KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
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TextKulturation 2/2003
Franziska Sauerbrey
Carl Heil – Rundfunkpionier in der Weimarer Republik und im französischen Exil. Biographie eines liberalen Intellektuellen
Methodische Vorbemerkungen

Methodisch sei vorweg angemerkt, dass die Quellenlage bezüglich Heil mehrfach ineinander verzahnt ist und zudem in Schleifen veröffentlicht und damit immer wieder reproduziert wurde. So stützt sich Frau Schiller-Lerg für ihre „rundfunk-biographische Skizze“ zum einen auf Auskünfte der Schwestern Heils, zum anderen auf die handschriftliche biographische Skizze, welche Yvan und Éveline Brès am 27. Oktober 1983 bei ihrem Interview mit Heil angefertigt haben. Außerdem verarbeitet Frau Schiller-Lerg darin das Interview, welches Hélène Roussel am 1. und 3. Juni 1983 mit Heil geführt und ihr zur Verfügung gestellt hat. Dieses Interview haben mir Herr und Frau Brès anlässlich meines Besuches in einer Kopie überlassen, und es lässt sich daraus schließen, dass - neben den eigenen handschriftlichen Aufzeichnungen beim Gespräch mit Heil - das Ehepaar Brès ebenfalls auf diese Ausführungen für die Erstellung ihrer Heil-Biographie zurückgegriffen (und die Umschreibungen von Frau Roussel als Zitate von Heil übernommen) haben. Es könnte auch sein, dass sich Heil einfach in seinen Formulierungen wiederholt hat und deshalb die Mitschriften zum Teil identisch sind. Das aber konnte ich nicht nachprüfen, da Herr Schellin, der am Saarländischen Rundfunk arbeitet und 1998 das Ehepaar Brès besuchte und interviewte, die handschriftliche Niederschrift des letzten Interviews zwischen Brès und Heil mitgenommen hatte, aber nicht wieder zurückschickte. Trotz nachhaltiger Bitten blieben meine telefonischen und schriftlichen Nachfragen unbeantwortet.

Zu meinem Interview mit Herrn und Frau Brès in Valence ist zu sagen, dass sich die beiden laut eigener Aussage aus Altersgründen kaum noch an Daten und Details der 60 bzw. 20 Jahre zurückliegenden Begegnungen mit Heil erinnern. Was ihnen allerdings noch sehr präsent ist, ist die Einschätzung der sozialen Verhaltensweise, die sie bei ihrem Freund von Anfang an hoch geschätzt haben. Insofern richtete ich, nachdem meine Detailfragen nur zum geringen Teil geklärt werden konnten, die Fragen vor allem darauf, was den beiden heute noch von Heils Wesen und Persönlichkeit im Gedächtnis haften geblieben ist. Hier war die Auskunft sehr detailliert und reichhaltig.

Frau Schiller-Lerg bezieht sich in ihrem Essay außerdem auf zwei Briefe zwischen Frau Dr. Rossbach, der ehemaligen Leiterin des Historischen Archivs im WDR, und Carl Heil. Diese Briefe sowie zahlreiche weitere der Korrespondenz zwischen Heil und Rossbach durfte ich mit freundlicher Genehmigung des WDR einsehen und für meine Arbeit verwenden./1/

Im Interview mit Roussel beschreibt Heil, dass anlässlich seines Klinikbesuchs/2/ sein Zwei-Zimmer-Appartement in Paris ohne sein Wissen auf Veranlassung seiner Schwester auf- und zum Teil ausgeräumt wurde. Dabei seien seine Materialien mit einer umfangreichen Dokumentation über das Kölner Radio aussortiert, mitgenommen und verkauft worden. Das erklärt, warum sich unter den mannigfaltigen Dokumenten, in die ich in Valence Einsicht hatte, so gut wie keine Unterlagen aus der Kölner Zeit befinden. Allerdings schrieb Heil selbst bereits in seinem Wiedergutmachungsantrag an den NWDR 1954: „Dreimal in einem Jahrzehnt habe ich so gut wie alles, was ich besaß, eingebüsst, damit auch Schriftstücke, die jetzt als Belege dienen könnten.“ Da es sich hier um Schriftstücke aus seiner Zeit an der Werag handelt, kam also bereits nach Kriegsende ein Großteil seiner Unterlagen abhanden. Umso enttäuschender ist die Tatsache, dass ein Manuskript mit Erinnerungen an seine Zeit bei der Werag, die Heil im August 1967 Frau Rossbach schickte, nicht mehr auffindbar ist. Im Brief vom 01.05.1974 an Herrn Först erwähnt Heil selbst seine „sogenannten ,Erinnerungen‘“. Weder im historischen Archiv des WDR, noch im DRA sind sie aufzufinden, und auch Herr und Frau Brès wissen nichts über sie.

Zur Übersetzung der französischen Texte: Die Zitate aus dem Buch des Ehepaars Brès habe ich selbst übersetzt, ebenso wie die aus dem Nachruf auf Heil, aus dem Interview mit Heil von Hélène Roussel sowie die Dokumente aus Heils Nachlass, die sich in Valence befinden (Zeitungsartikel, Briefe, etc.). Gedruckte und veröffentlichte Quellen gebe ich nicht im Original wieder, alle anderen Dokumente zitiere ich in der Fußnote außerdem auf französisch.


I.
1901 bis 1933: Der Weg zum Radio

„Ich sollte dort einen neuen Beruf entdecken, der nichts mit dem Theater zu tun hatte.“/3/

Kindheit und Jugend

Carl Heil wurde am 15. Februar 1901 in Elberfeld /4/ als ältestes von vier Kindern geboren. Er betont die für die lokalen Verhältnisse seinerzeit untypische Situation, dass nämlich seine Eltern verschiedenen Konfessionen angehörten: Während sein Vater, ursprünglich aus Hessen stammend, katholisch war, kam seine Mutter als Preußin aus einer protestantischen Familie. Obwohl der Vater auf Wunsch seiner Eltern Pfarrer werden sollte, entschied er sich für den Beruf des Maurers, wofür er in Kauf nahm, sich gegen seine Familie aufzulehnen und sich von ihr zu isolieren. Der Bruch mit seinen Angehörigen wurde endgültig, als er nicht nur eine Protestantin zur Frau nahm, sondern die Ehe außerdem in einer protestantischen Kirche schloss. Carl Heils Mutter, geborene Bukowski, war ebenfalls Arbeiterin, „aber das Milieu, in dem ich als Kind groß werden sollte, entsprach nicht dem Stereotyp, den man sich manchmal vorstellt. [...] Sich selbst voll und ganz als Arbeiterin betrachtend, hatte sie [seine Mutter] eine tief verwurzelte bourgeoise Gesinnung, einen großen Respekt vor den Regeln.“ /5/ Neben der ordentlichen Haushaltsführung seiner Mutter mit viel Sinn für Alltagsästhetik beschreibt Heil außerdem die Mitgliedschaft seiner Eltern in einer bürgerlichen Organisation, die für gute Gesundheit durch Beachtung der natürlichen Prinzipien, wie Sonnenbäder und gesunde Ernährung, eintrat. Dennoch war sein Vater Mitglied der sozialistischen Partei. Eine Hinwendung zum bürgerlichen Lebensstil könnte man auch aus folgendem Zitat ablesen:

„In dem Appartement, in dem wir wohnten, war alles ganz sauber; in der Küche glänzte alles und nach dem Essen legte meine Mutter ein Tischtuch auf, dessen Saum mit Blumen bestickt war; was die Kleidung betrifft, gab es nicht die geringste Nachlässigkeit: sobald es auch nur ein winziges Loch gab, wurde es sofort geflickt.“ /6/

Die Eltern Heil wollten ihren Kindern ein leichteres Leben ermöglichen, als es das ihrige gewesen war. So verboten sie Carl, ebenso wie seinen Geschwistern Willy (geboren 1902), Carola (1914) und Waltraut (1918), sich mit ihren Freunden im regionalen Dialekt zu unterhalten. Statt dessen sollten sie, wie die Mutter, reinstes Hochdeutsch sprechen. Nach Beendigung der Grundschule erhielt Carl Heil sein erstes Stipendium, das für gute Schüler aus weniger vermögenden Familien vergeben wurde. Seinem Mittelschulabschluß 1918 folgte die Präparandenanstalt und das evangelische Schulseminar in Mettmann bei Düsseldorf, wo er 1921 das Lehrerexamen bestand. /7/

Heil glaubt dem Umstand, am 15. Februar geboren worden zu sein, zu verdanken, dass er nicht in den Ersten Weltkrieg geschickt wurde: „[...] weil ich nur ein klein wenig zu jung war; soweit ich mich entsinne, wurden die im Januar 1901 geborenen Deutschen eingezogen.“ /8/


Studium und Ausbildung

Da Heil nach Abschluss seiner Lehrerausbildung 1921 keine Anstellung bekam, /9/ ging er nach Köln, um dort bei Professoren zu studieren, die auch heute noch einen gewissen Bekanntheitsgrad genießen: Nach Erlangen des Latinums belegte er bei Friedrich von der Leyen deutsche Philologie, deutsche Literatur bei Ernst Bertram, und bei Max Scheler Philosophie. Außerdem studierte er Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft. /10/ Seine Doktorarbeit, die die Legende von Samson und Dalila zum Thema hatte, /11/ beendete er nicht, da er noch vor ihrem Abschluss, im Januar 1927, bei der Werag angestellt wurde: „Ich stand dem Rundfunk buchstäblich Tag und Nacht zur Verfügung und fand nicht einmal mehr die vierzehn Tage Zeit, die ich nur noch zur Beendigung meiner Doktorarbeit nötig gehabt hätte.“ /12/ Im Interview mit Frau Roussel sagt Heil, dass er seine ehemals vier Hauptfächer in ein Hauptfach und zwei Nebenfächer ändern musste, um die Dissertation beginnen zu dürfen. So bestand seine Fächerkombination aus Germanistik im Hauptfach und Geschichte und Philosophie als Nebenfächer. /13/ Seine breit gefächerte geisteswissenschaftliche Ausbildung mit künstlerischem Schwerpunkt erweiterte Heil in praktischer Hinsicht durch außeruniversitäre Beschäftigungen am Theater, denn er spielte - nach einschlägigen Erfahrungen auf Studentenbühnen - sowohl an der als progressiv einzuschätzenden Freien Volksbühne in Köln, am dort ansässigen Theater des werktätigen Volkes sowie bei der Gesellschaft für Fest- und Mysterienspiel, einer stark katholisch ausgerichteten Organisation. Neben seiner schauspielerischen Tätigkeit war er außerdem bei den genannten Institutionen als Inspizient tätig. /14/ Palmier führt Heils Unvoreingenommenheit hinsichtlich der unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen der Institutionen darauf zurück, dass er „noch keine genaue politische Idee hatte“. /15/ Heil selbst schätzte seine Arbeit bei der Freien Volksbühne zum einen, weil er nach seiner Amateurtheaterzeit nun ernsthaftes Schauspiel lernen konnte: „Die ersten Theaterjahre waren also als Jahre der Ausbildung angesehen.“ /16/ Zum anderen half ihm die dortige Arbeit, seine Einkünfte durch Stipendium und Privatstunden - wenn auch nur geringfügig - zu erhöhen. Das durch die Volksbühne angesprochene Publikum beschrieb er als „fortschrittliche Kleinbürger“ und „Arbeiter“./17/ Noch vor Heils Anstellung bei der Werag musste die Freie Volksbühne aus Geldmangel schließen.


Die Werag als Arbeitgeber

Im Januar 1927 spricht Heil Ernst Hardt vor, der ihn für die Werag engagiert. Er bricht sämtliche Theaterverpflichtungen ab, um voll und ganz der Radiostation zur Verfügung zu stehen. „Er wurde zunächst mit der Inspektion von Sendespielen und Hörfolgen betraut. Insbesondere nahm er tatkräftig und voller Experimentierfreudigkeit teil an der Einrichtung und dem Ausbau der ,akustischen Coulisse‘, die am hiesigen Sender - dank Heils Initiative und Energie - zu allgemein anerkannter Vollkommenheit hinangeführt wurde. Carl Heil [...] wurde [...] schon bald zur Hilfsregie herangezogen und mit der Einstudierung von Sprechchören sowie mit der selbständigen Einübung von Lehrspielen, Hörfolgen und - zunächst - kleineren funkscenischen Werken betraut. In den letzten Jahren besorgte er dann selbständig die Einstudierung und Inscenierung von größeren Werken: Hörspielen, Märchen, Lustspielen und Spielopern.“ /18/

Diese Darstellung entspricht der Carl Heils, der betont, dass er, weil er ohne Vertrag am Sender arbeitete, eine enorme Flexibilität innerhalb des Hauses genoss: „Ohne Vertrag konnte ich hier und dort arbeiten, während ich mit einem Vertrag an eine einzige Abteilung gebunden gewesen wäre.“ /19/

Dafür, dass Heil der Werag rund um die Uhr zur Verfügung stand, wurde er angemessen entlohnt: Wie er später in seinem Wiedergutmachungsantrag an den WDR schreibt, bekam er damals circa 1000 Reichsmark pro Monat.

Am Anfang, so Heil, habe er zwar sehr oft in Hörspielen als Sprecher mitgewirkt, allerdings nur in kleinen Rollen. Diese Einschätzung deckt sich wiederum mit den Sprecher-Auflistungen in der Wochenzeitschrift Werag /20/: Noch 1930 befindet sich Heil in der Auflistung so gut wie immer an letzter Stelle, also in der kleinsten Rolle.

„Seine schauspielerische Tätigkeit am Theater - auch beim Film soll er kleine Rollen übernommen haben - ging jedoch offensichtlich nicht auf große künstlerische Ambitionen zurück.“ /21/ Dieser Ausspruch im Aufsatz von Schiller-Lerg verwundert, da sie zum einen zuvor von Heils Sprecher- und schauspielerischen Tätigkeit am Rundfunk gesprochen hatte, zum anderen bald darauf Heils Pionierleistung erwähnt, was die Entwicklung einer adäquaten und ausgefeilten Geräuschkulisse für den Rundfunk betrifft. Ich halte beides hingegen durchaus für künstlerisch ambitionierte Tätigkeiten. /22/ Auf Heils Mitwirkung beim Film kommt Schiller-Lerg selbst noch zu sprechen: Heil wirkte als Statist in „La Kermesse Héroique“ von Jacques Feyder mit, der 1935 gedreht wurde sowie in „La Grande Illusion“ von Jean Renoir, entstanden 1937. Er spielte den Offizier, der die Befehle Erich von Stroheims den französischen Gefangenen übersetzt; allerdings erschien sein Name nicht im Abspann, da er bereits von Goebbels zum Tode verurteilt worden sein soll. /23/ Er selber erwähnt das Todesurteil nicht, spricht lediglich davon, dass sein Name „aus Sicherheitsgründen“ nicht genannt wurde. /24/ Abgesehen davon synchronisierte er bereits 1930 den Film „Prix de Beauté“ von Augusto Genina, zu deutsch: „Miss Europa“. Er sprach drei Rollen des Filmes, musste aber herbe Kritik hinsichtlich der noch mangelhaften Synchronisationstechnik einstecken: Die Worte waren nicht ausreichend den Lippenbewegungen der Schauspieler angepasst. /25/ Neben seiner Synchronisationstätigkeit allerdings war er außerdem für die Tonuntermalung sowie für die akustischen Effekte zuständig. /26/ Anlässlich des Films „Prix de Beauté“ fuhr Heil zum ersten Mal nach Paris. Das Visum, das er für diesen Aufenthalt bekam, sollte ihm später sein Exil in Frankreich ermöglichen.

1933 litt Heil als bekennender Pazifist und als Person, die in ihrer beruflichen Funktion immer wieder den Unterprivilegierten das Wort erteilte, /27/ unter den Repressalien des Naziregimes. Am 15.02.1933 wurde seine Wohnung durchsucht, weil er verdächtigt wurde, nationalsozialistische Ausgaben verbrannt zu haben. /28/ In den Unterlagen des WDR habe ich in einem Ordner über Rudolf Rieth - in einem maschinengeschriebenen Beitrag für die Hauszeitschrift vom 09.02.1973 - folgende Beschreibung des Jahres 1933 gefunden: „... wo nach dem 30. Januar ganz andere ,Stimmung‘ herrschte: während der Hitlerrede waren Fensterscheiben eingeworfen worden, im Lumpenball-Kostüm von Carl Heil fahndete man nach einem Geheimsender, veranstaltete man polizeiliche Haussuchung usw.“


Abschied von der Werag

Am 31. März wurde Heil von seinem Vorgesetzen, Rudolf Rieth, auf Befehl des kommissarischen Intendanten, Dr. Siegfried Anheisser, entlassen. „Das Propagandaministerium wechselte die Verwaltung des Radios aus und ich wurde vor die Tür gesetzt. Bis Hitler an die Macht kam, war der Dichter Ernst Hardt Intendant des WDR in Köln, aber er wurde seiner Funktionen enthoben, als jemand, der Liberaler und kein Nazi war. Der designierte Nachfolger gehörte zum Haus, wo er der Musikabteilung vorstand und seine Beförderung der Tatsache verdankte, dass er bei den Nazis nicht schlecht angesehen war. Er hat mich rausgeworfen: ich wurde als links angesehen, sogar als Kommunist oder Sozialist.“ /29/

Seine Entlassung begründet Heil später in seinem Wiedergutmachungsantrag an den WDR, in dem er auf die Frage „In welcher Form und mit welcher Begründung ist Ihr Dienstverhältnis seinerzeit beendet worden?“ folgendermaßen antwortet: „Auch nach dem ,Umbruch‘ hatte ich nicht verheimlicht, dass ich weder die Methoden der Nationalsozialisten noch deren Auffassung von Kultur und Menschenwürde schätzte.“ So schreibt denn Heil später auch in einem Brief an Herrn Först vom WDR, Hauptabteilung Politik: „Nur eins sei noch gesagt, Entlassung oder nicht, es stand für mich schon lange fest, nicht in einem nazifizierten Funkhaus zu arbeiten.“

Eigentlich hatte Heil vor, in Köln zu bleiben, weil seiner Meinung nach der Naziterror dort nicht so schlimm wie in den anderen Städten war. „Aber das war eine Illusion.“ /30/

Dem Umstand, dass er - weil er in Köln und Umgebung bereits zu bekannt war - seinen Vornamen in Charles änderte, verdankte er ein Angebot für einen Lehrerposten in Elberfeld im April 1933. „Und das, weil das Schulamt den Charles Heil, der Anspruch auf eine Lehrstelle hatte, nicht mit dem Carl Heil verglichen hatte, der vom Radio verjagt wurde.“ /31/ Ursprünglich wollte Heil die Stelle nicht annehmen, da er „nicht darauf warten wollte, festgenommen zu werden“, denn er ging davon aus, dass, „auch wenn die Lehre noch nicht gleichgeschaltet worden war, dies nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.“ /32/ Allerdings kannte Heil, wie sich herausstellen sollte, den Direktor der Schule, der ein früherer Mitschüler von ihm war; dieser überredete ihn, die vier Tage, die noch bis zu den großen Ferien zu bestreiten waren, den Lehrberuf auszuüben. Während der Ferien löste Heil seine Wohnung auf und schickte seiner Familie ein Großteil seiner Bücher. Nach einer Kurzvisite in Paris, auf der er sich bei deutschen Emigranten nach den Möglichkeiten erkundigte, in Frankreichs Hauptstadt zu leben, kam er für wenige Tage zurück nach Elberfeld. Ende April ging er endgültig nach Paris ins Exil. Seine Begründung: „Ich wollte mich nicht gleichschalten.“ /33/ Hätte Heil zu diesem Zeitpunkt erst nach einem Visum gefragt, es wäre ihm wohl verwehrt worden. Glücklicherweise besaß er noch jenes von 1930, welches man ihm anlässlich seiner ersten Parisreise ausgestellt hatte.


II.
1933 bis 1945: Ein Leben zwischen den Fronten

Wirtschaftliche Zwänge


„Die Verbindungen, die er aus den früheren Tätigkeiten in Paris hatte, nutzten ihm jedoch nicht viel. Der Rundfunk in Frankreich war damals noch vorwiegend privatrechtlich organisiert [...].“ /34/Schiller-Lerg ist hier ein Fehler unterlaufen: M. Platrier, der Direktor des Senders Radio-Paris, an welchem Rieth und Heil 1931 den „Krassin“ inszeniert hatten, konnte Heil keine Stelle anbieten, gerade weil der Sender nicht mehr privat war, sondern verstaatlicht werden sollte./35/ Fürderhin durften nur noch Beamte bei Radio-Paris arbeiten - selbst M. Platrier wurde seiner Aufgaben enthoben.

Die deutsch-niederländische Tobis Klang Film Gesellschaft, für die Heil 1930 in „Prix de Beauté“ gearbeitet hatte, suchte er nicht mehr auf, weil sie nun Nazideutschland zugehörte. Heil war wirtschaftlich auf die Flüchtlingshilfsorganisationen angewiesen, die allerdings nicht mehr als das Nötigste an Nahrung zur Verfügung stellen konnten. Inwiefern das Gerücht seiner vermeintlich jüdischen Abstammung oftmals sein Leben beeinflusste, zeigt folgende Anekdote - wenngleich sie im Leben Heils insgesamt eine Ausnahme darstellt, als sie einen positiven Ausgang hat: In einer Flüchtlingsorganisation musste man einen Beweis seiner jüdischen Abstammung vorlegen, um Essen ausgehändigt zu bekommen. Heil zeigte den Artikel des „Westdeutschen Beobachters“ vom August 1932, in dem er als Jude dargestellt wurde; es hieß darin: „Die Spielleitung in der Jugendfunkstunde besorgt der Jude Heil.“ Wohlwissend, dass Heil tatsächlich kein Jude war, sagte die Dame an der Essensausgabe, Tochter eines Rabbiners: „Das geht in Ordnung! Mit diesen Dokumenten hast du das Recht, Hilfe zu bekommen.“ /36/ Am Ausgang wurden Heil außerdem ein Beutel und Tabak angeboten, die er mit den Worten „Danke! Ich rauche nicht und bin nicht jüdisch.“ /37/ ablehnte. Daraufhin die kommunistische Rabbinertochter: „Also bist du Partisan der objektiven Wahrheit? Die Wahrheit hat mehrere Gesichter.“ /38/

Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, bis zu dem Moment, in dem er durch Beziehungen an die nächste Festanstellung gelangen könnte, hielt sich Heil mit den „verschiedenartigsten Zufallsbeschäftigungen“ über Wasser: „Stundengeben, Geschirrwaschen, Verteilen von Reklameprospekten, Koffertragen, Nachsynchronisierungen usw.“ Außerdem setzte er sich mit Herrn Habaru, einem belgischen Journalisten, in Verbindung, mit dem er bereits an der Werag 1930 ein Dossier über die sozialen Fragen verfasst hatte. Heil vermittelte ihm Informationen über Hitlerdeutschland, Habaru veröffentlichte sie, und Heil wurde von Habarus Zeitung bezahlt. Schiller-Lerg erwähnt außerdem, dass Heil manches Mal als literarischer Übersetzer Geld verdiente sowie die Tatsache, dass er seine literaturwissenschaftlichen Studien an der Universität weiterführte.


