Report | Kulturation 1/2006 | Harald Dehne | Erfolgreiche ostdeutsche Forscherinnen und Forscher nicht erneut abwickeln: Kolloquium an der Humboldt-Universität zu Berlin
| Ein
wissenschaftspolitisches Kolloquium in der Humboldt-Universität zu
Berlin berät am 14.2.2006 im Senatssaal unter der Überschrift
„Innovation durch Integration. Wege zu einer zukunftsfähigen Hochschul-
und Forschungsförderung“.
Das Thema Bildung und Wissenschaft haben sich gegenwärtig alle
deutschen Politiker auf ihre Fahnen geschrieben. Seit einiger Zeit
macht das Wort von der „nachhaltigen Wissensgesellschaft“ die Runde.
Die Kultusministerkonferenz hat im Oktober 2005 eine Prognose der
Studentenzahlen vorgelegt. Sie werden bis 2012 um etwa 20 Prozent auf
über 2,5 Millionen anwachsen. Sicher ist, dass damit die Anforderungen
deutlich zunehmen werden, die an Lehre und Forschung an den deutschen
Hochschulen gestellt werden. Diese sind jedoch jetzt schon überfordert.
Eine schrumpfende Personaldecke und permanente Sparzwänge erschweren
ihre Arbeit empfindlich.
Wissenschaftliche Förderprogramme tragen in Deutschland ganz
wesentlich dazu bei, die Forschung ebenso wie die Ausbildung in den
akademischen Berufen zu sichern. Eines von ihnen nennt sich
Hochschul-Wissenschafts-Programm (HWP), das vor sechs Jahren gemeinsam
von Bund und Ländern aufgelegt wurde. Ein Teil davon, das HWP 3, dient
der Förderung innovativer Forschungsstrukturen in den neuen Ländern. In
Berlin profitieren davon seit dem Jahre 2004 sowohl die Hochschulen als
auch über fünfzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die
einstmals an der Akademie der Wissenschaften der DDR arbeiteten.
Es sind Akademiker mit außerordentlichen wissenschaftlichen
Erfahrungen. Alle sind Doktoren, viele habilitiert, einige sind sogar
Professoren. Sie halten Vorlesungen und Seminare, nehmen Prüfungen ab
und betreuen zahlreiche Qualifikationsarbeiten der Studierenden in
natur- und geisteswissenschaftlichen Fächern. Auf Konferenzen und in
wissenschaftlichen Gremien reden sie ein gewichtiges Wort mit, und über
ihre Drittmittelprojekte werben sie eine halbe Million Euro und mehr
ein. Sie sind für die laufende Forschung, aber nicht minder für die
Aufrechterhaltung des Studienbetriebs unverzichtbar. Sie sind längst
ein leistungsfähiger Bestandteil der deutschen Hochschullandschaft
geworden – aber eben immer nur auf Zeit. Denn auch dieses
Sonderprogramm für Wissenschaft und Forschung läuft am Jahresende aus.
Wie soll es weitergehen?
Am 14. Februar 2006 wird ein Kolloquium in der Berliner
Humboldt-Universität auf die Suche nach Antworten gehen. Unter dem
Motto „Innovation durch Integration. Wege zu einer zukunftsfähigen
Hochschul- und Forschungsförderung“ werden die promovierten und
habilitierten Beschäftigten des ehemaligen
Wissenschaftler-Integrationsprogramms (WIP) eine positive Bilanz ihrer
Hochschularbeit in Forschung und Ausbildung ziehen können und zugleich
nach Wegen für die Fortsetzung ihrer Finanzierung durch Bund und Länder
suchen. Veranstaltet wird die Konferenz vom WIP-Rat Berlin, der
Humboldt-Universität zu Berlin und der Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft.
Dabei wird an das ursprüngliche Ziel des WIP zu erinnern sein,
ostdeutsches qualifiziertes Forschungspersonal in die deutsche
Forschungslandschaft zu integrieren. Die aktuell etwa fünfzig
Geförderten sind übrig geblieben von mehreren hundert akademischen
Forschern, die noch vor zehn Jahren eine Anstellung hatten. Nach der
„Abwicklung“ der Akademie der Wissenschaften der DDR am Ende des Jahres
1990 konnten diejenigen von ihnen, die durch ihre westdeutschen
Wissenschaftskollegen positiv evaluiert worden waren, für eine
befristete Zeit an den Universitäten arbeiten. Dafür erfand die Politik
das WIP, das bis Ende 1996 lief und in Berlin 542 Wissenschaftler in
Brot hielt. Danach schafften es noch 200 Personen dank eines
neuerlichen Hochschul-Sonder-Programms (HSP III), ihre Hochschularbeit
fortzusetzen, während andere auf Drittmittelbasis oder nur noch mit
Hilfe von Arbeitsförderungsmaßnahmen ihre Projekte fortsetzen konnten.
Nicht wenige wurden arbeitslos. Seit dem Jahre 2001 hält das
Hochschul-Wissenschafts-Programm 3 noch etwa vier Dutzend
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Berliner Hochschulen.
Das Ziel des wissenschaftspolitischen Kolloquiums an der
Humboldt-Universität besteht darin, das aus dem WIP kommende
wissenschaftliche Potential zu erhalten und für die betreffenden
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler langfristige
Finanzierungsmöglichkeiten zu erschließen. Deren Erfahrungen sollten
auch künftig der Hochschulbildung zugute kommen und darüber hinaus
genutzt werden können, um die heute notwendigen internationalen
Anpassungsprozesse in Lehre und Forschung zu leisten. Dies betrifft
etwa die in Bologna beschlossene Einführung von Bachelor- und
Master-Studiengängen, die auch an den deutschen Hochschulen in vollem
Gange ist. Ein weiteres Beispiel bildet die von den Regierungschefs der
Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Lissabon beschlossene
Strategie, die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas durch eine
wissensbasierte Ökonomie zu verbessern. Dafür werden nach Auffassung
der Europäischen Union 700.000 forschungsqualifizierte Arbeitskräfte
benötigt. Die WIP-geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
können auch hier ohne lange Vorbereitungszeit eingesetzt werden.
Mit der Botschaft des Solidarpaktes will die Große Koalition,
insbesondere im Bereich von Bildung und Wissenschaft, Akzente setzen
und die regionale Strukturpolitik fördern. Auch dafür ist der Praxis-,
Regional- und Forschungsbezug des WIP-geförderten Forschungspersonals
sinnvoll einsetzbar. In Berlin und Brandenburg kommen dafür etwa 100
Personen in Frage, die von den Ländern, aber gleichermaßen auch vom
Bund finanziert werden müssten.
Dass diese „WIPianer“ eine hervorragende fachliche Arbeit
leisten, wurde vielfach von den Hochschulen und auch von der
Hochschulrektorenkonferenz ausdrücklich festgestellt. Sie sind ein
unschätzbarer Gewinn für unsere Hochschulen. Daher sollten auch die
Landesregierungen in Berlin und Brandenburg ein Interesse daran haben,
dieses Potential am Leben zu erhalten. Unser Land kann sich keine
weiteren arbeitslosen Hochschuldozenten leisten – angesichts eines
wachsenden Bedarfs an Lehrenden für den Wissenserwerb der jungen
Generation, ohne die das Wort von der nachhaltigen Wissensgesellschaft
Schall und Rauch bleiben könnte.
Kontakt:
Dr. Harald Dehne
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Europäische Ethnologie
Mohrenstr. 40/41
10117 Berlin
Email: harald.dehne@staff.hu-berlin.de
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