Report | Kulturation 1/2003 | Ute Mohrmann | FrauenArbeit in Eisenhüttenstadt Ein Blick auf den östlichsten deutschen Osten
| Die
Studie zur Frauenarbeit in Eisenhüttenstadt ist Mosaikstein für ein
Bild von Geschichte und Gegenwart des Frauenalltags in
Eisenhüttenstadt.[1] Hier interessieren die Veränderungen und Brüche
von Frauenarbeit unter den Bedingungen der Transformation der
staatssozialistischen Gesellschaft in eine marktwirtschaftlich
organisierte. Dabei stehen berufstätige Frauen der Industrie, der Stadt
um die „Eisenhütte“, im Zentrum der Betrachtung. Die verschiedenen
Frauengenerationen leben heute mit unterschiedlichen Erfahrungen und
subjektiven Deutungen ihrer vergangenen und gegenwärtigen Arbeitswelt
sowie mit massenhafter Arbeitslosigkeit mit- bzw. nebeneinander in der
Stadt. Mehrheitlich in der DDR sozialisiert, sehen sie sich seit der
„Wende“ bei Verlust ihres bisherigen (Arbeits-) Wissens und seiner
selbstverständlichen Anwendbarkeit grundsätzlich neuen Anforderungen
gegenüber, die auf Anpassung und Assimilation zielen. Dieser kulturelle
Prozeß ist in seiner Spezifik gleichzeitig Bestandteil eines
allgemeinen strukturellen Wandels der Spätmoderne. Die
Entstandardisierung der Erwerbsarbeit gehört mit allen ihren Fassetten
in diesen „allmählichen Umwandlungsprozeß zu einer neuen
postindustriellen und transnationalen Gesellschaft“[2]. Von Stalinstadt nach Eisenhüttenstadt
Eisenhüttenstadt, heute im östlichsten deutschen Bundesland, in
Brandenburg, gelegen, feierte im Jahr 2000 sein fünfzigjähriges
Stadtjubiläum.[3] Ein Jahr nach Gründung der DDR entstand auf
SED-Beschluß in einer von Wäldern und Landwirtschaft geprägten
Landschaft ein Industriegigant, das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO). Für
die Erbauer und Erbauerinnen des Werkes wurde am Reißbrett eine
Wohnstadt entworfen, die eine Zeit lang Stalinstadt hieß und 1961 in
Eisenhüttenstadt umbenannt wurde. Die Hütte galt als
„Schwerpunktaufgabe Nr. 1“ und die Wohnstadt als erste „sozialistische
Stadt“ der DDR. Ihre Heroisierung verband sich mit einem bescheidenen
Wohlstand und einem modellhaften soziokulturellen Klima. Von
Kinderkrippen und Kindergärten, von Einkaufs- und
Dienstleistungseinrichtungen wie von Kultur- und Sportstätten in
unmittelbarer Wohnnähe profitierten nicht zuletzt Mädchen und Frauen
sowie die jungen Familien. Die überdurchschnittlich guten
Lebensumstände, unvergleichbar mit denen in der „übrigen“ DDR,
minimierten die Überbelastung der mehrheitlich berufstätigen Frauen und
prägten Identität. Der Stolz der Frauen auf Lebensbewältigung traf sich
mit dem propagierten Mythos der Aufbaugeneration sowie mit dem Leitbild
der Frau als „berufstätiger Frau und Mutter“. Bereits in den letzten
zwei DDR-Jahrzehnten ließen die gesellschaftlichen Verhältnisse das
einstige Pathos vom EKO-Industriegiganten und das Ideal der
sozialistischen Musterstadt verblassen. Die Umstände schliffen den
Eisenhüttenstädter Alltag DDR-typisch und steigerten seine
Konflikthaftigkeit in Betrieb, Familie und Öffentlichkeit. Die
Nachkommen der Aufbaugeneration pendelten zwischen Engagement,
Arrangement, neuen Bedürfnissen und Resignation. Besonders die Jüngeren
teilten weniger die „tugendhafte“ Bescheidenheit und disziplinierte
Tüchtigkeit ihrer Mütter und Großmütter. Das Leben in der
Stadt blieb vom Werk bestimmt. Dabei wirkte sich das „Auf und Ab“ der
wirtschaftlichen Lage des Betriebes deutlich aus. 1978/79 hatte die
SED-Führung über den weiteren EKO-Ausbau entschieden. Durch die
österreichische VOEST Alpine AG wurde von 1980 bis 1984 das
Konverterstahlwerk errichtet. Das bedeutete eine erneute Aufwertung
Eisenhüttenstadts. Schließlich beschloß der SED-Parteitag 1986 den Bau
des Warmwalzwerkes. Ein Jahr danach lautete der letzte Beschluß aus
DDR-Zeit zum EKO: Stopp den Bauarbeiten! Das Ende der DDR folgte.
