KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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TextKulturation 2018
Dieter Kramer
Ökologie und Philosophie:
Linke philosophische Teleologie und kontingente Kulturgeschichte
Eine Zwischen- oder Einrede, anknüpfend an: Seibert, Thomas: Zur Ökologie der Existenz. Freiheit, Gleichheit, Umwelt. Hamburg: LAIKA Verlag 2017 (LAIKAtheorie) 465 S. Quellen, zwei Register. ISBN 978-3-944233-75-8.

1. Sozialökologische Transformation und linke Politik
2. Die multiplen Krisen und das Programm der Freiheit
3. Unterschiedliche Lese-Biographien und Sozialisationsbedingungen
4. Teleologie und Kontingenz
5. Geschichtszeichen und Höhepunkte
6. Die Absorption des Mai 1968
7. Kapitalismus als Fortschritt zur Freiheit?
8. Die Abwertung der Geschichte durch die Teleologie
9. Imperiale Lebensweise
10. Kultur und sozialregulative Standards
11. Begehren, Begierde, Care-Arbeit und Lebensqualität
12. Molekulare und mikropolitische Aspekte
13. Anarchie und Radikalität
14. Religion
15. Das Unvollendete Projekt der Moderne
16. Plattformen der Reformation

Motto
„Strategisch aber können soziale und Demokratiefragen gleich welcher Art und Dimension nur noch beantwortet werden, wenn sie als Fragen des Übergangs in eine globale Postwachstumsgesellschaft gestellt werden. Alles andere ist ‚Klassenpolitik‘ im elendsten Sinne des Wortes, d.h. in einem Sinn, der bourgeoise und proletarische Positionen nicht einmal mehr durch einen Millimeterspalt trennt.“ (Seibert S. 405)

1. Sozialökologische Transformation und linke Politik
Die „Transformationsdebatte“, bezogen auf die sozialökologische Umgestaltung der Gesellschaft (bei der ökologische Probleme nicht ohne Bezug zu den sozialen gelöst werden sollen, und umgekehrt) schält sich als „einer der wichtigsten Orte politischen Philosophierens“ heraus (S. 37/38 und; S. 266/267; wenn nichts anderes angegeben, geht es um die Seitenzahlen des oben genannten Buches von Thomas Seibert; ).
Thomas Seibert, Vorstandssprecher der Solidarischen Moderne und im Wissenschaftlichen Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat dem Thema ein Buch gewidmet, das eine Interpretation der anstehenden Aufgaben darstellt. Es ist eine eher schwierig zu verarbeitende Interpretation der Situation der Welt und der Linken aus einer philosophischen Sicht, die geprägt ist von Hegel, Marx Heidegger und der jüngeren französischen (Sozial-)Philosophie.
Wer erwartet, alltagstaugliche politische Handlungsperspektiven zu finden, wird enttäuscht. Es ist das Buch eines Philosophen, der nur am Schluss allgemeine, treffsicher formulierte Aufgaben stellt (wie das zitierte Motto).
In drei Teile gliedert Seibert seinen Text: Zunächst geht es um die „Klärung der Sprech- und Schreibposition“ und die Grundbegriffe Praxis, Existenz und Dialektik, zweitens um die programmatische Gleichzeitigkeit von sozialer und ästhetisch-kultureller Innovation in dem hervorgehobenen französischen „Mai 68“ (S. 35) und um seine Folgen: „Einführung in das Erbe des 20. Jahrhundert“ (S. 145), einbezogen die verschiedenen Strömungen des „unvollendeten Projekts der Moderne“ bei der Linken (S. 297). Drittens geht es um die „Kritik der Freiheit“ (S. 317) mit den verschiedenen Projekten, Möglichkeiten und Künsten der Freiheit: Anarchismus, Sozialismus, Kommunismus (S. 351).

2. Die multiplen Krisen und das Programm der Freiheit
Die Gegenwart ist gekennzeichnet durch die „multiple Krise“: Es ist für Seibert
- die Krise des Städtischen (alle strömen in die Städte, aber deren angemessene Form ist noch nicht gefunden),
- die Hungerkrise (gekoppelt mit der imperialen Lebensweise der aufwändigen Konsummuster der Wachstumsgesellschaften),
- die der Ökologie (mit Klimawandel, Extraktivismus und Ressourcenengpässen), und es ist
- die Krise des Patriarchats, verbunden mit der Neuordnung der Geschlechterverhältnisse und den aktuellen Kriegen (S. 13).
Viele der heutigen Themen sind für Seibert nur „Platzhalter“ für anderes „Sich-Ereignen“, angesichts der „Wahrheit, dass wir trotz allem noch immer in der ‚Permanenzerklärung der Revolution‘ (Marx) stehen“ (S. 26 und Cover). So erscheint vieles spekulativ, nur erklärbar als Versuch der „Besetzung der Begriffe“, die dann vielleicht dynamisch definiert und relativiert werden können. Denn die Krise ist die Weltgeschichte selbst, die für Hegel „nach ihrem inneren Richtungssinn als eine Folge von Fortschritten im Bewusstsein der Freiheit verstanden werden muss.“ (S. 14)
Mit einer solchen Teleologie im Kopf kann man nicht auf die empirische „Geschichte der Welt“ (s. meine Rezension in Kulturation) blicken, denn sie hat keinen erkennbaren „inneren Richtungssinn“. Der kann ihr nur von Interpreten als Programm aufgedrückt werden. Seibert setzt diesen „Richtungssinn“, und der ist nur dadurch relativiert, dass auf dem Gipfel der Krise die freie Entscheidung und damit auch das Scheitern möglich ist. So gesehen, erscheint dieser Ansatz für mich vorrangig als ein reizvolles Denkexperiment. Im Durchspielen dieses Denkansatzes kommt es zu interessanten Einsichten und Lernprozessen, mit denen für mich die Schwierigkeiten der Lektüre gerechtfertigt werden.

3. Unterschiedliche Lese-Biographien und Sozialisationsbedingungen
Seibert bekennt sich dazu, von der eigenen Biografie geprägt zu sein (S. 31 f.). Damit bleibt der Text zwar prinzipiell offen auch für ganz anderer Lese- und Arbeitsbiografien, gibt ihnen aber nirgendwo Raum: Die subjektive, mit Hilfe der Philosophie und ihrer Begrifflichkeiten objektivierend abgesicherte Perspektive ist kaum anschlussfähig an andere Theorie- und Erfahrungswelten. Immerhin, einen „ironischen Vorbehalt“ (S. 25) gibt es, und alles steht unter dem Zeichen von Zweifel und Verzweiflung (S. 30).
Wie unterschiedlich Lese-Biographien und prägende intellektuelle Einflüsse wirken können, auch wenn es um ähnliche politische Milieus geht, wird für mich an diesem Buch von Seibert erkennbar, noch stärker bei dem des trotzkistischen Autors Didier Eribon (Rückkehr nach Reims, 2016). Möglicherweise kann jeder nur eine begrenzte Menge von „prägenden Ideen“ sich aneignen und im späteren Leben weiterentwickeln. In meiner Adoleszenzphase war ich von Ernst Bloch begeistert. Ich konnte nicht begreifen, dass manche meiner Genossen im Sozialistischen Deutschen Studentenbund der frühen 1960er Jahre ihm kritisch gegenüberstanden. Aber das hat mich wenig später nicht davon abgehalten, mich mit Kulturanthropologie (Mühlmann 1966 u.v.a.) zu beschäftigen. Ich habe während des Studiums und danach mit dieser Kulturanthropologie dann sowohl meine Politologie wie meine Volkskunde (Europäische Ethnologie) imprägniert und in ihrem Kulturrelativismus eine erste Ahnung davon zu bekommen, dass bei allen Versuchen, den „neuen Menschen“ zu erziehen, immer der „Alte Adam“ noch bleiben wird.
Das erleichterte es dann auch 1989/1990, den „Trümmerhaufen als Aussichtsturm“ zu benutzen. So lautete der Titel einer Publikation unseres Marburger Verlages der Abendroth-Schüler, gedacht zum 50. Geburtstag von Frank Deppe. Für Seibert geht es um Philosophie, nicht um Sozial- oder Kulturgeschichte. Als Kulturwissenschaftler und Europäischer Ethnologe waren für mich eigene Denkwege wichtig.
Bei Seibert gibt es „Wahrheiten“, die den Weg durch die Krisen „erhellen“ können. Allzu oft ist davon die Rede, das als letzte Gewissheit „alles entscheidend“ ist (u.a. S. 371, 407. 412, 424): Das kenne ich sonst nur aus dem dogmatischen Katholizismus. Diese Ausdrucksweise von Seibert mag damit zusammenhängen, dass er ein von Hegel geprägter Philosoph ist. Vielleicht könnte der lebensphilosophisch sensibilisierte Georg Lukács von „Geschichte und Klassenbewusstsein“ eine Brücke sein zwischen hegelianischem Dogmatismus und der Anthropologie, betont er doch (wie die Kulturanthropologen und wie mein Lehrer Wolfgang Abendroth) den Zusammenhang von Leben und Denken, Sein und Bewusstsein. Es ist jener Zusammenhang, der bei Didier Eribon mechanistisch als „gesellschaftliche Schicksalshaftigkeit“ (Eribon 2016 S. 107) interpretiert wird und aus dem Wilhelm Reich herauszufinden helfen will (der ist bei Seibert laut lückenhaftem Register nur einmal S. 101 erscheint, real aber später doch ein weiteres Mal prominent).
Für das Alltagsleben waren mir früher manche der dem Marxismus oder Hegel entlehnten philosophischen Begriffe nicht hilfreich. Seit meiner Werkstudentenzeit bei der Adam Opel AG in Rüsselsheim Anfang der 1960er Jahre war mir klar, dass ich mit dem Begriff der „Entfremdung“, den ich gerade aus der Lektüre der Marxismus-Interpretation von Iring Fetscher (Hessische Landeszentale für politische Bildung) übernommen hatte, bei meinen zeitweiligen Opel-Kollegen nichts anfangen kann. Sie fühlten sich im Teile-Bau als souveräne Herren über ihre Maschinen und bezogen daraus mit Recht Selbstbewusstsein. Anders als Eribon flüchtete ich mich nicht in eine Mystifikation der Idee der Arbeiterklasse mit Hilfe der Theoretiker, sondern beließ diesen nicht richtig bewältigten Widerspruch in seiner Spannung. Alles nur „falsches Bewusstsein“? Ein Kulturanthropologe oder Ethnologe kann mit dieser Kategorie nicht viel anfangen.

