Report | Kulturation 2014 | Ute Mohrmann | Forschungen zur Volkskunst und zum Laienschaffen in der DDR
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Ute Mohrmann war von der "Kulturdebatte im Salon" zum Vortrag
eingeladen und vom Veranstalter gebeten worden, für die Reihe
"Bausteine ostdeutscher Kulturgeschichte" ihre Sicht auf die "
Forschungen zur Volkskunst und zum Laienschaffen in der DDR"
darzulegen. Sie hat das vorgeschlagene Thema aufgenommen. Nachstehend
der Text ihres Vortrags vom 22. Januar 2014.
Das Thema provoziert in mehrfacher Hinsicht! Vor allem der Terminus
„Volkskunst“ signalisiert diese Provokation. Haften ihm doch zu recht
auch Traditionalismus, Missbrauch und Gegenmoderne an. Ich sprach
deshalb in meinen Forschungen von „Freizeitkunst“, obwohl in der
DDR-offiziellen Sprache lange „Volkskunst“ der für das Amateurschaffen
übliche Terminus war.
Dietrich Mühlbergs Themenvorschlag habe ich ohne Widerspruch
angenommen. Nun muss ich damit zurechtkommen. Es ist noch nicht lange
her, dass er seine Irritationen über meine Forschungsbegeisterung in
diesem Bereich (spez. des „Volkskunstschaffens“ in der DDR)
unmissverständlich formulierte. Mühlberg sah „in dem Bemühen (der
SBZ-/DDR-Kulturpolitik U.M.), die ‚wirklichen Werktätigen’ mit den
traditionellen Kunstpraxen vertraut zu machen, einen doppelten Unsinn.
Es passte nicht zur Lebenspraxis moderner arbeitender Menschen;
Industriearbeiter tanzen nicht feiertäglich um die Linde. Und es
befestigte, wo es tatsächlich auf Interessenten stieß, ein
konservatives Kunstverständnis im Volke.“
Heute muss ich die Herausforderung zu einer Erklärung annehmen!
Vorher sei jedoch Dietrichs versöhnende Anmerkung zitiert: „Als kluge
Kennerin der diversen nichtprofessionellen Kunstszenen hat Ute uns und
viele Funktionäre dieser Kulturarbeit klug belehrt. Auch sie sprach von
Freizeitkunst, doch rückte sie das damit verbundene soziale Engagement
in die Mitte.“ Dann folgt seine Gretchenfrage: „Sind es nostalgische
Anwandlungen, wenn wir Utes Engagement in dieser Sache heute höher
schätzen als vor zwanzig Jahren?“ Die Zitate sind einem
Geburtstagsglückwunsch, dessen Regeln wir zu gut kennen, entnommen.
Dennoch, Dietrich hat den Finger auf die Wunde gelegt!
Inwieweit bestimmten nicht zuletzt sozialromantische Perspektiven
vor allem anfangs und die Vereinnahmung von Begriff und Sache auch in
der späteren DDR das humanistische Partizipationsversprechen, die (noch
immer aktuellen) Vorstellungen von „Kultur für alle“?
Also sollte es uns auch heute um eine Verständigung über Sinn und
Unsinn der DDR-eigenen „kulturellen Massenarbeit“ aus aktueller Sicht
gehen. Im vergangenen Jahr hatten bereits in der Reihe „Kulturdebatte
im Salon“ der Kulturinitiative’89 die Vorträge von Gerd Dietrich und
Cornelia Kühn zu den Kulturkonzepten der „kulturellen Massenarbeit“ in
den Nachkriegs- und 1950er Jahren stattgefunden. Ich schließe mich nun
an.
Der heutige Kreis unterschiedlicher Teilnehmer/innen,
Wissenschaftler, ehemalige Kulturarbeiter und „Volkskunstschaffende“
sowie Interessierte am Thema, verspricht wieder eine rege Diskussion.
In Vorbereitung meines Vortrages habe ich nach fast drei Jahrzehnten
Kontakte zu Zeitzeugen, den Akteuren von damals aufgenommen. Ich stieß
auf ein großes Interesse an Erinnerungen, am Erzählen und Reflektieren
über Gewesenes und Heutiges. Schön, dass Einige von ihnen heute dabei sein können.
Ich werde meinen Beitrag wie folgt gliedern:
1. meinen Zugang zum Forschungsbereich, eingeschlossen das Verständnis von „Volkskunst“, darlegen;
2. einen Überblick über Strukturen und künstlerische Präsenz des Amateurschaffens in der DDR geben,
3. etwas zum Selbstverständnis der Zeitzeugen sagen und
4. zum Abschluss eine Foto-Diashow von Hartmut Henschel, ehemaliges
Mitglied und späterer Leiter des Grafik Zentrums Pankow, zeigen.
