der deutschen
Arbeiterbewegung „Kunst für Alle“ oder das Postulat „Die Kunst gehört
dem Volke“. Die sozialgerechten, aber weitgehend utopischen und
sozialromantisch gehändelten Prämissen bleiben bis heute mit einem
Fragezeichen versehen.
Allerdings dürfte unbestritten sein, dass in der DDR umfassende
Voraussetzungen für eine vielfältige Kultur- und Kunstaneignung durch
breite soziale Schichten geschaffen waren. In diesem Kontext kommt auch
dem Laienschaffen besondere Bedeutung zu. Eine faire Bilanz heute kann
allerdings nicht übersehen, dass der DDR-eigene Kulturbetrieb auch
verbunden war mit Reglementierungen, ideologischer Beeinflussung,
Überorganisation, Privilegierung und Ausgrenzung, schließlich mit
Verschwendung.
Bleibt als Resultat, was wahrnehmbar an künstlerischem Potential
geschaffen wurde. Es sollte bewahrt und der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht werden. Der Gewinn eines Diskurses über das DDR-Laienschaffen
ist vor allem auch durch die Akteure selbst gegeben. Ihre Porträts,
ihre Lebensläufe, ihre Wege zur Kunst können Beeindruckendes aussagen.
Der bekannte DDR-Wirtschaftshistoriker Jürgen Kuczynski empfahl mir
einmal mit ausdrucksstarker Miene: „Kindchen“ (so nannte er ja jeden,
der mindestens ein Jahr jünger war als er), also ‚Kindchen’, schreib
doch weniger über Kulturpolitik und Kunst, sondern mehr über die
Akteure und ihre Kunst!“. Ich versuchte, Kuczynskis Zeigefinger zu
verstehen und beschäftigte mich in mehreren Projekten mit
Autobiographischem von Freizeitkünstlern.
Unser Anliegen ist es - auch mit dieser Ausstellung - die
Erfahrungen und Erinnerungen der Zeitzeugen, die gelernt hatten,
kreativ zu sein und dies auch heute noch mehrheitlich sind, wert zu
schätzen. Ihnen ist die Ausstellung gewidmet!
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