Text | Kulturation 2/2003 | Franziska Sauerbrey | Carl Heil – Rundfunkpionier in der Weimarer Republik und im französischen Exil. Biographie eines liberalen Intellektuellen
| Methodische Vorbemerkungen
Methodisch sei vorweg angemerkt, dass die Quellenlage bezüglich
Heil mehrfach ineinander verzahnt ist und zudem in Schleifen
veröffentlicht und damit immer wieder reproduziert wurde. So stützt
sich Frau Schiller-Lerg für ihre „rundfunk-biographische Skizze“ zum
einen auf Auskünfte der Schwestern Heils, zum anderen auf die
handschriftliche biographische Skizze, welche Yvan und Éveline Brès am
27. Oktober 1983 bei ihrem Interview mit Heil angefertigt haben.
Außerdem verarbeitet Frau Schiller-Lerg darin das Interview, welches
Hélène Roussel am 1. und 3. Juni 1983 mit Heil geführt und ihr zur
Verfügung gestellt hat. Dieses Interview haben mir Herr und Frau Brès
anlässlich meines Besuches in einer Kopie überlassen, und es lässt sich
daraus schließen, dass - neben den eigenen handschriftlichen
Aufzeichnungen beim Gespräch mit Heil - das Ehepaar Brès ebenfalls auf
diese Ausführungen für die Erstellung ihrer Heil-Biographie
zurückgegriffen (und die Umschreibungen von Frau Roussel als Zitate von
Heil übernommen) haben. Es könnte auch sein, dass sich Heil einfach in
seinen Formulierungen wiederholt hat und deshalb die Mitschriften zum
Teil identisch sind. Das aber konnte ich nicht nachprüfen, da Herr
Schellin, der am Saarländischen Rundfunk arbeitet und 1998 das Ehepaar
Brès besuchte und interviewte, die handschriftliche Niederschrift des
letzten Interviews zwischen Brès und Heil mitgenommen hatte, aber nicht
wieder zurückschickte. Trotz nachhaltiger Bitten blieben meine
telefonischen und schriftlichen Nachfragen unbeantwortet.
Zu meinem Interview mit Herrn und Frau Brès in Valence ist zu
sagen, dass sich die beiden laut eigener Aussage aus Altersgründen kaum
noch an Daten und Details der 60 bzw. 20 Jahre zurückliegenden
Begegnungen mit Heil erinnern. Was ihnen allerdings noch sehr präsent
ist, ist die Einschätzung der sozialen Verhaltensweise, die sie bei
ihrem Freund von Anfang an hoch geschätzt haben. Insofern richtete ich,
nachdem meine Detailfragen nur zum geringen Teil geklärt werden
konnten, die Fragen vor allem darauf, was den beiden heute noch von
Heils Wesen und Persönlichkeit im Gedächtnis haften geblieben ist. Hier
war die Auskunft sehr detailliert und reichhaltig.
Frau Schiller-Lerg bezieht sich in ihrem Essay außerdem auf zwei
Briefe zwischen Frau Dr. Rossbach, der ehemaligen Leiterin des
Historischen Archivs im WDR, und Carl Heil. Diese Briefe sowie
zahlreiche weitere der Korrespondenz zwischen Heil und Rossbach durfte
ich mit freundlicher Genehmigung des WDR einsehen und für meine Arbeit
verwenden./1/
Im Interview mit Roussel beschreibt Heil, dass anlässlich seines
Klinikbesuchs/2/ sein Zwei-Zimmer-Appartement in Paris ohne sein Wissen
auf Veranlassung seiner Schwester auf- und zum Teil ausgeräumt wurde.
Dabei seien seine Materialien mit einer umfangreichen Dokumentation
über das Kölner Radio aussortiert, mitgenommen und verkauft worden. Das
erklärt, warum sich unter den mannigfaltigen Dokumenten, in die ich in
Valence Einsicht hatte, so gut wie keine Unterlagen aus der Kölner Zeit
befinden. Allerdings schrieb Heil selbst bereits in seinem
Wiedergutmachungsantrag an den NWDR 1954: „Dreimal in einem Jahrzehnt
habe ich so gut wie alles, was ich besaß, eingebüsst, damit auch
Schriftstücke, die jetzt als Belege dienen könnten.“ Da es sich hier um
Schriftstücke aus seiner Zeit an der Werag handelt, kam also bereits
nach Kriegsende ein Großteil seiner Unterlagen abhanden. Umso
enttäuschender ist die Tatsache, dass ein Manuskript mit Erinnerungen
an seine Zeit bei der Werag, die Heil im August 1967 Frau Rossbach
schickte, nicht mehr auffindbar ist. Im Brief vom 01.05.1974 an Herrn
Först erwähnt Heil selbst seine „sogenannten ,Erinnerungen‘“. Weder im
historischen Archiv des WDR, noch im DRA sind sie aufzufinden, und auch
Herr und Frau Brès wissen nichts über sie.
Zur Übersetzung der französischen Texte: Die Zitate aus dem Buch
des Ehepaars Brès habe ich selbst übersetzt, ebenso wie die aus dem
Nachruf auf Heil, aus dem Interview mit Heil von Hélène Roussel sowie
die Dokumente aus Heils Nachlass, die sich in Valence befinden
(Zeitungsartikel, Briefe, etc.). Gedruckte und veröffentlichte Quellen
gebe ich nicht im Original wieder, alle anderen Dokumente zitiere ich
in der Fußnote außerdem auf französisch.
I.
1901 bis 1933: Der Weg zum Radio
„Ich sollte dort einen neuen Beruf entdecken, der nichts mit dem Theater zu tun hatte.“/3/
Kindheit und Jugend
Carl Heil wurde am 15. Februar 1901 in Elberfeld /4/ als ältestes
von vier Kindern geboren. Er betont die für die lokalen Verhältnisse
seinerzeit untypische Situation, dass nämlich seine Eltern
verschiedenen Konfessionen angehörten: Während sein Vater, ursprünglich
aus Hessen stammend, katholisch war, kam seine Mutter als Preußin aus
einer protestantischen Familie. Obwohl der Vater auf Wunsch seiner
Eltern Pfarrer werden sollte, entschied er sich für den Beruf des
Maurers, wofür er in Kauf nahm, sich gegen seine Familie aufzulehnen
und sich von ihr zu isolieren. Der Bruch mit seinen Angehörigen wurde
endgültig, als er nicht nur eine Protestantin zur Frau nahm, sondern
die Ehe außerdem in einer protestantischen Kirche schloss. Carl Heils
Mutter, geborene Bukowski, war ebenfalls Arbeiterin, „aber das Milieu,
in dem ich als Kind groß werden sollte, entsprach nicht dem Stereotyp,
den man sich manchmal vorstellt. [...] Sich selbst voll und ganz als
Arbeiterin betrachtend, hatte sie [seine Mutter] eine tief verwurzelte
bourgeoise Gesinnung, einen großen Respekt vor den Regeln.“ /5/ Neben
der ordentlichen Haushaltsführung seiner Mutter mit viel Sinn für
Alltagsästhetik beschreibt Heil außerdem die Mitgliedschaft seiner
Eltern in einer bürgerlichen Organisation, die für gute Gesundheit
durch Beachtung der natürlichen Prinzipien, wie Sonnenbäder und gesunde
Ernährung, eintrat. Dennoch war sein Vater Mitglied der sozialistischen
Partei. Eine Hinwendung zum bürgerlichen Lebensstil könnte man auch aus
folgendem Zitat ablesen:
„In dem Appartement, in dem wir wohnten, war alles ganz sauber; in
der Küche glänzte alles und nach dem Essen legte meine Mutter ein
Tischtuch auf, dessen Saum mit Blumen bestickt war; was die Kleidung
betrifft, gab es nicht die geringste Nachlässigkeit: sobald es auch nur
ein winziges Loch gab, wurde es sofort geflickt.“ /6/
Die Eltern Heil wollten ihren Kindern ein leichteres Leben
ermöglichen, als es das ihrige gewesen war. So verboten sie Carl,
ebenso wie seinen Geschwistern Willy (geboren 1902), Carola (1914) und
Waltraut (1918), sich mit ihren Freunden im regionalen Dialekt zu
unterhalten. Statt dessen sollten sie, wie die Mutter, reinstes
Hochdeutsch sprechen. Nach Beendigung der Grundschule erhielt Carl Heil
sein erstes Stipendium, das für gute Schüler aus weniger vermögenden
Familien vergeben wurde. Seinem Mittelschulabschluß 1918 folgte die
Präparandenanstalt und das evangelische Schulseminar in Mettmann bei
Düsseldorf, wo er 1921 das Lehrerexamen bestand. /7/
Heil glaubt dem Umstand, am 15. Februar geboren worden zu sein, zu
verdanken, dass er nicht in den Ersten Weltkrieg geschickt wurde:
„[...] weil ich nur ein klein wenig zu jung war; soweit ich mich
entsinne, wurden die im Januar 1901 geborenen Deutschen eingezogen.“
/8/
Studium und Ausbildung
Da Heil nach Abschluss seiner Lehrerausbildung 1921 keine
Anstellung bekam, /9/ ging er nach Köln, um dort bei Professoren zu
studieren, die auch heute noch einen gewissen Bekanntheitsgrad
genießen: Nach Erlangen des Latinums belegte er bei Friedrich von der
Leyen deutsche Philologie, deutsche Literatur bei Ernst Bertram, und
bei Max Scheler Philosophie. Außerdem studierte er Kunstgeschichte und
Theaterwissenschaft. /10/ Seine Doktorarbeit, die die Legende von
Samson und Dalila zum Thema hatte, /11/ beendete er nicht, da er noch
vor ihrem Abschluss, im Januar 1927, bei der Werag angestellt wurde:
„Ich stand dem Rundfunk buchstäblich Tag und Nacht zur Verfügung und
fand nicht einmal mehr die vierzehn Tage Zeit, die ich nur noch zur
Beendigung meiner Doktorarbeit nötig gehabt hätte.“ /12/ Im Interview
mit Frau Roussel sagt Heil, dass er seine ehemals vier Hauptfächer in
ein Hauptfach und zwei Nebenfächer ändern musste, um die Dissertation
beginnen zu dürfen. So bestand seine Fächerkombination aus Germanistik
im Hauptfach und Geschichte und Philosophie als Nebenfächer. /13/ Seine
breit gefächerte geisteswissenschaftliche Ausbildung mit künstlerischem
Schwerpunkt erweiterte Heil in praktischer Hinsicht durch
außeruniversitäre Beschäftigungen am Theater, denn er spielte - nach
einschlägigen Erfahrungen auf Studentenbühnen - sowohl an der als
progressiv einzuschätzenden Freien Volksbühne in Köln, am dort
ansässigen Theater des werktätigen Volkes sowie bei der Gesellschaft
für Fest- und Mysterienspiel, einer stark katholisch ausgerichteten
Organisation. Neben seiner schauspielerischen Tätigkeit war er außerdem
bei den genannten Institutionen als Inspizient tätig. /14/ Palmier
führt Heils Unvoreingenommenheit hinsichtlich der unterschiedlichen
ideologischen Ausrichtungen der Institutionen darauf zurück, dass er
„noch keine genaue politische Idee hatte“. /15/ Heil selbst schätzte
seine Arbeit bei der Freien Volksbühne zum einen, weil er nach seiner
Amateurtheaterzeit nun ernsthaftes Schauspiel lernen konnte: „Die
ersten Theaterjahre waren also als Jahre der Ausbildung angesehen.“
/16/ Zum anderen half ihm die dortige Arbeit, seine Einkünfte durch
Stipendium und Privatstunden - wenn auch nur geringfügig - zu erhöhen.
Das durch die Volksbühne angesprochene Publikum beschrieb er als
„fortschrittliche Kleinbürger“ und „Arbeiter“./17/ Noch vor Heils
Anstellung bei der Werag musste die Freie Volksbühne aus Geldmangel
schließen.
Die Werag als Arbeitgeber
Im Januar 1927 spricht Heil Ernst Hardt vor, der ihn für die Werag
engagiert. Er bricht sämtliche Theaterverpflichtungen ab, um voll und
ganz der Radiostation zur Verfügung zu stehen. „Er wurde zunächst mit
der Inspektion von Sendespielen und Hörfolgen betraut. Insbesondere
nahm er tatkräftig und voller Experimentierfreudigkeit teil an der
Einrichtung und dem Ausbau der ,akustischen Coulisse‘, die am hiesigen
Sender - dank Heils Initiative und Energie - zu allgemein anerkannter
Vollkommenheit hinangeführt wurde. Carl Heil [...] wurde [...] schon
bald zur Hilfsregie herangezogen und mit der Einstudierung von
Sprechchören sowie mit der selbständigen Einübung von Lehrspielen,
Hörfolgen und - zunächst - kleineren funkscenischen Werken betraut. In
den letzten Jahren besorgte er dann selbständig die Einstudierung und
Inscenierung von größeren Werken: Hörspielen, Märchen, Lustspielen und
Spielopern.“ /18/
Diese Darstellung entspricht der Carl Heils, der betont, dass er,
weil er ohne Vertrag am Sender arbeitete, eine enorme Flexibilität
innerhalb des Hauses genoss: „Ohne Vertrag konnte ich hier und dort
arbeiten, während ich mit einem Vertrag an eine einzige Abteilung
gebunden gewesen wäre.“ /19/
Dafür, dass Heil der Werag rund um die Uhr zur Verfügung stand,
wurde er angemessen entlohnt: Wie er später in seinem
Wiedergutmachungsantrag an den WDR schreibt, bekam er damals circa 1000
Reichsmark pro Monat.
Am Anfang, so Heil, habe er zwar sehr oft in Hörspielen als
Sprecher mitgewirkt, allerdings nur in kleinen Rollen. Diese
Einschätzung deckt sich wiederum mit den Sprecher-Auflistungen in der
Wochenzeitschrift Werag /20/: Noch 1930 befindet sich Heil in der
Auflistung so gut wie immer an letzter Stelle, also in der kleinsten
Rolle.
„Seine schauspielerische Tätigkeit am Theater - auch beim Film soll
er kleine Rollen übernommen haben - ging jedoch offensichtlich nicht
auf große künstlerische Ambitionen zurück.“ /21/ Dieser Ausspruch im
Aufsatz von Schiller-Lerg verwundert, da sie zum einen zuvor von Heils
Sprecher- und schauspielerischen Tätigkeit am Rundfunk gesprochen
hatte, zum anderen bald darauf Heils Pionierleistung erwähnt, was die
Entwicklung einer adäquaten und ausgefeilten Geräuschkulisse für den
Rundfunk betrifft. Ich halte beides hingegen durchaus für künstlerisch
ambitionierte Tätigkeiten. /22/ Auf Heils Mitwirkung beim Film kommt
Schiller-Lerg selbst noch zu sprechen: Heil wirkte als Statist in „La
Kermesse Héroique“ von Jacques Feyder mit, der 1935 gedreht wurde sowie
in „La Grande Illusion“ von Jean Renoir, entstanden 1937. Er spielte
den Offizier, der die Befehle Erich von Stroheims den französischen
Gefangenen übersetzt; allerdings erschien sein Name nicht im Abspann,
da er bereits von Goebbels zum Tode verurteilt worden sein soll. /23/
Er selber erwähnt das Todesurteil nicht, spricht lediglich davon, dass
sein Name „aus Sicherheitsgründen“ nicht genannt wurde. /24/ Abgesehen
davon synchronisierte er bereits 1930 den Film „Prix de Beauté“ von
Augusto Genina, zu deutsch: „Miss Europa“. Er sprach drei Rollen des
Filmes, musste aber herbe Kritik hinsichtlich der noch mangelhaften
Synchronisationstechnik einstecken: Die Worte waren nicht ausreichend
den Lippenbewegungen der Schauspieler angepasst. /25/ Neben seiner
Synchronisationstätigkeit allerdings war er außerdem für die
Tonuntermalung sowie für die akustischen Effekte zuständig. /26/
Anlässlich des Films „Prix de Beauté“ fuhr Heil zum ersten Mal nach
Paris. Das Visum, das er für diesen Aufenthalt bekam, sollte ihm später
sein Exil in Frankreich ermöglichen.