Mit dem gesellschaftlichen Umbruch 1989/90 geriet Eisenhüttenstadt -
verstärkt durch die industrielle Monostruktur - in die Krise. Am 1.
Januar 1990 hatten noch rund 12.000 Beschäftigte im EKO Arbeit, davon
ca. 4.000 Frauen. Kurz darauf stand der Erhalt des Werkes in Frage. Von
heute auf morgen mussten andere Betriebe der Stadt mit einem hohen
Frauenanteil, wie die Wäscherei, der Konsum, die Handelsorganisation
(HO), die Möbelwerke u.a. schließen. Selbstbewusst beteiligten sich die
Frauen am Arbeitskampf für die Erhaltung der Arbeitsplätze. Im Zentrum
stand die Rettung des Hüttenwerkes: „Stirbt das Werk, dann stirbt die
Stadt“, „Eisenhüttenstadt muß leben - darum Stahl“. Der dramatische
Arbeitsplatzabbau traf besonders die Frauen, allein ca. 3200 im EKO.
Die Einwohnerzahl sank vor allem durch Arbeitsabwanderung von über
53.000 auf etwa 47.000. Mit der Privatisierung der EKO Stahl
AG 1994 und dem Schließen der technologischen Lücke durch den Bau des
Warmwalzwerkes hatte sich die Lage zu stabilisieren begonnen. Das EKO
wurde zum Symbol der Selbstbehauptung. Die heute rund 3000
Beschäftigten der EKO Stahl GmbH sind allerdings erneut in Sorge um die
Zukunft des Unternehmens. Die anstehende „Elefantenhochzeit“ zwischen
den Konzernen Unisor (Frankreich, Mutterhaus von EKO), Arbet
(Luxemburg) und Aceralia (Spanien) zum weltgrößten Stahlkonzern und die
ebenfalls ins Gerede gekommene Übernahme des Eisenhüttenstädter Werkes
durch den Stahlgitter-Konzern wecken Unsicherheit, zugleich
Entschlossenheit: „Wir wollen keine Panikstimmung erzeugen, aber wir
haben in den letzten zehn Jahren gezeigt, was wir können. Und wenn es
notwendig ist, werden wir noch eine Schaufel zulegen.“[4] Die Frauen der Aufbaugeneration
Die älteren Bürgerinnen der Stadt gehören in der Mehrzahl zu den in den
frühen fünfziger Jahren zugewanderten jungen Arbeiterinnen. Sie leben
heute mit den Erinnerungen an die Zeit des Anfangs. Die oft schwere,
aber einträgliche Arbeit mit Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten
auch für Frauen hatte eine starke Bindungskraft entwickelt. Viele der
Älteren sind seit 1990 aus ihrem gewohnten Arbeitsumfeld gerissen
worden: „Erst hieß es während der „Wende“, wir brauchen euch, dann
musste ich am 2. Oktober 90 ganz unvorbereitet in den Vorruhestand.
Plötzlich waren wir beide, mein Mann und ich, zu Hause und wurden nicht
mehr gebraucht. Es war anfangs eine schwere Zeit, denn für uns brach
eine Welt zusammen.“ Diese Erfahrung traf die in den fünfziger Jahren
Zugezogenen besonders schmerzhaft. Sie waren seit ihrem Zuzug in der
Regel durchgängig berufstätig und sind mit Werk, Stadt und Region am
engsten verbunden. In deren Aufbau und Umgestaltung sehen sie ihre
Lebensleistung: „Schauen Sie mal, ich hab ja die Stadt wachsen sehen
hier, nich. Es ist ja vieles gebaut worden in der Zeit, wo ich hier
wohne, und sie haben auch schöne Anlagen geschaffen. Ja, ich hab auch
dabei mitgemacht. (...) Ja doch, mir gefällt unsre Stadt.“[5] Die
Enttäuschung vieler über ihre gegenwärtige - oft prekäre finanzielle -
Situation wird von Jüngeren geteilt: „ Also ich geh hier eine Frau
besuchen, die ist schon über 90. Sie hat so ungefähr 900 DM Rente. Ohne
Unterstützung der Kinder hätte sie ganz schön zu knabbern. Gerade die
Generation, die die schweren Aufbaujahre mitgemacht hat, müsste
eigentlich besser gestellt werden, weil die erst mal die Grundlagen
geschaffen hat, auf denen andere aufbauen konnten“. Der Bau
des neuen Hüttenwerkes und einer Wohnstadt Anfang der fünfziger Jahre
hatte „Goldgräberstimmung“ ausgelöst. Arbeit und Geld,
Sonderversorgungen und die Aussicht auf eine Wohnung lockten. Von
Anfang an waren Frauen meist als Ungelernte auf der Baustelle und im
Werk tätig: „Am 22. August 1950, vier Tage nach dem ersten Spatenstich
für das EKO, begann ich als 15jährige bei der Bau-Union Ost.
