Unter dem langen Titel "Kulturwissenschaft - ein neuer Studiengang - Versuch einer Standortbestimmung nach 44 Jahren Kulturwissenschaft in Berlin" fand
am 12. und 13. Oktober 2007 eine Tagung statt, zu der Absolventen und
an ihrer Ausbildung beteiligte Wissenschaftler eingeladen waren.
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In den Beiträgen wurde die frühe Begründung eines neuartigen
Studienganges in der DDR (1963) zum Anlass genommen, die damit
verbundenen Erwartungen an die kulturell-praktische Wirksamkeit und an
die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit historisch-kritisch zu
beleuchten. Die bewegte Geschichte der Disziplin wie des Studienganges
wurde als Teil der DDR-Kulturgeschichte bis in die Gegenwart verfolgt
und gefragt, welche Anregungen für die aktuelle kulturelle Situation
und Kulturpolitik in den geschichtlichen Befunden enthalten sind.
Gespräche in der Pause (Foto: Scheel)
Ein
wichtiger Aspekt der Tagung war die „Wirkungsgeschichte“ der
kulturwissenschaftlichen Ausbildung, dargestellt an den Erfahrungen der
Absolventen. Während über die Vor- und Nachteile dieses Studiengangs
für die spätere wissenschaftliche Arbeit im ersten Teil der Tagung
berichtet worden ist, kamen danach 14 Absolventen des Studiengangs zu
Wort, die über ihre Erfahrungen im Berufsleben in anderen
Tätigkeitsbereichen berichteten.
Über Berufswege in Kulturarbeit und Politik sprachen
Sabine Schöneburg (Verdi Berlin),
Lutz Kirchenwitz (Kulturverein „Lied und soziale Bewegungen“)
Gabriele Karla (Leiterin Kultur, Stadtverwaltung Bernau)
Bärbel Reuter (Kunstreferentin des Kreises Weimarer Land)
Über Erfahrungen von Kulturwissenschaftlern als Künstler und Kunstvermittler sprachen
Gina Gass (Malerin),
Joachim Tschirner (Filmemacher)
Barbara Hampel (Dichterin)
Gerta Stecher (Fotografin/Autorin)
Hubertus Rufledt (Comicautor)
Rüdiger Küttner (Kunsthändler, Galerie Berlin)
Über Berufswege in Kulturwirtschaft und anderswo berichteten
Brit Lippold (Buchhändlerin, Kochlust),
Arnd Rösner (Rösner Automaten GmbH, Schlosshotel Bautzen),
Siegfried Zoels (Spielmittel Berlin).
Winfried Nadolny (Biobauer mit kleiner Naturheilpraxis)
Nachfolgend die (teilweise leicht überarbeiteten) Tagungsbeiträge.
Sabine Schoeneburg (Foto: Scheel)
Sabine Schöneburg
Gewerkschaft und Ballett
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Kulturwissenschaft habe ich von
1971-75 studiert (bei Mühlberg, Thierse, Schröder, Reschke, Krenzlin
und natürlich bei Heise). Prof. Wolfgang Heise ist mir auch darum
besonders in Erinnerung, weil er mich in der Ästhetik-Prüfung
verblüffte: „Sie habe ich doch gestern im Deutschen Theater gesehen.
Dann erzählen sie uns doch mal, wie Sie die Inszenierung von Gogols
„Mantel“ einschätzen.“ Eine solch unverhoffte Situation vergisst man
einfach nicht.
Eigentlich wollte ich nach dem Studium ganz gerne ein
Forschungsstudium machen, aber was da im „Angebot“ war, war alles nicht
so ganz das Richtige. Und überdies stand und steht für mich mehr das im
Mittelpunkt, was da Arbeit mit Menschen heißt. Gern wäre ich
darum zum Theater gegangen. Aber hier waren die Angebote für
Kulturwissenschaftler in den 70er Jahren rar, dass ich erst einmal ein
kurzes Intermezzo von zwei Jahren als PR-Frau und Vermittlerin zwischen
Künstlern und den Nutzern künstlerischer Arbeit hatte. Und zwar im
Hotel Metropol. Dies war schon eine große Chance, da sich in dem
sogenannten „NSW-Hotel“, wie es damals in der DDR hieß, namhafte
bildende und darstellende Künstler um Aufträge bemühten und ich als
Absolventin der Kulturwissenschaft nicht nur mit der Konzert- und
Gastspieldirektion zusammenarbeitete, sondern auch freie Verhandlungen
mit Künstlern führen konnte, was von Jürgen Walter bis zu Gilbert
Bècaud reichte.
Und dann waren ganz andere Fragen zu beantworten: Was ziehen
Kellner an, um ästhetisch ansprechend auszusehen und obendrein ihre
Arbeit gut machen zu können? Wie sieht das Logo, wie die Speisekarte
aus, um anregend und dem Haus entsprechend zu sein? Das waren schon
spannende Aufgaben für eine Absolventin, die sich dann mit arrivierten
DDR-Künstlern, mit dem Modeinstitut der DDR, mit Designern und
Gestaltern auseinandersetzen musste. Hier lernte ich etwas über den
differenzierten Umgang mit den verschiedenen Künsten und Künstlern und
ihren Auftraggebern.
Nach zwei Jahren versuchte ich es, in die Theaterabteilung des
Ministeriums für Kultur zu gelangen, was von der damaligen Leiterin
Gisela Holan mit den Worten abgeschmettert wurde: „Was will hier eine,
die mit Kneipen zu tun hatte ...“ So gelangte ich – mehr oder weniger
freiwillig – zur Gewerkschaft Kunst der DDR und war endlich
wieder (und diesmal mehr als nur privat) mit meinem geliebten
Theaterleben verbunden; nun als Funktionärin.
Dort habe ich fast ein Jahrzehnt gearbeitet, mein Arbeitsfeld waren
die Wettbewerbe: die Hans-Otto-Wettbewerbe, Leistungsvergleiche,
Puppenfestivals, Choreographie- und Ballettwettbewerbe. Als
Jury-Mitglied lernte ich neue Dramatik DDR-weit kennen, setzte mich mit
ihr, mit den Künstlern und dem Publikum auseinander, erlebte hautnah
die Arbeitsbedingungen der Theaterschaffenden und konnte in der Jury
mit den führenden Theaterleuten der DDR zusammenarbeiten. Diese Seite
der Gewerkschaftsarbeit war sehr fruchtbar und hat mich - neben meinen
theoretischen Kenntnissen der Ästhetik und der kulturellen
Zusammenhänge - tiefer in die Rahmenbedingungen für die Arbeit von
Künstlern hineinschauen lassen.
„Meine“ kritischen Gewerkschaftsmitglieder waren nicht ganz
unbeteiligt an der Wende 1989. Ich erinnere an unseren kraftvollen
Demonstrationszug vom 4. November; davor lagen unsere
Protestveranstaltungen für Meinungsfreiheit, künstlerische Freiheit
etc. mit den Vertrauensleuten wie Walli Schmidt, Wolfgang Holtz, Thomas
Neumann in der Volksbühne und im Deutschen Theater. Kurzzeitig waren
die genannten auch im Vorstand unserer Organisation.
Am 9. April 1990 gab es eine große Veranstaltung im
Maxim-Gorki-Theater. Bis auf den letzten Platz gefüllt, saßen dort
Theaterschaffende der DDR und wählten ihre Vertreter - sowohl
ehrenamtliche als auch hauptamtliche - für die neue Gewerkschaft IG Medien
bundesweit. So kam ich als hauptamtliche Funktionärin dazu, mich im
Namen der DDR-Mitglieder der Gewerkschaft Kunst, Fachgruppe
Darstellende Kunst (ca. 6.000) in Stuttgart beim Hauptvorstand der IG
Medien als Theatersekretärin bundesweit zu bewerben. Dies gelang und
ich wurde noch vor der Vereinigung (Gewerkschaft Kunst und Kultur und
IG Medien) in Stuttgart die Theater- und Tarifsekretärin für die Bühnen
bei der IG Medien.
Unsere ersten großen Aufgaben waren die Übernahme des Tarifrechts
der Bundesrepublik Deutschland für die Theater der DDR. Das war
verbunden mit politischen Gesprächen, Forderungen, runden Tischen etc.
zum Erhalt der Theaterlandschaft in den neuen Ländern. Wir hatten
Erfolg. Nicht alle dafür vorgesehenen Theater der DDR gingen „den Bach
runter“ und mit fantasievollen Einsätzen der Theaterschaffenden gab es
sowohl in Dresden als auch in Stuttgart und im Berliner
Friedrichstadtpalast Verhandlungsergebnisse mit dem Deutschen
Bühnenverein, die sich sehen lassen konnten. Wir haben auf
Verhandlungsebene mit eben diesen begleitenden Maßnahmen den
15-Jahres-Schutz, d.h. die sogenannte „Unkündbarkeit“ für die unter die
Kunstverträge fallenden KollegInnen erhalten. Das hatte selbst die
große ÖTV für den öffentlichen Dienst im Osten nicht erreicht. Auch
ver.di gelang dies bis heute noch nicht.
Ein weiterer Erfolg war die Anerkennung des Friedrichstadtpalastes
als Theater und nicht als Varieté o.ä. Ebenso konnten auch
Puppenbühnen, die es ja in der Alt-BRD nicht als staatliche Unternehmen
gibt bzw. gab, unter dem Tarifbereich erfasst werden.
Große Tarifaktionen waren im Zusammenhang mit der Anerkennung des
Friedrichstadtpalastes als Theater auch die mehrwöchigen Streiks.
Zuerst waren das Warnstreiks, dann der Ausfall von Vorstellungen, um
einen angemessenen Tarifvertrag für Balletttänzer zu erkämpfen. Die
besonderen Bedingungen dieses Hauses, die Größe der Bühne, das
Ensuite-Programm, bedingen andere Arbeitsverhältnisse und Vergütungen
als in anderen Ballettensembles. Zumal die Tarifverträge für
Ballettschaffende durchaus als verstaubt bezeichnet werden können.
Mein besonderes Faible gilt sowieso dem Ballett, so haben wir
vielfältige Politikerdiskussionen um den Tänzerberuf, um die
Tänzerrente der DDR (Klage beim europäischen Gerichtshof), den Erhalt
des Balletts der Komischen Oper in seiner Einzigartigkeit (Tom
Schilling) geführt und unsere kritischen Bemerkungen, Hinweise, Chancen
und Risiken für das Staatsballett in die Debatten geworfen.
Da wir eine Tänzerrente analog zu der ehemals vorhandenen
Tänzerrente der DDR weder tariflich noch politisch durchsetzen konnten,
ist es ein großes Glück, dass ich im Stiftungsrat der Dell-Era-Gedächtnis-Stiftung
bin. Diese Private Stiftung, nun unter dem Dach der Stiftung „Oper in
Berlin“, finanziert – leider nur für ehemalige Staatstänzerinnen
– eine Aus- und Weiterbildung, Existenzgründungen, Zuwendungen für
Genesungen. Immerhin ist dies ein kleiner Anfang, um über den Beruf des
Tänzers und seinen sozialen Status einen Anstoß zum Nachdenken zu
geben.
Nach zwei Jahren bin ich 1992 von Stuttgart wieder nach Berlin
gegangen. Bei der IG Medien wurde ich Stellvertretende
Landesvorsitzende in Berlin und Brandenburg. Zu meinem Arbeitsfeld
gehörte der Kampf um den Erhalt des Frankfurter Theaters (mit einem
Hungerstreik), der leider erfolglose Versuch, das Hans-Otto-Theater in
Potsdam als Mehrspartentheater zu erhalten. Es wurde ein
Schauspielhaus, das Orchester wegrationalisiert ebenso wie der Chor.
Dann haben wir versucht, das Senftenberger Theater als
Mehrspartentheater zu erhalten. Auch dies leider ohne Erfolg, es wurde
auf ein Kinder- und Jugendtheater reduziert. Es gab dann Neubauten in
Frankfurt und Brandenburg, jedoch nicht für die alten Ensembles sondern
als Kongress- und Veranstaltungszentren, die nun z.T. bereits wieder
vor der Insolvenz stehen. Als Fazit muss man sagen, dass im Land
Brandenburg in den letzten Jahren Kulturarbeitsplätze reduziert wurden
in der Größenordnung der derzeitigen Brandenburger Kulturstiftung
Cottbus (ca. 400 Beschäftigte).
Das steht vor allem in einem krassen Widerspruch zu dem in der
Verfassung des Landes Brandenburg verankerten Kulturbegriff, der sowohl
formuliert, dass Kultureinrichtungen, Denkmale etc. geschützt zu sein
haben als auch, dass der Zugang zu Kultur und Kunst für alle
Bevölkerungsschichten möglich sein muss. Übrigens sind das wesentliche
kulturpolitische Positionen der IG Medien/ver.di, für die wir uns auf
allen Ebenen politisch und sozial einsetzen: „Kultur“ soll ins
Grundgesetz kommen, Künstler sollen von ihrer Arbeit leben können und
Kunst muss für alle Bevölkerungsschichten bezahlbar und zugänglich
sein.
Sie wissen ja, dass es seit 6 Jahren nicht mehr die IG Medien gibt,
sondern ver.di, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. Auch hier bin
ich für die Darstellende Kunst zuständig. Und für ver.di ist es
schwierig, die Balance zwischen festangestellten und freien Künstlern
und Kulturschaffenden zu halten.
Durch unsere Aktionen und Aktivitäten beim Musical-Kongress in
Hamburg, haben wir es geschafft, bei Stella und heute bei der Stage
Entertainment, die ein großer bundesweiter Konzern ist und allein in
Berlin drei Unternehmen hat, gute bis sehr gute Tarifverträge zu
erstreiten, zu erkämpfen, zu verhandeln. So gelang es uns auch vor
einigen Jahren im politischen Dialog, dass das Theater des Westens zwar
an die Stage verkauft wurde, aber nur mit der Option, dass die
Beschäftigten und auch der Haustarifvertrag mit übernommen werden
mussten. Weitaus schwieriger gestalten sich Verhandlungen in der
heutigen Zeit bei Unternehmen wie dem Friedrichstadtpalast, der
Schaubühne - auch hier gab es schon Streiks um Lohnerhöhungen - oder am
Berliner Ensemble. Große Politik-Runden gab es auch um den Erhalt des
Kinder- und Jugendtheaters an der Parkaue, das älteste, das es in
Deutschland gibt. Hier hat ver.di mit den Beschäftigten es auch
geschafft, dass die Zuwendungen nicht halbiert wurden und das Haus
weiterhin spielfähig ist.
Ein großer Kraftakt, den wir in den letzten Jahren hatten, war und
ist noch immer der Erhalt der drei Berliner Opernhäuser, der Kampf um
die Tarifverträge, die künstlerische Vielfältigkeit der Stiftung „Oper
in Berlin“. Aktuelle Anhörungen, zu denen wir uns kultur-, tarif- und
sozialpolitisch äußern, gibt es in den Kulturausschüssen der Länder
Berlin und Brandenburg regelmäßig.
Wenn ich zurückblicke, so gehört zu den besonders schönen
Erinnerungen die Arbeit mit Benno Besson. Wir konnten ihn 1996
gewinnen, mit uns in einem Seminar „Die Ausnahme und die Regel“, ein
Lehrstück von Bertolt Brecht zu probieren. Mitglieder der verschiedenen
Fachgruppen – vom Industrie- bis zum künstlerischen Bereich –
unternahmen den Versuch, anhand von Brechts Lehrstück verschiedene
Denk- und Verhaltensweisen von Menschen zu untersuchen. Die vier Tage
im Haus der IG Medien waren eine intensive Auseinandersetzung mit Kunst
und Politik und entsprachen dem Brechtschen Satz: „Das Lehrstück lehrt
dadurch, dass es gespielt, nicht dadurch, dass es gesehen wird.“
Ich bin nicht sicher, ob ich sagen kann, meine Arbeit macht mich
glücklich. Aber es gibt durchaus Momente – gerade wenn ich die letzten
30 Jahre reflektiere – wo ich sagen kann, dass ich im engen
Zusammenspiel mit Künstlern und Kulturschaffenden, ohne selber
Künstlerin zu sein, etwas für sie und für die Kultur in unserem Land
getan zu haben.