Forschungsgegenstand - Zum Verständnis von „Volkskunst“
In der ethnologischen Forschung wie in den unterschiedlichsten
kulturpolitischen Praxen wurde „Volkskunst“ bisher tüchtig strapaziert,
das wurde einleitend angedeutet. Dazu nur noch einmal so viel: In
Deutschland kommt der Begriff als wissenschaftliches Konstrukt erst
zunehmend in Gebrauch, als die vorwiegend bäuerliche, handwerkliche und
hausindustrielle Kultur (die vor allem an Rituale, an ländliche Feste
und religiöse Feiertage gebundene bildnerisch-gegenständliche Kunst wie
auch Volkslied und –tanz) seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
ihren historischen Niedergang erlebt und deshalb Aufmerksamkeit erregt.
Inzwischen, innerhalb von mehr als 150 Jahren, präsentieren die
rekonstruierten und gewandelten Überlieferungen populäre
Verlängerungen. Dazu zählen der internationale Folklorismus und
re-ethnisierte Kulturen, die im traditionellen Gewand „fröhliche
Urständ feierten/feiern“, aber auch Folkmusik als politischen Protest
kreierten, wie z.B. die amerikanische Folk-Ikone Pete Seeger, der
kanadische Musiker Perry Friedman in den frühen 1960er und die
Folkmusiker der 1970er Jahre in der DDR. Gegenwärtig präsentiert sich
u. a. „Volk-Rock“ als kommerzielle Unterhaltungsmusik, wie die des
Lederhosenrockers Andreas Gabalier. Diese Verlängerungen von
„Volkskunst“ besaßen/besitzen also eine reale, nicht zuletzt mediale
Existenz.
In der DDR waren neue Formen einer Volkskunstszene entstanden, deren spezifische Strukturen bis etwa 1990/91 erhalten blieben.
„Wandel und Erfindung“ der Volkskunst im Geschichtsverlauf fanden
immer wieder Aufmerksamkeit und unterschiedlichste Interpretationen. Hier können nur Stichworte den ideologischen Gebrauch seit Beginn
des 20. Jahrhunderts punktuell illustrieren. (Siehe dazu Korff: 1996)
Zu den Ideologisierungsschüben gehören z.B. Volkskunst als Medium
vaterländischer Begeisterung (während des Ersten Weltkrieges) und als
„völkischer“ Garant des Arteigenen (in der NS-Zeit), schließlich nach
dem Zweiten Weltkrieg Volkskunst als Abwehr formalistischer
Kunstavantgarden, als Weg zu den „Höhen der Kultur“, als „Basiskultur“
und als regionales wie ethnisches Identitätsmodell.
In der DDR wie in anderen osteuropäischen sozialistischen Staaten
galt Volkskunst als Segment einer ideologisch und finanziell
begünstigten „Massenkultur“. Dahinter verbarg sich im Spannungsfeld von
Kulturpolitik, lenkender Vermittlung (durch die Kulturfunktionäre) und
finanzieller Förderung, vor allem durch Staat und Kommunen,
Gewerkschaft und Betriebe sowie durch die Jugendorganisation, eine
außerordentlich differenzierte kulturelle Bewegung. Sie hatte
beachtliche künstlerische Potentiale hervorgebracht. Offiziell wurde
sie als Volkskunst, Laienkunst und künstlerisches Volksschaffen
betitelt. Eingeschlossen waren Betätigungen meist in kollektiven, von
akademischen Künstlern betreuten Organisationsformen, in Chören,
Musik-, Tanz- und Theatergruppen, Zirkeln schreibender Arbeiter und
Fotografen, in Singeclubs, Amateurfilmclubs und in Zirkeln der
bildenden und angewandten Kunst.
Zu meinen persönlichen Erlebnissen gehört meine Zugehörigkeit zum
Ernst-Hermann- Meyer Ensemble der Humboldt- Universität zu Berlin
während meiner Studienzeit. Erinnert bleibt der Gewinn des kollektiven
Erlebens, der Zugang zu einer vielschichtigen Gesangs-, Tanz- und
Musikkultur, begleitet von den Prominenten des Musiklebens Kurt Schwaen
und Helmut Koch sowie von der Choreografin Aenne Goldschmidt,
angeleitet von profilierten Pädagogen und Künstlern wie Paul Rahner,
Heinz Roscher, Fritz Höft, Willi Hinzert und Siegfried Matthus.
