Report | Kulturation 2013 | Gerlinde Irmscher | „Fernweh? Vom Sinn des Reisens“
Ein Tagungsbericht
| Am
9. März 2013, in der Hochzeit der Urlaubsplanung und parallel zur
Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB), trafen sich Mitglieder
der KulturInitiative `89 zu einer „geselligen kulturwissenschaftlichen
Diskussionsrunde“. Sie wollten herausbekommen, wie sich
Kulturwissenschaftler als Touristen verhalten, was ihnen am Thema
„Reisen“ wichtig ist und welche eigenen Erfahrungen sie gesammelt
haben. Dieser Austausch wurde eingerahmt durch zwei einleitende
Vorträge von Dietrich Mühlberg und Gerlinde Irmscher und
einen abschließenden Einblick in das Geschehen auf der ITB 2013 durch
die Autorinnen des Buches „Traum: Urlaub – Aber wie?“, Vivien Manazon und Petra Schwarz.
Ergänzt wurden die Beiträge durch ausgestelltes Anschauungsmaterial -
vom historischen Fotoalbum bis zum exklusiven Souvenir - das von den
Leihgebern mehr oder weniger ausführlich erläutert werden konnte, denn
die Zeit wurde, wie nicht anders zu erwarten, knapp. Schließlich sollte
die angekündigte „Geselligkeit“ auch nicht zu kurz kommen.
Einleitend wies Dietrich Mühlberg auf die doppelte Blickrichtung
hin, zu der die Veranstalter alle Mitwirkenden eingeladen hatte: neben
dem Bericht über ganz individuelle Reiseerfahrungen doch auch zu
fragen, ob und wie diese durch die eigene kulturwissenschaftliche
Profession beeinflusst worden sind. Dahinter standen bei der
Konzipierung unserer Veranstaltung Überlegungen, wie sie der Ethnologe
Konrad Köstlin 1993 in einem Aufsatz mit dem Titel: „Wir alle sind
Touristen – Gegenwelten als Alltag“ geäußert hatte. Den Diagnosen der
Postmoderne folgend, die etwa Zygmunt Baumann an der Figur des
Touristen entwickelt hat, fragte Köstlin, was der als „teilnehmender
Beobachter“ charakterisierte Forschertypus der (empirischen)
Kulturwissenschaft mit diesem „neuen“ Menschen gemeinsam habe. „Wie
diese virtuelle Figur der Wissenschaft hält sich der Tourist auf
Distanz, bedacht darauf, sich nicht zu sehr einzulassen aufs Feld oder
sich gar einfangen zu lassen. Dieser Mensch begreift die vorgegebenen
Rituale (selbst das „going native“) sowohl in den Urlaubsländern als
auch in der eigenen Lebenswelt als eine mehr oder weniger gekonnte und
oft unterhaltsame Inszenierung des Lebens.“ (Köstlin 1995 [1])
Joachim Fiebach berichtet über seine Afrikareisen (© Dietrich Mühlberg)
Dietrich Mühlberg sprach in seinem Beitrag von der „Art
beweglich in der Welt zu sein, sie aus verschiedenen Blickwinkeln und
immer wieder neu zu sehen“, in der Antike bereits mit dem Begriff der
„Theorie“ verbunden.[2]
Von den Reisen früherer Tage, aber auch unseren eigenen Reisen
wissen wir durch Reisebeschreibungen und -dokumente (und wenn es das
berühmte „Reisetagebuch“ in Wort und Bild im Internet ist).