Lutz Kirchenwitz (Foto: Scheel)
Lutz Kirchenwitz
Vom Akteur zum Chronisten einer Bewegung
In meinem Berufsleben gab es zwei „jähe Wendungen“, die erste 1971,
als ich gerade die Leitung eines Methodischen Zentrums für
Unterhaltungskunst Übernommen hatte und plötzlich zum
anderthalbjährigen Grundwehrdienst eingezogen wurde, die zweite, als
ich am 21.12.1990 von der Musikhochschule „Hanns Eisler“ mitgeteilt
bekam, dass mein Arbeitsverhältnis als Oberassistent für Ästhetik ab
1.1.1991 ruhe. Ansonsten aber gibt es in meinem Berufsleben eine
insgesamt erstaunliche Kontinuität. Seit den 60er Jahren interessiere
ich mich für Folkmusik und Liedermacher, habe anfänglich selbst
gesungen und es mir im Laufe der Zeit zur Aufgabe gemacht, Chronist
dieser in den 60er Jahren entstandenen Bewegung zu sein.
An der Oberschule hatte ich Kabarett gespielt und 1963 begonnen,
Lieder zur Gitarre zu singen. Chansons, Folk- und Protestsongs,
engagierte Lieder interessierten mich mehr und mehr. Mitte der 60er
Jahre erlebte diese Musik international einen großen Aufschwung. Ich
sang Ostermarschlieder wie den „Weltuntergangsblues“ und Bänkellieder
wie den „Tantenmörder“ von Frank Wedekind, stieß zum Jugendradio DT 64,
zum Wettbewerb junger Talente und gehörte zu den Gründern des
Hootenanny-Klubs Berlin, der 1967 in Oktoberklub umbenannt und zur
Keimzelle der Singebewegung wurde.
Ab 1964 studierte ich an der Humboldt-Universität
Kulturwissenschaften, hatte eigentlich Theaterwissenschaft belegen
wollen, stellte aber fest, dass mir das undogmatische Klima bei den
Kulturwissenschaftlern, die dort praktizierte kritische Loyalität viel
mehr zusagte. Dietrich Mühlberg und Günter Mayer gaben mir den Anstoß,
mich mit dem, was ich künstlerisch und kulturpolitisch in der
Singebewegung tat, auch theoretisch zu beschäftigen. Anfang 1967
schrieb ich einen Wandzeitungsartikel unter der Überschrift „Folksong
contra Massenlied“, was einen Gegenartikel zur Folge hatte, in dem ein
Philosophie-Kommilitone feststellte, er fände es beschämend, dass
zukünftige Kulturwissenschaftler „irgendeine zeitweilige und modische
Bewegung für den Ausgangspunkt des neuen deutschen Liedes halten“. Im
Lehrkörper sah man das jedoch anders und unterstützte mein Engagement
für die neue Liedkultur außerordentlich. 1968/69 konnte ich in einem
Praktikum mit mehreren Kommilitonen die Studie „Modellfall Singeklubs“
erarbeiten, und einige Jahre später verteidigte ich eine Dissertation
über die Entstehung und Entwicklung der Singebewegung in der DDR.
Ich arbeitete in verschiedenen kulturellen und wissenschaftlichen
Einrichtungen, darunter dem Haus der jungen Talente, der
Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst und der Hochschule
für Musik „Hanns Eisler“, und war ehrenamtlich bis 1981 im Oktoberklub
und bis 1986 beim Festival des politischen Liedes tätig. Die
Entwicklung der Liedermacher- und Singebewegung verfolgte ich stets
sehr aufmerksam und publizierte gelegentlich dazu. So gab ich 1981 den
Sammelband „Lieder und Leute. Die Singebewegung der FDJ“ heraus,
erlebte dabei aber so viele Eingriffe von Seiten des Verlages und des
FDJ-Zentralrates, dass ich mir schwor, unter solchen Bedingungen nicht
noch einmal zu publizieren. Als ich gefragt wurde, ob ich ein Buch über
das politische Lied in der DDR schreiben könne, wusste ich, dass das
wegen der vielen Tabus nicht möglich war, denn Namen wie Biermann,
Krawczyk oder Wegner durften nicht einmal erwähnt werden. Ich nahm mir
vor, ein solches Buch zu schreiben, sobald die Bedingungen dafür
vorhanden waren. Mit der Wende kam dieser Zeitpunkt, ich machte mich an
die Arbeit und veröffentlichte 1993 im Dietz-Verlag das Buch
„Chronisten, Kritiker, Kaisergeburtstagssänger - Folk, Chanson und
Liedermacher in der DDR“.
Am 1.1.1991 wurde ich vom Senat in die „Warteschleife“ versetzt. Im
Juli desselben Jahres gründetet ich mit einigen Journalisten, Künstlern
und Wissenschaftler den Verein Lied und soziale Bewegungen und wurde
sein Vorsitzender. Die Auflösung etlicher Strukturen und Institutionen
der DDR-Liedszene vor Augen (Rundfunksender DT 64, Büro Festival des
politischen Liedes, Liedarchiv der Akademie der Künste usw.), begannen
wir mit der Spurensicherung und bauten ein Archiv des engagierten
Liedes auf. Wir wollten Lieder und Dokumente der Liedkultur „vor
materieller Vernichtung und geistiger Verfälschung“ bewahren und eine
differenzierte öffentliche Auseinandersetzung damit ermöglichen. Heute
haben wir ein Tonarchiv, ein Videoarchiv, eine Plakatsammlung sowie
Liederbücher und verschiedenes Schriftgut.
Wir bewegen uns mit unserer Arbeit auf einem schwierigen
politischen Terrain und bekommen oft Feuer von zwei Seiten. Werfen uns
die einen „Distanzierung von der eigenen Geschichte“ und "Überanpassung
an die heutigen Verhältnisse" vor, so ist für andere sonnenklar, dass
wir DDR-Geschichte begradigen und beschönigen. In einer Dissertation
zur Musikkultur der FDJ erwähnt Olaf Schäfer die Aktivitäten unseres
Vereins und meint, „den Selbstausagen der Betreiber der Singebewegung
käme „ein gewisser Wert zu“, aber letztendlich sei „die enge Beziehung
zur eigenen Biographie einer objektiven Bewertung abträglich“. Andere
meinen ja, der Zeitzeuge sei der „natürliche Feind“ des Historikers.
Im Mittelpunkt der Arbeit unseres Vereins steht seit dem Jahr 2000
das Festival Musik und Politik. Wir knüpfen damit an die Tradition des
Festivals des politischen Liedes aus den 70er und 80er Jahren an und
arbeiten dessen Geschichte kritisch auf. Während das Festival des
politischen Liedes damals eine große, staatlich geförderte
Musikveranstaltung war und alljährlich ca. 50 Künstler/Gruppen aus bis
zu 30 Ländern und ein Budget von ca. 1 Million DDR-Mark hatte, ist das
heutige Festival Musik und Politik ein kleines Low-Budget-Festival vor
allem mit inländischen und mit nur wenigen ausländischen Künstlern. In
einer Zeit, wo Liedermacher, politisches Lied, politische Botschaften
in der Musik als „uncool“ gelten, soll das Festival Musik und Politik
dazu beitragen, die Tradition des politischen Liedes zu bewahren und
nach den veränderten Bedingungen und Formen politisch engagierten
Musizierens heute zu fragen. Das Festival will Künstler zusammenführen,
die politisch wach sind und sich in gesellschaftliche Fragen
einmischen, und vor allem wollen wir junge Künstler, den
Liedermachernachwuchs, die neue Generation von Protestsängern fördern.
So stellen etwa in der Reihe “Liederbestenliste präsentiert“
Preisträger der Liederbestenliste wie Stoppok, Konstantin Wecker und
Hans-Eckardt Wenzel junge Künstler vor.
Das Festival Musik und Politik und die damit verbundenen
Ausstellungen, Diskussionen und Publikationen standen in den letzten
Jahren im Mittelpunkt meiner Tätigkeit. Durch die Ausstellung „The
Times They Are A-Changig - der Sound der 60er Jahre“ und die CD-Edition
„Wofür wir singen - Liedermacher in Deutschland“ bin ich gewissermaßen
zu meinen eigenen Wurzeln zurückgekehrt. Ich habe als Akteur (singend
und organisierend) begonnen und bin zum Chronisten dieser Bewegung
geworden. Das Studium der Kulturwissenschaften hat mir dafür wichtige
Impulse vermittelt, mein Mentor Dietrich Mühlberg mir viele Denkanstöße
gegeben.
Gabriele Karla
Gabriele Karla
Zum Werdegang einer Absolventin der Kulturwissen-schaft
Wie entstand überhaupt mein Studienwunsch?
Schon als Kind habe ich leidenschaftlich gerne alles Mögliche
gelesen. Klavierunterricht und Konzert- und Ausstellungsbesuche weckten
Interesse für den kulturellen Bereich. Bei diversen Ferienjobs in der
Stadt- und Kreisbibliothek meines Heimatortes gab ich gefragt oder
ungefragt fleißig Literaturempfehlungen und erlebte zum ersten Mal,
dass ich beeinflussen kann, welche Bücher Menschen in ihrer freien Zeit
lesen und welche nicht. Das Freizeitverhalten von Menschen beeinflussen
zu können, fasziniert mich noch immer.
Den Wunsch Bibliothekswissenschaft zu studieren gab ich bald auf.
Das Studium schien mir doch eher einseitig und trocken. Nach dem Abitur
probierte ich mich zunächst 2 Jahre in verschiedenen kulturellen
Einrichtungen meiner Heimatstadt aus. In der Stadt- und Kreisbibliothek
führte ich als Krankenvertretung den Bereich Kinderbibliothek. Im
Kreiskabinett für Kulturarbeit war ich verantwortlich für die
Diskotheken im Kreis. Ich organisierte einen umfassenden Lehrgang für
Diskotheker mit Sprechtraining, Technikausbildung und Musiktheorie.
Unterstützt durch Kollegen fuhr ich über Land in die verschiedenen
Diskotheken um Einstufungen vorzunehmen. In der Abt. Kultur des Rates
des Kreises arbeitete ich an der Neufassung der Kreisdenkmalliste.
Durch das damalige Ratsmitglied für Kultur erfuhr ich vom Studium der
Kulturwissenschaft und erhielt schließlich eine
Delegierungsvereinbarung. Ich sollte, nach Abschluss des Studiums, das
damals im Aufbau befindliche Museum als Leiterin übernehmen. Ich habe
dann von 1986–1992 an der Humboldt-Universität studiert, damals als
Gabriele Mosch.
Was habe ich an diesem Studiengang geschätzt?
- die Freiheit der Meinungsäußerung in Diskussionen (Das hatte ich in meiner Kleinstadt so noch nicht erlebt.)
- die
spannenden Studienfächer (Zu meinem Lieblingsfach wurde das Nebenfach
Kunstwissenschaft. Die Vorlesungen zur Kunst der Antike bleiben
unvergesslich.)
- die Komplexität der Herangehensweise
- das Lesen zwischen den Zeilen
- das Fragen nach dem Herkommen von Ansichten und Meinungen (persönlicher und gesellschaftlicher Hintergrund)
Was fehlte?
Das Studium war generell sehr theorielastig. Es fehlte der
Praxisbezug, die direkte Vorbereitung auf mögliche Berufsfelder. (Da
ich nicht vorhatte, nach dem Studium wissenschaftlich zu arbeiten,
sondern unbedingt wieder praktisch tätig sein wollte, fehlte mir das
damals. Die Praxis hat sich nach der Wende ja doch sehr verändert und
so ist der Bezug zu einer Praxis, die so gar nicht mehr existiert aus
heutiger Sicht gut zu verschmerzen.)
Berufswahl
Bis zur Wende dachte ich darüber nicht weiter nach, schließlich
hatte ich eine Delegierungsvereinbarung in der Tasche, die festlegte,
wie es nach dem Studium weitergehen sollte. Nach 1989 erinnerte sich
daran natürlich niemand mehr. Es war alles wieder offen, überall wurde
abgewickelt und neusortiert. Ich wählte daher ein Diplomarbeitsthema,
welches es mir ermöglichte, mich in der kulturellen Landschaft der
Bundesrepublik umzutun. Ich beschäftigte mich mit Berufsfeldern und
Qualifika-tionsmerkmalen in der kommunalen Kulturarbeit. Mein Beispiel
war naheliegenderweise West-Berlin. Ich führte interessante Gespräche
mit Kunstamts-, Volkshochschul-, Gemeinschaftshausleitern und
Museumsdirektoren. Das war unglaublich spannend. Ich erhielt im
Schnelldurchlauf einen Überblick in das System in das unser altes sich
gerade verwandeln sollte. Jedoch hinsichtlich der immer dringender
werdenden Stellensuche ergaben sich höchstens Zusagen für
unentgeltliche Praktika.
Zeitgleich dazu erforschte ich die Möglichkeiten in meinem
unmittelbaren Wohn- und Lebensumfeld. Die kleine Ortsbibliothek stand
vor der Schließung. Die Personalstelle dafür wurde nicht weiter
verlängert. Dem damaligen Bürgermeister legte ich ein Konzept zur
Rettung der Bibliothek und deren Ausbau zum kulturellen Zentrum des
Ortes vor. Die Gemeinde war bereit, sich als Träger für eine ABM zur
Verfügung zu stellen. Beim Arbeitsamt wollte ich mich dann, nach dem
notwendigen know how zur Beantragung erkundigen und kam wieder heraus
mit einer Zuweisung für eine schon vorhandene ABM-Stelle für das
Heimatmuseum in Bernau bei Berlin, die ich natürlich erst einmal
antrat. Dort arbeitete ich ein halbes Jahr und bewarb mich von da aus
um die im Bernauer Amtsblatt ausgeschriebene Stelle des
Kultursachgebietsleiters, die ich noch heute innehabe. Der kleinen
Ortsbibliothek in Basdorf geht es heute trotzdem gut. Vor einigen
Jahren ist sie in eigens dafür hergerichtete helle freundliche Räume
gezogen und bietet alles, was man sich in so einem kleinen Ort von
einer Bibliothek verspricht.
Das Gute an der Stelle des Kultursachgebietsleiters war, dass
Vieles 1992 noch völlig offen und der Gestaltungsspielraum für einen
Arbeitsplatz in einer Verwaltung sehr groß war. Inzwischen hat Bernau 9
große, jährlich wiederkehrende Veranstaltungen, teils unter
Federführung des Kulturamtes, teils in Unterstützung freier Träger. Die
Jüngste ist „Abenteuer Kultur“ – Tag der Museen und Künste. Daran sind
13 Bernauer Einrichtungen beteiligt. Sie präsentieren sich an einem Tag
im April, also zum Saisonauftakt, konzentriert und mit besonderen
Program-men. 4 Einrichtungen befinden sich in städtischer Trägerschaft.
Freie Träger und Einzelpersonen werden mit Zuschüssen, Beratung und
auch Arbeitskraft unterstützt.
Bärbel Reuter und Moderator Horst Groschopp
Bärbel Reuter
Mein Weg - von der Kulturwissenschaft zur Kunstförderung
Ich habe von 1968 – 1972 Kulturwissenschaft studiert und kam dann
über die Absolventenvermittlung zum Rat der Stadt Erfurt. Dort war ich
verantwortlich für Museen, für Bildende Kunst und für die
Denkmalpflege. 1979 wollten mich die Künstler des Bezirkes zum Sekretär
des Verbandes wählen. Ich wurde dann allerdings zum Rat des Bezirkes
Erfurt geschickt und wurde dort verantwortlich für die Bildende Kunst.