Eingestellt wurde ich als Tiefbauarbeiterin, habe monatlich 180 Mark
verdient. Die Arbeit für Mädchen war schwer, Bäume fällen, Feldloren
beladen, Straßen bauen. Die Werkstraße bis hin zur Hochofenstraße habe
ich mitgebaut. Darauf bin ich stolz!“ Eine ehemalige Baumaschinistin,
die einen 500-Liter Beton-Mischer bediente, erinnert sich: „Wenn ich
mir die Diehloer Straße so ansehe, denke ich daran, dass jedes
benötigte Kilo Zement durch meine Hände gegangen ist. Beim Bau dieser
Straße habe ich mitgemacht. Wir haben auch an der Werkstraße mitgebaut.
Das war alles schwere körperliche Arbeit, aber ich habe das geschafft.“
Die Geschichten vom schweren Anfang - von der Knochenarbeit der Frauen,
von ihrem Ringen um Akzeptanz durch die männlichen Arbeiter und vom
konfliktreichen Leben in der Barackenstadt - werden aus der Perspektive
der Überwindung von Schwierigkeiten erzählt. Doch erfahren auch die
sechziger Jahre - im Gegensatz zu den Siebzigern und Achtzigern - bei
dieser Generation eine durchweg positive Bewertung. Für
viele Eisenhüttenstädterinnen war die Berufsarbeit, nicht zuletzt die
in den Männerdomänen Bauwirtschaft und Roheisenwerk, zu einer relativen
Selbstverständlichkeit geworden. In der ersten Zeit arbeiteten auch
Frauen an den Hochöfen: „Ich war jung, wollte was erleben, unbedingt
einen Beruf erlernen. Dann ging es los. Man warb für Hochöfner und
Apparatewärter. Ich bin zum Hochofen gegangen., als Anlernling. Ich
habe dann in einem Jahr den Facharbeiter als Hochöfner gemacht, im
Abendkurs, immer vor oder nach der Nachtschicht. Gearbeitet habe ich
als Apparatewärter am Hochofen.“ Frauenarbeit an den Hochöfen wurde
noch in den fünfziger Jahren aus gesundheitlichen Gründen verboten.
Aber die Arbeiterinnen des EKO-Männerbetriebes erstritten ihre
Einbindung in andere bislang von Männern besetzte Arbeitsbereiche,
trotz männlicher Vorurteile. Vehement klagten die Frauen ihre
gesetzlich verankerten Rechte, wie die Gewährleistung beruflicher
Qualifizierungen, die bessere Vereinbarkeit von Schichtarbeit und
Kinderbetreuung, die bevorzugte Wohnungszuweisung an alleinstehende und
an kinderreiche arbeitende Mütter, ein. Die Umsetzung gesetzlicher
Bestimmungen und politischer Proklamationen zur Gleichberechtigung der
Frauen erwiesen sich jedoch als langwierig und widerspruchsvoll. Der
beständige Arbeitskräftemangel bewirkte letztlich die permanente
Integration der Frauen in den Arbeitsprozeß. Die generelle Einführung
der Fünftage-Arbeitswoche 1967 hatte die Bereitschaft der verheirateten
Frauen zur Erwerbsarbeit begünstigt. Die weiblichen Berufsbilder waren
inzwischen differenziert. Die wachsende Stadt hatte Lehrerinnen,
Kindergärtnerinnen, Künstlerinnen, Ärztinnen, Krankenschwestern,
Verkäuferinnen und Verwaltungsangestellte gebraucht. Die Großbäckerei,
die Molkerei, das Fleischkombinat und das Dienstleistungskombinat waren
weitgehend „Frauenbetriebe“. Die Nachkommen der Aufbaugeneration
Während der siebziger/achtziger Jahre war die grundlegende Veränderung
des Charakters der weiblichen Berufsarbeit von der angelernten zur
qualifizierten Erwerbsarbeit vollzogen. 1971 hatte noch einmal eine
Qualifizierungswelle eingesetzt. Sie betraf nun vorwiegend die Mitte
Dreißig- bis Fünfzigjährigen. Die finanzielle Anerkennung der
Qualifikation war das ausschlaggebende Motiv, eine aufwandreiche
