Report | Kulturation 2017 | Dietrich Mühlberg | Elektropolis Berlin
Bericht über eine elektrisierende Debatte
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Report Elektropolis als PDF
Am 25. Januar geriet die "Kulturdebatte im Salon" zu einem
spannenden Gedankenaustausch über die Zukunft der Elektrocity Berlin.
Dabei war der Anlass, Helmut Maternus Bien zum Vortrag in den Salon
einzuladen, ursprünglich ein Kölner Ereignis. Dort hatte die
Oberbürgermeisterin Henriette Reker als Reaktion auf die Silvesternacht
2015/2016 erklärt, sie wolle erneuten sexuellen Übergriffen und
Diebstählen zu Silvester mit einem Kulturprogramm entgegenwirken. Die
Bürger sollten sich den Raum um den Dom „zurückerobern“ können. Dafür
hatte Bien eine ortsspezifische Licht-Installation vorgeschlagen und
die Oberbürgermeisterin damit überzeugt.
Die mit Sound unterlegte Multimedia-Projektion des
Projektions-Spezialisten Philipp Geist „Time Drifts Cologne“
(Zeitverschiebungen Köln) setzte die Idee in die Tat um: Besucher
bewegten sich auf der bestrahlten Fläche und wurden so Teil des
Kunstwerks. Auch weil ihnen Worte, Begriffe, Zeichen und Formeln auf
die Kleidung projiziert wurden – eine Auswahl aus Vorschlägen, die sie
vorab zahlreich eingereicht hatten. Die Kölner Entscheidung für dieses
Kulturprogramm gründete nicht nur im partizipativen Charakter des
Vorschlags. Die Unermüdbarkeit der computergesteuerten Videoprojektoren
konnte den urbanen Raum mit ihren bewegten Lichtbildern in der
Zeitspanne von 17 Uhr bis nach Mitternacht neu definieren – wie den
medialen Erfolgsmeldungen zu Jahresbeginn dann zu entnehmen war. Es
entstanden tatsächlich neue Bilder und bis zu 50.000 Kölner waren
neugierig eingetaucht in diesen „Licht-Traum-Raum“ an einem Ort, den
die Bürger zum Jahreswechsel ansonsten eher gemieden hätten.
Dieser neuartige „soziokulturelle“ Umgang mit dem elektrischen Medium
bot zwar den Anlass, das Jahresprogramm der Kulturdebatte mit diesem
Thema zu eröffnen, doch war Biens Vortrag deutlich auf die Berliner
Situation zugeschnitten und löste eine interessante Debatte mit
"stadtpolitischen" Zügen aus. Die Redaktion von kulturation entschloss
sich darum, Partien des Vortrags und einige Aspekte der Debatte hier
einzustellen.
Bien berichtete zunächst, wie er vor Jahren unter dem Eindruck urbaner
Lichtkultur unseres französischen Nachbarn die Luminale für Frankfurt
am Main entwickelt hatte. Diese „Biennale der Lichtkultur“ fand seit
2002 alle zwei Jahre in seiner Regie statt – parallel zu einer
internationalen Fachmesse für Licht und Gebäudetechnik. Mit wachsendem
Publikumszuspruch. Andere Städte folgten diesem Vorbild, Lichterfeste
boomen seitdem, auch in Berlin.
von Miller, Plakat der Internationalen Elektro-Technischen Ausstellung 1891 in Frankfurt am Main
Bien grenzte eingangs seinen Konzeptansatz von kommerziell motivierten
Lichtdekorationen ab und erläuterte, auf wessen Schultern er sich bei
seiner Pionierarbeit für die Luminale gestellt hat. Oskar von Miller,
der später Gründer des Deutschen Museums geworden ist, weltberühmt für
seine erlebnis-orientierte Didaktik der Naturwissenschaften, war in
seinen Augen der erste „Lichtfestival“-Kurator. Er kam von der AEG,
hatte in Berlin gearbeitet, bevor er die erste Internationale
Elektro-Technische Ausstellung 1891 in Frankfurt am Main organisierte:
Zu seiner Ausstellung strömten 1,2 Millionen Besucher nach Frankfurt am
Main, um zu sehen, wie elektrisches Licht unser Leben verändert. Danach
war klar, dass die Zukunft der Elektrizität und ihren Anwendungen
gehören würde.