Dies erwies sich für mich als wesentlich interessantere Aufgabe, da
viel Geld zur Verfügung stand und wir so einiges mehr zur Entwicklung
von Kunst und Künstlern beitragen konnten. Da ich schon vorher viel in
den Ateliers war, wusste ich um die Themen an denen die Künstler
arbeiteten und konnte so die Aufträge in diese Richtung vergeben.
Auftragspolitik war nicht immer ideologisch doktrinär, wie es oft
behauptet wird, sondern hat Künstler auch wirklich gefordert und
gefördert.
Da einige meiner Künstlerfreunde den Ausreiseantrag gestellt hatten
und manche schon gegangen waren, habe ich am 2. Januar 1988 gekündigt.
Einer der Gründe: Ich wollte keines ihrer Bilder in öffentlichen
Einrichtungen abhängen. Zu dieser Entscheidung hat mich niemand
gezwungen, im Gegenteil man hat sie sehr bedauert. Ich habe sie
gemeinsam mit meiner Familie getroffen, um mir selbst und meiner Rolle
als Mittler von Kunst treu bleiben zu können.
Die Konsequenzen waren uns für die Familie klar (3 Kinder), denn
ich bekam keine Arbeit. Immer hieß es – überqualifiziert. Damals ahnte
noch keiner etwas von einer „Wende“.
Und auch von einer anderen Sache ahnte ich damals noch nichts –
dass nämlich genau 18 Jahre später ein Bild in einer Werner
Tübke-Ausstellung, die ich im Thüringer Landtag gestaltet habe, von der
„Stasi-Beauftragten“ der Thüringer Landesregierung abgehangen wird.
Ironie des Schicksals mögen einige sagen - ich nenne es Arroganz der
Macht – nicht zu verallgemeinern, aber leider zu jeder Zeit durch
Personen möglich. Man maßt sich an, allein entscheiden zu können, was
die Bevölkerung sehen darf und was nicht. „Das Bild passe nicht in das
Geschichtsbild des Thüringer Landtages“ – bis zu diesem Tag wusste ich
noch gar nicht, dass der Thüringer Landtag (3 Parteien) ein
einheitliches Geschichtsbild hat.
Dank meines Studiums und meiner bisherigen Arbeit hatte ich über
das Ministerium für Kultur die Zulassung für eine freiberufliche
Tätigkeit als Kunstwissenschaftler erhalten. Im Januar 89 begann die
Vorbereitung für die Bezirkskunstausstellungen und da ich
wahrscheinlich die Szene am besten kannte, bat man mich, im
Honorarauftrag als Ausstellungssekretär tätig zu sein. Im März 1990
endete die letzte der beiden Bezirkskunstausstellungen und ich war
wieder arbeitslos.
1992 war einer der bedeutendsten Thüringer Landschaftsmaler
gestorben und nicht die Stadt Erfurt, wo er zu Hause war, sondern der
Kreis Weimarer Land beantragte eine ABM für die Aufarbeitung des
künstlerischen Nachlasses. Da mich die Witwe des Künstlers als Einzige
in die Wohnung ließ, bekam ich diesen Auftrag 1993. In dieser Zeit
machte ich auch einige kleine thematische Ausstellungen aus dem
Nachlass im Museum des Landkreises. Die ABM endete im August 1995.
In Apolda, dem Sitz des Landratsamtes Weimarer Land, hatte der sehr
kultur- und kunstinteressierte Landrat inzwischen den alten Sitz des
Landrates, eine Gründerzeitvilla, dem neu gegründeten Kunstverein zur
Nutzung für Ausstellungen - gemeinsam mit dem Landkreis - übergeben.
Die Räume wurden dementsprechend hergerichtet und im Juni mit einer
Ausstellung „Liebermann und Corinth“ eröffnet. Man hatte Großes vor,
aber keine geeigneten Leute.
Ende September 95 bat man mich zu einem Gespräch und am 2. Oktober
begann ich meine Tätigkeit als Kunstreferentin des Kreises Weimarer
Land. Soweit ich weiß die einzige Kunstreferentin, die sich ein
Landkreis leistet. Dies bedeutet einerseits Verwaltungsarbeit mit allen
Konsequenzen (fast neun Stunden täglich mit nachweisbarer Zeitkarte),
aber auch Vorbereitung und Realisierung eigener Projekte. Dazu gehört
die volle Verantwortung für die Arbeit im „Kunsthaus Apolda Avantgarde“
(bis hin zur Bauleitung) in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein. In
guten Zeiten gab es dort ABM für 3 Jahre – heute sind es vorwiegen
Ein-Euro-Jobs für 6 Monate und alle Zugewiesenen hatten noch nie etwas
mit Kunst zu tun.
Der Kunstverein organisiert jährlich 2 Ausstellungen. Ich
konzipiere und realisiere davon (allein) eine Ausstellung jährlich:
„Einblicke in das Lebenswerk eines Künstlers aus dem Kunstraum
Thüringen“. Zu jeder dieser Ausstellungen entstand auch ein Katalog. Für das nächste Jahr bereite ich eine Ausstellung mit Werken von
Horst Sakulowski (22. 06. bis 24. 08.) vor. Vielleicht erinnern Sie
sich, sein „Porträt nach Dienst“ - altmeisterlich empfunden und in
tonigem Hell-Dunkel gemalt - hat 1976 in Dresden die Diskussion über
Gegenstand und künstlerisch formalen Umgang mit DDR-Alltag befördert.
Solche Ausstellungen sind für unsere Generation Wieder-Begegnungen und
für Nachfolgende oft Neuentdeckungen.
Bei der jährlichen großen Ausstellung zur Klassischen Moderne bin
ich für alle organisatorischen Fragen (Finanzplanung, Ausschreibungen,
Werbung, Verträge) bis hin zur Gestaltung verantwortlich,
selbstverständlich gemeinsam mit dem freiberuflichen Kurator der
Ausstellung.
Diese Ausstellungen sind sehr wichtig für den Landkreis und die
Stadt Apolda, da sie von Kunstinteressierten aus der ganzen
Bundesrepublik und sogar aus dem Ausland besucht werden, inzwischen
sind es über 300 000. Wir haben uns mit unserem Ausstellungskonzept
einen guten Namen gemacht und dies hat auch eine wirtschaftliche
Bedeutung. Betriebe der Region erhalten Aufträge, Hotels verbuchen
Übernachtungen, Gaststätten werden besucht usw.
Unser Landrat hat die Kultur und Kunst immer als wichtigen Punkt
für die Lebensqualität in der Region, für die Ansiedlung von Betrieben
und Personen und damit auch als Wirtschaftsfaktor gesehen. Und so
langsam ist auch bei vielen anderen dieses Verständnis gewachsen, so
dass die Ausstellungen bisher immer durch ausreichend Sponsoren und
Förderer abgesichert werden konnten.
Apolda war eine reine Strickregion, davon ist nicht mehr viel
übrig. Von den ehemals 6500 Beschäftigten gibt es heute noch ca. 300.
Eine Idee, die auf diesem Gebiet viel bewegt hat war 1993 die Auslobung
eines Designpreises alle 3 Jahre. Es ist inzwischen einer der
höchstdotierten Designpreise in Europa. Die Ausschreibung konzentriert
sich seit 2002 auf die Studenten von Hochschulen, die sich mit ihren
Diplomarbeiten bewerben können und sich auf einer Börse mit ihren
Arbeiten vorstellen. Diese Börse wird von den großen Textilkonzernen
inzwischen zur Nachwuchssuche genutzt. Alle 2 Jahre gibt es einen
Strickworkshop, wo Studenten von Hochschulen aus Europa 1 Woche in den
Strickbetrieben in Apolda ihre Ideen umsetzen können.
Jährlich führen wir in Mellingen bei Weimar das „Feininger -
Schüler - Pleinair“ für Kinder und Jugendliche im Alter von 10 – 18
Jahren durch. Begonnen hat dies 1989 mit einer kleinen Malaktion und
wurde dann Schritt für Schritt ausgebaut. Ich habe dann 1996 damit
begonnen, eine Konzeption dafür zu entwickeln, da Selbstlauf der Sache
nicht gut tat und das ganze ein Profil bekommen musste. Nun werden in
guter Zusammenarbeit mit der Universität Erfurt, mit Kunst- und
Designschulen und mit einigen freischaffenden Künstlern, die gut
didaktisch mit Kindern und Jugendlichen arbeiten können, künstlerische
Projekte angeboten. Dies immer unter einem bestimmten Motto – und immer
mit dem Wissen um Feiningers Kunst und seine Herangehensweise. Was da
an einem Tag entsteht, beeindruckt schon. Wegen des enormen Zuspruchs
mache ich jährlich eine Ausschreibung. Dabei bewerben sich Schüler aus
ganz Thüringen und sogar aus Sachsen und Sachsen-Anhalt. Durch die
Ausschreibung können wir das Ganze etwas eingrenzen, denn wir haben
teilweise bis zu 500 Bewerbungen. Die mitwirkenden Studenten lernen
dabei wie ein Projekt vorzubereiten ist – von der Idee über
Materialbestellung bis zur Umsetzung, die Gewinnung von Sponsoren und
die Zusammenarbeit mit den Leuten vor Ort - und sie haben in der Regel
auch ein Erfolgserlebnis.
Während des Studiums habe ich die Mitstudenten beneidet, die aus
dem Arbeitsprozess kamen und gezielt ausgewählt haben, was für sie
wichtig ist. Wir anderen kamen damals von einer Lerneinrichtung zur
nächsten. Später habe ich dann erkannt, dass dieses Studium mit seinem
umfassenden Profil mir alle Wege offen hielt und ich mich entsprechend
meiner Neigungen neu orientieren konnte. Ich habe dann ja auch eine
Richtung eingeschlagen, von der ich damals nie geträumt hätte.
Gina Gass (Foto: Scheel)
Gina Gass
Wechselnde Zeitläufe
Mein Studium begann mit 18 Jahren und einer Schwangerschaft, also
kein idealer Start. Ich habe sehr gerne studiert, war voller Neugierde
und Wissensdrang und wollte nichts Leichteres wissen, als das, was die
Welt im Innersten zusammenhält.
Das differenzierte Denken, das Lesen zwischen den Zeilen, das
Verstehen zwischen den Zeilen, haben uns einige Dozenten und
Professoren beigebracht. Da steht, ganz bestimmt bei sehr vielen
Studenten ganz vorne, einsame Spitze – Wolfgang Heise, dann aber auch
Dietrich Mühlberg, zumindest für mich kann ich das so klar sagen.
In den Fünf Jahren war viel zu erfahren, dann aber kam die Unruhe,
die Neugierde auf das Leben und ich wollte dorthin , hinaus und
schauen, wie sich Ideal und Wirklichkeit mit einander verbinden lassen.
Ich habe viel an Wissen und Wundern erfahren und auch gesehen, dass es
klafft. Der Berufsalltag war natürlich anders, als alle schönen
Theorien. Von eigenen Fähigkeiten, Möglichkeiten wusste man wenig. So
war es kein Wunder, dass auch Bruchlandungen vorprogrammiert waren.
Meine Vorstellung, über das Land DDR als Redakteurin beim
Dokumentarfilm d etwas Gültiges, Kritisches zu sagen, konnte ich nach
einem Jahr beerdigen, aber auch meine persönlichen Fähigkeiten,
diesbezüglich in Frage stellen. Meine Ellenbögen waren nicht
ausgeprägt. Taktisches Verhalten hatte ich nicht gelernt. So fand ich
einen guten Platz im staatlichen Filmarchiv. Leider war es mit dem
Forschen nicht so weit gediehen, da Grundlagenarbeit das erste Gebot
der Stunde war. So blieb das fade Gefühl der Unterforderung, aber ein
gutes Betriebsklima.
Ein Jahr in einem Berliner Kinderheim, brachte viel neue
Erkenntnisse über den Stand der DDR, über Erziehung. Mitten in Berlin
Verhältnisse aus tiefster stalinistischer Zeit.
So war es für mich ein Glücksumstand, dass ein Maler aus dem
Freundeskreis meine Begabung fürs Künstlerische entdeckte. Mein Weg
führte mich in die Provinz- Schwedt an der Oder, DDR pur und
ungeschminkt, gleichzeitig in die wunderbare Welt der Kunst, in eine
schöne Polderlandschaft. Das Leben konnte beginnen … Jedoch war es auch
vonnöten, einen Teil des Gelernten, vor allem theoretische
Kunstvorstellungen, erst einmal über Bord zu werfen, um das Handwerk zu
erlernen und Geheimnisse des Schöpfens zu ergründen.
Ein langer dorniger, aber wunderbarer Weg, der mich aber nicht an
der Realität dieses Landes vorbeiführte - immer enger geschnürt.
Irgendwann wollte ich selbst entscheiden, was und wie ich denke,
welche Friedensvorstellung ich hatte, wohin ich mich bewegen möchte,
was ich sehen darf und denken. Die große Frage warf sich auf, was ist
das für ein Land, das ein kleines Dichterlein fürchtet? Das Land der
Träume gab es nicht, so war es folgerichtig, für mich das kleinere Übel
zu wählen.
Joachim Tschirner (Foto: Scheel)
Joachim Tschirner
Gedächtnisprotokoll eines unvorbereiteten und nachträglich leicht
ergänzten Diskussionsbeitrages auf dem Podium „Kulturwissenschaftler
als Künstler und Vermittler“
Mit Blick auf vergangene Stunden und die fortgeschrittene Zeit gibt
es keinen Zweifel mehr: bei diesen nachmittäglichen Podien handelt es
sich um einen heimlichen Belastbarkeitstest von Kulturwissenschaftlern.
Der noch immer gut gefüllte Saal ist zwar ein ansehnliches Ergebnis,
aber ich bemühe mich um Kürze:
Ich schließe mich all denen an, die im Rückblick auf ihr
Berufsleben das Studium der Kulturwissenschaft als eine der prägendsten
Etappen einschätzen.
Kurz vor meiner Bewerbung für ein Studium an der Babelsberger
Filmhochschule riet mir ein gewisser Peter Pachnicke, später Professor
in Leipzig und einigen unter uns gut bekannt, dringend vom Studium an
der HFF ab und erzählte mir von einer noch jungen Fachrichtung an der
HU, die zwar einen recht unerotischen Namen hätte, aber das seinerzeit
frechste gesellschaftswissenschaftliche Studium sei, das die DDR zu
bieten habe, geradezu prädestiniert für einen künftigen
Dokumentarfilmer.
Ein solch unnormierter Weg zum Dokfilm hatte seinen Reiz. Es wurde
ein Umweg, den ich nie bereut habe, obwohl er in der normierten DDR
fast verhinderte, dass ich mein Ziel erreichte, denn der Beruf eines
Filmregisseurs gehörte selbstverständlich nicht zum Absolventenbild
eines Kuwi.
Bereits in meinem Aufnahmegespräch hatte ich keinen Zweifel über
mein Berufsziel gelassen – und wurde erstaunlicherweise dennoch
immatrikuliert. Dass meine wichtigsten Dozenten und meine
Seminarbetreuer über vier Jahre tolerierten, dass ich innerhalb des
Lehrprogramms selektierte und all das ignorierte, was für eine spätere
künstlerische Arbeit eher hinderlich sein konnte, war keine
Gleichgültigkeit sondern eine Leistung. Ich will nicht aufzählen, welche Vorlesungsreihen ich konsequent
schwänzte, sondern das nennen, was für mich unverzichtbar war: die
Vorlesungen und Seminare bei Mühlberg, Mayer, Heise, Dölling und
natürlich bei Hofmann.