4. Teleologie und Kontingenz
Über Verlauf und, eventuell sogar Ziel, von Geschichte lässt sich trefflich nachdenken. Herder hat es dem Planen Gottes überlassen. Bei Seibert lese ich: „Geschichte ist nicht das chaotische, weil offensichtlich kontingente, also grund- und ziellose Ganze aller Werden, sondern der Politisierungsprozess, der sich in diesem Chaos zu einer freien Entwicklung auf ein Ende hin fügt, das als solches ein telos der Freiheit sein muss“ (S. 312 – mit offenem Ausgang?).
Dieses (hegelianische) Gedankenexperiment ist mit der Gewichtung der Freiheit eine deutlich eurozentrische (kosmopolitische) Perspektive. Das Individuum mit seiner Freiheit steht im Zentrum, und diese Freiheit steht unter dem Zeichen einer Avantgarde und ihrer „Revolte, die sich letztlich gegen jede Vergesellschaftung richtet, auch gegen die einer Gesellschaft der Gleichheit und Gerechtigkeit“ (S. 22). Gesellschaft wird so verstanden als „freiwillige Knechtschaft“ (S. 16, S. 375), und Freiheit ist immer vorzuziehen (S. 322). Interessanterweise ist nur die Ekstase (S. 355) als Möglichkeit des temporären Ausstiegs denkbar, und das ist mit der Religion verwandt, entspricht aber auch den Lebenspraxen von vormarktwirtschaftlichen Gemeinschaften, die Suffizienz praktizieren (s. unten).
Schon bei der Vorbereitung der UN-Menschenrechtskonvention wurde von den amerikanischen Anthropologen kritisiert, dass diese aus europäisch-nordamerikanischer Perspektive formuliert sei (Erklärung …1947; Kramer 1994). Seibert (der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die drei Generationen der Menschenrechte erwähnt, S. 417) vertritt, wie er zugibt, eine eurozentrische Perspektive mit einer „methodischen Beschränkung auf die westliche Erfahrung“ (328). Aber ist das ausreichend für die Interpretation der globalen sozialökologischen Krisen der Gegenwart, und genügt da die Ergänzung durch den Hinweis auf die „imperiale Lebensweise“ (s.u.)?
Die eigene Stimme der „Anderen“ wäre da wichtig. Andere Traditionen legen mehr Wert auf die Gemeinschaft, etwa die Muslime, bei denen die Umma als Gemeinschaft der Gläubigen, aber auch die Familie stark gewichtet sind. Ähnlich ist es bei den Juden, und das Christentum hebt zwar in seiner lutherischen Variante die „Freiheit eines Christenmenschen“ hervor, ist aber ansonsten stark auf Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit, auf Solidarität und Caritas orientiert.
Es fällt ohnehin auf, dass Seibert beim Erbe von 1789 prominent immer Freiheit und Gleichheit nennt, Brüderlichkeit dagegen nur beiläufig (S. 341). Die Linke aber ist ohne die starke Gewichtung von Solidarität nicht denkbar. „Leben einzeln und frei wie ein Baum, dabei brüderlich wie ein Wald“ ist ein Motto von Nazim Hikmet, das Kaspar Maase zum Titel eines Buches gemacht hat, und „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ war ein motivierender Slogan der Solidaritätsbewegungen der 1980er Jahre.
So intensiv auf das Individuum zu konzentrieren bedeutet für die Politik eine offene Flanke zu nationalkonservativen, ja „rechten“ Ideologien, denn bei ihnen wird eine nationale oder sonst wie definierte Gemeinschaft immer betont. Betrieben aber wird damit auch das Geschäft des aktuellen Marketing, für das z. B. in der Auto-Absatzkrise die individuelle „Freiheit“ der automobilen Bewegung des Individuums als Wachstumsbeschleuniger fungiert.
Seibert legt darauf Wort, „die Fortschritte der Freiheit nicht mehr nur, wie Hegel dies wollte, in ihrer Notwendigkeit, sondern immer auch in ihrer ungeheuren und ungeheuerlichen Kontingenz zu begreifen“ (S. 16), Scheitern als Möglichkeit inbegriffen (wie im Kommunistischen Manifest bei den Klassenkämpfen). Es droht dieses Scheitern des hegelianischen Programms der Freiheit, weil die Individuen sich in „freiwillige Knechtschaft“ (S. 16) begeben (Seibert umreißt die Beziehungen zwischen Knecht und Herr nur binär und nicht in jener Dialektik, die den Knechten wie den „Subalternen“ in der Interpretation des Postkolonialismus immer einen eigenen Beitrag zuweist).
Aber Kontingenz gibt es auch, denn, so werden Deleuze/Guattari zitiert, „die Universalgeschichte ist zu allem Anfang eine von Kontingenzen und keine der Notwendigkeit, von Brüchen und Grenzen und keine der Kontinuität“ (zit. 195). Das wird von der „Geschichte der Welt“ (Iriye/Osterhammel Bd.6) auch und gerade für die früheste Zeit bestätigt, und sie ist keineswegs in das Prokrustesbett einer „großen Erzählung“ zu pressen. Bei Seibert gibt es zwar Faltungen der Kontingenz in der „De- und Rekonstitution des Subjekts“ (198), aber nicht in der Gesamtinterpretation. Da dominiert die Zielgerichtetheit des Freiheitsprogramms.
Teleologie benennt ein Programm, wie Akteure die Geschichte gern hätten, und wie sie diese Geschichte gestalten möchten. Teleologie ist, interpretiert das Philosophische Wörterbuch, seit Christian Wolff „die Lehre von der durchgängigen, geistig, ideell und letztlich göttlich bedingten Zweckbestimmtheit aller Bewegung und Entwicklung in der Welt“ (Philosophisches Wörterbuch Leipzig 1974, II 1216). Als Kulturwissenschaftler erinnere ich mich, dass man mit Teleologie sehr schlechte Erfahrungen gemacht hat. Sie hatte sich in Deutschland zu einer „völkischen“ oder „nationalen“ Teleologie gemausert, bei der andere ausgeschlossen wurden; anderswo ist daraus eine solche der „Modernisierung“ oder des „Fortschritts“ geworden, bei der die Nachzügler angeblich zum eigenen Vorteil zwangsmodernisiert wurden (und werden). Aber die Geschichte Deutschlands zielt nicht auf den deutschen Nationalstaat, noch nicht einmal auf die Freiheit – sie ist ein kontingenter Prozess (das ist für die Auseinandersetzung mit den Neu-Rechten wichtig). Und die manifeste „Krise der Modernisierung“ gehört ebenso wie die Sackgassen des Fortschritts nicht zu den Erfindungen traditionalistischer Kritiker.
Nachdem mit Teleologien (auch denen des Marktes) soviel Unheil angerichtet wurde, möchte ich lieber auf einen solchen verführerischen Begriff verzichten. Zwar schleicht sich bei der bohrenden Frage nach dem Sinn des eigenen Tuns und der Frage nach der Perspektive schnell der Wunsch nach einer Teleologie ein. Man kann auch bei der Interpretation der Geschichte die Perspektive bemessen an dem Heute „und damit letztlich nach der erfolgreichen Durchsetzung“ dieses Zustandes (Iriye 2017, S. 17). Aber das leistet „geradezu automatisch einem Eurozentrismus Vorschub“, womit einer der „ehernen Grundsätze des Historismus, dass – mit Ranke gesprochen – ‚jede Epoche […] unmittelbar zu Gott‘ sei“ verletzt wird (ebd.). Es ist interessanter, Geschichte als offenen Prozess zu sehen: Dann wird man nicht so enttäuscht von ihrem realen Verlauf und muss nicht alle Grausamkeiten als „List der Vernunft“ für eine Teleologie zurecht bügeln.
Seibert hat seine „materialistische Teleologie“ (S. 273) der Weltordnung, genährt von Hegel und Marx, sicher philosophisch begrifflich wunderbar abgeleitet und erklärt. Als Vorwurf für ein Szenario mag die Vorstellung einer solchen Teleologie nützlich sein, aber für die Interpretation realer historischer Prozesse und als Leitstern einer Zukunftsprogrammatik kann ich sie als Kulturwissenschaftler nicht ernst nehmen.
In der „Autosoziobiographie“ (Spoerhase 2017) von Didier Eribon wird die verführerische Kraft solcher programmatischer Teleologien sichtbar, wenn er zugibt: „Ich glorifizierte die Arbeiterklasse, um mich leichter von den realen Arbeitern abgrenzen zu können. Wenn ich Marx und Trotzki las, glaubte ich Teil der Avantgarde zu sein; viel eher markierten meine Lektüren aber den Eintritt in die Welt der Privilegierten.“ (Eribon 2016, S. 81). „Das ‚Proletariat‘ war für mich eine Idee aus Büchern, eine abstrakte Vorstellung. Meine Eltern gehörten nicht in diese Kategorie.“ (ebd.).
Wenn bei Seibert die Geschichte ein „gerichteter Vorgang“ (S. 7) ist, dann erinnert das an biblische Eschatologie, aber auch an Ernst Bloch oder die vielen Ansätze zur Erziehung des „neuen Menschen“. Bei allen einschlägigen Versuchen, seien es Erziehungsdiktaturen oder sozialistische wie kommunistische kulturpolitische Programme (das sowjetische wird eindrucksvoll vorgestellt bei Schlögel 2008), hat sich bisher dann doch immer der „alte Adam“ durchgesetzt. Die Religionen, wiewohl auch sie oft genug solche Hoffnungen nähren, kommen meist besser mit ihm zurecht, beispielhaft das katholische Programm der Produktion von schlechtem Gewissen durch dogmatisch definierte Sünde mit anschließender Absolution durch die kirchlichen Institutionen, die das Heil verwalten.
Die kulturwissenschaftlich-ethnologischen Forschungen erinnern an die Beständigkeit mancher Wesenszüge des „alten Adam“, gerade auch wenn sie dessen Vielfalt und Anpassungsfähigkeit betonen. Hinter allen enttäuschten Hoffnungen auf radikale und konsequente Veränderung wird er erkennbar, und er inkarniert sich in den vielen Welten, die Herder auf seiner Seereise nach Nantes imaginiert. Herder verteidigt damit die kulturelle Authentizität jedes Zeitalters gegen den Stolz und die Arroganz der Aufklärer, etwa gegen seinen Lehrer Immanuel Kant, und er schwärmt von einer Darstellung über „die die Kultur der Erde! aller Räume! Zeiten! Völker! Kräfte! Mischungen! Gestalten! ..." (Herder, S. 122). Wenn das hegelianische weltgeschichtliche Programm der Teleologie zur Freiheit bei Seibert zur Grundlage seiner Interpretation wird und nur noch die Möglichkeit des letztlichen Scheiterns bleibt, dann nimmt das aller Kontingenz die Chance.

5. Geschichtszeichen und Höhepunkte
Seibert konzentriert seine Interpretation auf wichtige Daten, „Geschichtszeichen“. Es sind dies 1789, 1848/1871, 1917 und der Mai 1968. In letzterem konstituiert sich das „autonome, d.h. sich in Distanz zum Staat erschaffende und derart reformatorische Subjekt“ (S. 282) der sozialen und ästhetischen Revolution. Der Mai 68 ist das „weltgeschichtliche Ereignis, in dem der Marxismus-Leninismus von links und von unten abgewählt wurde“ (S. 261).
Immer wieder werden diese Daten der epochalen Ereignisse und die ihnen zugeordneten Ideen hervorgehoben. Wenn es eine Hoffnung auf die „Wiederkehr von Geschichte“ (der Fähigkeit, sie zu gestalten) gibt, „so liegt sie in dem Maß, in dem wir alle diesen Ereignissen auch weiterhin Wahrheit und folglich Verbindlichkeit zusprechen.“ (S. 320; S. 282, so auch bei Badiou). Das klingt nach Voluntarismus und Dogmatismus, aber es ist als Bestandteil der Teleologie im Denken von Seibert der Ausgangspunkt für die dann folgenden Argumentationen.
Erstaunlich ist die Mystifikation der „Bewegungen“ (S. 19) jenseits aller durch Feldforschung gestützten Empirie und politologischer Analyse: So kann man Maidan und Tahrir in den gleichen brodelnden Topf werfen, in dem für Seibert der Pariser Mai 1968 die Hauptsubstanz bildet, und selbst Pegida kann man schließlich auch nicht ganz ausschließen. Die „List der Vernunft“ (gelegentlich auch bei Seibert in ihrer Widersprüchlichkeit anerkannt S. 117, S. 124) konnte man einst auch in der iranischen Mullah-Revolution oder in der ersten Taliban-Befreiung in Afghanistan am Werk sehen, ging es doch da ebenfalls um die alten Feinde der Freiheit. Sie wurden freilich nur durch neue ersetzt, die anders verkleidet sind und sich bei Seibert in Absorption und Ambivalenz aufgehoben sehen.
Der Pariser Mai 1968, die Revolution von 1789 aufgreifend (wie, so gesehen, irgendwie alle Aufstände und Revolutionen in Europa dies tun), wird als reformatorische Kehre (S. 141, 149) hervorgehoben. „Das Ereignis des Mai 1968 findet zugleich auf der ganzen Welt statt und ist deshalb auch wortwörtlich ein weltgeschichtliches Ereignis. Seine Subjekte wissen das, sie wissen voneinander und sie handeln erklärtermaßen gemeinsam, als Subjekte desselben Ereignisses und desselben Fortschritts im Bewusstsein der Freiheit“ (S. 109). So wird dann alles spekulativ vereinnahmt. Diejenigen an diesem Mai 68 beteiligten Individuen, die ich in Deutschland und Frankreich traf (und die z. B. stolz die aus der besetzten Universität mitgenommenen Blanko-Briefbögen zeigten), haben trotz ihres erkennbaren Enthusiasmus die Bewegung viel nüchterner eingeschätzt.
Später, im Pariser „Metropolenstreik“ von 1995, „werden die gesellschaftlichen Arbeiter*innen zur politischen Subjektivität einer Teleologie, die über das Kapital hinaustreibt“ (S. 277). Warum muss man deren Forderungen „Teleologie“ nennen – es geht um Veränderungen, die isoliert keinen Bestand haben, deshalb nach mehr verlangen und so über sich selbst hinaustreiben, aber allein sind sie noch nicht der Anfang vom Ende der „Konterrevolution“.
Die Linke des 21. Jahrhunderts wird von Seibert mit Luc Boltanski und Eve Chiapello aus der Perspektive des Mai 1968 interpretiert. Dazu gehört das „Spannungsverhältnis von Sozial- und Künstler*innenkritik“ (S. 23), und der letzteren wird der „letztendliche Vorrang vor der Sozialkritik eingeräumt“ (ebd.). Es ist eine anarchistische „Revolte, die sich letztlich gegen jede Vergesellschaftung richtet, auch gegen die einer Gesellschaft der Gleichheit und Gerechtigkeit“. Beides bringt der Mai 1968 für Seibert zusammen (S. 22).