Soziale Kontakte

Heil unterhielt freundschaftliche Verbindungen mit diversen anderen Flüchtlingen, meist Intellektuellen, oft Kommunisten bzw. „Weggefährten“ /39/ jüdischer und nichtjüdischer Abstammung. Zu seinen Freunden zählten die Schriftsteller Alfred Kantorowicz und Vladimir Pozner, den er durch Alexander Maass kennengelernt hatte, welcher wiederum über Moskau ins Pariser Exil gelangt war; in Frankreich galt Maass als „Verfechter des proletarischen, progressiven oder revolutionären Theaters“. /40/ Pozner ließ Heil einige Zeit bei sich wohnen. Heil traf im Exil auch Friedrich Wolf wieder, der ihm Berty Albrecht vorstellte. Sie kümmerte sich intensiv um die Flüchtlinge und führte Heil in ihren engeren Freundeskreis ein, zu dem ebenso der Philosoph Gustave Regler, als auch der Schriftsteller Rudolf Leonard, der Skulpteur Lipschitz und die polnische Malerin Motia Hirschowitz gehörten. Heil gab den beiden Kindern von Berty Albrecht Deutschunterricht. /41/ 1934 kam Heils Verlobte Elisabeth Ernst, geborene Thürey, nach Paris, wo beide 1939 heirateten. Die Ehe wurde kinderlos geschieden, wobei das Scheidungsdatum ungewiss ist./42/

Über Beziehungen seiner Verlobten gelang es Heil, an der Tobis - trotz deren Zugehörigkeit zu Nazideutschland - eine Arbeit als Geräuschingenieur für Stummfilme und Synchronisationen zu bekommen, da vergleichbare Fachleute unter den Franzosen nicht zu finden waren. /43/ „Ich habe sie [die Arbeit] angenommen, aber das war eine absolut neutrale Anstellung, außerhalb jeder politischen Frage. Es gab mir von Zeit und Zeit Arbeit. Tatsächlich wurde ich, nachdem ich begann, die Geräusche zu machen, kurz danach für andere Filme verlangt. [...] Ich habe diese Arbeit bis zum Krieg gemacht. [...] Die Leute, die dort arbeiteten, waren Franzosen, und allein der Toningenieur war ein deutscher Emigrant.“ /44/ Eine Durchsicht der von Heil synchronisierten und toninszenierten Filme wäre nötig, um sich die Inhalte genauer anzusehen. Allerdings würde dies zum einen den Umfang meiner Arbeit sprengen, zum anderen besteht hier wahrscheinlich das gleiche Problem wie bei „La Grande Illusion“: Da Heil als Antifaschist bekannt war, erschien er höchstwahrscheinlich nicht im Abspann, wenn seine Tätigkeit überhaupt jemals aufgelistet wurde. Eine Überprüfung steht noch aus. Heil schreibt selbst, dass er außer in „La Kermesse Héroique“ und „La Grande Illusion“ noch in zwei anderen Filmen mitgespielt habe, die aber „völlig unbedeutend“ /45/ gewesen seien.


Politisches Engagement: Teilnahme am „Guerre des Ondes“

Heil schrieb keine Beiträge für Emigrantenzeitungen wie „Die Aktion“, „Pariser Tageblatt“ oder „Das blaue Heft“, weil er sich nicht in die damit einhergehenden Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Exilfraktionen einlassen wollte: Damit hätte auch er einen Beitrag zur Spaltung der Emigrierten geleistet, /46/ was er nicht beabsichtigte. Dass dies allerdings der einzige Grund für seine Zurückhaltung war, zeigt nach Brès’ Meinung die Tatsache, dass er ab Januar 1937 als deutscher Sprecher beim französischen Radio angestellt wurde, welches dem Postministerium unterstand. Dieses sogenannte Radio Strasbourg /47/, im März 1936 ins Leben gerufen, ging auf eine Idee Pascal Copeaus zurück. Sein Konzept: Der deutschen Propaganda, die in französischer Sprache von Paul Ferdonnet verbreitet wurde, sollte mit deutschsprachigen Sendungen geantwortet werden. /48/ Um selbst ungewollter Tendenz unter den Sprechern vorzubeugen, ließ die Regierung drei französische Professoren, deren Spezialgebiet die deutsche Sprache war, alle Nachrichtensendungen vor ihrem Erscheinen zensieren. In der deutschen Redaktion arbeiteten unter anderem der Romanautor Hans Siemsen, der ehemalige Sekretär und Übersetzer von Stresemann, Hans Jacob sowie der Filmemacher Max Ophüls. Heil war der Hauptsprecher der deutschen Abteilung, laut Schiller-Lerg wurde er im Juli 1937 bereits alleiniger Sprecher der drei täglichen Nachrichtensendungen. Für diese insgesamt 75 bis 85 Minuten pro Tag erhielt er 15 Francs. /49/ „Das Programm von ,Radio Strasbourg‘ war mit seiner propagandistischen Zielsetzung zweifellos ein politisches Instrument und wurde nicht nur jenseits der Grenze scharf kritisiert und mit allen diplomatischen und publizistischen Mitteln bekämpft. Auch in Frankreich selbst wurde unverhohlen Kritik an der Mitarbeit von Emigranten in der staatlichen Rundfunkeinrichtung laut, da man der Tatsache, dass deutsche Emigranten öffentlich gegen das Hitlerregime polemisierten und argumentierten, mit großer Skepsis begegnete. [...] Das verlangte ihm [Heil] allerdings auch eine politische Haltung ab. Immerhin musste er, der eingeschworene Pazifist, von französischer Seite den Vorwurf einstecken, daß er in seiner Rolle als Sprecher dieser Sendungen nicht gerade ,zur Befriedung‘ der Gemüter beitrage.“ /50/

Leider gibt Schiller-Lerg nicht die Quelle an, wenn sie als Grund für Heils kurzfristige Entlassung als Sprecher zitiert, dass Heil eine „hasserfüllte Hetze in preußisch-jüdischem Akzent“ /51/ vorgehalten wurde. Angesichts Brès’ Ausführungen ist aber davon auszugehen, dass dieser Vorwurf von elsässischer Seite vorgebracht wurde, da man es hier als eine Art widerrechtliche Inbesitznahme ansah, aus Paris kommende Sendungen in deutscher Sprache ausstrahlen zu müssen. /52/ Die Kritik richtete sich außer gegen den Akzent /53/ auch dagegen, dass Emigranten für die Sprechertätigkeit ausgewählt wurden sowie gegen die vermeintliche Freiheit, die den Sprechern gewährt wurde, zum einen, was ihre Übersetzungen, zum anderen, was die Auswahl und Präsentation ihrer Texte anging (was, wie oben dargestellt, nicht ein Privileg, sondern die Hauptschwierigkeit ihrer Arbeit war, da die Texte vor Sendung so gut wie noch gar nicht aufbereitet waren).

Heil wurde also als Sprecher entlassen, da fortan nur noch Franzosen im Radio zu hören sein sollten, allerdings wurde ihm gleichzeitig durch Copeaus Vermittlung eine Beschäftigung am selben Sender in der Übersetzungsredaktion angeboten. Der neue Job brachte keine finanzielle Verschlechterung, wegen des Mehraufwandes verdiente er nun sogar 30 Francs pro Sendung. Dennoch missfiel ihm der Wechsel, da „der Minister sich der nationalistischen und gleichzeitig nazifreundlichen Presse gebeugt hatte.“ /54/ Aufgrund von Sparzwängen wurden im März 1939 die beiden zuletzt eingestellten Redakteure, darunter auch Heil, entlassen.


Internierung in Südfrankreich

Im September des gleichen Jahres, Heil war immer noch arbeitslos, sollten sich alle deutschen und österreichischen Ausländer in sogenannten Sammlungszentren zusammenfinden. Heil ging zum Sender, um Copeau zu treffen: Er hoffte, indem er sich auf seine Dienste für das französische Radio berief, diesem Aufruf nicht nachkommen zu müssen. Copeau setzte am gleichen Tag durch, dass Heil wieder als Sprecher angestellt wurde./55/ Noch am Tag des Einmarsches der deutschen Truppen in Paris, am 10. Mai 1940, wurde Heil (und übrigens auch Döblin, der ebenfalls an den Sendungen teilnahm), aufgetragen, in einem aggressiven Ton und in einer aggressiven Sprache zu sprechen, „um den Deutschen Angst zu machen.“ /56/

Am 6. Juni 1940 /57/ folgte Heil dem Aufruf, der allen Deutschen in Paris galt, und fand sich im Stade Buffalo ein. Es hieß, man wolle nur die Papiere überprüfen und nach zwei bis drei Tagen könne man wieder nach Hause gehen, aber statt dessen wurde Heil mit anderen Deutschen und Österreichern mit einem Zug nach Nîmes gebracht und von dort weiter ins Arbeitslager Langlade, das etwa 12 Kilometer südwestlich von Nîmes liegt. In Langlade war er Teil der 304. Gruppe der Ausländischen Arbeiter. /58/ Er blieb in Langlade bis Juli 1943, war allerdings nur bis Ende 1941 im Lager interniert.

Da die Insassen das Lager auch verlassen durften, freundete sich Heil mit einem Pastor an, was nahe lag, da - nach eigener Aussage Heils - vor allem Pastoren und Protestanten sich um das Wohl der Gefangenen kümmerten. /59/ Außerdem lernte er den Direktor des naturhistorischen Museums, Herrn Passemard, kennen, der sogar bei einer Streitigkeit zwischen Lagerinsassen und Kommandanten zu Gunsten der Gefangenen intervenierte; er gab Heil außerdem eine kleine Arbeit. /60/ Ende 1941 wurde das Lager in Langlade aufgelöst und die Gefangenen nach Beaucaire gebracht. Dadurch, dass Heil eine „besondere Verwendung“ /61/ vorweisen konnte (nämlich eine Arbeit bei einem Schweizer Pastor), wurde ihm eine gewisse Freiheit gewährt. Insofern konnte er, ebenfalls durch Vermittlung von Pastoren, im Haus der Jugend wohnen und in der Flüchtlingskantine essen. An diesem Ort lernte er das Ehepaar Brès kennen, damals noch kein Paar, sondern lediglich entfernte Verwandte. Die Eltern von Éveline Brès, geborene Humez, waren Flüchtlinge aus Lille, sie selbst erst 17 Jahre alt. Sie luden Heil des öfteren zu sich nach Hause ein und wurden gute Freunde. Éveline erhielt von Heil kostenlosen Deutschunterricht. Nach dem Krieg verloren sie sich aus den Augen; auf der Suche nach Carl Heil kamen sich die beiden näher, bis sie später heirateten. Éveline Brès: „Es ist wegen Carl Heil, dass wir geheiratet haben.“ /62/ Erst am 28.02.1982 lasen sie einen Artikel in „Le Monde“ von Charles Ford mit dem Titel: „La ,drôle de guerre‘ sur les ondes“, in dem unter anderem von Carl Heil die Rede ist. Sie wandten sich schriftlich an Ford und erfuhren von ihm die Adresse Heils, so dass sie sofort Kontakt mit diesem aufnahmen und ihn noch einmal, kurz vor seinem Tode, sehen konnten. Das Interview, auf dem im Wesentlichen ihr Buch beruht, wurde bei diesem Besuch angefertigt. Als am 11. November 1942 die Nazis in Südfrankreich einmarschierten, beschafften zwei Pastoren, die Herren Toureilles und Trocmé, Carl Heil falsche Papiere. „Von da an nannte ich mich Chales Hébert und war französisch.“ /63/ Da durch diese Maßnahme allerdings auch die besondere Verwendung sowie die Hilfe für ausländische Flüchtlinge wegfiel, half ihm Passemard, eine Arbeit als privater Deutschlehrer zu finden.


Verhaftung und Deportation

Am 22.07.1943 wurde Heil von der Gestapo verhaftet, nachdem er als deutscher Jude von Franzosen denunziert worden war. „Wahrscheinlich verdankte Heil-Hébert es dem Umstand der allgemeinen Verwirrung und der großen Zahl der politischen Gefangenen in diesem Sommer 1943, dass er nicht sofort erschossen wurde.“ /64/ Zur gleichen Einschätzung kommen auch Herr und Frau Brès. /65/ Dennoch sollten die nächsten beiden Jahre die schlimmsten seines Lebens werden: Nach einem Aufenthalt in Marseille kam er ins Gefängnis von Saint-Pierre, von da weiter ins Lager nach Compiègne; und schließlich, am 12. Mai 1944, wurde er mit 2086 anderen Häftlingen nach Deutschland - ins Konzentrationslager Buchenwald - deportiert. Am 6. Juni 1944 fand eine Verlegung nach Ellrich statt, in den Süd-Harz, in das dortige Arbeitslager. Glücklicherweise hatte er lediglich Stubendienst zu verrichten, so dass der Aufenthalt körperlich nicht so anstrengend war wie der derjenigen, die auf Baustellen oder in Fabriken arbeiten mussten. Im Winter, als sich immer deutlicher die Niederlage der deutschen Truppen abzeichnete, wurde Heil vom Blockältesten gefragt, ob er nicht dessen Stellvertreter, sogenannter Blockältester zwei, werden wolle. „Was mich betrifft, hatte ich dazu keine Lust, aber angesichts der Disziplin, die sich die Politischen im Lager aufluden, konnte ich diese Aufgabe nicht ablehnen.“ /66/ Herr und Frau Brès zitieren René Morel, Mitinhaftierter von Heil, um deutlich zu machen, dass Heil diese Machtposition nicht missbraucht hat: „Die Erinnerung, die ich von Carl Heil bewahre, ist die eines disziplinierten Menschen, der sich bewusst war, im Lager Privilegien zu genießen, der aber niemals Gewalt anwendete, um sie zu bewahren.“ /67/ Am 6. April wurden die Inhaftierten von Heils Abteilung, der Baubrigade 4, in zwei Gruppen aufgeteilt: in eine Hälfte, die noch in der Lage war, lange Fußmärsche zurückzulegen, und in eine andere, die aus Kranken bestand: „Wie die Mehrzahl der Lager, musste wegen der immer näher kommenden alliierten Truppen die B.B.4 ihren Stützpunkt Ellrich verlassen, aus unbekannten Gründen und in unbekannte Richtungen.“ /68/ Allein die Tatsache, dass Heil zu der Gruppe der Marschierenden gehörte, rettete ihm das Leben: Am 13. April 1945 wurde der Trupp von der ersten US-Armee des Generals Odges befreit, während die anderen von der SS getötet wurden. /69/


III.
1945 bis 1983: Die zweite Heimat des deutschen Intellektuellen: Frankreich


„Man kann zwar seine Funktionen einkreisen - auf einen Kristallisationspunkt aber lassen sie sich nicht erhärten.“ /70/

Nach seiner Rückkehr ins Nachkriegsfrankreich und einem kurzen Aufenthalt in Köln zog Heil endgültig nach Paris, da ihm hier die Möglichkeit gegeben wurde, als Sprecher der deutschsprachigen Sendungen des Auslandsdienstes der Radiodiffusion-Télévision Française (RTF) arbeiten zu können sowie als deutschsprachiger Ansager von Konzerten. Seine Enttäuschung war wohl groß, als seine Karriere am französischen Rundfunk nicht der gleichkam, die ihn wahrscheinlich an einer deutschen Institution erwartet hätte: „Ich glaube sagen zu dürfen, dass ich alle meine Kräfte aufgeboten habe, um persönlich den schweren Schlag, den ich 1933 bekommen habe, einigermaßen wieder wettzumachen. Leider kann ich nicht behaupten, dass es mir gelungen sei. Er bleibt eine nicht wieder gutzumachende Beeinträchtigung meiner beruflichen Laufbahn.“ /71/ Tatsächlich kann man sich denken, dass eine reine Sprecher- und Ansagertätigkeit in keiner Weise den zahlreichen, verantwortungsreichen und vielfältigen Beschäftigungen an der Kölner Werag gleichzusetzen ist. Auch seine prekäre finanzielle Lage wird die Unzufriedenheit nur unterstützt haben. So äußert er im gleichen Brief: „Die niedrigen Gehälter, die der französische Rundfunk bekanntlich zahlt, die Tatsache, dass ich von ihm keine Pension zu erwarten habe, sondern nur mit einer geringen Rente der Sozialversicherung rechnen kann, der Umstand, dass die Lebenshaltungskosten dauernd steigen, dies - und manches andere - veranlasst mich, angesichts der in beängstigenden Farben erscheinenden Zukunft anzufragen, ob wohl der deutsche Rundfunk mir durch die Bewilligung einer laufenden Unterstützung zu helfen vermag, zumal ich zu denen gehöre, die den Westdeutschen Rundfunk mit aufgebaut haben?“ /72/


Kulturelles Engagement

Heil wurde Franzose und nannte sich wieder Charles Hébert. „Neben meinen Aktivitäten als Sprecher, und mehr oder weniger in Verbindung mit diesen, habe ich mich für die Musik, das Theater und das Kino interessiert, manchmal im Rahmen der kulturellen und künstlerischen deutsch-französischen Beziehungen.“ /73/ Eine ehemalige Deutschschülerin Heils aus Südfrankreich, Frau Penchinat-Nègre gab Herrn und Frau Brès Auskunft über Heils diverse Aktivitäten und Freundschaften: „Bis zu dem Moment, wo er von der Krankheit davon abgehalten wurde, hat er nicht aufgehört, Kontakte mit der Theaterwelt, der er die größten Dienste erwiesen hatte, zu halten [...]. Er stand in freundschaftlichem Verhältnis zu Autoren, Regisseuren, Schauspielern, nicht nur zu denen aus den beiden Deutschlands [...], sondern auch zu denen aus Frankreich: Adamov, Ionesco, Vilar, Fresnay, um nur die größten zu zitieren, sowie zu denen aus anderen Ländern, sogar aus Amerika, z.B. Julian Beck, Erfinder des bekannten „Living Theater“ und Peter Schumann, von der wunderbaren Truppe „Bread and Puppet“. Im Bereich der Musik hat er von ihren Anfängen an, als sie noch Unbekannte waren, die ganz großen aktuellen Komponisten begleitet und unterstützt, wie Pierre Boulez in Frankreich und Karlheinz Stockhausen in Deutschland. Sein Interesse erstreckte sich auf die ganze Welt des Spektakels: Kino, Zirkus, Illusion und Tanz (er kannte gut Maurice Béjart). Er war aktives Mitglied im Goethe Institut und im österreichischen Institut und nahm an zahlreichen kulturellen und humanitären Gesellschaften teil [...].“ /74/

Durch die verschiedenen Austauschprogramme und seinen Einsatz für die deutsch-französische Verständigung gerade auf künstlerischem Gebiet lernte Heil auch Marcel Marceau kennen. /75/ Marie-Luise Scherer beschreibt in der „Berliner Morgenpost“ Heils Zurückhaltung, was eine Darstellung seiner diversen Kontakte in Künstlerkreisen angeht, kann ihm aber doch entlocken, „dass er Sartre kennt und ihn auch einmal für einen Vortrag in Deutschland erwärmen konnte. Dass Pierre Boulez [...] einmal im ,akustisch-zurechtgestauchten‘ Zimmer von Heil-Hébert seinen ersten Vortrag für das elektronische Studio des WDR in Köln machte.“ /76/ Und Scherer schlussfolgert hinsichtlich seiner Tätigkeit als deutsch-französischer Kulturvermittler: „Als Tippgeber, Vermittler, Vorbereiter für Kontakte [...] kann Heil-Hébert in Paris mit deutschen Theaterdingen besser dienen als der Kulturattaché der deutschen Botschaft.“ /77/ Im Interview mit Roussel erzählt Heil außerdem, dass er nach dem Krieg im Théâtre des Nations Piscator kennenlernte. /78/ Frau Schiller-Lerg hebt Heils Vermittlerrolle im kriegsbedingt gestörten Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland hervor: „Carl Heil gehörte zu jenen, für die die deutsch-französische Freundschaft nicht erst einer amtlichen politischen Bestätigung bedurfte.“ /79/ Für einen ehemaligen KZ-Insassen ist eine derartige Einstellung nicht selbstverständlich, und so schreibt Schiller-Lerg: „Heil war Deutschland wegen seiner Vergangenheit nicht gram, im Gegenteil, er blieb ihm geistig verbunden, auch wenn er inzwischen als Franzose naturalisiert worden war [...].“ /80/Neben verschiedenen deutsch-französischen Projekten am Kölner wie am Pariser Sender spielte er Nebenrollen in vier weiteren Filmen. Laut Schiller-Lerg organisierte er eine „Sendung für deutsche Kriegsgefangene in Frankreich“, die sich später „Deutsche Arbeiter in Frankreich“ nannte. Außerdem soll er bis zu seiner Pensionierung 1966 die deutschsprachigen Teile der Sendung „Bonsoir l’Europe, ici Paris“ gesprochen haben. /81/ Am 17. November 1983 /82/ stirbt Heil an den Folgen der Parkinsonschen Krankheit in Paris.