Ich bin noch heute sicher, dass es nirgendwo in der DDR in der
ersten Hälfte der 70er Jahre ein derart offenes wissenschaftliches
Klima gab wie in unserer Sektion. Gehörte es jahrzehntelang zum Alltag
in der DDR, Marx und Engels zu dogmatisieren, lernten wir, ihre
Denkmethode zu erkennen und zu begreifen, dass die Geschichte der
Philosophie nicht mit Marx und Engels begann.
Die damals ziemlich modernen und unbequemen Erkenntnisse zum
Beispiel über den Zusammenhang von Lebensweise, Lebensbedingungen und
Kulturniveau vor allem der Arbeiterklasse, reinigte nicht nur unser
Gehirn, sondern programmierte Konflikte. Ich vermute, Ihr habt es so
gewollt. Wer nach den Erkenntnistheorie-Seminaren bei Hofmann (passend
in ein Kellergewölbe in der Spandauer Straße verbannt) zu den
ML-Vorlesungen ins Hauptgebäude ging, brachte sich gesundheitlich in
Gefahr und konnte sich nur mit Disziplinlosigkeit retten.
Mit einigen Tricks gelang es mir, die Absolventenlenkung zu
umgehen. Meine Karriere im ersehnten DEFA-Dokfilmstudio begann, wie für
die meisten Neuen, in der Redaktion Auslandsinformation. Das war die
Propagandaabteilung für den Diplomatischen Dienst. Hier wurden die
Filme hergestellt, die in vielen neuen Botschaften der DDR, man sprach
damals international von einer Anerkennungswelle, wegen ihrer
bekloppten Argumentation niemals gezeigt wurden, um der DDR nicht zu
schaden.
Mein erster Film im Auftrag des Außenministeriums hatte den
Arbeitstitel „Das Schöpfertum der Werktätigen kann sich im Sozialismus
frei entfalten.“ Und das einem gerade diplomierten
Kulturwissenschaftler, der begriffen hatte, dass sich das Schöpfertum
der Werktätigen im Sozialismus eben nicht frei entfalten kann! Der Film
wurde nicht gedreht, weil mein Konzept durchfiel. Der zweite Auftrag
für diese Abteilung, ein Film zum 35. Jahrestag der Befreiung misslang
auf dramatische Weise. Ein Protagonist meines Filmes, ein junger
engagierter Lehrerstudent für Geschichte, mit dem ich verabredet hatte,
ohne Schere im Kopf auf meine Fragen zu antworten, erklärte mir vor der
Kamera, für ihn sei die faschistische Vergangenheit noch nicht
bewältigt, das sei eine Arbeit für viele Generationen und deshalb wolle
er Geschichtslehrer werden. Wegen dieses Satzes wurde auch dieser Film
nicht fertig gestellt. Ich bekam wegen „Verschwendung von
Volksvermögen“ einen strengen Verweis, die Vorstufe einer fristlosen
Kündigung. Ich ging – immerhin unterstützt von einem Anwalt der
Gewerkschaft – vor Gericht und verlor. Der Justiziar der DEFA hieß
wirklich: Dr. Staat.
Diese Beispiele nenne ich, weil die vier Jahre Kulturwissenschaft
mir häufig immer dann eine Art theoretisches Rüstzeug gaben, wenn im
politischen Alltag der DDR oder in den Auseinandersetzungen innerhalb
der SED renitentes Verhalten gefragt war. Das hatten die Erfinder der
Fachrichtung Anfang der 60er Jahre sicher nicht gewollt.
Natürlich habe ich nicht nur keine Dokumentarfilme produziert.
Darüber kann man sich ggf. unter www.umweltfilm.de informieren. Wer
selbst Kulturwissenschaft studiert hat, wird möglicherweise in meinen
Filmen verwandte Denkweisen erkennen.
Gegenwärtig arbeite ich an dem Langzeitprojekt YELLOW CAKE. Das ist
ein Kinodokumentarfilm über den Uranbergbau und seine
Hinterlassenschaften. Ausgehend von dem sieben Milliarden Euro teuren
Versuch, die Vergangenheit der Wismut, dem bis 1990 drittgrößten
Uranbergbau der Welt, durch ein unglaublich aufwändiges
Sanierungsprojekt zu bewältigen, habe ich bei Dreharbeiten in Namibia,
Kanada und Australien den gegenläufigen Prozess beobachtet: die
grenzenlose Jagd nach Uran.
Der Film kommt 2008 ins Kino.
Seit ein paar Wochen ist eine Doppel-DVD auf dem Markt, die ich mit
meinem Partner, dem ehemaligen Fernstudenten der Kulturwissenschaft
Burghard Drachsel hergestellt habe. In dieser bislang umfangreichsten
Filmdokumentation über die Wismut erzählen wir in mehr als vier
Stunden, mit zumeist unveröffentlichtem Filmmaterial und
Zeitzeugenberichten, eine Geschichte, die selbst in Deutschland
weitgehend unbekannt ist. Zu erwerben ist die DVD über
www.wismut-buga-dvd.de.
Eine letzte Bemerkung.
Am Morgen nach dem 11. September 1973, dem Nine/Eleven meiner
Generation, fand zum Beginn des neuen Studienjahres die
Eröffnungsvorlesung unserer Sektion statt. Das Thema lautete: „Die
Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zugunsten des
Sozialismus“. Zwei Stunden kein einziges Wort zu Chile. Während bereits
in der Nacht des Putsches die Studenten in aller Welt auf die Straße
gingen, verhinderte die Humboldt-Universität, noch wenige Wochen zuvor
die Festivaluniversität bei den Weltfestspielen der Jugend, tagelang
jeglichen spontanen Protest ihrer Studenten. Auch das war die Realität
der Humboldt-Uni und ihrer Sektion Kulturtheorie/Ästhetik, die
natürlich keine politische Enklave war.
Joachim Tschirner ist „Filmemacher“, seit 1980 Regisseur,
1991 gründete er die Autorenvereinigung und Filmproduktion „UM WELT
FILM“. 1996 Begründer u. Vorsitzender der Hilfsorganisation „Wasser für
die Kinder vom Aralsee e. V.“
Barbara Hampel (Foto: Scheel)
Barbara Hampel,
Kulturwissenschaftler als Künstler?
Nach dem Filmer muss ich einen Sprung machen in die Innenwelt des
Menschen und bin beeindruckt, was hier von den „äusseren Dingen“
dokumentiert wird. Ich habe zur selben Zeit 1970-74 Kulturwissenschaft
studiert und schon während des Studiums geschrieben, ein erstes
Theaterstück schon vorher in der 2.Klasse, als ich im thüringischen
Kinderkurheim war, wo es auch aufgeführt wurde: „Die Atomhexe“. Wie ich
später in Berlin lernte, gehört es zur Kunst, dass über bestimmte
Antennen bestimmte Zeitprobleme gehört werden, Kunst antizipiert
Wirklichkeit, nimmt vorweg, was sein kann, was auch gefährlich sein
kann. Zuletzt wurde ich mit Texten zum Holocaust-Mahnmal zum
Autorinnenforum Berlin/Rheinsberg in diesem Sommer eingeladen. Das
Thema war: „Dünn ist die Decke der Zivilisation.“ (Christa Wolf). Weil
ich weit weg bin von Berlin und von Geld- und tagespolitischen
Diskussionen, kann ich mich unvoreingenommen der Sache widmen und
schreibe immer wieder im Holocaust-Mahnmal Gedichte, die ich im
nächsten Jahr 2008, wenn der 70.Jahrestag der Reichskristallnacht ist,
publizieren möchte. Mit dieser Art Kunstvermittlung ist zugleich eine
Geschichtsvermittlung (mit dem „wunden Punkt“) verbunden, weil noch
nicht alles überwunden ist, wie es schon hiess. Man kann sich dieser
Frage auch ästhetisch, poetisch, philosophisch nähern. Ein behutsames
Übersetzen.
Während des Studiums ging ich oft nach Pankow, in den Lyrikclub, wo
auch andere viel gelernt haben. Dann wurde ich nach Rostock verschickt
in die Kulturverwaltung und wollte nicht ersticken, ich kümmerte mich
bald um eine andere Arbeit. Denn ich machte parallel zum Studium eine
Musiktherapie-Ausbildung. Es war ein Tatendrang nach so viel Zuspruch
und Motivation, etwas für die Kunst zu tun. Bei Günter Mayer hatte ich
die Diplomarbeit über „Musikerleben und Persönlichkeit“ schreiben
können, um die Arbeit auch schon vorzubereiten. Habe dann in der
Universitätsklinik Rostock bildende Kunst und Literatur in die
Gruppentherapie einbezogen, die Einzelnen sind auch individuell mit
Themen und Lebensmöglichkeiten in Berührung gekommen.
Das Menschenbild, um das es gehen kann, interessiert mich seit dem
Studium bis heute. Diese Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft
und die zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit, diese ganze Dialektik in
der Ästhetik, was da passieren kann mit dem Nirgendort der Utopie, mit
dem Nochnicht, mit dem Möglichen, dem Sinn... Das zieht sich durchs
Schreiben. Weil man davon nicht leben kann, habe ich auch in den
Brotberufen nach Kunstvermittlung gesucht: nach der Psychotherapie in
der Kunsthalle Rostock, wo ich durch Ausstellungen führte, vor allem
die Kollektive, die nach der Pflicht eine Neigung nicht ausschliessen.
Museumspädagogisch für Kinder die Kunst aufschliessen – dann selbst ein
Kind bekommen und in der Teilzeit ankommen wollen. Ich war indessen
Kulturleiterin für Altersheime, schrieb auch über das Sterben und
wollte wie fürs Kind auch fürs Schreiben mehr Zeit haben. Der Staat
ordnete damals die Vollbeschäftigung für Akademiker an. Heute ein
Märchen. Die Wirklichkeit liess mir den Ausweg in die Volkssolidarität:
Rentner-Treffpunktleiter mit geistig kultureller Betreuung, wie es
hiess. Von den Alten, die schon den ersten Weltkrieg erlebten und
spätestens im zweiten den Mann und die Söhne verloren, erfuhr ich sehr
viel, schrieb Prosa über die Frauen, staunte, wie sie selbständig sind
und dabei individuell erfreulich verschieden, während sie alle
unabhängig von Adel und Herkunft in Neubauten sozial gleichgestellt
sind. Da fällt mir der Interview-Satz von Wolfgang Thierse ein: das
Ziel des Sozialismus sei es, für soziale Gerechtigkeit (Gleichheit?) zu
sorgen, damit die natürliche Ungleichheit zur Geltung kommt.
Und von Dietrich Mühlberg die Frage zur Aufnahmeprüfung 1970: Ob
es denn einen Fortschritt gibt in der Kultur? Das war eine Hausaufgabe
fürs Leben. Man wird damit ja nicht fertig. Und die Ironie, wie Sie das
gefragt haben, hat mich auf das Studium eingestimmt. Der Ernst im
Tonfall und zugleich sollte (musikalisch?) auf Nebentöne gehört werden.
Oder der Schrecken im Körper nach dem 11. September 1973, als Norbert
Krenzlin kreidebleich in den Hörsaal kam – da war der Putsch in Chile
über Nacht! Dass da einer kreidbleich sein kann, weil eine Hoffnung am
anderen Ende der Welt vielleicht nicht mehr realisierbar ist: da habe
ich gemerkt, wie Kunst, wie Politik einen Menschen erfassen kann, wie
sich gesorgt werden kann. Nach der Wende nannte ich das „Linke“ immer
DIE SORGE UM DIE GESCHICHTE. Und das ist doch hoffentlich allen
Menschen möglich, sich um die Geschichte zu sorgen.
Diese Verbindung versuche ich immer wieder wach zu halten. Und die
vom typischen Konflikt heute, der- wie Wolfang Heise es nahelegte- ein
tragisch-komischer ist. In der antiken Tragödie sahen wir, wie der Held
seiner Zeit voraus ist, wie ein solcher nicht verstanden wird und
umkommen kann. Wenn es heute zugleich die komischen Verhaltensweisen
gibt, die überholt und lächerlich sind, die wir aber immer wieder
erleben, doch schwer mit ihnen leben können: so ist das eine
Tragikkomödie. Wie im sowjetischen Film aus der nachrevolutionären
Kunstvermittlung: „Leuchte mein Stern leuchte“. Es gab in
sozialpsychologischen Dölling-Vorlesungen gegenwärtige Bezüge und
Persönlichkeitstheorien, die auf den Grund gehen. Muster werden
bewusster...
Und das Beispiel verdichteter Denk-Ausrichtung bei Walter Hofmann.
So ruhig blieb er in erhitzten Diskussionen: Warum es noch Krieg gibt?
Sieg müsste man darauf reimen. Mit Christa Wolfs Sorge um die
Geschichte in „Kassandra“, wo sie die armen Männer, die Soldaten
beobachtet und es am schlimmsten findet, „dass sie nicht zu leben
verstehn, dass sie siegen müssen“. Sieg und Krieg gehören psychologisch
zusammen. Entsprechend Walter Hofmanns Antwort damals: „Solange gibt es
Krieg, wie einer es nötig hat, über dem andern zu stehn.“ Nicht von
Massen spricht er, von Einem, der es nötig hat. Ein ganzes
Psychologiestudium in einem Satz! Wo bekommt man das? Das ist dann auch
immer wieder eine Manna- Packung, wie sie auf der (geistigen)
Wüstenwanderung das Nötige ist. Solche Ansätze und Schlüsselsätze haben
mich getragen, zumal das Wissen, das wir hier vermittelt bekommen
haben, von den Menschen nicht zu trennen ist. Das fand ich grossartig.
Und dass Sie als Wissenschaftler, als Einzelpersonen Sorge getragen
haben dafür, dass etwas aufgebaut und weitergetragen wird, wirkt
nachhaltig. So verschieden wie Sie waren, haben Sie den Eindruck
entstehen lassen, man kann gemeinsam für eine Sache Verantwortung
übernehmen. Bei so viel Egozentren und Einkaufszentren, die es heute
gibt, braucht man solche Erfahrung. Das ist mehr als Bücherwissen. Es
gibt tatsächlich diese Form Verhalten und Gestalten. Es ist nicht nur
die künstlerische Form, um die wir ringen, sondern es ist eine Form
Menschsein. Und ich denke immer: FORM und INFORMATION... und am Ende
sind die Menschen, die gelebt haben, die InFORMation. Dafür muss man
einfach mal wieder DANKE sagen!
(Weil es mir wichtig war, das zu sagen, erzählte ich weniger vom
meinem Schreiben und den tragisch-komischen Wende-Erfahrungen, die ich
vor 1989 auf der anderen Seite der Mauer persönlich und beruflich
erlebte. Einige fasse ich kurz zusammen):
Beschrieben habe ich noch auf dem Podium, wie ich in die Schweiz
kam: wegen des Schreibens. Unser Zirkel hatte 1977 eine Lesung für
ausländische Deutschlehrer im Rostocker Uni-Kurs. Eine Frau reagierte,
sie besuchte mich und schickte ein Jahr später einen Kollegen in den
Kurs und zu mir mit einem Brief und Seife. Der Mann nahm mich mit zur
Christa Wolf-Lesung für Ausländer: „Kein Ort. Nirgends“. Kein
Reinkommen für Inländer. Der Schweizer, der zudem kaum verstand, was
zwischen den Zeilen und historischen Hintergründen an Vordergründen
mitzudenken ist, war nach dem Abweisen mehrerer Autoren so gründlich
irritiert, dass er nach Gründen fragte. Das Gespräch dauerte 4 Jahre
und endete 1982 auf dem DDR-Standesamt.