1933 litt Heil als bekennender Pazifist und als Person, die in
ihrer beruflichen Funktion immer wieder den Unterprivilegierten das
Wort erteilte, /27/ unter den Repressalien des Naziregimes. Am
15.02.1933 wurde seine Wohnung durchsucht, weil er verdächtigt wurde,
nationalsozialistische Ausgaben verbrannt zu haben. /28/ In den
Unterlagen des WDR habe ich in einem Ordner über Rudolf Rieth - in
einem maschinengeschriebenen Beitrag für die Hauszeitschrift vom
09.02.1973 - folgende Beschreibung des Jahres 1933 gefunden: „... wo
nach dem 30. Januar ganz andere ,Stimmung‘ herrschte: während der
Hitlerrede waren Fensterscheiben eingeworfen worden, im
Lumpenball-Kostüm von Carl Heil fahndete man nach einem Geheimsender,
veranstaltete man polizeiliche Haussuchung usw.“
Abschied von der Werag
Am 31. März wurde Heil von seinem Vorgesetzen, Rudolf Rieth, auf
Befehl des kommissarischen Intendanten, Dr. Siegfried Anheisser,
entlassen. „Das Propagandaministerium wechselte die Verwaltung des
Radios aus und ich wurde vor die Tür gesetzt. Bis Hitler an die Macht
kam, war der Dichter Ernst Hardt Intendant des WDR in Köln, aber er
wurde seiner Funktionen enthoben, als jemand, der Liberaler und kein
Nazi war. Der designierte Nachfolger gehörte zum Haus, wo er der
Musikabteilung vorstand und seine Beförderung der Tatsache verdankte,
dass er bei den Nazis nicht schlecht angesehen war. Er hat mich
rausgeworfen: ich wurde als links angesehen, sogar als Kommunist oder
Sozialist.“ /29/
Seine Entlassung begründet Heil später in seinem
Wiedergutmachungsantrag an den WDR, in dem er auf die Frage „In welcher
Form und mit welcher Begründung ist Ihr Dienstverhältnis seinerzeit
beendet worden?“ folgendermaßen antwortet: „Auch nach dem ,Umbruch‘
hatte ich nicht verheimlicht, dass ich weder die Methoden der
Nationalsozialisten noch deren Auffassung von Kultur und Menschenwürde
schätzte.“ So schreibt denn Heil später auch in einem Brief an Herrn
Först vom WDR, Hauptabteilung Politik: „Nur eins sei noch gesagt,
Entlassung oder nicht, es stand für mich schon lange fest, nicht in
einem nazifizierten Funkhaus zu arbeiten.“
Eigentlich hatte Heil vor, in Köln zu bleiben, weil seiner Meinung
nach der Naziterror dort nicht so schlimm wie in den anderen Städten
war. „Aber das war eine Illusion.“ /30/
Dem Umstand, dass er - weil er in Köln und Umgebung bereits zu
bekannt war - seinen Vornamen in Charles änderte, verdankte er ein
Angebot für einen Lehrerposten in Elberfeld im April 1933. „Und das,
weil das Schulamt den Charles Heil, der Anspruch auf eine Lehrstelle
hatte, nicht mit dem Carl Heil verglichen hatte, der vom Radio verjagt
wurde.“ /31/ Ursprünglich wollte Heil die Stelle nicht annehmen, da er
„nicht darauf warten wollte, festgenommen zu werden“, denn er ging
davon aus, dass, „auch wenn die Lehre noch nicht gleichgeschaltet
worden war, dies nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.“ /32/
Allerdings kannte Heil, wie sich herausstellen sollte, den Direktor der
Schule, der ein früherer Mitschüler von ihm war; dieser überredete ihn,
die vier Tage, die noch bis zu den großen Ferien zu bestreiten waren,
den Lehrberuf auszuüben. Während der Ferien löste Heil seine Wohnung
auf und schickte seiner Familie ein Großteil seiner Bücher. Nach einer
Kurzvisite in Paris, auf der er sich bei deutschen Emigranten nach den
Möglichkeiten erkundigte, in Frankreichs Hauptstadt zu leben, kam er
für wenige Tage zurück nach Elberfeld. Ende April ging er endgültig
nach Paris ins Exil. Seine Begründung: „Ich wollte mich nicht
gleichschalten.“ /33/ Hätte Heil zu diesem Zeitpunkt erst nach einem
Visum gefragt, es wäre ihm wohl verwehrt worden. Glücklicherweise besaß
er noch jenes von 1930, welches man ihm anlässlich seiner ersten
Parisreise ausgestellt hatte.
II.
1933 bis 1945: Ein Leben zwischen den Fronten
Wirtschaftliche Zwänge
„Die Verbindungen, die er aus den früheren Tätigkeiten in Paris
hatte, nutzten ihm jedoch nicht viel. Der Rundfunk in Frankreich war
damals noch vorwiegend privatrechtlich organisiert [...].“
/34/Schiller-Lerg ist hier ein Fehler unterlaufen: M. Platrier, der
Direktor des Senders Radio-Paris, an welchem Rieth und Heil 1931 den
„Krassin“ inszeniert hatten, konnte Heil keine Stelle anbieten, gerade
weil der Sender nicht mehr privat war, sondern verstaatlicht werden
sollte./35/ Fürderhin durften nur noch Beamte bei Radio-Paris arbeiten
- selbst M. Platrier wurde seiner Aufgaben enthoben.
Die deutsch-niederländische Tobis Klang Film Gesellschaft, für die
Heil 1930 in „Prix de Beauté“ gearbeitet hatte, suchte er nicht mehr
auf, weil sie nun Nazideutschland zugehörte. Heil war wirtschaftlich
auf die Flüchtlingshilfsorganisationen angewiesen, die allerdings nicht
mehr als das Nötigste an Nahrung zur Verfügung stellen konnten.
Inwiefern das Gerücht seiner vermeintlich jüdischen Abstammung oftmals
sein Leben beeinflusste, zeigt folgende Anekdote - wenngleich sie im
Leben Heils insgesamt eine Ausnahme darstellt, als sie einen positiven
Ausgang hat: In einer Flüchtlingsorganisation musste man einen Beweis
seiner jüdischen Abstammung vorlegen, um Essen ausgehändigt zu
bekommen. Heil zeigte den Artikel des „Westdeutschen Beobachters“ vom
August 1932, in dem er als Jude dargestellt wurde; es hieß darin: „Die
Spielleitung in der Jugendfunkstunde besorgt der Jude Heil.“
Wohlwissend, dass Heil tatsächlich kein Jude war, sagte die Dame an der
Essensausgabe, Tochter eines Rabbiners: „Das geht in Ordnung! Mit
diesen Dokumenten hast du das Recht, Hilfe zu bekommen.“ /36/ Am
Ausgang wurden Heil außerdem ein Beutel und Tabak angeboten, die er mit
den Worten „Danke! Ich rauche nicht und bin nicht jüdisch.“ /37/
ablehnte. Daraufhin die kommunistische Rabbinertochter: „Also bist du
Partisan der objektiven Wahrheit? Die Wahrheit hat mehrere Gesichter.“
/38/
Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, bis zu dem Moment, in dem
er durch Beziehungen an die nächste Festanstellung gelangen könnte,
hielt sich Heil mit den „verschiedenartigsten Zufallsbeschäftigungen“
über Wasser: „Stundengeben, Geschirrwaschen, Verteilen von
Reklameprospekten, Koffertragen, Nachsynchronisierungen usw.“ Außerdem
setzte er sich mit Herrn Habaru, einem belgischen Journalisten, in
Verbindung, mit dem er bereits an der Werag 1930 ein Dossier über die
sozialen Fragen verfasst hatte. Heil vermittelte ihm Informationen über
Hitlerdeutschland, Habaru veröffentlichte sie, und Heil wurde von
Habarus Zeitung bezahlt. Schiller-Lerg erwähnt außerdem, dass Heil
manches Mal als literarischer Übersetzer Geld verdiente sowie die
Tatsache, dass er seine literaturwissenschaftlichen Studien an der
Universität weiterführte.
Soziale Kontakte
Heil unterhielt freundschaftliche Verbindungen mit diversen anderen
Flüchtlingen, meist Intellektuellen, oft Kommunisten bzw.
„Weggefährten“ /39/ jüdischer und nichtjüdischer Abstammung. Zu seinen
Freunden zählten die Schriftsteller Alfred Kantorowicz und Vladimir
Pozner, den er durch Alexander Maass kennengelernt hatte, welcher
wiederum über Moskau ins Pariser Exil gelangt war; in Frankreich galt
Maass als „Verfechter des proletarischen, progressiven oder
revolutionären Theaters“. /40/ Pozner ließ Heil einige Zeit bei sich
wohnen. Heil traf im Exil auch Friedrich Wolf wieder, der ihm Berty
Albrecht vorstellte. Sie kümmerte sich intensiv um die Flüchtlinge und
führte Heil in ihren engeren Freundeskreis ein, zu dem ebenso der
Philosoph Gustave Regler, als auch der Schriftsteller Rudolf Leonard,
der Skulpteur Lipschitz und die polnische Malerin Motia Hirschowitz
gehörten. Heil gab den beiden Kindern von Berty Albrecht
Deutschunterricht. /41/ 1934 kam Heils Verlobte Elisabeth Ernst,
geborene Thürey, nach Paris, wo beide 1939 heirateten. Die Ehe wurde
kinderlos geschieden, wobei das Scheidungsdatum ungewiss ist./42/
Über Beziehungen seiner Verlobten gelang es Heil, an der Tobis -
trotz deren Zugehörigkeit zu Nazideutschland - eine Arbeit als
Geräuschingenieur für Stummfilme und Synchronisationen zu bekommen, da
vergleichbare Fachleute unter den Franzosen nicht zu finden waren. /43/
„Ich habe sie [die Arbeit] angenommen, aber das war eine absolut
neutrale Anstellung, außerhalb jeder politischen Frage. Es gab mir von
Zeit und Zeit Arbeit. Tatsächlich wurde ich, nachdem ich begann, die
Geräusche zu machen, kurz danach für andere Filme verlangt. [...] Ich
habe diese Arbeit bis zum Krieg gemacht. [...] Die Leute, die dort
arbeiteten, waren Franzosen, und allein der Toningenieur war ein
deutscher Emigrant.“ /44/ Eine Durchsicht der von Heil synchronisierten
und toninszenierten Filme wäre nötig, um sich die Inhalte genauer
anzusehen. Allerdings würde dies zum einen den Umfang meiner Arbeit
sprengen, zum anderen besteht hier wahrscheinlich das gleiche Problem
wie bei „La Grande Illusion“: Da Heil als Antifaschist bekannt war,
erschien er höchstwahrscheinlich nicht im Abspann, wenn seine Tätigkeit
überhaupt jemals aufgelistet wurde. Eine Überprüfung steht noch aus.
Heil schreibt selbst, dass er außer in „La Kermesse Héroique“ und „La
Grande Illusion“ noch in zwei anderen Filmen mitgespielt habe, die aber
„völlig unbedeutend“ /45/ gewesen seien.
Politisches Engagement: Teilnahme am „Guerre des Ondes“
Heil schrieb keine Beiträge für Emigrantenzeitungen wie „Die
Aktion“, „Pariser Tageblatt“ oder „Das blaue Heft“, weil er sich nicht
in die damit einhergehenden Streitigkeiten zwischen den verschiedenen
Exilfraktionen einlassen wollte: Damit hätte auch er einen Beitrag zur
Spaltung der Emigrierten geleistet, /46/ was er nicht beabsichtigte.
Dass dies allerdings der einzige Grund für seine Zurückhaltung war,
zeigt nach Brès’ Meinung die Tatsache, dass er ab Januar 1937 als
deutscher Sprecher beim französischen Radio angestellt wurde, welches
dem Postministerium unterstand. Dieses sogenannte Radio Strasbourg
/47/, im März 1936 ins Leben gerufen, ging auf eine Idee Pascal Copeaus
zurück. Sein Konzept: Der deutschen Propaganda, die in französischer
Sprache von Paul Ferdonnet verbreitet wurde, sollte mit
deutschsprachigen Sendungen geantwortet werden. /48/ Um selbst
ungewollter Tendenz unter den Sprechern vorzubeugen, ließ die Regierung
drei französische Professoren, deren Spezialgebiet die deutsche Sprache
war, alle Nachrichtensendungen vor ihrem Erscheinen zensieren. In der
deutschen Redaktion arbeiteten unter anderem der Romanautor Hans
Siemsen, der ehemalige Sekretär und Übersetzer von Stresemann, Hans
Jacob sowie der Filmemacher Max Ophüls. Heil war der Hauptsprecher der
deutschen Abteilung, laut Schiller-Lerg wurde er im Juli 1937 bereits
alleiniger Sprecher der drei täglichen Nachrichtensendungen. Für diese
insgesamt 75 bis 85 Minuten pro Tag erhielt er 15 Francs. /49/ „Das
Programm von ,Radio Strasbourg‘ war mit seiner propagandistischen
Zielsetzung zweifellos ein politisches Instrument und wurde nicht nur
jenseits der Grenze scharf kritisiert und mit allen diplomatischen und
publizistischen Mitteln bekämpft. Auch in Frankreich selbst wurde
unverhohlen Kritik an der Mitarbeit von Emigranten in der staatlichen
Rundfunkeinrichtung laut, da man der Tatsache, dass deutsche Emigranten
öffentlich gegen das Hitlerregime polemisierten und argumentierten, mit
großer Skepsis begegnete. [...] Das verlangte ihm [Heil] allerdings
auch eine politische Haltung ab. Immerhin musste er, der eingeschworene
Pazifist, von französischer Seite den Vorwurf einstecken, daß er in
seiner Rolle als Sprecher dieser Sendungen nicht gerade ,zur
Befriedung‘ der Gemüter beitrage.“ /50/
Leider gibt Schiller-Lerg nicht die Quelle an, wenn sie als Grund
für Heils kurzfristige Entlassung als Sprecher zitiert, dass Heil eine
„hasserfüllte Hetze in preußisch-jüdischem Akzent“ /51/ vorgehalten
wurde. Angesichts Brès’ Ausführungen ist aber davon auszugehen, dass
dieser Vorwurf von elsässischer Seite vorgebracht wurde, da man es hier
als eine Art widerrechtliche Inbesitznahme ansah, aus Paris kommende
Sendungen in deutscher Sprache ausstrahlen zu müssen. /52/ Die Kritik
richtete sich außer gegen den Akzent /53/ auch dagegen, dass Emigranten
für die Sprechertätigkeit ausgewählt wurden sowie gegen die
vermeintliche Freiheit, die den Sprechern gewährt wurde, zum einen, was
ihre Übersetzungen, zum anderen, was die Auswahl und Präsentation ihrer
Texte anging (was, wie oben dargestellt, nicht ein Privileg, sondern
die Hauptschwierigkeit ihrer Arbeit war, da die Texte vor Sendung so
gut wie noch gar nicht aufbereitet waren).
