Report | Kulturation 2011 | Thomas Flierl | Kultur Stadt Berlin Perspektiven durch Kultur?
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September hat Thomas Flierl eine Kulturkonferenz der LINKEN mit einem
Rückblick auf zwei Jahrzehnte Kulturpolitik in Berlin eröffnet. Dies in
seiner Eigenschaft als Verantwortlicher des Kulturforums der
Rosa-Luxemburg-Stiftung und mit den Erfahrungen, die er als Leiter des
Kulturamtes Prenzlauer Berg, als Baustadtrat von Mitte, als Berliner
Kultursenator und als Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung
im Berliner Abgeordnetenhaus gesammelt hat. Sie bilden auch den
Hintergrund für die Empfehlungen, die er hier für die Kulturpolitik
entwickelt.
"Kultur Stadt Berlin" - bitte getrennt geschrieben, nicht als die
sich selbst erklärende, selbstsichere Behauptung einer "Kulturstadt
Berlin", sondern als Frage nach dem Zusammenhang - das wollen wir heute
erörtern. Zweifellos ist der Beziehung von Kultur und Stadtentwicklung
auf neue Art aktuell. Das bezeugt zum Beispiel das in Hinblick auf die
bevorstehende Wahl entstandene und hier ausgelegte Papier der „Stiftung
Zukunft Berlin“, in dem nicht nur ein eigenständiges Kulturressort für
Berlin gefordert wird, sondern auch eine Zusammenlegung der Kultur- und
Stadtentwicklungsressorts. Das ist ein ambitionierter Vorschlag, den
wir im Rahmen unserer Konferenz prüfen sollten, auch vor dem
Hintergrund der Erfahrungen anderer Städte und ihres Zugangs zu der
hier aufgeworfenen Problemstellung.
Auch bundesweit kann man beobachten, dass es einen Trend zur
stärkeren Verknüpfung von Kultur- und Stadtentwicklungspolitik gibt. So
widmen sich etwa die Mitteilungen der Kulturpolitischen Gesellschaft im
Heft Nr. 133 II/2011 dem Zusammenhang von kultureller Infrastruktur und
Bürgerprotesten. Das meint nicht nur den Kulturdialog in Stuttgart,
sondern ebenso die Wuppertaler Debatte nach der Schließung des
Schauspiels oder die kulturellen Aspekte der Internationalen
Bauausstellung in der Neuen Hafen City in Hamburg. Unsere Kollegin
Dorothea Kolland fordert im gleichen Heft ein neues Verständnis von
kultureller Infrastruktur und sozialer Stadtentwicklung aus ihrem
Erfahrungszusammenhang in Berlin-Neukölln. Oder, erinnern wir uns an
die bundesweit geführten Debatten zur Kulturhauptstadt Europas Ruhr
2010, die ja genau den Zusammenhang von Kulturentwicklung im
postindustriellen Zeitalter und der Herausbildung der urbanen
Großstadtregion Ruhr zum Inhalt hatten. Selbst in Flächenstaaten wie
Thüringen wird derzeit im Hinblick auf die IBA Thüringen darüber
nachgedacht, wie die Kulturlandschaft vor dem Hintergrund der Vielfalt
des Wandels zu sehen ist. Die kulturelle Dimension in regionalen und
städtischen Entwicklungskonzepten wird heute stärker angesprochen als
früher.
Wer im gleichen Heft der Mitteilungen der Kulturpolitischen
Gesellschaft liest, wird auch die Hamburger Resolution des
Kulturausschusses des Deutschen Städtetages zur Kenntnis nehmen können.
Darin heißt es: "Der Kulturausschuss des Deutschen Städtetages fordert
von Bund und Ländern, endlich gemeinsam die durch gesetzliche Vorgaben
entstandene Unterfinanzierung bei den Kommunen anzupacken und damit
eine auskömmliche und nachhaltige Kulturfinanzierung zu ermöglichen."
(S. 6) Das ist allerdings ganz und gar keine neue Fragestellung,
sondern ein inzwischen sehr altes Lied. Wenn wir uns also den neuen
Fragen zuwenden, dürfen wir die ungelösten alten Probleme nicht
vergessen, sondern sollten versuchen beide miteinander zu verbinden.
