Text | Kulturation 2015 | Frank Thomas Koch | Was bleibt von der DDR in der deutschen und europäischen Kultur?
| Überarbeitete Fassung [1] August 2015)
Inhalt
1. Wer fragt, wer antwortet?
Was können wir wissen?
Von der Schiefe der Interpretationen und Hellsichtigkeit des Diktums von der „DDR als Fußnote der Weltgeschichte“ (Stefan Heym)
2. Wo Bender und Co irrten: Die weltgeschichtliche und europäische
Relevanz deutscher Zweistaatlichkeit und ihrer Aufhebung im Kontext von
europäischer und deutscher Frage
In den vergangenen 25 Jahren ist Deutschland ein ganz anderes Land geworden
3. Autonomie und wechselseitige Bezogenheit der beiden deutschen
Staaten zwischen 1949 und 1990 werden von Historikern neu vermessen
werden
Die DDR hatte maßgeblichen Anteil an Leistungen, Vorzügen und
Entwicklungen der Alt-BRD, die dieser gewöhnlich als Eigenleistung
zugeschrieben werden
Ohne die Existenz der DDR keine „deutsch-französische Aussöhnung
Der Mauerbau (1961) als Katalysator auf dem Weg der Bundesrepublik zu einem Einwanderungsland
„Sputnik-Shock“, das Ausbleiben von Fachkräften aus dem Osten, die
Ausprägung der „Lerngesellschaft DDR“ (Hartmut Vogt) als Stimuli der
bildungspolitischen Debatte und Reformen im westdeutschen Teilstaat
4. Die wichtigsten Ideen, Bestrebungen und Lebensformen, die mit der
DDR gewöhnlich verbunden werden, gründen in der deutschen und
europäischen Geschichte und haben sich mit dem Untergang der DDR nicht
erledigt
Über die historische Einbettung der sozialistischen Idee
„Volksatheismus“ als besondere Gestalt des geschichtlichen Prozesses der Säkularisierung
Emanzipation der Frauen. Kulturelle Effekte des „Staatsfeminismus“
Die reiche Theater- und Orchesterlandschaft zwischen Reproduktion und Erosion
5. Der Untergang der DDR ist nicht gleichbedeutend mit dem
Verschwinden des sozialistischen Elements aus dem nationalen und
europäischen Diskur
Sozialismus im Ensemble der ideologischen Grundströmungen der Moderne
Staatssozialismus
Neo-Ideologien ersetzen klassische Formen ideologischer Grundströmungen der Moderne
Über den tiefen Fall und die Wiederkehr der sozialistischen Idee im Ensemble der Groß-Ideologien der Moderne
Deutschland – eines der Mutterländer der sozialistischen Idee im Europa des 21. Jahrhunderts?!
Schema typischer Verbindungen von sozialistischen Ideen und Subjekten in Deutschland
Relativ positive Einstellung zur Idee des Sozialismus in Deutschland. Empirische Daten – von den 1990er Jahren bis 2015
Relativ eigenständige sozialistische Tradition im Westen zwischen 1949
und 1990 wirkte immunisierend und federte den Untergang des
Staatssozialismus ab
Das „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ (Dahrendorf) stärkt partiell sozialistische Positionen und Träger
Woraus sich die hohe Akzeptanz der sozialistischen Idee in den neuen Bundesländern speist
Fazit: Was bleibt denn nun von der DDR in der deutschen und europäischen Kultur
Anmerkungen
1. Wer fragt, wer antwortet?
Die Frage Was bleibt von der DDR? treibt Angehörige der Mitwelt mit
Blick auf kommende Generationen – mithin die Nachwelt – um. Wer so
fragt, hat in der Regel auch Antworten parat. Doch die Antworten sind
die von Angehörigen heute lebender Generationen. Dabei interessiert die
Frage wie auch die Antworten keineswegs jedermann. Gleichwohl bewegen
sie Akteure und Institutionen im Inland wie im Ausland.
Das Problem beschäftigt innerhalb der deutschen Gesellschaft
insbesondere einstige soziale Träger[2] der DDR sowie deren
entschiedene Kontrahenten. Geäußert haben sich dazu Historiker,
Publizisten, Politiker, Intellektuelle, Wissenschaftler verschiedener
Disziplinen.
Doch nachdem Europa ab 1989/90 erneut in Bewegung geraten ist, hat die
seit Jahrhunderten bestehende Verschränkung von deutscher und
europäischer Frage[3] eine neue Wendung bekommen. Der neue deutsche
Großstaat gewann in den zurückliegenden Jahrzehnten erneut eine
politische und ökonomische Führungsrolle in Europa. Innerhalb der
Europäischen Union ist Deutschland der mächtigste Akteur. Es ist zu
einer „starken Mittelmacht“ (Egon Bahr), wenn nicht zu einer „kleinen“
(Dietrich Mühlberg) oder „mittleren Großmacht“ (Klaus Schroeder)
geworden. Daher beschäftigt Beobachter der näheren und ferneren
Nachbarländer, ja „Architekten der Weltpolitik“ (Weidenfeld) die Frage,
ob sie nicht die Stärke eines größeren, souveräneren und mächtigeren
Deutschlands fürchten oder zumindest neutralisieren müssten, ob sich
die Deutschen nicht erneut anschickten, eine singuläre Führungsrolle
einzunehmen.
Geopolitische Ansätze sowie ein Denken in Kategorien wie Hegemonie und
Machtbalancen sind in Deutschland auf dem Felde der Außen- bzw.
Internationalen Politik seit 1945 offiziell tabuisiert, wenn man von
der extremen Rechten einmal absieht. Außerhalb Deutschlands ist das
aber keineswegs der Fall. Für unseren Gegenstand aber (was bleibt von
der DDR in der deutschen und europäischen Kultur?) ist die Einbeziehung
auch dieser Dimension unabdingbar. Denn in diesem Zusammenhang
erscheint die Zeit der deutschen Zweistaatlichkeit 1949-1990 in
alt-neuem Licht: Die Ausweitung der Pluralität deutschsprachiger
Staaten nach 1945 von drei auf sechs, das Splitten der Potenzen von
Alt-BRD und DDR sowie ihre Einbindung in einander gegenüberstehende
Blöcke verhinderte das Einnehmen einer erneuten hegemonialen Rolle
Deutschlands in Europa. Die Rivalität der beiden deutschen Staaten
hatte zudem die Optionen Dritter erheblich erweitert und ihnen manche
Vorteile eingebracht. Nunmehr, seit den 2000er Jahren, ist der Arm der
alt-neuen Hegemonialmacht Deutschland in Europa fühlbarer geworden. Was
ersetzt die DDR, wenn es sie nicht mehr gibt, um deutscher Dominanz in
Europa entgegen zu wirken? Sind es die Kosten und Lasten der deutschen
Vereinigung, die als Bleigewichte wirken? Hemmen innere Bruch- und
Spaltungslinien des neuen Deutschlands seinen hegemonialen Lauf? Sind
es verinnerlichte Skrupel der Herrschenden? Bedingt mögen all diese
Faktoren zeitweilig eine Rolle spielen oder gespielt haben. Ein
„deutsches Europa“ ist für alle, die zwischen Oder und Rhein irgendwie
links eingestellt sind eine negativ besetzte Option. Auch die
Bundesregierungen genießen es zwar, die Vormacht in Europa zu sein, sie
scheuten es bislang indes die Kosten und Lasten einer solchen Rolle auf
sich zu nehmen. In erster Linie konnten und können sich die Nachbarn
mit der Existenz des neuen deutschen Großstaates nur dadurch versöhnen,
dass dieser in die EU eingebunden ist. Überdies verhindern die
Heterogenität der Interessen und Ungleichmäßigkeit der Entwicklung[4]
der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nachhaltig das Entstehen
eines „deutschen Europas“. Heterogenität und Ungleichmäßigkeit der
Entwicklung innerhalb der EU haben ein solches Maß erreicht, dass das
1994 entwickelte Kern-Europa-Modell[5] gegenwärtig wieder in den Blick
von Akteuren und Institutionen rückt, um die EU handlungsfähiger zu
machen. Diese Strategie verspricht sich von einer Reduzierung der
EU-Mitgliedsländer eine Verringerung der Heterogenität, eine vertiefte
Integration im „Kern“ und eine abgestufte Integration bei den
Out-of-Core-Staaten.[6]
Ich möchte mit meinem Beitrag gleichermaßen gegen ein überschüssiges
Dämonisieren wie spontan-unreflektiertes Ausblenden und Kleinreden
zivilisatorischer und kultureller Leistungen des zweiten deutschen
Teilstaates und seiner Bürger anschreiben. Und ich möchte auch objektiv
gegebene Effekte seiner bloßen Existenz und einige seiner Erbschaften
und Nachwirkungen in den Blick rücken. Die DDR stand für etwas, das mit
ihrem Untergang nicht aus der Welt ist. Für den Versuch, soziale
Ungleichheit zu bearbeiten, um nur diesen einen Punkt zu nennen. Sind
doch alle historisch bekannten Gesellschaften der Vergangenheit und
Gegenwart, über die wir Näheres wissen, durch allgemeine und jeweils
spezifische Formen der sozialen Ungleichheit charakterisiert. Darüber
hinaus scheint es mir dringlich, die DDR als ein Land mit einer
interessanten Geschichte zu präsentieren.
Was können wir wissen?
Für die Beantwortung der Frage, was von der DDR in der deutschen und
europäischen Kultur bleiben wird, empfiehlt es sich zum einen,
singuläre wie wiederkehrende und sich reproduzierende Konstellationen,
stabile Lebensformen, sodann Interessen, Ideologien und
Wertvorstellungen, historisch überkommene Deutungsmuster zu
identifizieren, in denen DDR-Erbschaften gleichsam transportiert und im
Hegelschen Sinne aufgehoben werden.
Meine zentrale These: Von der DDR bleibt in der deutschen und
europäischen Kultur mehr als im zeitgenössischen Bewusstsein der Jahre
1990-2015 reflektiert und zugestanden wird. Und das ist der Fall, weil
die DDR als Teil der deutschen und europäischen Geschichte zu fassen
ist, weil sie aus dieser wie jener hervorging und in der deutschen wie
europäischen Geschichte Spuren und Eigenleistungen hinterlassen hat.
In diesem Sinne möchte ich mehrere Dimensionen voneinander abheben, die
erklären, warum die DDR im „kulturellen Gedächtnis“ (Jan Assmann) der
Deutschen und Europäer auch nach ihrem Untergang präsent sein wird.
Am Anfang soll jedoch der Platz der DDR im zeitgenössischen Bewusstsein
besichtigt werden, der ihr in historischer Perspektive zugesprochen
wird.
Von der Schiefe der Interpretationen und Hellsichtigkeit des Diktums
von der „DDR als Fußnote der Weltgeschichte“ (Stefan Heym)
Am Abend des18. März 1990 klagte der Schriftsteller Stefan Heym bitter:
„Es wird keine DDR mehr geben. Sie wird nichts sein als eine Fußnote
der Weltgeschichte“. Mit diesen Worten quittierte Heym den Wahlsieg der
„Allianz für Deutschland“ bei der letzten Volkskammerwahl in der DDR.
Jene Allianz war zur Wahl neben positiven Programmaussagen mit dem
Slogan „Nie wieder Sozialismus!“ angetreten.
Im Lichte von Leben und Werk des Schriftstellers Stefan Heym war das
Fußnotengleichnis sowohl als Klage wie als Anklage gemeint. Beklagt
wurden verlorene und verspielte Entwicklungsoptionen, die die Wähler
der „Allianz für Deutschland“ aus der Sicht des Autors bewusst
ausgeschlagen hatten. Bemerkenswert ist zudem zweierlei. Heym hebt mit
seinem Diktum spielerisch auf den Doppelcharakter von Welt und
Weltgeschichte – als Realprozess und als Text − ab. Und soweit
Weltgeschichte als geschriebener oder zu schreibender Text Kontur
gewinnt, kann ein solcher Text nicht ohne Fußnoten auskommen. Dies zum
einen. Zum anderen klingt bei Heym die europäische, ja
weltgeschichtliche Bedeutung der Existenz der DDR wie ihres nunmehr
vorhersehbaren Untergangs an. Insofern ist zu fragen, ob und inwieweit
der Existenz der DDR oder auch bestimmten von ihr ausgehenden
Entwicklungen weltgeschichtliche Bedeutung beizumessen ist (siehe dazu
Kapitel 2, 4 und 5).
Heyms Diktum wurde von anderen Zeitgenossen in Deutschland sofort
aufgegriffen und in seiner Kernaussage in der je eigenen Anschauung
umgeschmolzen.
In Hans-Ulrich Wehlers
„Deutscher Gesellschaftsgeschichte“[7] ist die DDR in historischer
Perspektive nicht mehr als eine Fußnote in der Entwicklung der
Bundesrepublik Deutschland. Aus der DDR als Fußnote der Weltgeschichte
ist eine Fußnote in der Geschichte der Bundesrepublik geworden. Mit
dieser Wendung wird die Relevanz der DDR nochmals herabgestuft. Die
Wehler-Transformation des Fußnotengleichnisses wirft indes die Frage
auf, ob und inwieweit durch die Existenz der DDR oder ihr Agieren
Entwicklungen des westdeutschen Teilstaates ausgelöst wurden (siehe
Kapitel 3) und inwieweit der Beitritt der DDR Koordinaten des vereinten
Deutschland verändert (Kapitel 2, 4 und 5). Klaus Harprecht
kommentierte die Wehler-Transformation des Heymschen Diktums 2008
immerhin mit den Worten: `„Fußnote DDR“? Ach, wäre es so! `. Er hatte
also seine Zweifel an dieser Sicht des Groß-Historikers.
„Fußnote“ ist überdies ein Wort, das weitere, freilich etwas schräge Ausdeutungen nahelegen oder auslösen kann.
Wer beispielsweise ironisch-spielerisch vorgibt, Fußnoten seien eine
deutsche Marotte, mittels derer es möglich ist, sich unansehnlicher
Aufgabe ähnlich einer Toilette[8] zu entledigen, der hat wenig
Schwierigkeiten, von der „Fußnote“ assoziativ zum „Abfall- oder
Müllhaufen der Geschichte“ zu gelangen. Der Abfall- oder Müllhaufen der
Geschichte ist indes kein Platz, auf dem das bloß Vergessene lagert,
sondern ein Ort für Gestalten und Gewalten der Geschichte, die einer
Damnatio Memoriae, Verdammung des Andenkens, anheimfallen. Aus dieser
Perspektive habe Heym sich gründlich geirrt. Denn wider Erwarten
landete der sozialistische Staat nicht einfach auf dem Müllhaufen der
Geschichte: Sein Gedankengut und seine ldeale lebten im vereinten
Deutschland auf irritierende Weise fort, so Klaus Schroeder.[9]
Peter Bender knüpfte 1991 an Stefan Heym mit Blick auf die DDR
und ihren Platz in der deutschen Geschichte an eine andere verbreitete
Lesart von Fußnoten an. Für manche Autoren und viele Leser erscheinen
Fußnoten als etwas, das eigentlich entbehrlich, überflüssig sei, den
Lesefluss hemme oder aber ohne Not und Verlust auch überlesen werde
könne. In diesem Sinne wird aus der Heymschen Fußnote bei Bender die
Marginalie, das Nebensächliche, Randständige, das, was zu vergessen ist
und vergessen wird. Unter der Zwischenüberschrift „Was bleibt für den
Historiker?“ heißt es: „Die DDR aber hinterlässt nichts, was sie als
historisches Beispiel bedenkenwert machen kann[…]. Spätere Zeiten
werden die sowjetrussische Herrschaft in Mitteleuropa beachten, von der
DDR werden sie wenig im Gedächtnis behalten[…]; wichtiger als die
Existenz der DDR wird wahrscheinlich die Form sein, in der sie
unterging. Sonst aber bleibt die kommunistisch-deutsche Republik eine
Episode. Sie wird in die lange Reihe der Staaten eingehen, die im Laufe
deutschen Geschichte entstanden, vergingen und vergessen wurden“.[10]
2. Wo Bender und Co irrten: Die weltgeschichtliche und europäische
Relevanz deutscher Zweistaatlichkeit und ihrer Aufhebung im Kontext von
europäischer und deutscher Frage
Peter Bender war ein erfahrener und scharfsinniger Beobachter der
deutsch-deutschen Verhältnisse, dem ich manche Einsicht und Erkenntnis
verdanke. Doch in der oben zitierten Passage verlässt ihn seine
Urteilskraft. Die DDR ist nicht mit einer Vielzahl[11] nahezu
vergessener deutschen Staaten wie Schaumburg-Lippe, Hessen-Nassau oder
Schwarzburg-Rudolstadt zu vergleichen, weil ihre Existenz wie ihr
Untergang von europäischer, ja weltgeschichtlicher Bedeutung war.
(Zudem stand die DDR im Unterschied zu vielen anderen Staatsgebilden in
der deutschen Geschichte für ein „gesellschaftliches Projekt“.)