Literaturwissenschaftler gehörten deshalb zu den Pionieren
wissenschaftlicher Reiseforschung. Geschrieben wurde über wirkliche
Reisen und über eingebildete oder geträumte, über Reisen zu bekannten,
unbekannten oder fiktiven Destinationen. Heute gibt es selbst
Reiseführer für nicht existente Länder.[3]
Der Vortrag von Gerlinde Irmscher trug den Titel „Reisen als
Lebensform. Ida Pfeiffer – eine Weltreisende im 19. Jahrhundert“ und
hatte mehrere Anliegen. Erstens sollte damit auf die Tatsache
hingewiesen werden, dass seit dem 18. Jahrhundert das Reisen, Sammeln
und Berichten darüber zu einem Beruf wurde, mit dem man seinen
Lebensunterhalt bestreiten konnte. Doch ist damit auch jene
„Unbehaustheit“ des modernen Menschen gemeint, von der eingangs
gesprochen wurde.(Boomers 2004 [4]) Zweitens war beabsichtigt, dem Bild
von der „häuslichen“ bürgerlichen Frau das der reisenden, der
selbständig die Welt anschauenden beizufügen. Drittens – und hier
ergibt sich die Verbindung von Reisen und Wissenschaft – kann an der
Protagonistin Ida Pfeiffer gezeigt werden, dass sich im 19. Jahrhundert
reisende Frauen ungeachtet ihrer mangelnden Vorbildung
wissenschaftliches Ansehen, einen Platz in der internationalen
„Gelehrtenrepublik“ erobern konnten.(Habinger 2006 [5]) Zugleich wurden
Wissenschaften wie Archäologie, Geologie, Botanik oder Zoologie durch
Reisende ebenso konstituiert wie Volks- und Völkerkunde und
Anthropologie. Nicht zuletzt liefern Reiseberichte empirisches Material
für kulturwissenschaftliches Nachdenken über Selbst- und
Fremdwahrnehmung, über Frauen- und Männerbilder, über die Weltbilder
der (bürgerlichen) Gesellschaft, über ästhetische Praxen und vieles
mehr.
Die „Hauptrunde“ gestaltete sich inhaltlich und formal vielfältig
und bunt. Im Folgenden soll versucht werden, sie aus der Perspektive
einer Theorie und Geschichte des Reisens/des Tourismus zu ordnen und
kommentierend vorzustellen. Dabei können natürlich nicht alle Facetten
betrachtet werden – die Berichterstatterin nimmt sich die Freiheit
herauszugreifen, was ihr besonders interessant erscheint.
Erstens: Reisen und Arbeiten
Wann ist eine Reise eine Reise? Man hat sich darauf geeinigt, dass
sie mit einer Rückkehr nach Hause verbunden sein soll, freiwillig ist
und nur eine begrenzte Zeit dauern soll. Sofort wird klar, wie fragil
dieser Kompromiss ist. Eine Fahrt in den Krieg wäre keine Reise – sie
wird als ebenso wenig freiwillig angesehen wie Flucht und Vertreibung.
Doch wie sieht es mit dem Reisen aus, dass mit der Arbeit verbunden
ist, dem Geldverdienen gilt? Viele bekannte Reisende waren keinesfalls
so „freiwillig“ unterwegs, wie die Definition nahelegt. Seume machte
sich nicht nur wegen neuer sinnlicher Erfahrungen auf den Weg nach
Syrakus, er hatte in Leipzig keine Arbeit mehr und zudem Liebeskummer.
Auch Fritz Kummer fuhr um die Welt, weil er zu Hause kein Auskommen
fand. Eine Reise wäre dennoch nicht zwingend notwendig gewesen, gehörte
aber zum setting möglicher Problemlösungen, war als Verhaltensmuster in
diesen Zeiten bereits „normal“. Nicht von Ungefähr kam es auch, dass
Seume, der Spätaufklärer, nach Italien fuhr und Kummer in die USA, in
die aufsteigende kapitalistische Weltmacht.
Beide haben auf ihren Reisen gearbeitet – Seume sammelte Eindrücke
für das Buch, das ihn weltberühmt machen sollte, Kummer finanzierte so
die Fahrt. Der Zusammenhang von Reise und Arbeit kommt allerdings nur
dann in den Blick, wenn nicht allein an die Urlaubsreise gedacht wird,
die geradezu als Suspension von Arbeit, als ihre Gegenwelt definiert
wird. Eine solche Perspektive nahmen Gerta Stecher und Joachim Fiebach ein. Gerta Stecher
Gertas Hüte (© Dietrich Mühlberg)
gab ihrem Beitrag den Titel „Arbeitstourismus“ und meinte: um so
arbeiten zu können, muss man freischaffend sein. Zugleich sieht sie
dieses tätige Unterwegssein als Tourismus-Trip an, Einsprengsel von
„blauer See und weißen Wellen“ in das Vorhaben „Land und Leute“
kennenzulernen und „über sie und mit ihnen“ zu arbeiten. Bei einem
solchen Aufenthalt in den USA ist ein Fernsehbeitrag über „schwarze
Perlen“ in Georgia entstanden, Hauptperson ist Peggy, die Pflegerin
einer weißen Frau.[6] Mit ihr teilte Gerta Stecher eine Vorliebe für
Hüte, einige nahm sie als Reiseandenken mit nach Hause.
