Report | Kulturation 2/2009 | Ulrike Köpp | Hilfsarbeitshaus
Eine Erfahrung als Kulturwissenschaftlerin im Eurojob
| Eines
Tages, im vergangnen Jahr, war es wieder so weit: Das Jobcenter wies
mir einen Eurojob für Hilfsarbeiten in einem katholischen Frauen- und
Mädchen-Verein zu. Langzeitarbeitslose im Eurojob dürfen nur
Hilfsarbeiten machen, dies schreibt der Gesetzgeber so vor. Die
Vereinsfrau wusste zwar noch selbst nicht recht, was sie für
Hilfsarbeiten von mir wolle, aber versicherte mir schon mal, dass ich
dafür nicht katholisch sein müsse. Weil aber das Grundgesetz noch die
Trennung von Kirche und Staat kennt, lehnte ich diesen Job ab und
suchte nach Hilfsarbeiten in meinem Beruf. Ich machte mich auf den Weg
in das Heimatmuseum meines Stadtbezirks und fragte die Museumsleiterin,
ob sie wohl eine Kulturhistorikerin gebrauchen könne. Ja, das konnte
sie. Sie freute sich sogar, denn mich könne sie ins Zentrum für
Antisemitismusforschung schicken, ohne dass man mir dort gleich die
Langzeitarbeitslose ansähe. Bei der Gelegenheit erfuhr ich endlich
auch, warum all meine arbeitslosen Jahre lang die für mich zuständige
Arbeitslosenverwaltung es nicht fertig gebracht hatte, mich einmal
wenigstens „in eine Maßnahme“ in diesem Museum „zu bringen“ - wie es im
Umgang mit den Erwerbslosen heißt. Wissend lächelte die Leiterin: Ja,
das Jobcenter vermittelt die Arbeitslosen nach dem Alphabet. Dem Museum
weisen sie die Leute mit den Anfangsbuchstaben S bis Z im Namen zu. Die
mit dem K wie ich gehören in den katholischen Verein. Woraus nur zu
schließen war, dass es der Arbeitsagentur eben nicht darum ging,
Menschen mit ihren Fähigkeiten - und auch Handicaps – in Stellen und
„Projekte“ zu vermitteln, wo sie gebraucht werden und sich nützlich
machen können. Es ging um die statistische Bewältigung der
Arbeitslosigkeit.
Die Museumsleiterin beauftragte mich also, nach Lebenszeugnissen
von jüdischen Menschen zu suchen, die einst im Bezirk gewohnt oder im
Arbeitslager geschunden und schließlich deportiert und umgebracht
worden waren. Sie gab mir eine Liste mit annähernd 300 Namen von
jüdischen Opfern in die Hand und erhoffte sich von mir drei bis zehn
Dokumente oder persönliche Gegenstände, die sie zum alljährlichen
Gedenken an den Völkermord im Januar ausstellen könne. Eine Hilfsarbeit
war dies nun nicht. - Sieben Monate sollte mein Eurojob dauern. Mir war
beklommen. Die Nazis hatten die zur Deportation bestimmten Juden in
Listen zusammengefasst. Nun suchten wir sie wieder in Listen zusammen,
um uns ihrer als Opfer zu vergewissern. Indessen hatten sich die
Grenzen des Stadtbezirks, auf die sich die Listen bezogen, seit der
Zeit, in der die Juden verfolgt und vernichtet worden waren, mehrfach
geändert. So waren auch die Listen gelegentlich neu sortiert worden.
Und so bestimmte nun also die Opportunität der Arbeitslosenverwaltung
über den inhaltlichen Zuschnitt des Projektes, indem die die
finanziellen Mittel ausreichte für die Beschäftigung von Lichtenberger
Arbeitslosen mit zu Lichtenbergern erklärten jüdischen Opfern.
Wie aber sollte ich überlebende Angehörige, Nachfahren oder
einstige Nachbarn finden von Menschen, von denen ich nur den Namen, das
Geburtsjahr und das Jahr ihres Todes hatte? Die Leere der nackten Liste
ließ mich fragen, ob es nicht konsequent wäre, diese Leere auch in
einer Ausstellung zu thematisieren. Da kam mir die Einladung zu einer
Tagung über die Inszenierung der Erinnerung an den Holocaust zupass.
