Text | Kulturation 2018 | Dieter Kramer | Ökologie und Philosophie: Linke philosophische Teleologie und kontingente Kulturgeschichte
| Eine
Zwischen- oder Einrede, anknüpfend an: Seibert, Thomas: Zur Ökologie
der Existenz. Freiheit, Gleichheit, Umwelt. Hamburg: LAIKA Verlag 2017
(LAIKAtheorie) 465 S. Quellen, zwei Register. ISBN 978-3-944233-75-8.
1. Sozialökologische Transformation und linke Politik
2. Die multiplen Krisen und das Programm der Freiheit
3. Unterschiedliche Lese-Biographien und Sozialisationsbedingungen
4. Teleologie und Kontingenz
5. Geschichtszeichen und Höhepunkte
6. Die Absorption des Mai 1968
7. Kapitalismus als Fortschritt zur Freiheit?
8. Die Abwertung der Geschichte durch die Teleologie
9. Imperiale Lebensweise
10. Kultur und sozialregulative Standards
11. Begehren, Begierde, Care-Arbeit und Lebensqualität
12. Molekulare und mikropolitische Aspekte
13. Anarchie und Radikalität
14. Religion
15. Das Unvollendete Projekt der Moderne
16. Plattformen der Reformation
Motto
„Strategisch
aber können soziale und Demokratiefragen gleich welcher Art und
Dimension nur noch beantwortet werden, wenn sie als Fragen des
Übergangs in eine globale Postwachstumsgesellschaft gestellt werden.
Alles andere ist ‚Klassenpolitik‘ im elendsten Sinne des Wortes, d.h.
in einem Sinn, der bourgeoise und proletarische Positionen nicht einmal
mehr durch einen Millimeterspalt trennt.“ (Seibert S. 405)
1. Sozialökologische Transformation und linke Politik
Die
„Transformationsdebatte“, bezogen auf die sozialökologische
Umgestaltung der Gesellschaft (bei der ökologische Probleme nicht ohne
Bezug zu den sozialen gelöst werden sollen, und umgekehrt) schält sich
als „einer der wichtigsten Orte politischen Philosophierens“ heraus (S.
37/38 und; S. 266/267; wenn nichts anderes angegeben, geht es um die
Seitenzahlen des oben genannten Buches von Thomas Seibert; ).
Thomas
Seibert, Vorstandssprecher der Solidarischen Moderne und im
Wissenschaftlichen Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat dem Thema
ein Buch gewidmet, das eine Interpretation der anstehenden Aufgaben
darstellt. Es ist eine eher schwierig zu verarbeitende Interpretation
der Situation der Welt und der Linken aus einer philosophischen Sicht,
die geprägt ist von Hegel, Marx Heidegger und der jüngeren
französischen (Sozial-)Philosophie. Wer erwartet, alltagstaugliche politische Handlungsperspektiven
zu finden, wird enttäuscht. Es ist das Buch eines Philosophen, der nur
am Schluss allgemeine, treffsicher formulierte Aufgaben stellt (wie das
zitierte Motto). In drei Teile gliedert Seibert seinen Text: Zunächst geht es um
die „Klärung der Sprech- und Schreibposition“ und die Grundbegriffe
Praxis, Existenz und Dialektik, zweitens um die programmatische
Gleichzeitigkeit von sozialer und ästhetisch-kultureller Innovation in
dem hervorgehobenen französischen „Mai 68“ (S. 35) und um seine Folgen:
„Einführung in das Erbe des 20. Jahrhundert“ (S. 145), einbezogen die
verschiedenen Strömungen des „unvollendeten Projekts der Moderne“ bei
der Linken (S. 297). Drittens geht es um die „Kritik der Freiheit“ (S.
317) mit den verschiedenen Projekten, Möglichkeiten und Künsten der
Freiheit: Anarchismus, Sozialismus, Kommunismus (S. 351).
2. Die multiplen Krisen und das Programm der Freiheit
Die Gegenwart ist gekennzeichnet durch die „multiple Krise“: Es ist für Seibert
- die Krise des Städtischen (alle strömen in die Städte, aber deren angemessene Form ist noch nicht gefunden),
- die Hungerkrise (gekoppelt mit der imperialen Lebensweise der aufwändigen Konsummuster der Wachstumsgesellschaften),
- die der Ökologie (mit Klimawandel, Extraktivismus und Ressourcenengpässen), und es ist
- die Krise des Patriarchats, verbunden mit der Neuordnung der Geschlechterverhältnisse und den aktuellen Kriegen (S. 13).
Viele der heutigen Themen sind für Seibert nur „Platzhalter“ für anderes „Sich-Ereignen“, angesichts der „Wahrheit, dass wir
trotz allem noch immer in der ‚Permanenzerklärung der Revolution‘
(Marx) stehen“ (S. 26 und Cover). So erscheint vieles spekulativ, nur
erklärbar als Versuch der „Besetzung der Begriffe“, die dann vielleicht
dynamisch definiert und relativiert werden können. Denn die Krise ist
die Weltgeschichte selbst, die für Hegel „nach ihrem inneren
Richtungssinn als eine Folge von Fortschritten im Bewusstsein der
Freiheit verstanden werden muss.“ (S. 14) Mit einer solchen Teleologie im Kopf kann man nicht auf die
empirische „Geschichte der Welt“ (s. meine Rezension in Kulturation)
blicken, denn sie hat keinen erkennbaren „inneren Richtungssinn“. Der
kann ihr nur von Interpreten als Programm aufgedrückt werden. Seibert
setzt diesen „Richtungssinn“, und der ist nur dadurch relativiert, dass
auf dem Gipfel der Krise die freie Entscheidung und damit auch das
Scheitern möglich ist. So gesehen, erscheint dieser Ansatz für mich
vorrangig als ein reizvolles Denkexperiment. Im Durchspielen dieses
Denkansatzes kommt es zu interessanten Einsichten und Lernprozessen,
mit denen für mich die Schwierigkeiten der Lektüre gerechtfertigt
werden.
3. Unterschiedliche Lese-Biographien und Sozialisationsbedingungen
Seibert
bekennt sich dazu, von der eigenen Biografie geprägt zu sein (S. 31
f.). Damit bleibt der Text zwar prinzipiell offen auch für ganz anderer
Lese- und Arbeitsbiografien, gibt ihnen aber nirgendwo Raum: Die
subjektive, mit Hilfe der Philosophie und ihrer Begrifflichkeiten
objektivierend abgesicherte Perspektive ist kaum anschlussfähig an
andere Theorie- und Erfahrungswelten. Immerhin, einen „ironischen
Vorbehalt“ (S. 25) gibt es, und alles steht unter dem Zeichen von
Zweifel und Verzweiflung (S. 30). Wie unterschiedlich Lese-Biographien und prägende intellektuelle
Einflüsse wirken können, auch wenn es um ähnliche politische Milieus
geht, wird für mich an diesem Buch von Seibert erkennbar, noch stärker
bei dem des trotzkistischen Autors Didier Eribon (Rückkehr nach Reims,
2016). Möglicherweise kann jeder nur eine begrenzte Menge von
„prägenden Ideen“ sich aneignen und im späteren Leben weiterentwickeln.
In meiner Adoleszenzphase war ich von Ernst Bloch begeistert. Ich
konnte nicht begreifen, dass manche meiner Genossen im Sozialistischen
Deutschen Studentenbund der frühen 1960er Jahre ihm kritisch
gegenüberstanden. Aber das hat mich wenig später nicht davon
abgehalten, mich mit Kulturanthropologie (Mühlmann 1966 u.v.a.) zu
beschäftigen. Ich habe während des Studiums und danach mit dieser
Kulturanthropologie dann sowohl meine Politologie wie meine Volkskunde
(Europäische Ethnologie) imprägniert und in ihrem Kulturrelativismus
eine erste Ahnung davon zu bekommen, dass bei allen Versuchen, den
„neuen Menschen“ zu erziehen, immer der „Alte Adam“ noch bleiben wird. Das erleichterte es dann auch 1989/1990, den „Trümmerhaufen als
Aussichtsturm“ zu benutzen. So lautete der Titel einer Publikation
unseres Marburger Verlages der Abendroth-Schüler, gedacht zum 50.
Geburtstag von Frank Deppe. Für Seibert geht es um Philosophie, nicht
um Sozial- oder Kulturgeschichte. Als Kulturwissenschaftler und
Europäischer Ethnologe waren für mich eigene Denkwege wichtig. Bei Seibert gibt es „Wahrheiten“, die den Weg durch die Krisen
„erhellen“ können. Allzu oft ist davon die Rede, das als letzte
Gewissheit „alles entscheidend“ ist (u.a. S. 371, 407. 412, 424): Das
kenne ich sonst nur aus dem dogmatischen Katholizismus. Diese
Ausdrucksweise von Seibert mag damit zusammenhängen, dass er ein von
Hegel geprägter Philosoph ist. Vielleicht könnte der
lebensphilosophisch sensibilisierte Georg Lukács von „Geschichte und
Klassenbewusstsein“ eine Brücke sein zwischen hegelianischem
Dogmatismus und der Anthropologie, betont er doch (wie die
Kulturanthropologen und wie mein Lehrer Wolfgang Abendroth) den
Zusammenhang von Leben und Denken, Sein und Bewusstsein. Es ist jener
Zusammenhang, der bei Didier Eribon mechanistisch als
„gesellschaftliche Schicksalshaftigkeit“ (Eribon 2016 S. 107)
interpretiert wird und aus dem Wilhelm Reich herauszufinden helfen will
(der ist bei Seibert laut lückenhaftem Register nur einmal S. 101
erscheint, real aber später doch ein weiteres Mal prominent). Für das Alltagsleben waren mir früher manche der dem Marxismus
oder Hegel entlehnten philosophischen Begriffe nicht hilfreich. Seit
meiner Werkstudentenzeit bei der Adam Opel AG in Rüsselsheim Anfang der
1960er Jahre war mir klar, dass ich mit dem Begriff der „Entfremdung“,
den ich gerade aus der Lektüre der Marxismus-Interpretation von Iring
Fetscher (Hessische Landeszentale für politische Bildung) übernommen
hatte, bei meinen zeitweiligen Opel-Kollegen nichts anfangen kann. Sie
fühlten sich im Teile-Bau als souveräne Herren über ihre Maschinen und
bezogen daraus mit Recht Selbstbewusstsein. Anders als Eribon flüchtete
ich mich nicht in eine Mystifikation der Idee der Arbeiterklasse mit
Hilfe der Theoretiker, sondern beließ diesen nicht richtig bewältigten
Widerspruch in seiner Spannung. Alles nur „falsches Bewusstsein“? Ein
Kulturanthropologe oder Ethnologe kann mit dieser Kategorie nicht viel
anfangen.
4. Teleologie und Kontingenz
Über Verlauf
und, eventuell sogar Ziel, von Geschichte lässt sich trefflich
nachdenken. Herder hat es dem Planen Gottes überlassen. Bei Seibert
lese ich: „Geschichte ist nicht das chaotische, weil offensichtlich
kontingente, also grund- und ziellose Ganze aller Werden, sondern der
Politisierungsprozess, der sich in diesem Chaos zu einer freien
Entwicklung auf ein Ende hin fügt, das als solches ein telos der
Freiheit sein muss“ (S. 312 – mit offenem Ausgang?). Dieses (hegelianische) Gedankenexperiment ist mit der Gewichtung
der Freiheit eine deutlich eurozentrische (kosmopolitische)
Perspektive. Das Individuum mit seiner Freiheit steht im Zentrum, und
diese Freiheit steht unter dem Zeichen einer Avantgarde und ihrer
„Revolte, die sich letztlich gegen jede Vergesellschaftung richtet,
auch gegen die einer Gesellschaft der Gleichheit und Gerechtigkeit“ (S.
22). Gesellschaft wird so verstanden als „freiwillige Knechtschaft“ (S.
16, S. 375), und Freiheit ist immer vorzuziehen (S. 322).
Interessanterweise ist nur die Ekstase (S. 355) als Möglichkeit des
temporären Ausstiegs denkbar, und das ist mit der Religion verwandt,
entspricht aber auch den Lebenspraxen von vormarktwirtschaftlichen
Gemeinschaften, die Suffizienz praktizieren (s. unten). Schon bei der Vorbereitung der UN-Menschenrechtskonvention wurde
von den amerikanischen Anthropologen kritisiert, dass diese aus
europäisch-nordamerikanischer Perspektive formuliert sei (Erklärung
…1947; Kramer 1994). Seibert (der die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte und die drei Generationen der Menschenrechte erwähnt, S.
