Report | Kulturation 2/2006 | Dietrich Mühlberg | Zukunft der Arbeit und kultureller Wandel
| Zukunft der Arbeit und kultureller Wandel Über
widersprüchliche Tendenzen in der Arbeit, über abzusehenden kulturellen
Wandel und über die Schwierigkeiten, von linker Position
kulturpolitisch darauf zu reagieren
Die Linkspartei.PDS hatte den Kulturwissenschaftler Dietrich
Mühlberg zu einem Beitrag auf ihrem Kulturforum "Zur Zukunft von Arbeit
und Kultur" am 21./22. Oktober nach Senftenberg eingeladen. Nachstehend
die leicht gekürzte Fassung seines Vortrags
Die Linke und die Kultur
Die Linke in Deutschland ist dabei, sich in Grundsatzdebatten auf
ein übergreifendes Programm zu einigen, das aktuelle und strategische
Alternativen zur marktradikalen neoliberalen Politik benennt. Wenn
dabei auch unterschiedliche Kapitalismusanalysen und theoretische
Traditionsbestände aufeinander treffen, so zeichnet sich doch eine
gewisse inhaltliche Einigkeit ab. Gemeinsames Ziel ist eine solidarisch
erneuerte, konsequent demokratische Gesellschaft, die allen
auskömmliche Arbeit bietet und die die heutigen sozialen Spaltungen
nicht mehr kennt. Folgerichtig sind Arbeit, Wirtschaft und
Sozialsysteme die Hauptfelder alternativer Politikentwürfe der Linken.
Dabei kann die besondere Funktionsweise von Kultur in den
Gesellschaften der Gegenwart leicht aus dem Auge verloren werden.
Man kann sogar den Eindruck bekommen, es werde gar nicht recht
begriffen, welch umfassend kulturelles Programm diese gemeinsame
Absicht beschreibt, die Voraussetzungen für die Vielfalt individueller
Lebensentwürfe kollektiv zu sichern. Denn was an den Debatten der
letzten Jahre auffällt: von Kultur ist dabei selten oder eher am Rande
die Rede. Doch man muss dieses große Wort nicht dauernd im Munde
führen, wenn man sich immer bewusst ist, dass über die Legitimität
gesellschaftspolitischer Ziele in kulturellen Aushandlungsprozessen entschieden wird und politische Programm nur dann erfolgreich sind, wenn sie mit der kulturellen Verfassung ihrer Adressaten mindestens vereinbar sind.
Aus diesem Grund wohl führen die Kulturpolitiker der Linken eine
Art Dauerdebatte über den Zusammenhang von Arbeit und Kultur. Auf ihrem
ersten Kulturforum vor zehn Jahren ging es um die kulturelle
Wertschätzung der Arbeit in Zeiten der Deindustrialisierung und
Massenarbeitslosigkeit, zwei Jahre später um die Arbeitenden in den
Kulturberufen und in diesem Jahr wird über die Zukunft von Arbeit und
Kultur beraten. Dies wohl nicht ohne Hintersinn, werden doch die
diversen sozialen Verflechtungen und Interdependenzen von Kultur an der
Arbeit und ihren aktuellen Wandlungen besonders deutlich.
Was ist über die Zukunft der Arbeit bekannt?
Nun kann sofort eingewendet werden, dass der Wandel der Arbeit ein
so komplexer Vorgang ist, dass man weit ausholen müsste, um ihn nur in
seinen Grundzügen darzustellen: als Wandel der Technologien, der
Verkehrsverhältnisse, als Veränderung der Arbeitenden und der
Sozialstruktur, als fortwährendes Schrumpfen traditioneller
Erwerbsmöglichkeiten usw. Man kann sich vielleicht mit Andeutungen
behelfen, weil erstaunlich Neues sich über die Zukunft der Arbeit
hierzulande gar nicht aussagen lässt. Die Befunde sind bekannt, einige
der Prognosen sind unter Fachleuten umstritten, doch zeichnet sich
Folgendes ab:
Die traditionelle Industriearbeit geht weiter zurück und wird sich
nur ausnahmsweise in Europa halten können - aber es wird solche
Einzelfälle allenthalben geben, die ostdeutschen Regionen zeigen schon
heute, wie das aussieht.
Trotz Wirtschaftswachstum und trotz sinkender Bevölkerungszahl wird
es wohl keinen Rückgang der (strukturellen) Arbeitslosigkeit geben, die
dadurch notwendigen Alimentierungen werden eher steigen.
