Rezension | Kulturation 2012 | über Elke Ariëns, Helmut König, Manfred Sicking (Hg.):
Glaubensfragen in Europa. Religion und Politik im Konflikt transcript Verlag, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1707-8 | Thomas Heinrichs | Religion und Politik
| Die Säkularisierungsthese, nach der im Zuge der Modernisierung von Gesellschaften zu Demokratien westlichen Typs die Religionen für die Einzelnen und für die Gesellschaft als ganze immer unwichtiger werden und langsam verschwinden, wird heute zunehmend mehr in Frage gestellt. Dies geschieht nicht nur wegen des Aufkommens des Islam, sowohl in den arabischen Staaten wie auch in Europa, sondern auch, weil auch die christliche und andere Religionen in vielen, im obigen Sinne modernen und sich modernisierenden Ländern, zwar einem Wandel unterliegen, nicht aber den prognostizierten generellen Bedeutungsverlust erfahren. Die damit aufgeworfenen politischen Fragen werden in den Aufsätzen dieses Sammelbandes diskutiert – nicht nur, wie es der Titel fälschlicherweise aussagt, mit Bezug auf Europa, auch die USA und die arabischen Staaten werden berücksichtigt.
Detlef Polack prüft in seinem Beitrag »Kirchlichkeit, Religiosität und Spiritualität in Europa«, ob die Kritik an der Säkularisierungsthese in Hinblick auf Europa begründet ist. Säkularisierung ist der Prozess, der mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa dazu führt, dass die Religion ihr Weltdeutungsmonopol verliert. Während es im mittelalterlichen Feudalismus keine Alternativen zur religiösen Weltdeutung gab, weshalb sich z.B. alle sozialen Bewegungen dieser Zeit einschließlich der Reformation, religiös artikulieren mussten, entstehen mit der bürgerlichen Gesellschaft in bewusster Konfrontation gegen das religiös-feudale Weltdeutungsmonopol, zunächst unter Rückgriff auf die antike Philosophie und durch die Entwicklung der Naturwissenschaften, nichtreligiöse Diskurse menschlichen Weltverständnisses. Als Konsequenz dieser Entwicklung kommt es dann zu der schon seit dem Investiturstreit in Europa ansatzweise bestehenden Trennung von Politik und Religion.
Dass diese Säkularisierung ein Ergebnis der Moderne ist und in absehbaren Zeiträumen wohl als unumkehrbar anzusehen ist, wird wohl von niemandem bestritten. Polack und die von ihm referierte Kritik beziehen sich daher auch nicht auf diesen Prozess, sondern meinen mit der Säkularisierungsthese heute, dass dieser Prozess weiterläuft und weitere Prozesse der Modernisierung »einen letztlich negativen Einfluss auf die Stabilität und Vitalität von Religionsgemeinschaften, religiösen Praktiken und Überzeugungen ausüben« (17). Polack zeigt anhand von Daten über Religionszugehörigkeit, Kirchgang und Glaubenseinstellungen, dass diese These zumindest für Europa weiterhin eine hohe Plau-sibilität hat. In allen Ländern Westeuropas – selbst in Irland – hat nach diesen Parametern die religiöse Bindung in den letzten 40 Jahren weiter abgenommen, mit anhaltender Tendenz.
In Osteuropa ist die Situation etwas anders. Zunächst lässt sich in fast allen Ländern – mit Ausnahme Ostdeutschlands – nach dem Zu-sammenbruch der sozialistischen Systeme ein leichter Anstieg religiöser Bindung feststellen. Dies differenziert sich dann jedoch aus. In den Ländern, die einer stärkeren westlichen Modernisierung unterliegen (Polen, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Tschechien), nimmt die religiöse Bindung wieder ab, in den anderen Ländern (Albanien, Rumänien, Bulgarien und Russland) dagegen nicht. Überhaupt lässt sich insgesamt eine gewisse Korrelation zwischen wirtschaftlichem Wohlstand (gemessen am BIP) und religiöser Bindung feststellen.