Wir alle, die wir hier zusammengekommen sind, haben mittlerweile
nun 20 Jahre Erfahrung im vereinten Deutschland machen können und
bringen zugleich, die Älteren jedenfalls, Erfahrungen aus den
Vorgängergesellschaften des neuen Deutschland mit. Insofern mag es
sinnvoll sein, hier den Zusammenhang von Kultur und Stadt vor dem
Hintergrund der eigenen Erfahrung zu rekapitulieren.
Ich hatte das Vergnügen, 1990 bis 1996 das Kulturamt Prenzlauer
Berg in Berlin zu leiten, in einer Phase des historischen Umbruchs und
der Neugestaltung. Das war geprägt von solchen Themen wie der
Pluralisierung der Trägerlandschaft, d.h. der Entstehung von vielen
freien Trägern, der Neuorganisation der freiberuflicher Kunst- und
Kulturarbeit, der Reorganisation des kommunalen Kulturbereichs und dem
Entstehen von Kulturgewerbe und Kulturwirtschaftsbetrieben. Oftmals
wirkten diese verschiedenen Sektoren der Kulturarbeit damals noch sehr
eng zusammen und stemmten dabei große Projekte der Stadtentwicklung,
denken wir an die Kulturbrauerei, den Pfefferberg, die
Beschäftigungsgesellschaft ProKultur mit ihren allein 230 KünstlerInnen
und KulturarbeiterInnen in Prenzlauer Berg, Pankow und Weißensee oder
die Übernahme und Revitalisierung des Praters durch die Volksbühne.
Es gab damals dieses integrale Kulturverständnis, in dem sich eine
noch auf gesellschaftspolitische Gestaltung und Einlösung individueller
Freiheit bezogene ostdeutsche Kulturerfahrung und ein vor allem
westdeutsch geprägtes Konzept kommunaler Kulturpolitik und
Kulturarbeit, das uns damals vor allem auch durch die Kulturpolitische
Gesellschaft vermittelt wurde, zusammen fanden. Weniger war für uns das
West-Berliner Kunst- und Kulturpolitikverständnis maßgeblich, mit
Ausnahme der Erfahrungen engagierter Kunstamtsleiter/Innen in einigen
Bezirken. West-Berlin hatte nie eine wirklich städtische Kulturpolitik,
es war immer durch den Dualismus von kultureller Schaufensterpolitik
und den eher vernachlässigten Bezirken geprägt. Dies schuf Raum für
alternative Kultur und machte jene Kulturämter stark, die sich mit
dieser alternativen Szene verbanden (Kreuzberg, Schöneberg, Neukölln).
Unser Pech als Ostberliner mit den strukturell besser ausgestatteten
Bezirken war, dass wir eben nicht mit großen Städten Westdeutschlands
fusioniert sind, sondern mit West-Berlin, dessen Verwaltungsstrukturen
auf den Ostteil übertragen wurden. Seit Jahrzehnten sehen wir darum
einen Prozess, der die Bezirke kulturpolitisch immer handlungsunfähiger
macht.
Dennoch würde ich behaupten, dass dies Anfang der 90er Jahre eine
schöne Zeit des Aufbruchs war, in der es im Grundsatz keine Trennung
von Ökonomie, Kunst, sozialem und politischen Engagement gab und dass
in dem enormen Ausstattungsvorteil, den die Ostberliner Kulturämter
hatten – ursprünglich noch gemeinsam organisiert mit den anderen Ämtern
von Volkshochschule, Bibliotheken und Musikschulen –, immer noch ein
integrales Verständnis von Kultur existierte. Es wurde dann relativ
schnell klar, dass dies nicht mehr die DDR-Erfahrung war, sondern die
ostdeutsche Erfahrung des demokratischen Aufbruchs, der allerdings
seine Voraussetzungen hatte.
Das war übrigens auch die Zeit, in der die Beschäftigungsprogramme
ansetzten, mit einem offen taktischen Aspekt der entsprechenden
Bundespolitik, wie wir heute wissen. Es ging darum, die vielen
freiberuflichen Künstler, die sehr aktiv in die Stadtkultur eingriffen,
über Wasser zu halten. Allerdings war dies immer nur als Überbrückung
gemeint. Inzwischen haben wir mehrere Generationen von
Beschäftigungsprogrammen hinter uns, mit denen sich die Bedingungen für
die Kulturarbeit immer mehr verschlechterten. Wie mühsam es ist, aus
eigener Kraft, z.B. der Initiative eines Landes, dies wieder
umzukehren, zeigen die Erfahrung mit dem Öffentlichen
Beschäftigungssektor Kultur in Berlin in der zweiten Legislatur des
rot-roten Senats in Berlin (2006-2011), bei der für ganz Berlin
lediglich 200, dafür aber sozialversicherte dreijährige „Kulturstellen“
geschaffen werden konnten.