Peggy’s Siegerhut (© Gerta Stecher)
Jochen Fiebach berichtete über Arbeitsaufenthalte in Nigeria
(1982-1984), Tansania (1993) und Ghana (1994) Fernweh habe ihn
motiviert, als Tourist sieht er sich nicht. Während über Nigeria
Ethnologisches zur Sprache kam (Begräbnisriten, Silvesterfeier), ging
es in Ghana und Tansania um Formen und Ziele von Theater in Afrika,
seine Geschichte und Gegenwart.
Reisen kann auch Teil des Studiums sein, wie von Frank Götze
zu hören war. Zudem gehören Studenten weltweit zu den reiselustigsten
Gruppen. Heutzutage sollte es schon eine Weltreise sein – unter den
„bagpackern“ ist ein Wettstreit entbrannt, wer es am längsten fern der
Heimat aushält.
Gletscher-"Ansichten" im Tienschan (© Frank Götze)
Zweitens: Reisebiografien
Der Zusammenhang von Reise und Biografie ist wohl eines der
interessantesten Forschungsfelder. Wie ist das Reisen im Lebenslauf
verteilt? Welche Rolle spielt es bei der Sozialisation und was ist
entscheidend für eine „Reisekarriere“? Aus der Geschichte ist eine
paradigmatische Form überliefert, wie durch Reisen der Eintritt in
einen bestimmten, freilich schon vorher feststehenden Lebensweg
vollzogen wurde: die Grand Tour der jungen Adligen.( Brilli 1997 [7])
Doch auch das Handelsbürgertum schickte seine jungen Männer in die
Welt, Handwerker gingen auf die Walz. Montaigne beschreibt, wie
französische Studenten in Padua allerlei Unsinn treiben, unter sich
bleiben und nichts von Italien mitbekommen. Jedem fallen sofort
Beispiele ein, wie auch heutzutage das Reisen zur Sozialisation
Jugendlicher gehört.
Doch einige soziale Gruppen sind mobiler als andere und das auch
aus kulturellen Gründen. Pionierinnen des Massentourismus waren von den
1920er bis zu den 1950er Jahren junge, ledige Angestellte, die ihr Geld
in organisierte Urlaubsreisen investierten. Das war sozial akzeptiert
und ein nicht von Männern besetztes Feld.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Ausprägung von
Reisestrategien, die nicht nur das „ob“, sondern auch das „wie“ und
„wohin“ bestimmen, spielt neben dem Elternhaus die
Gleichaltrigengruppe, zu der man sich zugehörig fühlt. Hier kann es,
wie der Beitrag von Frank Götze zeigt, zu Begegnungen kommen, durch die
man in neue Reisewelten vordringt. In der DDR (wie in anderen
Industrieländern auch) war die „Reiselust“ recht unterschiedlich
verteilt. Hinzu kam, daß viele Details der Reise aufgrund fehlenden
Materials improvisiert werden mussten.
improvisiertes Kartenmaterial für eine Tour im Pamir-Gebirge/Sowjetunion
Großstädter aus dem Süden der Republik und Angehörige der
Intelligenz fuhren am häufigsten weg. Bei ihnen war auch der Anteil von
Urlaubsreisen ins Ausland am höchsten. Geradezu auffällig ist der Raum
Dresden. Hier versammelten sich die „Bergfreaks“, hier saßen
diejenigen, die nicht nur in den Kaukasus, sondern bis zum Altai und
Tienschan strebten. Wer mit ihnen in Berührung kam, wurde angesteckt,
traute sich plötzlich Dinge, von denen er vorher nicht mal geträumt
hatte. Nun hat zwar die Tourismusindustrie schon lange den Himalaja
erreicht, aber individuell organisierte Reisen in kaum touristisch
erschlossene Regionen sind immer noch möglich und verlangen eine hohe
kulturelle Kompetenz. Die erwirbt man im Allgemeinen als Kind oder
Jugendlicher – DDR-Jugendforscher waren überrascht, wie tief frühe
Reiseerfahrungen im Habitus verankert waren. Welche Gestalt nehmen sie
in den unterschiedlichen Lebensphasen an, welche Modifikationen
erfahren sie durch Familie, im Alter, durch Krankheit?