IV.
Heils Motive, Einstellungen, künstlerische Positionen

Soziale Positionierung


„Er hat immer Zeugnis von einer absoluten Unparteilichkeit abgelegt. Er war ganz allergisch gegen alles, was von praktischer oder materieller Ordnung war und seine moralische Unnachgiebigkeit war absolut..“ /83/

Meines Erachtens sind Heils Überzeugungen und seine innere Haltung entscheidend von seinem Elternhaus geprägt. So ist hier noch einmal festzuhalten, dass sich die Eltern, beide Arbeiter (der Vater stammt aus einer Bauernfamilie, lernte dann Maurer), mit der Tatsache und dem Umstand ihrer Heirat über die bislang für sie geltenden Konventionen hinweggesetzt haben. Sie waren Mitglieder in einer bürgerlichen Organisation, achteten auf bürgerliche Bildung und bürgerliches Auftreten der Kinder. Dennoch verleugneten sie ihre Herkunft nicht (Heil beschrieb seine Mutter, wie bereits erwähnt, als „sich selbst als einfache Arbeiterin betrachtend [...]“ /84/). Die Eltern blieben auch ihren politischen Überzeugungen treu - indem Heils Vater Mitglied in der sozialistischen Partei und gewerkschaftlich organisiert war. Entsprechend dem Engagement seiner Eltern hinsichtlich Erziehung und Auftreten der Kinder verhielt sich Carl Heils Bildungsweg: Schulbesuch mit Unterstützung durch Stipendien, Lehrerexamen, durch weitere Stipendien gefördertes Studium, kurz vor Abschluss abgebrochene Dissertation. Der Abbruch der Doktorarbeit zugunsten einer Anstellung am Radio, ist meines Erachtens in Heils Freude an praktischer Arbeit fundiert, die sein Interesse an einer rein wissenschaftlichen Tätigkeit überwiegt. Statt seinen „Beitrag [...] zur Geistesgeschichte“ /85/ zu Ende zu führen, nimmt er eine bis dahin unbekannte und in keiner Weise renommierte Tätigkeit bei dem neuen Medium Radio auf. Anders als viele seiner Kollegen schrieb Heil keine Theaterstücke (wie beispielsweise sein Kölner Kollege Rudolf Rieth /86/) oder Hörspiele, er veröffentlichte keine Memoiren und fertigte auch keine theoretischen Schriften zum Medium Rundfunk an.


Selbständigkeit des Denkens

Was meiner Auffassung nach in der Prägung durch sein Elternhaus begründet liegt, ist die Ablehnung einer zu großen Regelgebundenheit. Wie Mutter und Vater Heil sich einst über die konfessionsüblichen Heiratsklauseln hinwegsetzten, so legt auch Carl Heil Zeit seines Lebens eine in vielerlei Hinsicht unorthodoxe Art an den Tag. Ein Beispiel dafür ist die Wahl der Theater, an denen er bereits während seiner Studienzeit tätig war: Neben der katholischen Gesellschaft für Fest- und Mysterienspiel arbeitete er an der progressiven Freie Volksbühne. Palmier begründete das damit, dass Heil „noch kein genaue politische Idee hatte.“ /87/ Ich glaube nicht, dass Heil zwischen zwei Theater- bzw. politischen Konzepten schwankte, sondern die Wahl der verschiedenen Theater schlichtweg Ausdruck seines offenen Geistes war. Weiter glaube ich auch nicht, dass er lediglich zögerte, sich diesbezüglich festzulegen. Für ihn waren meines Erachtens vielmehr die beiden folgenden Vorteile ausschlaggebend: den Schauspiel- bzw. Inspizientenberuf zu erlernen und außerdem seine Ausgaben zu decken. Am Kölner Sender zieht Heil die freie Anstellung einem soliden Arbeitsvertrag vor, da er sonst „an eine einzige Abteilung gebunden gewesen wäre.“ /88/ Also auch hier ist ihm die Möglichkeit des freien Agierens wichtiger als ein abgesteckter Bereich, der eine gewisse Sicherheit bedeuten würde. Obgleich Heil befreundeten kommunistischen Künstlern (wie unter anderem Bertolt Brecht, Alexander Maass oder auch Friedrich Wolf /89/) politisch sehr nahe stand („1918 dachten wir, das Wohl komme aus dem Osten, Brutstätte einer neuen Menschlichkeit, von der Bourgeosie befreit.“ /90/), trat er der KPD nicht bei. Seiner Meinung nach behinderte die Struktur der Partei eine demokratische Meinungsäußerung: „Es gab Befehle von oben, die es ihnen [den Freunden] nicht möglich machten, zu diskutieren, weil man ihnen erwiderte: ,Die Partei hat immer Recht‘. Und es sind genau die Vertreter dieser Konzeption, die immer mehr ihre Art zu denken und gegen die freie Meinungsäußerung zu handeln, durchsetzten. [...] So kam man dazu, eine objektive Wahrheit und eine von den Umständen abhängige, nützliche Wahrheit zu unterscheiden.“ /91/

Der Befolgung einer kompromisslosen Parteilinie zieht Heil gelebte Toleranz vor, die meiner Meinung nach vor allem auf seiner Unvoreingenommenheit gegenüber Personen, Personengruppen und Beschäftigungsfeldern beruht. Die Toleranz allerdings paart sich bei ihm mit einer Aufrichtigkeit, mit einem Einstehen für seine eigenen Überzeugungen. So wurde er beispielsweise als Student wegen seiner reinen Aussprache als Begleiter des Grafen von Denhoff, Sohn der Prinzessin von Bülow, auserkoren. Außerdem war er donnerstags wie sonntags Gast im ausgewählten Zirkel seines Professors Friedrich von der Leyen. Dort äußerte er offen - vor weiteren anwesenden Adeligen - dass er gegen die Entschädigung der Prinzen bei dem im Sommer 1925 stattfindenden Referendum gestimmt hatte. /92/


Konsequenz des Handeln

Hinsichtlich der bereits mehrfach angeklungenen Judenfrage erzählt er im Interview mit Brès, dass er Juden, wann immer er über Engagements von Hörspielern zu entscheiden hatte, weder bei der Auswahl bevorzugt, noch benachteiligt habe. Vorrang hätten grundsätzlich die bedürftigsten Darsteller gehabt. /93/ So bestätigt Heil dem späteren WDR, dass er für das Hörspiel „Stahl und Eisen“ „trotz des Nazisieges noch drei Juden für dieses Sendespiel engagiert hatte, mit denen ich am genannten Tage das ,Haus in der Dagobertstrasse‘ für immer verließ.“

Als stringentes, seinen Überzeugungen entsprechendes Handeln lässt sich auch seine Emigration nach Frankreich lesen („Ich wollte mich nicht gleichschalten lassen“ /94/) sowie seine Teilnahme am guerre des ondes: Aus einem überzeugten Pazifisten wird ein Emigrant, der öffentlich gegen seine eigene Regierung Stellung bezieht, um mit propagandistischen Mitteln auf Missstände und Fehlinformationen im Nazi-Deutschland aufmerksam zu machen. Heil stellt sich in den Dienst der staatlichen Agitation, um einen letzten Versuch zu starten, seine Landsleute zur Besinnung zu rufen.


Völkerverbindendes Engagement

Dass Heil im Grunde alles andere als Volksverhetzung betreiben wollte, vielmehr jemand war, dessen tiefes Bedürfnis darin bestand, Menschen und Völker einander näher zu bringen, zeigt vor allem sein Handeln im Sinne der Völkerverständigung nach dem Krieg, wie ich es oben dargestellt habe. Und bereits vor dem Krieg, während seiner Zeit an der Werag, unterlag er nicht den im damaligen Deutschland so verbreiteten Antipathien gegenüber Frankreich, dem sogenannten Erzfeind, sondern fuhr nach Paris, um dort zunächst den Film „Prix de Beauté“ zu synchronisieren und später gemeinsam mit Rudolf Rieth das Hörspiel „S.O.S.“ zu inszenieren. Gleichermaßen versuchte er, nicht einem blinden Hass den Menschen gegenüber zu verfallen, die die Nazis unterstützt oder sich in nationalsozialistischen Vereinigungen organisiert hatten. Im Gespräch mit Brès versucht er, nationalsozialistisches Engagement, etwa in der SA, unter anderem damit zu begründen, dass in einer derart großen Not, wie sie Anfang der dreißiger Jahre bestand, die jungen Menschen froh waren, durch die zur Verfügung gestellten Uniformen wenigstens etwas zum Anziehen zu haben: „Und das, was man den Geschmack der Uniform nennt, hatte als Ursprung die materiellen Schwierigkeiten.“ /95/ Und so schreibt auch Ernest Jakob an Carl Heil in einem Brief vom 03.11.1945 aus London: „Und trotzdem glaube ich, dass Du für die Germanen nicht den Hass aufbringst, den ich für sie zur Verfügung habe.“


Ungereimtheiten seiner Persönlichkeit

Einen Widerspruch bildet gewiss seine Tätigkeit im Pariser Exil für die Tobis, bei der er ursprünglich eine Anstellung abgelehnt hatte, weil sie Hitlerdeutschland angehörte. Wobei offen bleibt, ob er dort 1933 nicht vorsprach, weil ihm eine mögliche Anstellung aus ideologischer Überzeugung zuwider war, oder weil er davon ausging, seiner Vergangenheit wegen ohnehin keine Chance auf eine Anstellung zu haben. Dass er später eine „absolut neutrale Anstellung, außerhalb jeder politischen Frage“ an eben dieser Gesellschaft annahm, hilft in dieser Frage nicht weiter. War es für ihn die einzige Möglichkeit, sich finanziell über Wasser zu halten? Nahm er dafür die politische Positionierung des Arbeitgebers als jenes Übel hin, das immerhin kleiner war als die Obdachlosigkeit, oder war er der Überzeugung, dass die Arbeit für eine nationalsozialistische Filmfirma neutral sein konnte? Und natürlich ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auch seine Tätigkeit und Funktion als Blockältester zwei im Lager in Ellrich zu hinterfragen: Heil begründet seine damalige Einwilligung in die Ernennung damit, dass angesichts des bereits offensichtlichen Sieges der Alliierten das Leben im Lager besonders angespannt gewesen sei. Um keine Revolte unter den Lagerinsassen ausbrechen zu lassen und damit deren Leben aufs Spiel zu setzen sowie aus der Motivation heraus, die Gefangenen vor der SS zu schützen, habe er in die Aufgabe, Blockältester zwei zu sein, eingewilligt, auch wenn er darauf „keine Lust“ /96/ gehabt habe. Da mir zum einen die Heil gegenüber kritische Quelle verwehrt wurde, sie zum anderen wohl auch besonders subjektiv ist, reichen meiner Überzeugung nach Heils eigene Erzählungen und die von Brès ausgewählten und in ihrem Privatarchiv gesammelten Berichte nicht, um sich ein der Wirklichkeit gerecht werdendes Bild von Heils Handeln im Ellricher Lager zu machen. Insofern ist meine Darstellung von Heils Überzeugung und seinem sozialen Handeln in letzter Konsequenz mit einem Fragezeichen zu versehen, da die Quellenlage keine hundertprozentig gesicherten Schlussfolgerungen zulässt.


V.
Zur Radiopraxis von Carl Heil: Vielseitigkeit und soziales Verantwortungsbewusstsein


„Schopenhauer hat gesagt: ,Das Gesicht ist der Sinn des Verstandes, welcher anschaut, das Gehör der Sinn der Vernunft, welche denkt und vernimmt.‘“ /97/

Grundlegend ist bereits folgendes festzuhalten: Die Arbeit Heils am Radio zeichnet sich in erster Linie durch ihre Vielgestaltigkeit, ihre Reichhaltigkeit, ihre Beschäftigung mit noch unbekannten Betätigungsfeldern sowie durch ihren sozialen Impetus aus. Heil wurde zu Beginn des Jahres 1927 als Hörspieler an der Werag angestellt, übernahm allerdings bald Aufgaben, die über die reine Schauspielerei hinausgingen. So betätigte er sich die ersten drei Jahre als Hilfsregisseur, ab 1931 inszenierte er selbständig und stieg somit zum Spielleiter /98/ auf. So schrieb der „Dortmunder Generalanzeiger“ im Jahre 1932: „Karl [!] Heil [...] tritt in der letzten Zeit mehr und mehr als gewandter Regisseur hervor.“ /99/ Direkt zu Beginn seiner Tätigkeit entdeckte er sein Interesse und sein Talent für den Umgang mit und die Produktion von Geräuschen, so dass er am Sender und darüber hinaus bald als Geräuschefachmann bekannt wurde. „Carl Heil studierte [...] systematisch die Mikrophonwirkung aller möglichen Geräusche, er probte mit tausend Hilfsmitteln bestimmte Effekte und beherrschte bald das Gebiet der hörspielerisch bedeutungsvollen Akustik in ungewöhnlichem Masse. Ein unendlicher Schatz von praktischen Erfahrungen, eine natürliche Feinfühligkeit für Klangwirkungen und ein tausendfach geschultes Ohr haben aus Carl Heil im Laufe der Jahre einen so einzigartigen Geräusch- und Mikrophonbeherrscher gemacht, wie es ihn in Deutschland kaum ein zweites mal gibt.“ /100/

Abgesehen von den bereits erwähnten Tätigkeiten arbeitete Heil an der Werag außerdem als Inspizient von Sendespielen und sprach - aushilfsweise - als Ansager, so bei einer Andacht in Aachen, auf der er den eigentlichen Redner zu ersetzen hatte. /101/ Neben seiner schauspielerischen, inszenatorischen wie akustischen Tätigkeit für Hörspiele, die er vor allem für den Jugend- Schul-, bzw. Kinderfunk auf die Bühne brachte, /102/ engagierte er sich außerdem in der Sendereihe „Mensch und Welt - Gemeinschaftsempfang für Arbeitslose“, in den „Länder- und Städtebildern“ und in den sogenannten bunten Programmen. /103/


Weitere Probleme aufgrund der Quellenlage

Eine Durchsicht der Werag /104/ führt zu einem unbefriedigenden Ergebnis: Zwar kann man dort nachlesen, in welchen Hörfolgen, bzw. Sende- oder Hörspielen /105/ Heil mitgespielt hat und bei welchen er Regie führte, doch damit erschöpft sie sich auch als Informationsquelle in Bezug auf Heils Tätigkeiten. Sämtliche Aktivitäten hinter dem Mikrophon sind seinen eigenen Erzählungen, bzw. den Sekundärquellen zu entnehmen, nicht aber in der Programmzeitschrift nachzulesen. /106/ „Greifen wir als Beispiel eine bedeutende Reihe heraus. Das Programm vermerkt bloß: ,MENSCH UND WELT Gemeinschaftsempfang für Arbeitslose‘, ohne Nennung des Verantwortlichen oder Leiters, ohne Andeutung des Dargebotenen. Mehrfach wurde ich mit Regieaufgaben in dieser Sendereihe betraut. Die Namen der Beteiligten wurden an- und abgesagt, gedruckt jedoch nicht. [...] Bei den LÄNDER- und STÄDTEBILDERN schweigt sich die WERAG ebenfalls über Verfasser und Ausführende aus. Sie wurden bei der Sendung genannt. Neben der Regie fiel mir - natürlich - auch die ,akustische Kulisse‘ zu, die sehr abwechslungsreich war.“ /107/

Heil schreibt bereits über das Jahr 1927: „Ich stand dem Rundfunk buchstäblich Tag und Nacht zur Verfügung.“ Insofern er nur in Nebenrollen schauspielerisch tätig war und noch keine eigenen Inszenierungen gestalten durfte (auch noch im Jahre 1929 wird Heil als Hörspieler lediglich in Nebenrollen /108/ von Hör- und Singspielinszenierungen /109/ genannt; in der Spielleitung findet sein Name überhaupt keine Erwähnung /110/), ist davon auszugehen, dass Heils Beiträge für Regie und Geräusche der verschiedenen Formate besonders viel Zeit in Anspruch genommen haben: Für diese Tätigkeiten wurde sein Name nicht in der Werag erwähnt.

Eine derartige Vielgestaltigkeit der Aufgaben, wie ich sie oben dargestellt habe, erstaunt insofern, als Heil keine einzige davon in einer klassischen Ausbildung erlernt hat. Die Arbeit als Hörspieler beispielsweise (für die er immerhin Ernst Hardt vorsprechen musste) unterscheidet sich zum einen von der eines Schauspielers /111/ - zum anderen lernte er aber auch diese Kunstform sozusagen by doing, nicht etwa durch fundierten Schauspielunterricht, wie es beispielsweise Rudolf Rieth tat, der bei Serafine Ditschy in Berlin Unterricht in Sprechtechnik, Atemschulung und Rollenstudium erhielt. Auch der Beruf des Geräuschingenieurs war noch nicht erfunden, als Heil bereits Fähigkeiten in dieser Tätigkeit erlangte, die in anderen Ländern, etwa in Frankreich, bis dato noch in den Kinderschuhen steckten. So wurde er bereits 1930 nach Paris eingeladen, um für „Prix de Beauté“ nicht nur die Synchronisation, sondern auch die Tonuntermalung und akustischen Effekte zu besorgen. Auch zur „S.O.S“.-Inszenierung begleitete er den Regisseur Rieth zum einen in seiner Funktion als Hilfsregisseur, zum anderen wegen seiner Fähigkeit, klangliche Kulissen zu gestalten. In seiner Exilzeit war er der einzige Deutsche an der Tobis, engagiert aufgrund seiner Qualitäten als Toningenieur. Angesichts seiner ausgiebigen Lern- und Studienzeit war Heil wohl am ehesten für die journalistische Tätigkeit prädestiniert. Aber gerade hinsichtlich seiner Studieninhalte hätte es näher gelegen, eine der damals zahlreichen an der Werag angebotenen Literatursendungen, bzw. einen der Leseabende /112/ zu übernehmen, als sozialkritische Beiträge für die Sendereihe „Mensch und Welt“ zu gestalten.

Wenn im Zusammenhang mit Menschen, die sich dem frühen Radio widmeten, von Rundfunkpionieren die Rede ist, dann muss man wohl Heil unter ihnen in der ersten Reihe verorten: Es bedarf eines wahren Pioniergeistes, um sich derart vielen unerforschten, seinen erlernten Fähigkeiten fernstehenden Gebieten zu widmen. Was also war das Motiv, das die verschiedenen Aktivitäten miteinander vereinte? Lediglich die Freude am Neuen und am Experimentieren? Oder doch eher inhaltliche Anliegen? Ich denke, dass Heils gesellschaftlicher eine künstlerische Aufgeschlossenheit folgte. Wenn seine Studienkombination geisteswissenschaftlicher Natur mit künstlerischem Schwerpunkt war, so war auch seine künstlerische Praxis geistes- bzw. sozialwissenschaftlich fundiert. Er versuchte in seinen kulturellen Beiträgen, wann immer er die Möglichkeit dazu hatte, soziales Engagement mit künstlerischem Ausdruck zu vereinen. Dass Heil allerdings diverse Lustspiele bzw. Märchen für die Jugend ohne spezifisch soziale Ausrichtung auf die Hörbühne brachte, ähnelt in seiner Struktur dem ehemaligen Engagement in der Gesellschaft für Fest- und Mysterienspiel: Die Möglichkeit, Regie zu führen, beinhaltete für ihn das erneute Erlernen weiterer Fähigkeiten, wenn nicht gar eines neuen Berufes. /113/ Abgesehen davon hätte jedes Ablehnen eines Auftrages wirtschaftliche Einbußen für ihn gehabt und möglicherweise einen Rückgang der an ihn herangetragenen Inszenierungsaufträge bedeutet. Ist Heils Zugeständnis an bürgerliche Inhalte also eigentlich der Tatsache geschuldet, nur auf diese Weise auch sozialkritische verbreiten zu können?


Besonderheiten seiner radiopraktischen Arbeit

„Im Rundfunk muss man mit den Augen hören und mit den Ohren sehen.“ /114/

Ein Beispiel aus dem Jahre 1932 soll die Vielzahl an Beschäftigungen, die Heil für den Kölner Sender übernahm, illustrieren: Wie aus der Werag hervorgeht, inszeniert Carl Heil am 15. Juli im Jugendfunk das Hörspiel „Die Autonummer“ von Dr. Walter Best, anlässlich des Großen Preises von Deutschland auf dem Nürnburgring. /115/ Am gleichen Abend spielt er den Neger in „Die Durchgängerin“, einem Lustspiel von Ludwig Fulda, bei dem Kandner die Regie führt. /116/ Bereits am nächsten Tag organisiert er mit Els Vordemberge eine fröhliche Rheinfahrt für Kinder und Eltern für immerhin 600 Personen, bei der er „das ,große‘ Wort“ /117/ führen soll. In der zwei Wochen später erscheinenden Werag ist zu lesen: „Wer hätte nicht dabei sein wollen [...]. Sind nun aber noch die bei allen Kindern beliebten Funkleute Els Vordemberge und Karl [!] Heil mit dabei und versprechen uns schöne Spiele, Wettkämpfe und Verlosungen, dann hält uns nichts zu Hause!“ /118/ Auf diesen Erfolg hin wurden zwei weitere Rheinfahrten, am 30. Juli und 13. August vereinbart, wieder mit Heil und Vordemberge. Abgesehen davon erschien jeden Tag, außer Sonntag, eine Stunde lang von 10.15 - 11.15 Uhr die Sendereihe „Mensch und Welt“. Es ist leider nicht bekannt, in welchem Umfang und in welcher Art Heil an der Produktion der einzelnen Sendungen beteiligt war, wohl aber: „Gegen Ende meines Aufenthaltes in Deutschland habe ich [für „Mensch und Welt“] sogar Sendungen über politische Probleme gestaltet.“ /119/ Gut denkbar also, dass zu seinen anderen Aufgaben im Juli 1932 noch die eine oder andere redaktionelle Tätigkeit für „Mensch und Welt“ dazukam. Ende Juli inszenierte Heil außerdem den ersten von drei Teilen des Märchens „Der kleine Muck“ /120/, welches im August fortgesetzt und beendet wurde.

Allein im Jahr 1932 inszeniert Carl Heil 21 Hörspiele. Aufgrund seiner Entrüstung über die nicht vorhandenen Probezeiten am französischen Sender wissen wir, dass im Gegensatz dazu an der Werag ungefähr zehnmal geprobt wurde. /121/ Die Beanspruchung in zeitlicher wie inhaltlicher Hinsicht - rechnet man seinen Einsatz für „Mensch und Welt“ wie für die bunten Abende dazu - war für Heil beachtlich.

