Rezension | Kulturation 1/2003 | über Frank-Burkhard Habel: Das grosse Lexikon der DEFA-Spielfilme. Die vollständige Dokumentation der DEFA-Spielfilme von 1946 bis 1993 | Lutz Haucke | DEFA-Spielfilme im Lexikon
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Frank-Burkhard Habel: Das grosse Lexikon der DEFA-Spielfilme. Die vollständige Dokumentation der DEFA-Spielfilme von 1946 bis 1993. Mit Inhaltsangaben von Renate Biehl. Berlin (Schwarzkopf & Schwarzkopf) 2000, 757 S., 25,90 Euro.
Bereits vor einigen Jahren veröffentlichten Manfred Behn und Hans-Michael Bock die Sammlung Film und Gesellschaft in der DDR (Cinegraph Hamburg 1988/89), in der 150 DEFA-Filme lexikalisch erfasst wurden. Diesem Aufbau - filmografische Infos, Inhaltsangabe, Interviews, Filmkritiken - ähnelt Habels Lexikon, das seinerseits viel umfangreicher ist, allerdings keine Interviews enthält. Habel stellt nahezu 800 DEFA-Spielfilme von 1946 bis 1993 (wobei die Produktionen von 1993 meist Co-Produktionen mit westdeutschen TV-Anstalten sind) vor. Die Inhaltsangaben im Lexikon wurden von der Filmpublizistin Renate Biehl erarbeitet. Sie hatte mitgearbeitet an der filmografischen Übersicht zu 700 DEFA-Spielfilmen, die 1994 mit dem Standardwerk zur DEFA-Spielfilmgeschichte Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-92 (Redaktion Ralf Schenk, Henschelverlag) veröffentlicht wurde.
Dieses Lexikon will einem breiten Leserkreis Daten und Informationen über einen Filmfundus vermitteln, der von einem staatlichen Studiounternehmen und langjährig unter Kontrolle der Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur der DDR produziert wurde. Dieser Filmfundus zeugt auch von Politik- und Mentalitätsgeschichte in der DDR (vgl. hierzu Peter Glaß: Kino ist mehr als Film. Die Jahre 1976-1990, 1999 AG Verlag Berlin. Studien zur Geschichte der DDR). Innerhalb der Rubrik Echo werden Wertungen deutscher Filmkritiker aus Ost und West in Kurzzitaten gebracht (z.B. Ulrich Gregor und Heinz Kersten aus dem Westen und aus dem Osten Günter Agde, Peter Ahrens [d.i. Klaus Wischnewski], Fred Gehler, Michael Hanisch, Peter Hoff, Renate Holland-Moritz, Christiane Mückenberger, Rosemarie Rehahn, Erika Richter, Ralf Schenk, Günter Sobe und Hans-Dieter Tok). Die Wertungen zeitgenössischer Filmkritiker aus der DDR sind allerdings reduziert auf das Zitieren weniger Sätze, so dass manches Urteil zur vereinfachenden Schlagzeile gerät, aber der Leser kann die Quellenangabe weiter verfolgen. Es sind auch Fehlurteile ausgewiesen, so die demagogische Gleichstellung von Maetzigs Film Ernst Thälmann(//) mit Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin in einer Kritik von Karl Eduard von Schnitzler. Die Rubrik Echo stellt auch widersprüchliche Kritiken aus Ost und West nebeneinander z.B. aufschlussreich zu den Filmen Der Untertan von Wolfgang Staudte, 1951, und Sie nannten ihn Amigo von Heiner Carow, 1959.