Neue Arbeitsplätze entstehen in unseren Regionen schon heute vor
allem in ausbildungsintensiven „kreativen Industrien“ und daneben in
eher anspruchslosen Dienstleistungen (die gern Zuwanderern überlassen
werden).
Existenzsichernde Erwerbsarbeit wird aus sozialen und kulturellen
Gründen mehrheitlich angestrebt, sie dürfte aber auch weiterhin für
größere Menschengruppen dauerhaft oder zeitweise nicht verfügbar sein.
Für eine wachsende Bevölkerungsgruppe dürfte angestrengte
anspruchsvolle („kreative“) und selbstregulierte Erwerbsarbeit
charakteristisch sein. „Kreativität“ ist inzwischen keine exklusive
Eigenschaft von begnadeten Wissenschaftlern, von Künstlern und
Sonderlingen mehr, sondern ein Bündel von Tätigkeitsmerkmalen
wachsender Gruppen von Beschäftigten. Diese langsam größer werdende
Zunft gebildeter und selbstbewusster Leute ist in sich sozial stark
geschichtet: vom „Prekariat“ über die „digitalen Boheme“ bis zu den
Eliten der Oberschichtenmanager neuer Art (Typus Bill Gates).
Die signalisierten kulturellen Folgen - zwei Themenkomplexe
Die aus diesen Tatbeständen folgenden kulturellen Probleme werden
auf verschiedenen Ebenen heftig diskutiert. Einerseits handelt es sich
dabei um gesellschaftlich übergreifende Kulturfragen, andererseits sind
es die spezielleren des kulturellen Lebens selbst. Kulturpolitik ist
auf beiden Ebenen wirksam.
Zu ersteren gehört zunächst die Frage nach den Lebensmöglichkeiten
der Arbeitslosen und Ausgegrenzten, nach ihrem kulturellen Profil.
Davon abgeleitet ist dann die Suche nach den kulturpolitischen
Möglichkeiten, auf ihre soziale und kulturelle Lage zu reagieren.
Dahinter öffnet sich die weiter dimensionierte Frage nach der Zukunft
der Arbeit. Arbeit ist als zentraler Wert unserer Kultur fragwürdig
geworden - leben wir, um zu arbeiten oder arbeiten wir, um zu leben?
Wie verändert sich das Leben (der Besitzlosen) ohne den früheren Druck
zu lebenslanger Arbeit, mit weniger Arbeit oder gar ohne Arbeit?
Von übergreifender gesellschaftlicher Bedeutung sind auch die
sozialen und kulturellen Folgen, die die Veränderungen in der Arbeit
für das kulturelle Profil der Arbeitenden haben. Zusammen mit der
Ausdehnung der Konsum- und Freizeitsphäre verändern sich ganz
offensichtlich in allen sozialen Schichten die kulturellen Bedürfnisse
und Handlungsformen.
Zur zweiten Ebene der spezielleren Themen des kulturellen Lebens
gehört zunächst der Wandel in den sich ausweitenden kulturellen
Berufen, voran die Veränderungen in der sozialen Stellung der hier
Beschäftigten. Sie gelten ja geradezu als Prototyp des neuen
Selbständigen, zugleich gehören sie in beträchtlichen Teilen zu dem so
genannten „Prekariat“, zumindest gilt das für eine große Zahl von
Künstlern. Deren soziale Lage ist ein kulturpolitisches Zentralthema.
Gleichfalls zu den „kulturinternen“ Problemen gehören die
Überlebens- und Entwicklungschancen der drei großen Bereiche unseres
kulturellen Institutionengefüges: der staatlich und kommunal
betriebenen Kultureinrichtungen, der Projekte freier Träger und der
expandierenden Kulturwirtschaft. Sie sind ein Sektor des Arbeitsmarktes
und verkörpern einen bestimmten Typus von Arbeit. Zugleich hängen sie
von der Erwerbsarbeit anderer ab, wie sie zugleich bevorzugte Orte und
Medien sind, um auch über Arbeit zu kommunizieren.
Schließlich gehört es zu den spezielleren kulturellen Themen, dass
der technologische, wirtschaftliche und soziale Wandel der Arbeit
tiefgreifende Rückwirkungen auf das kulturelle Leben und den
Kulturbetrieb hat. Neue Produktions-, Verbreitungs- und
Aneignungsformen verändern das Gefüge der kulturellen Institutionen und
lassen neue Kulturformen entstehen.