6. Die Absorption des Mai 1968
„Phantasie an die Macht“ (S. 157): Das waren im Mai 1968 inspirierende und nachwirkende Ereignisse so wie der Berliner TUNIX-Kongress von 1978, der für Seibert wichtig war, aber keine weltverändernden. Sie werden dazu nur bei linken Intellektuellen (z. B. S. 160). In den späten 1970er Jahren hängt die Deutsche Bank in der Kunstgalerie ihres Frankfurter Hochhaus-Herrschaftszeichens das Großfoto von Joseph Beyus mit dessen Text „La Revoluzione siamo noi“ auf: Der Anspruch der Bohème und derjenige der Bank treffen sich.
Die Absorption des Mai 1968 „durch den postfordistischen Geist des Kapitalismus“ (S. 187) in der Universität Paris VIII Vincennes (die schließlich wieder aufgelöst wird) findet durch die „Poststrukturalisten“ statt. Deleuze, Guattari, Foucault, Lyotard (S. 188, Fn.) werden genannt, auch Derrida, Kristeva u.a. (bei Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion. Roman rowohlt e-book 2015, wird dieses Intellektuellen-Milieu auf ironische und satirische Weise abgehandelt).
Boltanski/Chiapello belegen durch ihre Studien der Managementliteratur, „dass die postfordistisch-neoliberale Gegen-Reformation ohne die aktive Beteiligung der jetzt auch so genannten ‚68er Generation‘ niemals hätte durchgesetzt werden können. Sie ist es, die aus ihrer Revolte gegen die sozialpartnerschaftlich–wohlfahrtsstaatlich subjektivierte und sozialisierte ‚Normalarbeitsbiographie‘ gerade jene Lebensweisen hervorbringt, die das Kapital dann in der Flexibilisierung, Prekarisierung und Responsibilisierung der Arbeit und des Lebens verwerten wird. Zugespitzt gesagt: Es sind Aufständische des Mai, die in ihrer doppelten Revolte gegen die fordistische Arbeitswelt und die fordistische Lebenswelt die ‚reelle Subsumtion‘ eben nicht nur der Arbeit, sondern des ganzen Lebens einschließlich seiner Träume vorantreiben und letzten Endes auch durchsetzen“ (S. 177).
Sie tun dies auch als aufmüpfige Datensklaven (wie im „Cluetrain-Manifest“ 2000) und in den Startups der postfordistischen lebensweltzerstörenden Konsumwelt. Der Prozeß griff um sich „im Ganzen unmerklich und unwillkürlich, damit aber ohne den Willen, ja ohne das Bewusstsein vieler aktiv Beteiligter“ (S. 177) – weil das Kapital als „emanzipatorisches gesellschaftliches Verhältnis“ in der Lage ist, „gehemmte Bedürfnisse“ „und Lüste anzustacheln, zu befriedigen, zu verwandeln, und, mehr noch, überhaupt erst hervorzubringen“ und so „produktiv auf Befreiungs- und Anerkennungsbegierden zu antworten.“ (S. 178) Es „schreibt sich unentrinnbar in die Subjektivitäten der Arbeiter*innen“ ein“. Und auch darin ist „das Kapital“ auch „nicht die Herr*in seiner Dynamik“ (S. 178, Seibert zitiert Boltanski /Chiapello). Bruno Latour hat dies mit den „Aktanten“ zum Thema gemacht. Adorno spricht vom „Übergewicht von Verhältnissen über die Menschen“ (zit. Seibert S. 302) und vom Triumph der Integration im Kapitalismus, bezogen auf die unentrinnbare Kulturindustrie (S. 303; zu erinnern ist daran, dass er dies später z. B. in seinem Aufsatz zu „Kultur und Verwaltung“ auch relativiert). Das alles ist zu bedenken im Zusammenhang mit dem, was als „imperiale Lebensweise“ diskutiert wird (s.u.).
Es ist kein Zufall, dass, wie auch in der Hausbesetzerszene, der Übergang vom Protest ins Management leicht möglich ist: Manchmal sind es die gleichen Personen, die erst als Hausbesetzer, dann als Manager die Frankfurter Westend-Villen benutzen. Auch bei der Frankfurter DKP wechselt ein Personalrat frustriert von der Unfähigkeit des kommunalen Establishments, neue Wege zu gehen, in das Bildungsmanagement (und verlässt damit die dogmatisch vorgeprägten Bahnen).
Ambivalenz von Phantasie und Management schlagen sich in den Verwaltungsreformen nach dem Tilburger Modell der 1980er Jahre nieder: Es ist für mich als Städtischer Beamter attraktiv und befreiend, denn es bedeutet flache Hierarchien, mehr Eigenverantwortung, mehr Effizienzdenken in der Organisation meiner Arbeit, es passt sich aber gerade damit genau in die „neoliberale“ Reform ein (s. auch Klein, Naomi). Wir haben damals in der ÖTV nicht genügend darüber diskutiert, auch keine Strategien zur Überwindung dieses Dilemmas gesucht. Allenfalls geschah dies ansatzweise 1984, als in der Frankfurter ÖTV ein „Kulturpapier“ entwickelt wurde, das davon ausging, dass der Anspruch auf angemessene Bezahlung in engem Zusammenhang steht mit dem berechtigten Wunsch, anständige (und das heißt zufriedenstellende, anerkannte) Arbeit leisten zu wollen.

7. Kapitalismus als Fortschritt zur Freiheit?
Statt auf die Subjektivität zusetzen (auf die Plechanow mit der Rolle der „Persönlichkeit in der Geschichte“ sich beziehen muss), wendet sich der Strukturalismus „den vor- oder außer-subjektiven ‚Strukturen‘ zu: denen der Sprache (de Saussure), der Verwandtschaft als der ursprünglichen Vergesellschaftung (Lévi-Strauss), dem Unbewussten (Lacan), dem Kapital und der Ideologie (Althusser). … Wenn es überhaupt Subjekte gibt, dann sind sie und können sie nur das sein, was die Strukturen sie sein lassen.“ (Seibert S. 197)
Der Poststrukturalismus reagiert destruierend darauf: „Was auch immer als ‚natürlich‘ und ‚selbstverständlich‘, als an sich ‚wesenhaft‘ und ‚vernünftig‘ erscheint, wird als zufallsgenerierte und zugleich machtgetränkte ‚Konstruktion‘ entlarvt und bis zur Gleichgültigkeit dekonstruiert.“ (Seibert S. 192) Lyotard erinnert in „La Condition postmoderne“ an das „Ende der Großen Erzählungen“ (zit. S. 190). Als einziger den Begriff „Postmoderne“ benutzend, gibt er ihn gleichzeitig wieder auf: „Ein Werk ist nur modern, wenn es zuvor postmodern war. So gesehen bedeutet der Postmodernismus nicht das Ende des Modernismus, sondern dessen Geburt, dessen permanente Geburt“ (zit. S. 193).
Das strategische Projekt der Linken des 20. Jahrhunderts wird „zwischen 1989 und 1991 endgültig und unwiderruflich abgewählt“ (S. 17). Es wird übermächtigt durch den „Umschlag der Freiheitsbegierde in freiwillige Knechtschaft“ (S. 375). Es wird unglaubwürdig angesichts „der fundamentalen Zweideutigkeit des siegreichen Kapitalismus, der von seinen ersten Anfängen bis zum heutigen Tag zugleich eine Bewegung der Ausbeutung allen Lebens wie eine Bewegung seiner Freisetzung und Befreiung aus alten und ältesten Zwängen war und geblieben ist.“ (S. 18) In der „imperialen Lebensweise“ (s.u.) wird diese Ambivalenz bekräftigt.
Hervorgehoben wird die „Zweideutigkeit des Kapitals“, das „immer auch eine Emanzipationsbewegung ist, die uns aus allen überkommenen Herrschafts-, Ausbeutungs- und Missachtungsverhältnissen freisetzt. Heute geschieht das in der reellen Subsumtiom des ganzen Lebens und der ganzen Umwelt unter das Kapital, die sich im bio- und semiokapitalistischen Empire globalisiert, kybernetisiert, urbanisiert und individualisiert.“ (S. 315)
Wie kommt man zur Freiheit, wenn der Kapitalismus alles integriert und für die Versklavung verwendet? Kann man sich „bewusst werden“ durch die Verlockungen, den Sog des Marketings mit all seinen Facetten? Wird nicht erst durch das Marketing die Vorstellung von Mangel und fehlender Freiheit aufgeherrscht? Eine Analyse z. B. der Automobilwerbung (für ein Symbol der „Freiheit“ wie Geländewagen, die in keinem Gelände gefahren werden können, es sei denn man hat eine teure Jagdpacht) könnte dies bestätigen. Die Weckung von Bedürfnissen, von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie haben, in der Digitalisierung (Stöcker) zeugt ebenfalls davon. Imperiale Lebensweise (s. Brand/Wissen) hat nichts mit Emanzipation zu tun, sie ist eher mehr als nur ein Sargnagel für die begrenzte Lebenswelt auf dem Planeten.
In Aussicht gestellt wird ein „Freiheitsgewinn“ „ durch Beteiligung am Kapitalismus selbst“ Boltanski /Chiapello, zit. S. 179). Ein Fortschritt in der Freiheit? Aber wo und wessen? Der europäischen Kosmopoliten oder der indischen Adivasi? Die Menschenrechts-Deklaration der UNO setzt konkretere, motivierendere Ziele, und die Deklaration der Vielfalt der UNESCO ebenfalls. Das Zugeständnis des UN-Berichtes „Unsere gemeinsame Zukunft“, das jede Gemeinschaft (each people) einen eigenen Weg zum Fortschritt (als Inkarnation von Lebensqualität) suchen darf, signalisiert einen offenen Prozess.
Die Versprechungen des Kapitalismus (der entfesselten Marktgesellschaft) nicht zu akzeptieren, dazu bekenne ich mich, und wenn ich dazu andere historische Formen der Organisation des menschlichen Zusammenlebens benenne (wie verwaltete Gemeinnutzen), dann ist das eine bewusste Abkehr von Teleologie und Fortschrittslinearität, und aus dieser Abkehr kann, denke ich, eine Perspektive der sozialökologischen Transformation eher hervorgehen als aus der Affirmation des Kapitalismus als Übergangsphase.
Man kann die Bedürfnisoffenheit als Eigenschaft des „alten Adam“ anerkennen, muss aber immer auch akzeptieren, dass sie im realen gemeinsamen Leben notwendigerweise gebändigt ist durch die geteilten „Standards des guten und richtigen Lebens“ (die nur im temporären Exzess aufgehoben werden, s.u.). Dann muss man den Kapitalismus nicht als ein sehr fragwürdiges Instrument der Befreiung rechtfertigen. Es ist wie mit dem Drogenkonsum: Ethnologen belegen, dass es in allen Gesellschaften Drogen gibt, aber überall ihr Konsum auch durch Standards und soziale Kontrolle informell oder formell eingeschränkt wird (Rausch und Realität…).
Seibert spricht vom „bio- und semiokapitalistischen Empire“, das über die biologischen Ressourcen (der Menschen) und die symbolischen (semiotischen) Ressourcen (S. 113) der Begriffe verfügt. Ist das wirklich noch Kapitalismus als Fortschritt? „Mitte der siebziger Jahre, als die kapitalistische Ordnung im Westen sich … modernisierte und festigte und alle Versuche, sie durch Reformen nach links hin zu verändern, ins Leere laufen ließ oder systemkonform integrierte“, da kulminierte diese Absorptionstendenz (Der Trümmerhaufen 1991, S. 7)
Vergisst man diese allzu einfache Vorstellung von Kapitalismus als Fortschritt (abgeleitet aus dem Schema, dass der Sozialismus nur über den Weg durch den Kapitalismus möglich werde), dann kann man den heutigen Kapitalismus in seiner aus vielen Krisen und Anpassungen hervorgegangenen, insbesondere als Finanzkapitalismus wirkmächtigen Form mit seinem Krisenpotenzial auch primär und mit wenig Ambivalenz als Bedrohung der gesamten Lebenswelt betrachten. Im Globalen Sicherheitsstaat (S. 422) wird zur Selbsterhaltung des Empire so viel absorbiert, dass es dem Pfeifen im Walde gleicht, wenn man hier noch Chancen für Freiheitsgewinne sieht.
Sind die Möglichkeiten, die das Internet bietet, ein Fortschritt in Richtung Freiheit? Von Anfang an schien mir die Entwicklung der Digitalisierung und des Internet als ein Wettlauf zwischen „nützlichen“ und „ missbräuchlichen“ Anwendungen (Stöcker, ähnlich wohl wie bei der Erfindung des Buchdrucks), und jenseits aller Kultur- und Technikkritik ist zuzugestehen, dass dies sich fortsetzt. Die aktuelle Diskussion um „Fake News“ z. B. signalisiert gravierende Probleme. „Die Internetbenutzer bilden solidarische Gruppen mit sich selbst verstärkenden Meinungen und Vorurteilen. Allem Anschein nach sind die Verfechter von Verschwörungstheorien unerreichbar für Versuche, ihren Irrglauben zu widerlegen.“ (Quattrociocchi, S. 60) Das Weltwirtschaftsforum (WWF) hat 2013 dieses Problem „als eine der gravierendsten Bedrohungen unserer Gesellschaften“ bezeichnet. Chemtrails oder Pizzagate sind Beispiele von Verschwörungstheorien und Fakenews mit vielen Anhängern. „In Deutschland verbringen die Nutzer der sozialen Medien im Mittel 4 Stunden und 42 Minuten pro Tag im Internet (in Italien reichlich 6 Stunden…)“ (ebd. S. 62; als positiv könnte man dabei vielleicht ironisch werten, dass mit anderen Freizeitbetätigungen noch mehr Ressourcen verbraucht werden). Es entstehen „Gemeinschaften von Gleichgesinnten, die bevorzugt dieselben Informationstypen nutzen, ausschließlich untereinander diskutieren und sich in ihren eigenen Überzeugungen zu einem gemeinsamen Narrativ gegenseitig bestärken.“ (ebd. S. 63) Mit solchen negativen Wirkungen können (und müssen) Gemeinschaften fertig werden, wenn sie überdauern wollen, aber das ist kein Automatismus: Allzuviele Gemeinschaften, auch Hochkulturen sind in der Geschichte schon untergegangen.
Der Kommunismus, hervorgehend aus der Überwindung des Kapitalismus, bedeutet für Negri/Hardt die Freisetzung des Lebens aus seiner kapitalistischen Verwertung, in „autonomer Selbstverwertung“ (zit. Seibert S. 284), „die Aneignung seiner allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper“, den Zusammenbruch der „auf dem Tauschwert beruhenden Produktion“ (ebd. S. 285). Das ist die alte Utopie des Sprinquells des menschlichen Reichtums, bei der nicht an die Grenzen der Ressourcen gedacht wurde. Das gilt auch, wenn dieser „Sprinquell“ so geweckt wird, wie es in den 1920er Jahren die linken Chinesischen Studenten erwarteten) (s. Bauer 1971).
Der Kapitalismus bietet „eine Emanzipation auf einem bestimmten Gebiet, hinter der sich allerdings neue Unterdrückungsformen verbergen“ (S. 179), in einem iterativen Prozess. Selbst wenn die Produktionskosten gegen Null sinken, muss es Humanressourcen für „Care Arbeit“, Beziehungsarbeit (und für das Genießen) geben, und daher sind auch die utopischen Vorstellungen von Rifkin, Fücks oder Trojanow (alle nicht bei Seibert nicht erwähnt) über Null-Grenzkosten-Gesellschaft zu relativieren.
Das ist die ins Linke Milieu übertragene eschatologische Dimension, eine Rechtfertigung für alle Vertröstungen auf die Zukunft, aber auch für aktivistisches Leben verschiedenster Art: „Einst wird kommen der Tag“ war das aus der Ilias übernommenes Motto, das von der revanchistischen nationalistischen Rechten der Zwischenkriegszeit vor 1933 gern verwendet wurde. Ernst Bloch endet den Dritten Band von „Prinzip Hoffnung“ mit eben dieser Verheißung, dass Heimat etwas ist, wo wir noch nicht sind (und die Tübinger Empirischen Kulturwissenschaftler haben das später immer wieder gern zitiert; auch ich habe dies in Überlegungen zu Heimat getan).
Hoffen und Wünschen müssen sich nicht eschatologisch gerieren, kürzere und kleinere Perspektiven tun es für die meisten auch. Bei Seibert liest sich das so: Die Differenz von Bio- und Wahrheitspolitik enthüllt den „zutiefst gefährlichen Charakter des general intellect. Er mag eine Werdensbedingung kommunistischer Bewegung sein, droht zuvor aber, alles Leben und Denken und mit ihm unsere Umwelt zu zerstören“ (S. 287), und zwar durch „Verwüstung der Erde“ und die „hegemoniale Macht der imperialen Lebensweise“ (S. 287) Das muss vereinbart werden mit der Vorstellung, dass der Kapitalismus notwendiges Durchgangsstadium zum Sozialismus oder Kommunismus ist. Auch ist „die Kybernetisierung der Welt eine brandgefährliche, zugleich aber auch eine vielversprechende Geschichte.“ (S. 257) Gibt es da noch einen Freiheitsgewinn, der etwas anderes ist als derjenige des aller sozialen und moralischen Vorstellungen entkleideten „aufgeklärten“ Individuums des späten Marquis de Sade?
Seit die meisten Versuche der „vernünftigen Einrichtung der Gesellschaft“ gescheitert sind, kann man so nicht mehr argumentieren, der „alten Adam“ ist nicht totzukriegen.