Für die damals nach Frankfurt gereisten Experten und Politiker war die
Veranstaltung gleichermaßen nützlich. Vor großem Publikum wurde hier
der sogenannte „Stromkrieg“ zwischen Edison und Westinghouse in Europa
entschieden: die Frage, ob man Strom mittels Gleichstrom oder
Wechselstrom übertragen sollte. Von Millers Langstrecken-Test zur
Stromübertragung von Lauffen am Neckar nach Frankfurt auf das
Messegelände konnte überzeugen. Denn der Wirkungsgrad lag bei
sensationellen 75 Prozent. Mit dieser Erfolgs-Ausstellung hat sich
Oskar von Miller einen Namen gemacht und der deutschen
elektrotechnischen Industrie einen großen Dienst erwiesen. Ihm war es
im Kern darum gegangen. eine neue Technologie erlebnishaft der breiten
Öffentlichkeit zu präsentieren und zugleich die Expertendiskussion zu
befördern. Heutige Debatten über neue Technologien haben nur selten
diese demokratische Tiefe und Breite.
Eine zweite Inspirationsquelle - so Bien - war Frankreich als Land der
öffentlichen Räume für Feste, die Demokratie und das Leben. Franzosen
lieben ihre öffentlichen Räume, die Boulevards und Avenuen, die Plätze
und Parks, die Flussufer, Monumente und Märkte, ganz im Unterschied zu
den Deutschen, die in jedem größeren offenen Gelände gleich einen
Aufmarschplatz wittern, der mit allem möglichen vollgestellt werden
muss.
Präsident Francois Mitterand gab den französischen Städten in den
1980er Jahren die Mittel, um sogenannte Licht-Masterpläne zu erstellen.
Ein solcher Masterplan regelt die Beleuchtung der öffentlichen Plätze
und formuliert Rahmenbedingungen für die Aktivitäten der Privaten, so
dass eine möglichst harmonische Nachtansicht der belebten Stadträume
entsteht. Die Provinz-Städte sollten gegenüber Paris gestärkt werden,
indem sie – auch nachts – attraktiver wurden. Der Lichtmasterplan war
eine der erfolgreichen Ideen zur gefühlten Dezentralisierung
Frankreichs und bahnbrechend für das Selbstbewusstsein der Regionen
gegenüber der Kapitale.
Musterbeispiel dafür ist Lyon, die Partnerstadt von Frankfurt am Main,
berichtete Bien über seine Inspirationsquellen. 1999 organisierte Lyon
erstmals seine „Fête des Lumieres“, ein Lichter-Stadtfest, das um eine
traditionsreiche Licht-Prozession zur Kathedrale herum entwickelt
wurde. Ähnlich wie beim Carneval in Venedig (1976) wurde eine lokale
Tradition so neu interpretiert und in die Gegenwart "übersetzt".
Von Lyon lässt sich lernen, dass ein authentisches Licht-Festival den
Anschluss an die lokalen Traditionen finden und eine gelebte Verbindung
zum Thema Stadtplanung und Stadtentwicklung aufbauen sollte. So werden
jeweils neue Licht-Ereignisse im Rahmen des Festes eingeweiht, die
dauerhafte Verbesserungen der Lebensqualität in den prominenten
Stadträumen wie den Quartieren mit sich bringen. Das bietet auch die
Chance, die Bürger und Künstlerinitiativen aktiv einzubeziehen und kein
rein auf Konsum ausgerichtetes Stadtereignis zu schaffen.
Illuminationsraum Main
Naxoshalle, Bühne für Talente
Industriekultur, Kraftwerk West, dauerhaft illuminiert seit Luminale 2004
Bien brachte zahlreiche Beispiele (insgesamt hat er über 1.000 Projekte
begleitet), wie sich durch den Einsatz von Licht-Ereignisse nachhaltige
Effekte erzielen lassen. Die Summe seiner Erfahrungen fasste er so
zusammen:
- Licht erhöht die Aufenthaltsqualität und das Sicherheitsgefühl
- Unorte lassen sich durch Beleuchtung aufwerten und neu definieren
- Licht-Projektionen faszinieren für neue technologische Möglichkeiten
- Die Geschichte und Bedeutung von Gebäuden (Genius Loci) lassen sich ins Bewusstsein heben
- Szenenwechsel verwandeln vertraute Alltagsorte
- Unbekannte oder in Entwicklung begriffene Quartiere können ihr Image verändern
- Partizipation und Einbeziehung von Bürgern, Künstlern, Initiativen fördern die Identifikation
Dann ging es um Berlin. Hier hieß es kritisch: Berlin könne einen
Neustart als „Stadt des Lichtes“ gut gebrauchen. Die Stadt habe nicht
nur einen Ruf sondern einen Mythos als die Lichtstadt des 20.
Jahrhunderts zu verlieren.
