Rezension | Kulturation 2/2004 | über Simone Barck und Stefanie Wahl: Ausstellung "50 Jahre Kulturpalast Bitterfeld" | Günter Agde | Greif zur Feder, Kumpel!
Und zur Kamera.
| Dass ein Gebäude seinen 50. Geburtstag begeht, ist heutzutage nichts Ungewöhnliches. Dass dieser Anlass eine kleine, edle Ausstellung von bemerkenswerter kulturhistorischer Dimension hervorbrachte, ist eher selten.
Der Kulturpalast Bitterfeld war 1954 eingeweiht worden und wurde dieses Wochenende – von einem privaten Betreiber mit einem »Feuerwerk der Schlagermusik« – wiedereröffnet. Die kulturhistorische Ausstellung »Kultur Palast Bitterfeld«, die exakt zum 50. Jahrestag der historischen Palast-Einweihung im Bitterfelder Rathaus eröffnet wurde, will die Geschichte des Bauwerks, seiner Bedeutung und seiner Funktion gerecht und öffentlichkeitswirksam darstellen (Kuratorin Stefanie Wahl, wissenschaftliche Mitarbeit: Simone Barck).
In dem nüchtern-neoklassizistischen Gebäude waren Funktions- und Zirkelräume um einen 1000-Plätze-Theatersaal mit seinerzeit moderner Bühne und Bühnentechnik herumgebaut worden. Der säulenbestückte Eingang, direkt dem Werktor gegenüber, bot stadtarchitektonisch eine permanente Einladung an: die Arbeiter des Betriebes sollten hier am kulturellen Leben teilnehmen und es selbst gestalten. Dem ersten nennenswerten Kulturhaus-Neubau in der jungen DDR folgten weitere, alle dem Bitterfelder Modell und seiner Funktion nachempfunden. Der Bitterfelder Bau hatte schnell seine Praktikabilität bewiesen: funktionale Heimstatt für Kulturarbeit aller Art als sinnliche und sinnvolle Ergänzung der Werksarbeit. Der reiche Trägerbetrieb, das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld (EKB), finanzierte großzügig und krisenfest das äußerst lebendige Innenleben über Jahrzehnte hinweg (das übrigens in guter Korrespondenz mit einer leistungsstarken Allgemein-Bibliothek auf dem Betriebsgelände stand). Das Haus war stets auch gern besuchter Ort von Gastspielen überregionaler Theater und Ensembles (nur ein Zirkus gastierte hier nicht, obwohl die Bühnen-Hinterbauten eigene Käfige für Dressurtiere bereithielten).
Der Palast war Werkstatt und Produktionsort künstlerischen Volksschaffens. Hier arbeiteten Laienkunst-Zirkel: vor allem für Malerei und Grafik, Literatur, Fotografie und Amateurfilm. Arbeiter des EKB und ihre Familien und Freunde haben hier ihre ersten Erfahrungen mit der Kunst gemacht.
Diese Qualitäten veranlassten die DDR-Oberen, hier die beiden Konferenzen (1959 und 1964) zu veranstalten, die den sog. Bitterfelder Weg begründeten. Oft belächelt und mit Häme bedacht, brachte dieser Weg jedoch viele DDR-Schriftsteller weg von Schreibtischen und Parolen hin zum »wirklichen« Leben und zu Leuten vor Ort: Christa Wolf in den Waggonbau Ammendorf, Franz Fühmann in die Kupferschächte im Mansfeldischen, Werner Bräunig in die Wismut, Brigitte Reimann nach Hoyerswerda und viele andere noch, die in diesem produktiv-unruhigen kulturellen Flussbett wichtige Impulse für ihre Kunst erhalten haben. Der tatsächliche Wirklichkeitsgewinn infolge dieses Wegs schlug sich rasch in ihren Werken nieder und bildete dann auch ein Motiv für die Prügel des 11. Plenums 1965: Derartigen Realitätszuwachs hatten die Oberen nun auch nicht gewollt ...