Die europäische und weltgeschichtliche Bedeutung der DDR wie ihres
Untergangs (gleiches gilt natürlich auch für die Alt-BRD und erst recht
das vereinte Deutschland) gründet zunächst in einer doppelten
Konstellation − in der seit zwei Jahrhunderten gegebenen und sich
reproduzierenden Verschränkung
von deutscher und europäischer Frage wie auch in ihrer zeitlich
begrenzten und bedingten historischen Ausbalancierung in Gestalt der
deutschen Zweistaatlichkeit. In den Blick möchte ich hier nicht so
sehr die konkreten und sich wandelnden jeweiligen Inhalte der deutschen
wie europäischen Frage nehmen, sondern die Konstellation ihrer
Verschränkung.[12]
Die europäische Mitte, in der „Deutschland“[13] lag und liegt, hat zu
allen Zeiten die Interessen der umliegenden Staaten und Mächte berührt.
Man hat geglaubt, wer Deutschland erobere oder auf seine Seite ziehe,
werde die Vorherrschaft in Europa gewinnen. Daher war die Mitte Europas
Zentrum wie auch Ausgangspunkt machtpolitischer Interessen. Bereits
Paul de Lagarde (1827-1891) vertrat mit Blick auf die Situation
Deutschlands die Position: „Schon allein durch seine Lage ist es
bestimmt, im europäischen Staatsleben entweder zu dominieren oder
dominiert zu werden, ein Drittes gibt es nicht.“[14] Die Verschränkung
von deutscher und europäischer Frage gründet indes nicht allein in der
geographischen „Mittellage“. Sie resultiert auch daraus, dass zum Zeitpunkt des Aufkommens der Idee der Nation und des Nationalismus
[15]die zahlreiche deutschsprachige Bevölkerung zum einen relativ
kompakt und zusammenhängend in einer Vielzahl von Staaten lebte (1815:
39 Staaten im Deutschen Bund plus Schweiz = 40) und zum anderen
verstreut in etlichen weiteren Staaten Europas außerhalb des Deutschen
Bundes. Seit dem 18. Jahrhundert stieg Preußen zu einer Großmacht auf
und konkurrierte mit Österreich zwischen 1815 und 1866 um die Vormacht
im Deutschen Bund. Das 1871 geschaffene Deutsche Reich stand für die
staatliche Einheit auf kleindeutscher Grundlage − ohne die
deutschsprachigen Teile Österreichs. Es entwickelte sich rasant und
strebte seinerseits nach Weltgeltung. Zwei Weltkriege gingen von
deutschem Boden aus.
Werner Weidenfeld hat wohl Recht, wenn er bemerkt: „Wie das
Zusammenleben der Deutschen und damit der Mitte Europas politisch
gestaltet werden soll, dies gehört zu den dramatischsten Themen, die
die Geschichte kennt. Es löst Kriege aus, führt internationale
Koalitionen zusammen und auseinander, provoziert hektisches
machtpolitisches Kalkül.“[16]
Mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 schied Deutschland
aus dem Kreis der Großmächte aus. Es erfolgte ein Rückkehr zur
Pluralität[17] deutschsprachiger Staaten. Und die 1949 installierte
deutsche Zweistaatlichkeit, die Einbindung beider deutscher Staaten in
die den Kalten Krieg austragenden Blocksysteme garantierte
jahrzehntelang die Einhegung der kritischen Größe und Masse, die ein
vereinigtes Deutschland erreichen würde. Die West- bzw. Ostintegration
der beiden deutschen Teilstaaten in konkurrierende Blöcke hatte den
Zweck, Sicherheit für (das in zwei Staaten existierende) Deutschland und Sicherheit vor
(dem in zwei Staaten existierenden) Deutschland zu schaffen. Zugleich
sollte das jeweilige wirtschaftliche und politische Potential der
beiden Deutschländer für ihre Blöcke effektiv gemacht werden, ohne dass
es für die blockinternen Nachbarn erneut zur Gefahr werde.
Insofern war die bloße Existenz der DDR von europäischer und
weltgeschichtlicher Bedeutung. Der italienische Politiker Giulio
Andreotti (*1919- 2013) brachte dann exemplarisch die Bedenken Vieler
gegen die deutsche Einheit und das Interesse an der Zweitstaatlichkeit
auf den Punkt: „Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich lieber zwei
davon hätte“.
In den vergangenen 25 Jahren ist Deutschland ein ganz anderes Land geworden
Mit der deutschen Einheit und dem Umbruch in Osteuropa, dem Zerfall der
Sowjetunion, der EU- Erweiterung auf 28 Staaten und der
Gemeinschaftswährung Euro in 19 (2015) der EU-Länder hat sich der
Kontinent verändert. Das vereinigte Deutschland ist das mit Abstand
ökonomisch stärkste und politisch stabilste Land der Europäischen Union
– gerade auch nach und in Folge der Finanz- und Eurokrise ab 2008.
Deutschland ist in den Augen der anderen zu einer „starken
Mittelmacht“, wenn nicht gar zu einer „kleinen Großmacht“ geworden. Von
den USA und anderen Partnern in der NATO wird erwartet, dass
Deutschland „mehr Verantwortung“ übernehme und sich an abenteuerlichen
Interventionen beteilige. Erstmals bei der US-geführten Irak-
Intervention (2003) verweigerte Deutschland die Gefolgschaft. Manche
Akteure in der Europäischen Union wie außerhalb treibt indes die Sorge
um, ob nicht die deutsche Einheit den Weg zu einem „deutschen Europa“
geöffnet habe, statt zu einem von ihnen eher politisch gewollten und
tolerierbaren „europäischen Deutschland“. Wieder andere befürchten,
dass Deutschland zu sehr den Schulterschluss zu Russland auf Kosten und
zu Lasten ihrer Interessen suchen werde. Entschiedene „Transatlantiker“
in Politik, Wissenschaft und Medien zwischen Flensburg und München, all
jene die das Hohe Lied der Westbindung singen, vermissen die
entschiedene und aus ihrer Sicht im Zweifelsfall immer zu suchende
Aktionseinheit Deutschlands mit den USA und dem „Westen“.
Die Frage nach dem künftigen Standort der Bundesrepublik Deutschland in
Europa und in der Welt ist vor allem ein Feld der politischen und
intellektuellen Auseinandersetzung zwischen Oder und Rhein selbst. Dies
zeigt sich bei den aktuellen Auseinandersetzungen um das
transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, in der Ukraine-Krise und der
Bestimmung des Verhältnisses zu Russland, in der Debatte, wie
Griechenland und die Südländer der EU wieder auf die Beine kommen
sollen, in der NSA-Affäre, in der Position zur NATO…
Werner Weidenfeld legte m.E. überzeugend dar, dass die Deutschen ihren
Standort, ihren Zukunftsentwurf, ihre Position zu je aktuellen Krisen,
Konflikten und Herausforderungen mit Hilfe jenes Bestandes an Bildern
bestimmen werden, die sie bisher von sich selbst in den letzten beiden
Jahrhunderten entworfen haben.[18] Dabei handelt es sich um ein Set von
neun Entwürfen. Mit ihnen werde auch das Deutschland des 21.
Jahrhunderts in der Zukunft hantieren:
>>Westbindung und Westorientierung<<,
>>Antiwestliches Denken<<,
>>Sonderwegbewusstsein<<,
>>Mittellage-Denken<<,
>>Der dritte Weg<<,
>>Europäische Deutschland-Konzepte<<,
>>Proöstliche Neigungen<<,
>>Antiöstliche Affekte<<,
>>Deutschland als geistige Möglichkeit<< im Sinnes eines Gegenbildes der nationalen Wirklichkeit.[19]
Diese von Weidenfeld benannten historisch überkommenen Bilder sind
jeweils offen für das Thematisieren und Bearbeiten je neuer Konflikte,
Krisen, politischer wie gesellschaftlicher Herausforderungen. Wohin es
Deutschland im 21. Jahrhundert treibt, welcher Zukunftsentwurf sich
durchsetzen wird, ist ebenfalls eine offene Frage. Soviel aber lässt
sich heute festhalten:
Erstens. Die einstigen DDR-Bürger haben diesen neun Standort- und
Zukunftsentwürfen keine weiteren hinzugefügt. Buchstäblich alle von
Weidenfeld zusammengestellten historisch-überkommenen Bilder fanden und
finden auch jeweils in der ostdeutschen Bevölkerung ihre Anhänger und
Unterstützer, wenn auch in sehr unterschiedlichen Proportionen.
Zweitens. Deutschland ist in den vergangenen 25 Jahren nicht nur wegen
des Vereinigungsprozesses, sondern auch wegen der Entwicklungen in der
globalisierten Welt, des sozialstaatlichen Um- und Abbaus, der
gewachsenen Kluft zwischen Arm und Reich, des gewachsenen Anteils von
Migranten an der Bevölkerung der Bundesrepublik „ein anderes Land“
geworden (Heinz Bude). In den Augen der anderen und der Deutschen
selbst wurde es zu einer „kleinen Großmacht“. Manche durch die deutsche
Zweistaatlichkeit gezähmten Akteure sehen nun wieder ein Spannungsgeld
zwischen anzustrebendem Machtgleichgewicht und ihnen „zufallender“
Hegemonie, zwischen der Hybris der Machtbesessenheit und
Machtvergessenheit – zumindest in Europa.
Drittens. Ein Stück weit hat Klaus Schroeder wohl recht, wenn er meint,
das „vereinte Deutschland“ sei aber im Vergleich zur Alt-Bundesrepublik
und manchen seiner Nachbarn „nicht westlicher, sondern eher östlicher,
eher linker als rechter, eher sozialdemokratischer als
liberal-konservativer, eher staats- als marktbezogener geworden.“[20]
Allerdings dramatisiert der Frontmann vom „Forschungsverbund SED-Staat“
ein wenig, wenn er diese von ihm und seinesgleichen natürlich nicht
gewünschten Entwicklungen herausstellt. Und dennoch: an dieser teils
unmerklichen, teils deutlichen Koordinatenverschiebung haben die
Deutschen aus der DDR sehr wohl einen Anteil.
3. Autonomie und wechselseitige Bezogenheit der beiden deutschen
Staaten zwischen 1949 und 1990 werden von Historikern neu vermessen
werden
Wenn der Existenz der DDR in „geostrategischer Hinsicht“ durchaus
weltgeschichtliche und europäische Bedeutung zuzubilligen ist, kann sie
dann in historischer Perspektive nur eine Fußnote in der Geschichte der
Bundesrepublik sein?
Beide deutsche Staaten waren Nachfolger Hitlerdeutschlands. Aus diesem
Faktum resultierten eine Reihe gleicher Herausforderungen, Aufgaben:
Wie ist die materielle Hinterlassenschaft Nazi-Deutschlands und des
Krieges zu überwinden, d.h. Wiederaufbau zu organisieren, Wohnung,
Ernährung, Kleidung, Schutz vor Kälte für die Bevölkerung zu sichern?
Wie ist ein gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und
kultureller Neuanfang mit einer Bevölkerung hinzubekommen, die
mehrheitlich den Nazis bis zum Schluss gefolgt ist, in der der Kreis
der NS-Täter und willfährigen Helfer sehr groß war? Auf welche Weise
und bis zu welchem Grad muss es eine Entnazifizierung geben?
Wie können Millionen von Flüchtlingen, Vertriebenen und Umgesiedelten,
die in der Regel alles verloren hatten, integriert werden und
Lebensperspektiven gewinnen?
Wie lassen sich das Misstrauen und die Ablehnung gegen alles Deutsche bei den näheren und ferneren Nachbarn überwinden?
Standen beide deutsche Staaten bei ihrer Gründung unter
Besatzungsrecht, so suchten sie im Verlaufe ihrer Entwicklung und
Existenz mehr autonome Gestaltungsmacht und Handlungsfreiheit zu
gewinnen.
Schließlich standen beide Deutschländer vor dem Problem, wie sie es mit
der staatlichen Einheit und dem je anderen Teilstaat halten und wie sie
in ihrem jeweiligen Bündnis (EWG/NATO vs. RGW/Warschauer Pakt)
operieren sollen.
Für diese Herausforderungen und Aufgaben wurden in beiden Staaten
Antworten und Lösungen entwickelt, die sich in mancher Hinsicht
deutlich unterschieden und in mancher Hinsicht Ähnlichkeiten aufwiesen.
Beide deutsche Staaten entwickelten sich im Rahmen der Vorgaben und
Restriktionen, die ihre jeweiligen Vormächte ihnen auferlegten
einerseits autonom und andererseits waren sie in allen Phasen ihrer
Existenz wechselseitig aufeinander bezogen.[21]
„Autonom“ meint, beide Teilstaaten entwickelten sich nach Maßgabe je
eigener Vorstellungen, Regeln, Interessen vor dem Hintergrund einer
gemeinsamen Geschichte. „Autonom“ impliziert zudem: „Was den West- und
den Ostdeutschen nach 1945 wiederfuhr, ist gleich wichtig und hat
gleichen Anspruch, von den Historikern mit Aufmerksamkeit bedacht zu
werden.“[22]
Bei aller eigensinnigen Autonomie bezogen sich beide deutsche Staaten
in jeder Phase ihrer Existenz wechselseitig aufeinander. Sie verhielten
sich gleichsam wie zwei kommunizierende Gefäße. Teils durch ihr bloßes
Dasein, teils durch ihre offenen und verdeckten Operationen im
Wettkampf der Systeme beeinflussten sie einander. (Bei den
Gesellschaften war der wechselseitige Bezug asymmetrisch – im Westen
geringer, im Osten stärker.) Sie standen, wenn man die gut vierzig
Jahre der Zweistaatlichkeit unter Absehung von Dominanten in
verschiedenen Phasen auf den Punkt bringen will, stets in einem
Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz – politisch, wirtschaftlich
und kulturell. Für das Feld der Kooperation mag exemplarisch der
innerdeutsche Handel stehen und die Tatsache, dass die DDR seit
Gründung der EWG (1957) aufgrund von Sonderregelungen für den
innerdeutschen Handel, die die Alt-Bundesrepublik durchgesetzt hatte,
indirektes Mitglied der EU war. Ferner eine Vielzahl von Verträgen,
innerdeutsche Transfers sowie Bank-Kredite an die DDR, die der
CSU-Politiker Franz Josef Strauß 1982 vermittelt hatte, das
SED-SPD-Papier von 1987 „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame
Sicherheit“ sowie die Entspannungspolitik und ihre Folgen („Wandel
durch Annäherung“).
Auf der anderen Seite suchten beide deutsche Staaten sich gegenseitig
das Wasser abzugraben, im Wettstreit der Systeme Punkte zu Lasten der
anderen Seite zu machen. Das Feld der Auseinandersetzung war nicht nur
Deutschland, sondern letztlich die ganze Welt. Sie entwickelten beide
zeitweilig Konzepte oder Planspiele zur Übernahme des je anderen
Teilstaates. Für das Feld der Konkurrenz, des antagonistisch
aufgeladenen Konflikts stehen exemplarisch: das Durchsetzen bzw. das
erfolgreiche Unterlaufen der von 1955 bis 1969 bestehenden
Hallsteindoktrin, die auf die außenpolitische Isolierung der DDR
zielte. Ebenso die Embargo-Politik gegenüber der DDR und dem Ostblock
und die Bemühungen sie zu umgehen; die Abgrenzungspolitik der DDR und
das Insistieren auf den Fortbestand der Nation, auf nationale Einheit
und Selbstbestimmung seitens der Alt-BRD. Ferner war in beiden
Teilstaaten die Überzeugung groß und handlungsleitend, dass die je
andere Seite auf Organisationen und Akteure innerhalb ihres Territorium
setzen könne, die als Agenten bzw. als „fünfte Kolonne“ fungieren
würden. Daher haben beide Teilstaaten (nicht nur die DDR) solche
Organisationen verboten, individuelle und kollektive Akteure überwacht,
unter Beobachtung gestellt, mit Strafen und Repression bedacht.
Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen beiden deutschen Staaten
waren nicht nur deren jeweilige Politik und Praxis, sondern auch deren
Amtsträger. Seit 1955 gab die DDR belastendes Material über einzelne
Richter, Staatsanwälte, Politiker der Alt-BRD heraus, die gelegentlich
zu Rücktritten führten. 1965 präsentierte der SED-Politiker Albert
Norden das „Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher in der
Bundesrepublik. Staat, Wirtschaft, Armee, Verwaltung, Justiz,
Wissenschaft“. Aufgelistet wurden darin die SS-Dienstränge und
NS-Parteiämter von 1800 Wirtschaftsführern, Politikern und führenden
Beamten der Bundesrepublik Deutschland. Eine Neuauflage wurde 1967 auf
der Frankfurter Buchmesse beschlagnahmt. In der Alt-BRD agierte ab 1961
die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter. Sie dokumentierte das
justiziable Handeln, Dulden oder Unterlassen von Amtsträgern der DDR,
um es dereinst ahnden zu können.