Es gab vor dem Umzug keine Chance, den neuen Ort des Zusammenlebens
(auch mit dem Kind!) mit seinem Alltag wahrzunehmen. Die Emanzipation,
die für die DDR-
Frau fast kein Thema war, sondern normal mitsamt allen Pflichten bis
hin zur Allein-
erziehung von Kindern und dann noch kreativ sein, diese Normalität
konnte exotisch wirken auf einen Besucher. Wie Rohmaterial lässt sich
aber so ein anderer Mensch aus diesem Land nicht bearbeiten. Auch keine
falsche Anpassung durch Wohlstand. Und nicht die Richtung verlieren, wo
der Import aus der DDR nicht der richtige ist.
Scheidung nach drei Jahren. Arbeiten. Ich wollte promovieren. Das
DDR-Studium war aber nicht anerkannt, auch das Abitur nicht. Ich durfte
als Sozialfall im ersten Semester mit dem Zweitstudium beginnen.
Mangels Latein (in der EOS) kein direkter Zugang zu Kunst- und
Philosophie-Fächern. Indirekt knüpfte ich Fäden in Pädagogik und
Psychologie. Kulturphilosophische Lizentiatsarbeit über „Perspektive,
Kunst und Bewusstsein“ samt Nazi-Fragen, weil man schuldig werden kann
„aus Mangel an Vorstellungskraft“ (Hannah Arendt zum Eichmann-Prozess).
Danach: Fachstelle für Weiterbildung an der Universität Zürich. Ich
baute entsprechende interdisziplinäre Kurse auf: Nomadisches Denken,
Poesie in der Philosophie, Ethik und Ästhetik -bis 2000. Aber die
Wissenschaftssprache tut der Dichtung nicht gut, das Analysieren sollte
dem kreativen Prozess nicht zu nahe stehen. Ich ging zu den Kindern und
in die Entwicklungshilfe. Nicht nach Afrika, sondern in die
Primarschule, zu künftigen Entscheidungsträgern in der reichen Stadt
Zürich. Am Stadtrand die multikulturellen Klassen! Es gab das
Mensch-Umwelt-Fach „Biblische Geschichte“ mit Lebenskunde, Ethik und
Kultur. 10 Jahre Unterricht. Das Fach wurde weggespart.
Arbeitslosigkeit.
Mehr Zeit zum Schreiben. Weniger Geld und Geltung. Die reichen
Erfahrungen mit den vielen Kindern und den Stoffen, die auch das Hoffen
in Gang bringen, bauen mit an Gedichten und Geschichten. In einem Buch
„Bin ich ein Baustein?“ werden die Kinder dann mit Franziskus aus
Assisi philosophieren. Das Universelle sagen zur Menschenwürde und zur
Bürde der Freiheit. Von der jüdischen Überlieferung, vom Auszug aus der
Knechtschaft, den befreienden Impuls wachhalten. Die evolutionäre
Geduld nach der revolutionären Ungeduld. Immer wieder in der Natur der
Kultur auf die Spur kommen. In unverfügbaren Landschaften, in Wüsten
wie auch in Alpen, vor Gletschern und an den Rändern, die zuerst
merken, wenn es Verletzungen auf der Erde gibt und Entnetzungen im
Denken und Fühlen... Das Verfügen-Wollen als eine Haltung erkennen, die
verunstaltet. Im Gestalten der Kunst einen Weg sehen im alternativen
Zugang, der am Zusammenhang baut. Entsprechend das Schreiben vor
Kunstwerken wie vor den Werken des Bildhauers Josephsohn in mehr als 20
Jahren. Er schickte mich auch nach Assisi. In der Galerie, wo er in
Zürich ausstellte, fand ich zuerst Arbeit. Der Künstler verliess als
Jude 1938 Königsberg, die Eltern durfte er nicht in die Schweiz holen,
sie kamen ins KZ. „Das Boot war doch voll“, hiess es. Im
Atelier: weiterer Geschichtsunterricht. Zur Kunst die Texte in meinem
Buch mit dem Titel: „Die Zukunft stimmt in allen Brüchen“ – das könnte
ein Motto sein, auch für uns!
Gerta Stecher (Foto: Gabriele Lattke)
Gerta Stecher
Was vor, während und besonders nach dem Studium passierte
1. Vor dem Studium:
Assistentin beim DEFA-Dokumentarfilmstudio Betriebsteil Berlin.
Bewerbung um eine Delegierung zum Studium Kulturwissenschaft,
Genehmigung derselben, was sowohl die finanzielle Unterstützung von
Seiten der DEFA in Form von Büchergeld - nach Studienjahren gestaffelt
- garantierte als auch nach dem Diplomabschluss die erneute
Arbeitsaufnahme im DEFA-Dokumentarfilmstudio. Studium von 1972 bis
1976.
2. Einsatz nach Studium:
Rückkehr ins Studio als Dokumentarfilmdramaturgin, Tätigkeit in der
Kinderfilm-Produktionsgruppe. Bis 1992 ca. 80 Dokumentarfilme für
Kinder und Jugendliche verschiedener Längen vorrangig für das Fernsehen
betreut.
Die Tatsache der Produktion (dazu noch einer plan- und
regelmäßigen) von Dokumentarfilmen für Kinder und Jugendliche,
hergestellt sowohl für Kino als auch Fernsehen, rief bei den
westdeutschen Kinderfilmern, die dergleichen nicht kannten, immer aufs
neue Verwunderung hervor. Während des jährlichen Kinderfilmfestivals
(für Spiel-, Trick- und Dokumentarfilm) „Goldener Spatz“ in Gera wurden
DramaturgInnen, Kameramänner/-frauen und RegisseurInnen der
Kinderfilm-Produktionsgruppe von den als Gäste teilnehmenden
Westkollegen angestaunt.
Übrigens, dass es überhaupt Dramaturgen im Dokumentarfilmgenre
gab, egal ob im Kinder- oder Erwachsenenfilm, war für sie eine nicht
nachvollziehbare Tatsache, weil angeblich Luxus. Dieses Unverständnis
spiegelte die unterschiedliche Haltung in Ost und West zum „Dokumentarfilm“
wieder. Solch ein Genre, nämlich Film und nicht Reportage, also mit
filmkünstlerischen und nicht nur journalistischen Mitteln umgesetzt,
gab es und gibt es in der BRD so gut wie nicht. Erst mit dem
Hinzustoßen der ehemaligen DDR-Dokumentarfilmer zur BRD-Filmszene ist
die Sachlage eine andere. Doch ist die mediale Nachfrage denkbar
gering, die Finanzierung entsprechend mangelhaft, die Produktion
äußerst spärlich.
3. Die Jahre nach der „Wende“ bis 1998:
Nach Auflösung des Studios zuerst Arbeitslosigkeit, dann ABM- und
LKZ-Stelle. Beide Fälle waren glückliche Fügungen, da berufsnahe
Tätigkeiten.
Im ersten Fall: Produktion einer Filmdokumentation über die
Situation eines uckermärkischen Dorfes nach der Wende. Dazu konnte ich
mir selbst zwei Kameramänner bestimmen. Einer von beiden war Hans
Eberhard Leupold, bekannt durch seine Golzow-Langzeitproduktion. Dieser
Fernsehfilm über das uckermärcker Dorf wurde in der letzten Woche der
Existenz des DDR-Fernsehens ausgestrahlt und zeigte wohl zum ersten Mal
einen Pfarrer samt Erntedankfestpredigt. Wir – ich und Leupold – waren
auf den Streifen stolz, aber dieser Pfarrer war entsetzt, denn wir
hatten seine Predigtworte mit langen Schwenks über abgeerntete Felder
unterlegt. Er erkannte nicht den künstlerischen Gestaltungswillen,
sondern führte den als „Fehlgriff“ auf die atheistische
DDR-Schulbildung zurück.
Im zweiten Fall: Mitarbeit in der „Kulturellen Jugendbildung
Berlin“, eine etwas dröge, weil vorrangig Schreibtisch-Tätigkeit, aber
die Adressaten waren, wie in meiner vorherigen zwangsabgebrochenen
Berufstätigkeit, Kinder und Jugendliche, und inhaltlich ging es um
künstlerische wie kulturelle Tätigkeiten für sie und um die Träger, die
diese Angebote im Land Berlin offerieren.
4. Selbständige Tätigkeit ab 1998:
Parallel dazu, und ab 1998 ausschließlich freischaffend als Hörfunk- und Fernsehjournalistin, Fotografin und Autorin tätig.
Hörfunk- und Fernsehjournalistin:
Erster Schwerpunkt Lateinamerika. Produktionen aus mehr als
einem halben Dutzend Ländern (Argentinien, Bolivien, Chile, Cuba,
Honduras, Guatemala, Mexico und Peru) für den Hörfunk, besonders für
ORB, SFB, RBB, Deutschlandfunk Köln, Deutschlandradio Berlin, und zwar
Berichte, Features und Reportagen zu sozialen, Frauen-, Ökologie-, und
als zweiten Schwerpunkt: Kulturthemen. Letztere sowohl über
Lateinamerika als auch die Bundesrepublik, produziert für die
obengenannten Sender und darüber hinaus für Zeitschriften wie
Kunst&Kultur (Stuttgart) und nmz (Neue Musikzeitung, Regensburg).
Daneben habe ich Fernseharbeiten für ORB und 3 SAT realisiert wie
Frauenportraits aus Lateinamerika: Peru, Bolivien, Honduras, und aus
Nordamerika: Südstaaten. Hierbei war ich als Ein-Personen-Drehstab
unterwegs, als Regisseurin, Kamerafrau und Produktionsleiterin.
In Berlin/Brandenburg sind meine Fernsehbeiträge mit regulärem Drehstab entstanden, z. B. über Frauenstatuen auf Friedhöfen.
In meiner journalistischen Tätigkeit verdiente ich
zufriedenstellend. Allerdings habe ich dabei gelernt, nicht zwischen
Arbeit und Freizeit zu unterscheiden, sondern das Arbeiten im fremden
Land auch als persönliche Bereicherung zu schätzen - das Kennen- und
Verarbeitenlernen von anderen Kulturen und Lebensweisen. Dieser
Arbeitsschwerpunkt „Lateinamerika“, auf den ich durch privat-familiäre
Beziehungen gestoßen bin, garantierte außerdem weniger
Kollegen-Konkurrenz als sie bei deutschen und speziell Berliner Themen
unter den Journalisten herrscht. Nur wenige wagen ohne den Auftrag
eines Senders, ohne die Sicherheit des anschließenden Verkaufs ihrer
medialen Produkte, solch teure Arbeitsreisen.
Diese zufriedenstellende Situation brach ab, seit die
Auslandsredaktionen der Sender sich verstärkt osteuropäischen und
islamischen Ländern widmen und dem lateinamerikanischen Kontinent nur
noch wenige Sendeminuten einräumen.
Fotografin:
Neben den Hörfunk- und Fernseharbeiten parallel immer als
Fotografin tätig. So habe ich neben der Veröffentlichung von Fotos in
der Presse zwölf Fotoausstellungen bzw. fotografische Reportagen aus
Lateinamerika, Nordamerika und Brandenburg in bisher 47
Personalausstellungen bundesweit gezeigt. Die Bezeichnung
„fotografische Reportage“ soll auf den Erzählstil der Mehrheit meiner
Ausstellungen verweisen, die nicht traditionell Bild für Bild gehängt
werden, sondern als Bildkomplexe gebaut auch komplexweise erzählen, so
z. B. die Ausstellungen „Cholitas von La Paz. Von der Dienstmagd zur
Hausangestellten“(Bolivien), „Zwischen Spiel und Ernst. Kinder in
Lateinamerika“(Bolivien, Peru, Honduras, Cuba, Mexico), „Maritimes.
Lateinamerikanische Seestücke“ (Mexico, Cuba, Peru, Bolivien,
Argentinien), „Häuser und Hüte. Südliches Washington“ (USA).
Traditionell gehängt werden dagegen die Ausstellungen „Die offenen
Augen Cubas – Fenster und Türen“, „Weiber für die Ewigkeit“ (Bolivien,
Peru, Cuba, Argentinien, Frankreich, Italien, Deutschland), „Effi küsst
Fontane. Literarische Spuren in und um Potsdam“.
Da ich verschiedene Themen sowohl stehenden als auch bewegten
Bildes erarbeitet hatte, bot es sich viele Male an, Fotoausstellungen
inhaltlich ergänzend bzw. erweiternd mit dem entsprechenden
Fernsehbeitrag zu eröffnen.
Autorin:
Ab Mitte der 80er Jahre diverse Erzählungen und Reportagen in
Anthologien und Zeitschriften wie „Partnerschaften“ Mitteldeutscher
Verlag 1988, oder in Literaturzeitschriften wie Litfaß (München),
Temperamente, Neue Deutsche Literatur, dazu Hörspiele und Features im
Rundfunk.
Seit der Aufnahme der freiberuflichen Tätigkeit vermehrt
Kulturtexte, speziell über die bundesdeutsche Theaterlandschaft,
veröffentlicht vor allem in den schon erwähnten Zeitschriften
Kunst&Kultur und nmz. Mit der geringer werdenden Nachfrage nach
Produktionen über Lateinamerika habe ich meine Autorentätigkeit
aktiviert, auch Hörfunksendungen vertextet, aktualisiert und zwei
Bücher verfasst mit Prosatexten zu Themen aus der vorangegangenen
Arbeit: ein Buch zu Lateinamerika, das andere zur Theaterlandschaft,
die beide 2007 erschienen sind: im Mai „Wahre Geschichten aus der Neuen
Welt. Menschen aus dem Alltag Lateinamerikas“, im August „Nur der König
Lear hat noch was zu lachen. Aus dem Innenleben der Theater- und
Bühnenwelt“.
1995 hatte ich schon zusammen mit Hans-Otto Dill mein erstes Buch
veröffentlicht „Die unerste Geschichte Brandenburgs“. (Als Anlage die
drei Buchumschläge.)
Mein Opernlibretto „Das Beben“ (Komponist Awet Terterjan,
Armenien) nach Heinrich Kleists „Das Erdbeben von Chili“ war für das
Theater Halle vor der Wende geschrieben worden. Der gesellschaftlichen
Umbrüche wegen blieb das Werk unaufgeführt und fand nun seine
Uraufführung 2003 im Staatstheater am Gärtnerplatz in München.
In der Endfertigung/Festlegung des Bildmaterials befindet sich
mein viertes Buch „Das lange Leben des Karl Richter“ über den
Gewerkschaftsführer der IG Druck und Papier Berlin/West, dessen
Kultur-Biografie ich nach einer einführenden Kurzbiografie darstelle.
Dieser Text ist bereits seit November 2007 auf den Internetseiten des
„Karl-Richter-Vereines. Zur Förderung der Erforschung der Geschichte
und der kulturellen Traditionen der Buchdrucker e.V.“ eingestellt und
abrufbar.
5. Wie hat das Studium Einfluß auf Inhalt und Methode auf die oben genannten Arbeiten genommen?
Meine beruflichen Fertigkeiten wie das (literarische) Betreuen von
Autoren und Regisseuren, Einschätzen von Exposés und Szenarien und -
nach 1992 – das Erarbeiten von Reportagemethodik, Interviewstil,
Kamera- und Tonführung und von fotografischen Konzepten sind Ergebnis
der praktischen Arbeit selbst, nicht des Studiums.