Heil wurde also als Sprecher entlassen, da fortan nur noch
Franzosen im Radio zu hören sein sollten, allerdings wurde ihm
gleichzeitig durch Copeaus Vermittlung eine Beschäftigung am selben
Sender in der Übersetzungsredaktion angeboten. Der neue Job brachte
keine finanzielle Verschlechterung, wegen des Mehraufwandes verdiente
er nun sogar 30 Francs pro Sendung. Dennoch missfiel ihm der Wechsel,
da „der Minister sich der nationalistischen und gleichzeitig
nazifreundlichen Presse gebeugt hatte.“ /54/ Aufgrund von Sparzwängen
wurden im März 1939 die beiden zuletzt eingestellten Redakteure,
darunter auch Heil, entlassen.
Internierung in Südfrankreich
Im September des gleichen Jahres, Heil war immer noch arbeitslos,
sollten sich alle deutschen und österreichischen Ausländer in
sogenannten Sammlungszentren zusammenfinden. Heil ging zum Sender, um
Copeau zu treffen: Er hoffte, indem er sich auf seine Dienste für das
französische Radio berief, diesem Aufruf nicht nachkommen zu müssen.
Copeau setzte am gleichen Tag durch, dass Heil wieder als Sprecher
angestellt wurde./55/ Noch am Tag des Einmarsches der deutschen Truppen
in Paris, am 10. Mai 1940, wurde Heil (und übrigens auch Döblin, der
ebenfalls an den Sendungen teilnahm), aufgetragen, in einem aggressiven
Ton und in einer aggressiven Sprache zu sprechen, „um den Deutschen
Angst zu machen.“ /56/
Am 6. Juni 1940 /57/ folgte Heil dem Aufruf, der allen Deutschen in
Paris galt, und fand sich im Stade Buffalo ein. Es hieß, man wolle nur
die Papiere überprüfen und nach zwei bis drei Tagen könne man wieder
nach Hause gehen, aber statt dessen wurde Heil mit anderen Deutschen
und Österreichern mit einem Zug nach Nîmes gebracht und von dort weiter
ins Arbeitslager Langlade, das etwa 12 Kilometer südwestlich von Nîmes
liegt. In Langlade war er Teil der 304. Gruppe der Ausländischen
Arbeiter. /58/ Er blieb in Langlade bis Juli 1943, war allerdings nur
bis Ende 1941 im Lager interniert.
Da die Insassen das Lager auch verlassen durften, freundete sich
Heil mit einem Pastor an, was nahe lag, da - nach eigener Aussage Heils
- vor allem Pastoren und Protestanten sich um das Wohl der Gefangenen
kümmerten. /59/ Außerdem lernte er den Direktor des naturhistorischen
Museums, Herrn Passemard, kennen, der sogar bei einer Streitigkeit
zwischen Lagerinsassen und Kommandanten zu Gunsten der Gefangenen
intervenierte; er gab Heil außerdem eine kleine Arbeit. /60/ Ende 1941
wurde das Lager in Langlade aufgelöst und die Gefangenen nach Beaucaire
gebracht. Dadurch, dass Heil eine „besondere Verwendung“ /61/ vorweisen
konnte (nämlich eine Arbeit bei einem Schweizer Pastor), wurde ihm eine
gewisse Freiheit gewährt. Insofern konnte er, ebenfalls durch
Vermittlung von Pastoren, im Haus der Jugend wohnen und in der
Flüchtlingskantine essen. An diesem Ort lernte er das Ehepaar Brès
kennen, damals noch kein Paar, sondern lediglich entfernte Verwandte.
Die Eltern von Éveline Brès, geborene Humez, waren Flüchtlinge aus
Lille, sie selbst erst 17 Jahre alt. Sie luden Heil des öfteren zu sich
nach Hause ein und wurden gute Freunde. Éveline erhielt von Heil
kostenlosen Deutschunterricht. Nach dem Krieg verloren sie sich aus den
Augen; auf der Suche nach Carl Heil kamen sich die beiden näher, bis
sie später heirateten. Éveline Brès: „Es ist wegen Carl Heil, dass wir
geheiratet haben.“ /62/ Erst am 28.02.1982 lasen sie einen Artikel in
„Le Monde“ von Charles Ford mit dem Titel: „La ,drôle de guerre‘ sur
les ondes“, in dem unter anderem von Carl Heil die Rede ist. Sie
wandten sich schriftlich an Ford und erfuhren von ihm die Adresse
Heils, so dass sie sofort Kontakt mit diesem aufnahmen und ihn noch
einmal, kurz vor seinem Tode, sehen konnten. Das Interview, auf dem im
Wesentlichen ihr Buch beruht, wurde bei diesem Besuch angefertigt. Als
am 11. November 1942 die Nazis in Südfrankreich einmarschierten,
beschafften zwei Pastoren, die Herren Toureilles und Trocmé, Carl Heil
falsche Papiere. „Von da an nannte ich mich Chales Hébert und war
französisch.“ /63/ Da durch diese Maßnahme allerdings auch die
besondere Verwendung sowie die Hilfe für ausländische Flüchtlinge
wegfiel, half ihm Passemard, eine Arbeit als privater Deutschlehrer zu
finden.
Verhaftung und Deportation
Am 22.07.1943 wurde Heil von der Gestapo verhaftet, nachdem er als
deutscher Jude von Franzosen denunziert worden war. „Wahrscheinlich
verdankte Heil-Hébert es dem Umstand der allgemeinen Verwirrung und der
großen Zahl der politischen Gefangenen in diesem Sommer 1943, dass er
nicht sofort erschossen wurde.“ /64/ Zur gleichen Einschätzung kommen
auch Herr und Frau Brès. /65/ Dennoch sollten die nächsten beiden Jahre
die schlimmsten seines Lebens werden: Nach einem Aufenthalt in
Marseille kam er ins Gefängnis von Saint-Pierre, von da weiter ins
Lager nach Compiègne; und schließlich, am 12. Mai 1944, wurde er mit
2086 anderen Häftlingen nach Deutschland - ins Konzentrationslager
Buchenwald - deportiert. Am 6. Juni 1944 fand eine Verlegung nach
Ellrich statt, in den Süd-Harz, in das dortige Arbeitslager.
Glücklicherweise hatte er lediglich Stubendienst zu verrichten, so dass
der Aufenthalt körperlich nicht so anstrengend war wie der derjenigen,
die auf Baustellen oder in Fabriken arbeiten mussten. Im Winter, als
sich immer deutlicher die Niederlage der deutschen Truppen abzeichnete,
wurde Heil vom Blockältesten gefragt, ob er nicht dessen
Stellvertreter, sogenannter Blockältester zwei, werden wolle. „Was mich
betrifft, hatte ich dazu keine Lust, aber angesichts der Disziplin, die
sich die Politischen im Lager aufluden, konnte ich diese Aufgabe nicht
ablehnen.“ /66/ Herr und Frau Brès zitieren René Morel, Mitinhaftierter
von Heil, um deutlich zu machen, dass Heil diese Machtposition nicht
missbraucht hat: „Die Erinnerung, die ich von Carl Heil bewahre, ist
die eines disziplinierten Menschen, der sich bewusst war, im Lager
Privilegien zu genießen, der aber niemals Gewalt anwendete, um sie zu
bewahren.“ /67/ Am 6. April wurden die Inhaftierten von Heils
Abteilung, der Baubrigade 4, in zwei Gruppen aufgeteilt: in eine
Hälfte, die noch in der Lage war, lange Fußmärsche zurückzulegen, und
in eine andere, die aus Kranken bestand: „Wie die Mehrzahl der Lager,
musste wegen der immer näher kommenden alliierten Truppen die B.B.4
ihren Stützpunkt Ellrich verlassen, aus unbekannten Gründen und in
unbekannte Richtungen.“ /68/ Allein die Tatsache, dass Heil zu der
Gruppe der Marschierenden gehörte, rettete ihm das Leben: Am 13. April
1945 wurde der Trupp von der ersten US-Armee des Generals Odges
befreit, während die anderen von der SS getötet wurden. /69/
III.
1945 bis 1983: Die zweite Heimat des deutschen Intellektuellen: Frankreich
„Man kann zwar seine Funktionen einkreisen - auf einen Kristallisationspunkt aber lassen sie sich nicht erhärten.“ /70/
Nach seiner Rückkehr ins Nachkriegsfrankreich und einem kurzen
Aufenthalt in Köln zog Heil endgültig nach Paris, da ihm hier die
Möglichkeit gegeben wurde, als Sprecher der deutschsprachigen Sendungen
des Auslandsdienstes der Radiodiffusion-Télévision Française (RTF)
arbeiten zu können sowie als deutschsprachiger Ansager von Konzerten.
Seine Enttäuschung war wohl groß, als seine Karriere am französischen
Rundfunk nicht der gleichkam, die ihn wahrscheinlich an einer deutschen
Institution erwartet hätte: „Ich glaube sagen zu dürfen, dass ich alle
meine Kräfte aufgeboten habe, um persönlich den schweren Schlag, den
ich 1933 bekommen habe, einigermaßen wieder wettzumachen. Leider kann
ich nicht behaupten, dass es mir gelungen sei. Er bleibt eine nicht
wieder gutzumachende Beeinträchtigung meiner beruflichen Laufbahn.“
/71/ Tatsächlich kann man sich denken, dass eine reine Sprecher- und
Ansagertätigkeit in keiner Weise den zahlreichen, verantwortungsreichen
und vielfältigen Beschäftigungen an der Kölner Werag gleichzusetzen
ist. Auch seine prekäre finanzielle Lage wird die Unzufriedenheit nur
unterstützt haben. So äußert er im gleichen Brief: „Die niedrigen
Gehälter, die der französische Rundfunk bekanntlich zahlt, die
Tatsache, dass ich von ihm keine Pension zu erwarten habe, sondern nur
mit einer geringen Rente der Sozialversicherung rechnen kann, der
Umstand, dass die Lebenshaltungskosten dauernd steigen, dies - und
manches andere - veranlasst mich, angesichts der in beängstigenden
Farben erscheinenden Zukunft anzufragen, ob wohl der deutsche Rundfunk
mir durch die Bewilligung einer laufenden Unterstützung zu helfen
vermag, zumal ich zu denen gehöre, die den Westdeutschen Rundfunk mit
aufgebaut haben?“ /72/
Kulturelles Engagement
Heil wurde Franzose und nannte sich wieder Charles Hébert. „Neben
meinen Aktivitäten als Sprecher, und mehr oder weniger in Verbindung
mit diesen, habe ich mich für die Musik, das Theater und das Kino
interessiert, manchmal im Rahmen der kulturellen und künstlerischen
deutsch-französischen Beziehungen.“ /73/ Eine ehemalige
Deutschschülerin Heils aus Südfrankreich, Frau Penchinat-Nègre gab
Herrn und Frau Brès Auskunft über Heils diverse Aktivitäten und
Freundschaften: „Bis zu dem Moment, wo er von der Krankheit davon
abgehalten wurde, hat er nicht aufgehört, Kontakte mit der Theaterwelt,
der er die größten Dienste erwiesen hatte, zu halten [...]. Er stand in
freundschaftlichem Verhältnis zu Autoren, Regisseuren, Schauspielern,
nicht nur zu denen aus den beiden Deutschlands [...], sondern auch zu
denen aus Frankreich: Adamov, Ionesco, Vilar, Fresnay, um nur die
größten zu zitieren, sowie zu denen aus anderen Ländern, sogar aus
Amerika, z.B. Julian Beck, Erfinder des bekannten „Living Theater“ und
Peter Schumann, von der wunderbaren Truppe „Bread and Puppet“. Im
Bereich der Musik hat er von ihren Anfängen an, als sie noch Unbekannte
waren, die ganz großen aktuellen Komponisten begleitet und unterstützt,
wie Pierre Boulez in Frankreich und Karlheinz Stockhausen in
Deutschland. Sein Interesse erstreckte sich auf die ganze Welt des
Spektakels: Kino, Zirkus, Illusion und Tanz (er kannte gut Maurice
Béjart). Er war aktives Mitglied im Goethe Institut und im
österreichischen Institut und nahm an zahlreichen kulturellen und
humanitären Gesellschaften teil [...].“ /74/
Durch die verschiedenen Austauschprogramme und seinen Einsatz für
die deutsch-französische Verständigung gerade auf künstlerischem Gebiet
lernte Heil auch Marcel Marceau kennen. /75/ Marie-Luise Scherer
beschreibt in der „Berliner Morgenpost“ Heils Zurückhaltung, was eine
Darstellung seiner diversen Kontakte in Künstlerkreisen angeht, kann
ihm aber doch entlocken, „dass er Sartre kennt und ihn auch einmal für
einen Vortrag in Deutschland erwärmen konnte. Dass Pierre Boulez [...]
einmal im ,akustisch-zurechtgestauchten‘ Zimmer von Heil-Hébert seinen
ersten Vortrag für das elektronische Studio des WDR in Köln machte.“
/76/ Und Scherer schlussfolgert hinsichtlich seiner Tätigkeit als
deutsch-französischer Kulturvermittler: „Als Tippgeber, Vermittler,
Vorbereiter für Kontakte [...] kann Heil-Hébert in Paris mit deutschen
Theaterdingen besser dienen als der Kulturattaché der deutschen
Botschaft.“ /77/ Im Interview mit Roussel erzählt Heil außerdem, dass
er nach dem Krieg im Théâtre des Nations Piscator kennenlernte. /78/
Frau Schiller-Lerg hebt Heils Vermittlerrolle im kriegsbedingt
gestörten Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland hervor: „Carl
Heil gehörte zu jenen, für die die deutsch-französische Freundschaft
nicht erst einer amtlichen politischen Bestätigung bedurfte.“ /79/ Für
einen ehemaligen KZ-Insassen ist eine derartige Einstellung nicht
selbstverständlich, und so schreibt Schiller-Lerg: „Heil war
Deutschland wegen seiner Vergangenheit nicht gram, im Gegenteil, er
blieb ihm geistig verbunden, auch wenn er inzwischen als Franzose
naturalisiert worden war [...].“ /80/Neben verschiedenen
deutsch-französischen Projekten am Kölner wie am Pariser Sender spielte
er Nebenrollen in vier weiteren Filmen. Laut Schiller-Lerg organisierte
er eine „Sendung für deutsche Kriegsgefangene in Frankreich“, die sich
später „Deutsche Arbeiter in Frankreich“ nannte. Außerdem soll er bis
zu seiner Pensionierung 1966 die deutschsprachigen Teile der Sendung
„Bonsoir l’Europe, ici Paris“ gesprochen haben. /81/ Am 17. November
1983 /82/ stirbt Heil an den Folgen der Parkinsonschen Krankheit in
Paris.
IV.
Heils Motive, Einstellungen, künstlerische Positionen
Soziale Positionierung
„Er hat immer Zeugnis von einer absoluten Unparteilichkeit
abgelegt. Er war ganz allergisch gegen alles, was von praktischer oder
materieller Ordnung war und seine moralische Unnachgiebigkeit war
absolut..“ /83/
Meines Erachtens sind Heils Überzeugungen und seine innere Haltung
entscheidend von seinem Elternhaus geprägt. So ist hier noch einmal
festzuhalten, dass sich die Eltern, beide Arbeiter (der Vater stammt
aus einer Bauernfamilie, lernte dann Maurer), mit der Tatsache und dem
Umstand ihrer Heirat über die bislang für sie geltenden Konventionen
hinweggesetzt haben. Sie waren Mitglieder in einer bürgerlichen
Organisation, achteten auf bürgerliche Bildung und bürgerliches
Auftreten der Kinder. Dennoch verleugneten sie ihre Herkunft nicht
(Heil beschrieb seine Mutter, wie bereits erwähnt, als „sich selbst als
einfache Arbeiterin betrachtend [...]“ /84/). Die Eltern blieben auch
ihren politischen Überzeugungen treu - indem Heils Vater Mitglied in
der sozialistischen Partei und gewerkschaftlich organisiert war.