Weiterbildung auf sich zu nehmen. In Abendkursen und Sonderlehrgängen,
im Frauensonderstudium und in anderen Weiterbildungsformen wurde die
Berufsausbildung nachgeholt: „Die Betriebsleitung des EKO hat mich
bekniet. Ich hatte ja noch kein Abitur, sondern Handelsabschluß. Sie
haben mich gefragt, ob ich interessiert wäre, mich weiter zu entwickeln
und im Rahmen der Volkshochschule noch die Fächer Mathe, Physik und
Chemie nachzuholen. Dann habe ich angefangen und schließlich 1973 mein
Diplom gemacht. Mit der Qualifikation änderte sich auch mein Job im
EKO. Bin von der Betriebswirtschaft zur Kostenrechnung übergesiedelt
und 1975 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Hauptbuchhalter
eingestiegen, wurde später Hauptbuchhalter.“ Letztlich waren
Frauen statistisch gesehen gleichermaßen qualifiziert wie Männer. Im
DDR-Durchschnitt erhielten sie jedoch ein Drittel weniger Lohn als ihre
Kollegen.[6] Viele der nun technisch qualifizierten Frauen füllten mit
Fließbandarbeit - wie beispielsweise in einigen Eisenhüttenstädter
Betrieben der Lebensmittel- und Dienstleistungsbranche -
Automatisierungslücken. Zudem gehörten Frauen immer wieder zur
abrufbaren Ressource, so beim Ersatz für männliche Arbeitskräfte, wenn
diese zu Schwerpunktaufgaben umgesetzt wurden oder wenn das EKO einen
neuen Wachstumsschub erfuhr. Das war vor allem bei der Inbetriebnahme
des Kaltwalzwerkes 1968 und des Konverterstahlwerkes 1984 der Fall. Die
Technisierung weiblicher Berufsarbeit hatte unter der Losung „Frauen
meistern die Technik“ bereits in den sechziger Jahren eingesetzt. Im
EKO wurden Ende des Jahrzehnts verstärkt Frauen als Kranfahrerinnen
tätig. Technikkompetenz war für Mädchen attraktiv geworden: „Die Liebe
zum Kran wurde mir praktisch in die Wiege gelegt. Meine Eltern waren
beide Kranfahrer und zogen von einer Großbaustelle zur anderen. Mit
zehn Jahren durfte ich erstmals einen Kran bedienen, das war ein
Riesenerlebnis. Als in der 9. Klasse dann jemand zu uns an die Schule
kam und Werbung für das EKO machte, war meine erste Frage, ob man auch
Kranfahrer werden könne.“ Viola Müller arbeitete bis 1989 in diesem
Beruf. Auf einer Auszeichnungsreise in die österreichischen VOEST-Werke
war ihr aufgefallen, „daß es in den Werkhallen keine Frauen gab, schon
gar nicht auf einem Kran. Frauen sah ich nur in der Küche.“ 1990, nach
Ablauf des Babyjahres, hatte die Eisenhüttenstädterin ihren
Arbeitsplatz auf dem Kran verloren. Nach Weiterbildung, Umschulung und
langer Arbeitslosigkeit ist sie heute in einem Otto-Bestellcenter
tätig. Ihr Mann, ihr ehemaliger Lehrmeister, fährt noch immer einen
Kran im EKO. „Manchmal, wenn er von seiner Arbeit erzählt, beneide ich
ihn. Obwohl ich nicht mehr tauschen würde, wünsche ich mir nichts
sehnlicher, als noch einmal dort oben zu sein, wenn auch nur für einen
Tag, um auszuprobieren, ob ich noch einen Kran bedienen kann“. [7]
Gegenwärtig sind von den ca. 700 Frauen des Werkes nicht wenige als
Kranfahrerinnen tätig. Sie arbeiten in Normal-, Spät- und Nachtschicht
auf riesigen Kränen, die in knapp zwanzig Meter Höhe durch das Walzwerk
gleiten und Stahlrollen durch die Halle hieven. Gegen wachgerufene
männliche Vorurteile verteidigen die Frauen das Kranfahren als
Frauenarbeit. Nach der „Wende“ wurde der Facharbeiterstatus aberkannt.
