KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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RezensionKulturation 2/2005
über :
Küche der Emotionen - Hexentrank und Wiesenschmaus - Schnell für zwei
Gunhild Mehlem
Von Hexentrank und Hummerragout
Besprochene Titel: Roth, Manfred: Victoria Jungfrau - Küche der Emotionen; Tscharner, Gisula / Knieriemen, Heinz: Hexentrank und Wiesenschmaus. Rezepte aus der wilden Weiberküche; Wildeisen, Annemarie : Schnell für zwei. Unkomplizierte Gourmetrezepte für jeden Tag. Alle: AT-Verlag, Aarau /Schweiz 2005
Besprochene Titel: Roth, Manfred: Victoria Jungfrau - Küche der Emotionen; Tscharner, Gisula / Knieriemen, Heinz: Hexentrank und Wiesenschmaus. Rezepte aus der wilden Weiberküche; Wildeisen, Annemarie : Schnell für zwei. Unkomplizierte Gourmetrezepte für jeden Tag. Alle: AT-Verlag, Aarau /Schweiz 2005.


Kein Zweifel, Esskultur ist Teil der Kultur. Egal, ob Kultur im weiteren Sinn als Lebensweise betrachtet wird oder im engeren Verständnis künstlerischer Kreativität. Die reale Verbundenheit und Widersprüchlichkeit beider Kulturkonzeptionen zeigt sich auch daran, dass Millionen Zuschauer im deutschen Fernsehen Kochsendungen betrachten, während Umfragen belegen, dass in über der Hälfte der deutschen Haushalte gar nicht oder höchstens ein- bis zweimal in der Woche gekocht wird. Ein Blick in drei neue Kochbücher (alle aus dem renommierten Schweizer AT-Verlag) bestätigt und differenziert diesen Eindruck.

“Hexentrank und Wiesenschmaus” - das klingt ziemlich geheimnisvoll. Jedoch desillusioniert bereits die Einleitung: “Hexen und Wiesen - oder anders gesagt das Sammeln von Pflanzen aus freier Wildbahn - sind wieder salonfähig geworden” (S.7). Im Jahresrhythmus vom “frühen Frühling” bis zum “späten Winter” werden allerlei Kochrezepte (und Rezepte für wohltuende Bäder) präsentiert, von “Dinkelspätzli mit Brennesseln” bis zum “Hexigen Vogelschnaps”. Letzterer ist relativ einfach zubereitet: “½ l Vogelsirup, ½ l Wasser, ½ l Wermutschnaps” (S.121). Auch viele andere esoterisch klingende Speisen haben oft eine ganz etablierte Basis wie Äpfel, Curry, Grahammehl, Kalbfleisch, Knoblauch , Rotwein, Schweinefleisch, Tilsiter Käse , Weisswein. Dennoch mag es nicht immer einfach sein, sich sumpfblättrigen Ampfer oder Teufelskralle zu besorgen. In jedem Fall bietet das Buch neben gelungenen Pflanzenfotos von Ulla Mayer-Raichle oft interessante und relativ preiswerte Ergänzungen des Speisezettels.

Relativ preiswert - davon kann im zweiten der hier vorzustellenden Kochbücher wohl kaum die Rede sein. Das “Victoria Jungfrau Grand Hotel & Spa” in Interlaken verfügt über eine international bekannte Küche, von klassisch französischem Stil über asiatische Spezialitäten bis hin zu Schweizer Leckereien und italienischen Antipasti und Pastagerichten, die in ambitionierten Fotos von Michael Wissing mehr zelebriert als dokumentiert werden. Küchenchef Manfred Roth hat 100 dieser nach dem Grundkonzept “weniger ist mehr” zusammengestellten Speisen gesammelt. Nicht mehr als drei Hauptkomponenten auf dem Teller und Erhaltung des Eigengeschmacks sind die Grundregeln. Erwähnt seien nur das “Hummer-Spargel-Ragout mit grünem Pfeffer und Taro-Chips”, das “Thunfisch-Carpaccio mit sautierten Endivien, Riesencrevetten und Miso-Sabayon” sowie die “Scampi-Sashimi, temperiert, mit Osciétre-Kaviar”.

Ob freilich die Behauptung des Verlages zutrifft, dass diese Gerichte “leicht nachkochbar” seien? Das mag technisch richtig sein, aber nur dann, wenn die erwähnten Produkte einigermaßen bezahlbar sind. Hier empfiehlt sich Annemarie Windeisens “Schnell für Zwei”, ein Kochbuch für den kleinen Haushalt, für Berufstätige und Singles. Die Rezepte sind unkompliziert. Bei jedem Gericht ist die Zubereitungsdauer vermerkt. Zudem hat das Buch ein praktisches Format, fast wie ein Taschenbuch. Alle Gerichte sind abgebildet.

Uns gefielen besonders die “Nudeln an Zitronen-Oliven-Sauce” (S.39), schnell herzurichten, einfach und doch raffiniert wie auch die “Teigwaren an Lachs-Dill-Sauce” (S.42).Wenn dem etwas rosa Pfeffer hinzugefügt wird, wird das Essen noch pikanter. Empfehlenswert sind auch das “Kalbsschnitzel an Steinpilzrahmsauce” (S.60), das knusprige “Parmesanschnitzel mit Zucchini” (S.63), und das “Paprikasteak”(S.48 f.) mit einer kräftigen Tomaten-Rotweinsauce. Die versprochenen 20 Minuten Kochzeit sind tatsächlich gut einzuhalten.

Insgesamt scheint “Schnell für zwei” besser nachkochbar zu sein, hat aber nicht das glamouröse Flair von “Victoria Jungfrau” und führt auch nicht zur mühsamen Suche nach Zutaten für die nicht gar so “wilde Weiberküche” von “Hexentrank und Wiesenschmaus”. Keins der Rezepte verdient jedoch das Etikett “qualvoll”, das Marcel Reich-Ranicki einer von Günter Grass gekochten Suppe einst verlieh. Bei Nutzung wirklich guter Kochbücher wäre der Dichter vielleicht noch früher als 2005 zum Träger des Eckart-Witzigmann-Preises der Deutschen Akademie für Kulinaristik avanciert. Den Preis gab es aber wohl ohnehin eher für ein literarisch-künstlerisches Gesamtwerk, das immer wieder der Kochkunst seinen Tribut zollt.