Meine Lehr- und Forschungsarbeit bezog sich allerdings nicht auf
Lied, Gesang oder Tanz, die in der Volkskunde zu den Spezialgebieten
der Folkloristik zählen. Die empirische Basis meiner wissenschaftlichen
Arbeit war das sogenannte Bildnerische Volksschaffen (seit 1956 so
betitelt, im Zyklus der DDR-Kunstausstellungen vertreten und seit 1963
mit einer eigenen Zeitschrift ausgestattet). Die Untersuchungsbasis
waren also Einzelschaffende und Zirkel der Malerei, Grafik und Plastik, der Textil- und Holzgestaltung sowie der Keramik.
Zu den Grundlagen meines Herangehens gehörten eine volkskundliche
und kunstwissenschaftliche Ausbildung, meine Lehrtätigkeit in
Kunstethnologie und Volkskunstforschung sowie die mit der
wissenschaftlichen Recherche verbundenen Ehrenämter in
Interessenvertretungen der Laienschaffenden. Ich war über Jahre
Mitglied und Vorsitzende der Berliner wie der Zentralen
Arbeitsgemeinschaft Bildnerisches Volksschaffen, gehörte der
Ausstellungsjury der Arbeiterfestspiele an.
Zugang zum Forschungsfeld und Forschungsansätze
Anregungen, mich mit dem Laienschaffen in der DDR zu
beschäftigen, erhielt ich vor allem von Wolfgang Steinitz und Paul
Nedo, den Protagonisten der „Volkskunde des Neubeginns“.
Wolfgang Steinitz (1905-1967), vielleicht noch Einigen als
Autor des ersten Russischlehrbuches in der DDR bekannt, war aus der
Emigration in die Sowjetunion und nach Schweden 1946 zurückgekehrt,
leitete das Institut für Volkskunde an der Akademie der Wissenschaften,
lehrte an der HUB und engagierte sich vornehmlich in den 1950er Jahren
in der Laienkunstbewegung. Paul Nedo (1908-1984), sorbischer
Volkskundler und wie Steinitz politisch Verfolgter des NS-Regimes, war
Vorsitzender der Domowina, Abteilungsleiter in der Sächsischen
Landesregierung und von 1952 -1962 Leiter des Instituts für
Volkskunstforschung beim Zentralhaus für Laienkunst der DDR (später für
Volkskunst), danach am Sorbischen Institut der Karl-Marx-Universität
Leipzig und von 1964 bis 1968 als Lehrstuhlinhaber am Institut für
Volkskunde und Völkerkunde der Humboldt-Universität zu Berlin tätig.
Beide Wissenschaftler gehörten in der 1950er Jahren zu meinen Lehrern
und später zu meinen Fachkollegen.
Die Beziehungen beider zur traditionellen Volkskunst waren eng. Ihr
Plädoyer für die Pflege der Überlieferungen im gegenwärtigen
Volkskunstschaffen erklärt sich aus ihrer Herkunft, ihren Kontakten zur
slawischen bzw. sowjetischen Kultur und dem Nachkriegsenthusiasmus. Sie
waren bereit, die vom Faschismus missbrauchten Werte des Nationalen –
gleich anderen kommunistischen Intellektuellen und Remigranten – als
„gereinigte Ideale“ (Mittenzwei 2003: 23) zu nutzen. Unter der
Volkskunde des Neubeginns verstanden sie die Erforschung der
Volkskultur als Teil des nationalen Kulturerbes und eine vor allem mit
der Laienkunstbewegung verbundene Disziplin. Ihre Präsenz in der
Kulturpraxis wie der spätere Rückzug beider daraus waren begleitet vom
Wandel der kulturpolitischen Konzepte der Macht. In mehreren
Publikationen wurden bereits diese Zusammenhänge erörtert. (u. a.
Bresan: 2002, Kühn:2013; Leo: 2005; Mohrmann: 2006, dies.: 2009).
Hier kann nicht näher darauf eingegangen werden.
Erwähnt sei lediglich der späte Rückgriff auf die von Wolfgang
Steinitz gesammelten historischen Arbeitervolkslieder, Bauernklagen und
Deserteurslieder während der 1970er Jahre in beiden deutschen Staaten.
Hannes Wader und Dieter Süverkrüp wie die Folk-Bands in Leipzig,
Cottbus und Plauen gehörten zu den Repräsentanten des Folk-Revivels.
Dies hat Wolfgang Steinitz allerdings nicht mehr erlebt.
Meine Forschungen zu „Volkskunst und Laienschaffen“ konnten noch
von Paul Nedo und nicht zuletzt von Manfred Bachmann, Mitarbeiter des
Leipziger Instituts für Volkskunstforschung und späterer
Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, begleitet
werden. Dabei erforderte mein Einstieg eine wissenschaftsgeschichtliche
Aufarbeitung, die auch die Positionierung gegenüber sozialromantischen
und antimodernen Tendenzen der 1950er Jahre einschloss. In der
Volkskunde waren im darauffolgenden Jahrzehnt neue Ansätze erarbeitet,
die auch mir einen neuen Zugang zum gegenwärtigen Volkskunstschaffen
eröffneten.