Einen direkten Niederschlag des Studiums auf meine Arbeiten sehe ich inhaltlich bzw. thematisch, und zwar in zweierlei Hinsicht:
a.) Persönlichkeitstheorie – die mich während des Studium
besonders interessierte. Da ich schwerpunktmäßig Personen vorstelle,
was sich in meiner Bevorzugung der Interview- und Portraitform zeigt,
glaube ich, hier ein besonderes Anwendungsgebiet der
Persönlichkeitstheorie auf meine inhaltlich-thematische Arbeit ableiten
zu können. Ich ziele immer auf die spezifischen, individuellen und
zugleich gruppencharakteristischen Eigenschaften, Überzeugungen,
Denkweisen, Sensibilitäten, Tätigkeiten und Fähigkeiten und suche, sie
in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zusammenzuführen und aufzuzeigen.
b.) Der weite Kulturbegriff – der mich ebenfalls besonders
interessierte. Ich habe viel mit und über Künstler sowie über
künstlerische Prozesse gearbeitet, ferner in, mit und über
Kulturinstitutionen, und dabei immer das nicht- oder nur bedingt
kulturelle Umfeld von Kunstprozessen dargestellt (von Friedhofskultur
bis hin zu Personal und Prozessen hinter der Theaterbühne).
c.) Beides, Persönlichkeitstheorie und weiter Kulturbegriff,
bündeln sich in meiner KULTUR-Biografie des oben genannten
Gewerkschaftsführers – ein Novum, wie ich meine, einen Lebenslauf nur
unter diesem Gesichtspunkt herauszuarbeiten und aufzuzeigen.
Aus dem Kreis des Lehrkörpers sind mir Walter Hofmann und Dietrich Mühlberg in nachhaltigster Erinnerung.
6.) Mangel des Studiums
Wie ich in meiner Berufstätigkeit besonders zu spüren bekam, war
das Studium auf den europäischen, speziell deutschen, und noch
spezieller auf den DDR-Kulturkreis ausgerichtet. Besonders ethnische
Probleme wurden nicht oder doch kaum behandelt, die Sicht auf den
„Anderen“ als historisch und kulturell anders Sozialisierten wurde
nicht behandelt. Derartige Kenntnisse musste ich mir z. B. in meinen
Arbeiten über Menschen Lateinamerikas aus anderen Quellen und in der
Praxis selbst erwerben. Doch daß dies gelang, ist wohl auch ein
Ergebnis des Studiums.
Hubertus Rufledt (Foto: Scheel)
Hubertus Rufledt
Mein beruflicher Werdegang nach dem Studium
Leider gehöre ich zu den „Wendestudenten“, die 1990 abgewickelt
wurden und demzufolge nur mal kurz in das KuWi-Studium reinschnuppern
durften. Ein paar Jahre zuvor, von 1981 bis 1984, hatte ich allerdings
an der Fachschule für Klubleiter in Meißen/Siebeneichen ein Studium im
Bereich „Kulturwissenschaft (Klubleiter)“ absolviert. So lautet
jedenfalls die Fachrichtungsbezeichnung auf meinem Zeugnis. Nebenbei
gesagt, war die Meißener Klubleiterschule nicht so schlecht wie ihr
Ruf. Wer das Studium ernst nahm, konnte Dank der engagierten Dozenten
für sein späteres Leben hier eine grundsolide Bildung erwerben.
Was hat mir aber die kurze Zeit an der Humboldt-Uni gebracht? Nun,
da fallen mir ganz konkret die Seminare zum „Griechischen Theater“ ein,
in denen ich etwas von 3-Akt-Struktur und aristotelische Dramaturgie
hörte und erfuhr, dass Spielfilme, Fernsehserien und auch viele Comics
immer noch nach denselben uralten Prinzipien gemacht werden. Damals
wusste ich allerdings noch nicht, welche Bedeutung dieses Wissen für
mein späteres Leben haben sollte.
Im März 1990 fragte mich eine Bekannte, ob ich Lust hätte, für eine
neu gegründete Zeitung namens „das blatt“ zu schreiben. Wohlwissend,
dass sich solch eine Chance mir kein zweites Mal bieten würde, sagte
ich umgehend zu. Eines meiner ersten Themen war die Geschichte des
DDR-Comics „Mosaik“. Als Kind hatte ich die Abenteuer der Digedags und
Ritter Runkel (welcher DDR-Bürger kannte sie nicht?) leidenschaftlich
gern gelesen und wollte unbedingt etwas über sie schreiben. Mit etwas
Glück gelang es mir sogar Hannes Hegen, den Spiritus rector des
„Mosaik“, zu einem Interview zu bewegen. Außer einer späteren kurzen
Äußerung im ZDF war dieses Interview meines Wissens das einzige, das
der menschenscheue und misstrauische Hegen jemals einem Journalisten
gab. Während der Arbeit an dieser Thematik bekam ich auch Kontakt mit
der jetzigen Redaktion des „Mosaik“, die damals noch in der Mauerstraße
saß und auf die Entscheidungen der Treuhand wartete.
Mit dem „blatt“ war es bereits ein Jahr nach seiner Gründung
vorbei. Ich überlegte, ob es in diesen unsicheren Zeiten nicht doch
besser wäre, einen „vernünftigen“ Beruf zu erlernen und entschied mich
kurzerhand für eine Ausbildung zum Hotelkaufmann. Gleich nach meiner
Abschlußprüfung im Januar 1994 erhielt ich vom „Mosaik“ – zu dem der
Kontakt nie ganz abgerissen war - das Angebot, ein Comic-Album
konzipieren und zu schreiben. Statt mir also einen Job in der
Hotellerie zu suchen, nutzte ich das Jahr meiner Arbeitslosigkeit, um
das Skript für meine erste Bildgeschichten zu Papier zu bringen. Das
Album erschien im Oktober 1995 und bescherte mir den Eintritt in die
Welt der Abrafaxe. Bis 2004 erdachte und schrieb ich die Skripts für 9
Alben, 3 Serien und vieler Ein-Seiten-Comics, sogenannter One-Pager.
Hollywood Pursuit, MOSAIK 1995, Zeichner: Thorsten Kiecker
Trotz dieser recht erfolgreichen Arbeit bekam für mich die
Vorstellung, bis zu meiner Rente als Abrafaxe-Autor tätig zu sein, nach
und nach etwas erschreckend Endgültiges. Aus diesem Grund, aber auch,
weil ich mal etwas Neues ausprobieren wollte tat ich mich 2003 mit dem
ehemaligen Mosaik-Zeichner Sascha Wüstefeld zusammen, um eine eigene
Serie zu kreieren. Wir waren uns einig, dass es etwas sehr
Kommerzielles sein sollte; etwas, mit dem wir nicht nur 100 000 Leser
(wie beim Mosaik), sondern vielleicht fünf, ja sogar zehn Mal soviel
Leute erreichen würden.
(Kleine Abschweifung: Seltsamerweise ist unter vielen Künstlern,
die ja auch Erfolg und damit Bestätigung für ihre Arbeit brauchen, das
Wort „kommerziell“ meistens negativ besetzt. Für mich heißt kommerziell
zu sein lediglich, dass der Nutzeffekt höher als der Kostenfaktor ist.
Ich halte das für normal. Zumindest dann, wenn man von seiner Kunst
leben muss…)
Lotta Überall, GEOLINO 2007, Zeichner: Sascha Wüstefeld, Flavia Scuderi, Mario Kuchinke-Hofer,
Unser Projekt, ein Mädchen-Comic für Leserinnen im Alter von 12 bis
14 Jahren, stellten wir zur Leipziger Buchmesse 2003 dem Carlsen-Verlag
vor, der uns daraufhin einen Vertrag anbot. Nach 14 Monaten Arbeit und
knapp 250 gezeichneten Seiten teilte Carlsen uns mit, dass sie nicht
die nötigen Kapazitäten haben, um dieses als Monatsheft geplante
Projekt auf den Markt zu bringen; allerdings habe man zwei
Interessenten: Dargaud, einen großen französischen Comicverlag, und
Disney. Im Frühjahr 2005 wussten wir dann, dass Disney unser neuer
Partner sein würde. Das war natürlich schon ein anderes Kaliber als
unsere ehemalige Auftraggeber aus Hamburg. Alleine das Aushandeln des
neuen Vertrages zog sich über den ganzen Sommer 2005 hin.
Congo, MOSAIK 2000, Zeichner: Thorsten Kiecker
Inzwischen wissen wir, dass auch bei Disney nur mit Wasser gekocht
wird. Klar, dass die Veranwortung der Redakteure und Ressortleiter
eines großen Verlagshauses ungleich größer ist, als die eines kleinen
wie „Mosaik“ oder eines mittelständischen wie „Carlsen“. Deshalb werden
manche Kämpfe auch mit etwas härteren Bandagen ausgefochten. Letzten
Endes läuft aber alles auf das gleiche hinaus: Dass eine gute
Geschichte ihr Publikum findet. Und auch das war – wie ich seit meinen
Theaterseminaren des Winters 89/90 weiß – schon bei den alten Griechen
nicht anders.
Rüdiger Küttner (Foto: Scheel)
Rüdiger Küttner
Das Kunsthandelsexperiment
1970 begannen wir zu dritt – dazu gehörten Malwine Hörisch und
Jürgen Marten - mit der Ahrenshooper Grafikauktion. Das war
offensichtlich der Ausgangspunkt einer damals nicht absehbaren
Berufsentwicklung, die für mich in den weiteren Jahren die Grundlage
blieb und es auch weiter sein wird.
Peter Pachnicke wurde Generaldirektor des 1974 gegründeten
"Staatlichen Kunsthandels der DDR", ein monströser Name für eine
lohnenswerte Aufgabe. Pachnicke holte mich im selben Jahr als seinen
wissenschaftlichen Mitarbeiter in den Betrieb, nach dann schon fünf
Auktionen in Ahrenshoop, die damals eine der wenigen händlerischen
Aktivitäten war.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich nach dem
Studium zunächst bei Progress Film Verleih als Abteilungsleiter für
Filmpublizistik arbeitete, eine durchaus interessante Tätigkeit, die
ich für das Kunsthandelsexperiment aufzugeben bereit war.
Die Aufgabe des Kunsthandels, der wir uns verschrieben, war
es, ein Netz von Galerien zeitgenössischer Kunst in der DDR aufzubauen,
ebenso ein Netz von Werkstätten für die künstlerische Produktion - also
Werkstätten für den Grafikdruck, Gießereien, keramische Werkstätten und
Produktionsstätten für den Künstlerbedarf. Diese Zielsetzung war unter
den damaligen Bedingungen gelinde gesagt schwierig, spielten dahinein
doch die Marktverhältnisse, (Angebot und Nachfrage, freie Preisbildung
trotz Honorarordnung), die immer noch hinderliche kulturpolitische Enge
(trotz „Breite und Vielfalt“), das provinzielle Denken und, ganz
natürlich, die unterschiedlichen Ansätze der verantwortlichen Personen.
Das alles musste in der Generaldirektion irgendwie „harmonisiert“
werden. Dabei half uns das Prinzip, dass die Persönlichkeit des
jeweiligen Galerieleiters, von denen es bald 40 im Lande gab, das
Profil der Galerie zu definieren hatte. Das schloss große
Qualitätsunterschiede ein, aber auch große Flexibilität und
Selbstständigkeit.
Hilfreich war die Einbeziehung des Antiquitätenhandels, der Numismatik
und der Philatelie, dreier Bereiche, die das Geld brachten. Sie
sicherten uns eine relative Unabhängigkeit und verleiteten das
Ministerium für Kultur zu habgieriger Toleranz. Viel wichtiger aber war
es, dass damit der Geld- und Umsatzdruck von den Galerien genommen
werden konnte, Qualität durchzusetzen war und nun die Möglichkeit zum
Publizieren gegeben war. So hat der Kunsthandel ein beachtliches
Katalogprogramm aufgelegt, das auch für die Künstler von großer
Bedeutung war. Wie mit der Entwicklung des Kunsthandels sich überhaupt
die Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Künstler erheblich
verbesserten.
Veränderungen in der Spitze des Verbandes Bildender Künstler
führten auch zu personellen Veränderungen in der Generaldirektion. Mit
dem neuen Generaldirektor wurde der Betrieb unerträglich
bürokratisiert, die kreative Weiterentwicklung wurde von einem
abwägenden und vorsichtigen Leitungsstil abgelöst.
Vordem hatten wir noch erste Kontakte zu westlichen
Kunsthändlern angebahnt und waren das erste Mal auf einer
internationalen Kunstmesse, der ART BASEL, vertreten. Damit begann ein
wichtiges neues Kapitel der Tätigkeit des Betriebes, öffnete es doch
die Enge der DDR durch neue und vor allem internationale
Ausstellungsmöglichkeiten für viele Künstler. Die offizielle
Kulturpolitik schaute beiseite, bzw. vertrat den Standpunkt, dass
kommerzielle Ausstellungen nicht zu ihrem Verantwortungsbereich
gehörten, nicht ohne zuvor den DDR-Medien ein striktes Schreibverbot
über eben diese Ausstellungen zu verordnen. Es handelte sich um viele
sehr bedeutende Ausstellungen die auf diesem Weg zustande kamen, z. B.
die "Zeitvergleich" - Ausstellungen, die an Ausgewogenheit der
beteiligten Künstler in der DDR zu diesem Zeitpunkt so nicht für
vorführbar gehalten wurde. Schwerpunkt war die BRD, aber auch die
Schweiz, Großbritannien, USA, Japan und andere Länder wurden
einbezogen. Zudem galt unser Prinzip: Die besten (Partner-)Galerien
sind gerade gut genug, denn: Qualität der Partner, Qualität der Kunst,
Qualität des Preises, der Präsentation und der öffentlichen Wirkung
konnten nur mit dieser Konsequenz durchgesetzt werden.
Bis zur Wende habe ich diesen Weg intensiv begleitet, als, wie
schon erwähnt, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Generaldirektors, als
Direktor für Gegenwartskunst in der Generaldirektion, als
Bezirksdirektor Berlin/Potsdam und schließlich als „Direktor für
internationale Beziehungen“, gemeint war mit diesem Titel der
Außenhandel.
Schließlich wurde mit der Wende der Versuch unternommen, den
staatlichen Kunsthandel der DDR in eine GmbH zu überführen. Ich wurde
von der Belegschaft zu einem von fünf Geschäftsführern, dem für
Gegenwartskunst, gewählt. Dies nach dem Motto: der weiß wie es geht.
Nach meiner Auffassung konnte es aber nicht anders gehen, als durch die
Auflösung des Betriebes, durch die Sicherung vernünftiger Objekte, wie
sie mit den Galerien in den meisten Städten gegeben waren, durch gute
bestehende Mietverträge und die Verbindungen zu den Künstlern und mit
den Erfahrungen in dem jeweiligen Territorium. Nur das wollte außer mir
sonst niemand. Eine Chance wurde vertan. Darum fanden auch nur sehr
wenige einen Neuanfang.
Mit meinem jetzigen Partner verließ ich die "ART UNION GmbH",
wie der Betrieb nun hieß. Wir gründeten 1990 unsere eigene Galerie, die
"Galerie Berlin, Küttner & Ebert GmbH". Wir hatten, trotz vieler
Anfeindungen und Unterstellungen, das Glück, vielleicht das verdiente
Glück, dass die wichtigsten Künstler zu uns hielten, wie wir zu ihnen.
Die gewonnene Selbstständigkeit unterschied sich in unserem Fall nicht
so sehr von den bisherigen Erfahrungen, denn Kunsthandel ist eine sehr
subjektive Aufgabe. Selbstständigkeit bedeutet Selbstverantwortung bis
zur bitteren Konsequenz. Einher ging auch die Vereinfachung mancher
Aufgaben mit der teilweise unerträglichen Bedeutung des Geldes und dem
damit verbundenen Existenzdruck.
Nach inzwischen 18 Jahren ist nun auch eine verlässliche wirtschaftliche Grundlage mit den jetzigen Verhältnissen verbunden.
Brit Lippold (Foto: Scheel)
Brit Lippold
Kochlust?
Als ich im Jahr 2001 mein Geschäft „Kochlust - die kulinarische
Buchhandlung und Kochschule“ in Berlin Mitte eröffnete, hatte ich
bereits zahlreiche berufliche Stationen hinter mir.