Noch intensiver wird seine Inszenierungstätigkeit im Jahr darauf: In den letzten drei Monaten, die er von Januar bis März 1933 an der Werag verbrachte, führt er in zehn Hörspielen Regie.

Proportional zu seinem vermehrten Engagement als Hörspielregisseur nimmt Heils Tätigkeit als Hörspieler ab. Wurde er also ursprünglich wegen seiner schauspielerischen Fähigkeiten von Hardt an die Werag berufen, ändert sich schon recht früh der Fokus seiner Tätigkeit: weg vom gelenkten Agieren vor dem Mikrophon, hin zur eigenverantwortlichen Ausgestaltung der Sendungen: in inhaltlicher /122/, künstlerischer wie akustischer Hinsicht. „Carl Heil, der sozusagen von der Pike auf bei uns gedient hat, wurde - dank seiner weit überdurchschnittlichen Allgemeinbildung, seines musikalischen Feingefühls, seiner künstlerischen Befähigung und seines menschlichen Taktes - schon bald zur Hilfsregie herangezogen und mit der Einstudierung von Sprechchören sowie mit der selbstständigen [!] Einübung von Lehrspielen, Hörfolgen und - zunächst - kleineren funkscenischen Werken betraut.“ /123/

Wenn weiter oben von der Vielzahl an Beschäftigungen die Rede war, sei nun auf deren Facettenreichtum hingewiesen. Tatsächlich ist bereits im Kapitel über Heils Leben deutlich geworden, dass ihn überdurchschnittlich viele Themen, Arbeiten und Beschäftigungen interessieren. Insofern ist es nur folgerichtig, dass Heil schon in seiner Arbeit an der Werag mit einer Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben, Themen, Inhalten und Genres hantierte.


Der Regisseur

Da er hauptsächlich für den Jugendfunk inszenierte, lauten die Titel entsprechend, etwa „Ein Spiel um den Osterhasen /124/, „Kasperls Fahrt ins Glück“ /125/ oder „Hie Mädels - Hie Jungens oder Drei Tage Feindschaft“ /126/. Allerdings richten sich die Stücke nicht ausschließlich an Kinder des Grundschulalters, wie man bei diesen Titeln vermuten könnte. /127/ Etwa das Stück „Der Schuhputzerkrieg im Battery-Park in New-York“ von Johann Anton Eberhard, das Heil am 26. August 1932 im Jugendfunk inszenierte, /128/ handelt von einer Gruppe Jugendlicher aus einem Armenviertel New Yorks, die sich und zum Teil auch ihre Familien mit Schuhputzen über Wasser halten. Ein steckbrieflich gesuchter Verbrecher tarnt sich als regulärer Bürger und erwirbt eine Konzession, die es ihm erlaubt, von jedem Stiefelputzer auf den Platz Geld zu verlangen. Bob, der Anführer der Jungen, dessen Mutter im Sterben liegt und der deshalb dringend Geld benötigt, entdeckt die Tarnung des „schon lange gesuchte[n] und berüchtigste[n] Bandit[en] Eward Murderer, aus Brooklyn“. Bob, und damit seiner Bande, steht der Finderlohn von 8.000 Dollar zu: Er, der „Oberbefehlshaber im Krieg gegen Gemeinheit und Verbrechertum“, hat die Rechte der Armen verteidigt und den wahren Verbrecher überführt.

Im „Dortmunder Generalanzeiger“ steht hinsichtlich Heils Regiearbeit: „Einen großen Teil des vollen Erfolges dieser Aufführung muss man der Spielleitung zuschreiben, die das an schwierigen Massenscenen reiche Werk mit einer überzeugenden Realistik zu gestalten verstand. So sauber durchgearbeitete, hervorragend besetzte und lebendige Aufführungen, die sich in der Präzision, mit der sie vorbereitet wurden, in nichts von den großen Aufführungen der Abendprogramme unterscheiden, machen dem Jugendfunk des WR alle Ehre.“ /129/

Im regulären Programm inszenierte Heil Lehrstücke, wie etwa Edgar Manfred Ebers „Der Reis“ /130/ oder „Der Kaffee“ /131/, eine akustische Beschreibung des Herstellungsprozesses und der Herstellungsumstände einer Kaffeeproduktion und -ernte in Brasilien, sowie des weltweiten Vertriebes. Keine politische Dimension steht hier im Vordergrund sondern die dokumentarische Information, die authentische Darstellung eines solchen Prozesses. Außerdem brachte Heil auch ausschließlich unterhaltende Komödien auf die Hörbühne, wie etwa im Januar 1933 Bernhard Zimmermanns „Courths Malhör beim Prinzen Orlowsky“ oder „Die Narren werden nicht alle. Fastnachtspiel für den Rundfunk“ von Eduard Reinacher. Zimmermanns ironisches Kurzstück war Teil des „Öffentlichen Lustigen Abends“ der Werag und handelt von einer Doppelhochzeit in einer Grafengesellschaft, die durch untreue Ehemänner in Gefahr gerät. Die Presse würdigt das Stück ebenfalls mit Ironie, hier bei seiner Wiederholung als Karnevals-Gastspiel in Bonn: „Es triefte von hach so viel Liebe und huch so viel Seelenschmerz. Süßlich zäh rann dieses Tränenbächlein dem Meere zu. [...] Da alle Vertreter des herrlichen Geschlechts mehr oder weniger von dieser hauh so krausen Courtisane gefippfoppt sind, ergibt sich ein erschröckliches Durcheinander, dass, oha, in den schmerzerfüllten Ausrufen voll Seelenweh gipfelt: ,Gib mich frei, denn ich lasse dich nicht.‘ Welch tiefdurchdachtes Seelenprogramm träufelt aus diesen Worten.“ /132/ Das Reinacher-Stück, von Heil uraufgeführt, widmet sich Gedankenspielen hinsichtlich der Frage, ob Menschen, wären sie „von dem Gift der Weisheit frei“, besser und darüber hinaus in der Lage wären, nach der Ausrottung der Menschheit durch Krieg eine neue, bessere Gesellschaft zu gründen. In diesem Sinne, nämlich der „Menschheitserhaltung durch Mondraketenfahrt“, werden möglichst einfältige Menschen gesucht, die in einer Rakete auf den Mond geschickt werden sollen. /133/ Das Unternehmen misslingt, die Narren können zwar die Menschheit nicht auf die ursprünglich vorgesehen Art retten, ihr aber immerhin gegenwärtigen Trost spenden. /134/


Der Hörspieler

Als Hörspieler war Heil in den unterschiedlichsten Stücken zu hören. So ebenfalls in Inszenierungen für die Jugend /135/, in Lustspielen /136/ und Opern /137/, aber auch oftmals in Klassikern: beispielsweise in Goethes „Egmont“ /138/, in Schillers „Don Carlos“ /139/ oder in modernen, eigens für den Rundfunk inszenierten Hörspielen, wie in Kysers „Tod des Sokrates“ /140/.


Der Mitarbeiter im Arbeitslosenfunk

Wenn auch über Heils Tätigkeit an der Werag nichts Genaues zu erfahren ist, so legt der Bericht von Willi Schäferdiek für den Westdeutschen Rundfunk doch Zeugnis darüber ab, was genau die Sendereihe „Mensch und Welt“ darstellte, wie sie funktionierte und aus welcher Motivation heraus sie entstand: So schreibt er, dass „das industriereiche Sendegebiet des alten Westdeutschen Rundfunks mit seiner Häufung von Arbeiterstädten und Fabriksiedlungen [...] die Nöte der allgemeinen Arbeitslosigkeit natürlich in ganz besonderem Ausmaß tragen und ertragen [musste].“ Insofern wurde die Sendereihe als eine der „Betreuungsaufgaben“ eingesetzt, die den Arbeitslosen zugute kommen sollten. Diese hatten die Möglichkeit, in Abhörstätten zusammenzukommen, um somit die Sendungen hören zu können - die meisten unter ihnen besaßen ja kein eigenes Radio. Schäferdiek erklärt, dass in der Werag „weitere Angaben zu Programminhalt [...] nicht gemacht [wurden], nicht zuletzt, um der Reihe eine aktuelle Beweglichkeit zu sichern, und darüber hinaus in der Absicht, der einzelnen Sendestunde gewisse zum Hören verlockende Spannungsreize und Überraschungsmöglichkeiten zu belassen.“ Der damaligen Spannung also ist geschuldet, dass die heutige Rekonstruktion der Inhalte und deren Beteiligter so schwer fällt. Allerdings klärt uns in dieser Hinsicht Schäferdiek auf, indem er sagt, dass die Reihe „Mensch und Welt“ „geradezu ein Rundfunk im Rundfunk“ gewesen sei, insofern sie ihre Beiträge „aus sämtlichen Abteilungen des Programmbetriebes sowie aus eigenen Auftragserteilungen“ erhalten habe: „Belehrendes und Unterhaltendes aus allen Gebieten des geistigen, technischen und sonstigen Lebens wechselte ab mit Schallplattenberichten aus allen Ländern und Zonen oder mit den aus den Wünschen der Abhörgemeinschaften und ihrer Leiter eigens entwickelten Lehrspielen über naturwissenschaftliche, volkswirtschaftliche oder sozialpolitische Fakten. Plauderei und Vortrag, Einzelszene und Szenenfolge, Hörfolge und Hörspiel, Mischformen aus Wort und Musik -: es gab kein Ausdrucksmittel des jungen Rundfunks, das nicht den Aufgaben dieser rundfunklichen Arbeitslosenbetreuung nutzbar gemacht wurde. Ausgeschlossen blieben einzig das Trocken-Lehrhafte und das bloß Unterhaltende.“


Wirken im Hintergrund

Eine Tatsache, die nach dem Kriege klar zu tage tritt, ist meines Erachtens bereits in Heils Zeit an der Werag angelegt: Heil hält sich gern im Hintergrund, drängt sich nicht ins Rampenlicht. So habe ich hinsichtlich Heils kultur- und kulturenvermittelnder Tätigkeit nach 1945 in Frankreich bereits dargestellt, dass er zwar mit zahlreichen Größen der europäischen und sogar außereuropäischen Kunst-, Musik- und Theaterszene in Kontakt oder befreundet ist, dennoch hat sich sein Handeln auf die Verknüpfung von Beziehungen und Vorbereitung von Gastspielen konzentriert und sozusagen im Backstagebereich abgespielt. Sein Name ist über die engen Grenzen seines Schaffens hinaus kaum bekannt geworden. Hat Heil seine prominenten Bekanntschaften zur Vermarktung der eigenen Person nicht nutzen wollen? Oder versuchte er es wohl, hatte damit aber keinen Erfolg? Ich vermute, dass es Heils eigene Absicht war, im Hintergrund zu agieren, um dort umso wirksamer zu handeln. Dafür spricht, dass Heil auch bei seiner Arbeit an der Werag in den verschiedensten Abteilungen tätig war, sein Name in der Programmzeitschrift allerdings lediglich im Zusammenhang mit seinen Regie- und Hörspieltätigkeiten auftaucht, nicht dagegen bei seinen redaktionellen Arbeiten, seinen Recherchetätigkeiten, seiner Geräuschkulisse oder seiner jahrelangen Arbeit als Hilfsregisseur.


VI.
Heil als Regisseur - Arbeitsweise und Arbeitsinhalte


„Aber meine eigentliche Beschäftigung bestand natürlich in der Übertragung von Hörspielen am W.D.R. in Köln“/141/

Vergleicht man Groths Einteilung der Hörspiele in drei Phasen /142/ mit Heils Regietätigkeit, stellt man fest, dass Heil erst in dieser dritten Phase überhaupt anfing, selbständig Hörspiele zu inszenieren. Der Grund dafür, dass Heil nur wenige explizit sozialkritische Stücke auf die Hörbühne brachte, sich aber sehr für die Unterprivilegierten einsetzte, mag also unter anderem in der Tatsache liegen, dass seine eigentliche Inszenierungstätigkeit nach 1930 anfing. /143/ Ein Vergleich mag die These stützen: Rudolf Rieth, während der Weimarer Republik Oberspielleiter an der Werag, inszenierte von 1927 bis 1933, als er an den Frankfurter Sender versetzt wurde, über 60 Sende- bzw. Hörspiele. Während er in den ersten beiden Jahren seiner Tätigkeit so gut wie ausschließlich klassische Dramen inszenierte (etwa am 14.02.1927 Lessings „Emilia Galotti“, am 14.09.1927 Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, am 15.11.1927 Hebbels „Maria Magdalene“, am 16.03.1928 Ibsens „Wenn wir Toten erwachen“ oder auch am 28.03.1928 Gorkis „Nachtasyl“), widmete er sich in den darauffolgenden Jahren der Synthese, als welche sie Groth beschreibt. Es entstehen hier also durchaus sozialkritische, eigens für das Radio geschriebene Hörspiele, wie Leonhards „Orpheus“ (Uraufführung unter Rieths Regie am 15.02.1929), Kessers „Schwester Henriette“ /144/ (13.01.1930), oder auch die Inszenierung von Kästners „Leben in dieser Zeit“ /145/ am 13. und 26.02.1930. In den Folgejahren lässt die Anzahl an linksgerichteten Stücken wieder deutlich nach. Außer einer weiteren Leonhard-Uraufführung des Stückes „Stierkampf“ /146/am 28.05.1931 und Weissenborns „Reiherjägern“ am 25.10.1932 /147/, widmet er sich nun eher Hans Kysers „Wiederaufnahmeverfahren in Sachen Rembrandt“ /148/ oder Oberänders Bearbeitung von Zschokkes Novelle „Abenteuer einer Neujahrsnacht“/149/. Rieth, der von Beginn seiner Tätigkeit an bei der Werag selbständig Stücke inszenieren konnte, entspricht im wesentlichen mit der Wahl seiner Hörspiele diesen drei von Soppe genannten Phasen und stützt somit dessen Unterteilung.

Offensichtlich liegt also tatsächlich der Grund für den geringen Anteil sozialkritischer Stücke an Heils Inszenierungen darin, dass Heil erst zum Ende der Weimarer Republik seine Inszenierungstätigkeit aufnahm.

„Beim Radio hat sich mir ein neues Problem gestellt, nämlich die drei miteinander verbundenen Faktoren: Schauspieler, Mikro und Geräuschkulisse miteinander zu harmonisieren.“ /150/ Es fällt auf, dass Heil sich just dem Aspekt in Ausführlichkeit gewidmet hat, der gerade für seine Generation der Medienrezipienten neu war: dem der technischen Reproduktion von dramatischen Geschichten, die sich in ihrer Wiedergabe ausschließlich an das Sinnesorgan Ohr richten. Somit setzt er alles daran, das bislang auf optische Inszenierungen fokussierte Publikum durch die zunehmende Vervollkommnung der Geräuschkulisse gleichsam kompensativ zu entschädigen. Er sieht in der besonderen Art der Rezeption von Radiosendungen keinen Mangel, sondern einen wichtigen Vorteil des Mediums gegenüber anderen, den er dementsprechend ausgestalten will. So beschreibt Heil in seinen Anmerkungen zum Manuskript von Edgar Manfred Ebers „Der Kaffee“ (inszeniert am 05.01.1933), wie er selbst die schlichte Nennung der Erzeugungsmengen von Kaffee pro Land durch die Umwandlung der ursprünglich graphischen Art der Darstellung in eine akustische in Szene setzte:„[...es] kam mir der Gedanke, jeweils nach der Angabe der Menge einen Trommelwirbel mit abschließendem Beckenschlag folgen zu lassen. Die Dauer wurde durch die Höhe der Ziffer bestimmt, so dass ein Hörer, dem die Zahlenwerte nicht sofort eingingen, das Mengenverhältnis aus der verschiedenen Trommelwirbellänge erspüren konnte, wie es bei graphischen Darstellungen duch [!] die unterschiedliche Höhe der Balken erkennbar wird.“

Die Kritik wusste seine Bemühungen zu schätzen: „eine Zahlentafel mit den Ausfuhrzahlen verschiedener Länder ist fraglos der trockenste, nüchternste Stoff, der sich denken läßt. Diesen Stoff in ein unterhaltendes Spiel so einzubauen, dass er eindringlich wird und wie ein aufregendes Erlebnis wirkt - das dürfte immerhin als Kunststück gelten. Heil hat dieses Kunststück fertiggebracht. Er nahm die Statistik liebevoll in die Hand und verwandelte sie im Schwung zu einem Melodram, zu einer Moritat. [...] - Also auch Statistiken lassen sich ,funkisch‘ auflockern!“ /151/

Heil war sich der Tatsache bewusst, daß ein Hörspiel in der Lage sein muß, allein durch Geräusche Menschen und Situationen zu beschreiben und sie im Raum festzulegen. Dies zeigt folgende Anmerkung zu „Der Kaffee“: „Schallplatten lieferten charakterisierende und lokalisierende Geräusche; dazu [gab es eine] Geräuschkulisse, die mit Hilfe von Gegenständen erzeugt wurde (im Sendesaal).“

Heil setzte alles daran, in der akustischen Darbietung nicht nur inhaltliche, sondern auch klangliche Details so präzise wie möglich zu gestalten. Im gleichen Schriftstück ist zu lesen: „An der Art des verwandten Papiers lässt sich erkennen, wie sehr man bemüht war, jeden vermeidbaren Störfaktor auszuschalten. Es war beim Umblättern wirklich knisterfrei.“ Des weiteren bewirkte seine Erfahrung als Toningenieur, dass sich Heil in der Inszenierung der Geräusche über die Vorschläge des Autors hinwegsetzte: „Die vom Verfasser in der Spalte Ton aufgeführten Anweisungen wurden nur zum Teil berücksichtigt, eine organische Regie erfordert häufig andere Lösungen.“ Offensichtlich war ihm in diesem Fall eine besonders organische Lösung gelungen, denn der Kölner „Stadt-Anzeiger“ schreibt: „Zu seiner durchschlagenden Wirkung verhalf ihm aber erst die große, von Karl [!] Heil und seinen Helfern geleistete Regiearbeit. Das war wirkliche, aus dem Vollen schöpfende, entfesselte Rundfunkkunst. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: die virtuose, von musikalischem Gefühl geleitete Stimmenführung, die sehr bildhafte und genaue, niemals aufdringliche Geräuschkulisse, die Fülle der köstlichen, oft begeisternden Einfälle.“ /152/ Und so folgert der „Dortmunder Generalanzeiger“, „dass Heil nicht nur Geräusche zu meistern versteht, sondern auch als nachempfindender Spielleiter ein dichterisches Werk voll auszuschöpfen und seinen Schauspielern zu vermitteln weiß.“ /153/

Generell sei an dieser Stelle anzumerken, dass mir zwar dieses Sendemanuskript zu seiner Inszenierung von Ebers „Der Kaffee“ vorliegt, es aber - außer den sehr hilfreichen Anmerkungen, die Carl Heil 1968 für Frau Rossbach anfügte - nur geringfügig zum Verständnis seiner Inszenierungsweise beiträgt. Heil schreibt selbst, warum: „Zum Text ist zu bemerken, dass er im Laufe der Proben Veränderungen und Verbesserungen erhalten hat, die nicht notiert sind, weil ich sie im Kopfe hatte. [...] Uneingeweihte vermögen mit meinen Eintragungen wahrscheinlich nichts anzufangen. Da mir der Ablauf eines Stückes immer gegenwärtig war, setzte ich nur Zeichen als Erinnerungsstützen für die außerschauspielerische Gestaltung der Sendung.“ Diese Anmerkungen Heils verleiten immerhin zu folgenden Schlussfolgerungen: Heil hat sich nicht strikt an literarische Vorlagen gehalten; er legte großen Wert gerade auf die klangliche Darstellung, sowie auf ihre sinnige, dem Verständnis des Textes dienende und nicht zum Selbstzweck generierende Form der Aufbereitung. /154/ Es ist wahrscheinlich, dass er generell nach dem Prinzip des work-in-progress arbeitete und einmal gefundene Lösungen während der Proben auch wieder zu verwerfen imstande war. Daher rührt wohl auch seine Verwunderung über die fehlende Probenzeit der Franzosen. Bei ihm wächst die Inszenierung erst während der Arbeit an ihr, sie ist, wie er sagt, organisch und kein fertiges Produkt, das es lediglich abzulesen und mit Geräuschen zu unterlegen gilt. Weiter wird aus den obigen Anmerkungen deutlich, dass Heil sich derart mit dem Stück auseinandergesetzt hat, dass er sogar die Veränderungen des Textes auswendig kannte und somit nicht notieren musste. Es war seine offene, kreative und intensive Beschäftigung mit den ihm gestellten Aufgaben, die Charles Ford später über ihn sagen ließ, dass er „alles, was er machte [...] mit einer unglaublichen Sorgfalt vorbereitete[...]. Er war das gewissenhafteste Wesen, das genaueste und perfektionistischste, das ich jemals getroffen habe.“ /155/ So weigerte sich Heil am Sendetag, seine letzte Inszenierung für die Werag, das Hörspiel „Stahl und Eisen“ von Martin Dey, aufzuführen, weil man wegen technischer Defekte im ursprünglichen Sendesaal in einen anderen hätte ausweichen müssen: „Dies zu tun, weigerte ich mich. Aus künstlerischen Gründen. Es wäre unmöglich gewesen, eine qualitativ vertretbare Sendung (dazu noch für den Schulfunk) zu bieten. Es hätte sich bloß ein krüppeliges Zerrhörbild ergeben. Die Geräusche bildeten nicht nur eine orientierende, lokalisierende und Stimmung schaffende Kulisse, sie hatten auch eine dem Texte ähnliche Funktion und waren stellenweise untrennbar mit ihm verzahnt. Allen Vorstellungen gegenüber - mehrere Sender usw. angeschlossen (ein Grund mehr für mich) - beharrte ich auf meiner Weigerung. [...] Mit der Abschiedssendung hätte ich natürlich gerne noch einmal meine Visitenkarte abgegeben - aber eine saubere.“ /156/

Dass Heils Wille zur Perfektion, sowie seine Kreativität auch von der Presse honoriert wurde, zeigt die folgende Übersicht:„Karl [!] Heil hat sich als Spielleiter glänzend bewährt.“ /157/ „Von den zahlreichen Mitwirkenden sei nur der Spielleiter Karl [!] Heil genannt, der mit sehr viel Humor, Geschick und Klarheit das Spiel zur Aufführung brachte.“ /158/ „Carl Heil hatte als Spielleiter eine sehr glückliche Rollenverteilung getroffen und gab der Aufführung Schwung und Tempo.“ /159/ „Ich wurde mit der Herstellung der akustischen Umgebung beauftragt und ich habe mich sehr darum bemüht. Ich habe versucht, eine Atmosphäre herzustellen, die die Theaterausstattung ersetzt hat. Das ist der Grund dafür, dass ich von einer Geräuschkulisse rede. So haben wir für jedes Hörspiel eine klangliche Umgebung gestaltet.“ /160/ Liest man diesen Ausspruch Heils über seine Bemühungen um akustische Effekte am Radio in Köln, so wird klar, dass zunächst im Vordergrund stand, den Mangel, welcher bei einer Hörspielinszenierung im Vergleich zu einer Theaterinszenierung empfunden wurde, durch eine akustische Kulisse auszugleichen, die an die Stelle des fehlenden Bühnenbildes trat. Heils Aussage also ist ein typisches Beispiel dafür, wie sich die Regisseure in der Pionierzeit des Hörspiels noch deutlich am Theater und dessen Koordinatensystemen orientierten.