Entsprechend dem Engagement seiner Eltern hinsichtlich Erziehung und
Auftreten der Kinder verhielt sich Carl Heils Bildungsweg: Schulbesuch
mit Unterstützung durch Stipendien, Lehrerexamen, durch weitere
Stipendien gefördertes Studium, kurz vor Abschluss abgebrochene
Dissertation. Der Abbruch der Doktorarbeit zugunsten einer Anstellung
am Radio, ist meines Erachtens in Heils Freude an praktischer Arbeit
fundiert, die sein Interesse an einer rein wissenschaftlichen Tätigkeit
überwiegt. Statt seinen „Beitrag [...] zur Geistesgeschichte“ /85/ zu
Ende zu führen, nimmt er eine bis dahin unbekannte und in keiner Weise
renommierte Tätigkeit bei dem neuen Medium Radio auf. Anders als viele
seiner Kollegen schrieb Heil keine Theaterstücke (wie beispielsweise
sein Kölner Kollege Rudolf Rieth /86/) oder Hörspiele, er
veröffentlichte keine Memoiren und fertigte auch keine theoretischen
Schriften zum Medium Rundfunk an.
Selbständigkeit des Denkens
Was meiner Auffassung nach in der Prägung durch sein Elternhaus
begründet liegt, ist die Ablehnung einer zu großen Regelgebundenheit.
Wie Mutter und Vater Heil sich einst über die konfessionsüblichen
Heiratsklauseln hinwegsetzten, so legt auch Carl Heil Zeit seines
Lebens eine in vielerlei Hinsicht unorthodoxe Art an den Tag. Ein
Beispiel dafür ist die Wahl der Theater, an denen er bereits während
seiner Studienzeit tätig war: Neben der katholischen Gesellschaft für
Fest- und Mysterienspiel arbeitete er an der progressiven Freie
Volksbühne. Palmier begründete das damit, dass Heil „noch kein genaue
politische Idee hatte.“ /87/ Ich glaube nicht, dass Heil zwischen zwei
Theater- bzw. politischen Konzepten schwankte, sondern die Wahl der
verschiedenen Theater schlichtweg Ausdruck seines offenen Geistes war.
Weiter glaube ich auch nicht, dass er lediglich zögerte, sich
diesbezüglich festzulegen. Für ihn waren meines Erachtens vielmehr die
beiden folgenden Vorteile ausschlaggebend: den Schauspiel- bzw.
Inspizientenberuf zu erlernen und außerdem seine Ausgaben zu decken. Am
Kölner Sender zieht Heil die freie Anstellung einem soliden
Arbeitsvertrag vor, da er sonst „an eine einzige Abteilung gebunden
gewesen wäre.“ /88/ Also auch hier ist ihm die Möglichkeit des freien
Agierens wichtiger als ein abgesteckter Bereich, der eine gewisse
Sicherheit bedeuten würde. Obgleich Heil befreundeten kommunistischen
Künstlern (wie unter anderem Bertolt Brecht, Alexander Maass oder auch
Friedrich Wolf /89/) politisch sehr nahe stand („1918 dachten wir, das
Wohl komme aus dem Osten, Brutstätte einer neuen Menschlichkeit, von
der Bourgeosie befreit.“ /90/), trat er der KPD nicht bei. Seiner
Meinung nach behinderte die Struktur der Partei eine demokratische
Meinungsäußerung: „Es gab Befehle von oben, die es ihnen [den Freunden]
nicht möglich machten, zu diskutieren, weil man ihnen erwiderte: ,Die
Partei hat immer Recht‘. Und es sind genau die Vertreter dieser
Konzeption, die immer mehr ihre Art zu denken und gegen die freie
Meinungsäußerung zu handeln, durchsetzten. [...] So kam man dazu, eine
objektive Wahrheit und eine von den Umständen abhängige, nützliche
Wahrheit zu unterscheiden.“ /91/
Der Befolgung einer kompromisslosen Parteilinie zieht Heil gelebte
Toleranz vor, die meiner Meinung nach vor allem auf seiner
Unvoreingenommenheit gegenüber Personen, Personengruppen und
Beschäftigungsfeldern beruht. Die Toleranz allerdings paart sich bei
ihm mit einer Aufrichtigkeit, mit einem Einstehen für seine eigenen
Überzeugungen. So wurde er beispielsweise als Student wegen seiner
reinen Aussprache als Begleiter des Grafen von Denhoff, Sohn der
Prinzessin von Bülow, auserkoren. Außerdem war er donnerstags wie
sonntags Gast im ausgewählten Zirkel seines Professors Friedrich von
der Leyen. Dort äußerte er offen - vor weiteren anwesenden Adeligen -
dass er gegen die Entschädigung der Prinzen bei dem im Sommer 1925
stattfindenden Referendum gestimmt hatte. /92/
Konsequenz des Handeln
Hinsichtlich der bereits mehrfach angeklungenen Judenfrage erzählt
er im Interview mit Brès, dass er Juden, wann immer er über Engagements
von Hörspielern zu entscheiden hatte, weder bei der Auswahl bevorzugt,
noch benachteiligt habe. Vorrang hätten grundsätzlich die bedürftigsten
Darsteller gehabt. /93/ So bestätigt Heil dem späteren WDR, dass er für
das Hörspiel „Stahl und Eisen“ „trotz des Nazisieges noch drei Juden
für dieses Sendespiel engagiert hatte, mit denen ich am genannten Tage
das ,Haus in der Dagobertstrasse‘ für immer verließ.“
Als stringentes, seinen Überzeugungen entsprechendes Handeln lässt
sich auch seine Emigration nach Frankreich lesen („Ich wollte mich
nicht gleichschalten lassen“ /94/) sowie seine Teilnahme am guerre des
ondes: Aus einem überzeugten Pazifisten wird ein Emigrant, der
öffentlich gegen seine eigene Regierung Stellung bezieht, um mit
propagandistischen Mitteln auf Missstände und Fehlinformationen im
Nazi-Deutschland aufmerksam zu machen. Heil stellt sich in den Dienst
der staatlichen Agitation, um einen letzten Versuch zu starten, seine
Landsleute zur Besinnung zu rufen.
Völkerverbindendes Engagement
Dass Heil im Grunde alles andere als Volksverhetzung betreiben
wollte, vielmehr jemand war, dessen tiefes Bedürfnis darin bestand,
Menschen und Völker einander näher zu bringen, zeigt vor allem sein
Handeln im Sinne der Völkerverständigung nach dem Krieg, wie ich es
oben dargestellt habe. Und bereits vor dem Krieg, während seiner Zeit
an der Werag, unterlag er nicht den im damaligen Deutschland so
verbreiteten Antipathien gegenüber Frankreich, dem sogenannten
Erzfeind, sondern fuhr nach Paris, um dort zunächst den Film „Prix de
Beauté“ zu synchronisieren und später gemeinsam mit Rudolf Rieth das
Hörspiel „S.O.S.“ zu inszenieren. Gleichermaßen versuchte er, nicht
einem blinden Hass den Menschen gegenüber zu verfallen, die die Nazis
unterstützt oder sich in nationalsozialistischen Vereinigungen
organisiert hatten. Im Gespräch mit Brès versucht er,
nationalsozialistisches Engagement, etwa in der SA, unter anderem damit
zu begründen, dass in einer derart großen Not, wie sie Anfang der
dreißiger Jahre bestand, die jungen Menschen froh waren, durch die zur
Verfügung gestellten Uniformen wenigstens etwas zum Anziehen zu haben:
„Und das, was man den Geschmack der Uniform nennt, hatte als Ursprung
die materiellen Schwierigkeiten.“ /95/ Und so schreibt auch Ernest
Jakob an Carl Heil in einem Brief vom 03.11.1945 aus London: „Und
trotzdem glaube ich, dass Du für die Germanen nicht den Hass
aufbringst, den ich für sie zur Verfügung habe.“
Ungereimtheiten seiner Persönlichkeit
Einen Widerspruch bildet gewiss seine Tätigkeit im Pariser Exil für
die Tobis, bei der er ursprünglich eine Anstellung abgelehnt hatte,
weil sie Hitlerdeutschland angehörte. Wobei offen bleibt, ob er dort
1933 nicht vorsprach, weil ihm eine mögliche Anstellung aus
ideologischer Überzeugung zuwider war, oder weil er davon ausging,
seiner Vergangenheit wegen ohnehin keine Chance auf eine Anstellung zu
haben. Dass er später eine „absolut neutrale Anstellung, außerhalb
jeder politischen Frage“ an eben dieser Gesellschaft annahm, hilft in
dieser Frage nicht weiter. War es für ihn die einzige Möglichkeit, sich
finanziell über Wasser zu halten? Nahm er dafür die politische
Positionierung des Arbeitgebers als jenes Übel hin, das immerhin
kleiner war als die Obdachlosigkeit, oder war er der Überzeugung, dass
die Arbeit für eine nationalsozialistische Filmfirma neutral sein
konnte? Und natürlich ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auch
seine Tätigkeit und Funktion als Blockältester zwei im Lager in Ellrich
zu hinterfragen: Heil begründet seine damalige Einwilligung in die
Ernennung damit, dass angesichts des bereits offensichtlichen Sieges
der Alliierten das Leben im Lager besonders angespannt gewesen sei. Um
keine Revolte unter den Lagerinsassen ausbrechen zu lassen und damit
deren Leben aufs Spiel zu setzen sowie aus der Motivation heraus, die
Gefangenen vor der SS zu schützen, habe er in die Aufgabe,
Blockältester zwei zu sein, eingewilligt, auch wenn er darauf „keine
Lust“ /96/ gehabt habe. Da mir zum einen die Heil gegenüber kritische
Quelle verwehrt wurde, sie zum anderen wohl auch besonders subjektiv
ist, reichen meiner Überzeugung nach Heils eigene Erzählungen und die
von Brès ausgewählten und in ihrem Privatarchiv gesammelten Berichte
nicht, um sich ein der Wirklichkeit gerecht werdendes Bild von Heils
Handeln im Ellricher Lager zu machen. Insofern ist meine Darstellung
von Heils Überzeugung und seinem sozialen Handeln in letzter Konsequenz
mit einem Fragezeichen zu versehen, da die Quellenlage keine
hundertprozentig gesicherten Schlussfolgerungen zulässt.
V.
Zur Radiopraxis von Carl Heil: Vielseitigkeit und soziales Verantwortungsbewusstsein
„Schopenhauer hat gesagt: ,Das Gesicht ist der Sinn des
Verstandes, welcher anschaut, das Gehör der Sinn der Vernunft, welche
denkt und vernimmt.‘“ /97/
Grundlegend ist bereits folgendes festzuhalten: Die Arbeit Heils am
Radio zeichnet sich in erster Linie durch ihre Vielgestaltigkeit, ihre
Reichhaltigkeit, ihre Beschäftigung mit noch unbekannten
Betätigungsfeldern sowie durch ihren sozialen Impetus aus. Heil wurde
zu Beginn des Jahres 1927 als Hörspieler an der Werag angestellt,
übernahm allerdings bald Aufgaben, die über die reine Schauspielerei
hinausgingen. So betätigte er sich die ersten drei Jahre als
Hilfsregisseur, ab 1931 inszenierte er selbständig und stieg somit zum
Spielleiter /98/ auf. So schrieb der „Dortmunder Generalanzeiger“ im
Jahre 1932: „Karl [!] Heil [...] tritt in der letzten Zeit mehr und
mehr als gewandter Regisseur hervor.“ /99/ Direkt zu Beginn seiner
Tätigkeit entdeckte er sein Interesse und sein Talent für den Umgang
mit und die Produktion von Geräuschen, so dass er am Sender und darüber
hinaus bald als Geräuschefachmann bekannt wurde. „Carl Heil studierte
[...] systematisch die Mikrophonwirkung aller möglichen Geräusche, er
probte mit tausend Hilfsmitteln bestimmte Effekte und beherrschte bald
das Gebiet der hörspielerisch bedeutungsvollen Akustik in
ungewöhnlichem Masse. Ein unendlicher Schatz von praktischen
Erfahrungen, eine natürliche Feinfühligkeit für Klangwirkungen und ein
tausendfach geschultes Ohr haben aus Carl Heil im Laufe der Jahre einen
so einzigartigen Geräusch- und Mikrophonbeherrscher gemacht, wie es ihn
in Deutschland kaum ein zweites mal gibt.“ /100/
Abgesehen von den bereits erwähnten Tätigkeiten arbeitete Heil an
der Werag außerdem als Inspizient von Sendespielen und sprach -
aushilfsweise - als Ansager, so bei einer Andacht in Aachen, auf der er
den eigentlichen Redner zu ersetzen hatte. /101/ Neben seiner
schauspielerischen, inszenatorischen wie akustischen Tätigkeit für
Hörspiele, die er vor allem für den Jugend- Schul-, bzw. Kinderfunk auf
die Bühne brachte, /102/ engagierte er sich außerdem in der Sendereihe
„Mensch und Welt - Gemeinschaftsempfang für Arbeitslose“, in den
„Länder- und Städtebildern“ und in den sogenannten bunten Programmen.
/103/
Weitere Probleme aufgrund der Quellenlage
Eine Durchsicht der Werag /104/ führt zu einem unbefriedigenden
Ergebnis: Zwar kann man dort nachlesen, in welchen Hörfolgen, bzw.
Sende- oder Hörspielen /105/ Heil mitgespielt hat und bei welchen er
Regie führte, doch damit erschöpft sie sich auch als Informationsquelle
in Bezug auf Heils Tätigkeiten. Sämtliche Aktivitäten hinter dem
Mikrophon sind seinen eigenen Erzählungen, bzw. den Sekundärquellen zu
entnehmen, nicht aber in der Programmzeitschrift nachzulesen. /106/
„Greifen wir als Beispiel eine bedeutende Reihe heraus. Das Programm
vermerkt bloß: ,MENSCH UND WELT Gemeinschaftsempfang für Arbeitslose‘,
ohne Nennung des Verantwortlichen oder Leiters, ohne Andeutung des
Dargebotenen. Mehrfach wurde ich mit Regieaufgaben in dieser Sendereihe
betraut. Die Namen der Beteiligten wurden an- und abgesagt, gedruckt
jedoch nicht. [...] Bei den LÄNDER- und STÄDTEBILDERN schweigt sich die
WERAG ebenfalls über Verfasser und Ausführende aus. Sie wurden bei der
Sendung genannt. Neben der Regie fiel mir - natürlich - auch die
,akustische Kulisse‘ zu, die sehr abwechslungsreich war.“ /107/
Heil schreibt bereits über das Jahr 1927: „Ich stand dem Rundfunk
buchstäblich Tag und Nacht zur Verfügung.“ Insofern er nur in
Nebenrollen schauspielerisch tätig war und noch keine eigenen
Inszenierungen gestalten durfte (auch noch im Jahre 1929 wird Heil als
Hörspieler lediglich in Nebenrollen /108/ von Hör- und
Singspielinszenierungen /109/ genannt; in der Spielleitung findet sein
Name überhaupt keine Erwähnung /110/), ist davon auszugehen, dass Heils
Beiträge für Regie und Geräusche der verschiedenen Formate besonders
viel Zeit in Anspruch genommen haben: Für diese Tätigkeiten wurde sein
Name nicht in der Werag erwähnt.