Für einige der hier angedeuteten Themenkomplexe sei auf Strittiges
hingewiesen, aus dem sich möglicherweise kulturpolitische Schlüsse
ableiten lassen.
Das traditionelle Bild von Arbeit sollte geprüft werden
Da ist zunächst die grundsätzliche Frage nach der Zukunft der
Arbeit. Sie ist heftig umstritten und in allen Programmdebatten betont
der jeweilige gewerkschaftliche Flügel die zentrale Rolle der
Erwerbsarbeit und hat Vollbeschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zum
Ziel. Und selbstverständlich ist es eine kulturelle Tat, für den Erhalt
von Arbeitsplätzen einzutreten. Wenn es in der Linken so etwas gibt,
wie eine Kulturfraktion, dann hat die aber mit dem überkommenen
Arbeitsethos ihre Schwierigkeiten und beruft sich eher auf jene
Wirtschaftsprognostiker, die vom Rückgang oder gar vom Verschwinden der
Erwerbsarbeit reden. Offensichtlich muss das traditionelle Bild von
Arbeit geprüft und reformiert werden. Der Zusammenhang zwischen
„sinnstiftender“ Erwerbsarbeit und sinnvoller Lebensführung dürfte
dabei stark relativiert werden. Vielleicht muss man die Debatte über
ein „bedingungsloses Grundeinkommen“, das allen eine freiere
Entscheidungen in Sachen Arbeit ermöglichte, als eine Art Medium in
diesem Verständigungsprozess ansehen.
In der sozialen Realität hat sich das frühere innige Verhältnis zur
Arbeit längst relativiert. Hier öffnet sich das große Thema
„Arbeitslosigkeit (im herkömmlichen Verständnis) und Kultur“. Eine
positive Aufgabe und Leistung jedweder Kulturpolitik besteht ja gerade
darin, dies nicht nur allgemein zu konstatieren, sondern die realen
Verarbeitungsformen der Verlust-Erfahrungen und die dabei entstehenden
positiven Bewertungen von Nichtarbeit aufzugreifen. Kulturpolitisch
wären daraus Perspektiven sowohl für jene abzuleiten, die dauerhaft aus
der Erwerbsarbeit gedrängt worden sind als auch für jene, die sich
bewusst anderen sinnvollen Tätigkeiten zuwenden oder sich als
„freiwillig Faule“ verstehen. Es wären also einerseits die Ansprüche
derer zu betonen, denen die verlorene Arbeit die Mitte ihrer tätigen
Existenz bedeutete, als auch das Spektrum subjektiv sinnvoller
Beschäftigungen jenseits der Erwerbsarbeit und ihrer beschämenden
Surrogate auszuleuchten. Das muss vielleicht gar nicht betont werden,
verfügen doch die Linken unter den Kulturpolitikern in diesem Felde
über die größten praktischen Erfahrungen.
Für die Zukunft der deutschen Gesellschaft könnte es noch wichtiger
sein, kulturpolitisch positiv auf die neuen, für Europa besonders
chancenreichen Formen der Erwerbsarbeit zu reagieren, die sich im
letzten Jahrzehnt immer deutlicher ausgebildet haben. Durch den Wandel
der Arbeit bildet sich eine neuartige soziale Großgruppe mit neuen
Arbeitsanforderungen, neuem (elitären) Selbstverständnis und neuem
kulturellen Habitus. Die linke Haltung distanzierter Skepsis gegenüber
dieser „neuen Klasse“ ist verständlich, ist die doch mehrheitlich offen
für neoliberale Ideologien. Solch berechtigtes Vorurteil sollte aber
nicht daran hindern, den damit verbundenen kulturellen Wandel sachlich
zu beurteilen und kulturpolitisch entsprechend zu reagieren. Zumal das
kulturelle Leben der Gesellschaft längst begonnen hat, sich auf neue
kulturelle Bedürfnisse dieser Schichten einzustellen. In dieser
Hinsicht scheint „die Kultur“ dem „Bildungswesen“ weit voraus zu sein.