Nun ist die These, dass die Leute, wenn es ihnen schlecht geht, vermehrt in die Kirche gehen, nichts Neues und hat wenig mit Modernisierung zu tun. Leider führt Pollack keine Gründe für den in Europa immer noch fortlaufenden Prozess der Säkularisierung an. Er zeigt nur, dass die Individualisierung als Grund nicht ausreicht, da die ausgewerteten Daten belegen, dass individualistische Formen von Gläubigkeit (New Age, Astrologie, Spiritismus, Zen-Meditation usw.) tendenziell ebenfalls rückläufig sind, so dass im Gegensatz zu der von den Kritikern der Säkularisierungsthese häufig vertretenen Individualisierungsthese keine Rede davon sein kann, dass eine bloße Verschiebung der Gläubigkeit weg von institutionalisierter Religiosität hin zu privater Gläubigkeit vorliege.
Dietrich Thränhardt beschäftigt sich in seinem Beitrag mit den religionspolitischen Folgen der Einwanderung in Deutschland. Entgegen der spontanen Erwartung fängt er nicht mit dem Islam an, sondern mit dem Zuzug der großen Gruppen katholischer Einwanderer aus den südeuropäischen Ländern, insbesondere Spanien, Italien und dem ehemaligen Jugoslawien, dem heutigen Kroatien. Für diese zahlenmäßig größten Gruppen gründete die katholische Kirche – die durch die Ein-wanderung von ca. 3 Millionen Katholiken an Mitgliedern mit den protestantischen Kirchen gleichziehen konnte – Landes-»Missionen«, die sich auch um die Integration der Migranten gekümmert haben, jedoch nur mit beschränktem Erfolg. Häufig kam es zur Ausbildung von Parallelkirchen. Dabei ist zu beobachten, dass eine hohe religiöse Bindung einhergeht mit einer Distanz zur deutschen Gesellschaft. Damit zeigt sich das gleiche Bild wie bei den Muslimen. Während die Distanziertheit religiöser Muslime als Problem benannt wird, hat jedoch die gesell-schaftliche Distanziertheit religiöser Katholiken bislang jedoch noch niemand als soziales Problem thematisiert.
Die mit 896 Gemeinden größte muslimische Gruppe wird vom türkischen Staat gelenkt, der zur religiösen Betreuung der Muslime türkische Staatsbeamte als Hodschas für 5 – 6 Jahre nach Deutschland entsendet. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer muslimischer Gruppen, die zum Teil auch fundamentalistische Wurzeln haben und auf in der Türkei unterdrückte islamische Strömungen zurückgehen. Thränhardt zeigt auf, dass große Teile der deutsche Politik von einer sachlich nicht begründeten Islamfeindlichkeit geprägt sind. Hierbei ist ein starkes Nord-Süd-Gefälle festzustellen. Im Islam werde regelmäßig das Andere gesehen, welches »Aufklärung und Christentum entgegengesetzt« sei (65). Thränhardt weist zurecht darauf hin, dass die damit behauptete Verbindung von Aufklärung und Christentum angesichts der Geschichte nur als »kurios« bezeichnet werden kann (ebd.). Solche Kuriositäten prägen jedoch leider die politische Debatte. Hierzu zählt auch die von Thränhardt zitierte Bemerkung Angela Merkels von der prägenden Kraft der christlich-jüdischen Tradition in Deutschland über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende hinweg. Kurios erscheint es auch, dass von den Muslimen verlangt wird, sich kirchlich zu organisieren, während doch die christlichen Kirchen zunehmend vom Verfall gezeichnet sind. Auch unter demokratischen Gesichtspunkten kann die als »absolute Monarchie« (56) organisierte katholische Kirche sicher nicht zum Vorbild für die Organisation anderer Religionsgemeinschaft erklärt werden.