Eine derartige Vielgestaltigkeit der Aufgaben, wie ich sie oben
dargestellt habe, erstaunt insofern, als Heil keine einzige davon in
einer klassischen Ausbildung erlernt hat. Die Arbeit als Hörspieler
beispielsweise (für die er immerhin Ernst Hardt vorsprechen musste)
unterscheidet sich zum einen von der eines Schauspielers /111/ - zum
anderen lernte er aber auch diese Kunstform sozusagen by doing, nicht
etwa durch fundierten Schauspielunterricht, wie es beispielsweise
Rudolf Rieth tat, der bei Serafine Ditschy in Berlin Unterricht in
Sprechtechnik, Atemschulung und Rollenstudium erhielt. Auch der Beruf
des Geräuschingenieurs war noch nicht erfunden, als Heil bereits
Fähigkeiten in dieser Tätigkeit erlangte, die in anderen Ländern, etwa
in Frankreich, bis dato noch in den Kinderschuhen steckten. So wurde er
bereits 1930 nach Paris eingeladen, um für „Prix de Beauté“ nicht nur
die Synchronisation, sondern auch die Tonuntermalung und akustischen
Effekte zu besorgen. Auch zur „S.O.S“.-Inszenierung begleitete er den
Regisseur Rieth zum einen in seiner Funktion als Hilfsregisseur, zum
anderen wegen seiner Fähigkeit, klangliche Kulissen zu gestalten. In
seiner Exilzeit war er der einzige Deutsche an der Tobis, engagiert
aufgrund seiner Qualitäten als Toningenieur. Angesichts seiner
ausgiebigen Lern- und Studienzeit war Heil wohl am ehesten für die
journalistische Tätigkeit prädestiniert. Aber gerade hinsichtlich
seiner Studieninhalte hätte es näher gelegen, eine der damals
zahlreichen an der Werag angebotenen Literatursendungen, bzw. einen der
Leseabende /112/ zu übernehmen, als sozialkritische Beiträge für die
Sendereihe „Mensch und Welt“ zu gestalten.
Wenn im Zusammenhang mit Menschen, die sich dem frühen Radio
widmeten, von Rundfunkpionieren die Rede ist, dann muss man wohl Heil
unter ihnen in der ersten Reihe verorten: Es bedarf eines wahren
Pioniergeistes, um sich derart vielen unerforschten, seinen erlernten
Fähigkeiten fernstehenden Gebieten zu widmen. Was also war das Motiv,
das die verschiedenen Aktivitäten miteinander vereinte? Lediglich die
Freude am Neuen und am Experimentieren? Oder doch eher inhaltliche
Anliegen? Ich denke, dass Heils gesellschaftlicher eine künstlerische
Aufgeschlossenheit folgte. Wenn seine Studienkombination
geisteswissenschaftlicher Natur mit künstlerischem Schwerpunkt war, so
war auch seine künstlerische Praxis geistes- bzw.
sozialwissenschaftlich fundiert. Er versuchte in seinen kulturellen
Beiträgen, wann immer er die Möglichkeit dazu hatte, soziales
Engagement mit künstlerischem Ausdruck zu vereinen. Dass Heil
allerdings diverse Lustspiele bzw. Märchen für die Jugend ohne
spezifisch soziale Ausrichtung auf die Hörbühne brachte, ähnelt in
seiner Struktur dem ehemaligen Engagement in der Gesellschaft für Fest-
und Mysterienspiel: Die Möglichkeit, Regie zu führen, beinhaltete für
ihn das erneute Erlernen weiterer Fähigkeiten, wenn nicht gar eines
neuen Berufes. /113/ Abgesehen davon hätte jedes Ablehnen eines
Auftrages wirtschaftliche Einbußen für ihn gehabt und möglicherweise
einen Rückgang der an ihn herangetragenen Inszenierungsaufträge
bedeutet. Ist Heils Zugeständnis an bürgerliche Inhalte also eigentlich
der Tatsache geschuldet, nur auf diese Weise auch sozialkritische
verbreiten zu können?
Besonderheiten seiner radiopraktischen Arbeit
„Im Rundfunk muss man mit den Augen hören und mit den Ohren sehen.“ /114/
Ein Beispiel aus dem Jahre 1932 soll die Vielzahl an
Beschäftigungen, die Heil für den Kölner Sender übernahm, illustrieren:
Wie aus der Werag hervorgeht, inszeniert Carl Heil am 15. Juli im
Jugendfunk das Hörspiel „Die Autonummer“ von Dr. Walter Best,
anlässlich des Großen Preises von Deutschland auf dem Nürnburgring.
/115/ Am gleichen Abend spielt er den Neger in „Die Durchgängerin“,
einem Lustspiel von Ludwig Fulda, bei dem Kandner die Regie führt.
/116/ Bereits am nächsten Tag organisiert er mit Els Vordemberge eine
fröhliche Rheinfahrt für Kinder und Eltern für immerhin 600 Personen,
bei der er „das ,große‘ Wort“ /117/ führen soll. In der zwei Wochen
später erscheinenden Werag ist zu lesen: „Wer hätte nicht dabei sein
wollen [...]. Sind nun aber noch die bei allen Kindern beliebten
Funkleute Els Vordemberge und Karl [!] Heil mit dabei und versprechen
uns schöne Spiele, Wettkämpfe und Verlosungen, dann hält uns nichts zu
Hause!“ /118/ Auf diesen Erfolg hin wurden zwei weitere Rheinfahrten,
am 30. Juli und 13. August vereinbart, wieder mit Heil und Vordemberge.
Abgesehen davon erschien jeden Tag, außer Sonntag, eine Stunde lang von
10.15 - 11.15 Uhr die Sendereihe „Mensch und Welt“. Es ist leider nicht
bekannt, in welchem Umfang und in welcher Art Heil an der Produktion
der einzelnen Sendungen beteiligt war, wohl aber: „Gegen Ende meines
Aufenthaltes in Deutschland habe ich [für „Mensch und Welt“] sogar
Sendungen über politische Probleme gestaltet.“ /119/ Gut denkbar also,
dass zu seinen anderen Aufgaben im Juli 1932 noch die eine oder andere
redaktionelle Tätigkeit für „Mensch und Welt“ dazukam. Ende Juli
inszenierte Heil außerdem den ersten von drei Teilen des Märchens „Der
kleine Muck“ /120/, welches im August fortgesetzt und beendet wurde.
Allein im Jahr 1932 inszeniert Carl Heil 21 Hörspiele. Aufgrund
seiner Entrüstung über die nicht vorhandenen Probezeiten am
französischen Sender wissen wir, dass im Gegensatz dazu an der Werag
ungefähr zehnmal geprobt wurde. /121/ Die Beanspruchung in zeitlicher
wie inhaltlicher Hinsicht - rechnet man seinen Einsatz für „Mensch und
Welt“ wie für die bunten Abende dazu - war für Heil beachtlich.
Noch intensiver wird seine Inszenierungstätigkeit im Jahr darauf:
In den letzten drei Monaten, die er von Januar bis März 1933 an der
Werag verbrachte, führt er in zehn Hörspielen Regie.
Proportional zu seinem vermehrten Engagement als Hörspielregisseur
nimmt Heils Tätigkeit als Hörspieler ab. Wurde er also ursprünglich
wegen seiner schauspielerischen Fähigkeiten von Hardt an die Werag
berufen, ändert sich schon recht früh der Fokus seiner Tätigkeit: weg
vom gelenkten Agieren vor dem Mikrophon, hin zur eigenverantwortlichen
Ausgestaltung der Sendungen: in inhaltlicher /122/, künstlerischer wie
akustischer Hinsicht. „Carl Heil, der sozusagen von der Pike auf bei
uns gedient hat, wurde - dank seiner weit überdurchschnittlichen
Allgemeinbildung, seines musikalischen Feingefühls, seiner
künstlerischen Befähigung und seines menschlichen Taktes - schon bald
zur Hilfsregie herangezogen und mit der Einstudierung von Sprechchören
sowie mit der selbstständigen [!] Einübung von Lehrspielen, Hörfolgen
und - zunächst - kleineren funkscenischen Werken betraut.“ /123/
Wenn weiter oben von der Vielzahl an Beschäftigungen die Rede war,
sei nun auf deren Facettenreichtum hingewiesen. Tatsächlich ist bereits
im Kapitel über Heils Leben deutlich geworden, dass ihn
überdurchschnittlich viele Themen, Arbeiten und Beschäftigungen
interessieren. Insofern ist es nur folgerichtig, dass Heil schon in
seiner Arbeit an der Werag mit einer Vielzahl unterschiedlicher
Aufgaben, Themen, Inhalten und Genres hantierte.
Der Regisseur
Da er hauptsächlich für den Jugendfunk inszenierte, lauten die
Titel entsprechend, etwa „Ein Spiel um den Osterhasen /124/, „Kasperls
Fahrt ins Glück“ /125/ oder „Hie Mädels - Hie Jungens oder Drei Tage
Feindschaft“ /126/. Allerdings richten sich die Stücke nicht
ausschließlich an Kinder des Grundschulalters, wie man bei diesen
Titeln vermuten könnte. /127/ Etwa das Stück „Der Schuhputzerkrieg im
Battery-Park in New-York“ von Johann Anton Eberhard, das Heil am 26.
August 1932 im Jugendfunk inszenierte, /128/ handelt von einer Gruppe
Jugendlicher aus einem Armenviertel New Yorks, die sich und zum Teil
auch ihre Familien mit Schuhputzen über Wasser halten. Ein
steckbrieflich gesuchter Verbrecher tarnt sich als regulärer Bürger und
erwirbt eine Konzession, die es ihm erlaubt, von jedem Stiefelputzer
auf den Platz Geld zu verlangen. Bob, der Anführer der Jungen, dessen
Mutter im Sterben liegt und der deshalb dringend Geld benötigt,
entdeckt die Tarnung des „schon lange gesuchte[n] und berüchtigste[n]
Bandit[en] Eward Murderer, aus Brooklyn“. Bob, und damit seiner Bande,
steht der Finderlohn von 8.000 Dollar zu: Er, der „Oberbefehlshaber im
Krieg gegen Gemeinheit und Verbrechertum“, hat die Rechte der Armen
verteidigt und den wahren Verbrecher überführt.
Im „Dortmunder Generalanzeiger“ steht hinsichtlich Heils
Regiearbeit: „Einen großen Teil des vollen Erfolges dieser Aufführung
muss man der Spielleitung zuschreiben, die das an schwierigen
Massenscenen reiche Werk mit einer überzeugenden Realistik zu gestalten
verstand. So sauber durchgearbeitete, hervorragend besetzte und
lebendige Aufführungen, die sich in der Präzision, mit der sie
vorbereitet wurden, in nichts von den großen Aufführungen der
Abendprogramme unterscheiden, machen dem Jugendfunk des WR alle Ehre.“
/129/
Im regulären Programm inszenierte Heil Lehrstücke, wie etwa Edgar
Manfred Ebers „Der Reis“ /130/ oder „Der Kaffee“ /131/, eine akustische
Beschreibung des Herstellungsprozesses und der Herstellungsumstände
einer Kaffeeproduktion und -ernte in Brasilien, sowie des weltweiten
Vertriebes. Keine politische Dimension steht hier im Vordergrund
sondern die dokumentarische Information, die authentische Darstellung
eines solchen Prozesses. Außerdem brachte Heil auch ausschließlich
unterhaltende Komödien auf die Hörbühne, wie etwa im Januar 1933
Bernhard Zimmermanns „Courths Malhör beim Prinzen Orlowsky“ oder „Die
Narren werden nicht alle. Fastnachtspiel für den Rundfunk“ von Eduard
Reinacher. Zimmermanns ironisches Kurzstück war Teil des „Öffentlichen
Lustigen Abends“ der Werag und handelt von einer Doppelhochzeit in
einer Grafengesellschaft, die durch untreue Ehemänner in Gefahr gerät.
Die Presse würdigt das Stück ebenfalls mit Ironie, hier bei seiner
Wiederholung als Karnevals-Gastspiel in Bonn: „Es triefte von hach so
viel Liebe und huch so viel Seelenschmerz. Süßlich zäh rann dieses
Tränenbächlein dem Meere zu. [...] Da alle Vertreter des herrlichen
Geschlechts mehr oder weniger von dieser hauh so krausen Courtisane
gefippfoppt sind, ergibt sich ein erschröckliches Durcheinander, dass,
oha, in den schmerzerfüllten Ausrufen voll Seelenweh gipfelt: ,Gib mich
frei, denn ich lasse dich nicht.‘ Welch tiefdurchdachtes Seelenprogramm
träufelt aus diesen Worten.“ /132/ Das Reinacher-Stück, von Heil
uraufgeführt, widmet sich Gedankenspielen hinsichtlich der Frage, ob
Menschen, wären sie „von dem Gift der Weisheit frei“, besser und
darüber hinaus in der Lage wären, nach der Ausrottung der Menschheit
durch Krieg eine neue, bessere Gesellschaft zu gründen. In diesem
Sinne, nämlich der „Menschheitserhaltung durch Mondraketenfahrt“,
werden möglichst einfältige Menschen gesucht, die in einer Rakete auf
den Mond geschickt werden sollen. /133/ Das Unternehmen misslingt, die
Narren können zwar die Menschheit nicht auf die ursprünglich vorgesehen
Art retten, ihr aber immerhin gegenwärtigen Trost spenden. /134/
Der Hörspieler
Als Hörspieler war Heil in den unterschiedlichsten Stücken zu
hören. So ebenfalls in Inszenierungen für die Jugend /135/, in
Lustspielen /136/ und Opern /137/, aber auch oftmals in Klassikern:
beispielsweise in Goethes „Egmont“ /138/, in Schillers „Don Carlos“
/139/ oder in modernen, eigens für den Rundfunk inszenierten
Hörspielen, wie in Kysers „Tod des Sokrates“ /140/.
Der Mitarbeiter im Arbeitslosenfunk
Wenn auch über Heils Tätigkeit an der Werag nichts Genaues zu
erfahren ist, so legt der Bericht von Willi Schäferdiek für den
Westdeutschen Rundfunk doch Zeugnis darüber ab, was genau die
Sendereihe „Mensch und Welt“ darstellte, wie sie funktionierte und aus
welcher Motivation heraus sie entstand: So schreibt er, dass „das
industriereiche Sendegebiet des alten Westdeutschen Rundfunks mit
seiner Häufung von Arbeiterstädten und Fabriksiedlungen [...] die Nöte
der allgemeinen Arbeitslosigkeit natürlich in ganz besonderem Ausmaß
tragen und ertragen [musste].“ Insofern wurde die Sendereihe als eine
der „Betreuungsaufgaben“ eingesetzt, die den Arbeitslosen zugute kommen
sollten. Diese hatten die Möglichkeit, in Abhörstätten
zusammenzukommen, um somit die Sendungen hören zu können - die meisten
unter ihnen besaßen ja kein eigenes Radio. Schäferdiek erklärt, dass in
der Werag „weitere Angaben zu Programminhalt [...] nicht gemacht
[wurden], nicht zuletzt, um der Reihe eine aktuelle Beweglichkeit zu
sichern, und darüber hinaus in der Absicht, der einzelnen Sendestunde
gewisse zum Hören verlockende Spannungsreize und
Überraschungsmöglichkeiten zu belassen.“ Der damaligen Spannung also
ist geschuldet, dass die heutige Rekonstruktion der Inhalte und deren
Beteiligter so schwer fällt. Allerdings klärt uns in dieser Hinsicht
Schäferdiek auf, indem er sagt, dass die Reihe „Mensch und Welt“
„geradezu ein Rundfunk im Rundfunk“ gewesen sei, insofern sie ihre
Beiträge „aus sämtlichen Abteilungen des Programmbetriebes sowie aus
eigenen Auftragserteilungen“ erhalten habe: „Belehrendes und
Unterhaltendes aus allen Gebieten des geistigen, technischen und
sonstigen Lebens wechselte ab mit Schallplattenberichten aus allen
Ländern und Zonen oder mit den aus den Wünschen der Abhörgemeinschaften
und ihrer Leiter eigens entwickelten Lehrspielen über
naturwissenschaftliche, volkswirtschaftliche oder sozialpolitische
Fakten. Plauderei und Vortrag, Einzelszene und Szenenfolge, Hörfolge
und Hörspiel, Mischformen aus Wort und Musik -: es gab kein
Ausdrucksmittel des jungen Rundfunks, das nicht den Aufgaben dieser
rundfunklichen Arbeitslosenbetreuung nutzbar gemacht wurde.