Was meine eigene Erfahrung angeht, möchte ich auch noch die Zeit
als Baustadtrat in Mitte (1998-2000) ansprechen. Ich muss sagen, dass
es in der Rückschau sehr hilfreich wahr, vorher ein bezirkliches
Kulturamt geleitet zu haben, weil, selbst im Vergleich mit der daran
anschließenden Phase als Kultursenator, konnte ich als Baustadtrat
mitunter mehr für die freie Kulturszene tun, denn als Kultursenator. In
einer Phase der noch immer unbestimmten Eigentumsverhältnisse und dem
Vorhandensein einer tollen aktiven Kulturszene und eines
einfallsreichen Kulturamtes war die Aussetzung von
Genehmigungsvorbehalten, das Dulden von temporären Nutzungen und die
Erteilung von Sondernutzungen im Straßenland oftmals die entscheidende
Kulturförderung. Erst das Zusammenkommen dieser Faktoren machte den
Boom der Kultur in Mitte aus, die sich später allerdings als Pionier
der Gentrifizierung in der Stadtentwicklung erwies. Inzwischen haben
sich in Mitte und Prenzlauer Berg die Bedingungen für Kultur radikal
verändert.
Schließlich die Zeit als Kultursenator der ersten
rot-roten-Koalition in Berlin, 2002 bis 2006 – diese enorme
Herausforderung, angesichts enormer Sparzwänge, von denen heute niemand
mehr etwas wissen will, den Kulturetat in der Substanz zu verteidigen
und dennoch Kulturpolitik zu wagen, d.h. sich der Notwendigkeit zu
stellen, im Rahmen des Hauhaltsnotstandes zu strukturellen Erneuerungen
von Institutionen zu kommen, die Aufgabenteilung von Stadt und Land, in
dem Fall von Stadt und Bund zu diskutieren und einen neuen
Hauptstadtkulturvertrag abzuschließen, d.h. konzeptionelle
Kulturpolitik zu machen.
Die Entscheidungen, die in dieser Zeit getroffen wurden, waren
natürlich auch immer gesamtstädtisch orientiert. Die Errichtung der
Opernstiftung war auch darauf gerichtet, die Balance von Mitte und
Charlottenburg, d.h. die Bipolarität von Berlin zu erhalten.
Bekanntlich stand die Schließung der Deutschen Oper zur Diskussion. Das
war eine gesamtstädtisch orientierte Entscheidung, die die
verschiedenen sozial-kulturellen Milieus und Kulturräume in Berlin
berücksichtigte. Ebenso war die Errichtung der Opernwerkstätten im
früheren Druckereigebäude der Zeitung Neues Deutschland nicht nur den
im Osten der Stadt immer noch günstigeren Tarifbedingungen geschuldet,
sondern sollte auch die kulturgewerbliche Infrastruktur im Bezirk
Friedrichshain unterstützen. Als letztes Großprojekt sei die vor kurzem
der Öffentlichkeit übergebene Erweiterung der Mauergedenkstätte
genannt. Das war nicht nur eine gedenkpolitische, sondern auch eine
stadtpolitische Antwort auf die Frage, wie mit dem
stadtstrukturzerstörenden früheren Grenzstreifen heute umgegangen
werden sollte. Manche sprachen sich ja gegen die Gedenkstätte und den
Mauerpark auf dem ehemaligen Grenzstreifen aus, weil sie meinten, sie
vertiefe die soziale Spaltung der gentrifizierten Spandauer und
Rosenthaler Vorstadt bzw. des Prenzlauer Bergs gegenüber dem Wedding.
Natürlich haben Gedenkstätte und Mauerpark zunächst ihre Zwecke in sich
(Aufklärung und Erinnerung/Erholung), aber die Realisierung beider
Projekte stellte sich auch gegen die forcierte Gentrifizierung des
Wedding nach dem Vorbild der früheren Ost-Berliner Stadtteile.