Claus Leggewie plädiert in seinem Beitrag für »Integration durch Konflikt« (78). Er zeigt am Beispiel der Problematik von Moscheebauten auf, wie die Diskussion weg vom Alles-oder-nichts, hin zu einem hand-habbaren Mehr-oder-weniger geführt werden muss. Dabei setzt er vor allem auf die formale Regulierung der Konflikte durch die Medien wis-senschaftlicher Dialog, Recht und Politik, Mediation, die öffentlichen Medien und die architektonische-ästhetische Gestaltung der Bauten im öffentlichen Raum.
Die mit dem sogenannten »Kopftuchstreit« angestoßene Debatte um das Tragen von religiösen Symbolen macht es erforderlich, die Begriffe der negativen Religionsfreiheit und der staatlichen Neutralität neu zu bestimmen, denn es kann bei dieser Debatte nicht darum gehen, ob Musliminen im öffentlichen Dienst und im öffentlichen Raum ein Kopftuch oder eine Burka tragen dürfen, sondern nur darum, in welchem Umfang überhaupt religiöse Symbole aller Religionen im öffentlichen Dienst und öffentlichen Raum akzeptiert werden müssen. Kirsten Wiese plädiert in ihrem Beitrag dafür, dass muslimische Lehrerinnen in der Schule ein Kopftuch tragen dürfen und im öffentlichen Raum – im Gegensatz zu den z.B. schon in Frankreich bestehenden Verboten – das Tragen einer Burka grundsätzlich zulässig ist. Gerade bei der ersten Frage, um das Kopftuch in der Schule, wird klar, dass sie die negative Religionsfreiheit und die staatliche Neutralität äußerst gering bewertet und beides fast völlig hinter der positiven Religionsfreiheit zurücktreten lässt. Das ist ein Effekt dessen, dass unter der früher bestehenden Dominanz der christlichen Kirchen die negative Religionsfreiheit schon immer nur gering bewertet wurde und der Staat sich nicht wirklich um Neutralität bemüht hat. Die aufkommenden Debatten um das Kruzifix in der Schule und das Kopftuch von Lehrerinnen zeigt, dass hier ein Problem liegt. Es kann einem nicht religiösen Schüler und seinen Eltern nicht zugemutet werden, in einer staatlichen Erziehungsinstitution von ihren Glauben offen propagierenden Lehrern unterrichtet zu werden. Es verstößt zudem auch gegen die staatliche Neutralität, denn der Staat muss sich davon freihalten, in den Verdacht zu geraten, dass mit seiner Hilfe Religionen verbreitet werden. Der verfassungsrechtlich garantierte Religionsunterricht ist hier eine Ausnahme und muss dies bleiben. Wiese plädiert aus Gründen der Geschlechtergleichberechtigung im Einzelfall für ein Verbot des Tragens eines Kopftuchs. Sie führt zu Recht aus, dass das Kopftuch aufgrund seiner religiösen Begründung Symbol der männlichen Vorrangstellung im Islam ist. Mit dieser Ungleichbewertung der Geschlechter im Islam kann man jedoch ein Verbot des Kopftuchs in der Schule nicht rechtfertigen. Es ist nicht Aufgabe des Staates, mit Ver- und Geboten die Gleichbewertung der Geschlechter in Religionen durchzusetzen. Dann müsste er z.B. auch die katholische Kirche dazu zwingen, Frauen zur Priesterweihe zuzulassen. Man kann daher ein Verbot des Kopftuchs bei Lehrerinnen nicht damit begründen, dass es ein Symbol einer Ungleichbewertung von Mann und Frau ist, sondern nur damit, dass es ein Symbol einer Religion ist, in der Männer und Frauen ungleich bewertet werden, und dass es damit, getragen von einer Lehrerin in der Schule, sowohl gegen die negative Religionsfreiheit als auch gegen die Pflicht des Staates zur Neutralität verstößt.