417) vertritt, wie er zugibt, eine eurozentrische Perspektive mit einer
„methodischen Beschränkung auf die westliche Erfahrung“ (328). Aber ist
das ausreichend für die Interpretation der globalen sozialökologischen
Krisen der Gegenwart, und genügt da die Ergänzung durch den Hinweis auf
die „imperiale Lebensweise“ (s.u.)? Die eigene Stimme der „Anderen“ wäre da wichtig. Andere
Traditionen legen mehr Wert auf die Gemeinschaft, etwa die Muslime, bei
denen die Umma als Gemeinschaft der Gläubigen, aber auch die Familie
stark gewichtet sind. Ähnlich ist es bei den Juden, und das Christentum
hebt zwar in seiner lutherischen Variante die „Freiheit eines
Christenmenschen“ hervor, ist aber ansonsten stark auf Brüderlichkeit
und Schwesterlichkeit, auf Solidarität und Caritas orientiert. Es fällt ohnehin auf, dass Seibert beim Erbe von 1789 prominent
immer Freiheit und Gleichheit nennt, Brüderlichkeit dagegen nur
beiläufig (S. 341). Die Linke aber ist ohne die starke Gewichtung von
Solidarität nicht denkbar. „Leben einzeln und frei wie ein Baum, dabei
brüderlich wie ein Wald“ ist ein Motto von Nazim Hikmet, das Kaspar
Maase zum Titel eines Buches gemacht hat, und „Solidarität ist die
Zärtlichkeit der Völker“ war ein motivierender Slogan der
Solidaritätsbewegungen der 1980er Jahre. So intensiv auf das Individuum zu konzentrieren bedeutet für die
Politik eine offene Flanke zu nationalkonservativen, ja „rechten“
Ideologien, denn bei ihnen wird eine nationale oder sonst wie
definierte Gemeinschaft immer betont. Betrieben aber wird damit auch
das Geschäft des aktuellen Marketing, für das z. B. in der
Auto-Absatzkrise die individuelle „Freiheit“ der automobilen Bewegung
des Individuums als Wachstumsbeschleuniger fungiert. Seibert legt darauf Wort, „die Fortschritte der Freiheit nicht
mehr nur, wie Hegel dies wollte, in ihrer Notwendigkeit, sondern immer
auch in ihrer ungeheuren und ungeheuerlichen Kontingenz zu begreifen“
(S. 16), Scheitern als Möglichkeit inbegriffen (wie im Kommunistischen
Manifest bei den Klassenkämpfen). Es droht dieses Scheitern des
hegelianischen Programms der Freiheit, weil die Individuen sich in
„freiwillige Knechtschaft“ (S. 16) begeben (Seibert umreißt die
Beziehungen zwischen Knecht und Herr nur binär und nicht in jener
Dialektik, die den Knechten wie den „Subalternen“ in der Interpretation
des Postkolonialismus immer einen eigenen Beitrag zuweist). Aber Kontingenz gibt es auch, denn, so werden Deleuze/Guattari
zitiert, „die Universalgeschichte ist zu allem Anfang eine von
Kontingenzen und keine der Notwendigkeit, von Brüchen und Grenzen und
keine der Kontinuität“ (zit. 195). Das wird von der „Geschichte der
Welt“ (Iriye/Osterhammel Bd.6) auch und gerade für die früheste Zeit
bestätigt, und sie ist keineswegs in das Prokrustesbett einer „großen
Erzählung“ zu pressen. Bei Seibert gibt es zwar Faltungen der
Kontingenz in der „De- und Rekonstitution des Subjekts“ (198), aber
nicht in der Gesamtinterpretation. Da dominiert die Zielgerichtetheit
des Freiheitsprogramms. Teleologie benennt ein Programm, wie Akteure die Geschichte gern
hätten, und wie sie diese Geschichte gestalten möchten. Teleologie ist,
interpretiert das Philosophische Wörterbuch, seit Christian Wolff „die
Lehre von der durchgängigen, geistig, ideell und letztlich göttlich
bedingten Zweckbestimmtheit aller Bewegung und Entwicklung in der Welt“
(Philosophisches Wörterbuch Leipzig 1974, II 1216). Als
Kulturwissenschaftler erinnere ich mich, dass man mit Teleologie sehr
schlechte Erfahrungen gemacht hat. Sie hatte sich in Deutschland zu
einer „völkischen“ oder „nationalen“ Teleologie gemausert, bei der
andere ausgeschlossen wurden; anderswo ist daraus eine solche der
„Modernisierung“ oder des „Fortschritts“ geworden, bei der die
Nachzügler angeblich zum eigenen Vorteil zwangsmodernisiert wurden (und
werden). Aber die Geschichte Deutschlands zielt nicht auf den deutschen
Nationalstaat, noch nicht einmal auf die Freiheit – sie ist ein
kontingenter Prozess (das ist für die Auseinandersetzung mit den
Neu-Rechten wichtig). Und die manifeste „Krise der Modernisierung“
gehört ebenso wie die Sackgassen des Fortschritts nicht zu den
Erfindungen traditionalistischer Kritiker. Nachdem mit Teleologien (auch denen des Marktes) soviel Unheil
angerichtet wurde, möchte ich lieber auf einen solchen verführerischen
Begriff verzichten. Zwar schleicht sich bei der bohrenden Frage nach
dem Sinn des eigenen Tuns und der Frage nach der Perspektive schnell
der Wunsch nach einer Teleologie ein. Man kann auch bei der
Interpretation der Geschichte die Perspektive bemessen an dem Heute
„und damit letztlich nach der erfolgreichen Durchsetzung“ dieses
Zustandes (Iriye 2017, S. 17). Aber das leistet „geradezu automatisch
einem Eurozentrismus Vorschub“, womit einer der „ehernen Grundsätze des
Historismus, dass – mit Ranke gesprochen – ‚jede Epoche […] unmittelbar
zu Gott‘ sei“ verletzt wird (ebd.). Es ist interessanter, Geschichte
als offenen Prozess zu sehen: Dann wird man nicht so enttäuscht von
ihrem realen Verlauf und muss nicht alle Grausamkeiten als „List der
Vernunft“ für eine Teleologie zurecht bügeln. Seibert hat seine „materialistische Teleologie“ (S. 273) der
Weltordnung, genährt von Hegel und Marx, sicher philosophisch
begrifflich wunderbar abgeleitet und erklärt. Als Vorwurf für ein
Szenario mag die Vorstellung einer solchen Teleologie nützlich sein,
aber für die Interpretation realer historischer Prozesse und als
Leitstern einer Zukunftsprogrammatik kann ich sie als
Kulturwissenschaftler nicht ernst nehmen. In der „Autosoziobiographie“ (Spoerhase 2017) von Didier Eribon
wird die verführerische Kraft solcher programmatischer Teleologien
sichtbar, wenn er zugibt: „Ich glorifizierte die Arbeiterklasse, um
mich leichter von den realen Arbeitern abgrenzen zu können. Wenn ich
Marx und Trotzki las, glaubte ich Teil der Avantgarde zu sein; viel
eher markierten meine Lektüren aber den Eintritt in die Welt der
Privilegierten.“ (Eribon 2016, S. 81). „Das ‚Proletariat‘ war für mich
eine Idee aus Büchern, eine abstrakte Vorstellung. Meine Eltern
gehörten nicht in diese Kategorie.“ (ebd.). Wenn bei Seibert die Geschichte ein „gerichteter Vorgang“ (S. 7)
ist, dann erinnert das an biblische Eschatologie, aber auch an Ernst
Bloch oder die vielen Ansätze zur Erziehung des „neuen Menschen“. Bei
allen einschlägigen Versuchen, seien es Erziehungsdiktaturen oder
sozialistische wie kommunistische kulturpolitische Programme (das
sowjetische wird eindrucksvoll vorgestellt bei Schlögel 2008), hat sich
bisher dann doch immer der „alte Adam“ durchgesetzt. Die Religionen,
wiewohl auch sie oft genug solche Hoffnungen nähren, kommen meist
besser mit ihm zurecht, beispielhaft das katholische Programm der
Produktion von schlechtem Gewissen durch dogmatisch definierte Sünde
mit anschließender Absolution durch die kirchlichen Institutionen, die
das Heil verwalten. Die kulturwissenschaftlich-ethnologischen Forschungen erinnern
an die Beständigkeit mancher Wesenszüge des „alten Adam“, gerade auch
wenn sie dessen Vielfalt und Anpassungsfähigkeit betonen. Hinter allen
enttäuschten Hoffnungen auf radikale und konsequente Veränderung wird
er erkennbar, und er inkarniert sich in den vielen Welten, die Herder
auf seiner Seereise nach Nantes imaginiert. Herder verteidigt damit die
kulturelle Authentizität jedes Zeitalters gegen den Stolz und die
Arroganz der Aufklärer, etwa gegen seinen Lehrer Immanuel Kant, und er
schwärmt von einer Darstellung über „die die Kultur der Erde! aller
Räume! Zeiten! Völker! Kräfte! Mischungen! Gestalten! ..." (Herder, S.
122). Wenn das hegelianische weltgeschichtliche Programm der Teleologie
zur Freiheit bei Seibert zur Grundlage seiner Interpretation wird und
nur noch die Möglichkeit des letztlichen Scheiterns bleibt, dann nimmt
das aller Kontingenz die Chance.
5. Geschichtszeichen und Höhepunkte
Seibert
konzentriert seine Interpretation auf wichtige Daten,
„Geschichtszeichen“. Es sind dies 1789, 1848/1871, 1917 und der Mai
1968. In letzterem konstituiert sich das „autonome, d.h. sich in
Distanz zum Staat erschaffende und derart reformatorische Subjekt“ (S.
282) der sozialen und ästhetischen Revolution. Der Mai 68 ist das
„weltgeschichtliche Ereignis, in dem der Marxismus-Leninismus von links
und von unten abgewählt wurde“ (S. 261). Immer wieder werden diese Daten der epochalen Ereignisse und die
ihnen zugeordneten Ideen hervorgehoben. Wenn es eine Hoffnung auf die
„Wiederkehr von Geschichte“ (der Fähigkeit, sie zu gestalten) gibt, „so
liegt sie in dem Maß, in dem wir alle diesen Ereignissen auch weiterhin
Wahrheit und folglich Verbindlichkeit zusprechen.“ (S. 320; S. 282, so
auch bei Badiou). Das klingt nach Voluntarismus und Dogmatismus, aber
es ist als Bestandteil der Teleologie im Denken von Seibert der
Ausgangspunkt für die dann folgenden Argumentationen. Erstaunlich ist die Mystifikation der „Bewegungen“ (S. 19)
jenseits aller durch Feldforschung gestützten Empirie und
politologischer Analyse: So kann man Maidan und Tahrir in den gleichen
brodelnden Topf werfen, in dem für Seibert der Pariser Mai 1968 die
Hauptsubstanz bildet, und selbst Pegida kann man schließlich auch nicht
ganz ausschließen. Die „List der Vernunft“ (gelegentlich auch bei
Seibert in ihrer Widersprüchlichkeit anerkannt S. 117, S. 124) konnte
man einst auch in der iranischen Mullah-Revolution oder in der ersten
Taliban-Befreiung in Afghanistan am Werk sehen, ging es doch da
ebenfalls um die alten Feinde der Freiheit. Sie wurden freilich nur
durch neue ersetzt, die anders verkleidet sind und sich bei Seibert in
Absorption und Ambivalenz aufgehoben sehen. Der Pariser Mai 1968, die Revolution von 1789 aufgreifend (wie,
so gesehen, irgendwie alle Aufstände und Revolutionen in Europa dies
tun), wird als reformatorische Kehre (S. 141, 149) hervorgehoben. „Das
Ereignis des Mai 1968 findet zugleich auf der ganzen Welt statt und ist
deshalb auch wortwörtlich ein weltgeschichtliches Ereignis. Seine
Subjekte wissen das, sie wissen voneinander und sie handeln
erklärtermaßen gemeinsam, als Subjekte desselben Ereignisses und
desselben Fortschritts im Bewusstsein der Freiheit“ (S. 109). So wird
dann alles spekulativ vereinnahmt. Diejenigen an diesem Mai 68
beteiligten Individuen, die ich in Deutschland und Frankreich traf (und
die z. B. stolz die aus der besetzten Universität mitgenommenen
Blanko-Briefbögen zeigten), haben trotz ihres erkennbaren Enthusiasmus
die Bewegung viel nüchterner eingeschätzt. Später, im Pariser „Metropolenstreik“ von 1995, „werden die
gesellschaftlichen Arbeiter*innen zur politischen Subjektivität einer
Teleologie, die über das Kapital hinaustreibt“ (S. 277). Warum muss man
deren Forderungen „Teleologie“ nennen – es geht um Veränderungen, die
isoliert keinen Bestand haben, deshalb nach mehr verlangen und so über
sich selbst hinaustreiben, aber allein sind sie noch nicht der Anfang
vom Ende der „Konterrevolution“. Die Linke des 21. Jahrhunderts wird von Seibert mit Luc
Boltanski und Eve Chiapello aus der Perspektive des Mai 1968
interpretiert. Dazu gehört das „Spannungsverhältnis von Sozial- und
Künstler*innenkritik“ (S. 23), und der letzteren wird der
„letztendliche Vorrang vor der Sozialkritik eingeräumt“ (ebd.). Es ist
eine anarchistische „Revolte, die sich letztlich gegen jede
Vergesellschaftung richtet, auch gegen die einer Gesellschaft der
Gleichheit und Gerechtigkeit“. Beides bringt der Mai 1968 für Seibert
zusammen (S. 22).
6. Die Absorption des Mai 1968
„Phantasie an
die Macht“ (S. 157): Das waren im Mai 1968 inspirierende und
nachwirkende Ereignisse so wie der Berliner TUNIX-Kongress von 1978,
der für Seibert wichtig war, aber keine weltverändernden. Sie werden
dazu nur bei linken Intellektuellen (z. B. S. 160). In den späten
1970er Jahren hängt die Deutsche Bank in der Kunstgalerie ihres
Frankfurter Hochhaus-Herrschaftszeichens das Großfoto von Joseph Beyus
mit dessen Text „La Revoluzione siamo noi“ auf: Der Anspruch der Bohème
und derjenige der Bank treffen sich. Die Absorption des Mai 1968 „durch den postfordistischen Geist
des Kapitalismus“ (S. 187) in der Universität Paris VIII Vincennes (die
schließlich wieder aufgelöst wird) findet durch die
„Poststrukturalisten“ statt. Deleuze, Guattari, Foucault, Lyotard (S.
188, Fn.) werden genannt, auch Derrida, Kristeva u.a. (bei Laurent
Binet: Die siebte Sprachfunktion. Roman rowohlt e-book 2015, wird
dieses Intellektuellen-Milieu auf ironische und satirische Weise
abgehandelt). Boltanski/Chiapello belegen durch ihre Studien der
Managementliteratur, „dass die postfordistisch-neoliberale
Gegen-Reformation ohne die aktive Beteiligung der jetzt auch so
genannten ‚68er Generation‘ niemals hätte durchgesetzt werden können.