Meinen Wunsch jedoch, mir dort Anregungen zu holen und mich gedanklich
auf meine Arbeit einzustimmen, quittierte die Leiterin mit Verärgerung.
- Nachdenken sollte ich also nicht. So fragte ich sie denn nach den
Fundorten der Namen auf der endlos langen Opferliste, in der Hoffnung,
mit den Fundorten mögliche Pfade für meine Recherche zu finden. Wieder
reagierte sie unwirsch: „Ich mache die Arbeit hier seit 30 Jahren. Sie
können mal davon ausgehen, dass die Liste ihre Richtigkeit hat.“ -
Sollte es denn sein, dass die Leiterin eines Geschichtsmuseums von
historischer Recherche nichts verstand? Schon ihre Begrüßung, mich
könne sie ins Zentrum für Antisemitismusforschung schicken, war
imgrunde keine Einladung zu gemeinsamer Arbeit. Ich hätte ihre Worte
genau nehmen sollen. Schicken wollte sie mich. Nur, mit der nackten
Liste würde ich dort nichts ausrichten können, so viel zumindest wusste
ich. So ohne Rat ging ich allein und eigne Wege, nach Handwerkszeug und
Quellen für meine Arbeit zu suchen. Bis mir nach etlichen Wochen ein
Eurojobber, der schon vor mir ins Museum gekommen war, eine Liste gab.
Es war die Liste. Die Liste mit den annähernd 300 Namen, zu denen er
aus dem Berliner und dem Deutschen Gedenkbuch für die jüdischen Opfer
Daten zu Leben und Sterben gesucht und eingetragen hatte. Eine immense
Arbeit. Und mir wurde langsam klar, allen, die die Museumsleiterin mit
den jüdischen NS-Opfern beschäftigte, hatte sie die gleiche nackte
Liste mit den Namen gegeben; auch jener Frau, die sich um neue
Stolpersteine kümmern sollte. Und so war jeder von uns für sich und
nacheinander in die selben Archive gegangen.
Als ich aber diese um die Wohnadressen, manchmal auch die Berufe
der Opfer bereicherte Liste sah, begriff ich auch, welch höchst
brauchbares Arbeitsinstrument ich da in den Händen hielt. Auf dieser so
schmerzlich langen Liste konnte ich nun Gruppen von Opfern ausmachen
und versuchen, die Erinnerung an sie lebendig werden zu lassen. Die
Liste selber trug mir an, ja sie forderte mich geradezu auf,
Nachbarschaften zu rekonstruieren oder die Bewohner von Judenhäusern
namhaft zu machen. Das Schicksal derer, die die SS ins
Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt hatte, ließe sich
kenntlich machen wie auch das der Verlorenen, die sich das Leben
genommen hatten, um der drohenden Deportation zu entkommen.
Meine diesbezüglichen Vorschläge fanden bei der Leiterin keinen
Anklang. Sachsenhausen war ihr zu abgelegen. Die zehn Menschen auf
unserer Liste, die den Suizid der Deportation vorgezogen hatten, die
hinwiederum waren ihr „ja nur so wenige“. Sie wollte die ganze Liste.
Für sie wog die Masse der Opfer. Die Liste selbst war ihr das Ziel der
Bemühungen. In der Ordnung der Liste war der Schrecken des Verbrechens
gebannt. Die Ordnung der Liste erlaubte Distanz gegenüber dem
Beunruhigenden hinter den Namen. Ja, in dieser Ordnung störte sogar
noch das Wenige, was wir wussten und was die Opfer sozial kenntlich
machte: Ihr Beruf oder die historische Bezeichnung der Wohnadresse oder
auch der Gartenkolonie, wo die Verfolgten untergekommen waren; diese
Angaben sollten wir aus der Liste wieder entfernen, damit sie
übersichtlicher werde. Die Einzelschicksale blieben verloren in der
Ordnung der Liste. Die Geschäftigkeit beim Zählen der Opfer überdeckte
die Leere, die die Verbrecher uns hinterlassen hatten.
