Report | Kulturation 2/2006 | Konstanze Kriese | Wandel und Verwandlung in vier Akten
Zur Kulturkonferenz der Linkspartei.PDS am 21. und 22. Oktober 2006 in Senftenberg
| Kultur und Arbeit I
Über das Senftenberger Theater, die „Neue Bühne“, schrieb eine Kultursoziologin vor nicht all zu langer Zeit: „Dass
in quasi bildungsbürgertumsfreien Zonen wie diesen ostdeutschen
Regionen Stadttheater … trotzdem breit akzeptiert, gut ausgelastet und
oft ausverkauft sind, ist Zeichen für einen Paradigmenwechsel, dessen
Bedeutung und Beispielhaftigkeit sich vielleicht erst in den nächsten
Jahrzehnten herausstellen wird. …“ [1] Sie beklagte keine
Verluste. Sie sah Ähnliches in Schwedt, Anklam und an anderen
Stadttheatern in Ostdeutschland. Später werden wir erkennen, dass wir
von der Zukunft Europas sprechen, denn die Industriearbeit wird nicht
nach Europa zurückkehren. Die älter werdende Gesellschaft wird ihre
eigenen Vorzüge und Werte entdecken müssen. Wachstum werden wir neu
definieren. Rückbau, Renaturierung werden wir nicht mehr als
Durchgangsstufen, als Übergang in eine bessere Zukunft verstehen
lernen. Nein, wir leben jetzt. Wir wollen die Übergänge als unser
Leben, unsere Kultur, unseren bewussten Umgang mit Vergangenheit und
mit unserer Neugier auf die Zukunft verbinden.
In der Niederlausitz erinnert noch heute jede Faser an die
Bergarbeiter. Viele von ihnen sind Rentner. Man kann sie unumwunden im
Vergleich zur Gesamtbevölkerung der Gegend als vermögend bezeichnen.
2020 soll hier eine riesige Seenlandschaft entstehen. „Sagen sie
das doch den Enkeln, was sie vorhaben, wie das Land in zehn Jahren
erblühen wird, wie wir der Millionen Jahre alten Erde wiedergeben, was
wir ihr in Sekunden entrissen haben…“, so die Empfehlung manch
ehemaliger Bergarbeiter. Der Geschäftsführer der Fürst-Pückler-Land
GmbH, der Internationalen Bauausstellung, Prof. Rolf Kuhn sagte:
„Nein, genau das sage ich nicht. Wenn ich argumentiere, was hier in
zehn Jahren sein wird, dann sind alle Jungen weg. Ich muss nicht die
Langzeitpläne, sondern die Umgestaltung selbst propagieren, als
Ereignis, als Erlebnis, als interessante Gegenwart, als Reservoir für
neue Arbeitsplätze, als Ideengeber für jetzt…“
Die IBA-Seeterassen in Großräschen. An diesem Ausstellungsort, an der
Schwelle der Vergangenheit und der Zukunft, erfindet sich die Region
neu. Hier begann am 21. Oktober 2006 die zwei Tage währende
Kulturkonferenz der Linkspartei.PDS zum Thema „Glück auf! Kultur -
Bühne der Hoffnung - Die Zukunft von Arbeit und Kultur.“
![Rolf Kuhn](_bilder/_dyn/2006/2006-11-23_Prof-erklaert.jpg) Prof. Rolf Kuhn: Nein, genau das sage ich nicht © DPOM
Ein ehemaliger Bergmann erzählte von der Umgestaltung, von den
Kunstprojekten, von den touristischen und architektonischen Pfaden
durch die Landschaft, den Industriedenkmälern, einer stolzen
Besucherzahl. Er lebt im Heute, sieht, wie seine Lebenswelt
geschichtlich, ökologisch und kulturell durchforstet wird. Er weiß,
dies ist die einzige Chance, gegen den Schock der Deindustrialisierung
eine neue Identität zu erobern. So erarbeitet man sich Hoffnung,
Freiraum, Gemeinschaft, eine vielschichtige kulturelle Bindung an die
Region.