Die Kranfahrerinnen - zu DDR-Zeiten oft als „Heldinnen der Arbeit“
gepriesen - sind derzeit als Ungelernte eingestellt und werden
unterhalb des „Westtarifs“ entlohnt. Die Imageeinbuße wird subjektiv
reflektiert. Doch sie war das kleinere Übel. Zunächst drohte allen
Frauen der Arbeitsplatzverlust. Das in der alten BRD bestehende
Nachtarbeitsverbot für Frauen sollte auch im EKO gelten. Im Ergebnis
des Arbeitskampfes konnte vorerst eine Ausnahmeregelung und ab 1993
eine Gesetzesänderung erreicht werden. Die EKO-Frauen können selbst
entscheiden, ob sie Nachtschicht arbeiten möchten oder nicht. Viele
arbeiten, wie gewohnt, in Schicht. Als der kirgisische Schriftsteller
Tschingis Aitmatow bei einem Werkbesuch 1999 eine der Kranfahrerinnen
poetisch „Göttin des Metalls“ nannte, wurde darin eine willkommene
Aufwertung aller Kran-Frauen gesehen. Die Schriftstellerworte waren
Stadtgespräch.[8] Für die Frauen der mittleren Generation,
nicht selten geschieden bzw. alleinerziehend, erwies sich bereits seit
den siebziger Jahren Erwerbsarbeit zum Erhalt ihrer Lebensgrundlagen
als notwendig. Zugleich war Berufstätigkeit im eigenen Lebensentwurf
enthalten. 1969 waren 76 Prozent aller Frauen im arbeitsfähigen Alter
berufstätig, davon 27 Prozent mit Hochschul- oder Fachschulabschluß.
Jeder zweite in der DDR-Wirtschaft Tätige war eine Frau.[9] Mit dem
Schritt in die ökonomische Unabhängigkeit war allerdings den Frauen die
Last der unbezahlten Hausarbeit, die bis zu 80 Prozent von ihnen
geleistet wurde, nicht genommen. Durch die ununterbrochene
Berufstätigkeit der Frauen entstanden zudem Widersprüche und Probleme,
von denen vor allem die Geburtenunfreudigkeit gesellschaftlich
reflektiert wurde. Mit dem Zugang der DDR-Frauen zur Pille seit 1968
und dem Recht auf freie Abtreibung seit 1972 spitzten sich die
offiziellen Debatten zu diesem Problem zu. Die sozialpolitischen
Maßnahmen - wie die Erhöhung des Kindergeldes, der Kinderkrippen- und
Kindergartenplätze, die Breitstellung zinsloser Kredite für junge
Eheleute und von Geburtenbeihilfen sowie die Gewährung des Babyjahres
und die Freistellung bei Krankheit der Kinder - hatten dann auch den
gewollten Effekt: den Babyboom der siebziger Jahre. Verschob sich die
Wahrnehmung berufstätiger Frauen auch in Richtung Mutterschaft und
Privatleben, so nahm die Berufstätigkeit doch ständig zu. Dabei traten
Konflikte besonders zwischen den Frauengenerationen auf, da die
Ausfallzeiten der „Muttis“ kompensiert werden mussten und junge Frauen
mit Kindern in ihrem beruflichen Fortkommen oft behindert wurden. Ende
der achtziger Jahre betrug der Frauenbeschäftigungsgrad in
Eisenhüttenstadt knapp über 90 Prozent. Darunter befand sich die gut
ausgebildete „Generation der Enkelinnen“. Im EKO waren sie
beispielsweise am Steuerpult der Verzinkungsanlage und in der
Walzenschleiferei sowie als Elektronikfacharbeiterin, Ökonomin,
Ingenieurin und Forscherin tätig. Allerdings unterlagen sie in der
professionellen Hierarchie nicht selten männlicher Konkurrenz. Der
offiziell erwartete Dank für Ausbildung und Arbeit der Jungen blieb
weitgehend aus. Die Träume der historischen Arbeiterbewegung in ihrer
„Dreifaltigkeit von Wohnen, Brot und Arbeit hatten mit den
Zukunftsvorstellungen der in sozialistisch-paternalistischer Sicherheit
herangewachsenen Jugend so gut wie nichts zu tun.“[10] Die junge
Generation hatte neue Erwartungen an Lebensstil und Verhältnisse. Ende und Anfang – Grundlegender Wandel
Gut zehn Jahre nach der deutsch-deutschen Vereinigung haben sich
Arbeits- und Ausbildungsverhältnisse sowie der Charakter der Arbeit für
alle in Eisenhüttenstadt lebenden Generationen grundlegend verändert.