Der hier anwesende Atelierbeauftragte des Landes und andere wissen
auch, wie schwierig es war und ist, die Liegenschaftspolitik des Landes
auf kultur- und stadtentwicklungspolitische Ziele hin zu orientieren.
Ich erinnere an gelungene Projekte der ersten rot-roten
Legislaturperiode in Berlin, die von mir immer auch
stadtentwicklungspolitisch gedacht waren, wie z.B. die Errichtung der
Gedenkstätte des Zwangsarbeiterlagers in Schöneweide oder die Sicherung
des ORWO-Hauses für die Musikszene hier in Marzahn oder eben auch
wieder die Kulturbrauerei, die damals durchaus von Seiten der TLG zur
Disposition gestellt wurde. Selbst das Studentendorf Schlachtensee, ein
Denkmal der Nachkriegsmoderne, war nur mühsam zu erhalten. Heute wird
es als nationales Kulturdenkmal anerkannt und gefördert.
Nach meiner Zeit als Kultursenator habe ich einige hier
dargestellte Erfahrungen in meinem Buch mit dem emphatisch gemeinten
Titel "Berlin - Perspektiven durch Kultur" (Theater der Zeit, Berlin
2007) zu bündeln versucht.
Das Thema hat mich dann weiter verfolgt als Vorsitzender des
Stadtentwicklungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus (2006-2011).
Gestern war die letzte Ausschusssitzung dieser Legislaturperiode. Ich
kann also jetzt frei von diesen Ämtern über diese Dinge sprechen. Auch
hier gab es kaum Erfolge bei der Umsteuerung der Liegenschaftspolitik
des Landes. Solche Projekte wie Ex-Rotaprint und das Atelierhaus in der
Wiesenstrasse, die bereits in einem Immobilienfonds platziert waren,
sind letztlich nur gelungen, weil mit der Finanzkrise der Isländische
Investor abhanden kam, nicht etwa aus kulturpolitischer
Überzeugungsarbeit. Aber es war natürlich notwendig, diese Projekte
laut und gegen die Koalitionsdisziplin anzusprechen und schließlich
auch dadurch zum Erfolg zu verhelfen.
Wenn man all das Revue passieren lässt - ich aus meiner
berufsbiografischen Erfahrung, und Sie, die Sie auch alle
Arbeitszusammenhänge haben, die sich auf diese historische Zeiten
beziehen - dann beobachten wir, dass wir es alle weiterhin und immer
wieder mit der Legitimationsschwäche von Kulturpolitik und
Kunstförderung gegenüber anderen Politikbereichen zutun haben –mögen
sich die Argumentationsmuster auch immer wieder ändern.
Was haben wir da alles schon diskutiert. Ich erinnere an Stichworte
wie die berühmte Umwegrentabilität der Kulturförderung, die zwar
niemand richtig ausrechnen konnte, aber gerne als Ersatzargumentation
benutzt wurde; Kultur als Imagefaktor in der Städtekonkurrenz, in der
Konkurrenz um Investitionen; Kultur und Beschäftigungsförderung, ein
Problem, das schon durch die ABM-Projekte angesprochen wurde. Oder,
schließlich die große Welle der Kulturwirtschaftsdebatten, in denen mit
wissensbasierten Produktionszweigen die Zukunft postindustrieller
Großstädte und Großstadtregionen umrissen wurde. Oder die Debatte über
die wachsende kreative Klasse und ihre creative industries. Die neueren
Debatten betreffen dann vor allem kulturelle Bildung und soziale
Integration. Wir kennen auch die Praxis, dass den theoretischen
Schwerpunkten die Förderprogramme nur zögerlich folgen und wenn, dann
gewiss mit dem Wegfall anderer Programme verrechnet werden.
Ich muss heute mit einer gewissen Ernüchterung feststellen, dass
wir wahrscheinlich immer wieder nur über Dasselbe reden. Natürlich
müssen wir unseren Zugang immer wieder erneuern, erstens, um ihn
adäquat zu fassen und zweitens um ihn der Fachöffentlichkeit, aber auch
der breiteren Öffentlichkeit verständlich zu machen.