8. Die Abwertung der Geschichte durch die Teleologie
„Der Kapitalismus bindet Akteur*innen an sich, die sich bewusst werden, dass sie vorher unterdrückt waren.“ (Seibert S. 179) Das ist die bevormundende Attitude der selbsternannten Schöpfer des neuen Menschen und Zwangsmodernisierer, die es auch im Sozialismus gab und gibt. Ferdinand Lassalle, die Chinesische Führung und Hayek ziehen am gleichen Strang.
Wenn man den Kapitalismus als notwendige Durchgangsstufe zur Entwicklung des Springquells des menschlichen Reichtums und der Emanzipation im Sozialismus betrachtet, dann bedeutet das eine Entwertung der Vergangenheit: In liberaler und marxistischer Interpretation ist alle frühere Geschichte nur eine der Unterdrückung. „Eine Entwicklung ist bzw. Geschichte ist ein Prozess, der sich auf einen letzten Zweck und damit auf ein Ende anweist bzw. auf einen Zweck und damit auf ein Ende angewiesen sieht.“ (Seibert 20) Alle „Vormoderne“ wird zur Vorläufigkeit. Die Geschichte Menschheit wird bei dem imaginierten Weg der Freiheit in das Prokrustesbett der Teleologie eingezwängt. Liberale wie Linke erklären die Verhältnisse vor Aufklärung und Moderne zu Zuständen der Unterdrückung und Unfreiheit. Aber die „Gewaltherrschaften der feudalen Souveränität“ (Seibert 224) sind Konstrukte, die genauso wenig uneingeschränkte Geltung haben wie die umgekehrte Behauptung, mit der Befreiung von feudalen Lasten habe auch die Freiheit der Person eine Chance bekommen. Ein Beispiel für die polemisch negative Bewertung der Verhältnisse der ständischen Ordnung ist das jus primä noctis: Gern wird es zitiert als besonders abscheuliche Frechheit der feudalen Herrscher, nachweisbar ist es aber nur als bei der Heirat fällige Abgabe der Lehnspflichtigen an die Obrigkeit.
In diesen Zusammenhang gehört auch die von Hegel gebrauchte Unterscheidung von vulgus als Bevölkerung im „Aggregat des Privaten“ und in „vorpolitischem Zustand“ auf der einen, populus als Bevölkerung in der staatlichen Form auf der anderen Seite. Hegel meint, es sei der „alleinige Zweck des Staates, daß ein Volk nicht als solches Aggregat zur Existenz, zur Gewalt und Handlung komme. Solcher Zustand eines Volkes ist der Zustand der Unrechtlichkeit, Unsittlichkeit, der Unvernunft überhaupt“ (Hegel, Werke 8, § 544, Frankfurt am Main 1979, zit. Priester in Bitzigaio S. 133). Das erinnert an Passagen aus der „Glocke“ von Schiller (aber auch von Hanns Werner Sinn kann man ähnliches hören). Wenn Hegel meint, es sei Aufgabe des Staates, populus als Staatsbürgergemeinschaft erst herzustellen, dann zeigt dies, er hat das Trauma der französischen Revolution nicht verarbeitet. Er berücksichtigt nicht, dass in vormarktwirtschaftlichen Zeiten und vor dem „aufgeklärten Feudalismus“ das vulgus (das „Volk“) immer in korporativen Gemeinschaften wie Gemeinden oder Gemeinnutzen eingeordnet war, und dass, wie die Völkerkunde schon längst bestätigt hat, keine Gemeinschaft von Menschen auf Dauer ohne innere Organisation auskommt (deshalb kann Augustinus sagen, das einzige was den Staat von einer Räuberbande unterscheide, sei die christlich-moralische Fundierung, nicht die innere Ordnung). Das lässt auch die Vorgeschichte erkennen. „Brauch und Gesetz, Magie und Religion wirkten zusammen, um den einzelnen zu Verhaltensformen zu veranlassen, die letztlich seine Funktion innerhalb des Wirtschaftssystems sicherten.“ (Polanyi 1978: 87).
Die traditionelle Volkskunde als Teil der Kulturwissenschaft stand der Aufklärung reserviert gegenüber, weil unter ihrem Einfluss - z. B. im Josephinismus oder in den Salzburger Colloredo-Reformen des aufklärerischen Merkantilismus – überkommene Sitten abgeschafft, Wallfahrten und kirchliche Feiertage eingeschränkt oder Bräuche wie das „Gewitterläuten“ verboten wurden. Das war verbunden mit der aufklärerisch-marktwirtschaftichen „Entbettung“ des wirtschaftlichen Handelns aus seinen sozialkulturellen Bindungen (Polanyi). Damit wurde, mehr als Adam Smith eigentlich wollte, den Kräften des unregulierten Marktes freie Bahn gegeben, ebenso denen des Wünschens und Begehrens der Individuen. Letztere wurden dann zum Motor eines für die Marktgesellschaft lebensnotwendigen wirtschaftlichen Wachstums (auch bei Grund und Boden, Städtebau und Landwirtschaft).
Das staatszentrierte Denken des Marxismus, bereits in den Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts für die uneingeschränkte Übernahme der Staatsmacht eintretend, ist ein Hindernis, die Bedeutung der der Selbstorganisation im dynamischen Fließgleichgewicht des gemeinschaftlichen Lebens anzuerkennen. Die Selbstorganisation war immer auch für die Arbeiterbewegung unerlässlich, aber sie wurde weitgehend nur als Vorstufe zum endlich zu erkämpfenden sozialistischen Staat verstanden, der dann alles regelt. Die Linken sind (verkürzt gesprochen) orientiert an Zielen wie „Fortschritt“ und „Modernisierung“, übernommen aus dem evolutionistischen Geschichtsbild der Aufklärung. Sie sind überzeugt, die Zukunftsgesellschaft könne erst nach Überwindung des Kapitalismus erreicht werden, und dieser wiederum wachse nur auf den Trümmern der Ständegesellschaft, die deshalb mit all ihren Institutionen überwunden werden müsse (und wenn August Bebel: Die Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode. 2. Aufl. Stuttgart 1889 kulturrelativistisch das muslimische Spanien preist, dann ist das eine Ausnahme).
Die positive Bewertung der Urbanität als Gegenpol zum „Idiotismus des Landlebens“ (Seibert 214) zeugt ebenfalls von dieser aufklärerischen Arroganz. Vielleicht lässt sich so nur denken, weil der Naturstoffwechsel in den einschlägigen Überlegungen auch von Seibert keine Rolle spielt (z. B. S. 411/412).
„‘Ursprünglich ist die Emanzipation durch den Kapitalismus‘, so schreiben Boltanski /Chiapello, ‚mit einer Oppositionsbildung zu verstehen, die selbst ein konstitutives Ideologieprodukt der Moderne ist: Die als unterdrückerisch definierten ‚traditionellen‘ Gesellschaften werden dabei von den ‚modernen‘ Gesellschaften unterschieden, die als einzige eine individuelle Selbstverwirklichung in Aussicht stellen.‘“ (Seibert S. 178/179)
Was war aber ist dann mit den Intellektuellen, auch Künstlerinnen und Künstlern, der „Vormoderne“? Werden ihre Leistungen nur als Vorbereitung, Vorstufen der endlich als Gipfel der Geschichte erreichten Moderne wertvoll? Was ist mit den Heiligen, Philosophen, Sängern, Ausreißern, den vielen Unbenannten, den Schelmen und Aufrührern? Haben die keine Chance der „Selbstverwirklichung“ gehabt? (s. Reckwitz 2010)
Gern wird, in einer oberflächlichen Teleologie, alles Avantgardistische als „Vorläufer der Moderne“ interpretiert. Auf die „Moderne“ wird alles fokussiert, nötigenfalls dann auch noch auf eine „Zweite Moderne“ oder „Modernisierung der Moderne“, wenn die „einfache“ Moderne zu krisenhaft erscheint.
Adorno schreibt an Horkheimer: „In allen Bewegungen, welche die Welt verändern möchten, ist immer etwas Altertümliches, Zurückgebliebenes, Anachronistisches. Das Maß dessen, was ersehnt wird, ist immer bis zu einem gewissen Grade Glück, das durch den Fortschritt der Geschichte verlorengegangen ist.“ (zit. Demirović 1999, zit. Seibert 305) Das kennt man seit den Bauernkriegen, und die Romantik greift es auf.
In der Ökonomie zählt die Zerstörung der traditionellen Lebenswelten für einen Neoliberalen wie E.A. von Hayek (1899-1992) zu den notwendigen Kosten eines unvermeidlichen Fortschritts. Wachstumsgesellschaften scheinen ihm naturgesetzlich begründet zu sein. Für ihn wäre es eine schreckliche Vorstellung, wenn niemand aus dem gewohnten Rahmen ausbrechen und einem selbstzweckhaften Fortschritt den Weg bereiten würde: „Viele europäische Bauern, insbesondere die in entlegenen Gebirgstälern, sind ein Beispiel. Sie hängen an ihrer Lebensweise, obwohl sie in eine Sackgasse führt, obwohl sie zu abhängig von der sich ständig ändernden städtischen Zivilisation geworden ist, als daß sie sich erhalten könnten) Und: „Die Änderungen, in die sich solche Menschen fügen müssen, gehören zu den Kosten des Fortschritts“ (Hayek 1971, S. 61). Diese Lebensweise hat freilich die Existenz dieser Bauern über Jahrhunderte hinweg sichern können, länger als in der „Moderne“ auch nur vorstellbar, und in allen Nachkriegs- und sonstigen Krisenzeiten konnten diese Bauern sich immer besser erhalten als die Städter. Dass aus solchen Überlegungen gewaltige Aufgaben für die Sicherung der Ernährungsgrundlagen der Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Vermeidung der Vergiftung und Zerstörung der Produktionsgrundlagen resultieren versteht sich.
Wie Hayek argumentiert in dem Roman „Jakob der Letzte“ von Peter Rosegger der Pfarrer, der den Waldbauern dazu überreden will, seinen Wald zu verkaufen, auch wenn es ihm danach möglicherweise nicht besser geht. Wenn solche Alternativen zur Wahl stehen, sind vorher immer gesellschaftspolitische Entscheidungen getroffen worden, mit denen aus mehreren möglichen Pfaden ausgewählt wurde. Das ist für Rosegger wie für Hayek kein Thema (man hätte z. B. dem Kapitalisten, der den Wald des Waldbauern für sein geschlossenes ungestörtes Jagdgebiet haben will, verbieten können, sich ein solches Jagdgebiet zu schaffen, oder man hätte es mit deutlichen Auflagen verbinden können, oder dem Waldbesitzer anderswo angemessene Kompensation schaffen können: solche Aushandlungsprozesse sind heute mehr denn früher alltäglich). Hayek konnte sich anscheinend nicht vorstellen, dass es auch jenseits des Strebens nach Modernisierung, Fortschritt und (unbegrenzter) Freiheit ein vielfältiges, abwechslungsreiches sozialkulturelles Leben gibt. Mit verbalem Pathos preist er die Dynamik des alle Regeln aufhebenden Fortschritts, ohne zu bedenken, dass daraus auch zerstörerische Krisen entstehen können. Auch als radikaler Vertreter des freien Marktes und des Fortschritts als Selbstzweck muss er freilich zugeben, dass nicht nur die Politiker die Welt zerstören können (Hayek Interview S. 40).
Geschichte erinnert an viele Möglichkeiten der Organisation menschlichen Zusammenlebens. In der Vor-und Frühgeschichte gab es Zustände, in denen Nahrung im Überfluss vorhanden waren (Iriye 178, 182), und in solchen Wohlfahrtgesellschaften war ein Leben im Steady State möglich: Es gab Überfluss, keinen Zwang zum „Fortschritt“, dennoch war Spezialisierungen möglich. Im Japan der Jomon-Zeit gab es seit 15.000 vor Christi etwa 10.000 Jahre lang Wildbeuter in permanenten Siedlungen ohne produzierendes Wirtschaften (Iriye S. 123,175). In Australien lebten Menschen vielleicht 50.000 Jahre ohne produzierendes Wirtschaften. Ähnlich statische Lebensverhältnisse von Wohlstandsgesellschaften gab es auf dem amerikanischen Kontinent. Wo es Nahrung im Überfluss gibt, können auch Wildbeuter Ortsbindung entwickeln (ebd. S.127/128). Riesige Muschelhaufen als Zeugnisse von langlebigen Siedlungen gibt es an der Ostsee, in Ostasien, in Amerika. (ebd. S. 127, 181) In solchen Überflussgesellschaften waren Veränderungen nicht zwangsläufig. Nach dem Rückgang der Eiszeit führten „Besitz, Kontrolle und Verteilung der neuen Rohstoffe … in Bajkalien und anderswo in Sibirien also nicht zwangsläufig zu einer gesellschaftlichen Schichtung; vielmehr lebten die Jäger-, Fischer und Sammlergemeinschaften weiterhin so wie seit Jahrtausenden.“ (ebd. S. 163)
Der Grund für solche Stabilität war, dass es dort kein Domestikationspotential für einen Übergang zur produzierenden (neolithischen) Lebensweise gab (ebd. S. 126). So wird interpretiert – aber vielleicht wollten es die Menschen auch nicht anders, weil ihnen ihre gewohnten sozialregulativen Standards des guten und richtigen Lebens lieber waren (sicher war auch das nicht ohne Konflikte und Emotionen; aber diese Freiheit muss man ihnen lassen).
Auch bei den frühen Hochkulturen wechselten „Fortschritte, Umbrüche und Rückschritte“ einander immer wieder ab (ebd. S. S. 180). Da lässt sich ein Schema von Teleologie, Evolution oder Fortschritt nicht hineininterpretieren; Geschichte braucht es nicht. In viel späteren historischen Zeiten der Neuzeit verzichteten China (nach dem 16. Jahrhundert), aber auch Japan vom 17. bis 19. Jahrhundert bewusst auf Wachstum und Expansion und zogen Lebensweisen der Suffizienz und inneren Entwicklung vor.
Natürlich kann man darüber spotten, wenn die nachhaltigen Lebensweisen vorneolithischer Prosperitätsgesellschaften gelobt werden, und natürlich sind weder China noch Japan in ihren Restriktionsphasen Vorbilder für heute. Dass es in den Staaten und Regionen Europas und anderer Wachstumszentren seit der frühen Neuzeit immer auch Teile des jeweiligen Landes gab, in denen Menschen nachhaltige Lebensformen mit Suffizienz (und gelegentlichem Exzess) abseits der Wachstums- und Modernisierungsschwerpunkte praktizierten, ist da vielleicht schon interessanter. Aber für eine zukünftige Lebensform der Nachhaltigkeit ist noch viel Begriffsarbeit und sozialkulturelle Innovation nötig. Der ambivalente Kapitalismus wird´s wohl eher nicht richten.