Eine Ausnahme gab es. Dankbar war die Leiterin für Hinweise zur
Geschichte des Arbeits- und Arresthauses in Rummelsburg, freute sich
über Namen von Menschen, die die Nazis dort als sogenannte „Asoziale“
gefangen gehalten hatten. Aber nie verriet sie mir, wofür sie diese
haben wollte. So konnte ich aus ihrer Geheimniskrämerei nur schließen,
dass sie mich, die ich vom Jobcenter bezahlt wurde, für ihr
persönliches Projekt und Prestige arbeiten ließ. Überhaupt, dies
wiederholte sich: Die Leiterin verlangte von mir Recherchen, aber
wollte nichts preisgeben von dem Wissen, das sie schon besaß, auf dass
ich es hätte mehren können. Je kundiger ich im Laufe der Monate wurde,
um so eifersüchtiger reagierte sie, verschloss gar die Schränke der
Museumsbibliothek vor mir. Zu unserer Verblüffung machte meine Freundin
gerade genau die gleichen Erfahrungen wie ich. Auch sie im Eurojob, in
einem gemeinnützigen Geschichtsverein. Dort war es ein ehrenamtlicher
Rentner, der die Geschichte des Stadtbezirkes für sich okkupiert hatte
und vor ihr die Schränke verschloss. Diese Gleichartigkeit unserer
Erfahrungen hatte strukturelle Gründe. Noch in den Verästelungen
unserer Arbeitsbedingungen, vor den verschlossenen Schränken bekamen
wir zu spüren, dass wir von Hartz IV betroffenen Langzeitarbeitslosen
imgrunde eben moderne Arbeitssklaven waren, Menschen zweiter Klasse,
ohne Rechte, geschweige Ansprüchen. Die Museumsleiterin gab mir nicht
mal den Brief zur Kenntnis, mit dem die Archivarin auf den
Arbeitsauftrag reagiert hatte, mit dem immerhin sie doch mich ins
Archiv geschickt hatte!
Schließlich machte ich noch einen ungeheuerlichen Fund. Nicht im
Archiv. Nein, in den Ausstellungsräumen im Museum machte ich einen
Fund: Da lag ein Gedenkbuch für die jüdischen Opfer von Lichtenberg. Es
enthielt genau das Wissen, das wenige, das ich aber doch gebraucht
hätte, um im Zentrum für Antisemitismusforschung nach überlebenden
Angehörigen und Verwandten zu fragen, die in der Emigration oder im
Versteck in Deutschland mit dem Leben davongekommen waren. Eine
Wissenschaftlerin hatte das Gedenkbuch, vor unserer Zeit, gegen Honorar
erarbeitet. - Später würde mir die Erklärung der Leiterin zugetragen
werden, sie habe mir dieses Wissen vorenthalten, damit ich es nicht
einfach nur abschreibe, statt zu arbeiten.
Nein, eine Geschichtswerkstatt war dies nicht, wo ich mich da
befand. Geschichtswerkstätten hatten keine Tradition im Osten. Vielmehr
rühmte die Leiterin sich: „Wir sind das billigste Museum in Berlin. Wir
im Osten verstehen uns darauf, mit geringen Mitteln zu wirtschaften.“ -
Wohlgemerkt, sie redete nicht etwa darüber, wie fehlendes Geld Menschen
erfinderisch machen kann, wie beispielsweise Theaterleute durch knappe
Finanzen zu neuen und aufregenden ästhetischen Lösungen getrieben
werden. Nein, sie redete davon, wie billig wir Langzeitarbeitslosen
gehandelt wurden. Sie kalkulierte den Betrieb ihres Museums mit uns,
die wir ihr vom Jobcenter zugeschobenen wurden. Natürlich sagte uns
keiner, wie viel Sachkosten an so einem Eurojob hingen und wie der
„Träger“ der „Maßnahme“ und das Museum sich die vom Jobcenter
ausgereichten Mittel für die Verwaltung der Arbeitslosen teilten. Wir
wussten nur soviel, je mehr Eurojobber das Museum abbekam, umso höher
der finanzielle Gewinn für seinen Betrieb. Ob die Leiterin uns – ein
gutes Dutzend mochten wir zeitweilig sein - alle sinnvoll beschäftigen
konnte, das war dann freilich noch eine ganz andere Frage. Um diese
Frage aber möglichst erst gar nicht aufkommen zu lassen, gab es im
Übrigen auch nie Dienstversammlungen, auf denen wir Eurojobber und
ÖBSler uns alle begegnet wären und über unsere Arbeit hätten berichten
können oder müssen.