Gudrun Krämer beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Säkularisierungsprozessen im Islam. Zunächst weist sie zurecht darauf hin, dass es den Islam ebensowenig gibt wie das Christentum. In den derzeitigen Debatten werden jedoch zumeist nur die Positionen eines radikalen Islamismus diskutiert, insbesondere der politische Geltungsanspruch der Sharia. Danach ist der Islam ein allumfassendes Gefüge von Normen und Werten – Sharia –, an der sich sowohl die individuelle Lebensführung wie auch die gesellschaftliche Ordnung zu orientieren hat. Eine solche Auffassung – das muss man hier ergänzen – ist für fast alle Religionen typisch und keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal des Islam. Die bürgerliche Aufklärung kämpft über Jahrhunderte gegen den politischen Anspruch der christliche Religionen. In Deutschland gelingt es letztlich erst im Kulturkampf Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, die katholische Kirche durch massive Repressionen dazu zu zwingen, ihren politischen Gestaltungsanspruch aufzugeben und sich in die säkulare Gesellschaft zu integrieren.
Es ist für eine Religion kein kleiner Schritt, ihren universalen, auf die göttliche Autorität gestützten Geltungsanspruch aufzugeben. Dieser Schritt ist jedoch zwingend erforderlich, damit Demokratie möglich wird. Der Islamismus zieht heute seine Kraft daraus, dass er eine anti-neokoloniale Befreiungsbewegung ist und somit das Projekt der gescheiterten Baath-Parteien in der arabischen Welt fortsetzt. Krämer zeigt, dass der Islam prinzipiell genauso einer Säkularisierung zugänglich ist wie das Christentum. Im historischen Rückblick erweist sich die Verknüpfung von Islam und Politik im Mittelalter als nicht enger als die Verknüpfung von Christentum und Politik. Auch im Hinblick auf Lehre und Organisationsform des Islam steht einer Säkularisierung nichts entgegen. Auch heute kann die Forderung, die Sharia im Staat zur Leitschnur allen individuellen und politischen Handelns zu machen, nur als utopisch bezeichnet werden. Selbst im Iran und in Saudi-Arabien ist ein solcher Zustand nicht gegeben. Noch am häufigsten wird das Familienrecht von islamischen Vorschriften bestimmt. Unproblematisch leben Muslime in vielen säkularen Gesellschaften. Der Islamismus ist wie jeder religiöse Fundamentalismus ein politisches Problem und muss politisch gelöst werden.
Keinen Beitrag zur Lösung dieses Problem stellt der Beitrag von Wolfgang Günter Lerch da. Lerch beschreibt den Islamismus als ein Projekt gegen »die Moderne«, wobei er unter der Moderne eine auf Säkularisierung, Technisierung und rationalem Diskurs beruhende pluralistisch-liberale Bürgergesellschaft versteht, welche nach seiner Auffassung offensichtlich das Ende der Geschichte darstellt. Das mag auf den ersten Blick so erscheinen, geht aber am Kern der Sache vorbei. Nicht »die Moderne«, sondern die Unterdrückung und Ausbeutung durch den westlichen Kapitalismus ist der Gegner der Islamisten. Dass eine von außen immer wieder mit militärischer Gewalt aufgezwungene und mit ökonomischer Ausbeutung einhergehende Veränderung der eigenen Kultur negativ empfunden wird, ist gut nachvollziehbar, dass man dem-gegenüber nach etwas Eigenem sucht, ebenfalls. Nachdem das Projekt eines nationalen arabischen Sozialismus, welches die Baath-Parteien verfolgten, ökonomisch, sozial und politisch gescheitert ist, findet man derzeit das Eigene in der islamischen Religion. Diese bietet gegenüber dem als christlich empfundenen Westen ein klares Abgren-zungskriterium. Einen Zwang zur Anpassung an die Kultur des Westens, wie ihn Lerch postuliert, kann es nicht geben. Selbstverständlich steht es jeder Kultur zu, ihre eigene Lebensweise zu bestimmen. Dass mit dem Islamismus dabei wiederum ein autoritäres und die Individuen unterdrückendes System propagiert wird, ist sehr bedauerlich, dürfte aber nicht von Dauer sein, da mit der Einführung der Sharia die Probleme der arabischen Staaten nicht gelöst werden können.