Die DDR hatte maßgeblichen Anteil an Leistungen, Vorzügen und
Entwicklungen der Alt-BRD, die dieser gewöhnlich als Eigenleistung
zugeschrieben werden
Indem nun beide Teilstaaten durch Kooperation wie Konkurrenz,
Weltstreit, Konflikt mit einander verbunden und auf einander bezogen
waren, beeinflussten sie innere Entwicklungen der je anderen Seite
nachhaltig. Schon allein deshalb, weil beträchtliche Mittel und Kräfte
bereit zu stellen und gebunden waren. Die DDR als ärmerer Part wurde
dadurch in ihren Entwicklungsmöglichkeiten stärker beschnitten als der
westdeutsche Konkurrenzstaat. Es gab indes auch Aktionen der DDR, die
die andere Seite unter Zugzwang setzte oder auf bundesdeutscher Seite
Reformagenden, nicht intendierte Entwicklungen mit beeinflussten. Drei
solcher Fälle seien exemplarisch in den Blick genommen.
Ohne die Existenz der DDR keine „deutsch-französische Aussöhnung
Adenauer betrieb nach Gründung der Bundesrepublik die Westintegration
des Teilstaates und er bemühte sich in diesem Zusammenhang um eine
Annäherung an Frankreich. Die Aussöhnung mit den Nachbarländern und
-völkern wurde nicht zuletzt in Ost und West jeweils durch den Kalten
Krieg befördert.
Adenauer ging es letztlich um eine Rehabilitierung Deutschlands (die
DDR war für ihn Sowjetzone) und um einen Zuwachs an Souveränität.
Ausdruck des gewachsenen Vertrauens in Westeuropa, darunter zwischen
der Bundesrepublik und Frankreich, waren die Gründung der Montanunion
(1952) und der EWG (1957). 1963 schließlich wurde ein Vertrag zwischen
der Bundesrepublik und Frankreich geschlossen, der die Freundschaft
institutionalisierte und u.a. regelmäßige politische Konsultationen der
Regierungen beider Länder vorsieht und in beeindruckender Weise
vielfältige Beziehungen in anderen Bereichen beförderte. Auf
französischer Seite war die Interessenlage an der Aussöhnung,
insbesondere unter de Gaulle, ein wenig anders. De Gaulle war von der
Vision geleitet, Frankreich wieder als „Grande Nation“ zu etablieren.
De Gaulle sah in dem Vertragswerk mit der Bundesrepublik ein Mittel zum
Zweck, ein vereintes Europa unter französischer Führung zu schaffen. Er
wollte verhindern, dass Westdeutschland in den Sog der Sowjetunion
geriete und etwa ein neutrales oder nicht-neutrales Gesamtdeutschland
entstünde. Zugleich wollte er den Einfluss der USA in Europa verringern
und die Bunderepublik aus deren Vormundschaft lösen. Dies Vision war
sicher ein wenig bizarr mit Blick allein schon auf die Frankreich zu
Gebote stehenden Ressourcen, doch bestimmte sie dennoch das politische
Handeln. De Gaulle hätte sich mithin niemals so auf die Annäherung
eingelassen und sie befördert, wenn der potentielle Partner ein wie
immer geartetes Gesamtdeutschland gewesen wäre. Insofern war die bloße
Existenz der DDR eine der wesentlichen Voraussetzungen für die
Annäherung, Aussöhnung zwischen der Bundesrepublik (in ihrem
Selbstverständnis Deutschland) und Frankreich.
Natürlich hätte es auch im Falle eines geeinten Deutschlands
Annäherungen an Frankreich gegeben, aber auf kleinerer Flamme und nicht
in diesem Tempo. Sicher gewann das Vertragswerk zwischen der
Bundesrepublik und Frankreich eine Eigendynamik, auch und gerade in
kultureller Hinsicht, unabhängig von den politischen Kalkülen der
Architekten der Annäherung auf beiden Seiten. Und das erreichte Niveau
überstieg aus vielerlei Gründen bei weitem das, was die DDR und Polen
an Annäherung zwischen 1949 und 1990 zu erreichen vermochten. Doch wär
es unlauter, den Anteil der DDR an der „deutsch-französischen
Aussöhnung“ weiterhin auszublenden.
Der Mauerbau (1961) als Katalysator auf dem Weg der Bundesrepublik zu einem Einwanderungsland
Marschall-Plan (1947), Währungsreform (1948) und der Korea-Krieg
(1950-1953) lösten im westlichen Deutschland eine Entwicklung und
Dynamik, eine intensive Wachstumsphase des Sozialprodukts aus, die vor
Ort und im Ausland als „Wirtschaftswunder“ wahrgenommen wurde. Der
Wachstumsschub und Wohlstandszuwachs breiter Bevölkerungskreise ab den
1950er Jahren war enorm. Und er übertraf das, was in der DDR in dieser
Hinsicht erreicht wurde. Die Arbeitslosigkeit sank zwischen Flensburg
und München von 8,2% (1950) auf 0,6% (1960).
Zwischen 1949 und 1961 verließen rund 2,7 Millionen Menschen die DDR
teils aus wirtschaftlichen, teils aus politischen Gründen, um sich als
Flüchtlinge oder Antragsteller im Notaufnahmeverfahren in West-Berlin
oder im Bundesgebiet registrieren zu lassen. Etwa 50 von Hundert waren
jünger als 25 Jahre, weniger als 10 von Hundert Rentenempfänger.[23]
Für die DDR war dieser Aderlass verheerend, für die Bundesrepublik ein
Segen. Insofern war die DDR, wenn auch unfreiwillig, eine der Quellen
des Wirtschaftswunders, in dem sie für einen Zustrom qualifizierter
Arbeitskräfte sorgte. 1961 wurde mit dem Bau der Mauer die Abwanderung
aus dem ostdeutschen Teilstaat nach Westdeutschland gestoppt. Da aber
der Arbeitskräftebedarf im Westen recht hoch war, wurden „Gastarbeiter“
aus dem Mittelmeerraum angeworben. Entsprechende Abkommen wurden mit
Italien (1955), Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961),
Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968)
geschlossen. Der Anteil der in Westdeutschland lebenden Ausländer stieg
von knapp 0,7 Millionen (1961) auf vier Millionen 1973.[24] Die
Schließung der innerdeutschen Grenzen durch die DDR führte dazu, dass
von da an der westdeutsche Teilstaat de facto zu einem
Einwanderungsland für Personen nichtdeutscher Herkunft wurde. Zwar
wurde das vor Ort lange nicht so gesehen und politisch gewollt.
Angedacht war ursprünglich eine zeitweilige Beschäftigung und Rotation
der ausländischen Arbeitskräfte. 1973 wurde sogar ein Anwerbestopp
verhängt. Doch ein beträchtlicher Teil der „Gastarbeiter“ blieb auf
Dauer und holte Familienangehörige nach. Ab den 1980er Jahren wurde
Westdeutschland zudem in wachsendem Maße Zielgebiet von Asylsuchenden
aus Krisengebieten, die sich auf das im Grundgesetz verankerte
Grundrecht auf Asyl beriefen. Das Grundrecht auf Asyl wurde 1993 nach
einer zwanzig Jahre andauernden Auseinandersetzung gekappt, d.h. seine
Inanspruchnahme drastisch eingeschränkt.[25] Erst seit der
Jahrtausendwende ist Deutschland dabei, sich mit vielen Widerständen
und Widersprüchen als Einwanderungsland wahrzunehmen und seine Regeln
anzupassen. Doch der Einstieg in diese Entwicklung erfolgte mit dem Bau
der Berliner Mauer.
„Sputnik-Schock“, das Ausbleiben von Fachkräften aus dem Osten, die
Ausprägung der „Lerngesellschaft DDR“ (Hartmut Vogt) als Stimuli der
bildungspolitischen Debatte und Reformen im westdeutschen Teilstaat
Beim Neuaufbau des Bildungswesens nach dem 8. Mai 1945 gingen die
beiden Teilstaaten unterschiedliche Wege. Zwar wurden auch in den drei
Westzonen jene Reformideen vorgebracht, die „bisher in jeder deutschen
bildungspolitischen Aufbruchsphase (1848 und 1920) hervortraten:
Verlängerung der Grundschule…, leichtere Übertrittsmöglichkeiten
zwischen den einzelnen Schularten; Erleichterung des Oberschulzugangs
für Arbeiterkinder; generelle Schulgeld- und Lehrmittelfreiheit;
Abschaffung der Konfessionsschule…“[26] Zudem war das Bewusstsein weit
verbreitet, dass das Land neue Lehrer brauche. Doch in den Westzonen
und in der Bundesrepublik konnten sich die Träger dieser
Reformintentionen nicht durchsetzen. Im Grunde wurde das Bildungswesen
der Weimarer Republik restauriert. In der DDR war man bildungspolitisch
reformfreudiger und auch unbefangener bei der selektiven Übernahme von
Reformideen. Diese Entwicklung kulminierte im Gesetz zur Einführung des
einheitlichen sozialistischen Bildungssystems von 1965. In der DDR
setzte früher als in der Bundesrepublik eine Bildungsexpansion und
Bildungsexplosion ein. Zeitweilig lag der Anteil der Abiturienten und
der Studierenden eines Jahrgangs in der DDR über dem der BRD, ehe dann
eine Deckelung in der DDR erfolgte. Deutlich gesenkt werden konnte auch
die Zahl der Beschäftigten ohne Berufsausbildung. Die DDR war zu einer
lernenden Gesellschaft geworden.
Die suboptimale Verfassung des westdeutschen Bildungswesens war solange
kein grundlegendes Problem, solange qualifizierte Fachkräfte aus der
DDR nach Westen strebten und in der westdeutschen Gesellschaft der Ruf
nach Reformen im Bildungsbereich verhalten blieb. Beides änderte sich
aber mit Beginn der 1960er Jahre.
Schon der „Sputnik-Schock“ von 1957 (ausgelöst vom ersten künstlichen
Satelliten, der eine Erdumlaufbahn erreichte und von der Sowjetunion
ins All geschickt wurde) führte zuerst in den USA und dann in
Westeuropa zu einem Ruf nach höherer Bildungsqualifikation. Selbst
Adenauer war besorgt, dass die Sowjetunion den Westen in der
Begabtenförderung überflügeln könnte. In der nun beginnenden
bundesdeutschen bildungspolitischen Debatte spielten die Ergebnisse der
OECD-Konferenz von 1961 eine Rolle. Die OECD hob auf den Zusammenhang
zwischen Wirtschaftswachstum und Bildungsinvestitionen ab. Ferner kam
zur Sprache, dass der westdeutsche Teilstaat im internationalen
Vergleich zu wenig in Bildung investiere und eine eher bescheidene
Abiturientenrate aufweise. Zugleich brach der Zustrom von ausgebildeten
Fachkräften aus der DDR mit dem Bau der Mauer 1961 jäh ab.
Große öffentliche Aufmerksamkeit gewann Georg Picht mit einer
Artikelserie in „Christ und Welt“ und der Publikation „Die deutsche
Bildungskatastrophe, Analyse und Dokumentation“ (Freiburg im Breisgau
1964). Seine Analysen und Veränderungsvorschläge wurden in allen
Landesparlamenten diskutiert. Picht sah die künftige internationale
Konkurrenzfähigkeit gefährdet, weil die Bundesrepublik zu wenig
Abiturienten habe, zu wenig in Bildung investiere und im
internationalen Vergleich in Verzug geraten sei beim Übergang zur
zehnjährigen Schulpflicht, auch gegenüber der Sowjetunion und der
„Zone“ (S.25). Schulpolitik sei die Sozialpolitik von heute. Er sah
gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern, am schlimmsten sei
die Lage auf dem Lande. Er rückte in den Blick, dass 1961 nur 6,2
Prozent der Studenten einen Arbeiter zum Vater haben. Der Lehrermangel
sei gravierend, so dass eigentlich sämtliche Hochschulabsolventen der
nächsten Jahre ins Lehramt gehen müssten. Zudem verlangte er einen
Planungsapparat und Kompetenzerweiterungen des Bundes auf dem Felde der
Bildung. Ebenfalls einen Ausbau des Bildungswesens forderte Dahrendorf.
Allerdings betonte er das „Bürgerrecht auf Bildung“ (1965) und hielt
den stärker bildungsökonomischen Ansatz von Picht für unzureichend. Das
Prinzip des Bürgerrechts auf Bildung begründete gleichfalls eine aktive
Bildungspolitik.
„An den beiden Polen Picht und Dahrendorf orientierte sich die
Bildungsdiskussion in der Bundesrepublik, die bis in die 1970er Jahre
hinein wogte… Dieser Gegensatz spiegelte sich auch in der praktischen
Bildungspolitik wider: Während in den CDU-dominierten 1960er Jahren
eine reine Expansion des Bildungswesens bei weitgehend unveränderten
Strukturen erfolgte,… begann unter der sozialliberalen Bundesregierung
von 1969 an eine Reformphase, die auch auf strukturelle Veränderungen
setzte…(Gesamtschulen, Studiengebührenfreiheit, Bafög, Partizipation
von Schülern und Studenten).“[27]
Lamprecht insistiert stärker auf deutsch-deutsche Parallelen, in dem er
die Schriften von Picht, Dahrendorf und von Johannes Hörnig[28] und
ihre Folgen in Beziehung setzt. Mir scheint indes, dass an der
bildungspolitischen Debatte und an den praktischen Reformen im
Bildungswesen zwischen 1965 und 1975 in der BRD die Autonomie und die
wechselseitige Bezogenheit der beiden deutschen Teilstaaten besonders
deutlich werden.
Alles in allem lässt sich festhalten: Die DDR war in historischer
Perspektive keine Fußnote in der Geschichte der Alt-Bundesrepublik, sie
war vielmehr einer ihrer Akteure. Gleiches gilt freilich auch im
umgekehrten Falle. Doch die Einflüsse der Alt-BRD auf die DDR sind hier
nicht mein Thema.
4. Die wichtigsten Ideen, Bestrebungen und Lebensformen, die mit der
DDR gewöhnlich verbunden werden, gründen in der deutschen und
europäischen Geschichte und haben sich mit dem Untergang der DDR nicht
erledigt
Auch wenn die die beiden deutschen Staaten 1949 mit kräftiger
Geburtshilfe der jeweiligen Besatzungsmächte gegründet wurden und
weiterhin unter ihrer Kuratel standen, so suchten und hatten sie
jeweils tiefe Anker in der deutschen wie europäischen Geschichte. So
ist etwa für die DDR − selektiv und exemplarisch − auf ihre Anker in
nicht nur einer der „Groß-Ideologien der Moderne“ (Brie), in klassen-
und gruppenspezifischen Emanzipationsbewegungen der Arbeiter, der
Frauen, der Juden wie auch in Prozessen der Säkularisierung zu
verweisen. Von zentraler Bedeutung für die Geschichte der DDR wurden
der Antifaschismus, Traditionen, Modelle, Lösungen der deutschen
Arbeiterbewegung sowie die Idee der Nation. Nicht zuletzt waren für die
DDR Modelle, Lösungen und Vorgaben der sowjetischen Vormacht von
einiger Bedeutung.
Gerade weil die DDR aus der deutschen und europäischen Geschichte
hervorgegangen ist und an hier entwickelte Ideen, Traditionen,
Bestrebungen, Problemlösungen anknüpfte, ist die Erwartung vermessen,
sie würden mit dem Untergang der DDR auf dem Müll- oder Abfallhaufen
der Geschichte landen.
Wenn man danach fragt, welche Ideen, Bestrebungen, Lebensformen und
Institutionen sich einerseits mit der Geschichte des ostdeutschen
Teilstaates verbinden und andererseits mit dem Untergang der DDR nicht
obsolet geworden sind, dann rücken m.E. vor allem
>> die sozialistische Idee,
>> der ausgeprägte „ostdeutsche Volksatheismus“,
>> der im deutsch-deutschen, europäischen und internationalen
Vergleich erzielte enorme Gleichstellungs- und Emanzipationsschub der
Frauen
und
>> die reiche Theater- und Orchesterlandschaft
in den Blick.
Alle aufgeführten Positionen haben ihren historischen Ursprung oder
Ausgangspunkt weit vor der Gründung der DDR und sozialräumlich nicht
nur in deutschen Landen.
Über die historische Einbettung der sozialistischen Idee
Die Idee des Sozialismus ist eine der Groß-Ideologien der Moderne. Sie
entstand im Umfeld und Gefolge der Großen französischen Revolution und
der englischen industriellen Revolution. „Sozialismus“ gehört als
Begriff zur Kategorie der zukunftsorientierten Bewegungsbegriffe. Was
„Sozialismus“ ist und was nicht, steht nicht ein für alle Mal fest.
Zwar ist der Begriffsinhalt durch theoretische Entwürfe mit bestimmt
und insofern ist die Begriffsgeschichte die Geschichte seiner
Auslegungen.[29] Doch sozialistische Ideen wurden und werden in
eigensinniger Weise der Ideenwelt und den Wertvorstellungen ihrer
jeweiligen sozialen Träger anverwandelt, in sie ein- und umgeschmolzen.