Die Anforderungen der allgemeinen ökonomischen Transformation der
spätmodernen kapitalistischen Gesellschaften wurden in Ostdeutschland
durch die Spezifik der Deindustrialisierung und Dequalifizierung, nicht
zuletzt durch den deutsch-deutschen Elitenwechsel potenziert. Die
Umbrüche treffen besonders die an beständige Erwerbsarbeit gewohnten
oder auf dieselbe fixierten Frauen. 1999 bestritten im Landkreis
Oder-Spree, zu dem Eisenhüttenstadt gehört, nur 57,5 Prozent der
erwerbsfähigen Frauen ihren Lebensunterhalt vorwiegend durch
Erwerbstätigkeit.[11] In Eisenhüttenstadt hat sich die Zahl der
sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen - laut
Arbeitsamtangaben - von 1991 mit 12.207 bis 1999 auf 7.944 verringert.
Für den gleichen Zeitraum sank die Beschäftigtenzahl der Frauen in der
EKO Stahl GmbH von 3.819 (33,3 Prozent der Beschäftigten) auf 758 (26,6
Prozent). Bei den Angestellten sind Frauen hauptsächlich in
kaufmännischen Berufen tätig. Die gewerblichen Arbeitnehmerinnen
konzentrieren sich vorwiegend als Kran- und Anlagenfahrerinnen in den
Bereichen Transport und Lagerung. Fünf Frauen arbeiten in leitenden
Funktionen.[12] Deutlich hat sich im Werk auch die Anzahl
der Auszubildenden von 1990 mit insg.774 bis 1999 auf insg.161,
darunter 28 Mädchen, verringert. Die weiblichen Azubis werden vor allem
als Industriekauffrau ausgebildet. Bemerkenswert niedrig ist die Zahl
der als Industriemechanikerin (4) und als Energieelektronikerin (2)
auszubildenden Mädchen.[13] Die gewerblich-technischen Berufe befinden
sich auch nicht auf der „Hitliste“ der weiblichen Schulabgängerinnen in
Eisenhüttenstadt. Im Schuljahr 1999/2000 entschieden sie sich für
Berufe in folgenden Bereichen: Sozial- und Gesundheitswesen, Verkauf,
Büro und Hotel. Dagegen spielen neue Berufsfelder in den
Medien/Technologien bei Mädchen gegenüber den Jungen eine deutlich
geringere Rolle. Als Motive für die Berufswahl werden die Sicherheit
des künftigen Arbeitsplatzes, „der Beruf soll Spaß machen“ und die
Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit und Familie angegeben.[14] Hier
reicht die kulturelle Bedeutung von Arbeit über die Versorgungsfunktion
und disziplinierte Pflichterfüllung hinaus. Pragmatisch haben sich die
Bewerberinnen damit dem aktuellen Markt und der Einstellungspraxis der
Unternehmen angepasst. Ihr „Wahlverhalten“ unterliegt nicht zuletzt
revitalisierten Traditionen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.
Übrigens sind - nach Angaben des Arbeitsamtes von 1999 - zwei Drittel
der nicht in Arbeit vermittelten Jugendlichen weiblich. Dem
gegenwärtigen Anspruch der Frauen, „arbeiten zu wollen“ steht der
weitere Arbeitsplatzabbau gegenüber. In einer von der
Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Eisenhüttenstadt durchgeführten
Frauenbefragung schätzten 99 Prozent der ca. 400 beteiligten Frauen die
Berufstätigkeit als „sehr wichtig“ bzw. „wichtig“ ein[15]: „Wer möchte
denn schon wirklich nur zu Hause sitzen?“[16] Die eigenen
Lebensentwürfe der Frauen sind mit einer offiziellen Arbeitslosenquote
in der Stadt von 18,3 Prozent und der Frauenarbeitslosigkeit von 25,7
Prozent unvereinbar.[17] Obwohl Qualifizierungs- und
Arbeitsförderungsgesellschaften seit 1991 fast 2.000 Frauen und Mädchen
zeitbefristet aufgefangen haben, sind gegenwärtig über 3.000
Eisenhüttenstädterinnen arbeitslos gemeldet. Viele der in der Stadt
lebenden Ausländerinnen und Aussiedlerinnen sind - trotz
Weiterbildungen und befristeter Projektarbeit - ohne Beschäftigung.
