Rezension | Kulturation 2/2005 | über Jens Semrau (Hg.) in Zusammenarbeit mit Hiltrud Ebert: Was ist dann Kunst? Die Kunsthochschule Weißensee 1946-1989 in Zeitzeugengesprächen | Gerd Dietrich | Zeitzeugengespräche: Die Kunsthochschule Weißensee 1946-1989
| Es ist bemerkenswert, wie intensiv sich die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee mit ihrer Vergangenheit beschäftigt. 1946 gegründet, war sie gewissermaßen ein Kind der SBZ/DDR, kann und muss also zumindest ihre institutionelle Tradition aus diesem historischen Fundus schöpfen. Natürlich wurde und wird eine Kunsthochschule vor allem durch ihre Lehrer und Schüler geprägt. Und deren Traditionen reichten bei weitem über die Enge und Provinzialität der frühen DDR hinaus. Man denke nur an die Rektoren der ersten Jahrzehnts Otto Sticht, Bontjes van Beek, Mart Stamm und Bert Heller. Von den Windungen und Wendungen, den Eiszeiten und Tauwettern der offiziellen SED-Kulturpolitik konnte sich die Hochschule freilich nicht abgrenzen, dass war in den „durchherrschten“ Strukturen der DDR kaum möglich. Zugleich aber waren zahlreiche Lehrkräfte wie Studenten mit den kulturellen und sozialen Zielstellungen der ostdeutschen Gesellschaft zumindest teil- und zeitweise im Einvernehmen und suchten einen Platz in dieser Gesellschaft auszufüllen. Kein Wunder, dass sie dabei immer wieder in Konflikte zwischen Realität und Utopie, zwischen politischer Einflussnahme und künstlerischem Anspruch gerieten.
Dies ist nun schon der dritte Band, der die Geschichte der Kunsthochschule Weißensee behandelt. Zuerst erschien „Drei Kapitel Weißensee“, hrsg. von Hiltrud Ebert (1996), worin Dokumente von 1946 bis 1957 zusammengestellt waren: Erstens zur Gründung und zum Aufbau der Hochschule und Konzepte einer praxisorientierten Ausbildung, zweitens über die Praktiken der politischen Instrumentalisierung, von Eingriffen in die Lehrpläne bis hin zu Disziplinierungsformen der Hochschulangehörigen und drittens zu den Auswirkungen der ideologischen Indienstnahme und den jeweiligen kunstpolitischen Prämissen. Ein zweiter Band „Zwei Aufbrüche“, hrsg, von S. D. Sauerbier (1997), dokumentierte das Symposium zum fünfzigsten Gründungsjubiläum, enthielt Zeitzeugengespräche, behandelte die ersten zehn Jahre der Hochschule und beschäftigte sich mit Fragen der Lehre in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Der dritte Band enthält das Protokoll eines Symposium „Der Künstleranspruch und die Kunstverhältnisse – die Kunsthochschule Weißensee in Zeitzeugengesprächen“, das in drei Gesprächsrunden am 7. und 8. Oktober 1999 stattfand. Es verband, wie schon das Kolloquium von 1996, Geschichtsreflexion mit dem zeitgenössischen hochschulinternen Selbstverständigungsprozess und war Themen wie „Kunst, Politik, Ideologie, Ökonomie im Realsozialismus“, „Die KHB, die künstlerische Lehre und die heutigen Kunstverhältnisse“ sowie „Synthese der Künste – der Disziplinen, Grundlehre und Grundlagen“ gewidmet. Den Hauptteil des Bandes aber bilden 32 Interviews, die Jens Semrau in den Jahren 1998 bis 2001 führte, mit Ausnahme von fünf früheren Gesprächen. Dabei kommen, in der Reihenfolge des Bandes, zu Wort: Arno Mohr, Lieselotte Dankworth, Cay Brockdorff, Heinrich Drake, Heinz Behling, Hans-Helmut Müller, Konrad und Gerlind Knebel, Klaus Weidner, Ludwig Engelhardt, Uwe Alex, Walter Womacka, Lutz Brandt, Bruno Flierl, Peter Flierl, Dietmar Kuntzsch, Peter und Franziska Schwarzbach, Friedrich Panndorf, Gerhard Preuß, Manfred Butzmann, Ulla Seidel, Rosemarie Schreiber, Arno Fischer, Eberhard Bachmann, Max Görner, Erich John, Christa Petriff-Bohne, Dietmar Palloks, Joachim Doese, Martin Seidemann, Stefan Weiß und Mathias Faust, Albrecht Ecke und Ronald Wodzniak sowie Henry Stöcker.