Dabei lassen sich zwei Fixpunkte erkennen: Mit der Idee des Sozialismus
verbanden viele Menschen mehrerer Generationen zunächst in Europa, dann
in aller Welt i h r e Hoffnungen auf ein besseres Leben. Dies zum
einen. Die sozialistische Idee hat zum anderen ihren konzentrierten
Ausdruck in der Vision von einer weltweiten „…Assoziation“ gefunden, in
der „…die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie
Entwicklung aller ist“, wie es im Kommunistischen Manifest von 1848
heißt. Für unseren Zusammenhang ist es wichtig daran zu erinnern, dass
Deutschland eines der Mutterländer der sozialistischen Idee im
klassischen Sinne war und ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
längere Zeit das Zentrum der Arbeiterbewegung in der Welt.
Die DDR hat sozialistische Ideen in spezifischer Weise aufgegriffen und
ausgeformt in Gestalt des Realsozialismus. Wie im nächsten Kapitel zu
zeigen sein wird, geriet spätestens mit dem Untergang des Ostblocks die
realisierte Idee des Sozialismus in eine Krise, die weltweit
ausstrahlte. Und dennoch wird das sozialistische Element aus dem
nationalen und europäischen Diskurs nicht verschwinden (siehe unter 5).
„Volksatheismus“ als besondere Gestalt des geschichtlichen Prozesses der Säkularisierung
Der so genannte ostdeutsche Volksatheismus[30] ist eine besondere
Wendung und Ausprägung im geschichtlichen Prozess der Säkularisierung.
Gemeint ist eine zunehmende Verweltlichung, ein Heraustreten aus
christlicher Tradition; Entchristlichung der Gesellschaft und
Entkirchlichung breiter Bevölkerungskreise. Die Verweltlichung im Sinne
zunehmender Lösung und Verselbständigung von Individuen, Organisationen
und des Staates gegenüber kirchlichen Einflüssen sowie die Entkopplung
gesellschaftlicher Werte, Normen, Moralvorstellungen, Riten von
traditionellen religiösen Glaubensinhalten hat eine lange Geschichte.
In unserem Zusammenhang mag es genügen, daran zu erinnern, dass die
sozialistische und sozialdemokratische Bewegung vom Eisenacher Programm
(1869) über das Gothaer (1875) bis zum Erfurter Programm (1891) die
strikte Trennung der Kirche vom Staat und Trennung der Schule von der
Kirche sowie darüber hinaus die Privatisierung der Religion forderte.
Über den Realprozess hält Nipperdey unter der Überschrift „Die
Unkirchlichen und die Religion“ fest: „ Ein großer Vorgang in der
Geschichte der Deutschen, nach rückwärts wie vorwärts übers Kaiserreich
hinausweisend, ist das, was wir einerseits die Entkirchlichung und
andererseits die Entchristianisierung nennen. Die Deutschen hören auf,
in ihrer Mehrheit Christen zu sein, oder wenigstens: sich als Christen
zu verstehen. Dieser Tatbestand ist 1914 noch nicht so augenfällig wie
heute, aber im Vergleich zu 1815 oder 1850 z.B. ist die Entwicklung
schon fortgeschritten – weniger im katholischen, viel stärker im
protestantischen Bereich… Wir unterscheiden drei Ebenen. Zunächst die
großen oder jedenfalls dezidierten Gegner und Kritiker des Christentums
und die Bewegungen und Organisationen des `Atheismus´. Dann die
schweigsam aus der Kirche Ausgewanderten, die praktische
Unchristlichkeit, die ausdrücklich oder unausdrücklich anderswo ihre
Sinnorientierung findet, die – informellen `Ersatzreligionen` der
Praxis. Schließlich die Randzone einer neuen außerkirchlichen
`vagierenden´ Religiosität… Die [protestantische] Kirche hat die
Arbeiterschaft weithin verloren…in Sachsen lag der Gottesdienstbesuch
vor 1914 in `richtigen Dörfern´ zwischen 20 und 40 %, in den
Industriegemeinden zwischen 2,5 und 8 %, in den typischen
Arbeitervororten bei 1 %.“[31]
Die Nicht-Kirche organisierte sich in Vereinen und Gesellschaften. Zu
diesen gehörten: die 1881 gegründete deutsche Sektion des
Internationalen Freidenkerverbandes, die eher elitäre `Gesellschaft für
ethische Kultur`. 1900 entstand der Giordano-Bruno-Bund, 1906 der
„Monistenbund“, 1904 der Verein der Freidenker für Feuerbestattung,
schließlich dem „ideologischen Trennungs- und Profilierungsbedarf
entsprechend“ (Nipperdey) der Zentralverein proletarischer Freidenker…
Die DDR hat geschichtlich angelegte, vorhandene Tendenzen der
Säkularisierung sowohl reifen lassen als auch vorangetrieben und
befördert. Zeitweilig auch mit Hilfe des weltlichen Armes des Staates.
Doch der „ostdeutsche Volksatheismus“ ist keineswegs allein oder gar
primär ein Zwangsprodukt. Das zeigte sich seit 1990. Eine
Re-Christianisierung ist nicht eingetreten. Allem Anschein nach ist der
Volksatheismus bei ostdeutschen Mehrheiten irreversibel. Damit aber
verändert jener Volksatheismus die Balancen zwischen den Konfessionen
wie auch zwischen den Konfessionen und Konfessionsfreien im vereinigten
Deutschland. Mittlerweile entfällt auf die „Unkirchlichen“, die
Konfessionsfreien, ein Drittel der Bevölkerung der Bundesrepublik. Da
es vergleichbare Entwicklungen auch in Tschechien und in Estland
gegeben hat, verschieben sich mittel- und langfristig die Balancen
zwischen konfessionell Gebundenen und Konfessionsfreien wohl auch ein
wenig in Europa.
Emanzipation der Frauen. Kulturelle Effekte des „Staatsfeminismus“
Die Gleichstellung und Emanzipation der Frauen ist ein welthistorischer
Prozess, der verschiedene Geschwindigkeiten, Avantgarde-Regionen wie
Zonen des Stillstandes aufweist. Seit den siebziger Jahren des 18.
Jahrhunderts gab es im Rahmen der antiständischen Kritik bereits
Stimmen, die eine Gleichstellung der Frauen forderten (Theodor G. von
Hippel). 1792 erschien in England die Schrift von Mary Wollstonecraft,
die von Salzmann 1793 deutsch herausgegeben wurde – „Rettung der Rechte
des Weibes“. 1806 stellte Fourier klar: Der Grad der weiblichen
Emanzipation ist das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation.
Dieses Wort wurde von Marx später aufgegriffen. Nach einer
literarischen Phase und Vereinsbildung in der 1848er Revolution begann
1865 die Selbstorganisation: Louise Otto-Peters gründete den
Allgemeinen deutschen Frauenverein, der sich für die Frauenbildung und
Eintritt in das Berufsleben engagierte (Denn „wer nicht für sich frei
erwerben darf, ist Sklave“ - Peters). Dabei handelte es sich um eine
Bewegung bürgerlicher Mittelklassen. 1894 kam es zur Gründung des
Bundes deutscher Frauenvereine.[32] In der Arbeiterbewegung wurde die
Frauenfrage als Klassenfrage aufgefasst.[33] Die SPD forderte auch am
konsequentesten die politische Gleichberechtigung und Gleichstellung
der Frauen. 1895 wurde erstmals das Wahlrecht der Frauen im Reichstag
beantragt. Aber erst 1919 wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland
eingeführt.
In der DDR gehörte die Gleichstellung der Frauen von ihrer Gründung an
zu den erklärten Zielen der Gesellschaftspolitik. Sie war gleichermaßen
historisch und wertgebunden (in der Geschichte der Arbeiterbewegung),
politisch und ökonomisch (Postulate des Wiederaufbaus, erheblicher
Frauenüberschuss als Kriegsfolge) motiviert. In der Sache vollzog sich
das, was in der DDR auf dem Felde der Gleichstellung und Emanzipation
der Frauen geleistet und erreicht wurde, nicht so sehr im Ergebnis
gesellschaftlicher Bewegungen und öffentlicher Diskurse, obschon es sie
auch gegeben hat, sondern stärker als paternalistische Emanzipation von
oben. Die Frauen der DDR haben indes die neuen Möglichkeiten im
Bildungswesen, in Beruf und Arbeitswelt, in Politik und Familie wie
auch rechtlicher Hinsicht (Scheidungsrecht, Fall des § 218), wie auch
immer sie zustande kamen, genutzt, aufgegriffen, sich zu eigen gemacht,
verinnerlicht, gelebt.
Die Debatte über den erreichten Stand der Gleichstellung und
Emanzipation der Frauen in der DDR bewegt sich im Spannungsfeld zweier
Positionen, die beide ihre Berechtigung haben. Die eine Position hebt
exemplarisch auf „Patriarchalisches im Sozialismus“ ab und
identifiziert Inkonsistenzen, Widersprüche, Defizite. Die andere
Position bewertet den Stand der Emanzipation der Frauen aus der DDR aus
einer deutsch-deutschen bzw. international vergleichenden Perspektive.
Aus dieser Vergleichsperspektive lässt sich sagen: was den Grad der
Emanzipation betrifft, befinden sich die Frauen aus der DDR mit an der
Spitze dessen, was in der Welt bislang in dieser Hinsicht erreichbar
war und erreicht wurde. „Der Sozialismus hat den ostdeutschen Frauen in
allen vier Bereichen – Bildungssystem, Arbeitswelt, Politik und Familie
– einen strukturellen Gleichstellungsvorsprung eingebracht.“[34]
Was ist aber nach dem Untergang der DDR daraus geworden? Geißler selbst
spricht von „Einbußen nach der Vereinigung“. In einer neueren Studie
wird dagegen auf der Basis einer Batterie von Indikatoren ermittelt,
dass sich in der Sache der Gleichstellungsvorsprung der ostdeutschen
Frauen verstetige. Unter der Zwischenüberschrift „Nachholende
Modernisierung des Frauenbildes in Westdeutschland“ stellen Holtmann,
Gabriel u.a. fest: „ So gesehen, durchläuft Westdeutschland eine
nachholende Modernisierung des Rollenbildes, ohne dass jedoch ein
Aufholen erkennbar wäre. Da sich gleichzeitig auch Ostdeutschland
emanzipativ fortbewegt, nähern sich die Einstellungslinien nicht
einander an, sondern sie bleiben weiterhin different.“[35]
Die reiche Theater- und Orchesterlandschaft zwischen Reproduktion und Erosion
Die DDR hat (wie die Alt-BRD) eine reiche Theater- und
Orchesterlandschaft vorgefunden. Die sehr hohe Theater- und
Orchesterdichte ist ein Erbe der Kleinstaaterei, sie geht zudem auf
Bürgergeist und kulturelle Ambitionen im Umfeld der Arbeiterbewegung
zurück. Die Theater- und Orchester sind von der Besatzungsmacht im
Interesse der Umerziehung wie auch aufgrund der Kulturprogrammatik der
deutschen Arbeiterbewegung[36] in der DDR nicht nur nicht angetastet,
sondern bis zum Ende der DDR mit großem Aufwand unterhalten worden.
Dazu gehörten allein 66 selbständige (von einem Intendanten geleitete)
Theater mit über 170 Spielstätten. Sie blieben auch nach 1990 bestehen,
wenngleich sich vielfach ihre Einbettung, Zuordnung und die
Finanzierungsmodalitäten gegenüber der DDR-Zeit änderten. Im Verlauf
des 21. Jahrhunderts ist mit einem Theater- und Orchestersterben zu
rechnen. Übergangsformen sind Fusionen von mehreren Theatern; bei
Mehrsparten-Theatern wird die Einstellung einer oder zweier Sparten
nahegelegt. Praktiziert wird auch die Abwicklung des stehenden
Ensembles bei Erhalt der Häuser, Spielstätte. Die aus der DDR
überkommene Theater- und Orchesterlandschaft befindet sich mithin in
einem Spannungsfeld zwischen Reproduktion und Erosion.
5. Der Untergang der DDR ist nicht gleichbedeutend mit dem
Verschwinden des sozialistischen Elements aus dem nationalen und
europäischen Diskurs
Meine in der Überschrift geäußerte Annahme gründet in drei Erwägungen.
Erstens. Sozialismus ist eine der vier Groß-Ideologien, die die
Entwicklung moderner Gesellschaften historisch wie aktuell begleiten
und an ihrer Ausgestaltung beteiligt sind. Die Groß-Ideologien, unter
ihnen die sozialistische, haben mithin eine reale Funktion. Für jede
von ihnen gibt es offenbar Hochzeiten wie Zeiten, in denen sie sich
fast aus dem Ensemble ideologischer Grundströmungen zu verabschieden
scheinen. Wo das sozialistische Element aus nationalen Diskursen und
Gestaltungsoptionen zeitweilig verschwindet oder repressiv unterdrückt
wird, drohen Sozialpathologien, Regressionen, Barbarei. Zwar trifft es
zu, dass der real-existierende Sozialismus und sein Zusammenbruch die
ihm entsprechende historisch-konkrete Daseins- und Existenzform der
sozialistischen Idee weltweit und nachhaltig in den Augen sehr, sehr
vieler Menschen diskreditiert haben. Auch fehlt es nicht an
machtgestützten Institutionen und Akteuren, die nach ihrem Sieg im
Kalten Krieg jegliche sozialistische Alternative als Sackgasse, Irrweg
verdammen und dämonisieren. Doch sozialistische Ideen und Bestrebungen
gehen immer wieder aus den Lebensverhältnissen von Menschen hervor – in
Deutschland, in Europa in der Welt.
Zweitens gehe ich davon aus, dass die historischen Herausforderungen
des 21. Jahrhundert, so wie ich sie in Deutschland, Europa und der Welt
sehe, eine Wiedergeburt sozialistischer Ideen und Bestrebungen erwarten
lassen, allerdings nicht im realsozialistischen Sinne des einstigen
Ostblocks, sondern als sozialistische Neo-Ideologie.
Drittens lassen sich Anzeichen identifizieren, wonach gerade
Deutschland allem Anschein auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts und
Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR ein Land ist , in dem das Feuer
der sozialistischen Idee keineswegs erloschen ist, ja im
internationalen Vergleich noch oder schon relativ kräftig glimmt. Dies
ist sowohl ein Erbe der Zweistaatlichkeit und der relativ autonomen
Entwicklung sozialistischen Denkens im Westen, gründet aber auch in neu
bewerteten Eigenheiten des untergegangenen Realsozialismus in der DDR
und hängt mit der Verfasstheit des neuen, vereinigten Deutschlands
zusammen. Könnte Deutschland im Europa des 21. Jahrhunderts gar wieder
zu einem der Mutterländer der sozialistischen Idee werden?
Sozialismus im Ensemble der ideologischen Grundströmungen der Moderne
Ideologie mag zwar in eins fallen mit „falschem Bewusstsein“; immer
aber ist sie handlungsleitend. Die wichtigsten Groß-Ideologien der
Moderne entstanden annähernd zeitgleich um 1800. Es sind dies die Idee
der Nation und des Nationalismus (sowie des Internationalismus), der
Liberalismus, der Konservatismus und der Sozialismus.
Wehler hat am Beispiel des >Aufstieges und der Durchsetzung der
Marktwirtschaft<, des >Nationalismus< und des
>Sozialstaates< gezeigt, dass Groß-Ideologien allesamt ein
utopisches Potential aufweisen oder aber ursprünglich mit Utopien
verbunden waren. Daher halte ich, hier Wehler folgend, die Kritik am
utopischen Denken schlechthin, die sich vor allem an den entstandenen
Gestehungskosten für den Versuch entfaltete, die sozialistische Idee zu
realisieren, zwar für berechtigt, aber auch für kurzschlüssig. Wehler
sieht jene Kritik von einer „Gegenutopie“ geleitet – der Utopie des
„pragmatischen Realismus“. Sie beruft sich auf Karl Poppers „piecemeal
engineering“ und lehnt wegen ihres Gefahrenpotentials alles ab, was
über Stückwerk-Reformen hinausgeht. Ich stimme Wehler bei, utopisches
Denken für eine „anthropologische Konstante menschlicher Existenz“ zu
halten, nämlich „über die pragmatische Daseinsbewältigung durch den
Entwurf einer besseren Zukunft stets hinauszustreben – durch einen
Entwurf mithin, der es oft erst ermöglicht, den Alltagsproblemen
standzuhalten und ihre pragmatische Lösung zu versuchen.“[37]
Versteht man „moderne Gesellschaft“ als ein historisch offenes Projekt,
im Rahmen dessen „Spannungen“ von … „kapitalistischen, bürokratischen
und patriarchalischen Machtstrukturen, …moderner wirtschaftlicher,
politischer und kultureller Evolutionsweise [und] Menschenrechten
ausgetragen werden, dann sind die ideologischen Grundströmungen der
Moderne dadurch gekennzeichnet, dass sie jeweils einen dieser Aspekte
zum Ausgangspunkt ihrer historischen Wirkungskraft machen.“[38] Indem
die genannten Groß-Ideologien jeweils auf bestimmte Aspekte und
Probleme der Entwicklung moderner Gesellschaften abheben, haben sie für
deren Entwicklung reale Funktionen.
