KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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ReportKulturation 1/2003
Horst Groschopp
Bush als starker religiöser Globalist und der Papst als schwacher säkularer Universalist oder: Wie mobilisiert man Nationen?
Beitrag zur politischen Talkrunde der KulturInitiative’89 am 31.01.03
Papst Johannes Paul II am 13. Januar 2003: „Der Krieg ist nie ein Mittel wie andere, das man zur Beilegung von Auseinandersetzungen zwischen Nationen einsetzen kann. Er ist nie ein unabwendbares Schicksal. Er ist immer eine Niederlage der Menschheit.“

George W. Bush am 28. Januar 2003: „Manche sagen, wir sollten nicht handeln, bis die Bedrohung unmittelbar ist. Seit wann geben Terroristen und Tyrannen ihre Absichten bekannt und setzen uns höflich in Kenntnis, bevor sie zuschlagen? ... Wir werden unsere Probleme nicht leug-nen, wir werden sie nicht ignorieren, nicht an andere Kongresse, andere Prä-sidenten und andere Generationen weiterreichen.“

Wir erleben z. Z. eine außerordentliche Theologisierung der Politik, zum einen als Rechtfertigung bestimmter, noch nicht ganz klarer, jedoch nicht allein auf das Interesse am Öl zielender Absichten der US-Regierung und einiger europäischer Bündnispartner. Zum anderen bemühen auch alle Gegner (oder vorsichtiger: Kritiker) der US-Politik kulturelle, ja nahezu reli-giöse Motive. Das war immer ein Zeichen, dass es sehr ernst ist und dass es ams Eingemachte geht. Man ist bereit, alles einzusetzen, bis auf die letzten Werte, als das Teuerste, was eine Gemeinschaft einzusetzen ver-mag.

Die für uns – als Gemeinschaft in Deutschland – relevante Frage ist die, ob wir etwas verpassen, wenn wir nicht mitmachen. Das heißt auch, ob unsere Strategie, den Osten mit Geld und Projekten zu erobern, nach dem zwei Kriege schief gingen, dann doch noch aufgeht, wenn die Amerikaner sich im Irak eingenistet haben, den Ölfluss und die Ausrüstung kontrollieren, wieder stärker in Afghanistan sind und wir mit den Russen, den Iranern, Syrern und Palästinensern die Tschetschenen entweder aufreiben oder zu kooperierenden Siegern machen.

Was die Amerikaner vor uns auszeichnet ist, dass sie eine Strategie haben (die von Schröder und Chirac hat erst einmal verloren, nämlich die, den Irak zu domestizieren und die mit Frankreich und Deutschland geschlossenen Verträge einzuhalten, was bisher die Amerikaner mit dem Boykott verhinderten). Warum sollten die Amerikaner die Gelegenheit zur Weltherrschaft nicht ergreifen? Was interes-siert Amerika, wenn der Papst von einer Niederlage für die Menschheit spricht? Was ist die Menschheit?

Haltet Euch an den Papst und die Universalien, sagt uns Bush, ich halte mich an die Realitäten. Die Vorgänger dieses Papstes haben schon einmal vergeblich versucht, uns Methodisten in die Sekten-Ecke zu stellen und zu vernichten. Wir sind ausgewandert und haben jetzt hier die Macht.

Die Menschheit ist doch kein Subjekt der Geschichte, liebe Europäer, ihr alten Träumer. Die Menschheit wählt nicht, kauft nicht – und ist in verschiedene staatliche Gemeinschaften zerstritten. Realpolitik für eigene Interessen war schon immer das, was unsere amerika-nische Politik ausgezeichnet hat: Folgt uns oder lasst es, wir machen’s so-wieso.

Nicht nur Saddams Zeit läuft ab, auch Eure. Ihr seid nicht darauf eingegangen, als wir sagten, Saddam baut Atomwaffen. Gut, dann sagten wir, er hat biologische Waffen. Das wissen wir, denn wir haben sie im Iran-Irak-Krieg selbst geliefert. Er wird doch wohl noch Reste davon versteckt halten. Das habt Ihr auch nicht geglaubt. Gut, dann haben wir Euch die Ge-schichte von den beherbergten Terroristen erzählt und dann die vom armen Volk unter dem bösen Diktator – und Ihr wollt immer noch nicht. Nun, dann decken wir die letzten Karten auf:

Wie Ihr wisst, hatte ich Mitte der Achtziger ein Bekehrungserlebnis. Ich pflege seitdem nicht nur den Alkohol- und Tabakverzicht, stehe immer früh auf, gehe diszipliniert zu Bett, halte früh die allmorgendliche Bibelstunde und auch am Anfang einer jeden Kabinett-sitzung steht das Gebet. Auch in meiner Rede an die Nation werde ich wie-derholt den „lebendigen Gott“ anrufen und Euch sagen, wir stehen vor ent-scheidenden Tagen. Ich werde nicht von Erlösung sprechen, sondern von Ausmerzung, damit Ihr versteht, dass das Böse erst getilgt sein muss, ehe wir erlöst sind.

Ihr gottlosen Europäer habt doch nicht einmal eine Idee, wie Ihr Euch aus der Zange zieht, in die Ihr geratet, wenn Ihr uns nicht folgt. Ihr denkt, es geht uns nur uns Öl! Da unterschätzt Ihr uns gewaltig. Warum hätte ich sonst über Aids und all die bösen Dinge gesprochen, die unsere Gesellschaft krank machen. Wenn wir die Welt beherrschen wollen, müssen wir alle Ressourcen in unserem schönen heiligen Land mobilisieren. Wir brauchen Ingenieure und gebildete Soldaten. Wer lernen will, wird lernen können. Es wird Aufstiege geben und Wachstum und es wird eine Ehre sein und ein gutes Leben, im Irak und später in Indien unser System zu implantie-ren.

Wir werden Euch nicht brauchen, wer spricht schon deutsch oder französisch? Das haben die Bulgaren und Engländer erkannt. Bleibt Ihr zurück bei Eurem Humanismus der Individualitäten, wir bauen eine neue Gemeinschaft, wir haben noch Feinde, wir kennen sie. Aber Eure falschen Freunde werden über Euch herfallen, über wen denn sonst? Woanders sit-zen wir. Nehmt sie auf, die Vertriebenen dieser Welt – Ihr habt doch ein gu-tes Herz, einen prima Papst und viele säkulare Humanisten. Hey boys and girls in old europe, the time is running up, the time i running up, the time i running up ...

(Beitrag zur politischen Talkrunde der KulturInitiative’89 am 31.01.03)