Wenn man jetzt hier kurz vor der Wahl und also und im Wahlkampf
steht, bleibt natürlich auch nicht aus, sich zu der letzten
Legislaturperiode zu äußern. In Berlin war weder das
Stadtentwicklungsressort noch das Kulturressort in den Händen der
Linkspartei. Es wurde auch nicht angestrebt, nach der letzten
Wahlschlappe begnügte sich die Linkspartei damit, sich unter drei
SenatorInnen jene Ressorts aufzuteilen, die vorher von zwei
LinkssenatorInnen geleitet wurden. Die von mir ehemals vertretenen
Bereiche Wissenschaft und Kultur gingen an die SPD, das Kulturressort
direkt zum Regierenden Bürgermeister.
Die einzige Rechtfertigung für die Ansiedlung des Kulturressorts
beim Regierenden Bürgermeister, für diese Konzentration wäre gewesen,
Kultur als Querschnittsaufgabe zu entwickeln, das heißt aus der
Machtbündelung, strukturelle Effekte zu zielen. Es ist offensichtlich,
dass es in dieser Hinsicht keinerlei Effekte gab. Wir kennen alle die
weitgehend undiskutierten und nun doch wieder ungewissen
Standortentscheidungen, die ja stadtentwicklungspolitisch alle sehr
relevant sind. So zur Zukunft der Zentralen Landesbibliothek auf dem
Tempelhofer Flughafen, die eher geopolitisch als denn wirklich
stadtstrukturell gedacht war, und das Projekt der Kunsthalle.
Enttäuschend auch die Bilanz bei der Opernstiftung. Statt die
strukturellen Reformen fortzusetzen und die Opernstiftung zu stärken,
genehmigte sich der Regierende Bürgermeister die Rücknahme der von ihm
selbst in der vorangegangenen Legislaturperiode durchgesetzten
Kürzungen bei der Opernstiftung und legte gleich noch etwas drauf. So
wurde mit Geld ein konfliktreiches Feld befriedet und die
Ungleichgewichte im Kulturetat verschoben sich weiter zur Oper.
Wenn wir allerdings das letzte Wahlprogramm der Linkspartei in die
Hand nehmen, werden wir erkennen, dass wir wichtige eigene Schwerpunkte
nicht durchsetzen konnten. Ich denke vor allem an die Ausarbeitung und
Verabschiedung eines Bibliothekenkonzeptes für Berlin, oder die in
Aussicht genommene verbindliche Regelung der Aufgaben und der
Finanzierung der kommunalen Kulturarbeit in den Bezirken. Trotz
Vorarbeiten hatte es keine wirklichen Fortschritte gegeben. Das
Prokrustesbett der Kosten- und Leistungsrechnung und die widersinnige
Form der Budgetierung, die unser Kulturstadtrat Michael Nelken so
scharf analysiert hat, konnten nicht aufgebrochen werden. Die
Linkspartei hat zu den Problemen der Kulturarbeit in den Bezirken in
den Bezirken selbst keine einheitliche Position entwickeln können.
Die Frage, wie sich die Stadt Berlin als Großstadtregion mit
Bezirken, die ja jeweils Großstadtgröße haben, selbst als Subjekt von
Kulturentwicklung im kommunalen Sinne versteht, ist weiterhin ungelöst.
Selbst bei der Frage der einheitlichen Verwaltungsstrukturen vertraten
linksparteidominierte Bezirke unterschiedliche Positionen. Die Frage,
wie denn unter den Bedingungen des jetzigen bezirklichen
Finanzierungssystems diese gesamtstädtisch für notwendig erachtete
kommunale Kulturarbeit zu leisten ist, harrt weiterhin der Lösung. Das
ist besonders bitter, weil das gewissermaßen seit dem Einigungsprozess
zu Beginn der 90er Jahre die Stadt bewegt hat, denn aus der
unterschiedlichen Ausstattung von Ost und West, ist eine rein
fiskalpolitisch exekutierte Regulierung geworden, statt einer
tatsächlich gesamtstädtischen Strukturbildung, um das Verhältnis von
Gesamtstadt und Bezirken in kulturpolitischer Hinsicht neu
auszubalancieren. Umso heroischer ist der Einsatz der KulturakteurInnen
zu bewerten, unter diesen Bedingungen immer noch Kulturförderung zu
ermöglichen und immer wieder neu anzustoßen.
Auch bestimmte Ansätze, die aus der Koppelung von Kultur und
Wirtschaft mit dem ersten Berliner Kulturwirtschaftsbericht erwachsen
waren, wurden in der letzten Legislaturperiode nicht weitergeführt.