Mein beruflicher Werdegang nach dem Abitur begann mit einem kleinen
Umweg, ich absolvierte ein so genanntes vorpraktisches Jahr in der
Konsum-Kaufhalle in Berlin Marzahn. In diesem Jahr war ich nicht nur
als Verkäuferin tätig, sondern legte auch den entsprechenden
Facharbeiterabschluß ab. Nach diesem Jahr in der Praxis ging ich an die
Handelshochschule in Leipzig um Binnenhandel zu studieren. Eigentlich
sollte es die Fachrichtung Gastronomie sein, aber dafür hatte ich
keinen Platz bekommen. Nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass sowohl die
Studienrichtung, als auch die Hochschule nichts für mich war.
Ich begann nicht nur, nach Alternativen zu suchen, sondern auch
nach einem Weg, dieses Studium wieder beenden zu dürfen (was in der
damaligen Zeit um 1980 gar nicht so einfach war).
Ich hörte schließlich vom Fach Kulturwissenschaft an der
Humboldt-Uni in Berlin, konnte mir vage vorstellen, worum es bei diesem
Studium wohl ginge und setzte nun alles daran, Kulturwissenschaft zu
studieren. Ärztliche Atteste bescheinigten mir, dass ein Studium in
Leipzig für mich nicht weiter in Frage kam, in Berlin-Lichtenberg fand
ich mit dem Kreiskulturhaus einen Betrieb, der mich als
Jugendklubleiterin beschäftigte und mir eine Delegation zum Studium in
Aussicht stellte. Und so sollte ich 1984 im Herbst tatsächlich an der
ehrwürdigen Humboldt-Universität für das Studium der Kulturwissenschaft
und Ästhetik immatrikuliert werden. Als ich im Frühjahr 1984
feststellte, dass ich schwanger war, stand das Vorhaben noch einmalkurz
in Frage. Doch spätestens hier wurde mir klar, dass das Leben nicht
immer so glatt und reibungslos verläuft, wie man sich das gewünscht
hatte. Ich begann also mein Studium der Kulturwissenschaft mit der
Geburt meiner Tochter und beendete es 1989, nachdem ich 1988 meinen
Sohn zur Welt gebracht hatte.
Dazwischen, würde ich aus heutiger Sicht sagen, schwebte ich so
mehr oder weniger über meinem Studium. Manches ging vollständig an mir
vorbei, manches ist hängen geblieben, aber das ist wahrscheinlich
normal.
Im Sommer 1989 verteidigte ich erfolgreich meine Diplomarbeit zum
Thema „Mode als Aspekt von Jugendkultur“. Hierzu hatte ich zahlreiche
Interviews mit Jugendlichen geführt und Jane Dulfaquar hat dann ganz
wunderbare Portraitfotos dazu gemacht.
Einen Arbeitsplatz hatte ich mir dann auch gesucht, nicht ahnend,
dass diese Station nicht von langer Dauer sein würde. Ich arbeitete
beim VEB Exquisit-Moden in der Forschungsabteilung und machte so eine
Art Trend-Forschung.
Dann kam die Wende. In dieser Zeit engagierte ich mich politisch in
meinem Bezirk. Ich gründete ein Frauenzentrum mit und wurde in diesem
Zusammenhang auch gefragt, ob ich nicht Lust hätte, bei der damals ganz
neu ins Amt gehobenen Stadträtin für Gleichstellungsfragen
mitzuarbeiten. Nach einigem Bangen sagte ich zu, löste meinen
Arbeitsvertrag bei Exquisit und wurde ordentliche Angestellte im
öffentlichen Dienst.
Über die soziale Tragweite dieses Schrittes war ich mir damals
nicht annähernd bewußt. Fakt ist aber, dass ich mit dieser Anstellung
nicht nur meine Familie zeitweise ernährt habe, allen großen
gesellschaftlichen Verwerfungen entgehen konnte, unsere neue Welt
gleich von innen kennenlernen durfte, sondern mich einem Thema
beruflich widmen konnte, was mich damals wirklich sehr interessierte.
Der Diskurs zu Geschlechterfragen war mir nicht unbekannt, dank einiger
Anstöße während meines Kulturwissenschaftstudiums. Dass die Praxis in
einer Behörde dann etwas anders aussah, war kein Problem, sondern eine
überschaubare Herausforderung.
Ab 1990 war ich in der Senatsfrauenverwaltung unter wechselnden
parteipolitischen Orientierungen und mit unterschiedlichen
Ressortzuschnitten tätig.
1999 verabschiedete ich mich aus der Verwaltung, vorerst in einen
unbezahlten Urlaub für ein Jahr. Ziel war jedoch die berufliche
Neuorientierung. Nach einigen Praktika, Fortbildungen und Reisen stand
mein Entschluss fest, mich mit einer Spezialbuchhandlung für Kochbücher
inklusive einer Kochschule selbständig zu machen.
2001 war es dann soweit. Ich eröffnete meinen Laden Kochlust in
Berlin Mitte und versuche seither, getreu dem weiten Kulturbegriff aus
meinen fernen Studientagen, den Berlinerinnen und Berlinern ein wenig
kulinarische und gastronomische Kultur näher zu bringen.
Im vorne gelegenen Buchladen führe ich ein Spezialsortiment für
Kochbücher, direkt dahinter - die Räume sind geschnitten wie die alten
Berliner Ladengeschäfte, in denen gearbeitet und gewohnt wurde -
schließt sich eine kleine Küche sowie ein etwas größeres Esszimmer an.
Hier finden mittlerweile fünfmal wöchentlich Kochkurse zu ganz
unterschiedlichen Themen statt. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungen
stehen zwei Dinge: Wissen über das Kochen vermitteln und Kochen und
Essen zum kommunikativen Erlebnis werden lassen.
Ich bin weder Buchhändlerin noch Köchin, habe mich jedoch von dem
Moment an für diese Geschäftsidee begeistert, in dem ich davon vor über
10 Jahren hörte. Wenn ich heute gefragt werde, wie ich dazu gekommen
bin, ob ich selbst eine besonders begeisterte Hobbyköchin oder
Kochbuchsammlerin sei, antworte ich meist ausweichend.
Um meine Antwort verstehen zu können, müsste man den weiten Kulturbegriffkennen und verinnerlicht haben.
Arnd Roesner (Foto: Scheel)
Arnd Rösner
Auskünfte über meine berufliche Entwicklung
Es ist eine ganz normale berufliche Entwicklung, verknüpft mit
interessanten Details, wenn man, wie ich heute, darauf zurückblicken
soll.
Ich wurde im thüringischen Apolda geboren, besuchte dort die Schule
bis zum Abitur. Während dieser Zeit spielte ich nebenbei in einer
Rockband und im Singeclub der EOS.
Von 1972 absolvierte ich ein Hochschulstudium an der
Offiziershochschule um dann als Offizier und Flugzeugingenieur in
Bautzen zu arbeiten. Der Kleinkunst blieb ich auch weiterhin treu und
leitete viele Jahre die Songgruppe Albatros.
1985 “erschlich” ich mir - so sagten es zumindest meine
Vorgesetzten, ein Fernstudium der Kulturwissenschaft an der HUB. In
Wirklichkeit war ich nur während meines Jahresurlaubs zur
Aufnahmeprüfung gefahren. Nachdem alles später legalisiert war, schloss
ich das Studium 1990 mit dem Diplom ab.
Kurz vor der Wende, Anfang 1989, legte man mir nahe, die Reihen der
NVA zu verlassen, um, wie man sagte: Berufszufriedenheit zu schaffen.
Ich fing dann am Deutsch Sorbischen Volkstheater als Wissenschaftlicher
Mitarbeiter an, was in den Zeiten des Umbruchs und für mich als
Seiteneinsteiger eine schwierige Situation heraufbeschwor.
Einerseits war es für mich wirtschaftlich schwierig, da ich
gegenüber der Armeezeit nur noch etwa die Hälfte verdiente und
andererseits waren die Bedingungen und neuen wirtschaftlichen Zwänge
für ein zweisprachiges Dreispartentheater schwer darstellbar und
notwendige Änderungen gegenüber den Künstlern und Mitarbeitern zu
diesem Zeitpunkt nicht durchsetzbar.
Ich wurde also nebenbei noch Automatenkaufmann. Heute frage ich
mich natürlich - wie konnte es zu dieser herrlichen Katastrophe kommen?
Nach einem Jahr war klar, dass mich die selbständige Tätigkeit voll
ausfüllte und auch kein bisschen langweilig war. Ich konnte durch die
neue Situation meiner Kreativität freien Lauf lassen. Ich hatte es mir
zur Aufgabe gemacht, spezielle Clubeinrichtungen, die dem neuen
Freizeitverhalten entgegenkamen, zu planen, einzurichten und zu
betreiben.
So entstanden 1992 die Musikkneipe und Cocktailbar “Corner” in
Bautzen, eine Billardbar “Die Mühle - public house” in einem zu
renovierenden Dreiseitenhof an der Spree in Großpostwitz und es wurde
eine denkmalgeschützte Ruine im Zentrum der Altstadt von Bautzen aus
dem 13. Jahrhundert als Restaurant und Hotel gekauft, geplant und
gebaut. All diese Projekte erforderten all meine Kreativität und sind
letztlich auch ein kultureller Spiegel unserer Gesellschaft.
Dies alles war natürlich nur durch eine sehr gute wirtschaftliche
Lage im Automatengeschäft in den ersten 4 Jahren nach der Wende
möglich, durch die Unterstützung der Industrie für ostdeutsche
Unternehmen, durch moderate Preise und eine vernünftige
Spielgesetzgebung auch für Kleinbetriebe.
Das änderte sich dann sehr schnell, das Interesse an der Nutzung
von Spielautomaten ließ nach. Neue Trends folgten kurz aufeinander.
Dies war nicht ausschließlich ein finanzielles Problem der Spielgäste,
sondern eher eine sich schnell vollziehende Verlagerung der
Freizeitinteressen und eine Umorientierung bei den Schwerpunkten der
kulturellen Konsumtion.
Es entstanden zunehmend mehr neue Möglichkeiten für die Gestaltung
der Freizeit. Der Verwendung des für die Freizeitgestaltung zur
Verfügung stehenden Geldes, änderte sich mit der Vielfältigkeit neuer
Angebote. Es entstanden, neben anderen Einrichtungen, auch Family
Entertainment Center, Vergnügungsparks, Bowlingcenter, Spielcenter,
Großkinos, Freizeitparks, Fitnessclubs, Vereine und Clubeinrichtungen
verschiedenster Couleur, Bars, Musikkneipen, Themengastronomie u. v .a.
m. Spielhallen traten mit einer neuen Gestaltung ebenfalls aus dem
Dunkel ihrer Schmuddelnische heraus. Große Investitionen, bei
gleichzeitigem Rückgang der Gewinne, waren das Ergebnis.
Freizeitgastronomie wurde kurzfristig mit ihren neuen Angeboten zum
Renner, um dann in immer kürzeren Abständen durch neue Zerstreuungen
und Angebote, die dann “in” wurden, ersetzt zu werden.
Die Politik strebte auf Grund leerer Kassen nach Möglichkeiten, das
gewerbliche Spiel weiter einzuschränken - bei gleichzeitiger
Erweiterung ihres Glücksspielmonopols. Der Automatenunternehmer wurde
zum Kaninchen vor der Schlange degradiert. Alles - aber auch wirklich
alles - was dem Geschäftsbetrieb hätte dienlich sein können, wurde
gesetzlich geregelt. (die Größe der Räume und die maximale Anzahl der
Geräte, wobei bestimmte Unterhaltungsgeräte verboten wurden; geregelt
wurde der Spieleinsatz, der Spielgewinn, die Spielzeit, die
Öffnungszeit des Geschäfts, der Standort, innerhalb der Städte,
Alkoholausschank wurde verboten usw. usf.).
Durch das große soziale Ost-Westgefälle sind unsere Umsätze nicht
mit denen vergleichbar, die die Westkollegen erzielen, die aber auf
Grund ihrer Betriebsgröße und damit erhöhter Nachfrage nach neuen
Geräten, auch noch eine Preissteigerung für die Automatentechnik
mitverursachten. Die Preise haben sich seit 1991 vervierfacht.
Wir machen uns nichts vor - politisch und in der öffentlichen
Meinung sind wir eine ungeliebte Branche, unabhängig davon, ob wir zum
Entstehen eines Stücks niveauvoller Freizeitkultur beitragen, ob wir
Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze (ca. 60.000 deutschlandweit und
6000 in staatlichen Casinos) schaffen oder nicht. Politisch wird alles
davon bestimmt, wie das staatliche Glücksspielmonopol geschützt werden
kann und wer seine Lobby am besten pflegt. Der Staat schützt durch
entsprechende Gesetzgebung den Eigenbetrieb seiner Casinos und schränkt
zielgerichtet das gewerbliche Spiel ein.
Bei sozial- und kulturwissenschaftlichen Untersuchungen in
verschiedenen Publikationen, musste ich leider feststellen, dass diese
in starkem Maße davon beeinflusst sind - wer sie in Auftrag gab. Da
Staat und Industrie unterschiedliche Interessen auf dem Spielemarkt
vertreten, kommen natürlich auch unterschiedliche Ergebnisse bei
Untersuchungen von Suchtpotential und Bedürfnissen zu Tage, je nachdem
wer eben der Auftraggeber der Untersuchung ist, welchen Ausgangspunkt
man wählt und zu welchen gesetzgeberischen Argumenten man gelangen
will. Das ist zumindest meine Beobachtung.
Wir, damit meine ich besonders auch meine Familie, haben in den
letzten 15 Jahren viel getan, um selbständig, mit gutem Ruf einen
Betrieb aufzubauen, der mittlerweile mehr als 20 Mitarbeitern und
Lehrlingen Arbeit gibt. Traurig ist heute nur, dass dieses Ergebnis und
die Zukunft des Betriebes kaum noch durch mich zu beeinflussen ist.
Siegfried Zoels (Foto: Scheel)
Siegfried Zoels
Thesen zum Fernstudium „Kulturwissenschaft" in der DDR-Zeit. Aufgaben, Rolle und Wirkungen
1. Viele der leitenden Parteikader der DDR waren in den 20er
Jahren mit AgitProp und Proletkultbewegungen groß geworden. Andere
wiederum waren hochgebildet und hatten sich nach intellektueller
Auseinandersetzung mit dem Marxismus der Kommunistischen Partei
zugewandt. Viele wollten ehrlichen Herzens nach der Katastrophe der
Nazizeit eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen. Im Nachhinein ist es
klar, dass es logischerweise - in der DDR-Zeit wäre hier das Wort
‚gesetzmäßig’ gebraucht worden - immer wieder zu Konflikten zwischen
diesen verschiedenen Gruppen kommen musste. Aus heutiger Sicht ist es
ziemlich deutlich, dass diese Konfrontationen in Wellenbewegungen
erfolgten.
2. Ich vermute, dass in den 60er Jahren vernünftige
Hochschulpolitiker auf die Idee kamen: Zwischen der Ausbildung von
Philosophen an den Universitäten und den Parteikadern an Parteischulen
klafft eine Lücke. Für die Umsetzung der marxistisch-leninistischen
Philosophie und Ideologie im Kultur- und Kunstbereich wurden besser und
differenzierter ausgebildete ‚Kader’ benötigt. Das war die
Geburtsstunde des Direktstudiums der Fachrichtung „Kulturwissenschaft“.
Diese Fachrichtung war aber ebenso interessant für ‚Kader’, die bereits
auf kulturellem oder kultur-ideologischem Gebiet arbeiteten.