Heil erzählt Herrn und Frau Brès anschaulich, mit welchen Schwierigkeiten man in der Weimarer Republik bei der Aufzeichnung von Geräuschen und Stimmen aufgrund der Beschaffenheit der damaligen Mikrophone zu rechnen hatte: „Wenn man von den damaligen Mikros spricht, muss man nicht an die heutigen denken. [...] Man durfte sie nicht berühren. Man musste auf die Kraft der Stimme aufpassen: auf der einen Seite konnten die Bedingungen während der Aufführung eines Hörspiels wechseln und, zum Beispiel wenn das Wetter feucht wurde, klebten die Körnchen zusammen; auf der anderen Seite wurde die Stimme, wenn man nicht den richtigen Abstand einhielt, wegen der Empfindlichkeit der Drähte deformiert oder unhörbar.“ /161/

Um zu veranschaulichen, mit welchem Aufwand Carl Heil Geräusche für seine Sendungen erstellte und sammelte, werde ich folgende Beschreibung der Beschaffung von Geräuschen für die „Länder- und Städtebilder“ wiedergeben, die Heil in seinem Brief vom 05.08.1967 an Frau Rossbach schrieb: „So benötigten wir einmal das Geräusch eines über Steinpflaster holpernden Pferdekarrens. Es war zu der Zeit, wo wir schon über Schwarzplatten verfügten, die von unsern Wachsaufnahmen hergestellt wurden. Wir fuhren in einen [...] Vorort, wo Hermann Tölle einen Fuhrmann mit Karren und Pferd sowie das Pflaster kannte. Wir probierten und probierten, stundenlang, um die geeignete Straße, die gewünschte Gangart des Pferdes und das phantasieanregende Knarren der Räder ausfindig zu machen, und zwar im Hinblick auf das Mikrofon, das damals noch sehr eigenwillig in der Vermittlung von Geräuschen war. Endlich konnten wir an die Aufnahme gehen. Es war inzwischen dunkel geworden. Pferd, Wagen und Pflaster taten ihre Pflicht. Wir glaubten, zufrieden sein zu dürfen. Leider kannte Hermann Tölle außer dem Fuhrmann noch andere Vorortler. Und einer von denen kam im Hörbereich des Mikrofons vorbei und grüßte: ,Guten Abend, Herr Tölle‘. Was ich dieses höfliche Unschuldslamm verflucht habe! Denn sein nettes Wort verlangte von mir während der Sendung eine zusätzliche Akrobatik, damit es nicht über die Antenne ging.“ Bei dieser Erzählung wird deutlich, wieviel Improvisationsleistung der damalige Stand der Technik den Arbeiten vor dem Mikrophon abforderte. /162/

Um Heils Arbeit als Geräuschingenieur in angemessener Kürze einer anderen Art der Inszenierung vergleichend gegenüberzustellen, möchte ich auf den Unterschied zweier Inszenierungen von „Radau um Kasperl“, einem Hörspiel von Walter Benjamin, hinweisen. Benjamin selbst inszenierte das Hörspiel am 10.03.1932 am Frankfurter Sender, wobei der Fokus seiner Inszenierung auf Geräuschexperimenten lag; /163/ Heil brachte seine Inszenierung am 09.09.1932 an der Werag auf die Hörbühne. Roeltgen recherchierte, dass der einstündigen Inszenierung von Benjamin ein nur sieben Seiten langer Entwurf zugrunde gelegen habe, hingegen sich die Heilsche Inszenierung mit ihren 40 Minuten an ein sechsundzwanzigseitiges „Manuskript mit jeweils ausformulierten Dialogen, die von Geräuschen unterlegt waren“ /164/, hielt. Benjamin improvisierte den größten Teil der Sendung, indem er mit Geräuschen experimentierte. Bei Heil hingegen „besaßen die Geräusche eine eher untermalende Funktion. Aus handschriftlichen Notizen am Rand des Manuskriptes lässt sich entnehmen, dass ganz bestimmte Geräusche aus den Schallarchiven der Rundfunkgesellschaften vorgesehen waren, die dann für die Sendung angefordert wurden. Das Einspielen der Tonsequenzen basierte somit auf tatsächlichen Mitschnitten. Die Sendung entsprach in ihren Wortbeiträgen fast eins zu eins den ausformulierten Dialogen.“ /165/

Der bereits des öfteren angesprochene Perfektionismus Heils in seiner Arbeit beim Radio wird hier ein weiteres Mal bestätigt. Außerdem zeigt sich, dass die verschiedenen Elemente einer Inszenierung für Heil keinen Selbstzweck erfüllen, sondern grundsätzlich integrale Bestandteile des Ganzen sind. So schreiben auch Herr und Frau Brès, nachdem sie Benjamins Regiearbeit vorgestellt haben: „In der Sendung von Carl Heil gab es gewiss keine allein stehenden Geräusch-Spiele; die Geräusche waren in den Text integriert [...].“ /166/


Erste Arbeit im Ausland: Paris 1931

„Bedauern wir, ohne übertriebenen Chauvinismus, dass man sich an das Ausland wenden musste, um endlich ein Drama im Radio hören zu können, das die oft abgedroschene Bezeichnung Hörspiel verdient.“ /167/

Ich möchte am Beispiel der Pariser Inszenierung des Stückes „S.O.S. ... Rao Rao ... Foyn - ,Krassin‘ rettet ,Italia‘ ´´ von Friedrich Wolf, bei der Rudolf Rieth Regie führte, Heils Arbeit als Toningenieur beleuchten. Da Heil hier außerdem Hilfsregisseur war, der offensichtlich entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung des Stückes zu haben schien, möchte ich ausführlich auf diese Aufführung eingehen, um exemplarisch die Arbeitsweise einer Hörspielinszenierung Heils, sowie deren Erfolg darzustellen. Leider muss davon ausgegangen werden, dass von dieser Aufführung, die am 29.01.1931 über den privaten Sender Radio-Paris ausgestrahlt wurde, weder ein Manuskript, noch ein Mitschnitt mehr vorhanden ist.

Auch eine französische Übersetzung, die von einem Herr Denis /168/ angefertigt wurde, ist nicht mehr aufzufinden.

Inhalt und Form von S.O.S.

Krassin, ein sowjetischer Eisbrecher, rettet die südlich der Insel Foyn im Eismeer steckengebliebene italienisch-faschistische Italia, ein Luftschiff, das die Mannschaft um General Nobile beherbergt. Möglich wird diese Rettung durch einen verarmten Bauern und Amateurfunker an der Murmanküste, der als Einziger die Notsignale der italienischen Mannschaft auffängt und damit die erfolgreiche Rettungsaktion einleitet: In dieser Rettungsaktion wurde die Rettung ranghoher Vertreter eines faschistischen Landes durch den Einsatz russischer Arbeiter ermöglicht, die zur Instandsetzung der Eisbrecher auf Teile ihres Lohns verzichteten, bzw. den Achtstundentag außer Kraft setzten. „Die Gewerkschaften erteilen für dieses besondere Rettungswerk die Erlaubnis, den Achtstundentag außer Kraft zu setzen und doppelte Nachtschichten einzulegen. Es gibt kein größeres Zugeständnis in der Sowjetunion als dieses zur Hilfeleistung für ein fremdes Land.“ /169/ Eine internationale „von der Technik beflügelte Solidarität aller Schaffenden“ /170/ soll den Beginn einer künftigen Weltgemeinschaft einleiten, die sich in überstaatlichen Vereinigungen organisiert. In ihr wird Menschlichkeit bloße Parteizugehörigkeit ersetzen und weltanschauliche Gräben zu überwinden helfen. „Dabei fungiert die Technik bei Friedrich Wolf als Sinnbild in doppelter Bedeutung: - als ein die Welt verbindendes Mittel (Austausch, Weitergabe von Informationen, die lebenserhaltend sein können) und als ein die Welt aktivierendes (organisierendes) Mittel (humanitäre Hilfe) über ideologisch getrennte Systemgrenzen hinweg.“ /171/

Eine gewisse Vorreiterrolle für die Hörspiele der Weimarer Republik nahm S.O.S. aufgrund seiner mediengeeigneten Form ein: Durch häufige Szenenwechsel, sowie die Thematisierung und Glorifizierung der (Funk-)Technik /172/ wird S.O.S. zu einem Funkdrama, das sich idealtypisch den diese Kunstrichtung konstituierenden Bedingungen anpasst, indem es in den vermeintlichen Nachteilen der Hörbühne gegenüber dem Theater gerade deren Vorteile sieht und diese deutlich macht. So zum Beispiel sind Szenenwechsel, die auf der Bühne stets Schwierigkeiten verursachen, konstituierend für den Krassin. Pongs nennt es denn auch ein „stilreines Funkspiel“ /173/, und dies aus technischen Gründen ebenso wie aus inhaltlichen. /174/

Nachdem S.O.S. bereits im November 1929 seine deutsche Erstausstrahlung erlebte, /175/ wurde es noch im gleichen Jahr auch von Frankfurt, Stuttgart, München und Breslau gesendet.„Dieser Sendung schloss sich die erste Wiederholung am Freitag, dem 8. November 1929, beim Berliner Sender sowie eine Sendeübernahme durch die Sender in Königsberg und Danzig (,Schlesische Funk-Stunde‘) an als auch eine weitere Eigenproduktion, die vom Sender Köln ausgestrahlt wurde“. /176/


Produktionsbedingungen

Es war die Kölner Inszenierung Rieths vom 08.11.1929, /177/ die M. Platrier vom französischen Sender Radio-Paris /178/ am besten gefiel, so daß er Rieth als Regisseur, Heil als Hilfsregisseur und Gustav Kneip als Komponisten der Begleitmusik nach Paris einlud, um dort das Stück mit Schauspielern des Théâtre Gymnase und dem Théâtre de l’Odéon auf die Hörbühne zu bringen. Ein Hörspiel im übrigen, bei dem, im Gegensatz zur Version an den deutschen Sendern, in Paris die „Internationale“ gespielt wurde. Überhaupt sei es „das erste Mal, dass ein deutsches Hörspiel in französischer Übersetzung an einem Pariser Sender zur Aufführung gelangte und Rieth [war] der erste deutsche Spielleiter, der zur Einstudierung seines Sendespiels in französischer Sprache nach Paris berufen wurde.“ /179/ Rieth schreibt an Wolf, als sich die Möglichkeit abzeichnet, das Stück in Paris zu inszenieren: „Ich nehme unseren Geräuschspecialisten (Herrn Heil) mit und probe mit den Künstlern dort auf Teufel komm heraus. Es kann eine ganz große Sache werden.“ /180/

Die ausladenden Probensitzungen allerdings waren keine Selbstverständlichkeit: Heil erzählt diesbezüglich, dass er, weil das Telegramm mit der Einladung nach Paris nicht zur erwarteten Zeit in der Werag eintraf, an einem Mittwoch nach Paris fuhr, um persönlich die Termine zu klären. Herr Platrier habe ihm dort eröffnet, dass die Vorstellung für Samstag derselben Woche geplant sei - keine Besonderheit in Paris, wo man für die Inszenierungen nicht ein einziges Mal übte (denn hier nahmen die Schauspieler lediglich zur Stunde der Aufführung das Textbuch in die Hand und lasen das Stück mit verteilten Rollen). Heil konnte den Sendetermin verschieben und vier Proben aushandeln. In Köln wurden vergleichsweise zehn Proben für die Einstudierung der Schauspielertexte, sowie für die Erstellung der Geräuschkulisse einkalkuliert. /181/

Allerdings schienen die beiden Regisseure hinsichtlich der Qualität der Schauspieler begeistert gewesen zu sein. So schreibt Rieth an Wolf: „Sprechen können diese Kerle von Kollegen ja, dass einen der Neid packen kann. Und dazu diese Natürlichkeit!“ /182/ In Bezug auf akustisches Instrumentarium sah sich Heil mit deutlich schlechteren Ausgangsbedingungen als am heimischen Sender konfrontiert: Wesentliche Gegenstände zur Erzeugung diverser Geräusche fehlten im Pariser Studio. So brachte er die Gegenstände teils selbst aus Köln mit, teils lieh er sie in Pariser Geschäften aus. Manchmal wieder wich er auch auf Alternativen aus, so imitierte er zum Beispiel mit Hilfe einer Orgel die Schiffssirene. /183/

Rieth schreibt im bereits erwähnten Brief an Wolf, in dem er von der Aufführung und ihren Umständen berichtet, dass die Inszenierung in Paris „eindringlicher als die unsere“, also die Kölner Inszenierung, gewesen sei. Das habe vor allem am „fabelhaften Impetus’, mit dem die französischen Kollegen sich für ihre Aufgaben einsetzten und der größtenteils ausgezeichneten Besetzung der Hauptrollen mit bekannten Pariser Darstellern“ /184/ gelegen. Allerdings habe die Aufführung, dem Pressedienst zufolge, „auf einer dem französischen Durchschnitt weit überragenden Höhe“ /185/ gestanden. Das heißt also, dass dieser Erfolg nicht nur den Schauspielern zu verdanken war, sondern auch die Arbeit der beiden deutschen Regisseure offensichtlich durchaus entscheidend zum Erfolg beigetragen hat: „Die Geräuschkoulisse - nie Selbstzweck - klappte ausgezeichnet. Mein treuer Atlatus: Carl Heil hatte Sirenen /186/, Morseapparatur etc., von hier mitgenommen. Das Herannahen des Krassin war fabelhaft.“ /187/ Was die Musik betrifft, so war es Kneip, der die „Internationale“ für dieses Hörspiel neu arrangierte. Dies ist insbesondere von Bedeutung, als es das erste Mal war, dass die „Internationale“ im französischen Radio gespielt wurde./188/

Die deutsche Zeitschrift „Ohr und Antenne“ äußert sich begeistert über Art und Weise der Inszenierung:„Das Hörspiel ist in einer großartigen Inszenierung herausgekommen. Schon in den ersten Szenen, in den Notrufen und Alarmsignalen, in Angstfieber und den verzweifelten Rufen von der Eisscholle, in dem Alarm der Radiostation und in den Rufen: Wir - suchen - Sie! - schon in diesen ersten Szenen erreichte die Pariser Inszenierung eine atemlos beklemmende Wirkung. Die Aufführung war [...] brennender und heißer, sie war hinreißender als die des Westdeutschen Rundfunks.“ /189/ Und interessanterweise fügt die Zeitung hinzu: „Heute darf S.O.S. von keinem deutschen Sender mehr gespielt werden. Heute, nach noch nicht zwei Jahren, ist der Rundfunk umklammert von der politischen Reaktion und Zensur. Heute müssen Heil und Rieth, die Regisseure des Westdeutschen Rundfunks, nach Paris, um Wolfs Hörspiel inszenieren zu können. Jawohl - nach Frankreich, dem Lande der rückständigsten Schauspiele und Hörspiele.“ /190/ Der zitierte Abschnitt zeigt, wie zugespitzt die politische Situation bereits zu Beginn des Jahres 1931 in Deutschland war, wie wenig Möglichkeiten sozialkritische Hörspiele hatten, an deutschen Sendern aufgeführt zu werden.

In den französischen Zeitungen fallen die Kritiken insgesamt entsprechend der politischen Gesinnung der Redakteure aus. So kündigt die Tageszeitung „L’Humanité“, „das Zentralorgan der kommunistischen Partei“, die Aufführung folgendermaßen an:„Wir sind gespannt zu sehen, inwieweit die Zensur des demokratischen Frankreich diese schöne Vorlage entstellt haben wird mit dem Ziel, daraus ein reines gegenrevolutionäres Stück zu machen. Arbeiter, die ihr begeisterte Zuhörer des Radios seid, stellt heute Abend um 20 Uhr Euer Radio auf Radio-Paris ein.“ /191/

Was die Ausgestaltung des Stückes angeht, konstatiert die Wochenzeitung „Gringoire“: „Die Regisseure [...] meinen es gut; aber sie haben noch nicht verstanden, dass ein Hörspiel wie S.O.S. für sich alleine steht: dass es keiner Präsentation und keines Kommentars bedarf.“ /192/ „L’Humanité“ wiederum ist in Bezug auf die Aufführung gespaltener Meinung: Da ihr der Originaltext nicht vorliegt, hegt sie zunächst einmal Zweifel, ob die Übersetzung und die Inszenierung den ursprünglichen Sinn des Wolfschen Werkes wiedergegeben haben. Grundsätzlich allerdings konstatiert der Autor, R. Jacob, den Mangel an realistischer Darstellung, etwa in der Szene des leningradschen Arbeiterrates eines Eisenwalzwerkes. Die das Stück abschließende „Internationale“ sei von Radio-Paris /193/ in eine „verfälschte leichte Musik im Zehnteltakt“ /194/ umgewandelt worden. Auch die Musik, die zwischen den einzelnen Szenen gespielt wurde, erschien dem Autor „gar zu sehr wie eine Überleitung“ /195/ zwischen den schnell aufeinanderfolgenden 29 Szenen. Ein Zweck allerdings, den Musik meines Erachtens durchaus zu Recht erfüllen kann. Auch mit der Anordnung und Einspielung der Geräusche war „L’Humanité“ nicht zufrieden: „Was die Tonuntermalung betrifft, so kam sie nicht auf den Punkt. Die Sirene des Krassin zum Beispiel nahm einen zu großen Platz in der Aufführung ein und der Krach des durch das Schiff splitternden Eises sollte meines Erachtens ein wesentlich volleres Geräusch machen als das, welches uns Radio Paris angeboten hat.“ /196/

„L’Antenne“ dagegen beschreibt die Umstände, unter denen Heil die Geräuschkulisse erstellen musste: „In dem Drama ist die Geräuschausstattung besonders wichtig. Sobald die Deutschen [...] hierher bestellt wurden, haben sie sofort in weiser Voraussicht dem Studio Radio-Paris alle Accessoires geschickt, die sie nicht im Sender finden konnten, der dennoch als bestausgestatteter Frankreichs gilt.“ /197/

„La Parole Libre“ äußert sich positiv über die Geräusche und die Musik. Deren Einsatz sei rechtzeitig gewesen, und weder die Geräuschkulisse, noch die musikalische Atmosphäre hätten zu irgendeinem Moment die Stimmen der Schauspieler übertönt oder gestört. /198/ Auch „L’Ami du peuple du soir“ schreibt, dass „die Atmosphäre des Dramas auf bemerkenswerte Weise geschaffen [wurde]. Die Geräusche wurden mit Genauigkeit hergestellt und die Interpretation hat ihr Bestes getan.“ /199/

In Bezug auf die Schauspielerleistung allerdings war der Kritiker Paul Dermée von „Parole Libre“ nicht gleichermaßen wohlwollend. So fasst er zusammen: „Alles in allem wurde S.O.S. ziemlich schlecht von den Schauspielern gespielt. Wenig Emotionen und keine Spur dieser konzentrierten Energie, die nötig war, um jeder der einander folgenden Szenen genügend Intensität zu verleihen.“ /200/ Hat also Rieth hier aus Taktgefühl sich so positiv über die französischen Kollegen gegenüber Wolf geäußert? Immerhin fügt „La Parole Libre“ hinzu, dass die Stimmen leicht geklungen hätten, da die Schauspieler genügend Platz zwischen sich und dem Mikrophon ließen. Auf diese Weise sei ein wohltuender Unterschied festzustellen zu den sonst üblichen, geschrienen Disputen am Mikrophon, die immer dann stattfänden, wenn es um einen Austausch von leidenschaftlichen Reden ginge./201/ Da sich allerdings auch der „Gringoire“ negativ über die Schauspieler äußert, ist es möglich, dass die Kritiker eine modernere Art zu spielen einfordern, der weder die Hörspieler in Köln, noch die in Paris nachkommen. So schreibt der „Gringoire“: „Die Schauspieler haben Talent; aber ihre Feierlichkeit entspringt dem Theater. Sie haben noch nicht verstanden, dass die Qualität der Stimme und nicht ihre Lautstärke den blinden Hörer berührt.“ /202/

„Erkennen wir dennoch an, dass die Aufführung exzellent war und die Sendung voller Interesse.“ /203/ Bei aller Kritik, die an bestimmten Details der Aufführung geübt wurde, ist der Grundtenor in der Presse doch positiv. Es wird gewürdigt, dass der Versuch, ein sozialkritisches, darüber hinaus ausländisches Hörspiel im französischen Radio zu senden, bislang einzigartig und lobenswert ist. Darüber hinaus sei die Technik der deutschen Gastregisseure denen der Franzosen weit voraus: „Wir haben diese Woche auf Radio-Paris das Drama „S.O.S“ gehört, was mit Sicherheit die interessanteste radiotechnische Umsetzung ist, die uns je zu hören gegeben wurde.“ /204/


Heils soziales Engagement

„[...] seine pazifistischen und sozialistischen Überzeugungen, das Bewusstsein der tragischen Situation, in der sich Deutschland befand, die Notwendigkeit, deren Strukturen zu verändern, machten aus ihm, wenn schon keinen „Weggefährten“, so doch zumindest einen Sympathisanten der progressiven Ideen.“ /205/

Wie ich bereits oben dargestellt habe, hat Heil sich für das Recht der Unterprivilegierten auch in seiner Arbeit eingesetzt. So wurden von ihm etwa bevorzugt die externen Hörspieler für Stücke ausgewählt, die am bedürftigsten waren. Die künstlerische Qualität der Produktion stellte Heil hier ihrer sozialen Dimension hintan. Damit nahm er allerdings auch eine schlechtere Bewertung seiner Arbeit seitens der Presse in Kauf.