Sie ist es, die aus ihrer Revolte gegen die
sozialpartnerschaftlich–wohlfahrtsstaatlich subjektivierte und
sozialisierte ‚Normalarbeitsbiographie‘ gerade jene Lebensweisen
hervorbringt, die das Kapital dann in der Flexibilisierung,
Prekarisierung und Responsibilisierung der Arbeit und des Lebens
verwerten wird. Zugespitzt gesagt: Es sind Aufständische des Mai, die
in ihrer doppelten Revolte gegen die fordistische Arbeitswelt und die
fordistische Lebenswelt die ‚reelle Subsumtion‘ eben nicht nur der
Arbeit, sondern des ganzen Lebens einschließlich seiner Träume
vorantreiben und letzten Endes auch durchsetzen“ (S. 177). Sie tun dies auch als aufmüpfige Datensklaven (wie im
„Cluetrain-Manifest“ 2000) und in den Startups der postfordistischen
lebensweltzerstörenden Konsumwelt. Der Prozeß griff um sich „im Ganzen
unmerklich und unwillkürlich, damit aber ohne den Willen, ja ohne das
Bewusstsein vieler aktiv Beteiligter“ (S. 177) – weil das Kapital als
„emanzipatorisches gesellschaftliches Verhältnis“ in der Lage ist,
„gehemmte Bedürfnisse“
„und Lüste anzustacheln, zu befriedigen, zu verwandeln, und, mehr noch,
überhaupt erst hervorzubringen“ und so „produktiv auf Befreiungs- und
Anerkennungsbegierden zu antworten.“ (S. 178) Es „schreibt sich unentrinnbar in die Subjektivitäten der Arbeiter*innen“ ein“. Und auch darin ist „das Kapital“ auch „nicht die Herr*in
seiner Dynamik“ (S. 178, Seibert zitiert Boltanski /Chiapello). Bruno
Latour hat dies mit den „Aktanten“ zum Thema gemacht. Adorno spricht
vom „Übergewicht von Verhältnissen über die Menschen“ (zit. Seibert S.
302) und vom Triumph der Integration im Kapitalismus, bezogen auf die
unentrinnbare Kulturindustrie (S. 303; zu erinnern ist daran, dass er
dies später z. B. in seinem Aufsatz zu „Kultur und Verwaltung“ auch
relativiert). Das alles ist zu bedenken im Zusammenhang mit dem, was
als „imperiale Lebensweise“ diskutiert wird (s.u.). Es ist kein Zufall, dass, wie auch in der Hausbesetzerszene, der
Übergang vom Protest ins Management leicht möglich ist: Manchmal sind
es die gleichen Personen, die erst als Hausbesetzer, dann als Manager
die Frankfurter Westend-Villen benutzen. Auch bei der Frankfurter DKP
wechselt ein Personalrat frustriert von der Unfähigkeit des kommunalen
Establishments, neue Wege zu gehen, in das Bildungsmanagement (und
verlässt damit die dogmatisch vorgeprägten Bahnen). Ambivalenz von Phantasie und Management schlagen sich in den
Verwaltungsreformen nach dem Tilburger Modell der 1980er Jahre nieder:
Es ist für mich als Städtischer Beamter attraktiv und befreiend, denn
es bedeutet flache Hierarchien, mehr Eigenverantwortung, mehr
Effizienzdenken in der Organisation meiner Arbeit, es passt sich aber
gerade damit genau in die „neoliberale“ Reform ein (s. auch Klein,
Naomi). Wir haben damals in der ÖTV nicht genügend darüber diskutiert,
auch keine Strategien zur Überwindung dieses Dilemmas gesucht.
Allenfalls geschah dies ansatzweise 1984, als in der Frankfurter ÖTV
ein „Kulturpapier“ entwickelt wurde, das davon ausging, dass der
Anspruch auf angemessene Bezahlung in engem Zusammenhang steht mit dem
berechtigten Wunsch, anständige (und das heißt zufriedenstellende,
anerkannte) Arbeit leisten zu wollen.
7. Kapitalismus als Fortschritt zur Freiheit?
Statt
auf die Subjektivität zusetzen (auf die Plechanow mit der Rolle der
„Persönlichkeit in der Geschichte“ sich beziehen muss), wendet sich der
Strukturalismus „den vor- oder außer-subjektiven ‚Strukturen‘ zu: denen
der Sprache (de Saussure), der Verwandtschaft als der ursprünglichen
Vergesellschaftung (Lévi-Strauss), dem Unbewussten (Lacan), dem Kapital
und der Ideologie (Althusser). … Wenn es überhaupt Subjekte gibt, dann
sind sie und können sie nur das sein, was die Strukturen sie sein
lassen.“ (Seibert S. 197) Der Poststrukturalismus reagiert destruierend darauf: „Was auch
immer als ‚natürlich‘ und ‚selbstverständlich‘, als an sich ‚wesenhaft‘
und ‚vernünftig‘ erscheint, wird als zufallsgenerierte und zugleich
machtgetränkte ‚Konstruktion‘ entlarvt und bis zur Gleichgültigkeit
dekonstruiert.“ (Seibert S. 192) Lyotard erinnert in „La Condition
postmoderne“ an das „Ende der Großen Erzählungen“ (zit. S. 190). Als
einziger den Begriff „Postmoderne“ benutzend, gibt er ihn gleichzeitig
wieder auf: „Ein Werk ist nur modern, wenn es zuvor postmodern war. So
gesehen bedeutet der Postmodernismus nicht das Ende des Modernismus,
sondern dessen Geburt, dessen permanente Geburt“ (zit. S. 193). Das strategische Projekt der Linken des 20. Jahrhunderts wird
„zwischen 1989 und 1991 endgültig und unwiderruflich abgewählt“ (S.
17). Es wird übermächtigt durch den „Umschlag der Freiheitsbegierde in
freiwillige Knechtschaft“ (S. 375). Es wird unglaubwürdig angesichts
„der fundamentalen Zweideutigkeit des siegreichen Kapitalismus, der von
seinen ersten Anfängen bis zum heutigen Tag zugleich eine Bewegung der
Ausbeutung allen Lebens wie eine Bewegung seiner Freisetzung und
Befreiung aus alten und ältesten Zwängen war und geblieben ist.“ (S.
18) In der „imperialen Lebensweise“ (s.u.) wird diese Ambivalenz
bekräftigt. Hervorgehoben wird die „Zweideutigkeit des Kapitals“, das „immer
auch eine Emanzipationsbewegung ist, die uns aus allen überkommenen
Herrschafts-, Ausbeutungs- und Missachtungsverhältnissen freisetzt.
Heute geschieht das in der reellen Subsumtiom des ganzen Lebens und der
ganzen Umwelt unter das Kapital, die sich im bio- und
semiokapitalistischen Empire globalisiert, kybernetisiert, urbanisiert
und individualisiert.“ (S. 315) Wie kommt man zur Freiheit, wenn der Kapitalismus alles
integriert und für die Versklavung verwendet? Kann man sich „bewusst
werden“ durch die Verlockungen, den Sog des Marketings mit all seinen
Facetten? Wird nicht erst durch das Marketing die Vorstellung von
Mangel und fehlender Freiheit aufgeherrscht? Eine Analyse z. B. der
Automobilwerbung (für ein Symbol der „Freiheit“ wie Geländewagen, die
in keinem Gelände gefahren werden können, es sei denn man hat eine
teure Jagdpacht) könnte dies bestätigen. Die Weckung von Bedürfnissen,
von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie haben, in der
Digitalisierung (Stöcker) zeugt ebenfalls davon. Imperiale Lebensweise
(s. Brand/Wissen) hat nichts mit Emanzipation zu tun, sie ist eher mehr
als nur ein Sargnagel für die begrenzte Lebenswelt auf dem Planeten. In Aussicht gestellt wird ein „Freiheitsgewinn“ „ durch
Beteiligung am Kapitalismus selbst“ Boltanski /Chiapello, zit. S. 179).
Ein Fortschritt in der Freiheit? Aber wo und wessen? Der europäischen
Kosmopoliten oder der indischen Adivasi? Die Menschenrechts-Deklaration
der UNO setzt konkretere, motivierendere Ziele, und die Deklaration der
Vielfalt der UNESCO ebenfalls. Das Zugeständnis des UN-Berichtes
„Unsere gemeinsame Zukunft“, das jede Gemeinschaft (each people) einen
eigenen Weg zum Fortschritt (als Inkarnation von Lebensqualität) suchen
darf, signalisiert einen offenen Prozess. Die Versprechungen des Kapitalismus (der entfesselten
Marktgesellschaft) nicht zu akzeptieren, dazu bekenne ich mich, und
wenn ich dazu andere historische Formen der Organisation des
menschlichen Zusammenlebens benenne (wie verwaltete Gemeinnutzen), dann
ist das eine bewusste Abkehr von Teleologie und Fortschrittslinearität,
und aus dieser Abkehr kann, denke ich, eine Perspektive der
sozialökologischen Transformation eher hervorgehen als aus der
Affirmation des Kapitalismus als Übergangsphase. Man kann die Bedürfnisoffenheit als Eigenschaft des „alten Adam“
anerkennen, muss aber immer auch akzeptieren, dass sie im realen
gemeinsamen Leben notwendigerweise gebändigt ist durch die geteilten
„Standards des guten und richtigen Lebens“ (die nur im temporären
Exzess aufgehoben werden, s.u.). Dann muss man den Kapitalismus nicht
als ein sehr fragwürdiges Instrument der Befreiung rechtfertigen. Es
ist wie mit dem Drogenkonsum: Ethnologen belegen, dass es in allen
Gesellschaften Drogen gibt, aber überall ihr Konsum auch durch
Standards und soziale Kontrolle informell oder formell eingeschränkt
wird (Rausch und Realität…). Seibert spricht vom „bio- und semiokapitalistischen Empire“, das
über die biologischen Ressourcen (der Menschen) und die symbolischen
(semiotischen) Ressourcen (S. 113) der Begriffe verfügt. Ist das
wirklich noch Kapitalismus als Fortschritt? „Mitte der siebziger Jahre,
als die kapitalistische Ordnung im Westen sich … modernisierte und
festigte und alle Versuche, sie durch Reformen nach links hin zu
verändern, ins Leere laufen ließ oder systemkonform integrierte“, da
kulminierte diese Absorptionstendenz (Der Trümmerhaufen 1991, S. 7) Vergisst man diese allzu einfache Vorstellung von Kapitalismus
als Fortschritt (abgeleitet aus dem Schema, dass der Sozialismus nur
über den Weg durch den Kapitalismus möglich werde), dann kann man den
heutigen Kapitalismus in seiner aus vielen Krisen und Anpassungen
hervorgegangenen, insbesondere als Finanzkapitalismus wirkmächtigen
Form mit seinem Krisenpotenzial auch primär und mit wenig Ambivalenz
als Bedrohung der gesamten Lebenswelt betrachten. Im Globalen
Sicherheitsstaat (S. 422) wird zur Selbsterhaltung des Empire so viel
absorbiert, dass es dem Pfeifen im Walde gleicht, wenn man hier noch
Chancen für Freiheitsgewinne sieht. Sind die Möglichkeiten, die das Internet bietet, ein Fortschritt
in Richtung Freiheit? Von Anfang an schien mir die Entwicklung der
Digitalisierung und des Internet als ein Wettlauf zwischen „nützlichen“
und „ missbräuchlichen“ Anwendungen (Stöcker, ähnlich wohl wie bei der
Erfindung des Buchdrucks), und jenseits aller Kultur- und Technikkritik
ist zuzugestehen, dass dies sich fortsetzt. Die aktuelle Diskussion um
„Fake News“ z. B. signalisiert gravierende Probleme. „Die
Internetbenutzer bilden solidarische Gruppen mit sich selbst
verstärkenden Meinungen und Vorurteilen. Allem Anschein nach sind die
Verfechter von Verschwörungstheorien unerreichbar für Versuche, ihren
Irrglauben zu widerlegen.“ (Quattrociocchi, S. 60) Das
Weltwirtschaftsforum (WWF) hat 2013 dieses Problem „als eine der
gravierendsten Bedrohungen unserer Gesellschaften“ bezeichnet.
Chemtrails oder Pizzagate sind Beispiele von Verschwörungstheorien und
Fakenews mit vielen Anhängern. „In Deutschland verbringen die Nutzer
der sozialen Medien im Mittel 4 Stunden und 42 Minuten pro Tag im
Internet (in Italien reichlich 6 Stunden…)“ (ebd. S. 62; als positiv
könnte man dabei vielleicht ironisch werten, dass mit anderen
Freizeitbetätigungen noch mehr Ressourcen verbraucht werden). Es
entstehen „Gemeinschaften von Gleichgesinnten, die bevorzugt dieselben
Informationstypen nutzen, ausschließlich untereinander diskutieren und
sich in ihren eigenen Überzeugungen zu einem gemeinsamen Narrativ
gegenseitig bestärken.“ (ebd. S. 63) Mit solchen negativen Wirkungen
können (und müssen) Gemeinschaften fertig werden, wenn sie überdauern
wollen, aber das ist kein Automatismus: Allzuviele Gemeinschaften, auch
Hochkulturen sind in der Geschichte schon untergegangen. Der Kommunismus, hervorgehend aus der Überwindung des
Kapitalismus, bedeutet für Negri/Hardt die Freisetzung des Lebens aus
seiner kapitalistischen Verwertung, in „autonomer Selbstverwertung“
(zit. Seibert S. 284), „die Aneignung seiner allgemeinen
Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung
derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper“, den Zusammenbruch
der „auf dem Tauschwert beruhenden Produktion“ (ebd. S. 285). Das ist
die alte Utopie des Sprinquells des menschlichen Reichtums, bei der
nicht an die Grenzen der Ressourcen gedacht wurde. Das gilt auch, wenn
dieser „Sprinquell“ so geweckt wird, wie es in den 1920er Jahren die
linken Chinesischen Studenten erwarteten) (s. Bauer 1971). Der Kapitalismus bietet „eine Emanzipation auf einem bestimmten
Gebiet, hinter der sich allerdings neue Unterdrückungsformen verbergen“
(S. 179), in einem iterativen Prozess. Selbst wenn die
Produktionskosten gegen Null sinken, muss es Humanressourcen für „Care
Arbeit“, Beziehungsarbeit (und für das Genießen) geben, und daher sind
auch die utopischen Vorstellungen von Rifkin, Fücks oder Trojanow (alle
nicht bei Seibert nicht erwähnt) über Null-Grenzkosten-Gesellschaft zu
relativieren. Das ist die ins Linke Milieu übertragene eschatologische
Dimension, eine Rechtfertigung für alle Vertröstungen auf die Zukunft,
aber auch für aktivistisches Leben verschiedenster Art: „Einst wird
kommen der Tag“ war das aus der Ilias übernommenes Motto, das von der
revanchistischen nationalistischen Rechten der Zwischenkriegszeit vor
1933 gern verwendet wurde. Ernst Bloch endet den Dritten Band von
„Prinzip Hoffnung“ mit eben dieser Verheißung, dass Heimat etwas ist,
wo wir noch nicht sind (und die Tübinger Empirischen
Kulturwissenschaftler haben das später immer wieder gern zitiert; auch
ich habe dies in Überlegungen zu Heimat getan). Hoffen und Wünschen müssen sich nicht eschatologisch gerieren,
kürzere und kleinere Perspektiven tun es für die meisten auch. Bei
Seibert liest sich das so: Die Differenz von Bio- und Wahrheitspolitik
enthüllt den „zutiefst gefährlichen Charakter des general intellect. Er
mag eine Werdensbedingung kommunistischer Bewegung sein, droht zuvor
aber, alles Leben und Denken und mit ihm unsere Umwelt zu zerstören“
(S. 287), und zwar durch „Verwüstung der Erde“ und die „hegemoniale
Macht der imperialen Lebensweise“ (S. 287) Das muss vereinbart werden
mit der Vorstellung, dass der Kapitalismus notwendiges
Durchgangsstadium zum Sozialismus oder Kommunismus ist. Auch ist „die
Kybernetisierung der Welt eine brandgefährliche, zugleich aber auch
eine vielversprechende Geschichte.“ (S. 257) Gibt es da noch einen
Freiheitsgewinn, der etwas anderes ist als derjenige des aller sozialen
und moralischen Vorstellungen entkleideten „aufgeklärten“ Individuums
des späten Marquis de Sade? Seit die meisten Versuche der „vernünftigen Einrichtung der
Gesellschaft“ gescheitert sind, kann man so nicht mehr argumentieren,
der „alten Adam“ ist nicht totzukriegen.