Ausgeschlossen blieben einzig das Trocken-Lehrhafte und das bloß
Unterhaltende.“
Wirken im Hintergrund
Eine Tatsache, die nach dem Kriege klar zu tage tritt, ist meines
Erachtens bereits in Heils Zeit an der Werag angelegt: Heil hält sich
gern im Hintergrund, drängt sich nicht ins Rampenlicht. So habe ich
hinsichtlich Heils kultur- und kulturenvermittelnder Tätigkeit nach
1945 in Frankreich bereits dargestellt, dass er zwar mit zahlreichen
Größen der europäischen und sogar außereuropäischen Kunst-, Musik- und
Theaterszene in Kontakt oder befreundet ist, dennoch hat sich sein
Handeln auf die Verknüpfung von Beziehungen und Vorbereitung von
Gastspielen konzentriert und sozusagen im Backstagebereich abgespielt.
Sein Name ist über die engen Grenzen seines Schaffens hinaus kaum
bekannt geworden. Hat Heil seine prominenten Bekanntschaften zur
Vermarktung der eigenen Person nicht nutzen wollen? Oder versuchte er
es wohl, hatte damit aber keinen Erfolg? Ich vermute, dass es Heils
eigene Absicht war, im Hintergrund zu agieren, um dort umso wirksamer
zu handeln. Dafür spricht, dass Heil auch bei seiner Arbeit an der
Werag in den verschiedensten Abteilungen tätig war, sein Name in der
Programmzeitschrift allerdings lediglich im Zusammenhang mit seinen
Regie- und Hörspieltätigkeiten auftaucht, nicht dagegen bei seinen
redaktionellen Arbeiten, seinen Recherchetätigkeiten, seiner
Geräuschkulisse oder seiner jahrelangen Arbeit als Hilfsregisseur.
VI.
Heil als Regisseur - Arbeitsweise und Arbeitsinhalte
„Aber meine eigentliche Beschäftigung bestand natürlich in der Übertragung von Hörspielen am W.D.R. in Köln“/141/
Vergleicht man Groths Einteilung der Hörspiele in drei Phasen /142/
mit Heils Regietätigkeit, stellt man fest, dass Heil erst in dieser
dritten Phase überhaupt anfing, selbständig Hörspiele zu inszenieren.
Der Grund dafür, dass Heil nur wenige explizit sozialkritische Stücke
auf die Hörbühne brachte, sich aber sehr für die Unterprivilegierten
einsetzte, mag also unter anderem in der Tatsache liegen, dass seine
eigentliche Inszenierungstätigkeit nach 1930 anfing. /143/ Ein
Vergleich mag die These stützen: Rudolf Rieth, während der Weimarer
Republik Oberspielleiter an der Werag, inszenierte von 1927 bis 1933,
als er an den Frankfurter Sender versetzt wurde, über 60 Sende- bzw.
Hörspiele. Während er in den ersten beiden Jahren seiner Tätigkeit so
gut wie ausschließlich klassische Dramen inszenierte (etwa am
14.02.1927 Lessings „Emilia Galotti“, am 14.09.1927 Shakespeares „Ein
Sommernachtstraum“, am 15.11.1927 Hebbels „Maria Magdalene“, am
16.03.1928 Ibsens „Wenn wir Toten erwachen“ oder auch am 28.03.1928
Gorkis „Nachtasyl“), widmete er sich in den darauffolgenden Jahren der
Synthese, als welche sie Groth beschreibt. Es entstehen hier also
durchaus sozialkritische, eigens für das Radio geschriebene Hörspiele,
wie Leonhards „Orpheus“ (Uraufführung unter Rieths Regie am
15.02.1929), Kessers „Schwester Henriette“ /144/ (13.01.1930), oder
auch die Inszenierung von Kästners „Leben in dieser Zeit“ /145/ am 13.
und 26.02.1930. In den Folgejahren lässt die Anzahl an linksgerichteten
Stücken wieder deutlich nach. Außer einer weiteren
Leonhard-Uraufführung des Stückes „Stierkampf“ /146/am 28.05.1931 und
Weissenborns „Reiherjägern“ am 25.10.1932 /147/, widmet er sich nun
eher Hans Kysers „Wiederaufnahmeverfahren in Sachen Rembrandt“ /148/
oder Oberänders Bearbeitung von Zschokkes Novelle „Abenteuer einer
Neujahrsnacht“/149/. Rieth, der von Beginn seiner Tätigkeit an bei der
Werag selbständig Stücke inszenieren konnte, entspricht im wesentlichen
mit der Wahl seiner Hörspiele diesen drei von Soppe genannten Phasen
und stützt somit dessen Unterteilung.
Offensichtlich liegt also tatsächlich der Grund für den geringen
Anteil sozialkritischer Stücke an Heils Inszenierungen darin, dass Heil
erst zum Ende der Weimarer Republik seine Inszenierungstätigkeit
aufnahm.
„Beim Radio hat sich mir ein neues Problem gestellt, nämlich die
drei miteinander verbundenen Faktoren: Schauspieler, Mikro und
Geräuschkulisse miteinander zu harmonisieren.“ /150/ Es fällt auf, dass
Heil sich just dem Aspekt in Ausführlichkeit gewidmet hat, der gerade
für seine Generation der Medienrezipienten neu war: dem der technischen
Reproduktion von dramatischen Geschichten, die sich in ihrer Wiedergabe
ausschließlich an das Sinnesorgan Ohr richten. Somit setzt er alles
daran, das bislang auf optische Inszenierungen fokussierte Publikum
durch die zunehmende Vervollkommnung der Geräuschkulisse gleichsam
kompensativ zu entschädigen. Er sieht in der besonderen Art der
Rezeption von Radiosendungen keinen Mangel, sondern einen wichtigen
Vorteil des Mediums gegenüber anderen, den er dementsprechend
ausgestalten will. So beschreibt Heil in seinen Anmerkungen zum
Manuskript von Edgar Manfred Ebers „Der Kaffee“ (inszeniert am
05.01.1933), wie er selbst die schlichte Nennung der Erzeugungsmengen
von Kaffee pro Land durch die Umwandlung der ursprünglich graphischen
Art der Darstellung in eine akustische in Szene setzte:„[...es] kam mir
der Gedanke, jeweils nach der Angabe der Menge einen Trommelwirbel mit
abschließendem Beckenschlag folgen zu lassen. Die Dauer wurde durch die
Höhe der Ziffer bestimmt, so dass ein Hörer, dem die Zahlenwerte nicht
sofort eingingen, das Mengenverhältnis aus der verschiedenen
Trommelwirbellänge erspüren konnte, wie es bei graphischen
Darstellungen duch [!] die unterschiedliche Höhe der Balken erkennbar
wird.“
Die Kritik wusste seine Bemühungen zu schätzen: „eine Zahlentafel
mit den Ausfuhrzahlen verschiedener Länder ist fraglos der trockenste,
nüchternste Stoff, der sich denken läßt. Diesen Stoff in ein
unterhaltendes Spiel so einzubauen, dass er eindringlich wird und wie
ein aufregendes Erlebnis wirkt - das dürfte immerhin als Kunststück
gelten. Heil hat dieses Kunststück fertiggebracht. Er nahm die
Statistik liebevoll in die Hand und verwandelte sie im Schwung zu einem
Melodram, zu einer Moritat. [...] - Also auch Statistiken lassen sich
,funkisch‘ auflockern!“ /151/
Heil war sich der Tatsache bewusst, daß ein Hörspiel in der Lage
sein muß, allein durch Geräusche Menschen und Situationen zu
beschreiben und sie im Raum festzulegen. Dies zeigt folgende Anmerkung
zu „Der Kaffee“: „Schallplatten lieferten charakterisierende und
lokalisierende Geräusche; dazu [gab es eine] Geräuschkulisse, die mit
Hilfe von Gegenständen erzeugt wurde (im Sendesaal).“
Heil setzte alles daran, in der akustischen Darbietung nicht nur
inhaltliche, sondern auch klangliche Details so präzise wie möglich zu
gestalten. Im gleichen Schriftstück ist zu lesen: „An der Art des
verwandten Papiers lässt sich erkennen, wie sehr man bemüht war, jeden
vermeidbaren Störfaktor auszuschalten. Es war beim Umblättern wirklich
knisterfrei.“ Des weiteren bewirkte seine Erfahrung als Toningenieur,
dass sich Heil in der Inszenierung der Geräusche über die Vorschläge
des Autors hinwegsetzte: „Die vom Verfasser in der Spalte Ton
aufgeführten Anweisungen wurden nur zum Teil berücksichtigt, eine
organische Regie erfordert häufig andere Lösungen.“ Offensichtlich war
ihm in diesem Fall eine besonders organische Lösung gelungen, denn der
Kölner „Stadt-Anzeiger“ schreibt: „Zu seiner durchschlagenden Wirkung
verhalf ihm aber erst die große, von Karl [!] Heil und seinen Helfern
geleistete Regiearbeit. Das war wirkliche, aus dem Vollen schöpfende,
entfesselte Rundfunkkunst. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll:
die virtuose, von musikalischem Gefühl geleitete Stimmenführung, die
sehr bildhafte und genaue, niemals aufdringliche Geräuschkulisse, die
Fülle der köstlichen, oft begeisternden Einfälle.“ /152/ Und so folgert
der „Dortmunder Generalanzeiger“, „dass Heil nicht nur Geräusche zu
meistern versteht, sondern auch als nachempfindender Spielleiter ein
dichterisches Werk voll auszuschöpfen und seinen Schauspielern zu
vermitteln weiß.“ /153/
Generell sei an dieser Stelle anzumerken, dass mir zwar dieses
Sendemanuskript zu seiner Inszenierung von Ebers „Der Kaffee“ vorliegt,
es aber - außer den sehr hilfreichen Anmerkungen, die Carl Heil 1968
für Frau Rossbach anfügte - nur geringfügig zum Verständnis seiner
Inszenierungsweise beiträgt. Heil schreibt selbst, warum: „Zum Text ist
zu bemerken, dass er im Laufe der Proben Veränderungen und
Verbesserungen erhalten hat, die nicht notiert sind, weil ich sie im
Kopfe hatte. [...] Uneingeweihte vermögen mit meinen Eintragungen
wahrscheinlich nichts anzufangen. Da mir der Ablauf eines Stückes immer
gegenwärtig war, setzte ich nur Zeichen als Erinnerungsstützen für die
außerschauspielerische Gestaltung der Sendung.“ Diese Anmerkungen Heils
verleiten immerhin zu folgenden Schlussfolgerungen: Heil hat sich nicht
strikt an literarische Vorlagen gehalten; er legte großen Wert gerade
auf die klangliche Darstellung, sowie auf ihre sinnige, dem Verständnis
des Textes dienende und nicht zum Selbstzweck generierende Form der
Aufbereitung. /154/ Es ist wahrscheinlich, dass er generell nach dem
Prinzip des work-in-progress arbeitete und einmal gefundene Lösungen
während der Proben auch wieder zu verwerfen imstande war. Daher rührt
wohl auch seine Verwunderung über die fehlende Probenzeit der
Franzosen. Bei ihm wächst die Inszenierung erst während der Arbeit an
ihr, sie ist, wie er sagt, organisch und kein fertiges Produkt, das es
lediglich abzulesen und mit Geräuschen zu unterlegen gilt. Weiter wird
aus den obigen Anmerkungen deutlich, dass Heil sich derart mit dem
Stück auseinandergesetzt hat, dass er sogar die Veränderungen des
Textes auswendig kannte und somit nicht notieren musste. Es war seine
offene, kreative und intensive Beschäftigung mit den ihm gestellten
Aufgaben, die Charles Ford später über ihn sagen ließ, dass er „alles,
was er machte [...] mit einer unglaublichen Sorgfalt vorbereitete[...].
Er war das gewissenhafteste Wesen, das genaueste und
perfektionistischste, das ich jemals getroffen habe.“ /155/ So weigerte
sich Heil am Sendetag, seine letzte Inszenierung für die Werag, das
Hörspiel „Stahl und Eisen“ von Martin Dey, aufzuführen, weil man wegen
technischer Defekte im ursprünglichen Sendesaal in einen anderen hätte
ausweichen müssen: „Dies zu tun, weigerte ich mich. Aus künstlerischen
Gründen. Es wäre unmöglich gewesen, eine qualitativ vertretbare Sendung
(dazu noch für den Schulfunk) zu bieten. Es hätte sich bloß ein
krüppeliges Zerrhörbild ergeben. Die Geräusche bildeten nicht nur eine
orientierende, lokalisierende und Stimmung schaffende Kulisse, sie
hatten auch eine dem Texte ähnliche Funktion und waren stellenweise
untrennbar mit ihm verzahnt. Allen Vorstellungen gegenüber - mehrere
Sender usw. angeschlossen (ein Grund mehr für mich) - beharrte ich auf
meiner Weigerung. [...] Mit der Abschiedssendung hätte ich natürlich
gerne noch einmal meine Visitenkarte abgegeben - aber eine saubere.“
/156/
Dass Heils Wille zur Perfektion, sowie seine Kreativität auch von
der Presse honoriert wurde, zeigt die folgende Übersicht:„Karl [!] Heil
hat sich als Spielleiter glänzend bewährt.“ /157/ „Von den zahlreichen
Mitwirkenden sei nur der Spielleiter Karl [!] Heil genannt, der mit
sehr viel Humor, Geschick und Klarheit das Spiel zur Aufführung
brachte.“ /158/ „Carl Heil hatte als Spielleiter eine sehr glückliche
Rollenverteilung getroffen und gab der Aufführung Schwung und Tempo.“
/159/ „Ich wurde mit der Herstellung der akustischen Umgebung
beauftragt und ich habe mich sehr darum bemüht. Ich habe versucht, eine
Atmosphäre herzustellen, die die Theaterausstattung ersetzt hat. Das
ist der Grund dafür, dass ich von einer Geräuschkulisse rede. So haben
wir für jedes Hörspiel eine klangliche Umgebung gestaltet.“ /160/ Liest
man diesen Ausspruch Heils über seine Bemühungen um akustische Effekte
am Radio in Köln, so wird klar, dass zunächst im Vordergrund stand, den
Mangel, welcher bei einer Hörspielinszenierung im Vergleich zu einer
Theaterinszenierung empfunden wurde, durch eine akustische Kulisse
auszugleichen, die an die Stelle des fehlenden Bühnenbildes trat. Heils
Aussage also ist ein typisches Beispiel dafür, wie sich die Regisseure
in der Pionierzeit des Hörspiels noch deutlich am Theater und dessen
Koordinatensystemen orientierten.