Neue soziale Gruppen verändern das kulturelle Gefüge
Daran sei eine zweite Anmerkung zu dem spezielleren kulturellen
Themenkomplexe geknüpft. Von den bereits angedeuteten Wandlungen in den
kulturellen Bedürfnisse und Handlungsformen aller sozialen Gruppen sind
die der so genannten „gebildeten Mittelschichten“ besonders
folgenreich. Sie waren und sind die Träger wie die hauptsächlichen
Nutzer der öffentlich unterhaltenen kulturellen Infrastruktur. [Von
großartigen Ausnahmen abgesehen, war das auch in der DDR so. Trotz
aller Bemühungen, die „Kluft zwischen Künstler und Volk“ und die
zwischen „Kunst und Leben“ zu schließen, waren auch hier Angehörige der
gebildeten Schichten die Hauptnutzer des staatlich gesicherten
Kulturbetriebs - freilich ohne über die Besitzstände der bürgerlichen
Mitte des Westens und ihre Möglichkeiten zu mäzenatischer Kulturpflege
zu verfügen, entstammten sie doch großenteils besitzlosen Schichten.]
Inzwischen verfällt mit dem kulturellen Werthorizont traditioneller
Bürgerlichkeit auch dieses einst selbstverständliche Engagement und
wird durch andere Motive abgelöst, sich mit den Künsten einzulassen.
Freilich: es gibt das „alte Publikum“ noch, und es ist „im Westen“ auch
betucht genug, sich den gewohnten Umgang mit den Künsten zu leisten.
Aber es wächst kaum nach. Mit dem Aufkommen neuer sozialer Gruppen
verändern sich das kulturelle Selbstbewusstsein und der Umgang mit den
Künsten allmählich.
Dieser Wandel folgt selbstverständlich nicht monokausal aus den
Veränderungen in der Arbeitswelt, da wirkt ein ganzes Bündel von
Faktoren. Dennoch sei gestattet, ihn in dem hier verhandelten Kontext
holzschnittartig anzudeuten:
- Das „neue“ Kunstverhalten ist nicht mehr durch Norm, Prestige und
eindeutige Distinktion bestimmt, es ist subjektiv-selektiv geworden
(ähnlich dem Kaufverhalten im Supermarkt): was mir gefällt, das nehme
ich wahr.
- Mit dem neuen Auswahlverhalten fallen die einst für den deutschen
Bürger unüberwindlichen Schranken zwischen ernster und unterhaltender
Kunst, zwischen E und U, zwischen dem Seriösen und dem Populären. Trash
ist im E-Bereich zur Mode geworden.
- Mit den Erwartungen ändern sich auch die Präsentationsformen:
galt Sensationshascherei einst als kulturfremd, versuchen sich
Kultureinrichtungen heute mit spektakulären Angeboten zu überbieten, um
sich so auf dem Markt der Angebote zu behaupten, „Eventkultur“ ist ein
Kampf um Aufmerksamkeit.
- Zugleich rechnen die traditionellen Institutionen kultureller
Kommunikation mit neuartigen Nutzerschichten und versuchen es, sich auf
deren Bedürfnisse einzustellen (zu beobachten an der „Jugendarbeit“).
Denn vielleicht ist es ja trotz Eventkultur und Festivalisierung
möglich, einen Kreis von Interessierten dauerhaft zu binden.
- Generell ist die Situation eigentlich günstig, denn der Umgang
mit Künsten wurde in den letzten Jahrzehnten immer intensiver, und noch
nie waren wir so komplett von „ästhetischen Gestaltungen“ umgeben und
umlagert. Auch die traditionellen „hohen Künste“ haben daran Anteil,
doch ungleich stärker werden neu entstehende Kunstformen favorisiert.
- Dabei verlagert sich für das neue Publikum der Schwerpunkt auf
die (in der Arbeitssphäre selbstverständlichen) digitalen
Kommunikationsformen und die Kommunikation in frei gewählten
„kulturellen Szenen“. Wie in Deutschland nicht anders zu erwarten, mag
der traditionell geschulte Blick darin nur selten „Kunst“ oder Kultur
erkennen und spricht gern von Verfall.
- Generell werden ästhetische Aspekte in der Arbeits- und
Freizeitsphäre immer wichtiger genommen (so erleben wir auch neue
Formen kultureller Durchdringung der Wirtschaft, vom „neuen Geist des
Kapitalismus“ ist die Rede). Der Bedarf an ästhetisch kreativen
Lösungen - und damit die Zahl ihrer „Macher“ – steigt kontinuierlich
an. Die Daten der Kulturwirtschaft zeigen das.