Katina Schubert, stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei.PDS,
mischte zum Auftakt die Erfahrungen im Westen mit der rasanten
Deindustrialisierung im Osten. Sie wurde auf den Liedermacher Gerhard
Gundermann aufmerksam und erinnerte an seinen Song „Frühstück für
immer“. „Wie sehr hatte sich da eine Brigade den Ausstieg aus der
Arbeitswelt, diesen „Urlaub für immer“ gewünscht. Zu hart war der
Arbeitstag, die Fron. So heiß die Sehnsucht nach der freien Zeit. Dann
plötzlich erhörte die Fee das Flehen der Industriearbeiter. Und
endlich, so zwischen 1990 und 1995 muss es gewesen sein, da gab es
dieses herbeigesehnte „Frühstück für immer“. Es schmeckte bitter. Die Arbeitslosigkeit inmitten einer Welt, die von Arbeit geprägt
ist und in der man für gewöhnlich von Erwerbsarbeit gelebt hatte,
Männer wie Frauen, in Ostdeutschland…“ Sie entwickelte in einem
weiten Kulturverständnis Fragen nach der Veränderung der Arbeitswelt,
forderte den genauen Blick auf die Veränderungen in der Lebensweise.
Neue Lebensperspektiven zu erproben und zu debattieren. Das sprengt
ganz eindeutig das Ressortdenken klassischer Kulturpolitik. Doch es
sprengt auch das Selbstverständnis der klassischen Kulturinstitutionen.
Förderbrücke als Kulturdenkmal © DPOM
Kultur und Arbeit II
Über das Senftenberger Theater, die „Neue Bühne“, schrieb eine Kultursoziologin vor nicht all zu langer Zeit:
„Die erste von 23 Uraufführungen, die er während seiner ersten
Spielzeit auf die Bühne bringen will, war Volker Brauns „Was wollt ihr
denn“ – ein makaber inszeniertes Stück über die ewige Freizeit, den
freudlosen Zwangsurlaub im Arbeitslosenparadies, wie die Lausitz es
sich anschickt zu sein. Latchinians Konzept ist es, Theater für die
Dagebliebenen zumachen, das vorhandene Publikum ernst zu nehmen.…“
[2] Die Kultursoziologin fand das gut. Sie sah darin die Zukunft
kultureller Institutionen in Regionen, die von Arbeitslosigkeit und
Abwanderung geprägt sind. Später werden wir erkennen, dass wir von der
Zukunft Europas sprechen.
Mitte Oktober begann die Große Koalition, eine Debatte über
„Unterschichten“ zu führen. Jene, sollte man an diesem
diskriminierenden Begriff festhalten wollen, werden gern als
bildungsbürgerfreie Zone beschrieben, vornehm als bildungsferne
Schichten, wobei im Dunkeln bleibt, wer da gerade das Recht hat, zu
definieren, was Bildung heute ist. Franz Müntefering, offenbar von der
Wirklichkeit gänzlich verlassen, löst alle Probleme, indem er Klassen
und Schichten aus unserer bunten Republik verbannt. In der bekannt
gewordenen, noch unveröffentlichten Studie der
Friedrich-Ebert-Stiftung, die den Unterschichtenbegriff gar nicht
benutzte, wurden allerdings soziale Schichten gar nicht untersucht,
sondern die Selbstbilder von Menschen katalogisiert. Im Ergebnis
verstünden sich Menschen als Zugehörige zu Gruppen, die in einer Spanne
von „Leistungsindividualisten“ bis zum „abgehängten Prekariat“
einteilbar wären. [3] Das klingt schon eigenwillig genug, ist aber hier
nicht Gegenstand weiterer Betrachtungen. Die Dramatik der
Studienergebnisse beginnt bei der Einschätzung der Perspektiven der
Menschen, die bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein als düster
und extrem unsicher eingeschätzt werden. Interessant an der Studie ist
allerdings folgendes. In jeder gesellschaftlichen Gruppierung gibt es
politisch motivierte Menschen, die den Wandel gestalten wollen, die
sich verantwortlich fühlen, gesellschaftliche Integration zu gestalten.
Ein Ansatzpunkt, ein Hilfeschrei an die politische Öffentlichkeit.
Immerhin.
In diese Debatte hinein plante die Linkspartei ihre
Kulturkonferenz, mit Gästen aus anderen Parteien, aus Kultur und
Wissenschaft. Aktueller konnte die Veranstaltung nicht sein.