Heil erzählt Herrn und Frau Brès anschaulich, mit welchen
Schwierigkeiten man in der Weimarer Republik bei der Aufzeichnung von
Geräuschen und Stimmen aufgrund der Beschaffenheit der damaligen
Mikrophone zu rechnen hatte: „Wenn man von den damaligen Mikros
spricht, muss man nicht an die heutigen denken. [...] Man durfte sie
nicht berühren. Man musste auf die Kraft der Stimme aufpassen: auf der
einen Seite konnten die Bedingungen während der Aufführung eines
Hörspiels wechseln und, zum Beispiel wenn das Wetter feucht wurde,
klebten die Körnchen zusammen; auf der anderen Seite wurde die Stimme,
wenn man nicht den richtigen Abstand einhielt, wegen der
Empfindlichkeit der Drähte deformiert oder unhörbar.“ /161/
Um zu veranschaulichen, mit welchem Aufwand Carl Heil Geräusche für
seine Sendungen erstellte und sammelte, werde ich folgende Beschreibung
der Beschaffung von Geräuschen für die „Länder- und Städtebilder“
wiedergeben, die Heil in seinem Brief vom 05.08.1967 an Frau Rossbach
schrieb: „So benötigten wir einmal das Geräusch eines über
Steinpflaster holpernden Pferdekarrens. Es war zu der Zeit, wo wir
schon über Schwarzplatten verfügten, die von unsern Wachsaufnahmen
hergestellt wurden. Wir fuhren in einen [...] Vorort, wo Hermann Tölle
einen Fuhrmann mit Karren und Pferd sowie das Pflaster kannte. Wir
probierten und probierten, stundenlang, um die geeignete Straße, die
gewünschte Gangart des Pferdes und das phantasieanregende Knarren der
Räder ausfindig zu machen, und zwar im Hinblick auf das Mikrofon, das
damals noch sehr eigenwillig in der Vermittlung von Geräuschen war.
Endlich konnten wir an die Aufnahme gehen. Es war inzwischen dunkel
geworden. Pferd, Wagen und Pflaster taten ihre Pflicht. Wir glaubten,
zufrieden sein zu dürfen. Leider kannte Hermann Tölle außer dem
Fuhrmann noch andere Vorortler. Und einer von denen kam im Hörbereich
des Mikrofons vorbei und grüßte: ,Guten Abend, Herr Tölle‘. Was ich
dieses höfliche Unschuldslamm verflucht habe! Denn sein nettes Wort
verlangte von mir während der Sendung eine zusätzliche Akrobatik, damit
es nicht über die Antenne ging.“ Bei dieser Erzählung wird deutlich,
wieviel Improvisationsleistung der damalige Stand der Technik den
Arbeiten vor dem Mikrophon abforderte. /162/
Um Heils Arbeit als Geräuschingenieur in angemessener Kürze einer
anderen Art der Inszenierung vergleichend gegenüberzustellen, möchte
ich auf den Unterschied zweier Inszenierungen von „Radau um Kasperl“,
einem Hörspiel von Walter Benjamin, hinweisen. Benjamin selbst
inszenierte das Hörspiel am 10.03.1932 am Frankfurter Sender, wobei der
Fokus seiner Inszenierung auf Geräuschexperimenten lag; /163/ Heil
brachte seine Inszenierung am 09.09.1932 an der Werag auf die Hörbühne.
Roeltgen recherchierte, dass der einstündigen Inszenierung von Benjamin
ein nur sieben Seiten langer Entwurf zugrunde gelegen habe, hingegen
sich die Heilsche Inszenierung mit ihren 40 Minuten an ein
sechsundzwanzigseitiges „Manuskript mit jeweils ausformulierten
Dialogen, die von Geräuschen unterlegt waren“ /164/, hielt. Benjamin
improvisierte den größten Teil der Sendung, indem er mit Geräuschen
experimentierte. Bei Heil hingegen „besaßen die Geräusche eine eher
untermalende Funktion. Aus handschriftlichen Notizen am Rand des
Manuskriptes lässt sich entnehmen, dass ganz bestimmte Geräusche aus
den Schallarchiven der Rundfunkgesellschaften vorgesehen waren, die
dann für die Sendung angefordert wurden. Das Einspielen der
Tonsequenzen basierte somit auf tatsächlichen Mitschnitten. Die Sendung
entsprach in ihren Wortbeiträgen fast eins zu eins den ausformulierten
Dialogen.“ /165/
Der bereits des öfteren angesprochene Perfektionismus Heils in
seiner Arbeit beim Radio wird hier ein weiteres Mal bestätigt. Außerdem
zeigt sich, dass die verschiedenen Elemente einer Inszenierung für Heil
keinen Selbstzweck erfüllen, sondern grundsätzlich integrale
Bestandteile des Ganzen sind. So schreiben auch Herr und Frau Brès,
nachdem sie Benjamins Regiearbeit vorgestellt haben: „In der Sendung
von Carl Heil gab es gewiss keine allein stehenden Geräusch-Spiele; die
Geräusche waren in den Text integriert [...].“ /166/
Erste Arbeit im Ausland: Paris 1931
„Bedauern wir, ohne übertriebenen Chauvinismus, dass man sich an
das Ausland wenden musste, um endlich ein Drama im Radio hören zu
können, das die oft abgedroschene Bezeichnung Hörspiel verdient.“ /167/
Ich möchte am Beispiel der Pariser Inszenierung des Stückes „S.O.S.
... Rao Rao ... Foyn - ,Krassin‘ rettet ,Italia‘ ´´ von Friedrich Wolf,
bei der Rudolf Rieth Regie führte, Heils Arbeit als Toningenieur
beleuchten. Da Heil hier außerdem Hilfsregisseur war, der
offensichtlich entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung des
Stückes zu haben schien, möchte ich ausführlich auf diese Aufführung
eingehen, um exemplarisch die Arbeitsweise einer Hörspielinszenierung
Heils, sowie deren Erfolg darzustellen. Leider muss davon ausgegangen
werden, dass von dieser Aufführung, die am 29.01.1931 über den privaten
Sender Radio-Paris ausgestrahlt wurde, weder ein Manuskript, noch ein
Mitschnitt mehr vorhanden ist.
Auch eine französische Übersetzung, die von einem Herr Denis /168/ angefertigt wurde, ist nicht mehr aufzufinden.
Inhalt und Form von S.O.S.
Krassin, ein sowjetischer Eisbrecher, rettet die südlich der Insel
Foyn im Eismeer steckengebliebene italienisch-faschistische Italia, ein
Luftschiff, das die Mannschaft um General Nobile beherbergt. Möglich
wird diese Rettung durch einen verarmten Bauern und Amateurfunker an
der Murmanküste, der als Einziger die Notsignale der italienischen
Mannschaft auffängt und damit die erfolgreiche Rettungsaktion
einleitet: In dieser Rettungsaktion wurde die Rettung ranghoher
Vertreter eines faschistischen Landes durch den Einsatz russischer
Arbeiter ermöglicht, die zur Instandsetzung der Eisbrecher auf Teile
ihres Lohns verzichteten, bzw. den Achtstundentag außer Kraft setzten.
„Die Gewerkschaften erteilen für dieses besondere Rettungswerk die
Erlaubnis, den Achtstundentag außer Kraft zu setzen und doppelte
Nachtschichten einzulegen. Es gibt kein größeres Zugeständnis in der
Sowjetunion als dieses zur Hilfeleistung für ein fremdes Land.“ /169/
Eine internationale „von der Technik beflügelte Solidarität aller
Schaffenden“ /170/ soll den Beginn einer künftigen Weltgemeinschaft
einleiten, die sich in überstaatlichen Vereinigungen organisiert. In
ihr wird Menschlichkeit bloße Parteizugehörigkeit ersetzen und
weltanschauliche Gräben zu überwinden helfen. „Dabei fungiert die
Technik bei Friedrich Wolf als Sinnbild in doppelter Bedeutung: - als
ein die Welt verbindendes Mittel (Austausch, Weitergabe von
Informationen, die lebenserhaltend sein können) und als ein die Welt
aktivierendes (organisierendes) Mittel (humanitäre Hilfe) über
ideologisch getrennte Systemgrenzen hinweg.“ /171/
Eine gewisse Vorreiterrolle für die Hörspiele der Weimarer Republik
nahm S.O.S. aufgrund seiner mediengeeigneten Form ein: Durch häufige
Szenenwechsel, sowie die Thematisierung und Glorifizierung der
(Funk-)Technik /172/ wird S.O.S. zu einem Funkdrama, das sich
idealtypisch den diese Kunstrichtung konstituierenden Bedingungen
anpasst, indem es in den vermeintlichen Nachteilen der Hörbühne
gegenüber dem Theater gerade deren Vorteile sieht und diese deutlich
macht. So zum Beispiel sind Szenenwechsel, die auf der Bühne stets
Schwierigkeiten verursachen, konstituierend für den Krassin. Pongs
nennt es denn auch ein „stilreines Funkspiel“ /173/, und dies aus
technischen Gründen ebenso wie aus inhaltlichen. /174/
Nachdem S.O.S. bereits im November 1929 seine deutsche
Erstausstrahlung erlebte, /175/ wurde es noch im gleichen Jahr auch von
Frankfurt, Stuttgart, München und Breslau gesendet.„Dieser Sendung
schloss sich die erste Wiederholung am Freitag, dem 8. November 1929,
beim Berliner Sender sowie eine Sendeübernahme durch die Sender in
Königsberg und Danzig (,Schlesische Funk-Stunde‘) an als auch eine
weitere Eigenproduktion, die vom Sender Köln ausgestrahlt wurde“. /176/
Produktionsbedingungen
Es war die Kölner Inszenierung Rieths vom 08.11.1929, /177/ die M.
Platrier vom französischen Sender Radio-Paris /178/ am besten gefiel,
so daß er Rieth als Regisseur, Heil als Hilfsregisseur und Gustav Kneip
als Komponisten der Begleitmusik nach Paris einlud, um dort das Stück
mit Schauspielern des Théâtre Gymnase und dem Théâtre de l’Odéon auf
die Hörbühne zu bringen. Ein Hörspiel im übrigen, bei dem, im Gegensatz
zur Version an den deutschen Sendern, in Paris die „Internationale“
gespielt wurde. Überhaupt sei es „das erste Mal, dass ein deutsches
Hörspiel in französischer Übersetzung an einem Pariser Sender zur
Aufführung gelangte und Rieth [war] der erste deutsche Spielleiter, der
zur Einstudierung seines Sendespiels in französischer Sprache nach
Paris berufen wurde.“ /179/ Rieth schreibt an Wolf, als sich die
Möglichkeit abzeichnet, das Stück in Paris zu inszenieren: „Ich nehme
unseren Geräuschspecialisten (Herrn Heil) mit und probe mit den
Künstlern dort auf Teufel komm heraus. Es kann eine ganz große Sache
werden.“ /180/
Die ausladenden Probensitzungen allerdings waren keine
Selbstverständlichkeit: Heil erzählt diesbezüglich, dass er, weil das
Telegramm mit der Einladung nach Paris nicht zur erwarteten Zeit in der
Werag eintraf, an einem Mittwoch nach Paris fuhr, um persönlich die
Termine zu klären. Herr Platrier habe ihm dort eröffnet, dass die
Vorstellung für Samstag derselben Woche geplant sei - keine
Besonderheit in Paris, wo man für die Inszenierungen nicht ein einziges
Mal übte (denn hier nahmen die Schauspieler lediglich zur Stunde der
Aufführung das Textbuch in die Hand und lasen das Stück mit verteilten
Rollen). Heil konnte den Sendetermin verschieben und vier Proben
aushandeln. In Köln wurden vergleichsweise zehn Proben für die
Einstudierung der Schauspielertexte, sowie für die Erstellung der
Geräuschkulisse einkalkuliert. /181/
Allerdings schienen die beiden Regisseure hinsichtlich der Qualität
der Schauspieler begeistert gewesen zu sein. So schreibt Rieth an Wolf:
„Sprechen können diese Kerle von Kollegen ja, dass einen der Neid
packen kann. Und dazu diese Natürlichkeit!“ /182/ In Bezug auf
akustisches Instrumentarium sah sich Heil mit deutlich schlechteren
Ausgangsbedingungen als am heimischen Sender konfrontiert: Wesentliche
Gegenstände zur Erzeugung diverser Geräusche fehlten im Pariser Studio.
So brachte er die Gegenstände teils selbst aus Köln mit, teils lieh er
sie in Pariser Geschäften aus. Manchmal wieder wich er auch auf
Alternativen aus, so imitierte er zum Beispiel mit Hilfe einer Orgel
die Schiffssirene. /183/
Rieth schreibt im bereits erwähnten Brief an Wolf, in dem er von
der Aufführung und ihren Umständen berichtet, dass die Inszenierung in
Paris „eindringlicher als die unsere“, also die Kölner Inszenierung,
gewesen sei. Das habe vor allem am „fabelhaften Impetus’, mit dem die
französischen Kollegen sich für ihre Aufgaben einsetzten und der
größtenteils ausgezeichneten Besetzung der Hauptrollen mit bekannten
Pariser Darstellern“ /184/ gelegen. Allerdings habe die Aufführung, dem
Pressedienst zufolge, „auf einer dem französischen Durchschnitt weit
überragenden Höhe“ /185/ gestanden. Das heißt also, dass dieser Erfolg
nicht nur den Schauspielern zu verdanken war, sondern auch die Arbeit
der beiden deutschen Regisseure offensichtlich durchaus entscheidend
zum Erfolg beigetragen hat: „Die Geräuschkoulisse - nie Selbstzweck -
klappte ausgezeichnet. Mein treuer Atlatus: Carl Heil hatte Sirenen
/186/, Morseapparatur etc., von hier mitgenommen. Das Herannahen des
Krassin war fabelhaft.“ /187/ Was die Musik betrifft, so war es Kneip,
der die „Internationale“ für dieses Hörspiel neu arrangierte. Dies ist
insbesondere von Bedeutung, als es das erste Mal war, dass die
„Internationale“ im französischen Radio gespielt wurde./188/
Die deutsche Zeitschrift „Ohr und Antenne“ äußert sich begeistert
über Art und Weise der Inszenierung:„Das Hörspiel ist in einer
großartigen Inszenierung herausgekommen. Schon in den ersten Szenen, in
den Notrufen und Alarmsignalen, in Angstfieber und den verzweifelten
Rufen von der Eisscholle, in dem Alarm der Radiostation und in den
Rufen: Wir - suchen - Sie! - schon in diesen ersten Szenen erreichte
die Pariser Inszenierung eine atemlos beklemmende Wirkung. Die
Aufführung war [...] brennender und heißer, sie war hinreißender als
die des Westdeutschen Rundfunks.“ /189/ Und interessanterweise fügt die
Zeitung hinzu: „Heute darf S.O.S. von keinem deutschen Sender mehr
gespielt werden. Heute, nach noch nicht zwei Jahren, ist der Rundfunk
umklammert von der politischen Reaktion und Zensur. Heute müssen Heil
und Rieth, die Regisseure des Westdeutschen Rundfunks, nach Paris, um
Wolfs Hörspiel inszenieren zu können. Jawohl - nach Frankreich, dem
Lande der rückständigsten Schauspiele und Hörspiele.“ /190/ Der
zitierte Abschnitt zeigt, wie zugespitzt die politische Situation
bereits zu Beginn des Jahres 1931 in Deutschland war, wie wenig
Möglichkeiten sozialkritische Hörspiele hatten, an deutschen Sendern
aufgeführt zu werden.