Volkskunst als „Engagierte Freizeitkunst“ (so der Buchtitel meiner
1983 veröffentlichten Habilschrift von 1980) sollte einen
sozialkulturellen Blick auf das Thema lenken, zudem die künstlerischen
Potenzen würdigen. Der Versuch, die Entfaltung bildnerischer
Kreativität als nebenberufliche Freizeitkunst im Kontext der sich
wandelnden offiziellen Kulturkonzepte darzustellen, beschrieb im Großen
und Ganzen eine „Aufwärtsentwicklung“, die nur partiell kritische
Deutungen einschloss. Das heute bzw. seit 25 Jahren leichtere
Hinterfragen von DDR-Kulturpolitik insgesamt blieb weitgehend außen
vor.
1989 resümierte ich in einem Zeitschriftenartikel das
„Konfliktreiche Werden. Vier Jahrzehnte Entwicklung des bildnerischen
Volksschaffens“ (Mohrmann: 1989). Einsichten waren gewachsen, aber der
Kulturpraxis halfen sie nun nicht mehr.
Der folgende Überblick über das Erscheinungsbild des Bildnerischen Volksschaffens in der DDR
dokumentiert heute ein Segment der Kultur g e s c h i c h t e (der
DDR). Die wissenschaftliche Darstellung aus heutiger Sicht steht noch
aus.
„Engagierte Freizeitkunst“ in der DDR war und ist im Diskurs von
Kulturwissenschaft und Volkskunde im Westen fast gänzlich ausgeblendet,
da die spezielle Praxis unbekannt und kaum vergleichbar selbst mit
westlicher „Basis- und Stadtteilkultur“ war. Der künstlerisch bemerkenswerte Beitrag der DDR-Laienschaffenden
an den Ruhrfestspielen in der Bundesrepublik konnte hier einwenig
relativieren, vor allem auf Seiten der westdeutschen Gewerkschaften
Akzeptanz erfahren.
„Arbeit ist Quelle aller Kultur“ Dieses Motto
betrieblicher Kulturarbeit in der frühen Nachkriegszeit begleitete die
Entstehung der ersten Mal- und Zeichenzirkel, vor allem in den
Chemiebetrieben um Halle (meist in SAG-Betrieben). Mit den
Werkvolkshochschulen und den Kulturabteilungen waren Voraussetzungen
für eine betriebliche Kulturarbeit geschaffen. Hinzu kam die
Bereitschaft eines kleinen Kreises Hallenser Künstler mit zu tun. Das
Angebot von jährlich einem Waggon Deputatkohle soll 1950 den Maler und
Grafiker Bernhard Franke bewogen haben, den Zirkel im Braunkohlenwerk Bitterfeld anzuleiten. Das tat er schließlich mit Erfolg über Jahrzehnte.
Neben den keineswegs reibungslosen Bemühungen der Betriebe und der
Jugendorganisation (FDJ) entstand seit Anfang der 1950er Jahre durch
das Zentralhaus für Laienkunst in Leipzig (später für Volkskunst bzw.
ab 1962 für Kulturarbeit der DDR) und die Volkskunstkabinette der
Kreise eine zunehmend perfektionierte staatliche Lenkung der
Laienkunstbewegung.
Das öffentliche Gebrauchtwerden bereits während der Weltfestspiele,
der „Deutschen Festspiele der Volkskunst“ und anderer zentraler
Kulturfestivals führte zu vielfältigen, zunächst auch gesamtdeutschen
Aktivitäten. Die Mal- und Zeichenzirkel trugen vor allem mit der
Gestaltung von Flugblättern, Wandzeitungsbeiträgen, Plakaten und
Fotomontagen als politischer Tageskunst zu aktueller Agitation bei.
Damit gewann die Druckgrafik, der Holz- und Linolschnitt, an Bedeutung.
Die Grafik präsentierte sich später in zahlreichen Bildfolgen und
Zyklen, z.B. mit den Titeln:„Kampf der Köpenicker Arbeiter im November
1918“, „Der Kapp-Putsch in Jeßnitz 1920“ oder „Neue Wohnungen für
unsere Chemiearbeiter“ u. a. Es war die sog. Zyklomanie, die in die
1960er Jahre hinein reichte, vergleichbar mit damaligen Tendenzen in
der professionellen Kunst der DDR. Dieser Anfang erfährt Einordnung und
Wertung nicht zuletzt durch seinen historischen und kulturpolitischen
Kontext, der von der Formalismusdiskussion über enge
Realismuskonzeptionen bis zu überhöhten Erwartungen an das
künstlerische Volksschaffen auf dem „Bitterfelder Weg“ reicht.