Heil stellt dar, dass er mit Habaru, einem belgischen Journalisten, der darüber hinaus ein „großer sozialdemokratischer Pazifist“ war, „dem Kölner Radio ein Dossier über die sozialen Fragen“ /206/ vorgestellt habe. Der letzte Beitrag, für den Heil nach eigenen Angaben Regie führte, der allerdings nicht mehr ausgestrahlt worden sei, ist „eine Sendung über den Bergbau, eine Dokumentation mit gespielten Szenen“/207/ gewesen. Dies zeigt zum einen, dass Heil des öfteren als Regisseur in Dokumentationssendungen tätig, zum anderen, dass die Art des Arrangements offensichtlich progressiv gewesen war. Kann Heil also als zugehörig zu den sozialkritischen Avantgardisten unter den Rundfunkpionieren gesehen werden? Schon vor dem Hintergrund der im folgenden aufgestellten statistischen Beobachtungen ist diese Frage eindeutig mit ja zu beantworten.

Der Auflistung der von Heil inszenierten Stücke - zumindest derer, bei denen er in der Werag mit seinem Namen genannt wird - ist zu entnehmen, dass Heil hauptsächlich für den Jugend- (bzw. Kinder- und Schulfunk) inszenierte, was von vornherein die Zahl der relevanten Stücke in thematischer Hinsicht begrenzte. Allerdings ist auch in seinen Inszenierungen für das Abendprogramm keine ausschließliche Fokussierung auf sozialkritische Inhalte zu sehen. Wie Würffel schreibt, lag jedoch der Anteil sozialistischer Hörspiele an der Menge aller bei nur 1%. /208/ Dies verändert die Sichtweise angesichts der tatsächlichen Verhältnismäßigkeit. Allein mit der Inszenierung von „S.O.S.“ und „Radau um Kasperl“ bezog Heil, im Vergleich zu anderen Regisseuren, eine ausnehmend sozialkritische Position.


Was aber dachte er über das Radio als Medium?

Erwähnung verdient an dieser Stelle die Tatsache, dass von Heil leider keine theoretischen Äußerungen zu diesem Themenkomplex, wie wir sie von vergleichbaren Rundfunkpraktikern /209/ (etwa Wolf, Brecht oder Benjamin) kennen, verfasst wurden. Auch in den zahlreichen Interviews stellt Heil das Medium Radio an sich nicht in Frage. Hat sich Heil aber dennoch Gedanken über die Funktionsweise dieses Mediums gemacht? Und welche Konsequenzen zog er daraus?

Eine theoretische Positionierung Heils lässt sich an seinen praktischen Radiotätigkeiten ablesen. So hat er zum Beispiel seine Kritik an gesellschaftlichen Verhaltensweisen vor allem in der Sendereihe „Mensch und Welt“, sowie in den „Länder- und Städtebildern“ formuliert. „Mensch und Welt“ war eine Sendung für Arbeitslose. Heils Motivation dabei war, das Medium Radio einzusetzen, um Sendungen für eine - bislang unterprivilegierte - Öffentlichkeit zu gestalten. Nicht dagegen war es sein Ziel, die Gesellschaftsordnung durch das Radio zu ändern, etwa durch Brechts Vision einer Umgestaltung des Radios in einen Kommunikationsapparat: Dies hätte die Konsequenz, dass passive Rezipienten zu aktiven Produzenten würden.

Ein Argument dafür, dass Heil diesen Wunsch nicht teilt, ist das Hörspiel „Radau um Kasperl“, das von Benjamin in Frankfurt und von Heil in Köln inszeniert wurde. Benjamin schickt in diesem Stück den Zuhörer zusammen mit Kasperl auf eine Entdeckungsreise des Rundfunks: Kasperl wird von einem Rundfunksender eingeladen, um als Publikumsmagnet vor dem Mikrophon zu sprechen. Mit seinem kindlich-naiven Blick deckt Kasperl die Funktionsweisen des Rundfunks auf. Er flieht vor den Vertretern dieser Institution, weil er die Asymmetrie des Mediums genutzt hat, um seinen Rivalen Seppl zu diffamieren. Somit hat er die Wut der Verantwortlichen auf sich geladen. Nach der ereignisreichen Flucht, die Kasperl unter anderem über eine Kirmes und durch einen Zoo führt, wird ihm in seiner vermeintlich geschützten Wohnung mitgeteilt, dass ein Aufnahmegerät, ohne dass er es bemerkt hätte, seine Äußerungen mitgeschnitten hat.

Benjamin macht mit seiner Geschichte auf entscheidende Mängel des neuen Mediums aufmerksam: so hebt er die Aufhebung der räumlichen Distanz zwischen Sprecher und Rezipienten hervor, kritisiert aber zugleich die Anonymität, die zwischen beiden besteht. Neben der Ein-Weg-Kommunikation des Radios, die Kasperl gleich für sich zu nutzen weiß, wird das Machtgefälle zwischen Sender und Empfänger deutlich: Der Sender zeichnet nach Belieben Tonmaterial auf, um es in die Öffentlichkeit zu diffundieren; dem Rezipienten, der im Falle Kasperls grundlegend an der Sendung beteiligt ist, wird anschließend die Möglichkeit genommen, auf die Missachtung seiner Persönlichkeitsrechte öffentlich zu reagieren.

Benjamin lässt das Medium Radio mittels Autoreferentialität sich selbst reflektieren. Er führt sein Stück im Abendprogramm auf, während es Heil im Jugendfunk inszeniert. „Die kindgerechte Form verdeckt auf den ersten Blick die vorhandene Sprengkraft. Auch die hinter den Kindern versteckten Eltern waren angesprochen. Es handelt sich nicht nur um ein Hörspiel für Kinder.“ /210/ Hat auch Heil diese Sprengkraft verkannt, weil er das Stück für den Jugendfunk bestimmte?

Benjamin versuchte dadurch, dass die Geräusche seiner Inszenierung von den Zuhörern erraten werden mussten, ihre aktive Beteiligung zu forcieren. Damit wagte er einen ersten Schritt, um die Trennung von Sender und Empfänger aufzuheben. Neben der Kritik an den Funktionsweisen des Radios versucht er also im gleichen Moment, die konstatierten Mängel zu beheben. Bei Heil haben die Geräusche lediglich illustrierenden Charakter. Es scheint zumindest nicht Heils Intention gewesen zu sein, Kritik am Radio derart deutlich zu machen, dass die Zuhörer ihre Konsequenzen daraus ziehen und der Distributionsapparat Radio sich sukzessive in einen Kommunikationsapparat hätte verwandeln können.

Die Feststellung des Ehepaars Brès, dass „Carl Heil und Bertolt Brecht durch dieselbe grundsätzliche Skepsis hinsichtlich der auf der neuen Technik basierenden Einsatzmöglichkeiten des Radios miteinander verbunden waren, was deren Begegnung erklärt“ /211/, halte ich für falsch. Brecht, wie auch Benjamin, stellen das Medium Radio insgesamt in Frage und führen damit ihren Reflexionsprozess gleichsam auf der Metaebene. Heil hingegen verbleibt innerhalb der durch das Medium gesetzten Schranken. Er will die Funktionsweisen des Radios nicht grundsätzlich ändern. Allerdings instrumentalisiert er das Radio derart, dass er dessen Grenzen und Möglichkeiten auszuloten versucht, um sie zu verschieben. Damit eröffnen sich ihm neue Möglichkeiten. Das heißt, dass sich Heil durchaus mit dem Medium auseinandergesetzt hat. Allerdings interessierte ihn nicht die Veränderung von dessen Medienstruktur, sondern die Frage und Suche nach der praktischen Anwendbarkeit. Er stellt nicht das Medium an sich in Frage, sondern möchte es verbessern; dies zeigte Heils perfektionistisches Bemühen um technische Neuerungen in seinen experimentellen Arbeiten.

Zusammenfassend ist also festzustellen, dass seinen Bemühungen um Grenzverschiebungen innerhalb des Mediums Radio ein impliziter Reflexionsprozess vorausging. Während Benjamin und Brecht sich die Frage stellen, wie das Medium an sich funktioniert und aufgrund der daraus folgenden Erkenntnis eine Umstrukturierung des Radios fordern, steht für Heil der Inhalt des Dargebotenen im Mittelpunkt. In diesem wesentlichen Punkt liegt also meines Erachtens der Unterschied zwischen Heil auf der einen und Benjamin und Brecht auf der anderen Seite. In ihrem Bemühen um Instandsetzung der unterprivilegierten Bevölkerung und in ihrem sozialen Engagement hingegen sind sie einander durchaus vergleichbar. Insofern halte ich das folgende Zitat von Palmier für begründet: „Carl Heil, ebenso wie Benjamin, betrachtete seine Mitarbeit am Radio als einen einfachen Broterwerb. Er war sich der Neuartigkeit des Vorganges bewusst, all dessen, was noch zu erfinden war, um [aus dem Radio] ein wahres Kulturinstrument zu machen.“ /212/

Heil entwickelte im Dienste des Radios technische Neuerungen. Er wählte progressive Inhalte und strebte danach, kulturelle Bildungsinhalte durch sein Engagement an der Werag zu vermitteln. Im folgenden Kapitel möchte ich in gegebener Kürze der Frage nachgehen, inwiefern Heil mit seinen Einstellungen zu Aufgaben und Inhalten des Rundfunks die Vorstellungen seines Arbeitgebers Hardt - und somit der Werag als Institution - teilte.


VII.
Die Werag - ein idealer Arbeitgeber für den jungen Rundfunkpionier?

Besonderheiten der Werag


„Er [der WDR] trägt so alle Welt zu aller Welt, schlägt Brücken von Stand zu Stand, und schafft, wie nichts vor ihm es getan, für jedermann und für alle wechselseitig jene große Grundlage vernünftigen Lebens der Menschen untereinander: Weltkenntnis.“ /213/

Ernst Hardt, der Intendant der Werag, war Mitbegründer der Demokratischen Partei./214/ Als überzeugter Liberaler war er bestrebt, mit der Werag aus dem Rundfunk ein Bildungsinstrument zu machen. In seiner Funktion als Intendant wollte Hardt dazu beitragen, das Proletariat kulturell zu erziehen, was er etwa mit der „Stunde des Arbeiters“ zu verwirklichen suchte. /215/ Insofern sah er es als Aufgabe des Radios, „als ein treuer Diener, welcher seinem Herrn als Mensch zum Menschen nahesteht, [...] seinen Herrn unmerklich [zu] führen, wenn der Herr aus Arbeitsmüdigkeit des richtigen Weges nicht achtet und unbewusst in die Irre reiten will, als ein treuer aufrichtiger Wegführer und Wegweiser.“ /216/ Erich Kästners Fabian hätte ihm auf diesen Wunsch wahrscheinlich geantwortet: „Du willst, träumst du, das Kleinbürgertum sammeln und führen [...] und das Proletariat einbürgern. Und dann willst du helfen, einen Kulturstaat aufzubauen, der dem Paradies verteufelt ähnlich sieht. Und ich sage dir: Noch in deinem Paradies werden sie sich die Fresse vollhauen!“ /217/

Eine Beurteilung der Werag in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht kann nur gelingen, wenn man ihre Vertreter, Inhalte und Sendemodalitäten im Rundfunkkontext der Weimarer Republik betrachtet. Bereits im Hinblick auf die an ihr beschäftigten Personen fällt zum Beispiel auf, dass trotz der Bestimmungen der Überwachungsausschüsse [die die Anstellung von (Partei-) kommunisten verboten] das ehemalige KPD-Mitglied Hans Stein als Dezernent für Wirtschaft und Soziales eine leitende Stellung innerhalb der Rundfunkanstalt einnahm. Auch Alexander Maass, aktives Mitglied der kommunistischen Partei, war mit seiner prominenten Sprechertätigkeit vor dem Mikrophon fest in das Sendegeschehen eingebunden.


Haltung zur Zensur

Trotz dieser souveränen Missachtung der von den Überwachungsausschüssen festgelegten Regeln allerdings unterstützten Hardt wie Stein die Zensur: Da es pro Region nur eine Rundfunkanstalt gäbe, habe das Publikum nicht die Möglichkeit, ebenfalls im Medium Radio Kritik an Beiträgen zu äußern. Im Prinzip also bemängeln die beiden Rundfunkverantwortlichen die mediale Struktur des Radios. Aufgrund der mangelnden Möglichkeit einer Antwort dürften ihrer Meinung nach extreme und einseitige Positionen im Rundfunk keine Verbreitung finden. Dieses Verbot galt für linke Äußerungen genauso wie für rechte.

Tatsächlich erinnert sich Heil daran, dass zum Ende der Weimarer Republik politisch rechts gesinnte Gruppierungen zwar im Kölner Radio ihre Meinung äußern durften, jedoch nur in einem gewissen Rahmen: Sie mussten sich an das vorher mit der Sendeleitung abgesprochene Skript halten. Sobald sie während der Sendung vom Skript abwichen, hatte der Ansager Weisung, sie zu unterbrechen. Diese Erfahrung machte laut Heil eine „völkische“ /218/ Gruppe, die volkskundliche Blubo-Sendungen zu verbreiten suchte. Auf diese Art der Intervention seien „neutrale“ Sendungen mit einem „einfach bourgeoisen Charakter“ /219/ entstanden. Dass die Zensur ebenso für kommunistische Positionen galt, wird in einem Brief von Alexander Maass an G.W. Pijet klar. Dieser hatte sein Stück „Mietskaserne“ der Werag vorgeschlagen, woraufhin Maass schreibt: „Mit der ,Mietskaserne‘ ist es natürlich Kappes. [...] Du weißt doch auch, dass es heute ganz unmöglich ist, das im WDR irgendwie unterzubringen. Bei unserer Sendestelle ist es genauso beschissen wie woanders auch.“ /220/

Mit dieser Gleichsetzung allerdings irrte Maass ganz offensichtlich. Aus einer Durchsicht der Werag-Bände /221/ sowie aus den Erinnerungen Heils wird klar, dass die Werag eine der wenigen Institutionen in der Medienlandschaft der Weimarer Republik war, die erst im März 1933 gleichgeschaltet wurde - die anderen hatten ihre Gleichschaltung im Grunde bereits vor 1933 erfahren. In der Akte 11095 des „Historischen Archives“ ist zu lesen: „13.3.1933 war es dann soweit: Der Rundfunk wurde ,gleichgeschaltet‘. Hausverbot und Entlassung von Intendant Ernst Hardt, Dr. Hans Stein, Fritz Worm, Hans Ebert, Hermann Spitz, Els Vordemberge, Walter Stern, Dr. Hanns Ulmann, Dr. Wilhelm Tigges usw. usw.“ Heil äußert sich im Interview mit Herrn und Frau Brès folgendermaßen: „Bis zum Ende - oder genauer bis zu Hitlers Machtergreifung - haben wir an der Werag in Köln eine große Unabhängigkeit genossen und den Druck der Nazis nicht gespürt. Die Nazis hatten keinen Einfluss auf unsere Sendungen: die Programme wurden von unserem Intendanten erstellt, der ein Liberaler war. Und zum Beispiel der Intendant von Frankfurt, Flesch - der eine andere Meinung vertrat - konnte in unsere Sendegestaltung nicht reinreden oder etwas gegen sie unternehmen. Weder er, noch die aus München, Stuttgart oder Berlin.“ /222/ Natürlich muss auch diese Aussage Heils relativiert werden: Wie Frau Dr. Mohl bestätigt, konnten Hardt und Stein nicht umhin, ihre inhaltlichen Grenzen im voraus auszuloten und die Zensur zu antizipieren, um auf diese Weise eine gewisse thematische Freiheit zu behalten. Dies wird auch der Grund für Maass’ Vermutung gewesen sein, dass Pijet mit seinem Hörspiel „Mietskaserne“ keine Chance auf Akzeptanz bei der Werag hatte, zeichnete Pijet doch in seinem Stück auf besonders erschütternde Weise das Elend des Proletariats am Beispiel der Bewohner eines Berliner Mietshauses nach./223/


Umgehung der Zensur

Eine linksliberale Gesinnung belegen die vom 09.01.1928 bis zum 05.08.1931 wöchentlich stattfindenden „Gespräche über Menschentum“. In diesen Sendungen, die „ein Novum in der Rundfunkpraxis“ darstellten, diskutierten Hardt, Dr. Stein, Fritz Worm und Prof. Honigheim - als Vertreter der unterschiedlichsten gesellschaftstheoretischen Positionen - die Entstehung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat. Die Besonderheit lag darin, dass sie kein Manuskript verwendeten, sondern dass ihre Gespräche erst im Moment der Aufnahme vor dem Mikrophon entstanden. Damit setzte sich Hardt abermals über die ursprünglichen Beschlüsse des Überwachungsausschusses hinweg und erreichte eine weitere Ausnahmeregelung.

Frau Dr. Mohl, die die stenographische Mitschrift der „Gespräche über Menschentum“ einsah, bestätigt, dass die Gespräche keinen revolutionären Charakter hatten, in ihnen aber doch konträre Standpunkte in einer Weise diskutiert wurden, wie es im zeitgenössischen Rundfunkgeschehen nicht üblich war. Des weiteren stellte sie fest, dass die Gespräche im Jahre 1931 „fahriger“ wurden, was damit zu erklären ist, dass Sendebedingungen und Redefreiheit verschärften Kontrollen unterlagen. Hardt und Stein widersprachen mit dieser Sendereihe keineswegs ihrer Forderung nach Zensur: Bestand diese ihrer Auffassung nach doch lediglich im Verbot von Einseitigkeit der Darstellung, bzw. Verbreitung extremer Positionen. Indem in den „Gesprächen über Menschentum“ die Vertreter unterschiedlicher Meinungen und sozialkritischer Hintergründe zusammentrafen, übernahmen diese gleichsam wechselseitig die Aufgabe, ihre Gesprächspartner zu kritisieren und in Frage zu stellen. Insofern erfüllte sich die Forderung des Staates, der Rundfunk habe als Kulturfaktor nicht politisch zu sein, in Hardts Leitung der Werag nicht: Ein Gespräch zwischen Vertretern unterschiedlicher Wertvorstellungen, die über die Entstehung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat sprachen, konnte nicht unpolitisch sein.


Gegen einen Ausschluss der Unterprivilegierten

Wenn Hörburger konstatiert, dass „in den ersten Jahren Sendespiel und Hörspiel nur begrenzt die Masse jener erreichen konnten, die durch Ausbildung und ökonomischen Status vom allgemeinen Kulturbetrieb ohnehin ausgeschlossen blieb“ /224/, so unternahm die Werag spätestens im Jahre 1930 - mit der Einführung der Sendereihe „Mensch und Welt“ - ernsthafte Versuche, einem Ausschluss der Unterprivilegierten aus der Rezeption von kulturellem Bildungsgut entgegenzuwirken. Zu diesem Schluss komme ich nach der Lektüre von Willi Schäferdieks Bericht für das „Historische Archiv des WDR“. /225/ Indem nämlich den Arbeitslosen Abhörstätten zur Verfügung gestellt wurden, verfügten sie zumindest über die technischen Voraussetzungen, um die Sendung zu verfolgen.

Um allerdings das Verständnis der in kulturellen Dingen dieser Art unerfahrenen Zuhörer zu ermöglichen, wurden grundsätzlich Hörspielinszenierungen, „oder geeignete Darbietungen aus der Opern- und Musikabteilung“ mit einer „entsprechende[n] Einführung“ versehen. Außerdem wurden die Sendungen des Westdeutschen Rundfunks „unter sachkundiger Leitung“ auch in den Abhörstätten diskutiert.

Man kann also davon ausgehen, dass Hardt sein Konzept der Erziehung des vierten Standes /226/ durchaus mit radiotechnischen Mitteln durchzusetzen versuchte, dass er tatsächlich eine „Menschwerdung durch den Rundfunk“ für möglich hielt.


Fazit

„Comme un pacifiste votant à gauche.“ /227/

Über Heils politische Einstellung wissen wir, dass er den Kommunisten nahe stand, ohne der KPD beigetreten zu sein. Er ist also im politischen Spektrum weiter links als Hardt einzuordnen, war aber, wie jener, ein Vertreter der Demokratie. Offensichtlich waren die beiden Rundfunkmänner auch in ihrer Auffassung von der Funktion und den Aufgaben des Radios nicht weit voneinander entfernt. So engagierte sich Heil in erster Linie für die Inhalte und Sendeformate, die auch Hardt besonders am Herzen lagen: für die Inszenierungen von Hörspielen, für die Vermittlung von bürgerlichem Bildungsgut und für Sendungen, mittels derer Unterprivilegierten diese Inhalte nahegebracht werden sollten.

Heil sprach davon, dass er und seine Kollegen an der Werag bis zu Hitlers Machtergreifung unabhängig in Programmfragen waren, indem Hardt das Programm weitgehend unbehelligt von den Nazis zusammenstellen konnte. Allerdings geht Heil an keiner Stelle auf die Zensur ein, die seitens der Überwachungsausschüsse auf das Programm ausgeübt wurde. Hatte Heil vielleicht deshalb unter äußerlichen zensorischen Maßnahmen nicht gelitten, weil er die Gefahr der Zensur immer mitdachte, diese gleichsam antizipierte, und sich derart mit seinen Inhalten auf das thematisch Mögliche beschränkte? Heil hat sich , was bereits aus der Analyse seiner medientheoretischen Position hervorging, in den Dienst des Mediums Radio gestellt . Zum einen instrumentalisierte er das Radio, um Inhalte und Themen den Menschen nahe zu bringen, die ansonsten von einem derartigen Reflexionsprozess ausgeschlossen gewesen wären. Zum anderen versuchte er in seiner Arbeit, die Grenzen des Radios neu zu stecken, indem er innovative Techniken ausprobierte. In diesen seinen Interessen wurde er von und durch Hardts Werag in vollem Umfang unterstützt.