Die Ausstellung belegt die reichen Facetten dieser Entwicklung mit Büchern, Fotos und Faksimiles von Briefen, darunter von Werner Bräunig (der daran zerbrach) und Franz Fühmann, der sich bis zu seinem Tode im Wortsinne damit abquälte. Naiv und unendlich rührend der letzte Satz aus dem Vertrag zwischen Fühmann und seiner Mansfelder Patenbrigade: »Wir können und wollen beide voneinander lernen und einander helfen«. Das wollten beide wirklich und scheiterten. Bräunig hatte die Losung »Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische Nationalliteratur braucht Dich!« erfunden, die fortan der Slogan für die ganze Richtung blieb. Abgewandelt zu »Greif zur Kamera!« mobilisierte sie das Amateurfilmschaffen der DDR. Viele DDR-Betriebe unterhielten Amateurfilmstudios und finanzierten deren (teure) Filmarbeit. Im Bitterfelder Kulturpalast lag das stille Zentrum: Der dortige Filmtrupp produzierte nicht nur beachtenswerte Filme (über Alltag und Leben der Chemiearbeiter und ihrer Region), sondern organisierte auch republikweite Wettbewerbe, die Austausch, gegenseitige Information und wechselseitigen Ansporn darstellten. Die Filme dieser Studios bemühten sich um künstlerisch anspruchsvolle Gestaltung, konnten jedoch selten ihren Amateurstatus wirklich abstreifen. Als authentische Zeugnisse bewahren sie freilich eine besondere plebejische Sicht auf Arbeits- und Arbeiteralltag, die so kaum sonstwo zu beobachten ist. Die Bewegung »Greif zur Kamera!« fand im DDR-Fernsehen lange Jahre eine massenmediale Multiplikation (moderiert von erstklassigen Filmfachleuten: Kameramann Werner Bergmann, Dokumentarist Karl Gass). Dahinter mussten die Buchveröffentlichungen der Schreibenden Arbeiter ebenso zurückbleiben wie die Ausstellungen von Malerei und Grafik der Laienzirkel. Die Sendereihe wurde später aus den gleichen Gründen eingestellt, wie die Schriftsteller auf dem 11. Plenum gemaßregelt wurden: zu viel Lebenswirklichkeit, zu wenig Propaganda-Erwartung der Führung.
Da die Bitterfelder Ausstellung literatur-zentriert angelegt ist, bleiben die Filmarbeiten im Abseits: postkartengroße, episodische Einspielungen in einer hinteren Ecke sind kaum zu akzeptieren. Auch die bildnerischen Arbeiten der Bitterfelder Zirkel sind unterrepräsentiert: kurz vor der Eröffnung wurde bekannt, dass die Bilder aus Finanzierungsgründen in Halleschen Depots eingelagert werden mussten. Nur wenige bildeten im Bitterfelder Rathaussaal kaum mehr als eine attraktive Kulisse für die freundliche Eröffnungszeremonie. Auch die multiplizierende Wirkung der Zirkelarbeit ist ausstellungstechnisch schwer zu bewältigen.
Die Eröffnung bot zwei Gedankengänge an, den Palast und seine mehrschichtige erhebliche Bedeutung zusammenzubinden und in einen nötigen größeren, kulturhistorischen und -politischen Zusammenhang einzufädeln. Die Volkserhebung des 17. Juni 1953, in der die Stadt Bitterfeld und der Kulturpalast-Trägerbetrieb ein Zentrum gewesen waren, lag nur fünf Vierteljahre zurück. (Im Bitterfelder Stadtmuseum endet die Geschichte der Region mit dem Jahr 1945!) Und die über hundertjährigen Bemühungen, den Bildungs- und Aufklärungsambitionen der Arbeiterbewegung würdige Orte der Feier und des Festspiels hinzuzufügen, fanden mit dem Bitterfelder Palast einen diskutablen Vorschlag, der allemal Erinnerung und kritisches Hinterfragen lohnt.
Wünschenswert wäre, wenn die heutigen Besucher des Palastes – zu welchem Event auch immer – die Ausstellung am »Tatort« ansehen könnten. Sie müssen die Ausstellung und die vermittelten Zusammenhänge ja nicht gut finden, aber kennen sollten sie sie auf jeden Fall. Es gibt in Deutschland nicht eben viele Orte, an denen so wichtige Stränge kulturhistorischer Tradition mit der wechselvollen Geschichte einer Region zusammenfließen.
Günter Agde hat diese Ausstellungskritik am 18. Oktober 2004 in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ veröffentlicht und sie für die Diskussion am 8. Dezember (siehe unsere Rubrik „Veranstaltungshinweise“) zur Verfügung gestellt.
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