Die Vorstellungen von der immer enger werdenden Beziehung von Volks- und Berufskunst
(vor allem ein Postulat der 2. Bitterfelder Konferenz) und der Appell
zur „Weiterführung des künstlerischen Volksschaffens als Massenbewegung
der ästhetischen Erziehung des Volkes“ (Aufgabenstellung aus dem
Beschluss des Staatsrates vom November 1967) charakterisierten die
überzogenen Erwartungen an unbegrenztes Wachstum und an die Wirkungen
eines stringenten Erziehungskonzeptes.
Besonders seit Beginn der 1960er Jahre hatten sich immer mehr
Berufskünstler zur Anleitung von Laien eingebracht. In der Tat war die
Mehrheit von ihnen als Künstler keineswegs überregional bedeutend. Aber
unter ihnen gab es ausgezeichnete Pädagogen und Initiativpersonen. Die
prominenten Künstler waren eher die Ausnahme.
Der Maler Werner Tübke war in seinen jungen Jahren Mitarbeiter des von Werner Kühn geleiteten Zentralhauses für Laienkunst.
1963 gründete Franz Nolde, ehemaliges Mitglied der Dresdner
Künstlergruppe „Das Ufer“, im Schwedter Erdölverarbeitungswerk einen
Mal- und Zeichenzirkel. Seine Teilnehmer/innen bestimmten das
Leistungsniveau im DDR-Maßstab entscheidend mit. Einer der Schwedter
Zirkelteilnehmer ist heute unter uns: Uwe Burkhard, gelernter Zimmerer
und Diplomingenieur, später Fachdirektor in einem Baubetrieb und seit
1989 freiberuflicher Architekt im Bereich Restaurierung von
Baudenkmalen.
Die Zirkel hatten neben ihrer Anbindung an Betriebe zunehmend
Eingliederung in kommunale Einrichtungen, Klubs und Kulturhäuser,
gefunden. Die Durchführung zentraler Lehrgänge sowie die Einrichtung
von Spezialschul- und Förderklassen, nicht zuletzt von Abendschulen an
den künstlerischen Hochschulen (seit 1960/63) ermöglichten nicht
Wenigen eine künstlerische Weiterbildung und stimulierten zugleich das
bildkünstlerische Niveau.
Kunstschaffen nach Vorgaben oder auch infolge gemeinsamen Erlebens
und politischer Überzeugungen der Akteure blieb vor allem bei der Gestaltung grafischer Kollektivarbeiten
dominant: „Den Frauen unseres Werkes gewidmet“, „Dresden- Erlebnisse
einer Brigade“, „Leningrader Sinfonie“. Die Mitglieder des
Grafikzentrums Pankow, angeleitet seit 1960 von dem außerordentlich
engagierten Maler und Grafiker Wolfgang Speer, hatten 1966 mit
„Vietnam - das geht Dich an!“ zu einer Solidaritätsaktion aufgerufen
und eine breite Palette grafischer Arbeiten zum Thema geschaffen. Dem
jahrzehntelangen Leiter des Grafikzentrums Pankow und Kurator der
zentralen Ausstellungen des Bildnerischen Volksschaffens, Wolfgang
Speer, kommen besondere Verdienste bei der künstlerischen Förderung
junger Talente und bei der Bereicherung vor allem der politischen
Grafik zu. (Anwesende, ehemalige Mitglieder des GZP, werden dies
bestätigen können.)
Neben dem Holz- und Linolschnitt hatten sich inzwischen
komplizierte Druckverfahren, Lithographie, Siebdruck, Radierung,
Monotypie und Aquatinta, durchgesetzt. Die Bildniskunst bot allerdings
mit vorwiegend deskriptiven Arbeiter-Porträts und
Arbeitsplatzdarstellungen sowie Industrielandschaften, Städte- und
Heimatbildern weitgehend naturnahe Widerspiegelungen. Erst seit den
späten 1970er Jahren zeigten sich in Malerei und Grafik kritische,
mitunter satirische und drastisch realistische Darstellungen über unser
Leben, Individualisierungen in der Porträtkunst, damit immer
deutlichere Anlehnungen an die akademische Kunst.
Die wachsende künstlerische Präsentation bestätigte vor allem auch
die Textilgestaltung. Neben der Beschäftigung in Handarbeitszirkeln und
der explosionsartigen Verbreitung von Modegruppen hatte sich im
Ergebnis ernsthaften Experimentierens eine anspruchsvolle
Textilgestaltung hervorgetan. Zu den Wegbereiterinnen gehörten Helga Graupner und Ingeborg Bohne-Fiegert.