Drittens: Kulturtourismus
Thomas Hertel berichtete über
„Lauf-Freizeitsport-Kulturtourismus-Reisen“ und spontan dachte die
Berichterstatterin an Überlegungen zur „Körperkultur“, wie sie in den
1960er Jahren an der DHfK angestellt wurden. „Kultur“ wurde als
geistiges und körperliches Phänomen verstanden, kulturvoll war, wer
etwas für Geist und Körper tat. Das scheint hier nun geradezu
paradigmatisch verwirklicht und weit über das hinausgehend, was man
sich an der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) unter einem
gelungenen Urlaub vorstellte: tagsüber Waldlauf, abends
Lichtbildervortrag über die Geschichte des Urlaubsortes. Den Lauf zu
nutzen,
Marathon in Rom (© Thomas Hertel)
um die Sehenswürdigkeiten von Städten zu beschauen, das ist eine
unschlagbare Synthese! Hinzu kommen die kulturellen
„Alleinstellungsmerkmale“, mit denen die veranstaltenden Städte sich
durch die entsprechende Souvenirs bei den Teilnehmern in Erinnerung
bringen. Zweifellos eine neue Facette im Angebotsfächer des
„Kulturtourismus“.
Marathon in Wien (© Thomas Hertel)
Eine andere Facette repräsentierte der Beitrag von Rainer Knapp
über die Lebensumstände der Mönche auf Athos und die Geschichte ihrer
Klöster. Zugleich regt er dazu an, über die Entwicklung dessen
nachzudenken, was ebenso wie die Vorbereitung Teil der Reise ist: ihre
Nachbereitung. Hasso Spode hatte in seinem von der KulturIntiative `89
initiierten Vortrag im Februar 2013 vom Erbe der Romantik gesprochen,
das noch heute den „touristischen Blick“ prägt. Doch auch die
Aufklärung hat uns einiges hinterlassen, nicht zuletzt die Lust am
Dokumentieren, an Zahlen und geschichtlichen Fakten. Auch wenn diese
heute in anderen Medien jederzeit verfügbar sind – für uns selbst
halten wir noch gern fest, was uns wichtig erscheint. Damals wurde
gezeichnet und gemessen, wurden Reiseführer in persona oder
Honorationen befragt und Dokumente studiert, nicht zuletzt die Berichte
anderer Reisender. Auch heute noch wird der Sinn des Reisens nicht nur
im Erlebnis des Augenblicks gesehen, sondern in einer Erzählung, die
neben den eigenen Beobachtungen auf anderes, „objektives“ verweist.
Videos haben die Zeichnungen ersetzt, die Tonspur den schriftlichen
oder mündlichen Bericht.
Mönchsrepublik Athos (© Rainer Knapp)
Schon zu Goethes Zeiten schien es unmöglich zu sein, auf Reisen
noch etwas Neues zu entdecken. Das lag vor allem auch daran, dass die
angesagten Destinationen nicht eben sehr vielfältig waren. In Italien
etwa hatte sich schon fast jeder aus der besseren Gesellschaft
getummelt, was gab es da noch zu erzählen? So etwas wurde vor allem in
den weiterhin erscheinenden Reiseberichten behauptet. Wer sich die
Routen anschaut, wird feststellen, das die Reisenden des 19.
Jahrhunderts keineswegs ganz Italien besuchten, sondern immer die
gleichen, teilweise mit dem Geld der reiselustigen Briten ausgebauten
Wege benutzten. Südlich von Neapel war Schluss, wenn man nicht noch
eine Schiffsreise nach Sizilien antrat. Ein Ausweg lag darin, sich
selbst als Nachreisenden zu inszenieren, ein anderer, auf das eigene
sinnliche Erleben dessen, was schon viele andere gesehen und
beschrieben hatten, abzuheben. Das kann uns niemand abnehmen und
nehmen.
Im Bekannten das Unbekannte, das Kuriose, das Überraschende finden, davon zeugten die Souvenirs, anhand derer Stefan Körbel
von seinen Reiseerlebnissen berichtete. Wie sich Venedig aneignen –
geht das überhaupt noch bei einer Stadt, die im Bildgedächtnis so
verankert ist, dass auch der, der nie dort war, sie „kennt“? Es geht,
wenn man nur ein wenig beiseite schaut und sich die Mühe macht, einen
eigenen Weg zu finden. Zugleich verweisen diese und die anderen
Souvenirs und Dokumente, die auf dem „Reisetag“ gezeigt wurden, auf die
Materialität des Reisens, die in den letzten Jahren in der
ethnologischen Reiseforschung an Gewicht gewonnen hat.