In diesen Interviews, so betont Jens Semrau im Vorwort, ging es „nicht lediglich um Fakten, es ging auch um die Positionen und Personen an dieser Hochschule. Meist war die Gesprächsführung weniger dialogisch und diskursiv angelegt, vielmehr sollten die individuelle Sicht und der persönliche Tenor der Erinnerung sich aussprechen. Das Resultat von streckenweise monologischen Aussagen, deren Duktus und Logik mitunter mehr über die Zeitzeugen als über die Hochschulgeschichte besagen, war in Kauf zu nehmen. Der Text der Erinnerung entspricht nicht einfach dem historischen Kontext.... Sicherlich stand immer eine individuelle Version des Vergangenen im Vordergrund, als persönliches Zeugnis und als Abgrenzung von Anderen. Jedes der Gespräche hat ein eigenwilliges und geschlossenes Szenarium und etwas wie einen eigenen Schwerpunkt. Durch die Summierung verschiedener Sichten soll sich ... ein über mentale Einzelbilder hinausgehendes größeres Bild vom Geschehen in Weißensee herstellen. Eine Objektivierung, Bilanzierung, Deutung der Vergangenheit war weder auszuschließen noch anzustreben, es sollte den Zeitzeugen überlassen bleiben, welchen Ton sie in dieser Hinsicht anschlagen.“ (S. 9) So ist eine einzigartige Sammlung authentischer Aussagen zusammengekommen, die einerseits persönliche Betroffenheiten wie Befangenheiten zum Ausdruck bringen, jeden Einzelnen in den Kontext der DDR - Geschichte stellen, die individuellen, teils positiven teils negativen, historischen Erfahrungen mit den politisch repressiven Strukturen kontrastieren. Andererseits werden die mehrfachen kulturellen Brüche und Perspektivwechsel dieser vierzig Jahre, ihre gesellschaftlichen Kontinuitäten und Diskontinuitäten reflektiert und zur Wende- und Nachwendesituation ins Verhältnis gesetzt.
Durchgängig in allen Interviews, betont Jens Semrau, „ist eine Widerspruchsbeziehung zur Hochschule anzutreffen – beinahe so etwas wie eine unglückliche Liebe. es kann bei einem solchen Unternehmen nicht um eine ‚Geschichte von unten’ gehen, nicht nur jedenfalls um Widerstand, Hierarchien und Machtmechanismen, sondern eher um die gegenständige Reichweite individueller Positionen, Haltungen, Erinnerungen und um die gegenständige Verschränkung der Rollen und Positionen, so sehr sie einander widerstrebten und der gesamtgesellschaftlichen Ausrichtung entgegenstanden. der jeweilige Künstleranspruch existierte unter gesellschaftlichen Verhältnissen, an denen er sich rieb und die er zugleich ausfüllte.“ (S. 10)
Die Berliner Ästhetikerin Karin Hirdina verweist im ersten Nachwort darauf, dass in diesem Band vier verschiedene Arten, die DDR-Geschichte zu erinnern, vorkommen: als Legitimationsgeschichte, als Opfergeschichte, als Erkundungsgeschichte und „die Auflösung von Geschichte in anekdotischen Geschichten“. (S. 411) Diese anekdotischen Geschichten aber liefern ein unzuverlässiges Bild von Geschichte. Sie betont auch, dass vieles als Muster natürlich bekannt ist: „Erinnerung als Selbstverklärung ... und als Selbstentschuldigung... Strategien mentaler Selbstrechtfertigung und nachträglichen Sich-Absetzens von Regime und Doktrin.... Das Problem dabei: Es wurde und wird zu schnell die Frage weggewischt, zu welchen Kompromissen wer um welchen Preis bereit war und wer nicht. Und das ist nun wirklich keine Frage, die nur die Vergangenheit betrifft und auch nicht nur die Situation von Intellektuellen und Künstlern.“ (S. 412) Zugleich bedauert sie, dass in den Gesprächen nicht so recht herauskommt, von einigen Ansätzen abgesehen, warum die Ausbildung an dieser Hochschule etwas Besonderes war.
Der Mannheimer DDR-Historiker Hermann Weber stellt im zweiten Nachwort fest, dass noch zwei Themenbereiche genauer zu hinterfragen seien: einmal die historischen Phasen der Kunstentwicklung in der SBZ/DDR, um die sich verändernden Situationen der Hochschule deutlicher zu machen, zum anderen die Versuche und Ergebnisse der politischen Indoktrination, insbesondere am Beispiel des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums und seiner Lehrkräfte. Zutreffend konstatiert er zusammenfassend: „Das Buch ist lebendig, weil subjektive Auskünfte farbiger sind als Akten, sie beleuchten Hintergründe, die sonst kaum zu erfahren sind. Und die unterschiedlichen, oft gegensätzlichen Erinnerungen der ganz verschiedenen Zeitzeugen bieten dem Leser überraschende Einsichten“ (S. 416), und trotz einzelner offenerer Fragen geben sie „über die künstlerischen Inhalte, die Auseinandersetzungen und die politischen Vorgaben aus unterschiedlicher Sicht von Dozenten und Studenten interessante Einblicke. Viele der beschriebenen Probleme an der ‚Basis’ der KH Weißensee lassen die Kunstpolitik, aber auch die Realität in der SED-Diktatur genauer und differenzierter erkennen.“ (S. 418)
Gerd Dietrich (Berlin)
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