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die Werag ein idealer Arbeitgeber für den Rundfunkpionier Carl Heil war. Dies gilt insofern, als sich Heil bei der Werag optimale Arbeitsbedingungen - angesichts der Rahmenbedingungen einer Radiotätigkeit in der Weimarer Republik - boten. Denn hier fand er den nötigen Raum und die Möglichkeiten vor, um seiner sozialpolitischen Überzeugung, seinem technischen Experimentierwillen und seiner Suche nach der adäquaten Form Ausdruck zu verleihen.



Anmerkungen

1 Aus Platzgründen hat die Verfasserin diverse Quellen und weiterführende Informationen – sowohl hinsichtlich der Quellen des Historischen Archives als auch anderer Herkunft – nicht angeführt. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an die Kulturation-Redaktion, die Anfragen an die Verfasserin weiterleiten wird.
2 Dieser fand wahrscheinlich Anfang der 80er Jahre statt.
3 Heil zitiert nach: Brès, Éveline und Yvan. Carl Heil. Speaker contre Hitler. Mit einem Vorwort von Jean-Michel Palmier. Paris, 1994, S. 34.
4 Gehört heute zu Wuppertal.
5 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 23.
6 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 26.
7 Heil beschreibt, wie der Leiter der Schule, Pastor Niemöller - obwohl Heils Vater Sozialdemokrat war - durchsetzte, dass Heil in die Präparandenanstalt aufgenommen wurde. Das Heil konfessionelle Einrichtungen besuchte, lag daran, dass es in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich keine nicht-religiösen Schulen gab - ein Umstand, der ihm nicht besonders gefiel (siehe Brès 1994, S. 28).
8 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 28.
9 Heil beschreibt die wirtschaftliche Situation 1921 als bekanntermaßen derart schlecht, dass die Mehrzahl der mit ihm zusammen examinierten Lehrer keine Anstellung bekam (Vgl. Brès 1994, S. 31).
10 Ich halte mich bei dieser Aufzählung an Heils eigene Aussagen, wie sie bei Brès dokumentiert sind; Sabine Schiller-Lerg ordnet die verschiedenen Fächer den einzelnen Professoren in anderer Weise zu. Auch besteht Verwirrung hinsichtlich Heils Studium der Theaterwissenschaft bei Carl Niessen: Das Institut wurde erst 1929 gegründet, also sind vorher theaterwissenschaftliche Vorlesungen möglich und wahrscheinlich gewesen, nicht aber bereits deren Zuordnung zu einem so lautenden Studiengang. In Roussels Interview findet sich dazu folgende Aussage: „Il [Heil] s’est fait inscrire en études théâtrales (Theaterwissenschaft), mais il n’était pas possible de passer un examen dans cette matière.“ („Er schrieb sich in Theaterwissenschaft ein [ihrer Meinung nach bereits 1921], aber es war nicht möglich, in diesem Fach eine Prüfung abzulegen.“ Roussel-Interview mit Heil, geführt am 1. und 3.6.1983, S. 1).
11 Er analysierte dafür zahlreiche Darstellungen, die im Laufe der Zeit angefertigt wurden: Bilder, Opern und Dramen sowie deren Inszenierungen. Unter einem historischen und kulturellen Gesichtspunkt untersuchte er die jeweilige Art, wie der ursprüngliche Text interpretiert wurde. (Vgl. Brès 1994, S. 51).
12 So Carl Heil in seinem Wiedergutmachungsantrag an den WDR. In diesem Punkt allerdings widerspricht er sich später in dem Interview, das er dem Ehepaar Brès geben wird: Dort sagt er aus, dass er während der gesamten Zeit an der Werag nebenher studierte, wenn auch nur „auf kleiner Flamme“, dass er auch seit 1929 am theaterwissenschaftlichen Institut bei Carl Niessen Vorlesungen besuchte (es aber nicht möglich war, dort sein Examen abzulegen) und dass er währenddessen an seiner Doktorarbeit schrieb, die 1932 (!) beinahe beendet gewesen sei. Er habe sie aber schließlich doch nicht fertiggestellt, weil der Lehrberuf sie nicht zwingend erforderte. Das heißt also zum einen, dass zumindest nicht ausschließlich die Arbeit an der Werag ihn von der Fertigstellung seiner Dissertation abgehalten hatte, dass er zum anderen auch 1932 nach wie vor im Sinn hatte, Lehrer zu werden und nicht Radioexperte. Als weiteren Grund, seine Doktorarbeit nicht im Jahre 1932 beendet zu haben, nennt Heil die Tatsache, dass er ein Jahr Pause in seinen Studien einlegen wollte, um sie dann gegebenenfalls wieder aufzunehmen (siehe Brès 1994, S. 51).
13 Siehe Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 1.
14 Siehe Schiller-Lerg, Sabine. Mit den Ohren sehen. Carl Heil (Charles Hébert) 1901-1983 – eine Rundfunkbiographische Skizze. In: Mitteilungen des Studienkreises für Rundfunk und Geschichte[StRuG] 10(1984)4, S. 334 f.
15 Palmier in: Brès 1994, S. 11.
16 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 32.
17 Vgl. Ebenda.
18 Dienstbescheinigung für Carl Heil, ausgestellt am 1. März von Rudolf Rieth, als dieser ihn entlassen musste.
19 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 40.
20 Es hieß also auch die zum Sender dazugehörige Zeitschrift Werag.
21 Schiller-Lerg 1984, S. 335. Diese Einschätzung deckt sich fast wörtlich mit der von Herrn und Frau Brès: „Et si, durant la période précédente, son travail d’acteur au théâtre - ainsi qu’au cinéma où il semble avoir tenu de petits rôles -, ne procédait manifestement pas de grandes ambitions artistiques[...].“ (Brès 1994, S. 34.) Aufgrund dieser Übereinstimmung der beiden Texte lässt sich schlussfolgern, dass Schiller-Lerg, ebenso wie Brès, Filmrollen meint, die Heil in Deutschland während seiner Arbeit bei der Werag bekommen hat. Heil dazu: „Sogar in Deutschland habe ich in einigen Filmen mitgespielt, aber tatsächlich nur in hausgemachten Kulturfilmen, die durch das Radio hergestellt wurden.“ (Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 45.)
22 Man wird also, angesichts der sich entsprechenden Einschätzungen wie Formulierungen, davon ausgehen müssen, dass Schiller-Lerg wie Brès lediglich der Überzeugung sind, dass Heils theater- bzw. filmschauspielerische Ambitionen nicht besonders groß waren.
23 Dies erwähnen Schiller-Lerg und Brès. Tatsächlich ist aber das Todesurteil noch nicht gefunden worden.
24 „pour des raisons de sécurité“ (Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 6).
25 Siehe Schiller-Lerg 1984, S. 335 und S. 339.
26 Siehe Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 7.
27 Auf diesen Tatbestand werde ich später näher eingehen.
28 Carl Heil spricht hier lediglich von „émissions nationales-socialistes de Hitler“, ohne näher auf den Inhalt einzugehen (Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 57). Außerdem hatte ein Denunziant gemeldet, daß Heil das Zubehör für einen Rundfunksenders besaß und nutzte - irrte sich dabei jedoch: Als Arbeitswerkzeug wurde Heil die neueste Version eines Empfangsgerätes zur Verfügung gestellt, das außen am Haus montiert war und bis zum Dach reichte (siehe Brès 1994, S. 57). Ein Mitbewohner führte die Polizisten direkt zu Heils Wohnung, in dem Wissen, dass sich in einer anderen Wohnung die tatsächlichen Materialien befanden, um geheime Sendungen herzustellen. Während die Polizisten Heils Wohnung durchsuchten, hatten die anderen Mieter Zeit, den illegalen Sender verschwinden zu lassen.
29 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 60.
30 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 64.
31 Brès 1994, S. 64 f.
32 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 65.
33 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 66.
34 Schiller-Lerg 1984, S. 338 f.
35 Vgl. Brès 1994, S. 71.
36 Brès 1994, S. 72.
37 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 72.
38 Brès 1994, S. 72.
39 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 85.
40 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 94.
41 Siehe Brès 1994, S. 76 f.
42 Siehe Schiller-Lerg 1984, S. 339: Sie zitiert hier „ein Blatt mit den Lebensdaten von C.H. und seiner Familie“, das ihr von Heils Schwester, Carola Fischer, überlassen wurde und in dem Carl Heil über seine Frau schreibt: „Als meine Verlobte war sie mir 1934 nach Paris nachgekommen, wurde aber nicht als ,réfugiée‘ angesehen, weil sie Deutschland nicht aus Verfolgungsgründen - sie hatte sich in keiner Form politisch betätigt - verlassen hatte.“ Tatsächlich schreibt Heil in seinem Wiedergutmachungsantrag an den WDR, dass er verheiratet sei. Die Scheidung muss also nach März 1954 stattgefunden haben. Herr und Frau Brès schreiben in ihrem Buch über Heil ebenfalls nur wenig über seine Verlobte, z.B. dass sie Gymnastiklehrerin war und ihrem Mann nach Paris nachreiste. Auf meine Nachfrage, warum sie so wenig über Heils Frau berichtet haben, erzählte mir Herr Brès, dass er Frau Heil lediglich einmal Anfang der vierziger Jahre im Zug in Südfrankreich begegnet sei. Es bleibt beispielsweise unklar, ob Frau Heil interniert war, und wie ihr weiteres Leben aussah. Heil habe sie nie zur Familie Humez oder Brès mitgebracht, sie nie erwähnt und sei auch Fragen bezüglich ihrer Person stets ausgewichen.
43 Siehe Brès 1994, S. 79 sowie Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 12.
44 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 79 f.
45 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 80.
46 Hinsichtlich einer ausführlichen Beschreibung der Streitereien zwischen den Emigranten in ideologischen Fragen siehe Brès 1994, S. 86, bzw. Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 11: Hier spricht Heil nur von Streitereien in der Redaktion des Pariser Tageblatts.
47 Der Name verwirrt: Die Sendungen wurden in Paris produziert, dann per Kabel nach Straßburg geleitet. Dort ausgestrahlt, konnten sie in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern empfangen werden.
48 Siehe Brès 1994, S. 95 f.
49 Siehe Schiller-Lerg 1984, S. 340. Diese Angaben stehen im Widerspruch zu Heils Ausführungen: Gerade am Tag seiner Entlassung wurde die Bezahlung pro Sendung von 10 auf 15 Francs erhöht, wobei jeder Sprecher zwei Sendungen, gegebenenfalls auch mehr sprach (siehe Brès 1994, S. 110).
50 Schiller-Lerg 1984, S. 340.
51 Ebenda. Der fehlende Beleg dieses Zitates macht ein weiteres Mal die verzwickte Quellenlage deutlich, der man sich bei einer Beschäftigung mit Heils Leben und Werk gegenüber sieht.
52 Siehe Brès 1994, S. 100.
53 „Die Elsässer protestierten gegen die ,preußischen Stimmen‘, obwohl die Stimme unseres Hauptansagers Carl Heil, der aus dem Rheinland kam, ohne jedoch den Dialekt zu sprechen, offensichtlich keineswegs preußisch klang. Heil war das Vorbild eines klugen und vorsichtigen Sprechers. Aber die Kreise, die den unbequemen Straßburger Sender verschwinden lassen wollten, bedienten sich aller Argumente.“ (Hans Jacob über Heil in: Brès 1994, S. 105.)
54 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 110.
55 Siehe Brès 1994, S. 111.
56 Siehe Brès 1994, S. 113.
57 So Schiller-Lerg 1984, S. 340. Die Eheleute Brès sprechen von Mai 1940, ohne allerdings ein genaues Datum zu nennen (siehe Brès 1994, S. 113 f.). Im Nachruf wiederum, den Hélène Roussel und das Ehepaar Brès gemeinsam verfassten (der aber nie veröffentlicht wurde), ist der 13. Mai als Internierungsdatum angegeben.
58 Siehe Brès 1994, S. 121.
59 Siehe Brès 1994, S. 137.
60 Siehe Brès 1994, S. 139: Heil äußert sich nicht zu der Art der Arbeit, die er verrichten konnte.
61 Brès 1994, S. 139.
62 „C’est à cause de Carl Heil que nous nous sommes mariés.“ (Interview mit Herrn und Frau Brès am 05.03.2003 in Valence.)
63 Zitiert nach Brès 1994, S. 143.
64 Schiller-Lerg 1984, S. 341.
65 „Dank dem großen Durcheinander, das aufgrund der großen Ansammlung von Gefangenen bestand, wurde Carl Heil nicht vor Ort liquidiert.“ (Brès 1994, S. 152.)
66 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 162.
67 Brès 1994, S. 164. Hier muss allerdings angefügt werden, daß ich beim Besuch des Ehepaares Brès den Brief von René Morel sah, in dem er sich durchaus kritisch Heil gegenüber äußerte, hinsichtlich dessen Rolle als Blockältester zwei. Als ich Herrn Brès danach fragte, erklärte er das mit einem generellen Deutschenhass seitens Morel (Interview mit Herrn Brès). Herr Brès mochte mir den Brief nicht zur Abschrift zur Verfügung stellen, ließ ihn mich auch nicht ganz lesen. Man könnte nun schlussfolgern, dass Brès in ihrem Werk bemüht waren, ein rein positives Bild von Heil zu zeichnen, das keine negativen Seiten zuläßt. Wirklich überprüfen lässt sich diese These leider kaum noch, da die Quellenlage aufgrund ihrer nur sehr spärlichen Dokumente keinen wirklich objektiven Blick gestattet. In einem Telefonat mit dem bereits erwähnten Journalisten Dietmar Schellin vertrat dieser die These, dass die Aussagen des Ehepaares Brès historisch nicht verifizierbar seien (Telefonat vom 12.03.2003). Dieser Auffassung stehen wiederum die wenigen Dokumente, die es gibt, entgegen: In ihrer Darstellung der Fakten konnte ich dem Ehepaar keine Falschdarstellung nachweisen. In der persönlichen Wertung ihres Freundes Carl Heil überwiegt wohl die Sympathie den objektiven Blick. Dass hierbei ein gefärbtes Bild entsteht, ist allerdings auch nur bei dem Morel-Brief zu sehen. Im gesamten anderen Briefverkehr, den sie zur Erstellung ihrer Heil-Biographie mit dessen ehemaligen Freunden, Kollegen, Vorgesetzten, Mitinhaftierten etc. führten und in den ich Einblick hatte, ist kein einziges negatives Wort über Heil zu finden. Im Gegenteil: Alle sprechen sich für Carl Heil aus, den sie ausnahmslos als menschlich makellos, künstlerisch talentiert und gesellschaftlich wie politisch agil beschreiben. Letztlich wird also auch hier die subjektive Wahrnehmung der Akteure und ihrer Beziehungen zu Heil deutlich. Auf Heils wahrscheinliche Überzeugungen gehe ich ausführlicher im folgenden Kapitel ein.
Einschränkend anzumerken sei hier noch, dass sich im Historischen Archiv des WDR ein Bericht des Sprechers der Werag, Albert Oettershagen befand, der sich klar negativ über Heil äußerte. Allerdings ist der gesamte Bericht, wie vom Historischen Archiv selbst vermerkt: „stark subjektiv, teilweise abfällig und verletzend“, und das nicht nur in Bezug auf Heil, sondern in Bezug auf alle seine ehemaligen Kollegen: Rudolf Rieth, Cläre Hansen, Helene Guermanova, etc. Ich halte es nicht für sachdienlich, ihn hier zu zitieren, weil er neben seiner selbstgefälligen Darstellung an diversen Stellen eindeutig inhaltliche Fehler begeht. So spricht er etwa von Heil als von einem „Jude[n]“.
68 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 166.
69 So der Bericht von Albert Camet und René Morel, die aus dem Transport gefangener Kranker fliehen konnten (Brès 1994, S. 168).
70 Scherer in: Berliner Morgenpost (1967-10-8), S. 55.
71 Es handelt sich um einen Brief an den NWDR vom November 1955, in dem er um eine „laufende Unterstützung“ bittet. Es ist interessant, dass weder im Interview mit Brès noch in dem mit Roussel kritische Worte Heils hinsichtlich seiner Tätigkeit am französischen Rundfunk nach dem Kriege erscheinen. Haben diese entsprechende Passagen weggelassen, oder war Heil vielleicht zu dezent, als dass er vor Franzosen ihren Rundfunk schlecht machen bzw. sich über die Tätigkeit an eben diesem beschweren wollte?
72 Ich habe im Archiv des WDR nur eine Bestätigung dafür gefunden, daß Heil eine einmalige Wiedergutmachung von DM 15.000,- bekommen hat, der Antwortbrief auf die Frage nach einer laufenden Unterstützung allerdings ist der Akte nicht beigelegt.
73 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 174 ff.
74 Brès 1994, S. 178.
75 So war es Marcel Marceau, der Heil, als dieser sich wegen Wirbelsäulenschmerzen an ihn wandte und nach einem Doktor in Paris fragte, seine Hausärztin empfahl. Diese überwies ihn an einen Spezialisten, der Parkinson diagnostizierte (siehe Brès 1994, S. 180).
76 Scherer in: Berliner Morgenpost 69(1967-10-8), S. 55.
77 Ebenda.
78 Siehe Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 3.
79 Schiller-Lerg 1984, S. 341.
80 Ebenda.
81 Dies erwähnt auch Marie-Luise Scherer in ihrem Artikel über Heil: „Festwochen locken ihn nach Berlin“ in der Berliner Morgenpost 69(1967-10-8), S. 55.
82 Dieses Datum findet sich auch bei Palmier (in: Brès 1994, S. 16). Schiller-Lerg hingegen gibt den 18. November als Sterbedatum an (Schiller-Lerg 1984, S. 342).
83 Charles Ford über Carl Heil, zitiert nach: Brès 1994, S. 179.
84 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 26.
85 Dieser Ehrgeiz hatte Heil nach eigener Aussage zum Schreiben seiner Dissertation veranlasst (siehe Brès 1994, S. 51).
86 Der schrieb unter anderem das Lustspiel in drei Akten: Ausflug in die große Welt (Berlin 1937) und, zusammen mit Heinz Edelmann, Stube 17, ein Volksstück aus dem Kriege in vier Bildern (Berlin 1940).
87 Palmier in: Brès 1994, S. 11.
88 Brès 1994, S. 40.
89 Über das Kennenlernen zwischen Wolf und Heil steht bei Brès: „Ihr Treffen fand am Radio in Köln statt, wo Friedrich Wolf hinkam, um seine kommunistischen Kameraden zu treffen: sie haben ihm Carl Heil vorgestellt, der ihren Ideen sehr nahe stand, ohne allerdings Mitglied der Partei zu sein.“ (Brès 1994, S.43.) Diese Aussage ist unklar formuliert, denn welche kommunistischen Kameraden gab es schon am Kölner Sender zu treffen? Obwohl vom Überwachungsausschuss verboten, beschäftigte die Werag trotzdem Parteikommunisten, wie etwa Alexander Maass, oder ehemalige Parteimitglieder wie Hans Stein.
90 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 52.
91 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 52 f.
92 Siehe dazu Brès 1994, 56 f.
93 Vgl. Brès 1994, S. 56.
94 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 66. Wobei sich hier natürlich die Frage stellt, ob Heil überhaupt in Elberfeld, geschweige denn als Lehrer an einer Schule, hätte bleiben können: er war bereits zu bekannt, so dass die Nazis ihn bald ausfindig gemacht hätten. Die Überzeugung, aus politischen Gründen auszuwandern, beinhaltet also auf jeden Fall auch das Wissen um ein schweres zukünftiges Schicksal bei einem Verbleib in Deutschland.
95 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 54.
96 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 162.
97 Braun in: Dichtung und Rundfunk. Reden und Gegenreden. Verhandlungsniederschrift der Arbeitstagung „Dichtung und Rundfunk“ in Kassel-Wilhelmshöhe am 30. September und 1. Oktober 1929. Berlin, 1929. S. 77.
98 So bestätigen Herr und Frau Brès, dass Heil ein „Regisseur und Spezialist der Geräuschkulisse in unzähligen gesprochenen und musikalischen Stücken der Werag“ war (Brès 1994, S. 49).
99 Das genaue Datum ist in der Zusammenstellung verschiedener Artikel, die sich im HA WDR befindet, nicht vermerkt, es handelt sich allerdings um einen „Rückblick auf das Wochenprogramm vom 24. bis 31. Aug. 1932“.
100 Dortmunder Generalanzeiger vom 11.09.1932. Dass die Einschätzung so ganz falsch nicht sein kann, belegt Heil selbst, indem er in seinem Wiedergutmachungsantrag an den NWDR schreibt: „Nach meiner Entlassung sind Sendungen und Sendereihen, die z.B. große Montageansprüche stellten, aus Mangel an einem geeigneten Nachfolger abgesetzt worden.“
101 Vgl. Brès 1994, S. 46.
102 Dortmunder Generalanzeiger vom 11.09.1932.
103 Siehe ebenda.