Sachlicher Bericht: Von der Jahrhundertwende bis in die „Goldenen“
1920er Jahre wurde Berlin in ein urbanes Laboratorium verwandelt. Die
Stadt ist in wesentlichen Teilen ein Geschöpf der Elektrotechnik und
ihrer Industrie. Ohne sie wäre Groß-Berlin von 1920 nicht möglich
gewesen. Aus aller Welt kamen schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts
Architekten, Ingenieure und Experten nach Berlin, um diese
„Elektropolis“, diese Zukunftsstadt zu besichtigen.
1939 bei der letzten Zählung vor dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten
235.000 (!) Berliner in der Elektroindustrie, auf Platz zwei kam
Stuttgart mit nur 19.000, München weit abgeschlagen mit 6.000. Und 35
Prozent der elektrotechnischen Weltproduktion kamen aus Deutschland,
aus den USA nur 29 Prozent, aus Frankreich ganze 4 Prozent. Dieses
schnelle „Dynamo-Berlin“ - voller rasanter Abkürzungen von AEG bis
S-Bahn - sei vergleichbar mit dem heutigen Silicon Valley. Aus Berlin
kamen der Rundfunk (Vox-Haus), das Fernsehen (Olympiade 1936) und der
Computer (Konrad Zuse). „Berlin lebt also schon lange aus der
Steckdose,“ so Bien. Elektrizität ist auch ein ideales Medium für diese
an Rohstoffen sonst so arme Stadt voller heller Köpfe.
Werbeturm, Berliner Festwochen unter dem Motto „Berlin im Licht“
Schon 1928 wurde das Licht zum Thema der Berliner Festwochen. Die Musik
dazu kam vom Avantgarde-Komponist und Brecht-Partner Kurt Weill.
„Berlin im Licht“ heißt der Song. Weill beschwört das Kunstlicht, weil
seiner Meinung nach die Sonne allein nicht ausreicht, um das wirkliche,
echte Berlin zu sehen. Für viele Berliner und Touristen passiert das
Wesentliche des Nachts. Flaneure wie Walter Benjamin „botanisieren“ auf
dem regennassen von Leuchtreklamen illuminierten Asphalt. Im „Blauen
Engel“ singt Marlene Dietrich „Männer umschwirren mich wie Motten das
Licht“. Christopher Isherwoods Cabaret richtet seine Spotlights auf
diese zwielichtigen Verhältnisse. „Das rote Berlin war eben auch ein
Rotlicht-Berlin“, meinte Bien.
Diese ganze Ambivalenz des Lichtes bringe das Schlagwort von der
„Elektropolis“ zum Ausdruck. Einerseits das Zwielicht des Nachtlebens
mit seinen Verheißungen und Versuchungen, andererseits das sachlich
coole Licht der hygienischen Glas- und Bauhaus-Bauten. Die cleane neue
Energie bewirkt ein Mobilitätswunder: die elektrisierten S-Bahnzüge,
eine coole Mobilität jenseits vom Pferdekot-Gestank und von den
Rußschwaden der Dampflokomotiven, die das gründerzeitliche Berlin
verpestet hatten. Selbst die Berliner Luft , die viel besungene, bekam
etwas Elektrisches.
Der Kameramann Walther Ruttmann setzt in seiner „Sinfonie der
Großstadt“ (1927) dieses neu-sachliche Berlin in Bilder städtischer
Dynamik und konzertierter Harmonie, in der die beherrschte Technik aber
immer auch umkippen kann in beherrschende Technik. Seit Fritz Langs
„Metropolis“ sind wir gewarnt.
Interaktive Licht-Klang-Installation, Klaus Teltenkötter und Partner
Diese großartige Tradition könnte heute verbunden werden mit dem
Start-up-Berlin der Gegenwart. Aus aller Welt ziehe es die digitale
Boheme nach Berlin. Aus Projekten werden Ateliers und Studios,
manufakturartige Betriebe und hidden champions wie Otto Bock
(Mensch-Maschine-Interface) oder Ableton (Software für elektronische
Musik). Das Internet der Dinge und der 3D-Druck bringen auch die
Produktion physischer Produkte zurück. Der Globalisierung folgt eine
Regionalisierung, die die Produktion in Microfactories wieder in die
Nähe der Kundschaft bringt. In Berlin sammeln sich viele Akteure, die
Elektrik, Mechatronik und Lasertechnologien erforschen und daraus echte
Produkte entwickeln, nicht nur Handels-Software oder
Pizza-Bestellservices.