Die ideologischen Grundströmungen waren und sind in mannigfacher Weise
aufeinander bezogen und bildeten verschiedene Spielarten aus. „Jede von
ihnen reproduziert in sich Elemente der… anderen…“ und trägt „die
Komplexität ideologischer Kämpfe auch selbst zumindest teilweise aus“
(Brie).
Die DDR wie die anderen Länder des so genannten Ostblocks in Mittel-
Ost- und Südeuropa sind aus den Katastrophen von Faschismus und Krieg
hervorgegangen und zwar in jenen Gebieten, die die Sowjetunion im II.
Weltkrieg befreit und besetzt hatte. Für die Aufhebung der
gesellschaftlichen Ursachen, die in die Katastrophe von Faschismus und
Krieg geführt hatten wie auch für den praktischen Wiederaufbau des
Landes und die Überwindung der mentalen Hinterlassenschaften der
Naziherrschaft auf deutschem Boden erschien nicht nur den Sozialisten
der sozialistische Weg als d i e angemessene Antwort. So stimmte etwa
die Mehrheit der in ganz Deutschland sich wieder oder neu bildenden
Parteien darin überein, dass das bürgerliche Zeitalter zu Ende sei und
Sozialismus auf der Tagesordnung stehe. Die sozialistische Option war
nach 1945 auch in vielen anderen Ländern und Regionen West- und
Südeuropas attraktiv, in denen die Sowjetunion nicht als
Besatzungsmacht präsent war.
In der Sowjetunion und in dem von ihr dominierten Block erfuhr die
sozialistische Idee eine besondere Über- und Ausformung wie spezielle
Objektivierung in Gestalt des „Staatssozialismus“. Außerhalb des
Ostblocks entwickelten sich sozialistische Bestrebungen und Ideen im
Anschluss an wie in kritischer Distanz und im Ausschluss des
Staatssozialismus und seiner Praxis (als „Eurokommunismus“; als Vision
vom „demokratischen Sozialismus“ oder als sozialdemokratisches
Versprechen einer sozialstaatlichen Bändigung des Kapitalismus).
Staatssozialismus
Installiert wurde in der späteren DDR (und in den anderen Ländern des
Ostblocks) ein von einem Zentrum ausgehendes „Steuerungs- und
Integrationsmodell“ einer mehr oder weniger „rationalen Redistribution“
(Ralf Rytlewski unter Rückgriff auf einen Terminus von Karl Polanyi).
In mehreren Schüben wurde eine umfassende Regelung aller
gesellschaftlichen Bereiche mittels zentralistischer
Gesellschaftsgestaltung durchgesetzt. Dabei gab es freilich
beträchtliche Unterschiede zwischen den Ostblockstaaten. So war der
Staatssozialismus in der DDR stärker als in anderen Gesellschaften des
Ostblocks bei seinem eigenen Inhalt angekommen bzw. seinem eigenen
Inhalt näher gekommen. Andere Gesellschaften des Ostblocks, etwa Polen,
wiesen im Vergleich mit der DDR eine „besonders inkonsequente
Ausprägung des Kommunismus“[39]auf, so der Polenspezialist Dieter
Bingen. „Inkonsequent“ heißt, dass der dortige Staatssozialismus mehr
„systemfremde Krücken“ (Brie) und nicht systemadäquate Nischen aufwies.
Daher wird vermutlich für Historiker kommender Generationen, sofern sie
sich für Übergänge alternativ modernisierter Gesellschaft in die
(hegemoniale) Moderne interessieren, die DDR die Gesellschaft sein, an
der am ehesten Leistungskraft und Grenzen des Staatsozialismus
ausgelotet werden können. Zumal auch die Quellenlage im Falle der DDR
recht gut ist. Oder aber sie werden bei der Betrachtung Polens bzw.
Ungarns die DDR als Vergleichsfolie heranziehen.
Die Kehrseite der Konzentration aller Ressourcen (Eigentum, Macht,
Information) in einem Zentrum (Partei und Staat) bestand in der
Ausschaltung von markt-, demokratie- und öffentlichkeitsvermittelten
Formen und Strukturen. Die Herrschaft, die führende Rolle einer Partei
wurde zunächst durch das Versprechen legitimiert, über die Umgestaltung
der Wirtschaftsweise, Eigentumsverhältnisse und Sozialstruktur im
Interesse der arbeitenden Menschen eine bessere Befriedigung der
(Grund-)Bedürfnisse, ein höheres Maß an Effizienz, sozialer
Gerechtigkeit als in kapitalistischen Gesellschaft zu erreichen. Mit
der Proklamierung des sozialistischen Aufbaus (in der DDR ab 1952)
wurden höhere Ziele gesetzt.
Der skizzierte Modus der zentralistischen Gesellschaftsgestaltung hatte
nicht nur Nachteile, ermöglichte er doch zunächst das Realisieren
großer Industrie- und Infrastrukturvorhaben, vergleichsweise
Tempogewinne beim Wiederaufbau und Einführen von Regeln und Praktiken
im Landesmaßstab – auch in kultureller und in sozialer Hinsicht, im
Bildungs- sowie im Gesundheitswesen.
In der Geschichte der DDR lassen sich in Anlehnung an Meuschel drei
Perioden unterscheiden: 1. Die antifaschistisch motivierte „Abkehr von
der Vergangenheit“ (Ende der 1940er- bis Mitte der 1950er Jahre). Dabei
handelte es sich freilich nicht um eine Abkehr von der Vergangenheit
schlechthin, sondern um eine Abkehr, gestützt auf Erbe und Traditionen
des „anderen Deutschlands“; 2. Der Zugriff auf die sozialistische
Zukunft: „wissenschaftlich-technische Revolution und Gemeinschaft“
(zweite Hälfte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre); 3. die Periode
des „real-existierenden Sozialismus“: Konzentration auf die
Gegenwartsgesellschaft und ihre Verbesserung. Die Rede vom
real-existierenden Sozialismus enthielt zwei Absagen, Distanzierungen.
Zum einen wollte man sich von Gesellschaften ohne Sozialismus positiv
abheben und zum anderen Vorstellungen von einem idealen Sozialismus
bloß stellen.[40]
Was die Nation betrifft, so sah sich die DDR in den ersten Jahrzehnten
ihrer Existenz nach ihrem offiziellen Selbstverständnis als Modell für
ganz Deutschland (zwei Staaten – eine Nation). Später wähnte sie sich
auf dem Weg zu einer eigenständigen sozialistischen Nation. Doch auch
dann wurde die Herkunft aus und Verankerung der DDR in der deutschen
Geschichte beschworen und kultiviert – am deutlichsten vielleicht mit
dem Konzept von „Deutscher Geschichte als Nationalgeschichte der
DDR“.[41] In kultureller Hinsicht knüpfte die DDR vielfach an
Programme, Konzepte und Lösungen an, die in der Geschichte der
Arbeiterbewegung im Umlauf waren oder entwickelt worden sind.
Wenngleich führende Akteure der Partei- und Staatsführung der DDR ein
entschieden kommunistisches Selbstverständnis hatten, so griffen sie
doch in vielen Bereichen, in denen die deutschen Kommunisten keine oder
keine tragfähigen Konzepte entwickelt hatten, auf sozialdemokratische
Konzepte und Lösungen zurück.
Zwar war es keineswegs so, dass in der DDR (und auch in den anderen
Ländern des Ostblocks) auf dem beschrittenen Weg und mit dem
Steuerungsmodus keine Erfolge erzielt wurden. An dieser Stelle sei nur
erwähnt, dass die DDR bei der Vereinigung zumindest auf einigen Feldern
Modernisierungsvorsprünge gegenüber der Alt-Bundesrepublik vorweisen
konnte. Doch hatten die DDR und einige andere Länder des sowjetisch
dominierten Blocks im Verlaufe ihrer Vorgeschichte und Geschichte
stärkere Modernepotentiale ausgebildet als die sowjetische Gesellschaft
selbst. Sie wurden indes von der Vormacht (sowie auch durch je eigene
Weichenstellungen und ihre Folgen) daran gehindert, diese Potenzen ins
Spiel zu bringen. Das zeigte sich bereits nach 1945 bei der Demontage
ganzer Industrieanlagen und Fabriken in der SBZ: in der Sowjetunion war
man vielfach nicht in der Lage die in der SBZ demontieren Anlagen und
Fabriken ökonomisch sinnvoll zu verwenden und zum Laufen zu bringen.
Später wurde der Wirtschaftsverbund (RGW) des Ostblocks zu stark auf
die Abdeckung von Bedarfen der UdSSR gepolt. Zugleich grenzten die DDR
und auch andere Länder des Ostblocks an kapitalistische Gesellschaften,
die zu den reichsten und am meisten entwickelten gehörten. Die
Entwicklungspotentiale des Staatssozialismus waren in der DDR und
einigen anderen Ländern schneller ausgeschöpft als in der UdSSR. Die in
den Ländern des so genannten real-existierenden Sozialismus gewählte
antikapitalistische Modernisierungsvariante ermöglichte insgesamt die
Ausbildung einer Industriegesellschaft fordistischen Typs − mit
beachtlichen Niveauunterschieden zwischen und innerhalb der einzelnen
Länder. Weiterhin kam es überall zu einem bedeutenden Anstieg des
Bildungs- und Qualifikationsniveaus der Bevölkerung im Vergleich mit
der Ausgangslage. Doch gelang es nicht über den Fordismus hinaus zu
gehen und ab den 1960er Jahren Anschluss an die darüber hinausweisenden
wissenschaftlich-technischen und industriellen Revolutionen zu finden
und diese für die staatssozialistischen Gesellschaften produktiv zu
machen. Alle unternommenen system-immanenten Reformversuche in dieser
Hinsicht scheiterten. Daher gerieten die Länder des Ostblocks bei der
Entwicklung der Produktivkräfte ins Hintertreffen.
Mehr und mehr wurde zu „systemfremden Krücken“ gegriffen oder es wurden
begrenzte, eigentlich nicht systemadäquate Nischen zugelassen, um das
ganze am Laufen zu halten (Abhängigkeit von hohen Kreditaufnahmen aus
dem Westen, Schattenwirtschaft, Schwarzmarkt, D-Mark gleichsam als
Zweitwährung in der DDR, Mobilisierung aller denkbaren Güter und
Leistungen zur Devisenbeschaffung…). „Der Spätsozialismus“, so Brie,
war „… durch eine tiefgreifende Umwandlung des `administrativen
Kommandosystems´ in ein System der wechselseitigen Absprachen und
zumeist stiller Sozialpakte gekennzeichnet… Es ist nicht zu leugnen,
sondern zu begreifen, dass gerade an der entwickelten Semiperipherie
des sowjetischen Staatssozialismus zumindest geistig, in ihren Werten
und Einstellungen, Sicht- und Verhaltensweisen bestimmte Elemente der
westlichen Gesellschaft innerhalb ihres staatsmonopolistischen
Antipoden herangereift waren.“[42] Gleichsam durch die Hintertür
gewannen die im Staatssozialismus systemisch ausgeschalteten so
genannten Basisinstitutionen moderner Gesellschaften (Markt,
Demokratie, Öffentlichkeit) sowie die funktionale Ausdifferenzierung
von Subsystemen (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Bildung) mit ihren
verschiedenen Kommunikationsmedien (Geld, Macht, Wahrheit usw.) in der
Bevölkerung und auch unter Angehörigen der Funktionseliten Anerkennung,
Zuspruch, Wertschätzung. Ihr Fehlen bzw. ihre allenfalls suboptimale
Ausbildung führten in der DDR schließlich zum Votum für die deutsche
Einheit und jenseits der Oder mündeten sie in die „Rückkehr nach
Europa“.
Neo-Ideologien ersetzen klassische Formen ideologischer Grundströmungen der Moderne
Noch im ausgehenden 20. Jahrhundert und vor dem Scheitern des
„Staatssozialismus“ wurden klassische Formen der oben genannten
ideologischen Grundströmungen der Moderne durch Neo-Ideologien wie
Neokonservatismus und Neoliberalismus ersetzt. Im Falle der
sozialistischen ideologischen Grundströmung kam es hingegen nicht oder
bislang nur in sehr schwachem Maße zur Neo-Ideologie. Keime und Ansätze
in dieser Hinsicht, die innerhalb wie außerhalb der Länder des realen
Sozialismus erkennbar waren, wurden seinerzeit ausgetreten oder konnten
sich nicht entfalten, solange der Ostblock bestand. Ich gehe davon aus,
dass es nach dem Untergang des Realsozialismus im 21. Jahrhundert auch
zu einer sozialistischen Neo-Ideologie kommt und die bestehende
Leerstelle besetzt wird.[43]
Die bestehenden Neo-Ideologien (wie auch die erst im Entstehen
begriffene sozialistische Neo-Ideologie) unterscheiden sich aktuell und
perspektivisch von ihren klassischen Vorgängern in einer Reihe von
Punkten:
>> dass sie in ihrem Rahmen jeweils für „global wirkende Kräfte Orientierungen… für globale Probleme suchen“,
>> dass sie auf „veränderte Vergesellschaftungsvorstellungen“ und „-formen“ reagieren,
>> dass sie sich den „Grenzen der Moderne und den unvermeidlichen
Selbstbeschränkungen stellen [müssen]“, d.h. Fragen nach den „Grenzen
des Wachstums“, Klimawandel, ökologischen Herausforderungen, in neuer
Weise sozialen Fragen,
>> dass es „keine eindeutige Zuordnung sozialer Akteure zu den ideologischen Strömungen“ mehr gibt.[44]
Über die erst im Entstehen begriffene sozialistische Neo-Ideologie
lässt sich darüber hinaus und für sich genommen vermuten, dass sie sich
auf eine Abkehr von Essentials des Staatssozialismus gründet (wie
Diktatur des Proletariats, Ein-Parteienherrschaft, „demokratischer
Zentralismus“, zentralistische Planwirtschaft ohne Marktbeziehungen,
Ausblendung ökologischer Fragen, keine oder nur gelenkte
Öffentlichkeit, bedingtes Patriarchat, d.h. Geltung des Geschlechts als
gesellschaftliche Zuordnungs- und Rangkategorie…). War für die
sozialistische Idee im klassischen Sinne die Bearbeitung und Lösung der
sozialen Frage zentral, so ist ferner anzunehmen, dass sie nicht ihre
Bedeutung, wohl aber ihre Zentralität verliert. Die sozialistische
Neo-Ideologie kreist nicht um ein „Projekt“, sondern hat ihre
orientierende Kraft für eine Pluralität von Projekten und Subjekten zu
erweisen.[45]
Der klassische oder traditionelle Nationalismus forderte eine
eindeutige Loyalität zu einer einzigen, der je eigenen Nation ein.
Etwaiges Schwanken von Individuen und Gruppen wurde negativ
sanktioniert. Der Nationalismus im traditionellen Sinne ist keineswegs
aus der Welt. Zumal die „[…] Auflösung des Ostblocks… in Osteuropa nur
ein Auffangbecken gefunden [hat]: die Nation.“[46] Zugleich sind ein
schwindender Einfluss des traditionellen Nationalismus und parallel
dazu ein Erstarken transnationaler, gemeinschaftlicher (wie auch
subnationaler) Metaidentitäten festzustellen. Mithin existiert
insbesondere in Einwanderungsgesellschaften, zu denen de Facto auch
Deutschland gehört, eine gewachsene Anzahl von Personen und Gruppen,
die eine doppelte oder mehrfache Loyalität ausgebildet haben. Zwar hat
es das auch im 19. und 20. Jahrhundert gegeben. Relativ neu ist, dass
zumindest partiell Mehrfachloyalitäten tendenziell von der
Mehrheitsgesellschaft in höherem Maße als ehedem toleriert werden.
Freilich gibt es bei der offiziellen Anerkennung der Träger von
doppelten Loyalitäten deutliche Unterschiede. In der Bundesrepublik
zeigt sich das etwa bei Stellungnahmen von Inländern zum Nahostkonflikt
oder in der Kurdenfrage. Das aber bedeutet auch, dass internationale,
auswärtige Konflikte in starkem Maße auf zeitgenössischen
Gesellschaften durchschlagen und aus deren Zivilgesellschaften heraus
auswärtige Konfliktparteien nicht nur symbolisch Unterstützung erfahren.
Über den tiefen Fall und die Wiederkehr der sozialistischen Idee im Ensemble der Groß-Ideologien der Moderne
Im Verlauf von zwei Jahren brach in allen Ländern des Ostblocks das
staatssozialistische System zusammen. Mit dem Fall des
Staatssozialismus erfolgte auch eine nachhaltige Diskreditierung der
sozialistischen Idee schlechthin. Vor allem, aber nicht nur in den
einst von der Sowjetunion dominierten Ländern. Sie erschien
abgewirtschaftet, erledigt, tot. Die charakteristische Verhaltensform
der Funktionseliten in den Ländern des Ostblocks war nicht die
Verteidigung des Systems, sondern das Überlaufen (Schütrumpf). Die
neuen Eliten aller Bereiche der postsozialistischen Gesellschaften –
mit Ausnahme Ostdeutschlands – rekrutierten sich aus den alten (vormals
„sozialistischen“) Funktionseliten, Re-Emigranten und aus der
jeweiligen Opposition. In einigen Ländern Mittel und Osteuropas sowie
Nachfolgestaaten der Sowjetunion ging aus den Trümmern des
Staatssozialismus ein Kapitalismus ohne Phrase hervor. Mit der Idee des
Sozialismus fiel auch alles, was sich als „links“ verstand oder als
links angesehen wurde. In etlichen postsozialistischen Ländern wie z.B.