8. Die Abwertung der Geschichte durch die Teleologie
„Der
Kapitalismus bindet Akteur*innen an sich, die sich bewusst werden, dass
sie vorher unterdrückt waren.“ (Seibert S. 179) Das ist die
bevormundende Attitude der selbsternannten Schöpfer des neuen Menschen
und Zwangsmodernisierer, die es auch im Sozialismus gab und gibt.
Ferdinand Lassalle, die Chinesische Führung und Hayek ziehen am
gleichen Strang. Wenn man den Kapitalismus als notwendige Durchgangsstufe zur
Entwicklung des Springquells des menschlichen Reichtums und der
Emanzipation im Sozialismus betrachtet, dann bedeutet das eine
Entwertung der Vergangenheit: In liberaler und marxistischer
Interpretation ist alle frühere Geschichte nur eine der Unterdrückung.
„Eine Entwicklung ist bzw. Geschichte ist ein Prozess, der sich auf
einen letzten Zweck und damit auf ein Ende anweist bzw. auf einen Zweck
und damit auf ein Ende angewiesen sieht.“ (Seibert 20) Alle
„Vormoderne“ wird zur Vorläufigkeit. Die Geschichte Menschheit wird bei
dem imaginierten Weg der Freiheit in das Prokrustesbett der Teleologie
eingezwängt. Liberale wie Linke erklären die Verhältnisse vor
Aufklärung und Moderne zu Zuständen der Unterdrückung und Unfreiheit.
Aber die „Gewaltherrschaften der feudalen Souveränität“ (Seibert 224)
sind Konstrukte, die genauso wenig uneingeschränkte Geltung haben wie
die umgekehrte Behauptung, mit der Befreiung von feudalen Lasten habe
auch die Freiheit der Person eine Chance bekommen. Ein Beispiel für die
polemisch negative Bewertung der Verhältnisse der ständischen Ordnung
ist das jus primä noctis: Gern wird es zitiert als besonders
abscheuliche Frechheit der feudalen Herrscher, nachweisbar ist es aber
nur als bei der Heirat fällige Abgabe der Lehnspflichtigen an die
Obrigkeit. In diesen Zusammenhang gehört auch die von Hegel gebrauchte
Unterscheidung von vulgus als Bevölkerung im „Aggregat des Privaten“
und in „vorpolitischem Zustand“ auf der einen, populus als Bevölkerung
in der staatlichen Form auf der anderen Seite. Hegel meint, es sei der
„alleinige Zweck des Staates, daß ein Volk nicht als solches Aggregat
zur Existenz, zur Gewalt und Handlung komme. Solcher Zustand
eines Volkes ist der Zustand der Unrechtlichkeit, Unsittlichkeit, der
Unvernunft überhaupt“ (Hegel, Werke 8, § 544, Frankfurt am Main 1979,
zit. Priester in Bitzigaio S. 133). Das erinnert an Passagen aus der
„Glocke“ von Schiller (aber auch von Hanns Werner Sinn kann man
ähnliches hören). Wenn Hegel meint, es sei Aufgabe des Staates, populus
als Staatsbürgergemeinschaft erst herzustellen, dann zeigt dies, er hat
das Trauma der französischen Revolution nicht verarbeitet. Er
berücksichtigt nicht, dass in vormarktwirtschaftlichen Zeiten und vor
dem „aufgeklärten Feudalismus“ das vulgus (das „Volk“) immer in
korporativen Gemeinschaften wie Gemeinden oder Gemeinnutzen eingeordnet
war, und dass, wie die Völkerkunde schon längst bestätigt hat, keine
Gemeinschaft von Menschen auf Dauer ohne innere Organisation auskommt
(deshalb kann Augustinus sagen, das einzige was den Staat von einer
Räuberbande unterscheide, sei die christlich-moralische Fundierung,
nicht die innere Ordnung). Das lässt auch die Vorgeschichte erkennen.
„Brauch und Gesetz, Magie und Religion wirkten zusammen, um den
einzelnen zu Verhaltensformen zu veranlassen, die letztlich seine
Funktion innerhalb des Wirtschaftssystems sicherten.“ (Polanyi 1978:
87). Die traditionelle Volkskunde als Teil der Kulturwissenschaft
stand der Aufklärung reserviert gegenüber, weil unter ihrem Einfluss -
z. B. im Josephinismus oder in den Salzburger Colloredo-Reformen des
aufklärerischen Merkantilismus – überkommene Sitten abgeschafft,
Wallfahrten und kirchliche Feiertage eingeschränkt oder Bräuche wie das
„Gewitterläuten“ verboten wurden. Das war verbunden mit der
aufklärerisch-marktwirtschaftichen „Entbettung“ des wirtschaftlichen
Handelns aus seinen sozialkulturellen Bindungen (Polanyi). Damit wurde,
mehr als Adam Smith eigentlich wollte, den Kräften des unregulierten
Marktes freie Bahn gegeben, ebenso denen des Wünschens und Begehrens
der Individuen. Letztere wurden dann zum Motor eines für die
Marktgesellschaft lebensnotwendigen wirtschaftlichen Wachstums (auch
bei Grund und Boden, Städtebau und Landwirtschaft). Das staatszentrierte Denken des Marxismus, bereits in den
Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts für die uneingeschränkte
Übernahme der Staatsmacht eintretend, ist ein Hindernis, die Bedeutung
der der Selbstorganisation im dynamischen Fließgleichgewicht des
gemeinschaftlichen Lebens anzuerkennen. Die Selbstorganisation war
immer auch für die Arbeiterbewegung unerlässlich, aber sie wurde
weitgehend nur als Vorstufe zum endlich zu erkämpfenden sozialistischen
Staat verstanden, der dann alles regelt. Die Linken sind (verkürzt
gesprochen) orientiert an Zielen wie „Fortschritt“ und
„Modernisierung“, übernommen aus dem evolutionistischen Geschichtsbild
der Aufklärung. Sie sind überzeugt, die Zukunftsgesellschaft könne erst
nach Überwindung des Kapitalismus erreicht werden, und dieser wiederum
wachse nur auf den Trümmern der Ständegesellschaft, die deshalb mit all
ihren Institutionen überwunden werden müsse (und wenn August Bebel: Die
Mohamedanisch-Arabische Kulturperiode. 2. Aufl. Stuttgart 1889
kulturrelativistisch das muslimische Spanien preist, dann ist das eine
Ausnahme). Die positive Bewertung der Urbanität als Gegenpol zum
„Idiotismus des Landlebens“ (Seibert 214) zeugt ebenfalls von dieser
aufklärerischen Arroganz. Vielleicht lässt sich so nur denken, weil der
Naturstoffwechsel in den einschlägigen Überlegungen auch von Seibert
keine Rolle spielt (z. B. S. 411/412). „‘Ursprünglich ist die Emanzipation durch den Kapitalismus‘, so
schreiben Boltanski /Chiapello, ‚mit einer Oppositionsbildung zu
verstehen, die selbst ein konstitutives Ideologieprodukt der Moderne
ist: Die als unterdrückerisch definierten ‚traditionellen‘
Gesellschaften werden dabei von den ‚modernen‘ Gesellschaften
unterschieden, die als einzige eine individuelle Selbstverwirklichung
in Aussicht stellen.‘“ (Seibert S. 178/179)
Was
war aber ist dann mit den Intellektuellen, auch Künstlerinnen und
Künstlern, der „Vormoderne“? Werden ihre Leistungen nur als
Vorbereitung, Vorstufen der endlich als Gipfel der Geschichte
erreichten Moderne wertvoll? Was ist mit den Heiligen, Philosophen,
Sängern, Ausreißern, den vielen Unbenannten, den Schelmen und
Aufrührern? Haben die keine Chance der „Selbstverwirklichung“ gehabt?
(s. Reckwitz 2010) Gern wird, in einer oberflächlichen Teleologie, alles
Avantgardistische als „Vorläufer der Moderne“ interpretiert. Auf die
„Moderne“ wird alles fokussiert, nötigenfalls dann auch noch auf eine
„Zweite Moderne“ oder „Modernisierung der Moderne“, wenn die „einfache“
Moderne zu krisenhaft erscheint. Adorno schreibt an Horkheimer: „In allen Bewegungen, welche die
Welt verändern möchten, ist immer etwas Altertümliches,
Zurückgebliebenes, Anachronistisches. Das Maß dessen, was ersehnt wird,
ist immer bis zu einem gewissen Grade Glück, das durch den Fortschritt
der Geschichte verlorengegangen ist.“ (zit. Demirović 1999, zit.
Seibert 305) Das kennt man seit den Bauernkriegen, und die Romantik
greift es auf. In der Ökonomie zählt die Zerstörung der traditionellen
Lebenswelten für einen Neoliberalen wie E.A. von Hayek (1899-1992) zu
den notwendigen Kosten eines unvermeidlichen Fortschritts.
Wachstumsgesellschaften scheinen ihm naturgesetzlich begründet zu sein.
Für ihn wäre es eine schreckliche Vorstellung, wenn niemand aus dem
gewohnten Rahmen ausbrechen und einem selbstzweckhaften Fortschritt den
Weg bereiten würde: „Viele europäische Bauern, insbesondere die in
entlegenen Gebirgstälern, sind ein Beispiel. Sie hängen an ihrer
Lebensweise, obwohl sie in eine Sackgasse führt, obwohl sie zu abhängig
von der sich ständig ändernden städtischen Zivilisation geworden ist,
als daß sie sich erhalten könnten) Und: „Die Änderungen, in die sich
solche Menschen fügen müssen, gehören zu den Kosten des Fortschritts“
(Hayek 1971, S. 61). Diese Lebensweise hat freilich die Existenz dieser
Bauern über Jahrhunderte hinweg sichern können, länger als in der
„Moderne“ auch nur vorstellbar, und in allen Nachkriegs- und sonstigen
Krisenzeiten konnten diese Bauern sich immer besser erhalten als die
Städter. Dass aus solchen Überlegungen gewaltige Aufgaben für die
Sicherung der Ernährungsgrundlagen der Weltbevölkerung bei
gleichzeitiger Vermeidung der Vergiftung und Zerstörung der
Produktionsgrundlagen resultieren versteht sich. Wie Hayek argumentiert in dem Roman „Jakob der Letzte“ von Peter
Rosegger der Pfarrer, der den Waldbauern dazu überreden will, seinen
Wald zu verkaufen, auch wenn es ihm danach möglicherweise nicht besser
geht. Wenn solche Alternativen zur Wahl stehen, sind vorher immer
gesellschaftspolitische Entscheidungen getroffen worden, mit denen aus
mehreren möglichen Pfaden ausgewählt wurde. Das ist für Rosegger wie
für Hayek kein Thema (man hätte z. B. dem Kapitalisten, der den Wald
des Waldbauern für sein geschlossenes ungestörtes Jagdgebiet haben
will, verbieten können, sich ein solches Jagdgebiet zu schaffen, oder
man hätte es mit deutlichen Auflagen verbinden können, oder dem
Waldbesitzer anderswo angemessene Kompensation schaffen können: solche
Aushandlungsprozesse sind heute mehr denn früher alltäglich). Hayek
konnte sich anscheinend nicht vorstellen, dass es auch jenseits des
Strebens nach Modernisierung, Fortschritt und (unbegrenzter) Freiheit
ein vielfältiges, abwechslungsreiches sozialkulturelles Leben gibt. Mit
verbalem Pathos preist er die Dynamik des alle Regeln aufhebenden
Fortschritts, ohne zu bedenken, dass daraus auch zerstörerische Krisen
entstehen können. Auch als radikaler Vertreter des freien Marktes und
des Fortschritts als Selbstzweck muss er freilich zugeben, dass nicht
nur die Politiker die Welt zerstören können (Hayek Interview S. 40). Geschichte erinnert an viele Möglichkeiten der Organisation
menschlichen Zusammenlebens. In der Vor-und Frühgeschichte gab es
Zustände, in denen Nahrung im Überfluss vorhanden waren (Iriye 178,
182), und in solchen Wohlfahrtgesellschaften war ein Leben im Steady
State möglich: Es gab Überfluss, keinen Zwang zum „Fortschritt“,
dennoch war Spezialisierungen möglich. Im Japan der Jomon-Zeit gab es
seit 15.000 vor Christi etwa 10.000 Jahre lang Wildbeuter in
permanenten Siedlungen ohne produzierendes Wirtschaften (Iriye S.