Kultur und Arbeit III
Über das Senftenberger Theater, die „Neue Bühne“, schrieb eine Kultursoziologin vor nicht all zu langer Zeit:
„Nicht anbiedernd und auf den vermeintlich den Kulturbedürfnissen von
Arbeitern (oder eben Arbeitslosen) entsprechenden Unterhaltungssektor
zielend, sondern intellektuell, provokant und mit präziser Sprache und
entschiedener Geste …Nicht das bildungsbürgerliche oder das
avantgardistische Theater, das den Westen Deutschlands dominiert,
sondern ein Theater, dessen Ansprüche sich mindestens ebenso an der
konkreten gesellschaftlichen Situation und den kommunikativen
Bedürfnissen der ansässigen Bevölkerung wie an der Kunst orientieren,
ist das Erfolgskonzept Ostdeutschlands.“ [4] Wir erkennen, wir sollten von der Zukunft Europas, von der Zukunft der Arbeit, der Zukunft der Kultur sprechen.
Feuerkörbe, Theatervorplatz in Senftenberg. Drei Schauspieler und
der Intendant, Sewan Lachinian, begrüßten ihr Publikum. Der Intendant
übersprang die kritische Distanz und begrüßte vor einigen hundert
Menschen die Linkspartei, die nach Senftenberg gekommen war, nicht nur
um beim 3. GlückAuf-Fest und unzähligen Premieren den Abend zu
verbringen, sondern um auch am morgigen Tage in seinen Räumen ihre
Kulturkonferenz durchzuführen. Die 50 Roten sind willkommen. Die
Sozialsatire von Dario Fo „Bezahlt wird nicht“ war der Beginn für eine
wahrlich ausufernde Theaternacht. Da wird die „Unterschicht“ in ihrem
Einfallsreichtum, ihrem Widerstand, ihrer Furcht und gar ihrer
gewollten, aber nicht vermochten Gesetzestreue gezeigt. Das Leben wirft
die ehrenwerten Orientierungen gründlich durcheinander, verlangt das
Umwerten der Ereignisse, einen neuen Zusammenhalt, um aus dem Leben
mehr als einen Existenzkampf zu machen. So überhöht das Spiel, so
haarscharf landete es mitten in der Wirklichkeit. Dann teilten sich die
Zuschauer in Inszenierungen, Filme, Liederabende und begegneten sich
bei einer Hommage an Karl Valentin wieder. Die erschien mir ein
Jahrhundert zu spät oder ich war ein Jahrhundert zu früh oder schon
etwas übermüdet, nur eine Frage ließ mich hinterher nicht mehr los. Was
wird aus der Zukunft des Theaters. Als bürgerliche
Aufklärungsinstitution sind die Theater dahin. Als postindustrielle
Sinnsuchmaschine haben Theater offenbar ganz große Aufgaben. Die „neue
Bühne“ Senftenberg ist der Beweis. Sie erhielt dafür 2005 einen
ordentlichen Preis. Mehr erzählte der Intendant am Sonntagvormittag.
Mehr erzählte der Intendant am Sonntagvormittag © DPOM
Kultur und Arbeit IV
Das Senftenberger Theater, die „Neue Bühne“, vor Augen, forderte eine Kultursoziologin vor nicht all zu langer Zeit:
„Theater wieder in das gesellschaftliche Zentrum zu rücken, mit und in
ihm öffentliche Räume zu okkupieren, es zum Mittelpunkt
gesellschaftspolitischer Bewusstseinsbildung zu machen, als Baustelle
städtischer Identität zu begreifen – um nichts weniger als dies geht es
in einer Situation, in der Arbeit als gemeinschaftsstiftendes Moment
für große Teile der Bevölkerung weggebrochen ist, in der Kommunen
Insolvenz anmelden und nur noch im Notbetrieb arbeiten, in der
öffentliche Kommunikation gemeinhin den Massenmedien anheim fällt, in
der sich kollektive Identitäten im Nebel der globalen Verfügbarkeit
auflösen oder Kinder und Jugendliche in der Freizeit meist sich selbst
und den leeren Bushaltestellenhäuschen oder rechtsradikalen
Freizeitangeboten überlassen sind..“ [5] Die Kulturkonferenz der
Linken hat begonnen. Die Teilnehmer sprechen von der Zukunft Europas,
von der Zukunft von Arbeit und Kultur. Sie analysieren, suchen Auswege.