104 Der Name mag verwirren: Neben dem Sender Werag trug außerdem die diesen Sender illustrierende Programmzeitschrift den Namen. Sie erschien wöchentlich und enthielt außer der Ankündigung des Programms Hintergrundinformationen etwa über einzelne Personen am Sender, über bestimmte Herstellungsverfahren von Sendungen, über Neuigkeiten des Mediums Radio oder über gesellschaftliche Ereignisse, die in den Sendungen verhandelt wurden (sportlicher, künstlerischer sowie politischer Natur).
105 Es gibt diverseste Bezeichnungen für das Drama im Radio. So fand ich in der Werag unter den Ankündigungen Begriffe wie: Hörspiel, Märchenspiel, Lehrspiel, Hörbild, Schelmenstück, Spiel für den Rundfunk, ironisches Kurzstück, Kasperlspiel. Im folgenden werde ich die Gattungsbezeichnung Hör- bzw. Sendespiel als Überbegriff für all seine Ausprägungen verwenden und nicht jedesmal im einzelnen differenzieren.
106 Insofern warnte Heil auch Frau Rossbach vor der horrenden Arbeit, die sie bei dem Vorhaben erwarte, die Werag-Bände kritisch zu sichten: „Heiß wird es Ihnen, selbst an eisigkalten Tagen, werden - das kann ich Ihnen [...] kühn voraussagen - , wenn Sie sich an die Verwertung des WERAG-Materials machen. So viel kritische Untersuchung, so viele Ergänzungen und Erläuterungen verlangt es, soll ein einigermaßen wirklichkeitsnahes Bild jener schöpferischen Jahre entstehen, sollen Programmangaben nicht bloße, vieldeutbare Begriffe bleiben, sondern klare, konkrete Inhalte bekommen. Eine Heidenarbeit!“ Carl Heil im Brief an Frau Dr. Rossbach am 05.08.1967.
107 Carl Heil im Brief an Frau Dr. Rossbach am 05.08.1967.
108 So spielt er etwa am 14.03.1929 den Sklaven in Kalif Storch [Werag, 4(1929)10, S. 15], am 04.07.1929 den Priester in Hamlet [Werag, 4(1929)26, S. 17], eine der Stimmen in Lenzens Soldaten am 01.10.1929 [Werag, 4(1929)39, S. 13 f.], den Zeitungsverkäufer in der Mordaffäre Duppler von Auditor am 26.07.1929 [Werag, 4(1929)29, S. 18] oder den Anführer der Wachen in der Entführung aus dem Serail am 14.07.1929 [Werag, 4(1929)28, S. 10].
109 Da sich Heil selbst nicht zu dieser Tätigkeit geäußert hat, ist es vorstellbar, dass er hier eher eine stimmlich unterstützende Funktion einnahm, als dass er selbst längere Partien gesungen hat. Im Interview mit Roussel erzählt er, er habe auch für einige Opern die „akustische Kulisse“ arrangiert (siehe Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 4, der Ausdruck wird im Interview selbst auf deutsch verwendet ).
110 Wobei selbst der Regisseur in der Werag nicht immer genannt wird; folglich kann Heil bei Hörspielen Regie geführt haben, aber dennoch nicht im Programm aufgeführt worden sein.
111 Frank Warschauer bringt den entscheidenden Unterschied schlicht auf den Punkt: „Nie gab es dies: ein unsichtbares Theater. Nie gab es dies: den Schauspieler, der nicht geschaut werden kann.“ (Warschauer. Schauspieler und Sprechspieler. In: Funkköpfe. 46 literarische Porträts. Berlin 1927, S. 52 ff. Zitiert nach: Rundfunk und Geschichte [RuG] 27(2001)1/2, S.36.)
112 So stellt Rudolf Rieth beispielsweise im Jahre 1929 in unregelmäßigen Abständen, aber ungefähr einmal wöchentlich, in seiner Lesestunde Sequenzen aus Gottfried Kellers Werk vor [Siehe etwa Werag, 4(1929)4, S. 9 ].
113 Heil: „Ich sollte also einen neuen Beruf erlernen, der nichts mit dem Theater zu tun hatte.“ (Brès 1994, S. 34.) Heil spricht hier im Original von „métier“, was sowohl Beruf, als auch Tätigkeit, Handwerk oder Beschäftigung bedeuten kann.
114 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 35.
115 Werag 7(1932)28, S. 81.
116 Werag 7(1932)28, S. 83.
117 Werag 7(1932)30, S. 160.
118 Ebenda. Wie in diesem Zitat auch, wird Heils Vorname oft mit K statt mit C geschrieben. Bezeichnenderweise geschieht das in der Programmzeitschrift Werag hauptsächlich bei Ankündigungen seiner Mitwirkung in musikalischen Stücken. Ist diese Fahrlässigkeit, daß die Personen seinen Namen falsch schrieben, auf die nur geringe Anwesenheit Heils in dieser Abteilung zurückzuführen?
119 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 49.
120 Inszenierung vom 29.07.1932 [Siehe Werag 7(1932)30, S. 177].
121 Siehe Brès 1994, S. 44.
122 Mit inhaltlicher Hinsicht meine ich, dass durch die Art der Betonung, der Rollenverteilung, sowie durch Streichungen, Heil hier möglicherweise eigene Aussagen in den Stücken transportieren konnte. Über den Auswahlprozess der Stücke, mögliche eigene Vorschläge seinerseits, bzw. deren Ablehnung durch Hardt oder den Überwachungsausschuss, ist leider nichts bekannt.
123 So Rudolf Rieths Urteil in der Dienstbescheinigung, die er Heil bei dessen Entlassung am 31.03.1933 ausstellte.
124 Inszenierung vom 26.03.1932 [Siehe Werag 7(1932)12, S. 533].
125 Inszenierung vom 05.02.1932 [Siehe Werag 7(1932)5, S. 193].
126 Inszenierung vom 09.04.1932 [Siehe Werag 7(1932)14, S. 39].
127 Die Titel für Sendungen dieser Zielgruppen heißen hingegen „Wir basteln aus Erbsen und Bohnen einen Hühnerhof“ [Werag 4(1929)17, S. 15], „Püppchen hat Geburtstag“ [Werag 4(1929)35, S. 9], oder auch „Wir zeichnen und malen Negerköpfe“ [Werag 4(1929)23, S. 11].
128 Siehe Werag 7(1932)34, S. 371.
129 Dortmunder Generalanzeiger, Datum unbekannt, wohl 01.09.1932.
130 Inszenierung vom 10.02.1933 [Siehe Werag 8(1932)6, S. 35].
131 Inszenierung vom 05.01.1933 [Siehe Werag 8(1932)1, S. 31].
132 Historisches Archiv des Westdeutschen Rundfunks [HA WDR], D 498.
133 „Damit sich ein Same der Menschheit rette/ Besetzt Fatuonia, die Raumrakete!/ Sie wird vermittels von Pulver und Flossen/ Parabolisch auf den Mond geschossen:/ Dort mag, indes wir hier untergehn,/ Eine neue Menschheit entstehn“.
134 „Gott wollt nicht, dass wir auf Erden/ Des letzten Trostes ohne werden:/ Drum liess er unsre lieben Narren/ Nicht des Weges zum Monde karren“.
135 So in Max Ophüls „lustigem Hörspiel“ Fips und Stips auf der Weltreise in der Inszenierung vom 03.11.1930 [Siehe Werag 5(1930)44, S. 139].
136 Beispielsweise am 28.05.1928 Im Weissen Röss’l, wo er den Kellner Franz spielt [Siehe Werag 3(1928)22, S. 10].
137 So etwa am 21.10.1928 in Der Freischütz [Siehe Werag 3(1928)43, S. 10].
138 Inszenierung vom 25.01.1932 [Siehe Werag 7(1932)4, S. 135].
139 Inszenierung vom 18.02.1932 [Siehe Werag 7(1932)7, S. 287].
140 Inszenierung vom 16.12.1930 [Siehe Werag 5(1930)50, S. 331].
141 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 46. Heil spricht hier von seiner Tätigkeit an der Werag, obwohl er den heutigen Namen des Kölner Senders verwendet.
142 Eine erste Phase von Beginn des Sendespiels bis etwa 1927, in der es noch kaum originäre Hörspiele gab, eine zweite von 1927 bis 1930, der progressivsten Phase des Weimarer Hörspiels sowie eine dritte Phase, die bis zu Hitlers Machtergreifung reicht und in der die repressive Tätigkeit der Überwachungsausschüsse sozialkritische Elemente aus den Hörspielen weitestgehend verbannte.
143 So konnte er etwa zusammen mit Rieth S.O.S. in Paris zu einer Zeit aufführen, in der das Stück in Deutschland bereits verboten war.
144 Siehe ebenda.
145 Siehe ebenda.
146 Siehe ebenda.
147 Siehe Werag 7(1932)43, S. 23.
148 Inszenierung vom 22.07.1932 [Werag 7(1932)29, S. 131].
149 Siehe ebenda.
150 Brès 1994, S. 34.
151 Stadt-Anzeiger für Köln und Umgebung vom 13.01.1933.
152 Stadt-Anzeiger für Köln und Umgebung vom 13.01.1933.
153 Dortmunder Generalanzeiger vom 11.09.1932.
154 Auf diesen Aspekt werde ich ausführlicher im Zusammenhang mit der Radau um Kasperl-Inszenierung eingehen.
155 Brès 1994, S. 178 f.
156 Brief von Heil an Frau Dr. Rossbach vom 05.08.1967.
157 Zu dieser Einschätzung kommt das Kölner Tageblatt am 12.03.1932 hinsichtlich der Inszenierung von Der Maharadschah von Haidarabad am 11.03.1932.
158 So die Kölnische Zeitung, Nr. 11, hinsichtlich des gleichen Stückes.
159 Das Kölner Tageblatt am 18.11.1932 anlässlich der Inszenierung von Elwenspoeks Hörbild: Der letzte Kaiser von Mexiko am 17.11.1932.
160 Zitiert nach Brès 1994, S. 49 f.
161 Brès 1994, S. 37.
162 Dass sich der Aufnahmeprozess von Geräuschen generell als äußerst mühevoll erwies, zeigt auch Heils Erzählung, die davon berichtet, dass er im Auftrag Ernst Hardts für dessen Inszenierung des Hörspiels Ein Mann erklärt einer Fliege den Krieg von Wilhelm Schmidtbonn in den Kölner Zoo fuhr, um Urwaldstimmen aufzunehmen. „Welch Urwaldohrenschmaus bei der Ankunft: Die Elefanten trompeteten, als hätten sie ein Dutzend ,Afrika spricht‘-Filme zu synchronisieren.“ Als sie jedoch, nachdem alle anderen Tiere aufgenommen waren, endlich auch ihren Auftritt haben sollten, seien alle Dickhäuter, bis auf „ein massiges Weibchen, dem sich ein stattliches Elefantenbaby unter den Bauch geklemmt hatte“, bereits in das Elefantenhaus gegangen. Da das Weibchen keine Geräusche von sich geben wollte, versuchten die Radioleute alles mögliche, um dem Tier verwertbare Laute zu entlocken. Sie schienen es mit ihren Animationsversuchen zu stören, denn irgendwann habe sich das Tier unvermittelt umgedreht, um ins schützende Haus zu gelangen. Beim Versuch, Mutter und Kind davon abzuhalten, klemmte ein Wärter das Weibchen aus Versehen in der Tür ein: Und „höre da: anderthalb Trompetenstöße! Nicht gerade üppig als Ergebnis von mindestens eineinhalbstündigen Bemühungen, aber immerhin etwas; vorausgesetzt, dass die Dagobertstraße im entscheidenden Augenblick noch mitgeschnitten hatte. Das Glück war uns günstig. Die Schreckens- oder Schmerzensschreie [...] waren in Wachs gegraben. Man bedenke: auf einer ganzen Platte nichts als das. Außerdem waren mehrere Wachsplatten in Erwartung des unberechenbaren akustischen Ereignisses nutzlos vertan worden. [...] Auf jeden Fall hatte ich ein weiteres - wenn auch winziges - Element, mit dem ich bei der Direkt-Montage zaubern konnte.“ [Es verwundert, dass Heil diese so mühevoll und kostenintensiv aufgenommenen Tiergeräusche nicht nochmals für seine Radau um Kasperl-Inszenierung verwertete, sondern statt dessen unecht klingende Imitationen anfertigte (siehe Radau um Kasperl. Hörspiel für Kinder, zwei Szenenausschnitte. Deutsches Rundfunkarchiv [DRA], DRA-Nr. 52.12453, Archivnummer 2782367).]
163 Ich halte mich bei der Beschreibung dieser Inszenierung an die (unveröffentlichte) Hausarbeit von Jette Röltgen. Sie diskutiert in ihrer Arbeit außerdem das kritische Potential des Stückes und vergleicht die beiden Inszenierungen miteinander.
164 Röltgen, Jette. Walter Benjamins Hörspiel „Radau um Kasperl“. Kasperl und der Rundfunk. Eine Geschichte mit Lärm. Hausarbeit (unveröff.). Berlin, 2002. S. 8.
165 Röltgen 2002, S. 13 f.
166 Brès 1994, S. 48.
167 L’Antenne. 7(1931)411. S. 36.
168 Hinsichtlich seines Vornamen, wohl auch seiner Identität, besteht Uneinigkeit: So ist in der Radiozeitschrift L’Antenne vom 25.01.1931 zu lesen, daß die Übersetzung von einem „M. J. Denis“ vorgenommen wurde - M. steht hier höchstwahrscheinlich für Monsieur [L’Antenne. 7(1931)411, S. 37]. In der gleichen Zeitschrift ist allerdings zwei Wochen später zu lesen: „Das Stück wurde von M. M. Denis übersetzt- der nicht M. M. Denis, Autor von ,Maître des Ames‘ ist.“ (Auch hier steht wohl wieder das erste M. für Monsieur. Richtig übersetzt hieße es also in diesem Fall „Herr M. Denis“ [L’Antenne. 7(1931)409, S. 36]. Dennoch scheint der Vorname einmal mit J, ein anderes Mal mit M zu beginnen.
169 Wolf, Friedrich. Hörspiele. Laienspiele. Szenen. GW in sechzehn Bänden. Bd. 7. Berlin/Weimar, 1965. S. 28.
170 Wolf 1965, S. 9.
171 May, Rainhard. S.O.S., RAO ... RAO, Foyn – „Krassin“ rettet „Italia“ – Die mediale Urform und der Bogenschuss in Preußens medialer Öffentlichkeit (Ein Zwischenbericht). In: Einspruch. Mitteilungen der Mitglieder und Freunde der Friedrich-Wolf-Gesellschaft e.V. 8(2001), S. 46.
172 Wobei ich hier Mays Überlegung interessant finde, dass nämlich Wolf selbst die funktechnischen Aspekte seines Hörspiels nicht zur genüge logisch durchdacht hat (siehe dazu May 2001, S. 47).
173 Pongs, Hermann. Das Hörspiel. Stuttgart, 1930. S. 24.
174 „[...] funkisch ist es, weil die dramatische Aktion wesentlich durch Funkspruch vor sich geht durch die funkgetragene Stimme; funkisch ist es durch das darin verwirklichte Ethos einer menschlichen Kollektivität, einer weltweiten Hilfsbereitschaft.“ (Pongs 1930, S. 23 f.)
175 Nämlich am 05.11.1929 in der Funk-Stunde Berlin (siehe May 2001, S. 46).
176 May 2001, S. 46.
177 Siehe dazu Werag 4(1929)44, S. 19.
178 Der Sender gehörte zur Compagnie Française de Radiophonie. Heil sagt im Interview, daß dieser Sender hauptsächlich Werbung, Konzerte und Hörspiele anbot (siehe Brès 1994, S. 44).
179 Pressedienst. In: Stiftung Archiv Akademie der Künste [SadK], Friedrich-Wolf-Archiv [FWA], M 190 (2), 2.
180 Brief vom 15.10.1930. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
181 Rieth widerspricht hier Heil: Er schreibt im Februar 1931 an Friedrich Wolf, dass sie „4 lange Proben“ hatten (Brief vom 02.02.1931. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3), während Heil von zehn Proben spricht. Angesichts der Jahre, die zwischen der Pariser Inszenierung und Heils Interview liegen, denke ich, dass man sich in diesem Fall an die noch frische Erinnerung Rieths in seinem Brief an Wolf halten sollte.
182 Brief von Rieth an Wolf am 02.02.1931. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
183 Siehe Brès 1994, S. 45.
184 Brief von Rieth an Wolf am 02.02.1931. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
185 Pressedienst im Februar 1931. In: SAdK, FWA M 193 (2), 2.
186 Hier also findet sich erneut ein Widerspruch zwischen Heils und Rieths Darstellung. Soll man, weil doch Heil selbst für die Geräusche zuständig war, nun seiner Version Glauben schenken? Ich tendiere dazu.
187 Brief von Rieth an Wolf vom 02.02.1931. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
188 So schreibt Rudolf Rieth an Friedrich Wolf nach der Aufführung: „[...] die Tatsache, dass zum ersten Mal in einem französischen Sender die Internationale gespielt wurde, [...] erregte nicht geringes Staunen bei den Kollegen.“ (In: SAdK, FWA M 190 (2), 3).
189 Ohr und Antenne. Rundfunkkritik der Woche. In: SAdK, FWA 190 (2), 2.
190 Ebenda.
191 L’Humanité 4(1931)4, S. 5.
192 Gringoire 3(1931)7, S. 2. Es ist angesichts einer solchen Kritik besonders schade, daß kein Regiebuch mehr, geschweige denn eine Aufzeichnung der Inszenierung existiert.
193 Hier besteht wohl ein Fehler, da die Musik von Kneip, nicht von Radio-Paris arrangiert wurde.
194 L’Humanité 4(1931)4, S. 4.
195 Ebenda.
196 Ebenda.
197 L’Antenne. 7(1931)411, S. 36.
198 Siehe La Parole Libre 10(1931)145. S. 1.
199 L’ami du peuple du soir (1931-02-01), S. 6.
200 La Parole Libre. 10(1931)145. S. 1.
201 Siehe ebenda.
202 Gringoire 3(1931)7, S. 2.
203 L’Antenne. 7(1931)411. S. 36.
204 L’ami du peuple du soir (1931-02-01), S. 6.
205 Palmier in: Brès 1994, S. 13.
206 Heil zitiert nach: Brès 1994, S.49 f.
207 Ebenda.
208 Hörburger, Christian. Das Hörspiel der Weimarer Republik. Versuch einer kritischen Analyse. Stuttgart, 1975. S. 311.
209 Vergleichbar in ihrem sozialen Engagement.
210 Röltgen 2002, S. 4.
211 Brès 1994, S. 46.
212 Palmier in: Brès 1994, S. 12.
213 Ernst Hardt in: Werag 7(1932)2, S. 43.
214 Siehe Dahl, Peter. Arbeitersender und Volksempfänger. Proletarische Radio-Bewegung und bürgerlicher Rundfunk bis 1945. Frankfurt am Main, 1978. S. 89.
215 Dieser Wunsch lässt sich auch aus folgendem Ausspruch Hardts ersehen: „Es hieße aber den Weltlauf verkennen, wollte man nicht einsehen, dass die Form einer zukünftigen Gesellschaft, die aus dem Spannungsausgleich zwischen heutigem Bürgertum und heutiger Arbeiterschaft entstehen wird, wesentlich bedingt sein muss von der seelischen Weite und kulturellen Reife eben dieser Arbeiterschaft.“ (Rundfunkjahrbuch 1929, S. 232.) Dahl dazu: „Der Westdeutsche Rundfunk hat in seiner Stunde des Arbeiters sich bemüht - und ich glaube mit Erfolg sich bemüht - dem Menschlichen des Arbeiters nach bestem Einfühlungsvermögen jenseits aller Politik mit seelhaften Werten gegenüberzustehen. Stunde des Arbeiters, das hieß zum Beispiel: 64 Wochen hintereinander jeden Sonntag Eine Doppelstunde Goethe, oder, von Hardt persönlich, als Beitrag zur Arbeiterbildung, sechs Folgen Was ist ein Kunstwerk?“ (Dahl 1978, S. 89 f.)
216 Ernst Hardt in: Werag 7(1932)2, S. 43.
217 Kästner, Erich. Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. München, 1994. S. 54.
218 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 50.
219 Ebenda.
220 Brief vom 01.05.1931. Zitiert nach Groth, Peter. Hörspiele und Hörspieltheorien sozialkritischer Schriftsteller in der Weimarer Republik. Studien zum Verhältnis von Rundfunk und Literatur. Berlin, 1980. S. 149.
221 Die unterschiedliche Programmgestaltung im März und April des Jahres 1933 ist frappierend. Zu Beginn des Monats März wird in der Zeitschrift noch das reguläre Werag-Programm angekündigt. Am 02.04.33 beginnt die allabendliche Reichssendung „Stunde der Nation“, fünf Tage später wird vom Südfunk in Stuttgart Hitlers Rede „Dem Kämpfer um das neue Deutschland“ übernommen, die vom nationalsozialistischen Männerchor untermalt wird. Zu Hitlers Geburtstag am 20.04.33 folgt einer „Schulfunkfeierstunde aus Anlass seines Geburtstages“, zwanzig Minuten später die Sendung Mensch und Welt mit dem Thema: „Zu Hitlers Geburtstag“. An die Lesung aus Hitlers „Mein Kampf“ schließt sich die „völkische Erneuerung: eine westdeutsche Feier“ an [Siehe Werag 8(1933)14/16]. Die nächste Titelseite der Werag-Ausgabe ziert bereits der neue kommissarische Intendant: Dr. Heinrich Glasmeier. In der Werag steht dazu: „Als Kavallerist hat Dr. Glasmeier, namentlich im ersten Kriegsjahr, manche Attacke geritten. Er wird sie auch als Rundfunkintendant zu reiten wissen, wenn es gilt, die Grundbegriffe des neuen Wollens, Blut, Volk und Scholle, in die Herzen der Hörer zu pflanzen.“ [Werag 8(1933)17, S. 1/2.]
222 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 50.
223 So äußert beispielsweise ein Bewohner des Hauses angesichts der Bemühungen der Feuerwehr, eine Familie zu retten, die aus finanzieller Not im Begriff war, sich in ihrer Wohnung mit Gas zu vergiften: „Was sich jetzt so allit um een bekimmert. Wenn man verhungert, kreht keen Hahn nach einem.“ (Pijet 1931 in: Würffel, Stefan Bodo (Hrsg.). Frühe sozialistische Hörspiele. Frankfurt, 1982. S. 139.) Zusätzlich zu der ungeschönten Darstellung der Zustände wollte Pijet sein Stück mit der Internationalen enden lassen. Es ist unklar, ob er das Stück mit diesem Schluss bei der Werag einreichte, zumindest aber schrieb Wolf im Juli 1930 an Pijet: „Der Ausklang in die Internationale ist m.E. etwas gewaltsam. Ich weiß, wir verlangen für uns heute einen vorwärtsweisenden, positiven Abschluss ... keine bloße Elendsdramatik. aber die andere Gefahr ist, dass solche ,Aktschlüsse‘ leicht ,Walze‘ werden und dann grade nicht mehr wirken.“ (Wolf, Friedrich. An Gen. Pijet, Berlin. In: Briefe. Eine Auswahl. Berlin, 1958. S 114.)
224 Hörburger 1975, S. 56 f.
225 Hardt in: Rundfunkjahrbuch 1929, S. 227.
226 Hardt in: Rundfunkjahrbuch 1929, S. 227.
227 „Wie ein Pazifist, der links wählt“. So lautet Heils Antwort auf die Frage des Ehepaars Brès, wie er sich politisch in den dreißiger Jahren definiert habe (Brès 1994, S.57).