Polen gibt es keinen organisierte Linke mit nennenswerten Einfluss
mehr.
Fast schien es so, als ob der Sozialismus, der mehr als ein Jahrhundert
im Ensemble der Groß-Ideologien der Moderne eine überaus große Rolle –
auch für seine Kontrahenten − gespielt hat, als orientierende
wirkungsmächtige Kraft am Ende sei.
Insofern hat Jörn Schütrumpf Recht, wenn er feststellt:
„Die Stahlbäder, durch die die sozialistische Idee seit 1917 gezogen
wurde, haben vor allem eines bewirkt: Bei den Unterdrückten,
Ausgebeuteten Entrechteten, und Gedemütigten löst die Idee des
Sozialismus alles Mögliche aus, nur zweierlei nicht: − Hoffnung und
Sehnsucht…“[47]
Wenn es sich so verhält, worin gründet dann meine Annahme (siehe
Überschrift), dass eine Wiederkehr, Renaissance der sozialistischen
Idee als Neo-Ideologie zu erwarten ist?
Zunächst gründet sich die Annahme darauf, dass die Groß-Ideologien der
Moderne in einem „Verweisungszusammenhang“ stehen. Damit sind „Konnexe
von untereinander verbundenen Elementen“ gemeint, die immer wieder
aufeinander abgestimmt werden“ (Gerhard Schulze). Der weltweite
Siegeszug des Neo-Liberalismus, des Konservatismus und des
Nationalismus ruft zwangsläufig Gegenbewegungen hervor, die − unter
welchen Bannern und Vorzeichen auch immer sie antreten − in der Sache
(auch oder gerade) sozialistische Konturen annehmen.
Ich gehe mit Trittin[48] weiterhin davon aus, dass Klimawandel und
soziale Ungleichheit die großen historischen Herausforderungen des 21.
Jahrhunderts sind, und zwar in globaler wie auch europäischer
Perspektive. Zwar kann die Palette der historischen Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts auch weiter gefasst werden. Doch letztlich lassen
sie sich m.E. auf die zwei genannten zurückführen. Für die Bewältigung
dieser Herausforderungen besteht ein Zeitfenster. Gelingt es nicht im
Verlaufe des 21. Jahrhunderts den Klimawandel, die Erderwärmung zu
stoppen, drohen Natur- und soziale Katastrophen von apokalyptischen
Ausmaßen[49] oder aber eine Öko-Diktatur. Nun verhält es sich aber so,
dass die Bewältigung des Klimawandels ohne Eindämmung der sozialen
Ungleichheit nicht zu haben ist. Es gibt kein Nacheinander bei der
Bearbeitung beider Herausforderungen, sondern ein Dilemma bzw. Postulat
der Gleichzeitigkeit – in Deutschland, in Europa, in der Welt. Sowohl
der Inhalt der skizzierten historischen Herausforderungen als auch die
erforderliche Gleichzeitigkeit ihrer Bearbeitung sind m.E. ein für die
Renaissance sozialistischer Ideen und Bestrebungen überaus günstiger
Kulturboden. Warum? Weil die Thematisierung und Bearbeitung sozialer
Ungleichheit – um mein Argument in neoliberaler Diktion vorzubringen −
zum „Markenkern“ der sozialistischen Idee gehört. Und die
sozialistische Neo-Ideologie sich von der staatssozialistischen unter
anderem dadurch abhebt, dass sie sich der ökologischen Frage stellt.
Schließlich lassen sich Akteure und Institutionen erkennen sowie
soziale und geographische Räume einkreisen, für die bzw. in denen nach
dem Untergang des Staatssozialismus die sozialistische Idee weniger tot
und erledigt war als andernorts. Dort fand und findet eine Art
Tradierung und weiterhin eine Reflexion sozialistischer Ideen und
Bestrebungen statt. Zwar lässt sich gegenwärtig nicht abzusehen, ob
jene Räume nur ein über- und aufnahmefähiger Resonanzboden für eine
andernorts sich formierende sozialistische Neo-Ideologie sein werden
oder ob sie auch eine maßgebliche Rolle bei der Kreation der
sozialistischen Neo-Ideologie selbst spielen. Ich bin mir aber ziemlich
sicher, dass zu diesen Räumen Deutschland gehört. Insofern lässt sich
festhalten, dass Deutschland in Europa auch nach dem Untergang des
Staatssozialismus und der DDR eines der Mutterländer oder Refugien der
sozialistischen Idee ist. Freilich ist die Bedeutung und Prägekraft
Deutschlands als eines der Mutterländer der sozialistischen Idee heute
ungleich geringer als sie es etwa um 1900 war.
Inwiefern und warum aber das vereinte Deutschland sich als eine der
Heimstätten der sozialistischen Idee präsentiert, will ich im nächsten
Abschnitt zeigen.
Deutschland – eines der Mutterländer der sozialistischen Idee im Europa des 21. Jahrhunderts?!
Schema typischer Verbindungen von sozialistischen Ideen und Subjekten in Deutschland
Wenn man einmal von ihren verschiedenen Spielarten absieht, so lassen
sich schematisch − nach Maßgabe der Intensität − vier typische
Verbindungen von sozialistischen Ideen und Subjekten, Akteuren,
sozialen Trägern erkennen:
a)
Keine oder negative Verbindung (Gegnerschaft) von Subjekten mit der
sozialistischen Idee. Dabei handelt es sich um Vertreter anderer
Groß-Ideologien der Moderne. Sie verfolgen explizit oder in der Sache
nicht-sozialistische Interessen, Wertvorstellungen und unterstützen
entsprechende Programme und Politiken. Bei derzeitiger Hegemonie des
Neoliberalismus ist diese (negative) Verbindung von Subjekten mit
sozialistischen Ideen die am meisten verbreitete;
b)
Unbewusste Verbindung mit und Nähe zur sozialistischen Idee als
Charakteristikum der „unbewusste(n) Sozialisten“[50]. „Unbewusste
Sozialisten“ sind Personen, die sozialistische Vorstellungen in sich
tragen, verinnerlicht haben, sich selbst aber nicht als Sozialisten
sehen, ja ihre Teilhabe an sozialistischen Ideen unter Umständen empört
von sich weisen. Insofern ist ihr Sozialismus ein unbewusster. Am
„unbewussten Sozialismus“ zeigt sich, dass und wie Versatzstücke von
Theoremen in die je eigene Weltanschauung von Individuen und Gruppen
ein- und in ihr umgeschmolzen werden.
„Unbewusste Sozialisten“ denken, wenn wir Bender folgen, eher in
sozialen als in betriebswirtschaftlich-ökonomischen Kategorien. Sie
halten soziale Ungleichheit weder für gottgegeben noch für natürlich
oder gar für notwendig. Sie sind zwar für Marktwirtschaft, aber es ist
aus ihrer Sicht unverantwortlich und falsch, alle menschlichen
Grundbedürfnisse den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Sie schätzen
Erfolg und würdigen Effizienz, doch bedeuten ihnen Erfolg und Effizienz
nicht alles. Vom Staat wird viel erwartet. Und zwar weit mehr als er
nach den Privatisierungsorgien und Deregulierungswellen, aufgrund
notorisch klammer Kassen sowie der herrschenden Auffassungen darüber,
was des Staates ist, leisten kann und will. „Unbewusster Sozialismus“
ist keine praktisch-geistige Denk- und Verhaltensweise, die sich auf
Dauer durchhalten lässt. Entweder erzwingen die Postulate des Marktes
und der Konkurrenz sowie die Regeln, Reviere und Rituale der
Subsysteme, in die „unbewusste Sozialisten“ eingebunden sind,
Anpassungen, Korrekturen, Revisionen der skizzierten Haltungen, mithin
ein Abstreifen des Sozialistischen oder ein Coming Out als (bewusste)
Sozialisten. „Unbewusster Sozialismus“ als solcher ist relativ sozial
folgenlos. Es sind aber Konstellationen möglich und denkbar, in denen
die sozialistischen Dispositionen aktiviert werden und in Handeln
umschlagen;
c)
Reflektierte Akzeptanz der sozialistischen Idee. Diese Verbindung
findet sich bei Personen, die die sozialistische Idee als legitim
akzeptieren und gewisse Affinitäten für den Sozialismus ausgebildet
haben. Dies äußert sich vor allem in einer unterschiedlich großen
Distanz zu Essentials der als kapitalistisch wahrgenommenen
Gegenwartsgesellschaft, wiederum vor allem in der Umfrage- und
Meinungsforschung oder/ und bei Wahlen sowie partiell in Projekten und
Gründungen, die tatsächlich oder auch nur vermeintlich über die
Gegenwartsgesellschaft hinausweisen;
d)
Identifikation mit der sozialistischen Idee von „bewussten
Sozialisten“, mithin von Personen, die sich als Sozialisten wahrnehmen
und auch von anderen als solche wahrgenommen werden. Demokratische,
christliche Sozialisten etc. versuchen im Rahmen verschiedener
Parteien, Organisationen, Institutionen, Vereine, Bewegungen jeweils an
sozialistischen Ideen orientierte Vorschläge einzubringen und Lösungen
durchzusetzen. Sie haben auch ein gewisses Interesse an der Reflexion
wie Fortentwicklung der sozialistischen Idee, an der Tradierung
bewahrenswert erscheinender Komponenten.
Allerdings liegen für die verschiedenen Kategorien des Schemas nur
bedingt jeweils empirische Daten vor. Für den Anteil der als
„unbewusste Sozialisten“ klassifizierten Personen an der
Gesamtbevölkerung existieren nur qualitative Einschätzungen. Überhaupt
nicht quantifiziert werden können die „bewussten Sozialisten“. In der
Umfrage- und Meinungsforschung der Bundesrepublik, auf die wir hier uns
stützen, wird die Einstellung zur sozialistischen Idee gewöhnlich am
Grad der Zustimmung zu der Antwortvorgabe „Der Sozialismus ist eine
gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ gemessen. Bei einer
vierstufigen Skala von 1 (stimme voll zu) bis 4 (stimme überhaupt nicht
zu) werden die Antwortalternativen 1 und 2 als zustimmendes Votum
quittiert. Mit Blick auf das aufgeführte Schema der Verbindung von
sozialistischer Idee und Trägern werden wohl mit dem Item „Der
Sozialismus ist eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ die
Antworten jener erfasst, die den Kategorien c und d zugeordnet wurden.
Relativ positive Einstellung zur Idee des Sozialismus in Deutschland. Empirische Daten – von den 1990ern bis 2015
Natürlich hat der zunächst schleichende Niedergang und dann abrupte
Untergang des Staatssozialismus auch in ganz Deutschland die Akzeptanz,
Strahlkraft der sozialistischen Idee unterminiert. Und es lassen sich
seit Beginn der 1990er Jahre bis 2014/2015 Schwankungen erkennen. In
den alten Bundesländern hielten aber immerhin zwischen 1991 und 1996
zwischen 36 Prozent (1991) und 46 Prozent (1996) der Befragten den
Sozialismus für eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde. In
den neuen Bundesländern waren es 68 Prozent (1992) und 79 Prozent
(1996).[51]
1992 urteilte zudem Peter Bender: „Viele, wahrscheinlich die meisten
Ostdeutschen sind unbewusste Sozialisten geworden.“[52] An anderer
Stelle meinte er, dass es „unbewusste Sozialisten“ auch im Westen gebe.
Im europäischen Vergleich war und ist die Akzeptanz und Strahlkraft der
sozialistischen Idee in Deutschland auch nach dem Niedergang und
Zusammenbruch des Staatssozialismus vergleichsweise recht hoch. Zwar
bestimmt sie nicht die Politik der Bundesrepublik und auch kaum das
Agieren der Funktionseliten der verschiedenen gesellschaftlichen
Bereiche und Ebenen. Dennoch ist immerhin bemerkenswert, wenn nicht nur
in den 1990er Jahren, sondern auch in der Gegenwart ( 2014/2015) in
repräsentativen Umfragen 37 Prozent der befragten Westdeutschen und 59
Prozent der befragten Ostdeutschen eine positive Einstellung zur Idee
des Sozialismus erkennen lassen.[53]
Wie ist die vergleichsweise erstaunlich hohe empirisch nachweisbare
Akzeptanz der sozialistischen Idee in Deutschland zu erklären? Welche
Faktoren haben einen bodenlosen Fall in Deutschland offenkundig
abgebremst? Sie ist zunächst sowohl im Westen als auch im Osten
Deutschlands ein Erbe der Zweistaatlichkeit.
Relativ eigenständige sozialistische Tradition im Westen zwischen
1949 und 1990 wirkte immunisierend und federte den Untergang des
Staatssozialismus ab
Sowohl die Autonomie als auch die wechselseitige Aufeinanderbezogenheit
der zwischen 1949 und 1990 bestehenden beiden deutschen Staaten und
Gesellschaften tangierte nicht zuletzt die Ausformung, Existenzweise
wie auch das Schicksal der sozialistischen Idee nach dem Scheitern des
Staatssozialismus. Im Westen Deutschlands hat sich in der Zeiten der
deutschen Zweistaatlichkeit durchaus eine eigenständige sozialistische
Tradition ausgebildet. Charakteristisch für die Sozialisten in
Westdeutschland war, dass sich ihre Positionen im Spannungsfeld
zwischen Annäherungen und kritischer, wenn nicht gar massiver Distanz
zum DDR-Sozialismus entwickelten. Für die meisten Personen, die im
Westen Sozialisten geworden und geblieben sowie für jene Sozialisten,
die aus der DDR in den Westen gekommen waren, weil sie es dort nicht
mehr aushielten, hatte der Sozialismus des Ostblocks im Allgemeinen und
der in der DDR im Besonderen keine oder nur sehr geringe Leuchtkraft.
Er war für sie keine Orientierungsgröße, kein Leitstern. Daher
verschlechterten sich mit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus sehr
wohl für Sozialisten im Westen Deutschlands das politische Klima, ihre
Wirkungsmöglichkeiten in Organisationen und Institutionen der
Bundesrepublik. Aber für sie war mit dem Scheitern des
Staatssozialismus keineswegs die sozialistische Idee erledigt. Soweit
die Sozialisten der Alt-Bundesrepublik politisch organisiert waren,
fanden sie sich in verschiedenen Parteien, in denen sie allerdings
meist eine eher marginale Rolle spielten. Ferner agierten Sozialisten
in Gewerkschaften, in den Groß-Kirchen, sozialen Bewegungen. Sie waren
in manchen wissenschaftlichen und Forschungsinstitutionen präsent und
hatten einige Lehrstühle an Universitäten und Hochschulen inne. Für die
in der SPD und ihrem Umfeld wirkenden Sozialisten spielt die
Zielvorstellung vom „demokratischen Sozialismus“ eine prominente Rolle.
Für die SPD als Ganzes und ihre Führung gilt das indes nicht.
„Im August 2003 vor dem 140. Jahrestag der SPD schlug der damalige
Generalsekretär Olaf Scholz vor, den Begriff ganz aus dem künftigen
SPD-Grundsatzprogramm zu streichen: `Es gibt keinen Zustand mit diesem
Namen, der auf unsere marktwirtschaftlich geprägte Demokratie folgen
wird. Deshalb sollten wir nicht solche Illusionen erzeugen`. Die Partei
müsse im 21. Jahrhundert `die Blickrichtung wechseln`. Der Begriff lege
den Irrtum nahe, dass die SPD ein Konzept jenseits des Kapitalismus
vertrete. Scholz löste damit eine heftige parteiinterne Debatte
aus…“[Er drang indes mit seinem Antrag nicht durch – Einfügung des
Autors.] „Das am 28. Oktober 2007 beschlossene Hamburger Programm hebt
den Begriff als Tradition der SPD und gesamtgesellschaftliche
Zielvorstellung erneut hervor… Die Jungsozialisten (Jusos) orientieren
sich ebenfalls an diesem Begriff.“[54]
Insofern sich also im Westen Deutschlands eine relativ eigenständige
sozialistische Tradition entwickelt hatte, die vom Untergang des
Staatssozialismus nicht direkt ins Mark getroffen werden konnte, war
auch die Tradierung sozialistischer Vorstellungen in der Abfolge der
Genrationen nicht grundsätzlich gefährdet. Bei aller Hegemonie des
Neoliberalismus besteht bei einer nicht unbeträchtlichen Minderheit von
gegenwärtig etwa 37 Prozent der Menschen im Westen Deutschlands eine
Affinität gegenüber sozialistischen Ideen.