Beide akademisch ausgebildete Fachfrauen führten das angewandte und
dekorative Laienschaffen über Jahrzehnte durch Vermittlung und Einsatz
moderner, auch tradierter handwerklicher Fertigkeiten zu
repräsentativen Ergebnissen. Dazu gehörten applizierte Wandbehänge und
Gobelins. Vielleicht erinnern sich einige der Anwesende an die
Wandbehänge „ Der Kaukasische Kreidekreis“, „Der Sommernachtstraum“,
„Hochzeit in Bluno“, „Wir und die Mikroelektronik“, „Die Erde soll
blühen“ oder „Wasser ist Leben“. Sie waren meist als „Auftragswerke“
entstanden und fanden in öffentlichen Einrichtungen, in Klubs,
Gaststätten und Erholungsheimen, Platz.
Öffentlichkeit erfuhren die herausragenden künstlerischen Werke des Bildnerischen Volksschaffens besonders in Ausstellungen zu den seit 1959 stattfindenden Arbeiterfestspielen.
Die Präsentationen fanden zunächst jährlich und zehn Jahre lang als
gemeinsame Ausstellungen von Berufs- und Volkskunstschaffenden statt.
Danach wurde ein maßvolleres Ausstellungswesen praktiziert. Die künftig
selbständigen Ausstellungen des Bildnerischen Volksschaffens wurden im
vierjährigen Rhythmus durchgeführt.
Noch immer ein sehr großer Aufwand! Auch hier stieß Kultur wohl an
die Grenzen der vorhandenen gesamtgesellschaftlichen Ressourcen. Zur
vornehmlich politischen Repräsentation der DDR fanden Ausstellungen des
Bildnerischen Volksschaffens in Äthiopien, Österreich, Italien, Mexiko,
Irak, Indien, den sozialistischen Ländern sowie in Genf, New York und
Paris statt.
In den Ausstellungen präsentierte sich auf einem hohen
künstlerischen Leistungsniveau eine privilegierte „Spitze“. Die Auswahl
der ausgestellten Werke fand in Fachgremien, teils unter Einflussnahme
politischer Funktionäre, statt. Ausgrenzungen einiger Zirkel waren die
Folge von Reglementierungen. Distanz und Skepsis begegneten vor allem
der „Spitze“ aus den Reihen der Berufskünstler: Worin besteht die
Spezifik laienkünstlerischen Schaffens? (Walter Womacka) Lösen sich die
Grenzen zwischen akademischer und nichtakademischer Kunst auf? Ist
Konkurrenz, z.B. bei der Auftragsvergabe, zu fürchten? Der Diskurs
hielt bis zum Ende der DDR an. Schließlich konnten Anliegen und Resultate künstlerischen Tuns nicht dekretiert werden.
Die Spitzenleistungen im Amateurbereich wurden zunehmend auch vom sogenannten Volkskunst-Alltag
relativiert. Es setzten sich immer differenziertere Motivationen der
Laien für ihre Betätigung in der Freizeit durch. Geselligkeit und
Kommunikation waren dabei wichtig. Es hatten sich gewissermaßen „Breite
und Spitze“ deutlich herausgebildet und voneinander abgegrenzt.
Die (eher euphorische) Statistik wies 70 000 Mitglieder in 5000
Zirkeln für Malerei und Grafik, für Plastik und Keramik, für Schnitzen
und Holzgestaltung sowie für Textilgestaltung aus. Die unorganisierten
Akteure waren dagegen nicht zu zählen.
Der Spaß am Werkeln, Basteln und Schneidern - am Selbermachen, was
im Verkaufsangebot nicht zu erhalten war - nahm rasant zu. Bald
klinkten sich die offiziellen Unterstützer ein, so mit der Losung „
Komm mach mit, das kannst auch Du!“ oder mit dem erfundenen
Ausstellungstyp „Freizeit, Kunst und Lebensfreude“. „Hobbykunst“ stand
neben der zunehmend künstlerisch qualifizierten Laienkunst.
Dieses heterogene Bild populärer ästhetischer Praxen verlangte nach
neuen Sichten, die u. a. zögerlich auf der IV. Volkskunstkonferenz 1984
in Gera angesprochen wurden. Es deutete sich ein Konsens an, der auf
den Prozess des Machens, des Sich- Selbst -Entdeckens, auf das
Freilegen kreativer Alternativen, auf Selbstbestimmtheit zielte.
Das korrespondierte mit dem Rückzug vor allem Jugendlicher aus
reglementierten Freizeitangeboten, zugleich mit der Suche Vieler nach
„Lebensstilen“, die in den verschiedensten kreativen und
sozial-bindenden Gruppen gesucht, zudem in Szenen halber Illegalität
gefunden wurden.
Was ist vom Bildnerischen Volksschaffen, vornehmlich von den künstlerischen Ergebnissen, erhalten?