123,175). In Australien lebten Menschen vielleicht 50.000 Jahre ohne
produzierendes Wirtschaften. Ähnlich statische Lebensverhältnisse von
Wohlstandsgesellschaften gab es auf dem amerikanischen Kontinent. Wo es
Nahrung im Überfluss gibt, können auch Wildbeuter Ortsbindung
entwickeln (ebd. S.127/128). Riesige Muschelhaufen als Zeugnisse von
langlebigen Siedlungen gibt es an der Ostsee, in Ostasien, in Amerika.
(ebd. S. 127, 181) In solchen Überflussgesellschaften waren
Veränderungen nicht zwangsläufig. Nach dem Rückgang der Eiszeit führten
„Besitz, Kontrolle und Verteilung der neuen Rohstoffe … in Bajkalien
und anderswo in Sibirien also nicht zwangsläufig zu einer
gesellschaftlichen Schichtung; vielmehr lebten die Jäger-, Fischer und
Sammlergemeinschaften weiterhin so wie seit Jahrtausenden.“ (ebd. S.
163) Der Grund für solche Stabilität war, dass es dort kein
Domestikationspotential für einen Übergang zur produzierenden
(neolithischen) Lebensweise gab (ebd. S. 126). So wird interpretiert –
aber vielleicht wollten es die Menschen auch nicht anders, weil ihnen
ihre gewohnten sozialregulativen Standards des guten und richtigen
Lebens lieber waren (sicher war auch das nicht ohne Konflikte und
Emotionen; aber diese Freiheit muss man ihnen lassen). Auch bei den frühen Hochkulturen wechselten „Fortschritte,
Umbrüche und Rückschritte“ einander immer wieder ab (ebd. S. S. 180).
Da lässt sich ein Schema von Teleologie, Evolution oder Fortschritt
nicht hineininterpretieren; Geschichte braucht es nicht. In viel
späteren historischen Zeiten der Neuzeit verzichteten China (nach dem
16. Jahrhundert), aber auch Japan vom 17. bis 19. Jahrhundert bewusst
auf Wachstum und Expansion und zogen Lebensweisen der Suffizienz und
inneren Entwicklung vor. Natürlich kann man darüber spotten, wenn die nachhaltigen
Lebensweisen vorneolithischer Prosperitätsgesellschaften gelobt werden,
und natürlich sind weder China noch Japan in ihren Restriktionsphasen
Vorbilder für heute. Dass es in den Staaten und Regionen Europas und
anderer Wachstumszentren seit der frühen Neuzeit immer auch Teile des
jeweiligen Landes gab, in denen Menschen nachhaltige Lebensformen mit
Suffizienz (und gelegentlichem Exzess) abseits der Wachstums- und
Modernisierungsschwerpunkte praktizierten, ist da vielleicht schon
interessanter. Aber für eine zukünftige Lebensform der Nachhaltigkeit
ist noch viel Begriffsarbeit und sozialkulturelle Innovation nötig. Der
ambivalente Kapitalismus wird´s wohl eher nicht richten.
9. Imperiale Lebensweise
Lebensweisen mit
so langer Dauer wie in der Vor- und Frühgeschichte sind derzeit nicht
vorstellbar. Die exponentielle Fülle des globalen Wachstums trat in den
Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Das führt in der
Fortsetzung notwendigerweise zu Krisen. Mit dem Begriff „Imperiale Lebensweise“ (S. 275) umreißt Seibert
die „Subjektivierungsweisen einerseits der Flexibilisierung,
Prekarisierung, Kybernetisierung und Fragmentierung, andererseits der
Responsibilisierung, Individualisierung und vor allem der
Mediokrisierung ... Mit dem Begriff der Mediokrisierung habe ich
einerseits darauf verwiesen, dass diese Lebensweise primär diejenige
der globalen Mittelklassen ist, als solche andererseits aber einen
ethisch-politischen Sog vor allem auf die globalen Unterklassen ausübt
und insofern zuletzt doch Lebensweise der meisten
ist. Was ich bisher ‚Sog‘ genannt habe, kann jetzt auch als Hegemonie
begriffen werden. Entscheidend ist nun aber, dass das Empire als das
alle biopolitische Produktion regulierendes Produktions-,
Governementalitäts- und Hegemonieverhältnis mittlerweile von der
Entwicklungsform zur ‚Fessel‘ der biopolitischen Produktivkräfte
geworden ist. Zu diesen Produktivkräften gehören vor allen anderen wir
selbst: die Arbeiter*innen des globalisierten Kapitals. Es ist unser
Leben, das an jeden Ort und zu jeder Zeit dem Kapital subsumiert wird,
unsere Subjektivität, die in jeder ihrer Äußerungen produktiv gemacht,
verwertet, bis in die letzte Regung hinein ausgebeutet wird. … Wir
selbst sind das Empire – die Subjektivierten der imperialen
Lebensweise.“ (S. 275) Bei Negri/Hardt entfaltet sich daraus die
„materialistische Teleologie“ der Multituden (275). Ähnlich argumentieren Ulrich Brand und Markus Wissen (die
Seibert zitiert). Für sie bezieht sich der Begriff „imperiale
Lebensweise“ auf deren globale Attraktivität und auf die
Externalisierung der Kosten in den Prosperitätsregionen, mit der sie
ermöglicht wird. „Der Kerngedanke des Begriffs ist, dass das
alltägliche Leben in den kapitalistischen Zentren wesentlich über die
Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der
Naturverhältnisse andernorts ermöglicht wird: über den im Prinzip
unbegrenzten Zugriff auf das Arbeitsvermögen, die natürlichen
Ressourcen und die Senken – also jene Ökosysteme, die mehr von einem
bestimmten Stoff aufnehmen, als sie selbst an ihre Umwelt abgeben (wie
Regenwälder und Ozeane im Fall von CO² - im globalen Maßstab.“
(Brand/Wissen S. 43) Daraus resultiert, dass sie nicht über längere
Zeiträume hinweg fortsetzbar sind. „Die wohlhabenden Industrienationen
nehmen diese negativen Auswirkungen nicht nur systemtisch in Kauf. Sie
rechnen vielmehr mit ihnen und diese rechnen sich für sie.“ (Lessenich
S. 24) Im Norden hat diese Lebensweise sich entwickelt, ist auch dort
nicht flächendeckend verbreitet, wirkt aber global als Vorbild. Die
„Imperiale Lebensweise“ hat sich „in das Begehren und in die Körper
vieler Menschen eingeschrieben“ (Brand/Wissen S. 169). Sie steht im
Hintergrund globaler ökonomischer Prozesse, bei denen die geförderte
Entfaltung des privaten Konsums eine zentrale Rolle spielt. Süd und Nord, Zerstörung dort, Stabilität hier sind dabei
untrennbar miteinander verflochten: Die Expansion der
„industrialisierten Landwirtschaft“ z. B. ist verbunden mit
Fleischkonsum als Bestandteil von Wohlstand und Lebensqualität
(Brand/Wissen S. 101). Die überkommenen lokal angepassten und
„semisubsistenten agrar-ökologischen Praxen“, immer noch für einen
Großteil der Welternährung verantwortlich, geraten durch „Landgrabbig“
unter Druck, „food from nowhere“ externalisiert die Zerstörungsfolgen
in Raum und Zeit (Brand/Wissen S. 102). Der Prozess beschleunigt sich.
Die vertriebenen Menschen ziehen in die Städte. Die drohenden
ökologischen Krisen signalisieren, dass der Norden sich zu Tode siegen
kann (Brand/Wissen S. 14). Es befinden sich „derze2it zwei Drittel der Weltbevölkerung im
Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft“ (106), und die
urbane Lebenseise, von Seibert als Bestandteil des kapitalistischen
Ambivalenz interpretiert, wird immer dominierender. Eine
„energieintensive, in weiten Teilen erdölabhängige Lebensweise, wie sie
im globalen Norden seit langem Normalität“ ist (Brand/Wissen S. 106),
wird derzeit in Indien, China und anderswo von den Mittel- und
Oberklassen der aufsteigenden Schwellenländer übernommen, so daß sich
auch dort die „imperiale Lebensweise“ mit „Individualverkehr,
fleischhaltiger Ernährung und ressourcenaufwendigen Konsumgütern“ (ebd.
S. 108) verbreitet – mit allen Risiken dort und hier. Die Migrationen
von heute gehören mit ihren Push- und Pullfaktoren zu diesen
Widersprüchen (ebd. S. 122/123). „Zukunft ist ein kulturelles Programm“. Dieser Satz von Hilmar
Hoffmann, dem ehemaligen Kulturdezernenten von Frankfurt am Main und
Präsidenten des Goethe-Instituts, ist ernst zu nehmen. Die „Kräfte des
Wünschens und Begehrens“ haben Weltreiche zum Zusammenbruch gebracht,
aber auch welche aufgebaut. Sie wirken freilich genauso wenig
automatisch wie ökonomische oder sozialstatistische (demographische)
Trends: Sie brauchen Raum zur Entfaltung und sie schaffen ihn sich,
solange keine Hindernisse in den Weg gelegt werden.
10. Kultur und sozialregulative Standards
Dem
„stahlharten Gehäuse“ des Konsumismus (Jackson 2011: 92) zu entrinnen
scheint kaum möglich; die „imperiale Lebensweise“ macht nahezu alle zu
Komplizen einer zerstörerischen Struktur. Die erläuterten Verhältnisse
sind Strukturen, die ncht so einfach außer Kraft gesetzt werden können.
Das geht vor allem auch deswegen nicht, weil Menschen nicht als
isolierte Monaden leben, sondern in Gemeinschaften (Milieus) und in
vielerlei Beziehung angewiesen sind auf die Anerkennung durch ihre
Mitmenschen. Anerkennung ist eine wichtige Kategorie bei Seibert. Auch Axel
Honneth gewichtet sie stark. Sie wird in der Debatte um soziale
Gerechtigkeit meist vernachlässigt. Aber in zeitgenössischen
Gesellschaften (und nicht nur dort) spielt der „Prozess der
Ausdifferenzierung von verschiedenen Sphären der wechselseitigen
Anerkennung“ eine wichtige Rolle. „Mit Hilfe des Begriffs der
Anerkennung soll Aufschluss darüber gewonnen werden, welche Antriebe es
sind, die die Gesellschaftsmitglieder zur Übernahme sozialer
Verpflichtungen bewegen: Jeder Mensch ist, wie Parsons sagt, primär an
der Wahrung einer Form der ‚Selbstachtung‘ interessiert, die auf die
Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner angewiesen
ist.“ (Honneth 2011, S. 37) Das betont den Zusammenhang mit der
sozialen Gruppe, der Gemeinschaft und des Milieus. „Diese Sicht auf die
Architektur moderner Gesellschaften erzwingt folgenreiche
Akzentverschiebungen gegenüber dem Gros soziologischer und
politikwissenschaftlicher Ansätze: Zum einen wandelt sich die
Vorstellung über die Eigenart gesellschaftlicher Subsysteme und
Institutionen – diese müssen als ausdifferenzierte, um Normen der
reziproken Achtung kristallisierte Handlungssphären begriffen werden,
weil die ihnen innewohnenden Pflichten und Verantwortlichkeiten vor
allem aus dem Streben nach sozialer Anerkennung heraus erfüllt werden.
Die Normen und Werte, die als moralische Integrationsquellen in diesen
Sphären dienen, müssen zugleich Standards liefern, in deren Licht sich
die Teilnehmer wechselseitig anerkennen können. Zum anderen erhält die
Beschreibung sozialer Konflikte eine neue Gestalt: Diese können, in
Anlehnung an eine Denkfigur Hegels, als ein ‚Kampf um Anerkennung‘
begriffen werden, als das Ringen um eine Neubewertung,
Neuinterpretation oder Neuformulierung der in den jeweiligen Sphären
geltenden Normen der Anerkennung.“ (Honneth 2011, S. 37) In dieser Beschreibung können „vormoderne“ Gemeinschaften leicht
wiedererkannt werden, und sie entspricht auch den Prinzipien, mit denen
eine Kulturwissenschaft wie die Europäische Ethnologie zeitgenössische
Milieus interpretiert. Gemeinschaften und Milieus werden
zusammengehalten durch die geteilten sozialkulturellen Werte und
Standards des guten und richtigen Lebens. Es sind die
„handlungsleitenden sozialmoralischen Standards“, von denen Ruth und
Dieter Groh sprechen (Groh 1990, S. 234-279) Es handelt sich um ein altes Thema. „Die Gestaltung eines
erfüllten, moralischen und glücklichen Lebens war bereits in der Antike
ein zentrales Thema der Philosophie. Im Mittelalter und in der frühen
Neuzeit sind andere Themen in den Vordergrund gerückt. Erst im 19. und
beginnenden 20. Jahrhundert gewann sie wieder eine große Bedeutung
durch die aufkommende Lebensphilosophie, die Existenzialphilosophie und
den französischen Existenzialismus.“ (Gloor)
11. Begehren, Begierde, Care-Arbeit und Lebensqualität
Die
„imperiale Lebensweise“ wird affirmiert, wenn man ihre Realisierung als
Aspekt der möglichen Befreiung durch den ambivalenten Kapitalismus
betrachtet. Einst war es der erschlossene „Springquell menschlichen
Reichtums“, der in der von „vormodernen“ Fesseln befreiten bürgerlichen
Gesellschaft erschlossen werden und dann im Sozialismus ein befreites
Leben ermöglichen sollte. Damals dachte man noch nicht an das Versiegen
dieser Quellen des Reichtums. In der Wachstums- und Konsumgesellschaft,
vor allem aber in der imperialen Lebensweise, wird die zerstörerische
Konsequenz erkennbar. Der Volkskundler und Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger
meinte, dass eine Bändigung des Strebens nach Genuss zugunsten der
Zukunft des Gemeinwesens außerordentlich schwer sei. Wie mit den
sprengenden Kräfte des Wünschens und Begehrens bei der Suche nach
nachhaltiger und zukunftsfähiger Lebensweise umzugehen ist, das dürfte
in der Tat eines der schwierigsten Probleme beim Umgang mit den Grenzen
der Wachstumsgesellschaft sein. (Kramer 2016) Der „neoliberal-postfordistisch modernisierte Bio- und
Semiokapitalismus“ fordert: Bring dich als Subjekt ein, auch mit deiner
Libido. Die Einheit von Arbeit und Lust wird versprochen (Seibert S.