Das „Ende des sozialdemokratischen Jahrhunderts“ (Dahrendorf) stärkt partiell sozialistische Positionen und ihre Träger
Wenn auch nicht so krachend gescheitert wie das staatssozialistische
Projekt einer Totalalternative zum Kapitalismus, so ist allerdings auch
das sozialdemokratische Projekt und Versprechen eines „sozialstaatlich
gebändigten Kapitalismus“ spätestens seit der Jahrtausendwende und der
Agenda 2010 für viele Menschen wahrnehmbar an seine Grenzen gestoßen
und hat seinen Glanz verloren. Dafür haben Weichenstellungen in
Richtung eines Globalisierungskapitalismus und der unter neoliberalen
Vorzeichen vorangetriebene Umbau der Bundesrepublik in den letzten 20
Jahren, die Zunahme der sozialen Ungleichheit gesorgt. Bereits Anfang
der 1980er Jahre hatte Dahrendorf das Ende des sozialdemokratischen
Jahrhunderts verkündet.[55] Während aber in manch anderen Ländern
Europas in der Gegenwart die großen und kleineren
gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen allein zwischen
„Liberalkonservativen“ und „Nationalkonservativen“ ausgetragen werden,
beziehen sich Gegenkräfte in Deutschland direkt oder indirekt stärker
auch auf sozialistische Ideen. Denn weder in der Tradition der
Liberalen noch der Konservativen steht der Vorrang demokratischer
Öffentlichkeit und Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch
nicht die Thematisierung und Bearbeitung der sozialen Ungleichheit oder
aber nur bedingt die Aufhebung des Geschlechts als Rang- und
Zuordnungskategorie. Liberale und Konservative positionieren sich
anders in Fragen von Krieg und Frieden und fassen die Verantwortung
Deutschlands in der Welt anders auf als Sozialisten. Gleiches gilt für
die universelle Geltung der Menschenrechte, für Nachhaltigkeit, das
Spannungsfeld von Beschleunigung und Entschleunigung…
In den Jahren 2004/2005 entstand die Wahlalternative Arbeit und soziale
Gerechtigkeit, die sich vorrangig aus regierungskritischen
SPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern rekrutierte. Sie vertrat
demokratisch-sozialistische, sozialdemokratische und gewerkschaftsnahe
Positionen, wurde aber auch für Eurokommunisten und andere linke
Gruppen attraktiv. Im Jahre 2007 wurden die Weichen für den
Zusammenschluss mit der vor allem im Osten stark verankerten Partei des
demokratischen Sozialismus (PDS) zur Partei Die Linke gestellt. Damit
aber trafen aber auch unterschiedliche politische Kulturen aufeinander.
Die Krise des sozialdemokratischen Versprechens, den Kapitalismus
sozialstaatlich zähmen zu können, hat mithin nicht nur das Lager der
Neoliberalen, Konservativen und ihres Anhangs gestärkt, sondern
partiell auch die sozialistischen Kräfte in Deutschland.
Woraus sich die hohe Akzeptanz der sozialistischen Idee in den neuen Bundesländern speist
M. E. hat sich die Sonderrolle der DDR im Ostblock wie auch der
spezifische Transformationspfad (im Vergleich mit anderen
postsozialistischen Ländern) auf das Schicksal der sozialistischen Idee
nach dem Scheitern des Staatssozialismus in Ostdeutschland ausgewirkt.
Es geht mir nicht darum, den Sozialismus in der DDR schön zu reden.
Doch im Rahmen des Ostblocks war die DDR die Gesellschaft mit der
höchsten Produktivität, dem höchsten Lebensstandard und der am meisten
ausgebildeten Sozialstaatlichkeit. Hier war das Ausmaß des ausgeübten
Terrors geringer und es gab vergleichsweise wenig Korruption. Die DDR
wies im Vergleich mit anderen Ostblockstaaten eine Reihe weiterer
Besonderheiten auf, wobei ich weniger die Mauer und die Stasi im Blick
habe. Solche Besonderheiten werden vermutlich kommenden Generationen
die DDR als ein Land erscheinen lassen, dass eine interessante
Geschichte hatte:
1. Nirgendwo erfolgte ein so weitreichender Elitenwechsel nach 1945 und
vielfach auch eine Neubesetzung gehobener und mittlerer Positionen.
Dies war der Fall, weil sich die deutschen Eliten und sehr viele
Inhaber gehobener und mittlerer Positionen auf das NS-Regime
eingelassen hatten und ab 1944/1945 und in den Folgejahren nach Westen
absetzten. Dies geschah freilich auch aus anderen Gründen. Die freien
Positionen waren neu zu besetzen. Dadurch wurde die DDR zeitweilig zur
dynamischsten Gesellschaft Europas, d.h. die Gesellschaft mit der
höchsten Aufwärtsmobilität. Freilich war diese Dynamik ein temporärer
Effekt und nicht auf Dauer zu stellen. Aber er blieb bei den
betroffenen Personen und ihren Familien in Erinnerung. Aus dem zuvor
genannten Grunde setzte die Bildungsexpansion und Bildungsexplosion
früher als andernorts ein. Die DDR wurde auf diesem Wege zu einer
Lerngesellschaft.
2. Gegenüber der Vorkriegszeit wuchs die Bevölkerung der SBZ und DDR
zunächst deutlich auf über 19 Millionen, um dann beständig sich zu
vermindern. Die DDR war mithin das einzige Land in Europa, dessen
Bevölkerung sich im Verlaufe seiner Geschichte stetig verringerte,
hauptsächlich durch Abwanderung (bis 1961 knapp 3 Millionen) in die
Alt-Bundesrepublik. Die Zuwanderung aus dem Westen von 0, 5 Millionen
in die DDR konnte die Verluste nicht ausgleichen. Wie konnte eine
Gesellschaft solche Verluste an ihrer wichtigsten Ressource verkraften
und dennoch bestehen? Was machte der Aderlass mit einer solchen
Gesellschaft? Nach der Vereinigung setzte sich die Abwanderung in das
westdeutsche Bundesgebiet indes auf hohem Niveau fort. Hauptsächlich
handelt es sich um Arbeitsmigration. Der Zustrom aus den alten
Bundesländern in den Osten war ebenfalls beachtlich, aber er fiel
geringer aus. (Die Wanderungsverluste durch Arbeitsmigration sind auch
in einer Reihe postsozialistischer Gesellschaften beträchtlich). In den
schrumpfenden Städten, Dörfern und Regionen setzte nach 1990 ein
infrastruktureller Kahlschlag ein und es stehen weiterhin noch
vorhandene Infrastrukturen aller Art zur Disposition (Schulen,
Supermärkte, Ladengeschäfte, Poststellen, Gaststätten, Bankfilialen,
Verkehrsanbindungen…). Nur durch Zuwanderung können neue Perspektiven
für jene Sozialräume gewonnen werden. Doch dagegen sperren sich weite
Bevölkerungskreise.
3. Da in der sowjetisch besetzten Zone und DDR kriegsbedingt ein
Frauenüberschuss (1946: 135 Frauen auf je 100 Männer) bestand und zudem
in der deutschen Arbeiterbewegung Konzepte und Modelle zur Lösung der
Frauenfrage angearbeitet waren[56], mussten Lösungen gefunden werden,
die den Frauen mehr als nur ein Überleben sicherten. Und sie wurden
gefunden. Hinsichtlich der Gleichstellung und Emanzipation der Frauen
wurde im Verlaufe der Geschichte der DDR ein Niveau erreicht, das sich
im europäischen und Weltmaßstab sehen lassen kann. Der Gleichstellungs-
und Emanzipationsschub der Frauen hat sich verstetigt und trägt auch
nach 1990 weiter.
4. Auch die DDR war eine Gesellschaft, in der allgemeine und je
spezifische Formen sozialer Ungleichheit bestanden. In der DDR wurden
indes soziale Grenzen in stärkerem Maße verflüssigt und durchlässiger
als es in anderen Gesellschaften des Ostblocks möglich oder aber
gelitten war. Dort war die Trennung zwischen „oben“ und „unten“ viel
schärfer ausgeprägt als im ostdeutschen Teilstaat. Selbst das Militär
war davon nicht frei: in anderen Armeen hatten Offiziere Burschen, die
der NVA hatten sie nicht. Nur in der DDR kam es zu einer derart
ausgeprägten Ausbildung einer „arbeiterlichen Gesellschaft“. (In den
anderen Ländern bestanden freilich vergleichbare Ansätze). Mit
„arbeiterlicher Gesellschaft“ ist bei Engler gemeint, dass die Arbeiter
in der DDR zwar nicht herrschten, nicht die politische Macht hatten,
wohl aber sozial und kulturell vielfach den Ton angaben und auch aus
der politischen Ungleichheit Vorteile zogen.[57] Die „arbeiterliche
Gesellschaft ist mit der DDR untergegangen, aber als Besonderheit des
ostdeutschen Teilstaates festgehalten zu werden, verdient dieses
Phänomen schon.
5. Die bereits erwähnte Ausbildung des „ostdeutschen Volksatheismus“
hat sich als irreversibel erwiesen. In anderen postsozialistischen
Gesellschaften (mit Ausnahme Tschechiens und Estlands) kam es nach dem
Untergang des Staatssozialismus zu einem engen Schulterschluss zwischen
Eliten, breiten Bevölkerungskreisen und den jeweils dominierenden
Kirchen.
Das alles spielte für die meisten Bürger des Landes, solange die DDR
bestand, insofern keine große Rolle, als ihr Blick nicht nach Osten,
sondern nach Westen, auf die Alt-Bundesrepublik gerichtet war. Doch
nach dem Ende der DDR veränderte sich die Wahrnehmung des ostdeutschen
Teilstaates. So konnte die DDR im Rückblick und vor dem Hintergrund von
Transformations- und Vereinigungskrisen (De-Industrialisierung und
Freisetzung von Millionen Arbeitskräften) nach 1990 sowie der
Dämonisierung der DDR in der medialen und politischen Öffentlichkeit in
den Augen breiter Bevölkerungskreise Ostdeutschlands in einem milden,
zumindest milderen Licht erscheinen. Zumal viele einstige DDR-Bürger
sozialistische Wert- und Zielvorstellungen verinnerlicht hatten. Daher
stieg in den 1990er Jahren die Zustimmung zur Antwortvorgabe
>Sozialismus − gute Idee, schlecht verwirklicht< − bis an die 80
Prozent-Marke, um sich in der Gegenwart (2014/15) auf ein immer noch
sehr hohes Maß von knapp 60 Prozent (!) einzupegeln. Zugleich
verbesserte sich mit der deutschen Einheit der Zugang zur Breite und
Vielfalt sozialistischen Denkens in Vergangenheit und Gegenwart im
Osten erheblich.
Sozialisten in Ostdeutschland waren und sind in verschiedenen Parteien,
Organisationen zu finden. Nicht zuletzt in der aus der SED
hervorgegangenen Partei des demokratischen Sozialismus (PDS), später
der Linken. Sie erreicht bei Wahlen im Osten je nach Region 20 bis 30
Prozent der Wählerstimmen. Innerhalb der Linkspartei gibt es (wie zuvor
auch in der PDS) verschiedene Strömungen, die sich auch in ihrer
Haltung zur sozialistischen Idee und zur DDR in mancher Hinsicht
unterscheiden.
Die Niederlage im Kalten Krieg wurde von Sozialisten aus der DDR in
vielfältiger Weise verarbeitet. Sie äußerte sich unter anderem auch in
einer kritischen Reflexion des staatssozialistischen Systems und der
Geschichte des Realsozialismus und in einer stärkeren Bereitschaft als
ehedem, das Sozialistische neu zu denken und zu fassen. Wenn es darum
geht, zu erklären, dass und warum das sozialistische Element mit dem
Untergang der DDR nicht aus dem nationalen Diskurs verschwand, ist
neben den bereits aufgeführten Aspekten ein weiterer Umstand
beachtenswert – der Modus des „Elitenwechsels“ in Ostdeutschland.
Während in den meisten anderen Ländern des einstigen Ostblocks die
typische Verhaltensform der staatssozialistischen Eliten das
„Überlaufen“ (Schütrumpf) war, bestand diese Option für die
Funktionseliten der DDR nicht. Die Schlüsselpositionen, ferner die
meisten gehobenen, ja selbst mittlere Positionen in den neuen
Bundesländern wurden in nahezu allen Bereichen von Westdeutschen
besetzt.[58] Die früheren Inhaber jener Positionen waren mithin
überflüssig. Sie wurden nicht gebraucht, sondern freigesetzt. Die
Jüngeren unter ihnen begaben sich auf die Suche nach einer neuen nicht
mitsinkenden sozialen Position. Die Älteren gingen in die
„bundesdeutsche Rente“ (Schüttrumpf)[59] oder in den Vorruhestand. Es
stand so eine zahlenmäßig relativ große Gruppe von Menschen
unterschiedlichen Alters mit vergleichsweise hohen und höchsten
Qualifikationen bereit, die
a) hinreichend soziale Energien aufbieten konnte,
b) (sofern im Ruhestand) über Zeit und Muße verfügte und mehr oder weniger gut sozial abgesichert war,
c) in der Regel weder überlaufen wollte noch konnte, sondern sich in
hinreichendem Maße für die kritische Reflexion und Erneuerung der
sozialistischen Idee interessiert.
Mithin existiert in Deutschland, im Westen wie im Osten, eine
beachtliche Zahl von (freilich auch fragilen) Institutionen und
Organisationen sowie von Akteuren, die in vielstimmiger Weise sich
produktiv-kritisch auf sozialistische Traditionen beziehen, sich mit
der Theorie- und Verwirklichungsgeschichte des Sozialismus befassen,
sich mit der Reflexion, Kritik, Fortentwicklung sozialistischer Ideen
beschäftigen. Sie beziehen sich dabei auch auf sozialistisch
inspiriertes Denken außerhalb Deutschlands. Und Deutschland ist
wiederum für Sozialisten bzw. Träger von Alternativen aus aller Welt
ein interessantes Pflaster. Zwar ist die Weitergabe von Erfahrungen,
Erkenntnissen und Lernprozessen an nachfolgende Generationen stets
schwierig. Doch die Tradierung sozialistischen Denkens nach dem
Scheitern des Staatssozialismus und der Erosion des
sozialdemokratischen Projekts einer sozialstaatlichen Zähmung,
Bändigung des Kapitalismus scheint mir in Deutschland in der Abfolge
der Generationen zumindest im Ansatz gegeben. Eben deshalb ist
Deutschland trotz seiner neoliberalen Grundierung eines der
Mutterländer der sozialistischen Idee im 21. Jahrhundert.
Fazit: Was bleibt denn nun von der DDR in der deutschen und europäischen Kultur?
Unter der Voraussetzung, dass es auch künftig deutsche und europäische
Kultur(en) geben wird, möchte ich bei meiner zusammenfassenden Antwort
− mit Blick auf kommende Generationen − zwischen Teilhabern an jenen
Kulturen einerseits und Historikern wie historisch Interessierten
andererseits unterscheiden.
Für Herrn und Frau Jedermann wird die DDR aus dem „kommunikativen
Gedächtnis“ (Assmann) etwa 80 bis 100 Jahre nach ihrem Untergang, also
um 2100 verschwunden sein. Hier gilt: Man kann getrost und ohne
größeren Schaden an Leib und Seele zu nehmen von einem Erbe zehren,
ohne viel davon zu wissen oder gar sich der Herkunft zu erinnern. Im
Falle der DDR als Staat und Gesellschaft wird im Rahmen der deutschen
und europäischen Kultur all das bleiben und Bestand haben, was sie an
Linien, Bestrebungen und Tendenzen dieser wie jener entnommen,
aufgegriffen und mit einer Eigenleistung versehen, weitergetragen hat.
Aufgegriffen hat die DDR erstens die (universelle) sozialistische Idee.
Die DDR- „Eigenleistung“ bestand einmal darin – im Verein mit anderen –
die sozialistische Idee in spezifischer Weise auszuformen als
„Staatssozialismus“ und dabei aber mehr als andere Länder des Ostblocks
den Idealtypus des Staatssozialismus zu repräsentieren.
Selbstverständlich kam auch der Sozialismus in den Farben der DDR nicht
ohne systemfremde Krücken aus. Doch die Sonderrolle der DDR im Ostblock
hat im Kontext mit anderen Faktoren dazu beigetragen, dass das
sozialistische Element im nationalen und europäischen Diskurs nach dem
Untergang des Staatssozialismus nicht verstummt ist, ja Deutschland als
eines der Mutterländer der sozialistischen Idee im 21. Jahrhundert
reüssiert. Die DDR hat zweitens den historischen Prozess der
Säkularisierung in spezifischer Weise vorangetrieben. Auf diese Weise
entstand der „ostdeutsche Volksatheismus“, der offenbar irreversibel
ist. Es gibt nur wenige Länder in Europa, von den USA ganz zu
schweigen, in denen die Mehrheit der Menschen religiös nicht mehr
ansprechbar ist. Mit dem Volksatheismus ändern sich die Balancen
zwischen Konfessionen und Konfessionsfreien in Deutschland. Die DDR hat
drittens den weltgeschichtlichen Prozess der Gleichstellung und
Emanzipation der Frauen auf ihrem Territorium entschieden
vorangetrieben, beschleunigt und in der Lebensweise verankern können.