Insofern hatte es ja durchaus auch seine Delikatesse, wie sie uns
an einem schönen Sommertag stolz berichtete, der Kulturausschuss des
Abgeordnetenhauses sei dagewesen zum Empfang, um das billigste Museum
der Stadt zu würdigen. - Nur wir, die wir das Museum so billig machten,
wir waren nicht eingeladen. Vielleicht wollte auch keiner der
Abgeordneten so genau wissen, was wir da trieben. Und wer auch konnte
oder wollte prüfen und einschätzen, wie sinnvoll unser Treiben war? Ob
die großzügigen Öffnungszeiten des Heimatmuseums durch die
Besucherzahlen gerechtfertigt waren? Welchen Sinn hatte es, die Namen
und Grabstätten von Flüchtlingen aus Friedhofsverzeichnissen
abzuschreiben und die Listen dann in wieder andere Form zu bringen?
Oder wenn einer von uns aus dem Internet eine Unzahl von Seiten mit
Auskünften zu mehr oder weniger bedeutenden Menschen ausgedruckte, die
sich alle irgendwie mit dem Stadtbezirk in Verbindung bringen ließen,
um sie dann gewissermaßen auf Vorrat oder auch auf Halde in Ordnern
abzuspeichern. War es Beschäftigungstherapie oder war einfach
Sammelwahn am Werke? Niemand würde dies wirklich kontrollieren wollen;
der „Trägerverein“, das Jobcenter, die etablierten Institutionen, sie
alle lebten von uns und der „Beseitigung“ unserer Arbeitslosigkeit.
Schließlich und nicht zuletzt mehrte die Leiterin bei den
regelmäßigen Vernissagen ihr Prestige auf unsere Kosten.
Ausstellungseröffnungen sind die Feste im Museumsalltag. Noch die
Eröffnung einer Ausstellung über Wohnungslose im Nationalsozialismus
geriet der Leiterin zum Fest. Das war im Frühsommer 2008, als hier und
da im Land der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ gedacht wurde. Der
Arbeitskreis „Marginalisierte“ hatte dem Museum seine Wanderausstellung
ausgeliehen und auch gleich die Redner zur Vernissage mitgebracht. Nur
Obdachlose von heute waren nicht zu sehen. Als aber die junge Frau von
den „Marginalisierten“ in ihrer Rede auf Hartz IV und ihre Vermutung zu
sprechen kam, dass ja wohl auch das Museum von den Eurojobbern lebe –
ja, da hätte die Vernissage noch zu einer kleinen Kundgebung geraten
können. Die Leiterin nahm den Ball zwar auf, aber sie antwortete nach
Gutsherrinnen-Art: „Ich bin sicher, die fühlen sich wohl hier.“ Soziale
Rührung statt politischer Haltung. Und niemand widersprach ihr. Nicht
einer der anwesenden politisch Verantwortlichen des Stadtbezirks. Und
auch keiner von uns Betroffenen, denn wir waren abhängig von Wohlwollen
und Willkür der Leiterin, unsere „Maßnahme“ zu verlängern oder auch
nicht. Arbeitsrecht gilt im Hartz IV-Alltag nicht. So ging der gewohnte
Vernissagebetrieb weiter, mit den Schnittchen, dem Kaffee, und als
Besonderheit diesmal – passend zu den Wohnungslosen - mit von Lidl
erbetteltem Obst. Und nicht zu vergessen: der Danksagung an Lidl.
Billigstes Museum eben.
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