Rainer Prätorius beschreibt die aktuellen Entwicklungen im Verhältnis von Religion und Politik in den USA. Dort ist von Anfang an nicht der europäische Weg, die gesellschaftliche »Integration einer Religion über staatliche Institutionen zu leiten« (164), gewählt worden, sondern eine Privatisierung des Glaubens betrieben worden, der andererseits ein Einrücken »säkularer, staatlicher Organisationen in viele soziale Funktionen, die früher einmal von religiöser Betätigung beeinflusst waren« (165), korrespondiert. Dieses Modell steht derzeit in Frage. Die stärker werdende christlich-fundamentalistische Bewegung in den USA drängt wieder auf religiösen Einfluss in der Politik.
Julien Winandy untersucht die Debatten um die Frage, ob religiöse Argumente im Bereich des Politischen zulässig sind. Hintergrund dieser vor allem in den USA geführten Debatte ist die Problematik, dass eine Prägung der Politik durch eine bestimme Religion Politik und Staat in den Augen der Zugehörigen anderer Religionen delegitimieren kann. Vor diesem Hintergrund, auf den Winandy nur unzureichend reflektiert, ist die u.a. von Robert Audi vertretene Position, im Politischen nur säkulare Argumente zuzulassen, gut verständlich. Das Thema gewinnt durch den Islam auch in Deutschland an Bedeutung. Winandy abstrahiert die Argumentation von diesem Kontext. Dadurch kann er zeigen, dass die Frage, welche Form politischer Argumente man in einer demokratischen Gesellschaft zulassen kann, nicht alleine danach entschieden werden kann, ob diese religiöser oder säkularer Art sind. Das Problematische an religiösen Argumenten ist ihre dogmatische Setzung. Göttliche Gebote stehen nicht in der Verfügungsbefugnis der Menschen. Hierauf gestützte politischen Positionen können in einer demokratischen Gesellschaft daher nicht akzeptiert werden. Dies betrifft aber nicht nur die Religionen, es gilt selbstverständlich für alle analogen Argumente, wie z.B. auch Rassismen. Ebenso selbstverständlich ist, dass religiöse Menschen ihre sozialen Positionen auch in der Politik vertreten können, solange sie sie nicht mit göttlicher Autorität begründen, sondern in ihrer Argumentation die in der Demokratie vorausgesetzte grundsätzliche menschliche Verfügbarkeit jeder politischen Position akzeptieren.
Der Band endet mit einem Beitrag von Burkhard Biellas, in dem dieser Schleiermachers Erziehungslehre auf die heutige Zeit anwenden will. Ausgangspunkt Biellas ist zum einen das zunehmend artikulierte, unbefriedigte demokratische Partizipationsbedürfnis bestimmter Gruppen auf der einen Seite und die zunehmende politische Enthaltung anderer sozialer Gruppen auf der anderen Seite. Biella sieht hier ein Defizit an Erziehung und kritischer Öffentlichkeit. Wieso Biella auf seiner Suche nach Lösungen dieser Probleme auf Schleiermacher zurückgreift, dessen idealistische Idee des Guten er in den Grundrechten des Grundgesetzes wiedergefunden zu haben meint, wird deutlich, wenn er eine Umfrage referiert, nach der bei Menschen mit religiöser Bindung ein hohes soziales Verantwortungsgefühl beinah doppelt so häufig anzutreffen ist wie bei Menschen ohne eine solche Bindung (208). Diese Zahlen dürften durchaus zutreffend sein, da der säkulare Staat bislang die moralisch-ethische Erziehung immer noch an die Kirchen delegiert hatte und sich wenig Gedanken darüber gemacht hat, was passiert, wenn bei abnehmender religiöser Bindung die Sozialisation der Bürger in die Gesellschaft hinein nur noch über die im wesentlichen kommerziellen Praxen einer segmentierten spätkapitalistischen Gesellschaft abläuft. Hier eröffnet sich ein großes Aufgabengebiet für humanistische Organisationen, das es zu besetzen gilt. Was Schleichermacher dazu beitragen könnte, hat sich dem Rezensenten nicht erschlossen.
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