In dieser Hinsicht platzierte sich die DDR im internationalen
Vergleich, trotz aller Unzulänglichkeiten, mit im Spitzenfeld. Dieser
Schub trägt über den Untergang der DDR hinaus − ungeachtet einer
nachholende Modernisierung des Frauenbildes im Westen Deutschlands.
Viertens hat die DDR eine reiche Theater- und Orchesterlandschaft
übernommen, unterhalten und in die Einheit eingebacht. Die
Eigenleistung der DDR in dieser Hinsicht bestand sowohl darin, diese
Spielstätten allesamt zu erhalten als auch darin, dass die DDR sich als
Ort einer auch international viel beachteten Theaterkultur
präsentierte. Deutschland hat heute noch die höchste Theaterdichte der
Welt, wozu beide Teilstaaten beigetragen haben. Zu befürchten ist
indes, dass aus fiskalischen Gründen vor allem im Osten Deutschlands im
Verlaufe des 21. Jahrhunderts ein Theatersterben einsetzt. Schließlich
gilt das Wort Hölderlins „Was bleibet aber, stiften die Dichter“ auch
für literarische, bildkünstlerische, filmische und musikalische
Produktionen, die zu DDR- Zeiten entstanden. Nur wissen wir nicht,
welche Werke von kommenden Generationen rezipiert werden.
Soweit die DDR autonom war und autonom agieren konnte, hatte sie eine
interessante, bunte und wechselvolle Geschichte, die viele
internationale Bezüge aufweist. Die DDR-Geschichte ist zudem eine
abgeschlossene Periode über die vielfältige, nicht zuletzt
dämonisierende Urteile vorliegen, die gerade deshalb Historiker und
historisch Interessierte künftiger Generationen reizen werden, sich mit
ihr erneut zu beschäftigen. Da in Jahrzehnten auch die Archive des
westdeutschen Teilstaates offen liegen werden, sind davon neue
Perspektiven auf die DDR und ihre Geschichte zu erwarten. An der DDR
lassen sich wegen ihrer Nähe zum „Idealtypus Staatssozialismus“ dessen
Leistungen, Defizite und Grenzen am besten ausloten. Autonomie und
wechselseitige Bezogenheit beider deutscher Staaten werden aller
Voraussicht von Historikern kommender Generationen neu vermessen, ihre
Phantasie wie analytische Kraft beanspruchen und zu neuen Entdeckungen
führen. Im vorliegenden Text wurden exemplarisch drei Fälle aufgeführt,
in denen die DDR durch ihre bloße Existenz wie ihr Agieren innere
Vorgänge und Entwicklung der Alt-Bundesrepublik nachhaltig beeinflusst
hat – die (bundes)deutsch-französische Aussöhnung, den Einstieg in eine
de Facto-Einwanderungsgesellschaft und Reformen im Bildungswesen. Zu
erwarten sind Aufschlüsse über weitere Einflussfelder wie auch
Analysen, in welchem Maße der westdeutsche Teilstaat Entwicklungen in
der DDR auslöste.
Historiker und historisch Interessierte künftiger Generation in
Deutschland und Europa werden sich der weltgeschichtlichen und
europäischen Relevanz der deutschen Zweistaatlichkeit als Konstellation
wie auch im Hinblick auf ihre Glieder – DDR und Alt-BRD – annehmen. Sie
werden an sie erinnern und sie im Bewusstsein halten. Bot die
Zweistaatlichkeit vor dem Hintergrund der Verschränkung von deutscher
und europäischer Frage doch den Nachbarn Schutz vor dem in zwei Staaten
existierenden Deutschland und zugleich Schutz für die beiden
Deutschländer im Kalten Krieg vor dem tatsächlichen oder auch nur
vermeintlichen Zugriff des je anderen Blocks. Die Rivalität der beiden
Teilstaaten eröffnete darüber hinaus für Dritte innerhalb wie außerhalb
der beiden gegenüberstehenden Blöcke vielfältige Spielräume und
Handlungsoptionen für das Durchsetzen je eigener Interessen, die
nunmehr entfallen sind.
In „geostrategischer“ Hinsicht spielt das vereinte Deutschland
natürlich in einer anderen Liga als die beiden deutschen Teilstaaten
zwischen 1949 und 1990. Es ist zur Hegemonialmacht in der Europäischen
Union aufgestiegen und hat mit der Grexit-Drohung 2015 seinen
Hegemonialanspruch für alle Welt wahrnehmbar und fühlbar gemacht. Wohin
es das vereinte Deutschland treibt, ist offen. Der Beitritt der
ostdeutschen Länder hat zwar hier und da durchaus Koordinaten der
Bundesrepublik verschoben, doch ist das Gewicht des Ostens im Rahmen
der Bundesrepublik zu gering und die Erbschaft der DDR zu buntscheckig,
ambivalent und bislang zu schwach emanzipatorisch, um die
Entwicklungsrichtung vorherzusehen.
Anmerkungen
[1] Ein Entwurf des Textes wurde im Frühjahr 2015 mit Harald Dehne,
Isolde Dietrich, Gerd Dietrich, Dietrich Mühlberg, Gerlinde Petzold,
Herbert Pietsch und Renate Schuster diskutiert. Vor dem Hintergrund der
Diskussion habe ich den Text überarbeitet. Für die erhaltenen Hinweise
bedanke ich mich ausdrücklich bei allen Beteiligten. Für die Art der
Aufnahme und Verarbeitung der erhaltenen Hinweise und Kritiken bin ich
als Autor natürlich selbst verantwortlich.
[2] Siehe dazu Frank Thomas Koch: Deutsche Kulturgeschichte/
Zeitgeschichte: Über die sozialen Träger von Staat und Gesellschaft in
der Endphase der DDR (1989-1990), in Kulturation. Online Journal für
Kultur, Wissenschaft und Politik Nr. 18 • 2015 • Jg. 38 [13] • Thema
88).
[3] Vgl. Werner Weidenfeld: Der deutsche Weg, Siedler, Berlin 1990.
[4] Vgl. dazu W. I. Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von
Europa, in: Lenin Werke, Band 21, Seite 342-346; Dietz Verlag Berlin,
1972.
[5] Vgl. Positionspapier von Wolfgang Schäuble, Karl Lahmers, Michael
Glos und Günter Rinsche: Überlegungen zur europäischen Politik, 01.09.
1994; vgl. Schäubles Vorschlag eines zeitweiligen Grexit 2015; vgl.
„Wir brauchen ein Kerneuropa.“ Der Politologe Herfried Münkler über die
Griechenland-Krise und die Zukunft der Europäischen Union, Berliner
Zeitung 15. Juli 2015, S, 23.
[6] Vgl. Wolfgang Wessels: Die Europäische Union der Zukunft – Die
Fusionsthese, in: Thomas Jäger; Melanie Piepenschneider (Hrsg.): Europa
2020. Szenarien politischer Entwicklung, Leske + Budrich, Opladen 1997:
75.
[7] Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Bundesrepublik Deutschland und DDR 1949–1990, Beck, München 2008.
[8] „Es bedurfte eines amerikanischen Fachkollegen, um das
Fußnotentheater zu entzaubern. Anthony Grafton veröffentlichte 1995 das
köstliche Buch „Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote“. Darin
lesen wir: „Wie die Toilette macht es die Fußnote möglich, sich
unansehnlicher Aufgaben quasi im stillen Kämmerlein zu entledigen. Wie
die Toilette ist sie vornehm versteckt“, so Götz Aly: Sammler im Garten
der Wissenschaft, Frankfurter Rundschau, 21. Februar 2011, S. 12
(Kolumne).
[9] Vgl. Klaus Schroeder: Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört, wjs, Berlin 2010.
[10] Peter Bender: Unsere Erbschaft. Was war die DDR – was bleibt von ihr? Luchterhand Hamburg Zürich 1992:153; 155.
[11] Einen Überblick über staatliche Gebilde in der deutschen
Geschichte bietet Gerhard Körbler: Historisches Lexikon der deutschen
Länder. Die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart,
Beck, München 1999.
[12] Vgl. Werner Weidenfeld: Der deutsche Weg, Siedler, Berlin 1990.
[13] „Deutschland“ gibt es realiter als politisch und geographisch klar umrissene Größe nicht vor 1871.
[14] Zit. nach Werner Weidenfeld: Der deutsche Weg, Siedler, Berlin 1990: 65.
[15] Um 1800.
[16] Werner Weidenfeld: Der deutsche Weg, Siedler, Berlin 1990: 9.
[17] Wiederherstellung der Staatlichkeit Österreichs (bei
Anschlussverbot an Deutschland) und Luxemburgs; Schweiz; Liechtenstein;
Alt-BRD und DDR.
[18] Vgl. Werner Weidenfeld: Der deutsche Weg, Siedler, Berlin 1990 : 7.
[19] Vgl. Werner Weidenfeld: Der deutsche Weg, Siedler, Berlin 1990 : 182ff.
[20] Klaus Schroeder: Das neue Deutschland. Warum nicht zusammenwächst, was zusammengehört, wjs, Berlin 2010:230.
[21] Vgl. Peter Bender: Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten Deutschland, dtv, München 1996.
[22] Peter Bender: Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten Deutschland, dtv, München 1996: 10.
[23] Vgl. DDR-Handbuch, wiss. Ltg. Hartmut Zimmermann, Bd. 1 Stichwort
Flüchtlinge, Wissenschaft und Politik, Köln 1985: 418-420.
[24] Vgl. Rainer Geißler: Sozialstruktur und gesellschaftlicher Wandel,
in: Karl-Rudolf Korte/Werner Weidenfeld (Hrsg.): Deutschland-Trendbuch.
Fakten und Orientierungen, Leske + Budrich, Opladen 2001: 117.
[25] Vgl. Christian Bommarius: Das Grundgesetz. Eine Biographie, Rowohlt Berlin 2009: 251/252.
[26] Klaus Köhle: Bildungsrestauration, „Bildungskatastrophe“,
Bildungsexplosion: Die Entwicklung des Bildungssystems in der
Bundessrepublik von 1945 bis heute, in: Robert Hettlage: Die
Bundesrepublik. Eine historische Bilanz, Beck München 1990: 236.
[27] Wolfgang Lamprecht: Deutsch-deutsche Reformdebatten vor „Bologna“.
Die „Bildungskatastrophe“ der 1960er Jahre, Zeithistorische
Forschungen/Studies in Contemporary History 4(2007):476.
[28] (Jo)Hannes Hörning: Zu einigen Problemen im Hochschulwesen beim
umfassenden Aufbau des Sozialismus in der DDR, Dietz, Berlin 1965.
[29] Vgl. Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur
politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner,
Werner Conze, Reinhart Koselleck, Studienausgabe, Stichwort
Sozialismus, Bd. 5, Klett-Cotta 2004: 923-996.
[30] Vgl. Horst Groschopp: Worum geht es in der Debatte über den
"ostdeutschen Volksatheismus"? In: Kulturation. Online Journal für
Kultur, Wissenschaft und Politik, Nr. 1/ 2010 Jg. 33(8) Herausgeberin:
Kulturinitiative 89.
[31] Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 1 Arbeitswelt und Bürgergeist, Beck München 1998: 507f; 504; 505.
[32] Vgl. Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur
politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner,
Werner Conze, Reinhart Koselleck, Studienausgabe, Stichwort
Emanzipation, Frauenemanzipation und Emanzipation des Fleisches, Bd. 2,
Klett-Cotta 2004: 185-191.
[33] Vgl. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, 62. Auflage, Dietz, Berlin 1946.
[34] Rainer Geißler: Sozialstruktur und gesellschaftlicher Wandel, in:
Karl-Rudolf Korte/Werner Weidenfeld (Hrsg.): Deutschland-Trendbuch.
Fakten und Orientierungen, Leske + Budrich, Opladen 2001: 124.
[35] Herausgeber BMWI: Deutschland 2014. 25 Jahre friedliche Revolution
und deutsche Einheit – öffentliche Vorstellung eines
Forschungsprojekts. Sind wir ein Volk? Kurzusammenfassung der
Ergebnisse. Februar 2015, S.17.
[36] Vgl. Dietrich Mühlberg: Über die Kunstliebe der Deutschen, 2015.
[37] Hans-Ulrich Wehler: Die späten Kosten der Realisierung schöner
Utopien, in: derselbe: Die Gegenwart als Geschichte, Beck, München
1995: 233- 245; die wörtlich zitierte Stelle auf S. 234.
[38] Michael Brie: Ist eine sozialistisch orientierte Wissenschaft
überhaupt möglich? In: M. Brie/Dieter Klein (Hg.): Umbruch zur Moderne,
Hamburg 1991:150.
[39] Dieter Bingen: 1000 Jahre wechselvoller Geschichte, Informationen
zur Politischen Bildung Nr. 311, Bundeszentrale für Poltische Bildung
2006.
[40] Vgl. Siegrid Meuschel: Legitimation und Parteienherrschaft. Zum
Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945-1989, Suhrkamp,
Frankfurt am Main 1993.
[41] Vgl. Schmidt, Walter. „Deutsche Geschichte als Nationalgeschichte
der DDR“, Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde, 25 (1983):
299-308.
[42] Michael Brie: Realsozialismus zwischen antikapitalistischem
Ausbruchsversuch und Selbstaufhebung, in: M. Brie/D. Klein (Hrsg.):
Zwischen den Zeiten. Ein Jahrhundert verabschiedet sich, VSA, Hamburg
1992: 84; 86.
[43] Siehe dazu auch: Uli Schöler: Ein Gespenst verschwand in Europa.
Über Marx und die sozialistische Idee nach dem Scheitern des
sowjetischen Staatssozialismus, J. H. W. Dietz, Bonn 1999.
[44] Michael Brie: Ist eine sozialistisch orientierte Wissenschaft
überhaupt möglich? In: M. Brie/Dieter Klein (Hg.): Umbruch zur Moderne,
Hamburg 1991: 154 f.
[45] Vgl. Uli Schöler: Ein Gespenst verschwand in Europa. Über Marx und
die sozialistische Idee nach dem Scheitern des sowjetischen
Staatssozialismus, J. H. W. Dietz, Bonn 1999.
[46] Werner Weidenfeld: Karl-Rudolf Korte: Die Deutschen. Profil einer Nation, Klett-Cotta, Stuttgart 1991: 239.
[47] Jörn Schütrumpf: Der rote Oktober, Neues Deutschland Sonnabend/Sonntag, 1./2. November 2014, S. 21.
[48] Vgl. Jürgen Trittin: Stillstand. Made in Germany. Ein anderes Land ist möglich, Gütersloh 2014.
[49] Vgl. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe/Harald Welzer (Hg.): Zwei Grad
mehr in Deutschland. Wie der Klimawandel unseren Alltag verändern wird.
Das Szenario 2040, Frankfurt a. M. 2013; Gwynne Dyer: Schlachtfeld
Erde. Klimakriege im 21. Jahrhundert, Stuttgart 2010; Harald Welzer:
Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Frankfurt a. M.
2008.
[50] Peter Bender: Unsere Erbschaft. Was war die DDR – was bleibt von ihr? Luchterhand, Hamburg Zürich 1992: 28; 116-119 .
[51] Vgl. Oscar W. Gabriel: Politische Orientierungen und
Verhaltensweisen, in: Berichte der KSPW zum sozialen und politischen
Wandel in Ostdeutschland Bd.3 Politisches System, Leske + Budrich,
Opladen 1996: 243 [Tabelle1].
[52] Peter Bender: Unsere Erbschaft. Was war die DDR – was bleibt von ihr? Luchterhand, Hamburg Zürich 1992: 28.
[53] Vgl. Klaus Schroder/ Monika Deutz-Schroeder: Gegen Staat und
Kapital – für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland – eine
empirische Studie, Verlag Peter Lang, Frankfurt a. M. 2015; vgl.
Herausgeber BMWI: Deutschland 2014. 25 Jahre friedliche Revolution und
deutsche Einheit – öffentliche Vorstellung eines Forschungsprojekts.
Sind wir ein Volk? Kurzusammenfassung der Ergebnisse. Februar 2015, S.
25.
[54] Demokratischer Sozialismus: https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratischer_Sozialismus [Zugriff: 30.06.2015]).
[55] Vgl. Ralf Dahrendorf: Die Chance der Krise. Über die Zukunft des Liberalismus, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1983.
[56] Vgl. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, 62. Auflage, Dietz, Berlin 1946.
[57] Vgl. Wolfgang Engler: Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land, Aufbau, Berlin 1999: 173-208.
[58] Vgl. Raj Kollmorgen: Aus dem Osten an die Spitze? Ostdeutsche in
den bundesdeutschen Eliten, Berliner Debatte Initial 26(2015) 2, 17-33.
[59] Quelle siehe Anmerkung 47.
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