Das große Erbe der Industriekultur in Architektur, Wissenschaft und
Kultur schafft ideale Bedingungen für diese neue Elektropolis. Die
ersten aus dem Silicon Valley sehen in Berlin einen „Exil“-Standort,
weil sie auch künftig Offenheit und Vielfalt so nötig brauchen wie Luft
und Licht. Hier liege, betonte der Vortragende, eine historische
Chance, die durch ein Berliner Lichtkultur-Festival international
sichtbar werden könnte. Viele Akteure dafür finden sich schon heute in
der Stadt, die Licht, Elektronik und digitale Künste miteinander
verknüpfen.
Die kritischen Anmerkungen zur Berliner Situation fanden in den
anschließenden Gesprächen viel Zustimmung. Es wurde bedauert, dass
Berliner Ereignisse oft genug entweder bedauerlich provinziell oder
unverständlich avantgardistisch angelegt seien. Es fehle an
integrierenden Veranstaltungen, die Brücken schlagen könnten zwischen
den „gates communities“, in die sich immer mehr Gruppen zurückziehen.
Die Fragmentierung der Stadtgesellschaft wurde als große Gefahr
thematisiert, als der Boden, auf dem einige wenige Entschlossene das
Leben der Vielen dominieren könnten. Die Kölner Silvesternacht sei ein
gutes Beispiel dafür, wie die Verhältnisse ins Rutschen geraten, wenn
die Mischung und der Zusammenhalt in der Gesellschaft nicht mehr
selbstverständlich seien.
Zustimmung erhielt Bien, dass die vorgestellten Lichtkultur-Projekte
die Integration befördern könnten. Er hatte von Licht-Projekten aus
Paris und Amsterdam berichtet, die in der Banlieue und den
Satellitenquartieren den öffentlichen Raum verbessern, die
Identifikation mit dem Kiez stärken und Vandalismus und Kriminalität
zurückdrängen. Die explizit sozialpolitische Dimension habe in
Deutschland dagegen noch keine Stadt auf dem Schirm. Gerade die neue
Wohnungsfrage, die zu neuen oder verdichteten Stadtquartieren führen
wird, wäre ein Feld, auf dem sich mit Lichtkultur einiges für die
Lebensqualität erreichen ließe.
Diskussionspunkt war auch die neue die Stadtmitte. Bien deutete ein
szenographisches Licht-Konzept für diesen Raum an. Die geplante
Verkehrsberuhigung „Unter den Linden“ gehe einher mit der
U-Bahn-Eröffnung der U5 zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz.
Die Eröffnung des Humboldt-Forums schaffe ein neues Attraktionszentrum
und die Gestaltung des Marx-Engels-Forum eröffne eine neue Achse des
Flanierens, der Stadtwahrnehmung. Ein Raum, der auch des Nachts nicht
sich selbst überlassen bleiben sollte, wenn die Institutionen, Ämter
und Ministerien schließen. Hier entstehe ein zentraler Raum in der
historischen Mitte, der Ost und West zusammenführt und die Kontraste
fruchtbar machen könnte, die Berlin einzigartig machen.
Aber auch große Kultur-Ereignisse ließen sich um eine Licht-Dimension
ergänzen. „100 Jahre Bauhaus“ und die Forderung nach Licht und Luft als
den neuen Qualitätskriterien für die moderne Stadt böten
Anknüpfungspunkte und Chancen, aus diesem Jubiläum der Moderne mehr zu
machen als ein internationales Experten-Ereignis.
Zur Sprache kam auch, dass es erste Überlegungen gäbe, anstelle der aus
Kostengründen für 2020 abgesagten Internationalen Bauausstellung nun
„100 Jahre Groß-Berlin“ zu einem richtungsweisenden Stadtereignis zu
machen. In der Runde wurde daran erinnert, dass es die linken Parteien
waren, die am 25. April 1920 in der verfassungsgebenden Preußischen
Landesversammlung das Groß-Berlin-Gesetz gegen den Widerstand der
Konservativen durchgesetzt haben. Damit war Berlin – nach Los Angeles –
die flächenmäßig zweitgrößte und an der Einwohnerzahl gemessen – nach
London und New York – die drittgrößte Stadt der Welt.
Mit dieser Weichenstellung 1920 begannen die „goldenen Jahre“ von
Elektropolis. Nur mittels der neuen Technologien ließ sich dieser
urbane Lebensraum und Traum für Millionen verwirklichen. Heute
angesichts von Klimawandel, Ressourcenknappheit und tiefgreifendem
Wandel der Arbeitsgesellschaft, könnten Leit- und Lichtereignisse dazu
beitragen, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen. Auch das wäre ein
Ereignis, aus dem sich – nachhaltig gestaltet - für Berlins Zukunft
Funken schlagen ließen.
GRID, Licht-Klang-Installation, Christopher Bauder / Robert Henke
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