9. Imperiale Lebensweise
Lebensweisen mit so langer Dauer wie in der Vor- und Frühgeschichte sind derzeit nicht vorstellbar. Die exponentielle Fülle des globalen Wachstums trat in den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Das führt in der Fortsetzung notwendigerweise zu Krisen.
Mit dem Begriff „Imperiale Lebensweise“ (S. 275) umreißt Seibert die „Subjektivierungsweisen einerseits der Flexibilisierung, Prekarisierung, Kybernetisierung und Fragmentierung, andererseits der Responsibilisierung, Individualisierung und vor allem der Mediokrisierung ... Mit dem Begriff der Mediokrisierung habe ich einerseits darauf verwiesen, dass diese Lebensweise primär diejenige der globalen Mittelklassen ist, als solche andererseits aber einen ethisch-politischen Sog vor allem auf die globalen Unterklassen ausübt und insofern zuletzt doch Lebensweise der meisten ist. Was ich bisher ‚Sog‘ genannt habe, kann jetzt auch als Hegemonie begriffen werden. Entscheidend ist nun aber, dass das Empire als das alle biopolitische Produktion regulierendes Produktions-, Governementalitäts- und Hegemonieverhältnis mittlerweile von der Entwicklungsform zur ‚Fessel‘ der biopolitischen Produktivkräfte geworden ist. Zu diesen Produktivkräften gehören vor allen anderen wir selbst: die Arbeiter*innen des globalisierten Kapitals. Es ist unser Leben, das an jeden Ort und zu jeder Zeit dem Kapital subsumiert wird, unsere Subjektivität, die in jeder ihrer Äußerungen produktiv gemacht, verwertet, bis in die letzte Regung hinein ausgebeutet wird. … Wir selbst sind das Empire – die Subjektivierten der imperialen Lebensweise.“ (S. 275) Bei Negri/Hardt entfaltet sich daraus die „materialistische Teleologie“ der Multituden (275).
Ähnlich argumentieren Ulrich Brand und Markus Wissen (die Seibert zitiert). Für sie bezieht sich der Begriff „imperiale Lebensweise“ auf deren globale Attraktivität und auf die Externalisierung der Kosten in den Prosperitätsregionen, mit der sie ermöglicht wird. „Der Kerngedanke des Begriffs ist, dass das alltägliche Leben in den kapitalistischen Zentren wesentlich über die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Naturverhältnisse andernorts ermöglicht wird: über den im Prinzip unbegrenzten Zugriff auf das Arbeitsvermögen, die natürlichen Ressourcen und die Senken – also jene Ökosysteme, die mehr von einem bestimmten Stoff aufnehmen, als sie selbst an ihre Umwelt abgeben (wie Regenwälder und Ozeane im Fall von CO² - im globalen Maßstab.“ (Brand/Wissen S. 43) Daraus resultiert, dass sie nicht über längere Zeiträume hinweg fortsetzbar sind. „Die wohlhabenden Industrienationen nehmen diese negativen Auswirkungen nicht nur systemtisch in Kauf. Sie rechnen vielmehr mit ihnen und diese rechnen sich für sie.“ (Lessenich S. 24)
Im Norden hat diese Lebensweise sich entwickelt, ist auch dort nicht flächendeckend verbreitet, wirkt aber global als Vorbild. Die „Imperiale Lebensweise“ hat sich „in das Begehren und in die Körper vieler Menschen eingeschrieben“ (Brand/Wissen S. 169). Sie steht im Hintergrund globaler ökonomischer Prozesse, bei denen die geförderte Entfaltung des privaten Konsums eine zentrale Rolle spielt.
Süd und Nord, Zerstörung dort, Stabilität hier sind dabei untrennbar miteinander verflochten: Die Expansion der „industrialisierten Landwirtschaft“ z. B. ist verbunden mit Fleischkonsum als Bestandteil von Wohlstand und Lebensqualität (Brand/Wissen S. 101). Die überkommenen lokal angepassten und „semisubsistenten agrar-ökologischen Praxen“, immer noch für einen Großteil der Welternährung verantwortlich, geraten durch „Landgrabbig“ unter Druck, „food from nowhere“ externalisiert die Zerstörungsfolgen in Raum und Zeit (Brand/Wissen S. 102). Der Prozess beschleunigt sich. Die vertriebenen Menschen ziehen in die Städte. Die drohenden ökologischen Krisen signalisieren, dass der Norden sich zu Tode siegen kann (Brand/Wissen S. 14).
Es befinden sich „derze2it zwei Drittel der Weltbevölkerung im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft“ (106), und die urbane Lebenseise, von Seibert als Bestandteil des kapitalistischen Ambivalenz interpretiert, wird immer dominierender. Eine „energieintensive, in weiten Teilen erdölabhängige Lebensweise, wie sie im globalen Norden seit langem Normalität“ ist (Brand/Wissen S. 106), wird derzeit in Indien, China und anderswo von den Mittel- und Oberklassen der aufsteigenden Schwellenländer übernommen, so daß sich auch dort die „imperiale Lebensweise“ mit „Individualverkehr, fleischhaltiger Ernährung und ressourcenaufwendigen Konsumgütern“ (ebd. S. 108) verbreitet – mit allen Risiken dort und hier. Die Migrationen von heute gehören mit ihren Push- und Pullfaktoren zu diesen Widersprüchen (ebd. S. 122/123).
„Zukunft ist ein kulturelles Programm“. Dieser Satz von Hilmar Hoffmann, dem ehemaligen Kulturdezernenten von Frankfurt am Main und Präsidenten des Goethe-Instituts, ist ernst zu nehmen. Die „Kräfte des Wünschens und Begehrens“ haben Weltreiche zum Zusammenbruch gebracht, aber auch welche aufgebaut. Sie wirken freilich genauso wenig automatisch wie ökonomische oder sozialstatistische (demographische) Trends: Sie brauchen Raum zur Entfaltung und sie schaffen ihn sich, solange keine Hindernisse in den Weg gelegt werden.

10. Kultur und sozialregulative Standards
Dem „stahlharten Gehäuse“ des Konsumismus (Jackson 2011: 92) zu entrinnen scheint kaum möglich; die „imperiale Lebensweise“ macht nahezu alle zu Komplizen einer zerstörerischen Struktur. Die erläuterten Verhältnisse sind Strukturen, die ncht so einfach außer Kraft gesetzt werden können. Das geht vor allem auch deswegen nicht, weil Menschen nicht als isolierte Monaden leben, sondern in Gemeinschaften (Milieus) und in vielerlei Beziehung angewiesen sind auf die Anerkennung durch ihre Mitmenschen.
Anerkennung ist eine wichtige Kategorie bei Seibert. Auch Axel Honneth gewichtet sie stark. Sie wird in der Debatte um soziale Gerechtigkeit meist vernachlässigt. Aber in zeitgenössischen Gesellschaften (und nicht nur dort) spielt der „Prozess der Ausdifferenzierung von verschiedenen Sphären der wechselseitigen Anerkennung“ eine wichtige Rolle. „Mit Hilfe des Begriffs der Anerkennung soll Aufschluss darüber gewonnen werden, welche Antriebe es sind, die die Gesellschaftsmitglieder zur Übernahme sozialer Verpflichtungen bewegen: Jeder Mensch ist, wie Parsons sagt, primär an der Wahrung einer Form der ‚Selbstachtung‘ interessiert, die auf die Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner angewiesen ist.“ (Honneth 2011, S. 37) Das betont den Zusammenhang mit der sozialen Gruppe, der Gemeinschaft und des Milieus. „Diese Sicht auf die Architektur moderner Gesellschaften erzwingt folgenreiche Akzentverschiebungen gegenüber dem Gros soziologischer und politikwissenschaftlicher Ansätze: Zum einen wandelt sich die Vorstellung über die Eigenart gesellschaftlicher Subsysteme und Institutionen – diese müssen als ausdifferenzierte, um Normen der reziproken Achtung kristallisierte Handlungssphären begriffen werden, weil die ihnen innewohnenden Pflichten und Verantwortlichkeiten vor allem aus dem Streben nach sozialer Anerkennung heraus erfüllt werden. Die Normen und Werte, die als moralische Integrationsquellen in diesen Sphären dienen, müssen zugleich Standards liefern, in deren Licht sich die Teilnehmer wechselseitig anerkennen können. Zum anderen erhält die Beschreibung sozialer Konflikte eine neue Gestalt: Diese können, in Anlehnung an eine Denkfigur Hegels, als ein ‚Kampf um Anerkennung‘ begriffen werden, als das Ringen um eine Neubewertung, Neuinterpretation oder Neuformulierung der in den jeweiligen Sphären geltenden Normen der Anerkennung.“ (Honneth 2011, S. 37)
In dieser Beschreibung können „vormoderne“ Gemeinschaften leicht wiedererkannt werden, und sie entspricht auch den Prinzipien, mit denen eine Kulturwissenschaft wie die Europäische Ethnologie zeitgenössische Milieus interpretiert. Gemeinschaften und Milieus werden zusammengehalten durch die geteilten sozialkulturellen Werte und Standards des guten und richtigen Lebens. Es sind die „handlungsleitenden sozialmoralischen Standards“, von denen Ruth und Dieter Groh sprechen (Groh 1990, S. 234-279)
Es handelt sich um ein altes Thema. „Die Gestaltung eines erfüllten, moralischen und glücklichen Lebens war bereits in der Antike ein zentrales Thema der Philosophie. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit sind andere Themen in den Vordergrund gerückt. Erst im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert gewann sie wieder eine große Bedeutung durch die aufkommende Lebensphilosophie, die Existenzialphilosophie und den französischen Existenzialismus.“ (Gloor)