Entsprechend war der berufliche Hintergrund der Fernstudenten: Im
täglichen Leben arbeiteten sie als Kulturoffiziere, als Mitarbeiter des
Staatsapparates (vom Kulturministerium bis zum Amt für industrielle
Formgestaltung) bzw. als Mitarbeiter der SED und der Blockparteien, als
Mitarbeiter des Modeinstitutes, als Kulturhausleiter, als Mitarbeiter
des Kunsthandels, als Dramaturgen und Regisseure von Funk, Fernsehen,
Theater usw. - um nur einige zu nennen.
Ich erinnere mich mit Vergnügen daran, wie jeder Dozent und
Professor in seiner 1. Vorlesung betonte, wie froh er über die
Lehrveranstaltung vor den Fernstudenten sei. Wir brächten schließlich
die Alltagsprobleme mit in die Universität. Und für viele von uns war
es natürlich eine riesige Chance, unsere alltäglichen Probleme unter
ganz anderen Gesichtspunkten zu sehen und in unserer Arbeit Neues,
anders Fundiertes auszuprobieren.
3. Als ausgebildeter Diplom-Theologe (meinem 1. Studium vor der
Kulturwissenschaft) behaupte ich: „Kulturwissenschaft war die Theologie
der Marxisten bzw. genauer gesagt - der DDR-Kulturpolitik."
Diese These mag verwundern, wenn Sie aber Studieninhalte,
-methoden und -ziele miteinander vergleichen, sind die Parallelen nicht
zu übersehen:
°°° Ausbildung zum selbständigen Denken durch Philosophie und Analyse von Texten bzw. Theaterstücken bzw. Kunstwerken,
°°° Einordnung historischer und aktueller Prozesse,
°°° Methoden der Vermittlung von Inhalten,
°°° Umsetzung praktisch-theoretischer Zusammenhänge und
Erkenntnisse der Geisteswissenschaften in die alltägliche Praxis usw.
usf.
4. Die Hoffnung von Partei und Regierung der DDR, Denken durch
Ideologie begrenzen zu können, erwies sich natürlich als Illusion.
Viele Dozenten der Kulturwissenschaft lehrten uns dialektisches Denken
und versuchten den Spagat der Weiterentwicklung und inhaltlichen
Füllung der marxistisch-leninistischen Ideologie. Manches gelang,
manches gelang nicht und führte sich selbst ad absurdum. Manches wurde
auch gar nicht zu Ende gedacht.
5. Diejenigen, die in den 70iger Jahren studierten, hatten das
Glück, Dr. Walter Hofmann als Dozenten für marxistisch-leninistische
Philosophie zu haben. Viele der Mitstudenten wurden erstmals mit
dialektischem Denken konfrontiert und benötigten Jahre, sich vom
Parteichinesisch zu verabschieden. Für mich war es nach meinem
Theologiestudium natürlich ein Super-Einstieg.
Aber - wie in These 1 erwähnt - befanden wir uns 1979 wieder
mal in einem Wellental: Man konnte natürlich nicht das, was in der
Sektion Kulturwissenschaft diskutiert wurde, vor Fachärzten der Wismut
weiterdiskutieren. Dr. Hofmann flog aus der Partei und verlor seinen
Dozentenjob. Glücklicherweise lief in Westdeutschland gerade die
„Berufsverbotsdiskussion". So wurde Dr. Hofmann wenigstens als
Übersetzer der Zeitschrift der Humboldt-Universität weiterbeschäftigt.
Inzwischen sind ja auch die Stasi-Akten zugänglich.
6. Wir haben alle den Kopf eingezogen, manche mehr, manche
weniger. Wer hat sich z.B. noch getraut, weiterhin Kontakt mit Dr.
Hofmann zu halten. Wenigstens lebten wir nicht mehr in den 50er Jahren,
als noch ganz andere Daumenschrauben angesetzt wurden.
„Zukunft wächst aus Geschichte." Es wäre wünschenswert, wenn
sich der Fachbereich „Kulturwissenschaft" auch dieser Vergangenheit
stellen und seine Geschichte aufarbeiten würde, wenn er es noch nicht
getan hat.
7. Zum Verbleib der Mitstudenten aus meiner Seminargruppe
(Fernstudium von 1975 -1980, Zweitfach Kunstwissenschaften): Soweit ich
sehe, haben nach der Friedlichen Revolution von 1989 fast alle die
Erfahrung Arbeitslosigkeit' machen müssen. Nur wenige haben ihre
Tätigkeit oder vergleichbare Tätigkeiten fortsetzen können.
8. Ich hatte Glück. Die letzten 4 Jahre der DDR-Zeit war ich
freischaffender Kunstwissenschaftler mit dem Schwerpunkt „Design &
Rehabilitation". Seit Ende 1989 war ich Vertreter des Neuen Forums am
Runden Tisch in Berlin Prenzlauer Berg, ab 1. März 1990, vor der
allerersten Wahl, Stadtbezirksrat für Inneres ebenda, delegiert vom
Runden Tisch, danach Stellvertretender Bezirksbürgermeister und
Stadtrat für Familie, Jugend und Sport mit der Aufgabe, das Bezirksamt
neu aufzubauen.
9. Davor, daneben und danach hatte ich die Chance,
eigenständige Methoden der Kreativitätsförderung zu entwickeln und in
aller Welt als UNESCO-Kreativitätsworkshops bzw. als EU-Projekte
durchzuführen. Daneben habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen einen
Arbeitsförderungsbetrieb für Randgruppen der Gesellschaft in Berlin
aufbauen können.
10. Der Beitrag, den wir zum Berufsverständnis des Designers und zur Ausbildung leisten: Ausweitung des Verständnisses vom 'NUTZER'.
°°° Design meint, die Gesamtheit der Lebensprozesse zu erfassen, nicht nur die intellektuellen.
°°° Menschen mit Behinderungen lehren die Designer eine
komplexere, ganzheitliche Perspektive des Lebens und geben Anregungen
für innovative Lösungen.
°°° ‚Interactive Design’ muss viel komplexer verstanden werden, nicht nur als 'Mensch-Gegenstand-Beziehung'
°°° Der Nutzer ist nicht nur Objekt der Untersuchungen, sondern selber Subjekt des Gestaltungsprozesses.
11. Der weitere Beitrag zum Berufsverständnis des Designers und zur Ausbildung: Ausweitung des Verständnisses vom 'GANZHEITLICHEN DESIGN'.
°°° Die Kreativitätsmethoden nutzen eine Vielfalt von Bausteinen eines
ganzheitlichen Verständnisses
°°° Generell handelt es sich um einen Beitrag zur unauflöslichen Beziehung von Theorie und Praxis.
°°° Während der Workshops wird der Designer genötigt, die Rolle eines "Katalysators" auszufüllen.
°°° Aspekte der Globalisierung werden intensiv und in einem positiven Sinne erfahren.
12. Die Basis für meine Arbeit wurde in den beiden Studien gelegt: im Studium der Theologie und in dem der Kulturwissenschaft.
Siegfried Zoels ist Begründer (1991) und Geschäftsführer des
Vereins „Fördern durch Spielmittel – Spielzeug für behinderte Kinder e.
V.“ (Bundesverdienstkreuz) und Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission.
Winfried Nadolny (Foto: Scheel)
Winfried Nadolny
Hinwendung zur Natur - ein kultureller Rückschritt?
Erst zur Abschlussprüfung 1980 habe ich überhaupt begriffen, worauf
ich mich eingelassen hatte, als ich 1973 als Externer am Studiengang
Kulturwissenschaft teilnehmen durfte. Die entscheidende Frage von
Dietrich Mühlberg, was denn das Gegenteil von Kultur sei, stürzte mich
in einen Strudel wirrer Gedanken, ehe mir begreiflich gemacht wurde,
dass es schlicht die Natur ist. Die logische Schlussfolgerung wäre,
dass zurück zur Natur ein Kulturrückschritt sei.
Meinen Unterhalt verdiente ich damals als Bestattungsredner.
Bestattungsrituale wurden in aller Historie immer von Geistlichen
zelebriert. Bei den vielen Menschen, die heute nicht mehr einem
religiösen Bekenntnis angehören, stellt sich die Frage, was machen wir
anstelle religiöser Rituale.
Es gab damals für mich keine erreichbare Literatur zum Themenkreis
Bestattungskultur. Dietrich Mühlberg machte mir Mut dieses Thema
anzugehen und es wurde dann auch Bestandteil der Untersuchungen zur
Geschichte der proletarischen Kultur zwischen 1860 und 1914. Es haben
dann in den Folgejahren noch mehrere Studenten dieses Thema beackert
In den Jahren nach 1980 gab es endlich die relativ gefahrlose
Möglichkeit aus dem Land mit der Weltanschauung in das Land zu
gelangen, von wo aus man dann auch die Welt anschauen konnte. Beide
lagen weit entfernt von einander und doch nur wenige Straßen getrennt.
Kulturrückschrittlich war hier mein sofortiger Gang zur Heilpraktiker-Ausbildung.
Die wissenschaftliche Medizin hatte ich schon in einem abgebrochen
gewordenen Studiengang an der Humboldt-Universität genossen mit ihrem
hierarchischen Standesdenken, dem Meineid des Hippokrates und dem
sakralen Charakter der medizinischen Einrichtungen. Als ich dann im
real existierenden Kapitalismus angekommen war, wurde mir bald klar,
dass es noch Steigerungsmöglichkeiten in der Unverfrorenheit des
Pharma-Medizin-Kartells gibt.
In Stuttgart und Berlin-West habe ich diese Ausbildung genossen, um
dann in Berlin Charlottenburg eine Praxis zu betreiben, die sich sehr
gut entwickelte. Die Weisheiten der alten Säftelehre, das Purgieren,
der Aderlass, die Blutegelbehandlung, die Augen- bzw. Irisdiagnose,
Chiropraktik - alles uraltes Handwerkszeug von Generationen von Ärzten,
Badern, Volksheilkundigen, Knochenbrechern, Kräuterweibern,
heilkundigen Schäfern, Bauern, Schmieden bis in unsere Tage bewahrt und
befördert - empfinde ich immer noch als riesigen, von der etablierten
Medizin leider ungehobenen Medizin-Kultur-Schatz.
Die gar nicht so billige Ausbildung zum Heilpraktiker habe ich als
ein Diplomkulturwissenschaftler finanzieren können - durch meine Arbeit
bei der Inventarisierung eines kleinen ländlichen Museums in
Baden-Württemberg. Alle Gegenstände zum bäuerlichen und handwerklichen
Tun vergangener Geschlechter fotografisch festzuhalten und über ihren
Gebrauch bei älteren Dorfbewohnern nachzufragen und zu dokumentieren,
war meine Arbeit dort, die nicht nur das nötige Geld brachte, sondern
sogar Spaß gemacht hat (für beides besonderen Dank an Dietrich
Mühlberg). Dann aber wieder zurück nach Berlin, ohne das ich damals
glaubte nicht leben zu können. Hier habe ich dann auch an der
Ausbildung von Heilpraktikern mitwirken können. An den Paracelsus
Schulen in Berlin, Leipzig, Dresden und Rostock habe ich werdenden
Heilpraktikern die alten und neuen Verfahren der Naturheilkunde nahe
gebracht und dabei auch den heutigen Heilpraktiker und damaligen
Kulturwissenschaftler Dr. Thomas Scholze kennen gelernt, der zur
heutigen Tagung verhindert ist, aber dennoch Grüße übermitteln lässt.
Wir treffen uns regelmäßig zu Fachfortbildungen. Mittlerweile sind, wie
ich gerade vernahm, bereits vier ehemalige Kulturwissenschaftler zu
Heilpraktikern in eigener Praxis geworden.
Das Schicksal wollte es so, dass meine liebe Frau vor acht Jahren
den landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Großmutter im Freistaat Sachsen
erbte. Wie viele LPG-Hinterlassenschaften, war der Hof in
bedauernswertem Zustand, die Felder seit Jahr und Tag mit Pestiziden,
Herbiziden, Gülle vergiftet. Die große Scheune war völlig in sich
zusammengefallen. Fachwerk und sämtliche Fußböden verfault. Es hatte
über Jahre, da unbewohnt, reingeregnet. Wir haben dann die
Schiefer-Dächer großenteils neu decken lassen, das Fachwerk komplett
erneuert. Die Strohlehmbauweise mussten wir erst lernen. Aber es hat
Spaß gemacht, mit Uraltbauweisen und Naturmaterial zu bauen und zu
renovieren. Wieder ein Kulturrückschritt, da wir Beton und Stahl und
Kunststoffe als Kulturbaumaterial ablehnten.
Die 25 ha Land wollten wir natürlich „natürlich“ bestellen. Also
klopften wir bei dem ältesten Bio-Landwirtschaftsverband, bei Demeter
an. Wieder ein Kulturrückschritt. Da wir schon beruflich mit der
Homöopathie ganz gut vertraut waren, hat uns die homöopathische
Behandlung des Dunges, der Felder, des Waldes und der Tiere nach
planetarischen Konstellationen nicht groß erschrecken können. Es ist
nun ein richtiger rückschrittlicher Hoforganismus ohne die Kulturgüter
Chemiekeule und Monokultur, mit Kleegrasbrache, mit Kühen, die immer
draußen sind, Geflügel, das den ganzen Tag draußen rumläuft und pickt.
Kein Tier bekommt moderne Pellets oder modernes wissenschaftlich
zusammengestelltes Kultur-Kraftfutter. Alles Futter wird auch aus dem
Hoforganismus heraus erzeugt. Moderne Kultur-Massentierhaltung mit
Spaltenböden mag Kulturfortschritt sein, aber für die Natur der uns
anvertrauten Mitlebewesen bleiben Stroh und Heu unverzichtbar.
Es ist ein gewaltiger Kulturfortschritt, dass mit nur noch ganz
wenigen Menschen und Hochtechnik extrem billige Lebensmittel erzeugt
werden können. Aber um den Preis, dass sie ihren innewohnenden Wert
verloren haben. Wieder eine Umwertung der Werte. Die Achtung vor einem
Stück Brot zeigt sich in den Papierkörben in Schulen und Straßen, zeigt
sich in maßlosem Wegwerfen in den Handelshäusern, zeigt sich in mit
Brotweizen betriebenen Heizanlagen. Ich weiß auch nicht, ob dieser
Kulturfortschritt aufgehalten werden kann oder sollte. Auf der anderen
Seite zeigen überall auf der Welt auch Biohöfe, dass biologisch
dynamische Landwirtschaft, d.h. zurück zur Natur immer noch möglich
ist.
Ist es denn Kulturfortschritt, wenn wir durch moderne Agrarkultur
billige denaturierte Lebensmittel erzeugen, die uns selbst immer mehr
in Stoffwechselentgleisungen abgleiten lassen, also in Fettsucht,
Diabetes, Gicht? Alle körperliche Anstrengung, die noch vor wenigen
Jahrzehnten uns alle relativ gesund erhielt, haben wir dem
Kulturfortschritt, der modernen Technik geopfert und erhoffen jetzt von
Körperkultur, Fitness- und Wellnesskultur die Rückkehr der Gesundheit
und Jugend.
Ich würde mir von der Kulturwissenschaft heute wünschen, dass sie
auch auf die Naturkultur des Menschen innerhalb seiner begrenzten
Lebenszeit eingeht mit dem Einzigen, dass er unter allen Umständen
bewahren und behüten muss, der Liebe zu unserer Welt, zur Natur, die
uns am Leben erhält und zu seiner eigenen Natur, die ohne Liebe nicht
möglich ist.
Was mir das Studium Kulturwissenschaft gebracht hat: die große
Fülle erweiterter Bildung in Ästhetik und Geisteswissenschaft, das
Zwischendenzeilenlesenkönnen und eine besondere mühlbergsche Kunst- und
Kulturauffassung und -erfassung.
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