- Freilich entstehen viele dieser Bedürfnisse heute eher durch
Markt und Internet als durch Familie, Schule und „Kulturbetrieb“.
Besonders das Bildungssystem scheint wenig darauf eingerichtet zu sein,
den neuartigen Anforderungen in der Vermittlung einer zeitgemäßen
„ästhetischen Kultur“ gerecht zu werden. Fraglich ist, ob es überhaupt
darauf aus ist, zur Ausbildung des heute nachgefragten kreativen
Vermögens beizutragen.
Schwierigkeiten der Kulturpolitik mit den neuen sozialen und kulturellen Milieus
Was wohl für die Kulturpolitiker fast aller Parteien gilt, scheint
bei den kapitalismuskritischen Linken besonders ausgeprägt zu sein. Sie
haben Schwierigkeiten im Umgang mit den erfolgreichen jungen Leuten in
den Zukunftsbranchen. Ursache dürfte die Gegnerschaft der Linken zu den
heutigen neoliberalen Eliten, zu ihren politischen und
wissenschaftlichen Paladinen, zu ihrer Praxis, zu ihrer Ideologie und
zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen, die
sie als Folge ihres Tuns reklamieren.
Diese Gegnerschaft ist grundsätzlich, kann aber augenblicklich nur
wenig Offensivkraft entwickeln. Denn tatsächlich haben ja globale
Netzwerkproduktion und Logistik, Flexibilisierung und
Informationalisierung der Arbeit, deren individualisierte wie deren
global kollektivierte Formen usw. usw. den weltweit agierenden und
aktuell bestimmenden Interessengruppen des Neoliberalismus einen
enormen Produktivitätsgewinn eingebracht. Das mag gewiss nicht immer so
weitergehen, aber dieser Erfolg hat ihren politischen und kulturellen
Ideologen einige Glaubwürdigkeit verschafft, die wenig noch durch den
Hinweis auf die zu beklagende Folge wachsender sozialer Ungleichheiten
und Spannungen zu erschüttern ist.
Die Linke führt momentan einen Abwehrkampf: gegen Sozialabbau,
gegen wachsende Armut, gegen die ungerechte Verteilung der enormen
Gewinne. Eine große Rolle spielt dabei die ideologiekritische
Auseinandersetzung mit den sachlogischen Begründungen neoliberaler
Praxen. Aber - und das sei nachdrücklich angemerkt - bei dieser
abwehrenden Kritik kann leicht übersehen werden, dass in den letzten
Jahrzehnten auch emanzipatorische Möglichkeiten entstanden sind, die
die jungen Leute der neuen Berufe und Arbeitsformen zu nutzen
versuchen. Schaut man sich deren Erwartungen an - denen unter den
gegebenen Machtverhältnissen sicher viel Illusionäres anhaftet - so
haben sie einige Verwandtschaft mit den emanzipatorischen Visionen von
Karl Marx. Er hat sie in einer ähnlichen Umbruchsituation entwickelt,
wie wir sie heute erleben.
Sie wollen, dass Information und Kommunikation frei sind,
selbstverständlich global und nicht durch die Profitinteressen von
Monopolisten eingeschränkt, alle sollen die verfügbaren
Wissensressourcen nutzen können. Ihre Arbeit wollen sie als
selbstbestimmtes Projekt verstehen, Flexibilität sehen sie als
Herausforderung. Sie wägen zwischen unterschiedlichen Lebensmodellen ab
und internationale Mobilität halten sie für selbstverständlich. Wenn
sie sich organisieren, bevorzugen sie kollektive, frei gewählte
Bindungen. Sie sympathisieren darum mit dem kooperativen Ansatz der New
Culture und den dort entwickelten Ideen von einer neuen Art und Weise
der Zusammenarbeit. Vom Staat erwarten sie eher, dass er für eine
angemessene globale Rechtslage sorgt und dass er sie (wenigstens
gelegentlich) materiell absichert, wenn sie sinnvollen Projekten
folgen, die nichts abwerfen. Können und müssen junge Leute, die aus
ihrer Lebenssituation heraus solchen – insgesamt doch emanzipatorischen
- Ideen anhängen, zwangsläufig neoliberalen Ideologien folgen? Müssen
sie für die sozial prekären Seiten der von ihnen mitgetragenen
Veränderungen blind sein? Können sie nicht für ein Programm Sympathie
empfinden, das gesellschaftspolitisch genau das abzusichern bemüht ist,
was sie als Ideal erstreben? Kommt nicht die Mehrzahl der jungen Leute
bei den Linken aus genau diesen neuen sozialen Milieus?