11. Begehren, Begierde, Care-Arbeit und Lebensqualität
Die „imperiale Lebensweise“ wird affirmiert, wenn man ihre Realisierung als Aspekt der möglichen Befreiung durch den ambivalenten Kapitalismus betrachtet. Einst war es der erschlossene „Springquell menschlichen Reichtums“, der in der von „vormodernen“ Fesseln befreiten bürgerlichen Gesellschaft erschlossen werden und dann im Sozialismus ein befreites Leben ermöglichen sollte. Damals dachte man noch nicht an das Versiegen dieser Quellen des Reichtums. In der Wachstums- und Konsumgesellschaft, vor allem aber in der imperialen Lebensweise, wird die zerstörerische Konsequenz erkennbar.
Der Volkskundler und Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger meinte, dass eine Bändigung des Strebens nach Genuss zugunsten der Zukunft des Gemeinwesens außerordentlich schwer sei. Wie mit den sprengenden Kräfte des Wünschens und Begehrens bei der Suche nach nachhaltiger und zukunftsfähiger Lebensweise umzugehen ist, das dürfte in der Tat eines der schwierigsten Probleme beim Umgang mit den Grenzen der Wachstumsgesellschaft sein. (Kramer 2016)
Der „neoliberal-postfordistisch modernisierte Bio- und Semiokapitalismus“ fordert: Bring dich als Subjekt ein, auch mit deiner Libido. Die Einheit von Arbeit und Lust wird versprochen (Seibert S. 211). Als das Ende des „Fordismus“ erkennbar wurde, gab es den Versuch, den Begriff zu ersetzen durch „Toyotisnus“: Das wäre die sich mit ihm durchsetzende Form der „totalen“ Einvernahme der Werktätigen durch eine transnationale, auch klassen- und schichtenübergreifende Ausrichtung auf transnationale Unternehmen, die eine übergreifende Unterwerfung unter Firmenideologie fordern. Die Absorption der Phantasie des Mai 68 durch die Fetischisierung von Innovation und Kreativität im Management kann als Teil einer solchen Strategie betrachtet werden.
Kultur ist nicht nur, wie wir leben und arbeiten, sondern auch wie wir leben wollen, hieß es einst. Auf dem Weltsozialforum Belem gab es die Parole: „Wir wollen nicht besser, wir wollen gut leben“ (Seibert 407). Das fordert dazu auf, Lebensqualität ins Zentrum zu stellen, gleich daneben Gemeinsinn und Gemeinwohl. Menschen werden dann nicht mehr als habgierige Mängelwesen betrachtet, die wie der homo oeconomicus als isolierte Monade handeln (Herrmann 2016).
Die Betonung des Telos der subjektiven Freiheit des Individuums unterstützt freilich die Vorstellung vom habgierigen Mängelwesen – entsprechend wird von Seibert zu dem „Geschichtszeichen“ von 1789 meist nur Freiheit und Gleichheit zitiert, selten (nur am Rande) Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit (S. 264, 341, s.o.).
Zu der Parole von Belem gehören Gedanken der Gemeinwohlökonomie und die von Seibert erwähnten lateinamerikanischen Verfassungen, vielleicht auch die synkretistischen Maria- und Gaia-Spiritualitäten, ebenso afrikanische oder asiatische Spiritualität (auch Ujamaa in Tansania, S. 406) in der existenzökologischen Bewegung, die auf das „Ganze des Chaosmos“ gerichtet ist (S. 408). Gemeinwohl, Common Wealth und Gemeinnutzen werden auch bei Streiks um das Grundrecht auf Wasser zum Thema (S. 278/9). Es sind „Ereignisse“, die abstrakt gewichtet werden als Verdichtungen und die „zum Stiftungsakt eines ‚Wahrheitssubjekts‘, das als solches ein Subjekt einer ‚Wahrheitsprozedur‘ oder ‚Wahrheitssequenz‘ ist.“ (S. 280, auch bezogen auf Badiou/Žižek). Alle sind wie mir scheint, nicht kompatibel mit dem entfesselten Kapitalismus des 21. Jahrhunderts.
Möglich ist die „Wiederverzauberung aus Freiheit“ (S. 239). Bei der Ökologie der Psyche, des Sozialen, der Umwelt und „im Verweis auf die Aufhebung des ‚Eisernen Vorhangs‘ zwischen Materie und Geist“ (Seibert S. 237) geht es um Grundfragen: Das Wahre ist das Ganze – und umgekehrt.
Es gibt den „Wahrheitsprozess der Liebe“ (S. 281). Häufig ist von der existenziellen Bedeutung der Liebe (als mindestens Zweisamkeit) die Rede, aber das vereinzelte Subjekt steht dennoch wie in der Orthodoxie der Ökonomie-Theorie im Vordergrund. Arbeit und Lust können miteinander einhergehen, auch Arbeit und Wunsch, oder Politik der Lüste (S. 211). In den Kämpfen um Subjektivität (S. 221 – nicht denen um Solidarität oder Brüderlichkeit!) entsteht die „Ästhetik der Existenz“.
Von einer „Ästhetik der Subsistenz“ wird schon lange gesprochen (Kramer 2016 S. 69). Für sie gilt, dass Selbstbegrenzung und „Leben in der Fülle“ miteinander kombinierbar sind. Formen des exzessiven Genusses im Konsum und im Umgang mit (Lebens-)Zeit und (Lebens-)Kraft werden in allen Gesellschaften als Bestandteil der Lebensqualität empfunden. Seibert nennt mit Hinweis auf Nietzsche die Verheißung des Lebens und den Fluch auf das Leben in der tragische Lebensbejahung: Dionysos und der Gekreuzigte gehören zum Schicksal der Menschheit (Seibert S. 233). Wenn eine Gesellschaft selbstzweckhaftem Genuss als Artikulation und Bestätigung von (immer relativ zu sehendem) Reichtum keinen Raum lässt, dann produziert sie bei ihren Mitgliedern Frustrationen und Aggressionen - und dies umso mehr, je mehr die Menschen das Gefühl haben, dass solche Reichtümer existieren.
Mit den Exzessen des „Lebens in der Fülle“ muss ebenso wie mit symbolischen Gebrauchswerten, die der Ästhetik oder der Unterscheidung von anderen wegen gewählt werden, die Lebenswelt nicht zerstört werden. Es gehört im Gegenteil gerade zur Qualität überlebens- und zukunftsfähiger Gesellschaften, dass sie beides, den Exzess und die Stabilität, gewährleisten können: Kulturell strukturierter exzessiver Konsum in Fest und Feier ist eher ein Garant der Nachhaltigkeit als aufgezwungene Askese, aus der viele immer wieder ausbrechen. Der gelegentliche Exzess lässt Suffizienz besser ertragen und sichert so auf der emotionalen Ebene Elastizität. Das zeigt sich auch im Umgang mit Drogen (s.o.). So kann auch die von Hermann Bausinger thematisierte Bändigung des Strebens nach Genuss möglich werden.
Andere Strategien sind damit kompatibel. Nicht überholte Anregungen zur sozialökologischen Transformation hat Gregor Gysi 1999 geliefert. Seine „Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus“ formulieren: „Die Verbindung von ökologischem Umbau, Modernisierung der Arbeitsgesellschaft und Begründung einer vielgestaltigen und reichhaltigen Lebensweise könnte einen nachhaltigen Entwicklungstyp schaffen, der die Schranken des fordistischen Kapitalismus überwindet, umweltverträglich wird und die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine freiere Entwicklung aller ermöglicht.“ Er solle den „sozial gebändigten Kapitalismus der Nachkriegszeit“ ablösen. Es heißt weiter: „Eine moderne Arbeitsgesellschaft muß auch eine neue Verbindung von Erwerbsarbeit und schöpferischer gemeinschaftlicher und individueller Eigenarbeit ermöglichen. Die Erschließung reichhaltiger und sinnerfüllter Felder für Gemeinschafts- und Eigenarbeit kann bei der ökologischen Umgestaltung der Lebenswelt beginnen, muß die Rückgewinnung der Gestaltungshoheit über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten der Kommunen und Regionen umfassen und wird in die Entwicklung einer Vielzahl sozialer und kultureller Projekte münden.“ (Gysi 1999; s. auch Kramer 2003)
Im Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ wird betont, dass beim Bürgerschaftlichen Engagement „Gemeinwohlorientierung, Geselligkeitsorientierung und Interessenorientierung“ eine nicht auflösbare Gemengelage bilden (Enquete-Kommission 1999; Schlussbericht 2013: S. 350). Das gilt auch und gerade, wenn dieses Engagement nicht nur Lücken der Staatstätigkeit ausgleichen soll, sondern die eigenen Ziele der Akteure thematisiert.
Drei Dimensionen des Alltagslebens, in denen die mit anderen geteilten sozialregulativen Standards des guten und richtigen Lebens (s. o.) gelten, sind es vor allem, bei denen nicht nur sozialpsychologische, soziologische, ökonomische oder politologische Dimensionen durch kulturwissenschaftliche Überlegungen ergänzt werden können: Lebensqualität, Zukunftsorientierung und Selbstbegrenzung (Suffizienz) im Alltag.
Zur Lebensqualität: Im Alltag suchen die Menschen in ihren sozialen Zusammenhängen von Familie, Nachbarschaft, Freundschaft, Arbeitsplatz ihre Vorstellungen von Lebensqualität zu realisieren. Dazu gehört auch der Wunsch nach Zeitsouveränität und freier Zeit, nach Selbstverwirklichung, nach „Neuem Luxus“ usf. Ihm können Einkommen, Arbeitsplätze, Gerechtigkeit, Umweltqualität beigeordnet werden. Aber für keine politische Bewegung oder ökonomische Theorie steht derzeit Lebensqualität im Zentrum.
Zur Zukunftsorientierung: Ohne viel nachzudenken bringen die Individuen diese Dimension in ihr Handeln ein. Ihre eigene Zukunft soll überschaubar und sicher sein. Selbst wenn man in der Wohlstandsgesellschaft nicht unbedingt meint, den eigenen Kinder soll es „noch besser“ gehen, so sollen sie es doch nicht schlechter haben; vor allem eine Zukunft sollen sie haben. Auch diese Orientierungen gehören zum Alltag, und sie beeinflussen das Handeln der Menschen.
Suffizienz (Selbstbegrenzung) ist in den Diskussionen der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensweise (Schlussbericht 2013) ein wichtiges Thema. „Genug haben“ steht in einem Spannungsverhältnis zum ständig geforderten Wachstum. Im Alltag praktizieren die Menschen notwendigerweise freiwillig und mit guten Gefühlen ständig Selbstbegrenzung (junge Menschen verständlicherweise am wenigsten, und dafür haben sie in allen Gesellschaften Freiräume ), sonst würden sie immer wieder scheitern. Wenn man daran erinnert, werden Einschränkungen im Zusammenhang mit sozialökologischer Transformation nachvollziehbar und akzeptabel.
Die vergemeinschafteten Individuen müssen sich mit ihren Wünsche nach Lebensqualität nicht nur in der Programmatik der alltäglichen Politik, sondern auch beim sozialökologischen Wandel wiederfinden können, und die Politik muss von diesen Wünschen angetrieben werden.
Jenseits aller spekulativen Vertröstungen auf Freiheit oder Sozialismus sind das die Alltags-Lebenswelten der „Bloom“, der einfachen Menschen bei James Joyce, von denen der von Seibert prominent zitierte anarchistische Text Tiqqun spricht (s.u.), und die bei Honneth und Seibert eine Rolle spielen. Gutes Leben auch mit weniger Aufwand vorstellbar werden lassen (Seibert 406) ist nicht unmöglich – frühere und zeitgenössische Gesellschaften ohne entfesselte Marktwirtschaft haben es in der Verbindung von Suffizienz im Alltag und gelegentlichem temporären Exzess in ihren Konsumwelten auch geschafft (Kramer 2016). Die kulturwissenschaftliche Perspektive erinnert daran. Es geht nicht um das Überleben der Gattung (in der „flach-ökologischen oder gar sozio- biologischen“ Auseinandersetzung, sondern um „das Gute Leben der Existierenden“ (bezogen auf Plato und andere) (Seibert 407).

12. Molekulare und mikropolitische Aspekte
Seibert schreibt: „Für den Mai 68 realisiert sie deshalb, was Hegel von allen weltgeschichtlichen Umbrüchen sagt: ‚Den großen in die Augen fallenden Revolutionen muss vorher eine stille, geheime Revolution im Geist des Zeitalters vorangegangen sein, die nicht jedem Auge sichtbar, am wenigsten für die Zeitgenossen beobachtbar und ebenso schwer mit Worten darzustellen als aufzufassen ist.‘“ (Seibert S. 170) Das erinnert daran, wie Adalbert Stifter in der Vorrede zu den Bunten Steinen mit dem „Sanften Gesetz“ die alltäglichen Wirkfaktoren des Lebens als allgemeinen Prozess ohne Teleologie beschreibt.
Dieter Klein, bei Seibert nicht erwähnt, entwickelt die Idee von den „molekularen Wandlungen“ und erinnert daran, dass im Schoße des Bestehenden von innen heraus bewusst und unbewusst die Zerrüttung der Selbstverständlichkeiten der Hegemonie betrieben wird.
Manche, ja viele „molekulare Experimente“ wie Carsharing, Tauschbörsen, Direktverkauf (Grewe, s. Rez. in Kulturation) als Bestandteile der „stillen, geheimen Revolution“ werden marktwirtschaftlich absorbiert, ebenso wie mikropolitische Fluchten (S. 134, S.194), Molarität und Molekularität (S. 195, S. 342) und Spurenelemente (S.422). Aber sie wirken dennoch, weil sie manche Selbstverständlichkeiten der Konsumgesellschaft relativieren. „Minder-Werden, Flucht und molekulare Mikropolitiken“ sind der Kern der „Reformation“ bei Foucault (S. 219) und bei den „Neuen Sozialen Bewegungen“.
Ansätze für eine nachhaltige sozialökologische und solidarische Lebensweise können „unspektakulär“ entstehen „und darin bestehen, sich den heutigen Lebens- und Konsumnormen zu entziehen“ (Brand/Wissen 177), die Selbstverständlichkeiten der Wachstums- und Marktgesellschaft zu vermeiden, „andere Logiken sozial-ökologischer Reproduktion“ zu erkunden und etwa auch über Suffizienz nachzudenken sowie „Schutz vor Marktabhängigkeiten“ (ebd. S. 179) zu sichern.
Hinweise auf „über sich selbst hinaustreibende Reformen“, in der Diskussion um Reform und Revolution seit Marx und Engels präsent, haben hier ihren Platz. Demokratische Verfahren zu entwickeln, bei denen Lebensqualität und Nachhaltigkeit in zielführenden Rückkoppelungsschleifen (sich selbst fortsetzenden Prozessen) miteinander gekoppelt sind, wäre eine jener „sozialen“ oder „sozialkulturellen“ Innovationen, wie sie derzeit vermutlich wichtiger sind als manche „Start ups“ mit neuen Gewinn und Umsatz versprechenden Innovationen. Die Lokaldemokratie, die von Dieter Hoffmann-Axthelm vorgeschlagen wurde (s. Rez. in Kulturation), gehört dazu, ebenso können manche Ideen zur Reform des Genossenschaftswesens (etwa in Österreich, s. Kramer 2016) so etwas sein.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die „Gemeinwohlökonomie“ (GWÖ). Die Berliner Kulturwissenschaftlerin Cornelia Kühn hat in einem Referat bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde 2017 erläutert: „Zentrale Aufgabe der GWÖ ist es statt einer Profitmaximierung als Ziel von Unternehmen, Institutionen aber auch Einzelpersonen eine Gemeinwohlorientierung im Wertesystem der Bürger, in der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft zu etablieren.“ Christian Felber vertritt seit Jahren dieses Modell. „Das Konzept des Homo Oeconomicus … soll abgelöst werden durch ein Konzept des kooperierenden Miteinanders mit dem Ziel des größtmöglichen Gemeinwohls. Damit, so sagt Felber, soll der Werte-Widerspruch zwischen Wirtschaft und Gesellschaft aufgelöst werden und in der Wirtschaft dieselben Werte gelten wie in zwischenmenschlichen Beziehungen, also Vertrauen, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen.“ (Kühn).
Christian Felber will darauf hinarbeite durch die „Bewusstmachung der amoralischen und asozialen Form des aktuellen Wirtschaftens“ (Kühn), aber auch durch eine „Verfassungsänderung, die die rechtlichen Rahmenbedingungen so ändert, dass der Anreiz – durch eine veränderte Besteuerung der Unternehmen – eben nicht Gewinnstreben bzw. Profitmaximierung, sondern Gemeinwohlstreben/ Gemeinwohlmaximierung ist.“ (Kühn)
Die Gemeinwohlbilanzen, die in diesem Kontext auf individueller, lokaler und regionaler Ebene erstellt werden können, bewerten alles „von den Zuliefererfirmen, über den Finanzdienstleister …, bis hin zur Partizipation der Mitarbeiter*innen, die Bezahlung und die Arbeitszeit der im Unternehmen Beschäftigten und natürlich die Bewertung der Produkte oder Dienstleistungen, die das Unternehmen produziert. Diese Bilanzierung kann – und das ist das zweite Beispiel für die politische Ebene – auch von Gemeinden durchgeführt werden – mit einer etwas veränderten GWÖ-Matrix. Dabei wird z.B. gefragt, inwieweit durch die Gemeinde ökologisch arbeitende und lokal ansässige Unternehmen gefördert werden … Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) in Brüssel hat die Gemeinwohl-Ökonomie und ihre Potentiale als richtungsweisend mit einem sehr positiven Abstimmungsergebnis anerkannt. … 204 Unternehmen haben derzeit eine GWÖ-Bilanz erstellt, u.a. auch die taz-die Tageszeitung, die Sparda-Bank München oder die Fachhochschule Burgenland in Österreich.“ (Kühn) Auf diese Weise werden marktkonforme Anreize für entsprechende Strukturen geschaffen werden, mit denen sozialökologischer Wandel eingeleitet werden kann.
Der Weg dorthin ist derzeit, das zeigen Beispiele wie die Auseinandersetzung um das nicht zuletzt auch für das Insektensterben verantwortliche Glyphosat in Deutschland und der EU (Maurin 2017) oder die südtiroler Initiative „Pestizidfreies Mals“ (Schiebel, s. Rez. in Kulturation) außerordentlich schwer. Die Spielräume sind verdammt eng, aber sie nicht auszunutzen und wider alle Vernunftbedenken auszuweiten versuchen, das wäre sträflich.
In solche Ebenen der Praxis begibt sich Seibert nicht. Seine Überlegungen bleiben auf der Ebene der Theorie-Diskussion.