Hinzu kommt eine unüberschaubare Anzahl von Frauen, die ohne
Anspruchsberechtigung auf Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe in
der „stillen Reserve“ verschwunden sind. Dazu gehören auch Frauen, die
sich bewusst für Familienarbeit entschieden haben. Den meisten
Eisenhüttenstädterinnen bedeutet die Rückkehr in Haushalt und Familie
jedoch Status- und Identitätsverlust. Sie definierten sich bisher mit
Selbstverständlichkeit über ihren Beruf, eine kulturelle „Ordnung“, die
noch immer auch im gesellschaftlichen Ordnungssystem verankert ist.[18]
Die Realität des komplexen (post-) industriellen Arbeitsmarktes läßt
„Normalerwerbsbiographien“ in ihrer Abfolge von Ausbildung,
Berufsausübung und Ruhestand, allerdings immer weniger zu. Die sozialen
Lagen der ostdeutschen Mehrheiten sowie ihr sozialisiertes
Sicherheitsdenken befördern Befremden gegenüber ungeradlinigen
Erwerbsbiographien und ermöglichen nur in Ausnahmefällen moderne
„Existenzgründungen“ und Unternehmertum. Frauen sind und fühlen sich
besonders benachteiligt. Unter den Bedingungen der Konkurrenz um
Arbeitsplätze wurde die immer latent vorhandene
Geschlechterrollenzuweisung vom Mann als „Ernährer“ und der Frau als
zuständig für Familien- und Erziehungsaufgaben aktiviert. Befragungen
weisen aus, dass jede 10. Frau und jeder 10. Mann der Auffassung sind,
Frauen würden die beruflichen Interessen familiären Belangen
unterordnen, was zudem Arbeitslosigkeit befördere. Diese Meinungen
haben sich zwischen 1996 und 1998 befestigt: Der Anteil von Frauen, die
der Aussage voll zustimmten, stieg von 5 auf 11 Prozent, bei denen, die
teilweise zustimmten, von 26 auf 33 Prozent.[19] Dabei spielen die
zunehmenden Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Kinder durch die
Schließung von Kitas und die Einschränkung des Rechtsanspruchs auf
einen wohnortnahen Kitaplatz eine beachtliche Rolle. Zudem beeinflussen
Arbeitsstreß und die von den berufstätigen Frauen beklagten Defizite an
freier Zeit Meinungen und Verhalten. Die Bewertung von Arbeit
und Arbeitslosigkeit durch die Bevölkerung in Ostdeutschland beinhaltet
Besonderheiten wie Allgemeingültiges. Infolge der unerwartet massiven
Lebensveränderungen vor allem seit 1990/91 werden die Probleme
vorrangig der Gestaltung des Einigungsprozesses zugeschrieben. Sie
verbanden sich mit dem Abbau der in der DDR erreichten sozialen
Leistungen und Rechte der Frauen und trafen zeitgleich alle sozialen
Milieus. Die Politisierung korrespondiert mit der Tatsache, dass
Arbeit/Erwerbsarbeit nach wie vor einen zentralen Platz im Leben der
Menschen ausmacht. So kommt es geradezu einer Schutzbehauptung gleich,
wenn formuliert wird: „Man darf nicht nur die Arbeit als Lebensniveau
sehen. Dann geht man kaputt, wenn man keine hat.“ In letzter Zeit
mehren sich durch stabilisierte Interessenkonflikte und
Ungleichheitsstrukturen im Alltagsdiskurs Common-Sense-Annahmen über
Arbeit und Arbeitslosigkeit.[20] Sie schließen - auf arbeitslose Frauen
bezogen - die gängigen Stereotype von der Flucht ins Heim, vom bequemen
Leben, von den faulen Jugendlichen und den Drückebergerinnen ein. Auf
dieser Ebene wird schließlich Arbeit als Pflicht und Disziplinierung
eingefordert. Praktische Hilfe und soziale Betreuung versuchen dagegen
soziale Netzwerke zu leisten. Die gegenwärtig bestehenden Strukturen
behindern jedoch entscheidend die Umsetzung ganzheitlicher
Lebensentwürfe der Frauen, die die Verbindung von Arbeit, Familie,
Kultur und Freizeit beinhalten.