Der vom Zentralhaus für Kulturarbeit gesammelte Fundus befindet
sich - seit Abwicklung des Hauses und seiner Nachfolgeeinrichtungen
(1990/94) - mit ca. 7 000 Exponaten der Malerei, Grafik und Plastik
sowie der Textilgestaltung und Keramik im Archiv der Akademie der
Künste, hier allerdings weniger betreut, eher untergestellt. Eine
Überführung in das Dokumentationszentrum der DDR-Alltagskultur in
Eisenhüttenstadt zerschlug sich mit der kürzlich erfolgten
Teilschließung des Hauses. Im Kunstarchiv Beeskow befinden sich
Exponate der von den ehemaligen Massenorganisationen angekauften Werke.
Auf der Beeskower Burg gibt es eine prinzipielle Bereitschaft, die
DDR-Freizeitkunst einmal öffentlich zu präsentieren. Darauf könnte ggf.
durch Zuspruch und Zuarbeit Einfluss genommen werden. Seit Jahrzehnten
sammelt und betreut das Museum Europäischer Kulturen in Berlin Dahlem,
vorher das Museum für Volkskunde Berlin (O), Arbeiten der
Textilgestaltung. Dr. Dagmar Neuland-Kitzerow bereitet in
Zusammenarbeit mit der engagierten Textilgestalterin Jutta Lademann
eine Ausstellung vor, die u. a. die Arbeiten der Potsdamer
Textilgestalterinnen anlässlich des 60-jährigen Bestehens ihres Zirkels
bzw. der neu institutionalisierten Landesgruppe Brandenburg 2014
würdigen wird. Vielleicht hilft auch unsere heutige Zusammenkunft, die noch in
Privatarchiven vorhandenen oder z. Zt. verschollenen Kunstwerke zu
erschließen.
Akteure von damals – Multiplikatoren im gegenwärtigen Kulturbetrieb
Als Jürgen Kuczynski nach Erscheinen meines Buches „Engagierte
Freizeitkunst“ einmal hineingesehen hatte, empfahl er mit
ausdrucksstarker Mine: „Kindchen“ (so nannte er ja jede Frau, die
mindestens ein Jahr jünger war als er), also „Kindchen, schreib doch
weniger über Kulturpolitik und Kunst, sondern mehr über die Akteure und
ihre Kunst!“
Teilnehmende Beobachtung und Befragungen gehörten längst zu meinen
ethnologischen Arbeitsmethoden, doch ich verstand Kuczynskis
Zeigefinger! 1985 publizierte ich die Ergebnisse eines
Lebenslauf-Projektes mit dem Titel „Autobiographisches von
Freizeitkünstlern in der DDR“. (Mohrmann: 1985) In der „Wendezeit“
folgte - unter dem Eindruck der Abwicklung der Trägereinrichtungen und
der Zirkel selbst - eine weitere, Recherche, die allerdings
unveröffentlicht blieb. Das Erzählen der unterschiedlichsten
Lebensverläufe sagte beeindruckend über die Bedeutung der
nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeit als wichtigen Lebensinhalt
der Aktiven aus. Dabei wurde zugleich deutlich, dass nicht mehrheitlich
„Arbeiter und Genossenschaftsbauern“ die „Volkskunst“ repräsentierten.
Ihr Anteil war eher gering. Zugang fanden vor allem Angehörige von
Berufsgruppen, die durch professionelle oder familiäre Voraussetzungen
privilegiert waren: Werbefachleute, Betriebshandwerker, Ingenieure,
Architekten, Angestellte, Lehrer, Schüler und Studenten, nicht zuletzt
Hausfrauen und Rentner.
Im Vorfeld des Vortrages kontaktierte ich 15 ehemalige
Zirkelteilnehmer/innen, eine eher zufällige, keineswegs repräsentative
Auswahl. Doch interessant waren die Gespräche für die Charakterisierung
künstlerisch ausgewiesener Gruppen, für die sogenannte „Spitze“ im
Amateurschaffen.
Von den 15 ehemaligen Zirkelmitgliedern waren vier als Arbeiterin,
Gebrauchswerberin, Maschinenbauer/Kraftfahrer und als
Funk-Fernmeldemonteur tätig, bevor sie in den 1960er/70er Jahren, also
während oder nach ihrer Zirkelmitgliedschaft, eine Künstlerische
Hochschule absolvierten. Einer musste zwangsweise abbrechen, war aber
fortan – wie die anderen – freischaffend tätig. Darüber hinaus gelang
es weiteren drei, einem gelernten Baumaler, einem Fräser und einem
Werbeleiter, in den Verband bildender Künstler der DDR aufgenommen zu
werden. Eine gelernte Chemotechnikerin arbeitete als Zirkelleiterin.