13. Anarchie und Radikalität
In der „Kommunismus-Debatte“ zum Ende der 1990er Jahre meldet sich das „Kollektiv Tiqqun“ zu Wort (Seibert S. 353 u.v.a.). Es plädiert für einen radikalen „kommender Aufstand“ anarchistischer Prägung gegen jede wirtschaftliche und politische Unterwerfung, radikal wie Foucault, der nach dem Mai 68 schreibt: „Die Gesamtgesellschaft ist dasjenige, dem nur insoweit Rechnung zu tragen ist, als es zerstört werden soll.“ (zit. Seibert S. 349).
Es ist ein Radikalismus in der Tradition der „Situationalistischen Internationale (SI) (S. 148,S. 162/163) die, den Surrealismus beerbend, auf die „Verwirklichung des totalen Menschen“, auf die „freie Konstruktion des alltäglichen Lebens“ (S. 165) zielt. Als eine von vielen Möglichkeiten werden solche exaltierten Gedanken immer wieder aufgegriffen. Nur in Nischen lebend (wie Christiania in Kopenhagen, das es längst aufgeben musste, ein rechtsfreier Raum zu sein, oder wie die Rote Flora in Hamburg) gehören sie wie der TUNIX-Kongress von 1978 in Berlin (an den 2018 anlässlich des Jubiläums erinnert wird) zu dem Erbe der Bohème und des Mai 1968.
Die SI greift die „existenzökologische Dialektik von Sozialkritik (Arbeiter*innenbewegung) und Künstler*innenkritik (moderne Kunst und Poesie)“ auf (S. 165). Der SI kann man das Gespür für Spektakel bescheinigen. Mit Bluff und Scherz tritt sie mit ihren organisationspolitischen Assoziationen auf. Da wird dann auch der Serien-Ausbrecher Jacques Mesrine (S. 175) zum Helden. Erbe und Tradition der Bohème scheinen bei allem hindurch.
Solche Radikalität ist leichtfüßig und in manchen Phasen und Situationen des Lebens für manche attraktiv, es ist das „Pathos einer Öffnung der Existenz in die Chaosmose“ (S. 232). Aber das ist nicht weiterführend.
Sozial- und Künstler*innenkritik (Seibert S. 171, 174) – zeitweise mit dem Vorrang letzterer , aber auch zusammengehend (aber man denke an den Slogan der Frauenbewegung der 1970er Jahre „Wir wollen Brot und Rosen“), oft aber stark getrennt voneinander (S. 175) haben hier ihren Platz.
Die Spannung „Reform-Revolution“ wird in Richtung auf Reformation domestiziert (S. 266/267) Ansatzweise entwickelt Marx 1871 in der „Amsterdamer Rede“ die Möglichkeit der friedlichen Transformation der Gesellschaft mit den Mitteln der Demokratie (s. Kramer 1971, S. 155). In der Gegenwart kommt der verbindenden Partei, der „Bewegungspartei“ (Porcaro) die Aufgabe zu, die Kräfte für eine sozialökologische Transformation zu bündeln (S. 394/5) – aber wo ist sie?

14. Religion
Über Materie und Geist (Fn. 19 S. 230, 237) denkt Seibert im Zusammenhang mit Ökosophie spekulativ mit Heidegger (der als „Arschloch“ bezeichnet wird, S. 122) nach. Die Verbindung von Autonomie und Authentizität ist Kennzeichen des „guten Lebens“ (s.o.), an das Sokrates beim Leeren des Giftbechers erinnert (S. 354). Religiöse Grenzerfahrungen (S. 361, 360) und „Existenzialer Solipsismus“ sowie Mystik (S. 360) sind weitere Stichworte. Die Möglichkeit, sich zu verlieren, werden angesprochen (S. 363), ebenso der Todestrieb und die Ekstase (S. 355, 360).
Auf eine erstaunliche Weise wird Religion bei Seibert gewichtet. Er beobachtet in den 1990er Jahren eine „nicht mehr zu übergehende Rückkehr der Religion, von der sich Habermas zu einer Neubestimmung der ‚vorpolitischen Grundlagen der Demokratie‘ herausgefordert sieht.“ (S. 311)
Das erste von mehreren Motti, die Seibert seiner Arbeit voranstellt, ist die eschatologische Versprechung des Briefes an die Hebräer 13.14: „Wir haben keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Ursprünglich und lange Zeit wurde dieser Brief Paulus zugeschrieben, dem leibfeindlichsten der frühen Apostel. Es ist von Seibert ein ins Religiöse übertragener Hinweis auf die bezüglich des Telos der Verwirklichung von Freiheit unvollendete Geschichte.
Dieses Motto korrespondiert mit der Wertung der Religion am Schluss des Buches. Dort lesen wir, nur in einer Fußnote, aber prominent hervorgehoben: „Wer verkennt, dass unsere Gesellschaften von einer Wiederkehr des Problems des Religiösen bestimmt werden, für das der westlich-liberale Atheismus keine Lösung bereithält, der oder die wird den Kampf gegen den Fundamentalismus ebenso verlieren wie den Kampf gegen das kybernetische System der Technik. Wer sich weder von dem einen noch von dem anderen opfern lassen will, wird einen Glauben brauchen, der zugleich postreligiös und postsäkular ist, weil ihm die Umwelt größer und weiter als alles bloß Gesellschaftliche ist“ (Seibert Fn.s. 40 424/425; s. auch Religion und , Transzendenz S. 57) Darüber mag spotten wer will, aber wer hat schon den endlich-unendlichen Kosmos begriffen?
Auch damit wird auf kulturelle Faktoren als handlungsleitenden und geschichtswirksamen Standards hingewiesen. Glauben ist im Unterschied zur (text-und objektivitätsorientierten Gläubigkeit) „eine Praxis … der Treue einer Existierenden zu dem, was sie denkt, der Treue zu dem, was sie als Wahrheit denkt.“ (Seibert S. 390). Damit wird Wahrheit zur Haltung der Person und so ent-objektiviert. „Es ist der Akt, in dem die Denkende ihr Denken als ein Denken der Wahrheit aktiviert, in dem sie, wie die Alltagssprache sagt, ihren Worten Taten folgen lässt.“ Und: „Christlich gesprochen: Fest im Glauben ist nicht, wer die biblische Erzählung ungeprüft hinnimmt (Gläubigkeit, Aberglaube), sondern wer christlich lebt und sich selbst in die Nachfolge Christi stellt.“ (Seibert S. 390)
Auf eindrucksvolle Weise trifft sich das für mich mit Denken und Leben des Protestanten Martin Niemöller (Lippstadt 1892 bis Wiesbaden 1984; Heymel 2017), der neben Albert Schweitzer mich in meiner Jugend mit seinem Pazifismus in der Zeit der westdeutschen Wiederbewaffnung und der Diskussion um die atomare Bewaffnung der neuen Bundeswehr beeindruckt hat. „Was würde Jesus dazu sagen“, diese Frage begleitete Niemöller von Jugend an. Er ist beerdigt auf dem Dorffriedhof in Wersen/Westfalen, weil er die in Berlin-Dahlem für ihn vorgesehene Grabstätte für Rudi Dutschke zur Verfügung gestellt hat. Auf seinem Grab steht: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ (Heymel S. 275, s. auch S. 264).