Die einzelnen Filme haben ihre politischen und kulturellen Kontexte. Dazu geben oftmals die Rubriken Zum Film und Nebenbei Aufschluss. Schnittpunkte der DEFA-Spielfilmgeschichte sind hieraus zu entnehmen. So die Kunstkonferenz von 1952, auf der Dudows Frauenschicksale verdammt wurde, die Kritik Abuschs an den Berlin-Filmen auf der Kulturkonferenz von 1958 und die Auswirkungen des 11. Plenums der SED von 1965 auf DEFA-Spielfilme. Beispielsweise wird die irrige und vernichtende Beurteilung eines Zensors der Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur zu Jürgen Böttchers Jahrgang 45 zitiert. Dramaturgische Modellbildungen, Kamerastilistiken oder szenographische Linien kann der Leser aus den filmographischen Angaben und einigen Hinweisen in den Texten entnehmen. Habel hat es verstanden , in den Rubriken Inhalt, Zum Film, Echo auf europäische stilistische Einflüsse hinzuweisen ( z.B. die Rezeption des italienischen Neorealismus in Peter Pewas’ Straßenbekanntschaften,1948, in den Berlin-Filmen von Gerhard Klein und bei Wolfgang Kohlhaase; Anklänge an das cinéma verité ; Einflüsse von Michelangelo Antonioni, Federico Fellini , Andrej Tarkowskij). Durch solche Kriterien wird er einigen Filmen der DEFA gerechter als Kritiken, die vernichtend anmuten (vgl. die differenzierte Wertung von Milo Harbichs Freies Land, 1946, bei Habel S.183, mit W. Gerschs Urteil in: Wolfgang Jacobson, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler Geschichte des deutschen Films, Stuttgart/Weimar 1993, S.326).
Es ist vor allem die Vollständigkeit, die den eigentlichen Nutzen des Lexikons ausmacht. Von 1946 bis zu Herwig Kippings Film Novalis (1993) werden alle DEFA-Spielfilme, auch die abgebrochenen und verbotenen (vgl. auch das Projekt von Christa Wolf Fräulein Schmetterling von 1965/66), die in einem Anhang ausgewiesen werden , vorgestellt. Außerdem Kurz- und Mittelmetrageproduktionen des Spielfilmstudios - meist Kinderfilme- und DFF-Auftragsproduktionen. Fernsehproduktionen, die nicht im Kino liefen, wurden nicht berücksichtigt. Andererseits wurde der nur im Fernsehen der DDR aufgeführte DEFA-Kinospielfilm von Herrmann Zschoche Feuer unter Deck erwähnt (1976 produziert, mit Manfred Krug und aufgeführt 1979). So ist von Dramen- und Epikverfilmungen, den verschiedenen Genreversuchen (Lustspiele, Komödien, Operetten-, Kriminal-, Indianerfilme bis zum sogenannten Gegenwarts- und auch Kinderfilm), vom ersten Farbfilm bis zu den Co-Produktionen nahezu alles zu finden, was die DEFA je produziert hat. Unter Co-Produktionen findet man auch ausländische Filme, an denen die DEFA mitgearbeitet hat (z.B.: Assja von Jossif Cheifiz, Lenfilm 1978; Befreiung von Juri Oserow, Mosfilm 1971/72; Amboss oder Hammer sein von Christo Christow, eine Co-Produktion DDR, Bulgarien, UdSSR, 1972).
So sind Lesarten zu verschiedenen Zeitabschnitten der DEFA-Geschichte ebenso möglich wie die Erkenntnis, dass viele unbekannte Filme einer kleinen Zahl bekannter DEFA-Filme gegenüberstehen.
Dieses Lexikon, das breite Leserkreise anspricht, konnte aufbauen auf den vorrangig von ehemaligen DDR-Filmkritikern und -Filmwissenschaftlern in den 90er Jahren erarbeiteten gültigen Standards zur DEFA-Spielfilmgeschichte. Eine vom Umfange vergleichbare systematische Aufarbeitung der Filmgeschichte in den westlichen Besatzungszonen 1945-49 und in der BRD bis 1992 ist bisher nicht erschienen (einen Kompromiss stellt die von Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes und Helmut Prinzler herausgegebene Geschichte des deutschen Films, Stuttgart/Weimar 1993 vor). Auch ein vergleichbares Lexikon steht bislang aus. |
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