Gerd-Rüdiger Hoffmann, Landtagsabgeordneter der Linkspartei.PDS in
Brandenburg, kämpft schon länger für die öffentliche Kommunikation
durch die „Neue Bühne“. Selbst als Organisationszentrum gegen
Naziaufmärsche hat das Theater schon funktioniert. Jugendklub,
Debatten, dürftige Bezahlung… „Egal“ , sagte der Intendant: „Schwierigkeiten sind keine Probleme, sondern interessante Aufgabenstellungen.“
Dabei suchte er ganz ernsthaft Verbündete im weltweiten Kampf zwischen
Kultur und Barbarei, frei nach dem Motto Kierkegaards: „Gelebt wird
vorwärts, begriffen rückwärts.“ Er plädierte dafür, Kultur zur
politischen Pflichtaufgabe zu machen, was dann zu munterer Debatte
anregte, doch immerhin hatte er ein knappes Argument parat: Kultur
kostet, doch Unkultur kostet mehr. Wolfgang Lenk von der WASG führte
uns anschließend in Kritiken des Geistes des Kapitalismus ein. Der
Kapitalismus speist sich noch immer, so entwickelte Lenk nach Luc
Boltanski [6], ganz gut von seinen eigene Kritikern. Anregendes
gipfelte in der Forderung, die sozialen und die kulturellen
Kapitalismuskritiken endlich zusammenzubringen. Das kann sich die neue
Linke gut hinter die Ohren schreiben, denn wir müssen genauer hinsehen,
wenn durch neue Arbeitsbeziehungen, menschliche Freiheit und
Kreativität nur noch ausgebeutet und kontrolliert werden. Dafür braucht
die Linke ebenso klare Gegenstrategien, wie bei Forderungen nach
Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
Wolfgang Lenk von der WASG © DPOM
Karin Baumert, Stadtsoziologin, erzählte das Märchen vom Dornröschen
neu. Auf welchen Prinz will die Region warten, wenn man an der
Tropical-Island-Cargo-Lifter-Halle und dem Lausitzring vorbei fährt?
Die gelebte Schrumpfung ist das Potenzial. Das Wachstumsparadigma liegt
endlich auf dem Tablett. Wir schauen mit ein bisschen Konsequenz tief
in den Nord-Süd-Konflikt. Gemeinwesen und öffentliches Eigentum
bekommen eine neue Bedeutung. Statt „die Arbeit ist alle“ und
Leitsätzen, wie: „Du wirst es schon schaffen“, sollten wir endlich über
die Zukunft Europas reden, so war Baumerts erstes Fazit. Wo die
Kapitalakkumulation abwesend ist, ist der Beteiligungshaushalt nicht
weit. Die Mahnung an die linken Kulturpolitiker folgte auf dem Fuße.
Karin Baumert: gelebte Schrumpfung ist das Potenzial © DPOM
Dietrich Mühlberg, Kulturwissenschaftler, spitzte die Prognose der
Arbeit und der Kultur zu und meinte, dass es jungen Leuten ganz egal
ist, ob in Berlin ein oder drei Opern sind. Er mahnte, die modernen
Kulturtechniken nicht außen vor zu lassen und die virtuellen Netzwerke
ernst zu nehmen. Die Kulturpolitiker, so Mühlberg, scheinen immerhin
eine Ahnung von der Problematik zu haben, in der Bildungspolitik sah er
völlige Düsternis an dieser Stelle. Die Linke braucht mehr Kultur, mehr
Kulturaustausch zwischen den alten und den neuen Lebenswirklichkeiten,
nicht als Ornament der Ansprache, sondern als Lebenskonzept.(Der leicht
gekürzte Text des Vortrags hier auf kulturation 2/2006.)
Zum Abschluss der Konferenz erfüllte das Theater in Senftenberg
seine neue Funktion. Die Referentinnen und Referenten des Tages
stellten sich der öffentlichen Debatte, mit dabei die kulturpolitische
Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., Lukrezia Jochimsen, und wurden zu
ganz irdischen Ansagen einer breiten Kulturförderung, vom Theater bis
zu kleinen Unternehmen überredet. Anknüpfungspunkte für Politik, Alltag
und die nächsten Konferenzen gab es viele, weshalb die Teilnehmer und
Gäste mindestens mit der kulturellen Utopie von der unentfremdeten
Arbeit nach Hause fuhren, hoch motiviert.
Anmerkungen
[1] Kristina Volke, Der Wandel der Kulturlandschaft – Über
strukturelle Krisen und ihre Potentiale zur Innovation. In:
KULTURATION, 2/2006, www.kulturation.de., zit. 18. 11. 2006.
[2] Ebd.
[3] Vgl. dazu http://www.fes.de/inhalt/Dokumente/061016_Gesellschaft_im_Reformprozess.pdf
[4] Kristina Volke a.a.O.
[5] Kristina Volke a.a.O.
[6] Vgl. Luc Boltanski, Ève Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003.
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