211). Als das Ende des „Fordismus“ erkennbar wurde, gab es den Versuch,
den Begriff zu ersetzen durch „Toyotisnus“: Das wäre die sich mit ihm
durchsetzende Form der „totalen“ Einvernahme der Werktätigen durch eine
transnationale, auch klassen- und schichtenübergreifende Ausrichtung
auf transnationale Unternehmen, die eine übergreifende Unterwerfung
unter Firmenideologie fordern. Die Absorption der Phantasie des Mai 68
durch die Fetischisierung von Innovation und Kreativität im Management
kann als Teil einer solchen Strategie betrachtet werden. Kultur ist nicht nur, wie wir leben und arbeiten, sondern auch
wie wir leben wollen, hieß es einst. Auf dem Weltsozialforum Belem gab
es die Parole: „Wir wollen nicht besser, wir wollen gut leben“ (Seibert
407). Das fordert dazu auf, Lebensqualität ins Zentrum zu stellen,
gleich daneben Gemeinsinn und Gemeinwohl. Menschen werden dann nicht
mehr als habgierige Mängelwesen betrachtet, die wie der homo
oeconomicus als isolierte Monade handeln (Herrmann 2016). Die Betonung des Telos der subjektiven Freiheit des Individuums
unterstützt freilich die Vorstellung vom habgierigen Mängelwesen –
entsprechend wird von Seibert zu dem „Geschichtszeichen“ von 1789 meist
nur Freiheit und Gleichheit zitiert, selten (nur am Rande)
Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit (S. 264, 341, s.o.). Zu der Parole von Belem gehören Gedanken der Gemeinwohlökonomie
und die von Seibert erwähnten lateinamerikanischen Verfassungen,
vielleicht auch die synkretistischen Maria- und Gaia-Spiritualitäten,
ebenso afrikanische oder asiatische Spiritualität (auch Ujamaa in
Tansania, S. 406) in der existenzökologischen Bewegung, die auf das
„Ganze des Chaosmos“ gerichtet ist (S. 408). Gemeinwohl, Common Wealth
und Gemeinnutzen werden auch bei Streiks um das Grundrecht auf Wasser
zum Thema (S. 278/9). Es sind „Ereignisse“, die abstrakt gewichtet
werden als Verdichtungen und die „zum Stiftungsakt eines
‚Wahrheitssubjekts‘, das als solches ein Subjekt einer
‚Wahrheitsprozedur‘ oder ‚Wahrheitssequenz‘ ist.“ (S. 280, auch bezogen
auf Badiou/Žižek). Alle sind wie mir scheint, nicht kompatibel mit dem
entfesselten Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Möglich ist die „Wiederverzauberung aus Freiheit“ (S. 239). Bei
der Ökologie der Psyche, des Sozialen, der Umwelt und „im Verweis auf
die Aufhebung des ‚Eisernen Vorhangs‘ zwischen Materie und Geist“
(Seibert S. 237) geht es um Grundfragen: Das Wahre ist das Ganze – und
umgekehrt. Es gibt den „Wahrheitsprozess der Liebe“ (S. 281). Häufig ist
von der existenziellen Bedeutung der Liebe (als mindestens Zweisamkeit)
die Rede, aber das vereinzelte Subjekt steht dennoch wie in der
Orthodoxie der Ökonomie-Theorie im Vordergrund. Arbeit und Lust können
miteinander einhergehen, auch Arbeit und Wunsch, oder Politik der Lüste
(S. 211). In den Kämpfen um Subjektivität (S. 221 – nicht denen um
Solidarität oder Brüderlichkeit!) entsteht die „Ästhetik der Existenz“.
Von einer „Ästhetik der Subsistenz“ wird schon lange gesprochen
(Kramer 2016 S. 69). Für sie gilt, dass Selbstbegrenzung und „Leben in
der Fülle“ miteinander kombinierbar sind. Formen des exzessiven
Genusses im Konsum und im Umgang mit (Lebens-)Zeit und (Lebens-)Kraft
werden in allen Gesellschaften als Bestandteil der Lebensqualität
empfunden. Seibert nennt mit Hinweis auf Nietzsche die Verheißung des
Lebens und den Fluch auf das Leben in der tragische Lebensbejahung:
Dionysos und der Gekreuzigte gehören zum Schicksal der Menschheit
(Seibert S. 233). Wenn eine Gesellschaft selbstzweckhaftem Genuss als
Artikulation und Bestätigung von (immer relativ zu sehendem) Reichtum
keinen Raum lässt, dann produziert sie bei ihren Mitgliedern
Frustrationen und Aggressionen - und dies umso mehr, je mehr die
Menschen das Gefühl haben, dass solche Reichtümer existieren. Mit den Exzessen des „Lebens in der Fülle“ muss ebenso wie mit
symbolischen Gebrauchswerten, die der Ästhetik oder der Unterscheidung
von anderen wegen gewählt werden, die Lebenswelt nicht zerstört werden.
Es gehört im Gegenteil gerade zur Qualität überlebens- und
zukunftsfähiger Gesellschaften, dass sie beides, den Exzess und die
Stabilität, gewährleisten können: Kulturell strukturierter exzessiver
Konsum in Fest und Feier ist eher ein Garant der Nachhaltigkeit als
aufgezwungene Askese, aus der viele immer wieder ausbrechen. Der
gelegentliche Exzess lässt Suffizienz besser ertragen und sichert so
auf der emotionalen Ebene Elastizität. Das zeigt sich auch im Umgang
mit Drogen (s.o.). So kann auch die von Hermann Bausinger thematisierte
Bändigung des Strebens nach Genuss möglich werden. Andere Strategien sind damit kompatibel. Nicht überholte
Anregungen zur sozialökologischen Transformation hat Gregor Gysi 1999
geliefert. Seine „Zwölf Thesen für eine Politik des modernen
Sozialismus“ formulieren: „Die Verbindung von ökologischem Umbau,
Modernisierung der Arbeitsgesellschaft und Begründung einer
vielgestaltigen und reichhaltigen Lebensweise könnte einen nachhaltigen
Entwicklungstyp schaffen, der die Schranken des fordistischen
Kapitalismus überwindet, umweltverträglich wird und die
wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine freiere Entwicklung aller
ermöglicht.“ Er solle den „sozial gebändigten Kapitalismus der
Nachkriegszeit“ ablösen. Es heißt weiter: „Eine moderne
Arbeitsgesellschaft muß auch eine neue Verbindung von Erwerbsarbeit und
schöpferischer gemeinschaftlicher und individueller Eigenarbeit
ermöglichen. Die Erschließung reichhaltiger und sinnerfüllter Felder
für Gemeinschafts- und Eigenarbeit kann bei der ökologischen
Umgestaltung der Lebenswelt beginnen, muß die Rückgewinnung der
Gestaltungshoheit über die gemeinschaftlichen Angelegenheiten der
Kommunen und Regionen umfassen und wird in die Entwicklung einer
Vielzahl sozialer und kultureller Projekte münden.“ (Gysi 1999; s. auch
Kramer 2003) Im Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ wird
betont, dass beim Bürgerschaftlichen Engagement
„Gemeinwohlorientierung, Geselligkeitsorientierung und
Interessenorientierung“ eine nicht auflösbare Gemengelage bilden
(Enquete-Kommission 1999; Schlussbericht 2013: S. 350). Das gilt auch
und gerade, wenn dieses Engagement nicht nur Lücken der Staatstätigkeit
ausgleichen soll, sondern die eigenen Ziele der Akteure thematisiert. Drei Dimensionen des Alltagslebens, in denen die mit anderen
geteilten sozialregulativen Standards des guten und richtigen Lebens
(s. o.) gelten, sind es vor allem, bei denen nicht nur
sozialpsychologische, soziologische, ökonomische oder politologische
Dimensionen durch kulturwissenschaftliche Überlegungen ergänzt werden
können: Lebensqualität, Zukunftsorientierung und Selbstbegrenzung
(Suffizienz) im Alltag. Zur Lebensqualität: Im Alltag suchen die Menschen in ihren
sozialen Zusammenhängen von Familie, Nachbarschaft, Freundschaft,
Arbeitsplatz ihre Vorstellungen von Lebensqualität zu realisieren. Dazu
gehört auch der Wunsch nach Zeitsouveränität und freier Zeit, nach
Selbstverwirklichung, nach „Neuem Luxus“ usf. Ihm können Einkommen,
Arbeitsplätze, Gerechtigkeit, Umweltqualität beigeordnet werden. Aber
für keine politische Bewegung oder ökonomische Theorie steht derzeit Lebensqualität im Zentrum.
Zur Zukunftsorientierung:
Ohne viel nachzudenken bringen die Individuen diese Dimension in ihr
Handeln ein. Ihre eigene Zukunft soll überschaubar und sicher sein.
Selbst wenn man in der Wohlstandsgesellschaft nicht unbedingt meint,
den eigenen Kinder soll es „noch besser“ gehen, so sollen sie es doch
nicht schlechter haben; vor allem eine Zukunft sollen sie haben. Auch
diese Orientierungen gehören zum Alltag, und sie beeinflussen das
Handeln der Menschen. Suffizienz (Selbstbegrenzung) ist in den Diskussionen der
Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensweise (Schlussbericht
2013) ein wichtiges Thema. „Genug haben“ steht in einem
Spannungsverhältnis zum ständig geforderten Wachstum. Im Alltag
praktizieren die Menschen notwendigerweise freiwillig und mit guten
Gefühlen ständig Selbstbegrenzung (junge Menschen verständlicherweise
am wenigsten, und dafür haben sie in allen Gesellschaften Freiräume ),
sonst würden sie immer wieder scheitern. Wenn man daran erinnert,
werden Einschränkungen im Zusammenhang mit sozialökologischer
Transformation nachvollziehbar und akzeptabel. Die vergemeinschafteten Individuen müssen sich mit ihren Wünsche
nach Lebensqualität nicht nur in der Programmatik der alltäglichen
Politik, sondern auch beim sozialökologischen Wandel wiederfinden
können, und die Politik muss von diesen Wünschen angetrieben werden. Jenseits aller spekulativen Vertröstungen auf Freiheit oder
Sozialismus sind das die Alltags-Lebenswelten der „Bloom“, der
einfachen Menschen bei James Joyce, von denen der von Seibert prominent
zitierte anarchistische Text Tiqqun spricht (s.u.), und die bei Honneth
und Seibert eine Rolle spielen. Gutes Leben auch mit weniger Aufwand
vorstellbar werden lassen (Seibert 406) ist nicht unmöglich – frühere
und zeitgenössische Gesellschaften ohne entfesselte Marktwirtschaft
haben es in der Verbindung von Suffizienz im Alltag und gelegentlichem
temporären Exzess in ihren Konsumwelten auch geschafft (Kramer 2016).
Die kulturwissenschaftliche Perspektive erinnert daran. Es geht nicht
um das Überleben der Gattung (in der „flach-ökologischen oder gar
sozio- biologischen“ Auseinandersetzung, sondern um „das Gute Leben der
Existierenden“ (bezogen auf Plato und andere) (Seibert 407).
12. Molekulare und mikropolitische Aspekte
Seibert schreibt: „Für den Mai 68 realisiert sie
deshalb, was Hegel von allen weltgeschichtlichen Umbrüchen sagt: ‚Den
großen in die Augen fallenden Revolutionen muss vorher eine stille,
geheime Revolution im Geist des Zeitalters vorangegangen sein, die
nicht jedem Auge sichtbar, am wenigsten für die Zeitgenossen
beobachtbar und ebenso schwer mit Worten darzustellen als aufzufassen
ist.‘“ (Seibert S. 170) Das erinnert daran, wie Adalbert Stifter in der
Vorrede zu den Bunten Steinen mit dem „Sanften Gesetz“ die alltäglichen
Wirkfaktoren des Lebens als allgemeinen Prozess ohne Teleologie
beschreibt. Dieter Klein, bei Seibert nicht erwähnt, entwickelt die Idee von
den „molekularen Wandlungen“ und erinnert daran, dass im Schoße des
Bestehenden von innen heraus bewusst und unbewusst die Zerrüttung der
Selbstverständlichkeiten der Hegemonie betrieben wird. Manche, ja viele „molekulare Experimente“ wie Carsharing,
Tauschbörsen, Direktverkauf (Grewe, s. Rez. in Kulturation) als
Bestandteile der „stillen, geheimen Revolution“ werden
marktwirtschaftlich absorbiert, ebenso wie mikropolitische Fluchten (S.
134, S.194), Molarität und Molekularität (S. 195, S. 342) und
Spurenelemente (S.422). Aber sie wirken dennoch, weil sie manche
Selbstverständlichkeiten der Konsumgesellschaft relativieren.