Anmerkungen [1]
Unter dem Titel „Eisenhüttenstädter FrauenAlltag. - Spuren gelebter
Utopie?“ gibt es eine Wanderausstellung, die anlässlich des 50jährigen
Stadtjubiläums 2000 von Eisenhüttenstädterinnen im Rahmen eines
ABM-Projektes erarbeitet und von der Autorin wissenschaftlich begleitet
wurde. Die im vorliegenden Artikel zitierten Zeitzeugenaussagen
sind – wenn nicht anders vermerkt – den Unterlagen des
Ausstellungsprojektes entnommen. Sie wurden 1998/99 aufgezeichnet. [2] Vgl. dazu Peter Niedermüller, Der endlose Übergang des Postsozialismus. In: kuckuck 1 (2000), S. 12-17.
[3] Vgl. u.a. zur Stadtgeschichte: Einblicke – 50 Jahre EKO Stahl, hg.
v. EKO Stahl GmbH, Eisenhüttenstadt 2000; Eisenhüttenstadt – „Erste
sozialistische Stadt Deutschlands“, hg. v. Arbeitsgruppe
Stadtgeschichte, Berlin-Brandenburg 1999; Jenny Richter, Heike Förster
u. Ulrich Lakemann, Stalinstadt – Eisenhüttenstadt. Von der Utopie zur
Gegenwart. Wandel industrieller, regionaler und sozialer Strukturen in
Eisenhüttenstadt, Marburg 1997; Dagmar Semmelmann u.a.,
Eisenhüttenstädter Lesebuch, Berlin 2000. [4] Märkische Oder Zeitung (MOZ) vom 12.09.2001.
[5] Dagmar Semmelmann, Neue Heimat Stalinstadt. Eine Collage aus
Interviews. In: Evemarie Badstübner (Hrsg.), Befremdlich anders. Leben
in der DDR, Berlin 2000, S. 135. [6] Ina Merkel, Leitbilder und
Lebensweisen von Frauen in der DDR. In: Hartmut Kaelble, Jürgen Kocka
u. Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S.
372. [7] Einblicke (wie Anm.3), S. 214. [8] Berliner Zeitung vom 06.11.1999. [9] Neuer Tag vom 01.02.1969. [10] Merkel (wie Anm. 6), S.374.
[11] Bericht zur sozialen Lage der Frauen im Landkreis Oder-Spree,
Drucksache Nr.52/2001, hg. v. Landkreis Oder-Spree,
Gleichstellungsbeauftragte, Beeskow 2001, S. 13. [12] Angaben des Personalmanagements der EKO Stahl GmbH für das Ausstellungsprojekt, 1999. [13] Ebd. [14] Bericht (wie Anm. 11), S. 27/28.
[15] Befragung der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt
Eisenhüttenstadt von ca.900 Frauen zu ihrer beruflichen Entwicklung und
Leistungsbereitschaft, zu kulturellen Wünschen und Bedürfnissen etc. im
Jahr 1993. [16] Jenny Richter, „Wer möchte denn schon wirklich nur
zu Hause sitzen?“ Frauen in Stalinstadt/Eisenhüttenstadt zwischen
Produktion und Haushalt, ergänzte Neufassung (unveröff.) eines veröff.
Beitrages in: Rosemarie Beier (Hrg.), aufbau west – aufbau ost. Die
Planstädte Wolfsburg und Eisenhüttenstadt in der Nachkriegszeit.
Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Historischen
Museums, Ostfildern 1997, S. 219-224. [17] MOZ vom 06.09.2001; Bericht (wie Anm. 11), S. 24.
[18] Alexandra Hessler, Was bin ich? Ungeordnete Erwerbsbiographien in
der postindustriellen Arbeitswelt. (Abstracts) In: dgv Informationen,
Sonderheft, Kiel 2001, S.26. [19] Bericht (wie Anm. 11), S. 24.
[20] Vgl. Johannes Moser, Jeder, der will, kann arbeiten. Die
kulturelle Bedeutung von Arbeit und Arbeitslosigkeit, Wien – Zürich
1993. |
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