Sechs der 15 waren während oder vor ihrer Zirkeltätigkeit Studenten
unterschiedlicher Fachrichtungen. Sie arbeiteten schließlich als Lehrer
und Journalisten, als Fotograf, Fachärztin und Doktorand. Seit der
„Wende“ und nach einigen Brüchen in ihrem Arbeits- und Lebensumfeld
betrieben bzw. betreiben sie Kunstgalerien, gründeten mit viel
persönlichem Aufwand und Enthusiasmus ihre eigenen künstlerischen
Werkstätten, gehören künstlerischen Berufsverbänden und Kunstvereinen
an oder betätigen sich als Ausstellungsgestalter und in der
Denkmalpflege, sind Lehrkräfte in Schulen und geben Kurse. Fast alle
stellen ihre eigenen künstlerischen Werke am Wohnort, in der Region
oder auch im Ausland aus. Viele von ihnen sind jetzt Rentner, erhalten
eine entsprechende finanzielle Grundsicherung und beteiligen sich am
Kulturleben ehrenamtlich. Einer meiner Zeitzeugen sprach aus, was für
die Meisten zutrifft:
„Meine Kunst habe ich immer weiter geführt, aber mich davon ernähren kann ich nicht.“
Die Erinnerungen an eine existenziell gesicherte Berufstätigkeit
und die nebenberufliche Freizeitbeschäftigung in der DDR mögen
nostalgisch anmuten. Die Erinnerungen gehören zum gelebten Leben der
Zeitzeugen, die gelernt hatten, kreativ zu sein und dies bis heute
sind.
Die sich dem Vortrag anschließende Fotopräsentation zur Arbeit des Grafikzentrums Pankow
(1960-1992) vermittelte einen Einblick in das vielgestaltige kreative
Miteinander der Zirkelmitglieder und ihrer künstlerischen Leiter.
Darüber hinaus dokumentierte der unkonventionelle Habitus der jungen
Leute von damals Zeitbilder, die zur Geschichte des Bildnerischen
Volksschaffens in der DDR gehören.
Literatur und Quellen (Auswahl)
Biographische Materialien von Volkskunstschaffenden und
Zirkeln. Projekt U. Mohrmann 1991 und Zuarbeiten von 15 ehemaligen
Zirkelmitgliedern zum Vortrag am 22.1.2014.
Bresan, Annett: Pawol Nedo 1908-1984. Ein biografischer Beitrag zur sorbischen Geschichte, Bautzen 2002.
Dokumente von Werner Kühn, erster Direktor des Zentralhauses für Volkskunst.
Korff, Gottfried: Volkskunst – ein mythomoteur?. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde, H.2/1996, S. 221-233.
Kataloge der Ausstellungen zu den Arbeiterfestspielen seit 1959.
Kühn, Cornelia: Angewandte Wissenschaft? Die marxistische
Volkskunstforschung am Leipziger Zentralhaus für Volkskunst in den
1950er Jahren. Vortrag auf der Tagung der dgv „Zur Situation der
Volkskunde 1945-1970. Orientierungen einer Wissenschaft in Zeiten des
‚Kalten Krieges’“ München 9.-11.5.2013, im Druck.
Leo, Annette: Leben als Balance-Akt. Wolfgang Steinitz. Kommunist, Jude. Wissenschaftler, Berlin 2005.
Mittenzwei, Werner: Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945-2000, Berlin 2003.
Mohrmann, Ute: Marginalien zur Volkskunstforschung. In: Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte 1982.
Dies: Engagierte Freizeitkunst. Werdegang und Entwicklungsprobleme des bildnerischen Volksschaffens in der DDR, Berlin 1983.
Dies. : Autobiographisches von Freizeitkünstlern der DDR. In
Jahrbuch für Volkskunde und Kulturgeschichte. (Neue Folge Bd. 13),
Berlin 1985.
Dies.: Vom konfliktreichen Werden. Vier Jahrzehnte Entwicklung des
bildnerischen Volksschaffens. In: Bildnerisches Volksschaffen 3/1989,
S. 66-70.
Dies. : „Volkskunst“ – die Basiskultur von damals? In:
Klaus Steinitz u. Wolfgang Kaschuba (Hg.): Wolfgang Steinitz, Ich hatte
unwahrscheinliches Glück. Ein Leben zwischen Wissenschaft und Politik,
Berlin 2006, S. 154-171.
Dies. : Paul Nedo und seine Berliner Jahre. Prof. Dr. Paul
Nedo zum 100. Geburtstag am 1. November 2008. In: Letopis 1/2009, S.
111-124.
10 Jahre Grafikzentrum Pankow. 1960-1970. Katalog, hrsg. vom Grafikzentrum Pankow am Kreiskulturhaus „Erich Weinert“, 1970.
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