„Minder-Werden, Flucht und molekulare Mikropolitiken“ sind der Kern der
„Reformation“ bei Foucault (S. 219) und bei den „Neuen Sozialen
Bewegungen“. Ansätze für eine nachhaltige sozialökologische und solidarische
Lebensweise können „unspektakulär“ entstehen „und darin bestehen, sich
den heutigen Lebens- und Konsumnormen zu entziehen“ (Brand/Wissen 177),
die Selbstverständlichkeiten der Wachstums- und Marktgesellschaft zu
vermeiden, „andere Logiken sozial-ökologischer Reproduktion“ zu
erkunden und etwa auch über Suffizienz nachzudenken sowie „Schutz vor
Marktabhängigkeiten“ (ebd. S. 179) zu sichern. Hinweise auf „über sich selbst hinaustreibende Reformen“, in der
Diskussion um Reform und Revolution seit Marx und Engels präsent, haben
hier ihren Platz. Demokratische Verfahren zu entwickeln, bei denen
Lebensqualität und Nachhaltigkeit in zielführenden
Rückkoppelungsschleifen (sich selbst fortsetzenden Prozessen)
miteinander gekoppelt sind, wäre eine jener „sozialen“ oder
„sozialkulturellen“ Innovationen, wie sie derzeit vermutlich wichtiger
sind als manche „Start ups“ mit neuen Gewinn und Umsatz versprechenden
Innovationen. Die Lokaldemokratie, die von Dieter Hoffmann-Axthelm
vorgeschlagen wurde (s. Rez. in Kulturation), gehört dazu, ebenso
können manche Ideen zur Reform des Genossenschaftswesens (etwa in
Österreich, s. Kramer 2016) so etwas sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang die „Gemeinwohlökonomie“
(GWÖ). Die Berliner Kulturwissenschaftlerin Cornelia Kühn hat in einem
Referat bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde 2017
erläutert: „Zentrale Aufgabe der GWÖ ist es statt einer
Profitmaximierung als Ziel von Unternehmen, Institutionen aber auch
Einzelpersonen eine Gemeinwohlorientierung im Wertesystem der Bürger,
in der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft zu etablieren.“
Christian Felber vertritt seit Jahren dieses Modell. „Das Konzept des
Homo Oeconomicus … soll abgelöst werden durch ein Konzept des
kooperierenden Miteinanders mit dem Ziel des größtmöglichen
Gemeinwohls. Damit, so sagt Felber, soll der Werte-Widerspruch zwischen
Wirtschaft und Gesellschaft aufgelöst werden und in der Wirtschaft
dieselben Werte gelten wie in zwischenmenschlichen Beziehungen, also
Vertrauen, Wertschätzung, Kooperation, Solidarität und Teilen.“ (Kühn).
Christian Felber will darauf hinarbeite durch die „Bewusstmachung
der amoralischen und asozialen Form des aktuellen Wirtschaftens“
(Kühn), aber auch durch eine „Verfassungsänderung, die die rechtlichen
Rahmenbedingungen so ändert, dass der Anreiz – durch eine veränderte
Besteuerung der Unternehmen – eben nicht Gewinnstreben bzw.
Profitmaximierung, sondern Gemeinwohlstreben/ Gemeinwohlmaximierung
ist.“ (Kühn) Die Gemeinwohlbilanzen, die in diesem Kontext auf individueller,
lokaler und regionaler Ebene erstellt werden können, bewerten alles
„von den Zuliefererfirmen, über den Finanzdienstleister …, bis hin zur
Partizipation der Mitarbeiter*innen, die Bezahlung und die Arbeitszeit
der im Unternehmen Beschäftigten und natürlich die Bewertung der
Produkte oder Dienstleistungen, die das Unternehmen produziert. Diese
Bilanzierung kann – und das ist das zweite Beispiel für die politische
Ebene – auch von Gemeinden durchgeführt werden – mit einer etwas
veränderten GWÖ-Matrix. Dabei wird z.B. gefragt, inwieweit durch die
Gemeinde ökologisch arbeitende und lokal ansässige Unternehmen
gefördert werden … Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss
(EWSA) in Brüssel hat die Gemeinwohl-Ökonomie und ihre Potentiale als
richtungsweisend mit einem sehr positiven Abstimmungsergebnis
anerkannt. … 204 Unternehmen haben derzeit eine GWÖ-Bilanz erstellt,
u.a. auch die taz-die Tageszeitung, die Sparda-Bank München oder die
Fachhochschule Burgenland in Österreich.“ (Kühn) Auf diese Weise werden
marktkonforme Anreize für entsprechende Strukturen geschaffen werden,
mit denen sozialökologischer Wandel eingeleitet werden kann. Der Weg dorthin ist derzeit, das zeigen Beispiele wie die
Auseinandersetzung um das nicht zuletzt auch für das Insektensterben
verantwortliche Glyphosat in Deutschland und der EU (Maurin 2017) oder
die südtiroler Initiative „Pestizidfreies Mals“ (Schiebel, s. Rez. in
Kulturation) außerordentlich schwer. Die Spielräume sind verdammt eng,
aber sie nicht auszunutzen und wider alle Vernunftbedenken auszuweiten
versuchen, das wäre sträflich. In solche Ebenen der Praxis begibt sich Seibert nicht. Seine Überlegungen bleiben auf der Ebene der Theorie-Diskussion.
13. Anarchie und Radikalität
In
der „Kommunismus-Debatte“ zum Ende der 1990er Jahre meldet sich das
„Kollektiv Tiqqun“ zu Wort (Seibert S. 353 u.v.a.). Es plädiert für
einen radikalen „kommender Aufstand“ anarchistischer Prägung gegen jede
wirtschaftliche und politische Unterwerfung, radikal wie Foucault, der
nach dem Mai 68 schreibt: „Die Gesamtgesellschaft ist dasjenige, dem
nur insoweit Rechnung zu tragen ist, als es zerstört werden soll.“
(zit. Seibert S. 349). Es ist ein Radikalismus in der Tradition der
„Situationalistischen Internationale (SI) (S. 148,S. 162/163) die, den
Surrealismus beerbend, auf die „Verwirklichung des totalen Menschen“,
auf die „freie Konstruktion des alltäglichen Lebens“ (S. 165) zielt.
Als eine von vielen Möglichkeiten werden solche exaltierten Gedanken
immer wieder aufgegriffen. Nur in Nischen lebend (wie Christiania in
Kopenhagen, das es längst aufgeben musste, ein rechtsfreier Raum zu
sein, oder wie die Rote Flora in Hamburg) gehören sie wie der
TUNIX-Kongress von 1978 in Berlin (an den 2018 anlässlich des Jubiläums
erinnert wird) zu dem Erbe der Bohème und des Mai 1968. Die SI greift die „existenzökologische Dialektik von
Sozialkritik (Arbeiter*innenbewegung) und Künstler*innenkritik (moderne
Kunst und Poesie)“ auf (S. 165). Der SI kann man das Gespür für
Spektakel bescheinigen. Mit Bluff und Scherz tritt sie mit ihren
organisationspolitischen Assoziationen auf. Da wird dann auch der
Serien-Ausbrecher Jacques Mesrine (S. 175) zum Helden. Erbe und
Tradition der Bohème scheinen bei allem hindurch. Solche Radikalität ist leichtfüßig und in manchen Phasen und
Situationen des Lebens für manche attraktiv, es ist das „Pathos einer
Öffnung der Existenz in die Chaosmose“ (S. 232). Aber das ist nicht
weiterführend. Sozial- und Künstler*innenkritik (Seibert S. 171, 174) –
zeitweise mit dem Vorrang letzterer , aber auch zusammengehend (aber
man denke an den Slogan der Frauenbewegung der 1970er Jahre „Wir wollen
Brot und Rosen“), oft aber stark getrennt voneinander (S. 175) haben
hier ihren Platz. Die Spannung „Reform-Revolution“ wird in Richtung auf
Reformation domestiziert (S. 266/267) Ansatzweise entwickelt Marx 1871
in der „Amsterdamer Rede“ die Möglichkeit der friedlichen
Transformation der Gesellschaft mit den Mitteln der Demokratie (s.
Kramer 1971, S. 155). In der Gegenwart kommt der verbindenden Partei,
der „Bewegungspartei“ (Porcaro) die Aufgabe zu, die Kräfte für eine
sozialökologische Transformation zu bündeln (S. 394/5) – aber wo ist
sie?
14. Religion
Über Materie und Geist (Fn. 19
S. 230, 237) denkt Seibert im Zusammenhang mit Ökosophie spekulativ mit
Heidegger (der als „Arschloch“ bezeichnet wird, S. 122) nach. Die
Verbindung von Autonomie und Authentizität ist Kennzeichen des „guten
Lebens“ (s.o.), an das Sokrates beim Leeren des Giftbechers erinnert
(S. 354). Religiöse Grenzerfahrungen (S. 361, 360) und „Existenzialer
Solipsismus“ sowie Mystik (S. 360) sind weitere Stichworte. Die
Möglichkeit, sich zu verlieren, werden angesprochen (S. 363), ebenso
der Todestrieb und die Ekstase (S. 355, 360). Auf eine erstaunliche Weise wird Religion bei Seibert gewichtet.
Er beobachtet in den 1990er Jahren eine „nicht mehr zu übergehende
Rückkehr der Religion, von der sich Habermas zu einer Neubestimmung der
‚vorpolitischen Grundlagen der Demokratie‘ herausgefordert sieht.“ (S.
311) Das erste von mehreren Motti, die Seibert seiner Arbeit
voranstellt, ist die eschatologische Versprechung des Briefes an die
Hebräer 13.14: „Wir haben keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige
suchen wir.“ Ursprünglich und lange Zeit wurde dieser Brief Paulus
zugeschrieben, dem leibfeindlichsten der frühen Apostel. Es ist von
Seibert ein ins Religiöse übertragener Hinweis auf die bezüglich des
Telos der Verwirklichung von Freiheit unvollendete Geschichte. Dieses Motto korrespondiert mit der Wertung der Religion am
Schluss des Buches. Dort lesen wir, nur in einer Fußnote, aber
prominent hervorgehoben: „Wer verkennt, dass unsere Gesellschaften von
einer Wiederkehr des Problems des Religiösen bestimmt werden, für das
der westlich-liberale Atheismus keine Lösung bereithält, der oder die
wird den Kampf gegen den Fundamentalismus ebenso verlieren wie den
Kampf gegen das kybernetische System der Technik. Wer sich weder von
dem einen noch von dem anderen opfern lassen will, wird einen Glauben
brauchen, der zugleich postreligiös und postsäkular ist, weil ihm die
Umwelt größer und weiter als alles bloß Gesellschaftliche ist“ (Seibert
Fn.s. 40 424/425; s. auch Religion und , Transzendenz S. 57) Darüber
mag spotten wer will, aber wer hat schon den endlich-unendlichen Kosmos
begriffen? Auch damit wird auf kulturelle Faktoren als handlungsleitenden
und geschichtswirksamen Standards hingewiesen. Glauben ist im
Unterschied zur (text-und objektivitätsorientierten Gläubigkeit) „eine
Praxis … der Treue einer Existierenden zu dem, was sie denkt,
der Treue zu dem, was sie als Wahrheit denkt.“ (Seibert S. 390). Damit
wird Wahrheit zur Haltung der Person und so ent-objektiviert. „Es ist
der Akt, in dem die Denkende ihr Denken als ein Denken der
Wahrheit aktiviert, in dem sie, wie die Alltagssprache sagt, ihren
Worten Taten folgen lässt.“ Und: „Christlich gesprochen: Fest im
Glauben ist nicht, wer die biblische Erzählung ungeprüft hinnimmt
(Gläubigkeit, Aberglaube), sondern wer christlich lebt und sich selbst
in die Nachfolge Christi stellt.“ (Seibert S. 390) Auf eindrucksvolle Weise trifft sich das für mich mit Denken und
Leben des Protestanten Martin Niemöller (Lippstadt 1892 bis Wiesbaden
1984; Heymel 2017), der neben Albert Schweitzer mich in meiner Jugend
mit seinem Pazifismus in der Zeit der westdeutschen Wiederbewaffnung
und der Diskussion um die atomare Bewaffnung der neuen Bundeswehr
beeindruckt hat. „Was würde Jesus dazu sagen“, diese Frage begleitete
Niemöller von Jugend an. Er ist beerdigt auf dem Dorffriedhof in
Wersen/Westfalen, weil er die in Berlin-Dahlem für ihn vorgesehene
Grabstätte für Rudi Dutschke zur Verfügung gestellt hat. Auf seinem
Grab steht: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ (Heymel S. 275,
s. auch S. 264).
15. Das Unvollendete Projekt der Moderne
Seibert
präsentiert uns ein idealtypisches Modell (375), eine formale, keine
auf Empirie gestützte Analyse. Bei dem „unvollendete Projekt der
Moderne“ (Kapitel 6, S. 297) wird an die Frankfurter Schule, das
Institut für Sozialforschung, Hans-Jürgen Krahl, Axel Honneth, die
negative Dialektik von Adorno und die allgemeine Revolte gegen
Gesellschaft erinnert (S. 299, S. 301). Von „Moderne“ als unvollendetem
Projekt zu sprechen halte ich für einen allzu bequemen Ausweg aus der
Krise dieser Moderne. Sie dann in einer „zweiten Moderne“ oder einer
„Modernisierung der Moderne“ fortzuschreiben bedeutet wieder einmal auf
eine offene Zukunft zu hoffen, in der alles sich zum Besten wenden
wird. Interessanter wäre es, sich von dem wertbeladenen Begriff
„Moderne“ ganz zu verabschieden und sie nur noch als mehr oder weniger
abgeschlossene Etappe zu betrachten (wie in der Bildenden Kunst). Statt
dessen wäre ergebnisoffen über die Konsequenzen aus der fundamentalen
Krise dieser „Moderne“ nachzudenken. Seibert zitiert die Hoffnung von Habermas, dass die
„unvermeidliche ‚gesellschaftliche Modernisierung in andere,
nichtkapitalistische Bahnen gelenkt werden kann‘“ (zit. Seibert S.