Harald Wolf und ich haben, als wir das damals in der ersten Phase
erstellt haben, festgestellt, wie unterschiedlich die
Begriffsbestimmungen Analyseinstrumente von öffentlicher
Kulturförderung und Kulturwirtschaftsberichterstattung nach wie vor
sind – ein Ausdruck des immer noch weithin unbegriffenen Zusammenhangs
von Ökonomie und Kultur. Wie können die Kulturökonomie des Gemeinwesens
und die des kommerziellen Bereichs (high, low und non profit) in einer
Stadt in ihrem Zusammenhang begriffen und eventuell sinnvoll deren
Rahmenbedingungen gestaltet werden? Heute kann niemand sagen, wie sich
dieses Verhältnis für die verschiedenen Kultursektoren von privater
Förderung, öffentlichen Investitionen und privatem Konsum für die Stadt
tatsächlich gestaltet. Was macht z.B. eine Buchstadt Berlin aus? Zwar
siedeln sich immer mehr Verlage hier an. Aber wie steht es mit der
Leseförderung und wie existieren die Autoren in dieser Stadt? Welche
Effekte hat das Bibliothekssystem in Berlin? Diese Zusammenhänge lassen
sich natürlich nur schwer abbilden. In einigen Bereichen wird versucht,
dies durch Clusterbildung zu beschreiben – und zu fördern (Mode,
Design, Film). Die Cluster werden aber zu stark nach den
Wertschöpfungsketten hin untersucht, nicht auch nach den
Produktionszusammenhängen öffentlicher Güter (kulturelle Bildung,
öffentliche kulturelle Infrastruktur), die ja Voraussetzung von
Kulturproduktion sind. Diese noch zu wenig erforschten Zusammenhänge
generieren mittelbar auch stadtstrukturelle Effekte. Die Anrufung der
Kreativen stützt sich viel zu oft auf deren das Stadtbild prägenden und
Aufwertung förderlichen Lifestyle, nicht auf die Frage, welche
öffentliche kulturelle Infrastruktur sie benötigen, die dann auch
anderen Bevölkerungsgruppen dienen könnte.
Als echtes Plus der letzten Legislaturperiode kann wohl der
öffentliche Beschäftigungssektor Kultur abgerechnet werden. Dessen
Zukunft steht aber weiter in der Diskussion. Er war schon in der
letzten Legislaturperiode hart umkämpft, zwischen Sozialdemokraten und
Linken. Um ihn langfristig zu entwickeln, brauchen wir diese
gesamtökonomischen Betrachtungen, stadtstrukturelle Betrachtungen, um
ihn auch zu legitimieren.
Obgleich Sie eine gewisse Skepsis heraushören – die soll die
Debatte anregen damit wir über einfache Lösungen hinauskommen – wir als
Programmmacher dieser Tagung haben durchaus einige programmatische
Thesen, die als Grundlage für unsere Erörterungen dienen können.
Offensichtlich ist es sinnvoll, Kultur und Stadtentwicklung im
Zusammenhang zu denken und zu gestalten. Vielleicht könnte sogar zu den
partiellen thematischen Zugängen der letzten Jahre endlich eine
wirkliche Orientierung auf die Stadt als Gemeinwesen, als konkrete
Gesellschaft folgen. Stadtentwicklung ist – in einem breiten Sinne –
ein Leitressort. Dennoch müssen wir feststellen, dass der
Stadtentwicklungsplan Kultur, den es ja gibt, nicht viel mehr als eine
informelle Planung ist. Er macht nichts anderes als die Dinge, die an
anderer Stelle entschieden werden, im Plan nachzutragen. Es gibt - und
das muss man mit aller Deutlichkeit feststellen - weder zwischen den
Bezirken noch für die Gesamtstadt, oder gar zusammen mit Brandenburg,
so etwas wie eine integrierte Kulturplanung. Wobei es nicht um die
Inhalte der Kultur geht, sondern um die Rahmenbedingungen, um die
Strukturentscheidung als eine verbindliche Grundlage
ressortübergreifender Abstimmung.