Es wäre zu bedenken, warum es für (linke) Kulturpolitiker nicht
einfach ist, sich den neuen sozialen und kulturellen Milieus
zuzuwenden. Da ist zuerst auf die Tatsache hinzuweisen, dass sie selbst
im politischen System eher randständig verortet sind. Sie haben als
Lobbyisten der „Kulturschaffenden“ (also der Künstler aller Art)
gegenüber den anderen politischen Ressorts einen schweren Stand. Ihre
Erfolge sind mühsam errungen und gegenüber denen, die die Sachzwänge
verwalten, können sie nichts als schöne Worte ins Feld führen: Kultur
ist der Luxus, den wir uns leisten müssen – Kultur ist eine notwendige
Investitution in die Zukunft. Sie sind darauf angewiesen, dass die
„richtigen“ Politiker ihnen zuhören.
In dieser politisch schwachen Position haben sie zwischen zwei widerstreitenden Tendenzen und Interessenlagen zu vermitteln:
Einmal müssen sie sich als politische Lobbyisten des Kulturbetriebs
nach Kräften für den Erhalt der (noch) vorhandenen traditionellen
kulturellen Strukturen (und der damit verbundenen Arbeitsplätze)
einsetzen, wie sie auch deren Bemühen um Anpassung an die veränderte
Situation kräftig unterstützen wollen. Zugleich müssen sie sich der
schwierigen Aufgabe stellen, die sich neu bildenden kulturellen
Strukturen zu erkennen und deren Protagonisten zu fördern.
Diese Doppelaufgabe ist aus mindestens zwei Gründen schwierig zu
bewältigen. Einmal selbstverständlich, weil sie es hier mit heftigen
Konkurrenzen um knappe Mittel, um Aufmerksamkeit, Prestige usw. zu tun
haben. Jede kulturpolitische Entscheidung für ein kulturelles „Projekt“
ist heute eine Entscheidung gegen die Existenzmöglichkeiten anderer.
Und in den Haushaltsdebatten sind die Kulturleute Schwächlinge -
inzwischen zwar trickreich, dennoch von der Gunst der großen Politik
abhängig.
Schwierig ist diese Doppelaufgabe aber auch, weil die Mehrzahl der
Kulturpolitiker nach eigener kultureller Gewohnheit, nach
„selbstverständlichen“ Wertvorstellungen, nach ihrem Kunstverstand und
Geschmack dem „traditionellen Lager“ angehört. Die angedeuteten
Veränderungen werden häufig als kulturell bedenklich oder als Verfall
beklagt. Mehrheitlich hängen sie traditionellen Kultur- und
Kunstbegriffen an, die die realen Veränderungen gar nicht zu
berücksichtigen und abzubilden in der Lage sind. Jeder kann das an der
Fassungslosigkeit beobachten, mit dem etwa auf das Ansinnen reagiert
wird, „Games“ als Kunst (unterschiedlicher Qualität) anzusehen oder die
ästhetischen Stilisierungen der Massenmode als relevanten kulturellen
Vorgang anzunehmen. Was die sog. „modernen Medien“ angeht, endet die
kulturpolitische Kompetenz sowieso schon bei Film, Kino und Fernsehen.
Von beispielgebenden Ausnahmen abgesehen, liegt die digitale Welt der
heutigen Jugend mit ihrem Überangebot an Künsten aller Art und mit den
neuen Möglichkeiten eigenen ästhetische Gestaltens sowieso jenseits des
kulturpolitischen Verständnisses.
Das mag übertrieben scheinen, soll aber darauf aufmerksam machen,
dass neue und gewiss widersprüchliche Veränderungen in der Arbeit einen
kulturellen Wandel induzieren und linke Kulturpolitik Schwierigkeiten
hat, produktiv darauf zu reagieren. Zunehmend erfolgreich ist die Linke
da, wo sie generell und im Detail gegen die sozialen und kulturellen
Ungerechtigkeiten des neoliberalen Regimes auftritt und die Interessen
der Vielen und der sozial wie kulturell Benachteiligten verficht. Die
Chance, auf die neoliberal vorangetriebene Globalisierung mit einem
realistischen und zugleich visionären Kulturkonzept zu reagieren, sich
also als die Kulturpartei zu profilieren, ist noch nicht genutzt.
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