308). Ist diese „Modernisierung“ unvermeidlich, oder muss sie gezähmt,
vielleicht gar überwunden werden (sofern sie nicht durch Krisen, auf
die man sich vorbereiten müsste, sich selbst „zähmt“ oder zerstört)? Es gibt fatale „Geburtsfehler des sozialistischen Projekts“
(Seibert S. 343). Man kann auch nicht mehr von Klasse, sondern muss von
differenzierter Gesellschaft (Seibert S. 345) in der Lebensform der
Demokratie reden. Sie wird auch von Honneth (zit. S. 310) besonders
wichtig genommen. Wolfgang Abendroth hat uns im Marburger SDS
klargemacht, dass wir als Linke den demokratischen sozialen Rechtsstaat
und damit „die Verfassung, d.h. das Grundgesetz zu verteidigen“ haben
(Hecker S. 190). Anarchismus, Sozialismus, Kommunismus sind für Seibert Weisen
der Subjektivierung des Verhältnisses der Freiheiten und des
Politischen; es sind drei Wege „die Krise der Geschichte aus dem
Gesichtspunkt der Freiheit auszutragen und – vielleicht – zu
überwinden.“ (374) Sie müssen ihr „Verhältnis bestimmen, dass
sie zum Problem der freiwilligen Knechtschaft und damit zur Krise der
Geschichte einnehmen.“ (S. 375) Man kann zuspitzen: „Radikal gefasst
heißt das: Gesellschaft selbst ist in sich nur insoweit Freiheit, als
sie zugleich notwendig freiwillige Knechtschaft ist.“ (Seibert S. 375),
ähnlich schreibt Foucault nach dem Mai 68: „Die Gesamtgesellschaft ist
dasjenige, dem nur insoweit Rechnung zu tragen ist, als es zerstört
werden soll.“ (zit. Seibert S. 349). Anarchismus revoltiert gegen alle und jede Ordnung (S. 376, 381), für ihn ist Gesellschaft freiwillige Knechtschaft (S. 375).
Sozialismus bedeutet Resignation und Reform, er ist sozialdemokratisch geprägt von der Demut der Reformation (S. 381).
Kommunismus bedeutet Resignation und Revolution (S. 386).
Ein
exponiert als Bezug genutzter Text des anarchistisch-libertären
Kollektivs Tiqqun prophezeit den „kommenden Aufstand“ (288) der
globalen Mittelklasse: Dieser Text und in anderer Weise Axel Honneth
beziehen sich auf die „mediokre Existenz der durchschnittlichen
Alltäglichkeit“ (S. 321). Tiqqun und Honneth sind einander entgegen
gesetzte Außenposten des Erbes des Mai 1968 (S. 323). Für den Fortgang
der Geschichte werden die „Lebenswelt der Mittelklassen des globalen
Nordens bzw. Westens“, der „Blooms“ (nach Joyce und seinem „Ulysses“ so
genannt) und die „Mediokrität der individualisierten Massen der
Moderne“ (S. 309) mit der „Phänomenologie des durchschnittlichen
Alltagslebens“ (S. 321) wichtig. Deren Existenz und Potenzial wird von
Honneth ebenso wie von Tiqqun – von jedem auf seine Weise – ernst
genommen, und sie werden zu möglichen Akteuren des Wandels (S. 309, S.
310). Andere, die Bevölkerungen des Süden, spielen bei Seibert keine
eigene Rolle, auch nicht das aufstrebende China, das sich anschickt,
den früh industrialisierten Regionen die Regeln vorzuschreiben. Mit Gramsci und seiner Aufwertung der Philosophie des Alltags
(sie wird an andrer Stelle erwähnt, S. 265-269) ließe sich auch ganz
anders argumentieren. Statt von „Mediokrität“ würde man dann
möglicherweise von der „Philosophie des Alltags“ oder von „Lokalem
Wissen“ sprechen. Dazu müsste man die Position des elitären
Kosmopolitismus verlassen und statt dessen die Zweifel an der
Avantgarde (S. 310) ernst nehmen und die damit eröffneten Spielräume
stärker nutzen. Das wäre auch als Einrede gegen Didier Eribon und das
von ihm unterstellte „statistische Schicksal“ nützlich (Eribon:
Gesellschaft als Urteil. Berlin 2017). „Während Honneth in seinem Bezug auf die Bloom ganz auf die
Alltäglichkeit, deshalb auf Institution und Habitus und folglich auf
die Sittlichkeit setzt, hofft Tiqqun umgekehrt auf die durch nichts
erwiesene, doch gerade deshalb auch nicht auszuschließende Bereitschaft
der Bloom, die Außeralltäglichkeit des Akts und deshalb den kommenden
Aufstand zur eigenen Sache zu machen.“ (S. 321) Tiqqun und Honneth sind
für Seibert so Außenposten des Erbes des Mai 1968, freilich von
einander entgegengesetzten Seiten (S. 323). Honneth will Spielräume „knapp über dem Horizont“ suchen, die
bei „realistischer Berücksichtigung aller Umstände erwartbar sind“ (S.
321) In der „Sogwirkung der globalen Mittelklassen“ liegt für Seibert
eine „strategische Bedeutung weltweit aller Befreiungskämpfe, auch und
gerade der Kämpfe, die im globalen Süden geführt werden“ (S. 328) –
auch im „Widerstand gegen den westlichen Freiheitfortschritt“ (S. 328).
Der wird aber doch gerade in der „Imperialen Lebensweise“ aufgesaugt.
Da müsste man dieses Verhältnis als Teil „Zweideutigkeit des
Kapitalverhältnisses als eines Verhältnisses zugleich der Beherrschung
und Ausbeutung wie der Befreiung“ sehr deutlich und kritisch sehen (S.
329) – wo und wie wird es zur Befreiung? Auch der millionenfach gewagte
„Kampf um die Ankunft im Städtischen“ (S. 330) gehört in seiner
Ambivalenz dazu – ist er etwas anderes als die Folge der Zerstörung der
ländlichen Suffizienzwirtschaften und der Sogwirkung der affirmierten
lebensweltzerstörenden urbanen imperialen Lebensweise? Und sind da
nicht ganz andere Strategien nötig, die Aufwertung der der
Subsistenzökonomien und ein anderer Umgang mit Bevölkerungswachstum
eingeschlossen? Das neue historische Subjekt ist die Multitude (S. 387).
Proletariat und Multitude sind die „Wahrheit und also Wirklichkeit der
letzten aller Klassen“. Das ist eine Interpretationen, die, wenn sie
massenhaft übernommen wird, die Wirklichkeit beeinflussen kann (wie die
ökonomischen Theorien, s. Herrmann), aber sie ist wie jede Theorie kein
direktes Abbild, keine Verdoppelung von ihr, so dass man permanent auf
Überraschungen gefasst sein muss. „Auf jeder Stufe der untersuchten Freiheitsfortschritte
überwiegen die ‚Pathologien‘ und ‚Fehlentwicklungen‘ die obendrein
deutlich begrenzten Potenziale der Freiheit.“ (Seibert S. 334) Aus
dieser Einsicht wären Konsequenzen zu ziehen. Die „Fehlentwicklungen“
scheinen mir so dominant, dass ich meine, nur die Abkehr von dem
teleologischen Denkmodell, das den Kapitalismus als Vorstufe zum
Sozialismus sieht, gibt erst die Chance, Pfade einzuschlagen, wie auch
Seibert sie empfiehlt: „Strategisch aber können soziale und Demokratiefragen gleich
welcher Art und Dimension nur noch beantwortet werden, wenn sie als
Fragen des Übergangs in eine globale Postwachstumsgesellschaft gestellt
werden. Alles andere ist ‚Klassenpolitik‘ im elendsten Sinne des
Wortes, d.h. in einem Sinn, der bourgeoise und proletarische Positionen
nicht einmal mehr durch einen Millimeterspalt trennt.“ (S. 405)
Das
ist sehr schön formuliert, aber wie schlägt sich das in politischer
Programmatik nieder? In den Wahlkämpfen der Parteien wurde 2017 nicht
einmal ansatzweise nach Spielräumen und Pfaden für die Einleitung einer
‚sozialökologischen Transformation‘ gefragt, auch nicht bei der Linken.
Solange mir noch keiner einen Weg gezeigt hat, wie man trotz der
Sogwirkung der „imperialen Lebensweisen“ (S. 339) eine
„sozialökologische Transformation“ oder einen „Sozialökologischen
Wandel“ auf den Weg bringen kann, gibt es für mich auch keine
Legitimation für „grünes Wachstum“. Regenbogenallianz, Grenzen des Wachstums, Postwachstum, Anti-
oder Post-Extraktivismus sind aktuelle Themen. Green New Deal (S. 405)
als „neue Orthodoxie“ (Brand/Wissen) und ähnliche Formen der
oberflächlichen Anerkennung der Grenzen des Wachstums (Seibert S. 403),
die 1972 vom Club of Rome noch für 50 Jahre hinausgeschoben werden
sollten, reichen fünfzig Jahre später nicht aus. „Der alles entscheidende Punkt“ (hier find ich das ausnahmsweise
angemessen) „der Differenz von immer partikularen, weil den anderen
entzogenem Eigentum und universellem, weil allen offen stehendem
Gebrauch liegt in ihrer ethischen Übersetzung in die Differenz eines
korrumpierten und eines generativen Existierens. Ihr turning point ist
die Einsicht, dass uns auch und gerade die Existenz nur zum Gebrauch
und nicht zum Eigentum gegeben wurde.“ (Seibert S. 424). Hans Christoph
Binswanger und seine Interpretation von Goethes Faust mit der
Betonung des Unterschieds von Patrimonium und Dominium gehören in
diesen Zusammenhang. „Wege aus der Wachstumsfalle“ sind am ehesten zu
finden mit Gemeinnutzen, Selbstorganisation und Commons, die nicht wie
die kapitalistische Wirtschaft ständig wachsen müssen und bei denen
Suffizienz (Selbstbegrenzung) eine Rolle spielt (schon 1993 konnte
darauf hingewiesen werden, Kramer 1993 und 2016). Organisierte und
geregelte Gemeinnutzen in der politikfähigen Form, wie sie Elinor
Ostrom aufgewertet hat (Commons als „Gemeinsames“) werden bei Seibert
nur einmal erwähnt (S. 402). Die genannten Formen von
Gemeinwohlökonomie gehören ebenso dazu wie neue Formen der
Partizipation in der Krise der Demokratie wie Dieter Hoffmann-Axthelm
(s. meinen Text in Kulturation) sie vorgeschlagen hat. Der Hinweis auf
die kommunale Demokratie (Seibert S. 401) weckt Erinnerung an den
Munizipalsozialismus der Jahrzehnte vor 1933. Die vielen
Basisaktivitäten sind als Bestandteil der molekularen Wandlungen der
Nährboden, auf dem jene Formen wachsen, mit denen die
Selbstverständlichkeiten der Markt-und Wachstumsgesellschaft
relativiert werden (Brand/Wissen S. 177). Da werden dann auch die selbstorganisierten Kommunen, ja sogar
die Klöster wichtig. Bei Seibert wird zitiert, dass Agamben als Vorbild
für ökologisches Denken und Verhalten die Franziskaner nennt (S. 423/4;
zur Spiritualität S. 409/410). So wird auch Papst Franziskus zum
Anreger. Die Einleitung von konkreten Pfaden der Vorbereitung einer
sozialökologischen Transformation ist außerordentlich schwierig. Die
Grünen haben mehrmals herbe Misserfolge mit im Prinzip sinnvollen
Forderungen kassiert. Aktuelle Gewohnheiten und Standards müssen sich
in entsprechenden Programmatiken wiederfinden können. Wichtig sind
phantasieanregende und nachvollziehbare positive Vorschläge, die mehr
sind als grüner Kapitalismus. Die Ermutigung und Begünstigung von
Suchbewegungen zu Lebensqualität wie einst bei den „Zeitpionieren“,
ferner die genannte Gemeinwohlökonomie und die Gemeinwohlbilanzen,
kommunale Selbstverpflichtungen, neue Genossenschaften und Ähnliches
sind realistisch. Nicht Appelle an alle oder an den Staat, auch nicht
Verbotslisten, sondern attraktive, die Lebensqualität ins Zentrum
stellende Aufforderungen und Beispiele empfehlen sich. Die Frauen der
südtiroler Bewegung „Pestizidfreies Mals“ übten eine interessante Form
der Zensur. Sie haben sich verpflichtet, für ihre Transparente nur
positive Aussagen zu nehmen: „Weil wir auf keinen Fall aggressiv
auftreten wollten …Wir wollten eine positive Botschaft aussenden. Wir
wollten sagen, was wir wollen. Nicht, was wir nicht wollen.“ (Schiebel
87) Und sie haben (in einer wichtigen Etappe) so zum Sieg beigetragen. In der gesellschaftlichen Entwicklung gibt es immer wieder
Weichenstellungen, Weggabelungen und Spielräume. Wenn man die Bürger
für eine Politik der sozialökologischen Transformation gewinnen will
und nicht an ein gewaltförmiges „Transformationsregime“ oder eine
„Ökodiktatur“ denkt, dann muss man Verständnis für die Motive der
Alltagsakteure entwickeln. Dazu gehört es, ihre Standards des guten und
richtigen Lebens, damit ihre Maßstäbe für Lebensqualität, ihre
inhärenten, unverzichtbaren Suffizienzstrategien und ihre
Zukunftswünsche oder –ängste zu kennen, so die Selbstverständlichkeiten
der Wachstums- und Marktgesellschaft zu überwinden, „andere Logiken
sozial-ökologischer Reproduktion“ (Brand/Wissen 177) zu erkunden. 1972 hat in der Zeit eines (noch) geöffneten Fensters der Reform
der Entwurf eines gemeinsamen Regierungsprogramms der Sozialisten und
Kommunisten in Frankreich einige immer noch interessante
programmatische Ideen entwickelt (Hrsg. und eingeleitet von Werner
Goldschmidt. Köln: Pahl Rugenstein 1972 [Hefte zu politischen
Gegenwartsfragen 4]). Philosophisches Denken wie das von Seibert liefer eine Menge von
Anregungen für Überlegungen zur sozialökologischen Transformation, auch
weil es so Vieles einbezieht. Wenn ich all das verarbeitet habe, was
mir Seibert, Eribon, Lessenich, Brand und Wissen in der letzten Zeit
aufgegeben habe, und wenn ich manches wenig praxistaugliche Gerede von
Soziologen, Verhaltensforschern und Gruppenpsychologen zur Politik
gehört habe, dann möchte ich ein ganz schlichtes politisches
Handlungs-Programm, bei dem das Alltagsleben der Menschen im
Vordergrund steht und in dem sie sich wiederfinden können.
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