Interessant ist – vielleicht gibt das Hoffnung - der neu
aufgekommene Bürgerprotest zu den verschiedensten Gegenständen
städtischer Entwicklung. Protest ist immer auch kulturell fundiert,
sowohl hinsichtlich des Bruchs mit dem Einverständnis als auch
hinsichtlich Form und Gegenstand es Protestes. Zu beobachten ist
allerdings, dass das kulturelle Interesse am kulturellen Erbe, an der
Artikulation befürchteter oder erlittener Verlusterfahrungen ungleich
größer ist, als die kollektive Verständigung über eine gemeinsame
Zukunft. Da niemand die Pluralisierung der Lebenslagen und die
Individualisierung der Lebensstile zurücknehmen kann oder will, bleibt
dennoch die Frage, wie es unter diesen Bedingungen gelingen kann,
kulturell Gemeinsinn zu konstituieren und welche Funktion hier der
Linken zukäme.
Wir wollen heute, und da kommen wir dann in unsere nächste
Abteilung, das Verhältnis von kommunalen Institutionen und freien
Projekten ansprechen, weil sich da offenbar neue Spannungen, aber auch
neue Bündnismöglichkeiten ergeben. Meine Erfahrung ist, dass man die
kommunalen Institutionen in ihrer Autorität erhöhen könnte, indem man
die Amtszeiten der Leitung begrenzt. Ich sehe natürlich mit Solidarität
und unendlichem Respekt, wie meine Kollegen und Kolleginnen von 1990
heute noch in den Bezirken in ihren Ämtern sind. Ich kann aber auch
verstehen, dass da Ermüdungserscheinungen oder Betriebsblindheiten
bestehen und dass es zermürbt, wenn das Engagement der Kulturleute nur
selten gewürdigt wird. Da das Verbleiben im Amte aber auch eine Frage
der sozialen Existenz ist und der Wechsel in andere interessante
Aufgabenbereiche gar nicht bzw. nur selten möglich ist, darf das bitte
nicht als persönlicher Vorwurf, sondern als strukturelles Problem
benannt sein. Natürlich würde ich es nach wie vor begrüßen, wie es, wie
ich höre hier in Marzahn-Hellersdorf ist, dass wir integrierte
Kulturämter haben, mit Bibliotheken, Volkshochschulen, Musikschulen und
den Kulturämtern, so dass diese Fragen von Kultur und Bildung in einem
breiteren, nicht bildungspolitisch verengten Sinne, zusammengefasst
sind.
Auf der anderen Seite, wenn dann diese Institutionen vielleicht
durch begrenzte Amtszeiten in ihrer Autorität gestärkt sind, will ich
die Kulturschaffenden, die Freiberufler auffordern, ihre Autonomie zu
verteidigen. Das ist eine Aufgabe, die nur begrenzt von städtischer
Seite zu leisten ist, da geht es um Fragen wie Urheberrechte,
Ausstellungshonorare, was ein Sache der kommunalen Institutionen wäre.
Es geht um die Künstlersozialversicherung, um den Erhalt der
Berufsfähigkeit bei Bezug von Transferleistungen und ähnliche Dinge,
die auf städtischer Ebene zu lösen sind. Aber: die Autonomie der
Kreativen und Kulturschaffenden sollte unbedingt beachtet werden, auch
zum Schutz vor der Politik und für die Kreativität dieser
Kulturschaffenden. Oftmals hat man den Eindruck, dass wegen der
Sachzwänge auch die Kreativen gezwungen sind, sich der Politik
anzudienen. Das ist ein Zeichen von Ästhetisierung der Politik, um mit
Benjamin zu sprechen, oder der Kulturalisierung von Politik. Es ist
eine große Gefahr, dass die Differenz, also die Spannung von Politik
und Kunst, verloren zu gehen droht. Dass Künstler das zumindest
reflektieren, will ich hier abschließend mit einer Postkarte von
Michael Kutzner verdeutlichen. In einer Ausstellung einer kommunalen
Galerie in Pankow verteilte er mit freundlichem Grinsen diese Karte:
"Parteien sind kreativitätstötend". Das sollte uns nicht beleidigen,
sondern es markiert den notwendigen Abstand von Kunst, Kultur und
Politik. Umgekehrt erwächst aber auch für die Parteien, für uns
natürlich als Linke, die Frage, was zu tun wäre, damit sie in
kultureller Hinsicht als ein interessanter Partner nachgefragt werden.
Zunächst vielleicht als ganz elementare Antwort: wenn hier interessante
Fragen erörtert werden.
In diesem Sinne heiße ich Sie nochmals herzlich willkommen.
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