Reisen und Wissenschaft
Die Zusammenhänge von Reisen und Wissenschaft wurden nun schon mehrfach angesprochen. Explizit haben sich vor allem Thomas Hertel und Stephanie Stender
zur wissenschaftlichen Einordnung ihrer touristischen Aktivitäten
geäußert. Ist „Laufen und Wandern“, wie von Thomas Hertel praktiziert,
für den Menschen „artgerecht“, als Ergebnis der biologischen Evolution
des homo sapiens? Folgt dieser eine kulturelle Evolution, die den
Laufenden Glückseligkeit schenkt? Wer selbst wandert, möchte dem gern
zustimmen. Oder ist diese Lust am Laufen nur eine Folge des Umstands,
dass wir heute vor allem fahren und gefahren werden? Körperlich
arbeitende Menschen, so ergab es eine Studie der oben erwähnten DHfK in
den 1960er Jahren, würden schweißtreibende Urlaubsbeschäftigungen
ablehnen, sie galten ihnen als das Gegenteil von Erholung. Seume meinte
zwar sinngemäß, es würde alles viel besser gehen, wenn die Menschen
mehr gehen würden, doch ist auch das vor allem Kulturkritik. Ein Blick
in die Diskurse der Reiseforscher belehrt jedenfalls, dass sowohl
Reise- wie auch Wanderlust von den einen zum unverzichtbaren
Bestandteil menschlichen Lebens erklärt wird, während andere eher
geschichtlich als anthropologisch argumentieren. Ein ähnlich weites
Feld betrat Stephanie Stender mit ihrer Spurensuche zum
„Extremtourismus“, deren Väter sie im Alpinismus des 19. Jahrhunderts
ausmachte. Woher dieser Drang, sich Extremen auszusetzen?
Viedma Gletscher Argentinien (© S. Stender)
Darüber haben auch einige Tourismusforscher kritisch nachgedacht,
deren Ergebnisse Stephanie Stender in ihre durch eigene Erfahrungen
motivierten Überlegungen eingebaut hat. Eine einfache Antwort war jedenfalls
nicht zu haben, wie die Bandbreite der referierten Beobachtungen und
auch die Diskussion des Vortrags zeigten. Jedoch war nicht zu
übersehen, wie wichtig es ist, neben den Gründen auch die Möglichkeiten
ins Auge zu fassen. Tourismus gerade auch in seinen extremeren Formen
bedarf zahlreicher technischer Hilfsmittel, angefangen von den
Verkehrsmitteln bis hin zur adäquaten Kleidung. Der touristische
Aufschwung im 19. Jahrhundert war eine Funktion von Dampfschiff und
Eisenbahn, der Aufstieg des Massentourismus seit den 1960er Jahren
wurde durch billige Charterflüge mit neuen Flugzeugtypen ermöglicht.
Die Frage nach dem „Sinn des Reisens“ ist auch eine nach den
Motiven. Motive sind für die kommerziell ausgerichtete
Tourismusforschung ein ebenso dorniges wie beständiges Forschungsfeld.
Im besten Fall erwachsen aus Urlaubsmotiven dann Urlaubsempfehlungen im
Reisebüro. Das von der Reisefachfrau Vivien Manazon und der Journalistin Petra Schwarz
verfasste Buch: „Traum: Urlaub – Aber wie?“ soll es den potenziellen
Reisenden spielerisch ermöglichen, ihre Wünsche zu entdecken. Damit aus
dem Urlaub auch wirklich ein „Traumurlaub“ wird und kein
Scheidungsverfahren, liegt das Augenmerk auf möglicherweise divergenten
Sehnsüchten.
Anmerkungen
[1] Köstlin, Konrad: Wir alle sind Touristen – Gegenwelten als
Alltag, in: Cantauw, Christiane (Hrsg.): Arbeit, Freizeit, Reisen. Die
feinen Unterschiede im Alltag, Münster/New York 1995, S. 2.
[2] Der Beitrag von Dietrich Mühlberg befindet sich im Anhang.
[3] Immer noch einen sehr guten und kurzweilig zu lesenden Überblick
bietet: Bausinger, Hermann; Beyrer, Klaus; Korff, Gottfried (Hrsg.):
Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München 1991.
[4] Vgl. Boomers, Sabine: Reisen als Lebensform. Isabelle Eberhardt,
Reinhold Messner und Bruce Chatwin, Frankf.a.M./New York 2004.
[5] Sehr kurzweilig und informativ ist der Überblick von Habinger,
Gabriele: Frauen reisen in die Fremde. Diskurse und Repräsentationen
von reisenden Europäerinnen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert,
Wien 2006.
[6] ORB, Sendereihe UNGESCHMINKT, Sendung am 27.12.2000
[7] Dazu unterhaltsam und unübertroffen: Brilli, Attilio: Als Reisen
eine Kunst war. Vom Beginn des modernen Tourismus: Die „Grand Tour“,
Berlin 1997
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