15. Das Unvollendete Projekt der Moderne
Seibert präsentiert uns ein idealtypisches Modell (375), eine formale, keine auf Empirie gestützte Analyse. Bei dem „unvollendete Projekt der Moderne“ (Kapitel 6, S. 297) wird an die Frankfurter Schule, das Institut für Sozialforschung, Hans-Jürgen Krahl, Axel Honneth, die negative Dialektik von Adorno und die allgemeine Revolte gegen Gesellschaft erinnert (S. 299, S. 301). Von „Moderne“ als unvollendetem Projekt zu sprechen halte ich für einen allzu bequemen Ausweg aus der Krise dieser Moderne. Sie dann in einer „zweiten Moderne“ oder einer „Modernisierung der Moderne“ fortzuschreiben bedeutet wieder einmal auf eine offene Zukunft zu hoffen, in der alles sich zum Besten wenden wird. Interessanter wäre es, sich von dem wertbeladenen Begriff „Moderne“ ganz zu verabschieden und sie nur noch als mehr oder weniger abgeschlossene Etappe zu betrachten (wie in der Bildenden Kunst). Statt dessen wäre ergebnisoffen über die Konsequenzen aus der fundamentalen Krise dieser „Moderne“ nachzudenken.
Seibert zitiert die Hoffnung von Habermas, dass die „unvermeidliche ‚gesellschaftliche Modernisierung in andere, nichtkapitalistische Bahnen gelenkt werden kann‘“ (zit. Seibert S. 308). Ist diese „Modernisierung“ unvermeidlich, oder muss sie gezähmt, vielleicht gar überwunden werden (sofern sie nicht durch Krisen, auf die man sich vorbereiten müsste, sich selbst „zähmt“ oder zerstört)?
Es gibt fatale „Geburtsfehler des sozialistischen Projekts“ (Seibert S. 343). Man kann auch nicht mehr von Klasse, sondern muss von differenzierter Gesellschaft (Seibert S. 345) in der Lebensform der Demokratie reden. Sie wird auch von Honneth (zit. S. 310) besonders wichtig genommen. Wolfgang Abendroth hat uns im Marburger SDS klargemacht, dass wir als Linke den demokratischen sozialen Rechtsstaat und damit „die Verfassung, d.h. das Grundgesetz zu verteidigen“ haben (Hecker S. 190).
Anarchismus, Sozialismus, Kommunismus sind für Seibert Weisen der Subjektivierung des Verhältnisses der Freiheiten und des Politischen; es sind drei Wege „die Krise der Geschichte aus dem Gesichtspunkt der Freiheit auszutragen und – vielleicht – zu überwinden.“ (374) Sie müssen ihr „Verhältnis bestimmen, dass sie zum Problem der freiwilligen Knechtschaft und damit zur Krise der Geschichte einnehmen.“ (S. 375) Man kann zuspitzen: „Radikal gefasst heißt das: Gesellschaft selbst ist in sich nur insoweit Freiheit, als sie zugleich notwendig freiwillige Knechtschaft ist.“ (Seibert S. 375), ähnlich schreibt Foucault nach dem Mai 68: „Die Gesamtgesellschaft ist dasjenige, dem nur insoweit Rechnung zu tragen ist, als es zerstört werden soll.“ (zit. Seibert S. 349).
Anarchismus revoltiert gegen alle und jede Ordnung (S. 376, 381), für ihn ist Gesellschaft freiwillige Knechtschaft (S. 375).
Sozialismus bedeutet Resignation und Reform, er ist sozialdemokratisch geprägt von der Demut der Reformation (S. 381).
Kommunismus bedeutet Resignation und Revolution (S. 386).
Ein exponiert als Bezug genutzter Text des anarchistisch-libertären Kollektivs Tiqqun prophezeit den „kommenden Aufstand“ (288) der globalen Mittelklasse: Dieser Text und in anderer Weise Axel Honneth beziehen sich auf die „mediokre Existenz der durchschnittlichen Alltäglichkeit“ (S. 321). Tiqqun und Honneth sind einander entgegen gesetzte Außenposten des Erbes des Mai 1968 (S. 323). Für den Fortgang der Geschichte werden die „Lebenswelt der Mittelklassen des globalen Nordens bzw. Westens“, der „Blooms“ (nach Joyce und seinem „Ulysses“ so genannt) und die „Mediokrität der individualisierten Massen der Moderne“ (S. 309) mit der „Phänomenologie des durchschnittlichen Alltagslebens“ (S. 321) wichtig. Deren Existenz und Potenzial wird von Honneth ebenso wie von Tiqqun – von jedem auf seine Weise – ernst genommen, und sie werden zu möglichen Akteuren des Wandels (S. 309, S. 310). Andere, die Bevölkerungen des Süden, spielen bei Seibert keine eigene Rolle, auch nicht das aufstrebende China, das sich anschickt, den früh industrialisierten Regionen die Regeln vorzuschreiben.
Mit Gramsci und seiner Aufwertung der Philosophie des Alltags (sie wird an andrer Stelle erwähnt, S. 265-269) ließe sich auch ganz anders argumentieren. Statt von „Mediokrität“ würde man dann möglicherweise von der „Philosophie des Alltags“ oder von „Lokalem Wissen“ sprechen. Dazu müsste man die Position des elitären Kosmopolitismus verlassen und statt dessen die Zweifel an der Avantgarde (S. 310) ernst nehmen und die damit eröffneten Spielräume stärker nutzen. Das wäre auch als Einrede gegen Didier Eribon und das von ihm unterstellte „statistische Schicksal“ nützlich (Eribon: Gesellschaft als Urteil. Berlin 2017).
„Während Honneth in seinem Bezug auf die Bloom ganz auf die Alltäglichkeit, deshalb auf Institution und Habitus und folglich auf die Sittlichkeit setzt, hofft Tiqqun umgekehrt auf die durch nichts erwiesene, doch gerade deshalb auch nicht auszuschließende Bereitschaft der Bloom, die Außeralltäglichkeit des Akts und deshalb den kommenden Aufstand zur eigenen Sache zu machen.“ (S. 321) Tiqqun und Honneth sind für Seibert so Außenposten des Erbes des Mai 1968, freilich von einander entgegengesetzten Seiten (S. 323).
Honneth will Spielräume „knapp über dem Horizont“ suchen, die bei „realistischer Berücksichtigung aller Umstände erwartbar sind“ (S. 321) In der „Sogwirkung der globalen Mittelklassen“ liegt für Seibert eine „strategische Bedeutung weltweit aller Befreiungskämpfe, auch und gerade der Kämpfe, die im globalen Süden geführt werden“ (S. 328) – auch im „Widerstand gegen den westlichen Freiheitfortschritt“ (S. 328). Der wird aber doch gerade in der „Imperialen Lebensweise“ aufgesaugt. Da müsste man dieses Verhältnis als Teil „Zweideutigkeit des Kapitalverhältnisses als eines Verhältnisses zugleich der Beherrschung und Ausbeutung wie der Befreiung“ sehr deutlich und kritisch sehen (S. 329) – wo und wie wird es zur Befreiung? Auch der millionenfach gewagte „Kampf um die Ankunft im Städtischen“ (S. 330) gehört in seiner Ambivalenz dazu – ist er etwas anderes als die Folge der Zerstörung der ländlichen Suffizienzwirtschaften und der Sogwirkung der affirmierten lebensweltzerstörenden urbanen imperialen Lebensweise? Und sind da nicht ganz andere Strategien nötig, die Aufwertung der der Subsistenzökonomien und ein anderer Umgang mit Bevölkerungswachstum eingeschlossen?
Das neue historische Subjekt ist die Multitude (S. 387). Proletariat und Multitude sind die „Wahrheit und also Wirklichkeit der letzten aller Klassen“. Das ist eine Interpretationen, die, wenn sie massenhaft übernommen wird, die Wirklichkeit beeinflussen kann (wie die ökonomischen Theorien, s. Herrmann), aber sie ist wie jede Theorie kein direktes Abbild, keine Verdoppelung von ihr, so dass man permanent auf Überraschungen gefasst sein muss.
„Auf jeder Stufe der untersuchten Freiheitsfortschritte überwiegen die ‚Pathologien‘ und ‚Fehlentwicklungen‘ die obendrein deutlich begrenzten Potenziale der Freiheit.“ (Seibert S. 334) Aus dieser Einsicht wären Konsequenzen zu ziehen. Die „Fehlentwicklungen“ scheinen mir so dominant, dass ich meine, nur die Abkehr von dem teleologischen Denkmodell, das den Kapitalismus als Vorstufe zum Sozialismus sieht, gibt erst die Chance, Pfade einzuschlagen, wie auch Seibert sie empfiehlt:
„Strategisch aber können soziale und Demokratiefragen gleich welcher Art und Dimension nur noch beantwortet werden, wenn sie als Fragen des Übergangs in eine globale Postwachstumsgesellschaft gestellt werden. Alles andere ist ‚Klassenpolitik‘ im elendsten Sinne des Wortes, d.h. in einem Sinn, der bourgeoise und proletarische Positionen nicht einmal mehr durch einen Millimeterspalt trennt.“ (S. 405)
Das ist sehr schön formuliert, aber wie schlägt sich das in politischer Programmatik nieder? In den Wahlkämpfen der Parteien wurde 2017 nicht einmal ansatzweise nach Spielräumen und Pfaden für die Einleitung einer ‚sozialökologischen Transformation‘ gefragt, auch nicht bei der Linken. Solange mir noch keiner einen Weg gezeigt hat, wie man trotz der Sogwirkung der „imperialen Lebensweisen“ (S. 339) eine „sozialökologische Transformation“ oder einen „Sozialökologischen Wandel“ auf den Weg bringen kann, gibt es für mich auch keine Legitimation für „grünes Wachstum“.
Regenbogenallianz, Grenzen des Wachstums, Postwachstum, Anti- oder Post-Extraktivismus sind aktuelle Themen. Green New Deal (S. 405) als „neue Orthodoxie“ (Brand/Wissen) und ähnliche Formen der oberflächlichen Anerkennung der Grenzen des Wachstums (Seibert S. 403), die 1972 vom Club of Rome noch für 50 Jahre hinausgeschoben werden sollten, reichen fünfzig Jahre später nicht aus.
„Der alles entscheidende Punkt“ (hier find ich das ausnahmsweise angemessen) „der Differenz von immer partikularen, weil den anderen entzogenem Eigentum und universellem, weil allen offen stehendem Gebrauch liegt in ihrer ethischen Übersetzung in die Differenz eines korrumpierten und eines generativen Existierens. Ihr turning point ist die Einsicht, dass uns auch und gerade die Existenz nur zum Gebrauch und nicht zum Eigentum gegeben wurde.“ (Seibert S. 424). Hans Christoph Binswanger und seine Interpretation von Goethes Faust mit der Betonung des Unterschieds von Patrimonium und Dominium gehören in diesen Zusammenhang. „Wege aus der Wachstumsfalle“ sind am ehesten zu finden mit Gemeinnutzen, Selbstorganisation und Commons, die nicht wie die kapitalistische Wirtschaft ständig wachsen müssen und bei denen Suffizienz (Selbstbegrenzung) eine Rolle spielt (schon 1993 konnte darauf hingewiesen werden, Kramer 1993 und 2016). Organisierte und geregelte Gemeinnutzen in der politikfähigen Form, wie sie Elinor Ostrom aufgewertet hat (Commons als „Gemeinsames“) werden bei Seibert nur einmal erwähnt (S. 402). Die genannten Formen von Gemeinwohlökonomie gehören ebenso dazu wie neue Formen der Partizipation in der Krise der Demokratie wie Dieter Hoffmann-Axthelm (s. meinen Text in Kulturation) sie vorgeschlagen hat. Der Hinweis auf die kommunale Demokratie (Seibert S. 401) weckt Erinnerung an den Munizipalsozialismus der Jahrzehnte vor 1933. Die vielen Basisaktivitäten sind als Bestandteil der molekularen Wandlungen der Nährboden, auf dem jene Formen wachsen, mit denen die Selbstverständlichkeiten der Markt-und Wachstumsgesellschaft relativiert werden (Brand/Wissen S. 177).
Da werden dann auch die selbstorganisierten Kommunen, ja sogar die Klöster wichtig. Bei Seibert wird zitiert, dass Agamben als Vorbild für ökologisches Denken und Verhalten die Franziskaner nennt (S. 423/4; zur Spiritualität S. 409/410). So wird auch Papst Franziskus zum Anreger.
Die Einleitung von konkreten Pfaden der Vorbereitung einer sozialökologischen Transformation ist außerordentlich schwierig. Die Grünen haben mehrmals herbe Misserfolge mit im Prinzip sinnvollen Forderungen kassiert. Aktuelle Gewohnheiten und Standards müssen sich in entsprechenden Programmatiken wiederfinden können. Wichtig sind phantasieanregende und nachvollziehbare positive Vorschläge, die mehr sind als grüner Kapitalismus. Die Ermutigung und Begünstigung von Suchbewegungen zu Lebensqualität wie einst bei den „Zeitpionieren“, ferner die genannte Gemeinwohlökonomie und die Gemeinwohlbilanzen, kommunale Selbstverpflichtungen, neue Genossenschaften und Ähnliches sind realistisch. Nicht Appelle an alle oder an den Staat, auch nicht Verbotslisten, sondern attraktive, die Lebensqualität ins Zentrum stellende Aufforderungen und Beispiele empfehlen sich. Die Frauen der südtiroler Bewegung „Pestizidfreies Mals“ übten eine interessante Form der Zensur. Sie haben sich verpflichtet, für ihre Transparente nur positive Aussagen zu nehmen: „Weil wir auf keinen Fall aggressiv auftreten wollten …Wir wollten eine positive Botschaft aussenden. Wir wollten sagen, was wir wollen. Nicht, was wir nicht wollen.“ (Schiebel 87) Und sie haben (in einer wichtigen Etappe) so zum Sieg beigetragen.
In der gesellschaftlichen Entwicklung gibt es immer wieder Weichenstellungen, Weggabelungen und Spielräume. Wenn man die Bürger für eine Politik der sozialökologischen Transformation gewinnen will und nicht an ein gewaltförmiges „Transformationsregime“ oder eine „Ökodiktatur“ denkt, dann muss man Verständnis für die Motive der Alltagsakteure entwickeln. Dazu gehört es, ihre Standards des guten und richtigen Lebens, damit ihre Maßstäbe für Lebensqualität, ihre inhärenten, unverzichtbaren Suffizienzstrategien und ihre Zukunftswünsche oder –ängste zu kennen, so die Selbstverständlichkeiten der Wachstums- und Marktgesellschaft zu überwinden, „andere Logiken sozial-ökologischer Reproduktion“ (Brand/Wissen 177) zu erkunden.
1972 hat in der Zeit eines (noch) geöffneten Fensters der Reform der Entwurf eines gemeinsamen Regierungsprogramms der Sozialisten und Kommunisten in Frankreich einige immer noch interessante programmatische Ideen entwickelt (Hrsg. und eingeleitet von Werner Goldschmidt. Köln: Pahl Rugenstein 1972 [Hefte zu politischen Gegenwartsfragen 4]).
Philosophisches Denken wie das von Seibert liefer eine Menge von Anregungen für Überlegungen zur sozialökologischen Transformation, auch weil es so Vieles einbezieht. Wenn ich all das verarbeitet habe, was mir Seibert, Eribon, Lessenich, Brand und Wissen in der letzten Zeit aufgegeben habe, und wenn ich manches wenig praxistaugliche Gerede von Soziologen, Verhaltensforschern und Gruppenpsychologen zur Politik gehört habe, dann möchte ich ein ganz schlichtes politisches Handlungs-Programm, bei dem das Alltagsleben der Menschen im Vordergrund steht und in dem sie sich wiederfinden können.

Zitierte Literatur:
Adorno, Theodor W. (1980): Kultur und Verwaltung. In: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften 8 (Soziologische Schriften 1). 2. Aufl. Frankfurt am Main 1980, S. 122- 146.
Bauer, Wolfgang: China und die Hoffnung auf Glück. München: Hanser 1971.
Binswanger, Hans Christoph: Geld und Magie. Eine ökonomische Deutung von Goethes Faust. 2. vollständig überarbeitete Ausgabe, 5. Aufl. Hamburg: Murmann Verl. 2010.
Bitzegeio, Ursula: Mittag, Jürgen; Winterberg, Lars: Der politische Mensch. Akteure gesellschaftlicher Partizipation im Übergang zum 21. Jahrhundert. Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2015, 133.
Brand, Ulrich; Wissen, Markus: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom 2017.
Conrad, Sebastian: Die Weltbilder der Historiker: Wege aus dem Eurozentrismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 41/42 2015, 16-22.
Das Cluetrain-Manifest. 95 Thesen für eine neue Unternehmenskultur im digitalen Zeitalter. München: Econ 2000.
Der Trümmerhaufen als Aussichtsturm. Historische, aktuelle und perspektivische Vermessungen einer gründlich veränderten Situation. Marburg: Verlag Arbeit & Gesellschaft GmbH 1991.
Enquete-Kommission Bürgerschaftliches Engagement des Bundestages (1999ff.) xyx.
Felber, Christian: Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft. Wien: Deuticke 2010.
Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp 2016; Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2016.
Eribon, Didier: Gesellschaft als Urteil. Berlin: Suhrkamp 2017
Erklärung zu den Menschenrechten. Vom Exekutivausschuß der Amerikanischen Anthropologischen Gesellschaft 1947 der Kommission für Menschenrechte der Vereinten Nationen unterbreitet. In: Info-Blatt der Gesellschaft für Ethnographie Nr. 9, 1994, S. 2-7.
Kramer, Dieter (1994): Menschenrechtsdiskussion und Ethnologen. In: Info-Blatt der Gesellschaft für Ethnographie Nr. 9, 1994, S. 27-42
Gloor, Maximilian. Die Rede vom ‚guten Leben‘ von der Antike bis in die Gegenwart. Würzburg: Königshausen & Neumann VLB-Warengruppe 2017.
Grewe, Maria: Teilen, Reparieren, Mülltauchen. Kulturelle Strategien im Umgang mit Knappheit und Überfluss. Bielefeld: transcript 2017 (Kultur und soziale Praxis).
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Dieter Kramer, Dörscheid/Loreleykreis 09.01.2018 kramer.doerscheid@web.de