In den französischen Zeitungen fallen die Kritiken insgesamt
entsprechend der politischen Gesinnung der Redakteure aus. So kündigt
die Tageszeitung „L’Humanité“, „das Zentralorgan der kommunistischen
Partei“, die Aufführung folgendermaßen an:„Wir sind gespannt zu sehen,
inwieweit die Zensur des demokratischen Frankreich diese schöne Vorlage
entstellt haben wird mit dem Ziel, daraus ein reines
gegenrevolutionäres Stück zu machen. Arbeiter, die ihr begeisterte
Zuhörer des Radios seid, stellt heute Abend um 20 Uhr Euer Radio auf
Radio-Paris ein.“ /191/
Was die Ausgestaltung des Stückes angeht, konstatiert die
Wochenzeitung „Gringoire“: „Die Regisseure [...] meinen es gut; aber
sie haben noch nicht verstanden, dass ein Hörspiel wie S.O.S. für sich
alleine steht: dass es keiner Präsentation und keines Kommentars
bedarf.“ /192/ „L’Humanité“ wiederum ist in Bezug auf die Aufführung
gespaltener Meinung: Da ihr der Originaltext nicht vorliegt, hegt sie
zunächst einmal Zweifel, ob die Übersetzung und die Inszenierung den
ursprünglichen Sinn des Wolfschen Werkes wiedergegeben haben.
Grundsätzlich allerdings konstatiert der Autor, R. Jacob, den Mangel an
realistischer Darstellung, etwa in der Szene des leningradschen
Arbeiterrates eines Eisenwalzwerkes. Die das Stück abschließende
„Internationale“ sei von Radio-Paris /193/ in eine „verfälschte leichte
Musik im Zehnteltakt“ /194/ umgewandelt worden. Auch die Musik, die
zwischen den einzelnen Szenen gespielt wurde, erschien dem Autor „gar
zu sehr wie eine Überleitung“ /195/ zwischen den schnell
aufeinanderfolgenden 29 Szenen. Ein Zweck allerdings, den Musik meines
Erachtens durchaus zu Recht erfüllen kann. Auch mit der Anordnung und
Einspielung der Geräusche war „L’Humanité“ nicht zufrieden: „Was die
Tonuntermalung betrifft, so kam sie nicht auf den Punkt. Die Sirene des
Krassin zum Beispiel nahm einen zu großen Platz in der Aufführung ein
und der Krach des durch das Schiff splitternden Eises sollte meines
Erachtens ein wesentlich volleres Geräusch machen als das, welches uns
Radio Paris angeboten hat.“ /196/
„L’Antenne“ dagegen beschreibt die Umstände, unter denen Heil die
Geräuschkulisse erstellen musste: „In dem Drama ist die
Geräuschausstattung besonders wichtig. Sobald die Deutschen [...]
hierher bestellt wurden, haben sie sofort in weiser Voraussicht dem
Studio Radio-Paris alle Accessoires geschickt, die sie nicht im Sender
finden konnten, der dennoch als bestausgestatteter Frankreichs gilt.“
/197/
„La Parole Libre“ äußert sich positiv über die Geräusche und die
Musik. Deren Einsatz sei rechtzeitig gewesen, und weder die
Geräuschkulisse, noch die musikalische Atmosphäre hätten zu irgendeinem
Moment die Stimmen der Schauspieler übertönt oder gestört. /198/ Auch
„L’Ami du peuple du soir“ schreibt, dass „die Atmosphäre des Dramas auf
bemerkenswerte Weise geschaffen [wurde]. Die Geräusche wurden mit
Genauigkeit hergestellt und die Interpretation hat ihr Bestes getan.“
/199/
In Bezug auf die Schauspielerleistung allerdings war der Kritiker
Paul Dermée von „Parole Libre“ nicht gleichermaßen wohlwollend. So
fasst er zusammen: „Alles in allem wurde S.O.S. ziemlich schlecht von
den Schauspielern gespielt. Wenig Emotionen und keine Spur dieser
konzentrierten Energie, die nötig war, um jeder der einander folgenden
Szenen genügend Intensität zu verleihen.“ /200/ Hat also Rieth hier aus
Taktgefühl sich so positiv über die französischen Kollegen gegenüber
Wolf geäußert? Immerhin fügt „La Parole Libre“ hinzu, dass die Stimmen
leicht geklungen hätten, da die Schauspieler genügend Platz zwischen
sich und dem Mikrophon ließen. Auf diese Weise sei ein wohltuender
Unterschied festzustellen zu den sonst üblichen, geschrienen Disputen
am Mikrophon, die immer dann stattfänden, wenn es um einen Austausch
von leidenschaftlichen Reden ginge./201/ Da sich allerdings auch der
„Gringoire“ negativ über die Schauspieler äußert, ist es möglich, dass
die Kritiker eine modernere Art zu spielen einfordern, der weder die
Hörspieler in Köln, noch die in Paris nachkommen. So schreibt der
„Gringoire“: „Die Schauspieler haben Talent; aber ihre Feierlichkeit
entspringt dem Theater. Sie haben noch nicht verstanden, dass die
Qualität der Stimme und nicht ihre Lautstärke den blinden Hörer
berührt.“ /202/
„Erkennen wir dennoch an, dass die Aufführung exzellent war und die
Sendung voller Interesse.“ /203/ Bei aller Kritik, die an bestimmten
Details der Aufführung geübt wurde, ist der Grundtenor in der Presse
doch positiv. Es wird gewürdigt, dass der Versuch, ein
sozialkritisches, darüber hinaus ausländisches Hörspiel im
französischen Radio zu senden, bislang einzigartig und lobenswert ist.
Darüber hinaus sei die Technik der deutschen Gastregisseure denen der
Franzosen weit voraus: „Wir haben diese Woche auf Radio-Paris das Drama
„S.O.S“ gehört, was mit Sicherheit die interessanteste radiotechnische
Umsetzung ist, die uns je zu hören gegeben wurde.“ /204/
Heils soziales Engagement
„[...] seine pazifistischen und sozialistischen Überzeugungen, das
Bewusstsein der tragischen Situation, in der sich Deutschland befand,
die Notwendigkeit, deren Strukturen zu verändern, machten aus ihm, wenn
schon keinen „Weggefährten“, so doch zumindest einen Sympathisanten der
progressiven Ideen.“ /205/
Wie ich bereits oben dargestellt habe, hat Heil sich für das Recht
der Unterprivilegierten auch in seiner Arbeit eingesetzt. So wurden von
ihm etwa bevorzugt die externen Hörspieler für Stücke ausgewählt, die
am bedürftigsten waren. Die künstlerische Qualität der Produktion
stellte Heil hier ihrer sozialen Dimension hintan. Damit nahm er
allerdings auch eine schlechtere Bewertung seiner Arbeit seitens der
Presse in Kauf.
Heil stellt dar, dass er mit Habaru, einem belgischen Journalisten,
der darüber hinaus ein „großer sozialdemokratischer Pazifist“ war, „dem
Kölner Radio ein Dossier über die sozialen Fragen“ /206/ vorgestellt
habe. Der letzte Beitrag, für den Heil nach eigenen Angaben Regie
führte, der allerdings nicht mehr ausgestrahlt worden sei, ist „eine
Sendung über den Bergbau, eine Dokumentation mit gespielten
Szenen“/207/ gewesen. Dies zeigt zum einen, dass Heil des öfteren als
Regisseur in Dokumentationssendungen tätig, zum anderen, dass die Art
des Arrangements offensichtlich progressiv gewesen war. Kann Heil also
als zugehörig zu den sozialkritischen Avantgardisten unter den
Rundfunkpionieren gesehen werden? Schon vor dem Hintergrund der im
folgenden aufgestellten statistischen Beobachtungen ist diese Frage
eindeutig mit ja zu beantworten.
Der Auflistung der von Heil inszenierten Stücke - zumindest derer,
bei denen er in der Werag mit seinem Namen genannt wird - ist zu
entnehmen, dass Heil hauptsächlich für den Jugend- (bzw. Kinder- und
Schulfunk) inszenierte, was von vornherein die Zahl der relevanten
Stücke in thematischer Hinsicht begrenzte. Allerdings ist auch in
seinen Inszenierungen für das Abendprogramm keine ausschließliche
Fokussierung auf sozialkritische Inhalte zu sehen. Wie Würffel
schreibt, lag jedoch der Anteil sozialistischer Hörspiele an der Menge
aller bei nur 1%. /208/ Dies verändert die Sichtweise angesichts der
tatsächlichen Verhältnismäßigkeit. Allein mit der Inszenierung von
„S.O.S.“ und „Radau um Kasperl“ bezog Heil, im Vergleich zu anderen
Regisseuren, eine ausnehmend sozialkritische Position.
Was aber dachte er über das Radio als Medium?
Erwähnung verdient an dieser Stelle die Tatsache, dass von Heil
leider keine theoretischen Äußerungen zu diesem Themenkomplex, wie wir
sie von vergleichbaren Rundfunkpraktikern /209/ (etwa Wolf, Brecht oder
Benjamin) kennen, verfasst wurden. Auch in den zahlreichen Interviews
stellt Heil das Medium Radio an sich nicht in Frage. Hat sich Heil aber
dennoch Gedanken über die Funktionsweise dieses Mediums gemacht? Und
welche Konsequenzen zog er daraus?
Eine theoretische Positionierung Heils lässt sich an seinen
praktischen Radiotätigkeiten ablesen. So hat er zum Beispiel seine
Kritik an gesellschaftlichen Verhaltensweisen vor allem in der
Sendereihe „Mensch und Welt“, sowie in den „Länder- und Städtebildern“
formuliert. „Mensch und Welt“ war eine Sendung für Arbeitslose. Heils
Motivation dabei war, das Medium Radio einzusetzen, um Sendungen für
eine - bislang unterprivilegierte - Öffentlichkeit zu gestalten. Nicht
dagegen war es sein Ziel, die Gesellschaftsordnung durch das Radio zu
ändern, etwa durch Brechts Vision einer Umgestaltung des Radios in
einen Kommunikationsapparat: Dies hätte die Konsequenz, dass passive
Rezipienten zu aktiven Produzenten würden.
Ein Argument dafür, dass Heil diesen Wunsch nicht teilt, ist das
Hörspiel „Radau um Kasperl“, das von Benjamin in Frankfurt und von Heil
in Köln inszeniert wurde. Benjamin schickt in diesem Stück den Zuhörer
zusammen mit Kasperl auf eine Entdeckungsreise des Rundfunks: Kasperl
wird von einem Rundfunksender eingeladen, um als Publikumsmagnet vor
dem Mikrophon zu sprechen. Mit seinem kindlich-naiven Blick deckt
Kasperl die Funktionsweisen des Rundfunks auf. Er flieht vor den
Vertretern dieser Institution, weil er die Asymmetrie des Mediums
genutzt hat, um seinen Rivalen Seppl zu diffamieren. Somit hat er die
Wut der Verantwortlichen auf sich geladen. Nach der ereignisreichen
Flucht, die Kasperl unter anderem über eine Kirmes und durch einen Zoo
führt, wird ihm in seiner vermeintlich geschützten Wohnung mitgeteilt,
dass ein Aufnahmegerät, ohne dass er es bemerkt hätte, seine Äußerungen
mitgeschnitten hat.
Benjamin macht mit seiner Geschichte auf entscheidende Mängel des
neuen Mediums aufmerksam: so hebt er die Aufhebung der räumlichen
Distanz zwischen Sprecher und Rezipienten hervor, kritisiert aber
zugleich die Anonymität, die zwischen beiden besteht. Neben der
Ein-Weg-Kommunikation des Radios, die Kasperl gleich für sich zu nutzen
weiß, wird das Machtgefälle zwischen Sender und Empfänger deutlich: Der
Sender zeichnet nach Belieben Tonmaterial auf, um es in die
Öffentlichkeit zu diffundieren; dem Rezipienten, der im Falle Kasperls
grundlegend an der Sendung beteiligt ist, wird anschließend die
Möglichkeit genommen, auf die Missachtung seiner Persönlichkeitsrechte
öffentlich zu reagieren.
Benjamin lässt das Medium Radio mittels Autoreferentialität sich
selbst reflektieren. Er führt sein Stück im Abendprogramm auf, während
es Heil im Jugendfunk inszeniert. „Die kindgerechte Form verdeckt auf
den ersten Blick die vorhandene Sprengkraft. Auch die hinter den
Kindern versteckten Eltern waren angesprochen. Es handelt sich nicht
nur um ein Hörspiel für Kinder.“ /210/ Hat auch Heil diese Sprengkraft
verkannt, weil er das Stück für den Jugendfunk bestimmte?
Benjamin versuchte dadurch, dass die Geräusche seiner Inszenierung
von den Zuhörern erraten werden mussten, ihre aktive Beteiligung zu
forcieren. Damit wagte er einen ersten Schritt, um die Trennung von
Sender und Empfänger aufzuheben. Neben der Kritik an den
Funktionsweisen des Radios versucht er also im gleichen Moment, die
konstatierten Mängel zu beheben. Bei Heil haben die Geräusche lediglich
illustrierenden Charakter. Es scheint zumindest nicht Heils Intention
gewesen zu sein, Kritik am Radio derart deutlich zu machen, dass die
Zuhörer ihre Konsequenzen daraus ziehen und der Distributionsapparat
Radio sich sukzessive in einen Kommunikationsapparat hätte verwandeln
können.
Die Feststellung des Ehepaars Brès, dass „Carl Heil und Bertolt
Brecht durch dieselbe grundsätzliche Skepsis hinsichtlich der auf der
neuen Technik basierenden Einsatzmöglichkeiten des Radios miteinander
verbunden waren, was deren Begegnung erklärt“ /211/, halte ich für
falsch. Brecht, wie auch Benjamin, stellen das Medium Radio insgesamt
in Frage und führen damit ihren Reflexionsprozess gleichsam auf der
Metaebene. Heil hingegen verbleibt innerhalb der durch das Medium
gesetzten Schranken. Er will die Funktionsweisen des Radios nicht
grundsätzlich ändern. Allerdings instrumentalisiert er das Radio
derart, dass er dessen Grenzen und Möglichkeiten auszuloten versucht,
um sie zu verschieben. Damit eröffnen sich ihm neue Möglichkeiten. Das
heißt, dass sich Heil durchaus mit dem Medium auseinandergesetzt hat.
Allerdings interessierte ihn nicht die Veränderung von dessen
Medienstruktur, sondern die Frage und Suche nach der praktischen
Anwendbarkeit. Er stellt nicht das Medium an sich in Frage, sondern
möchte es verbessern; dies zeigte Heils perfektionistisches Bemühen um
technische Neuerungen in seinen experimentellen Arbeiten.
Zusammenfassend ist also festzustellen, dass seinen Bemühungen um
Grenzverschiebungen innerhalb des Mediums Radio ein impliziter
Reflexionsprozess vorausging. Während Benjamin und Brecht sich die
Frage stellen, wie das Medium an sich funktioniert und aufgrund der
daraus folgenden Erkenntnis eine Umstrukturierung des Radios fordern,
steht für Heil der Inhalt des Dargebotenen im Mittelpunkt. In diesem
wesentlichen Punkt liegt also meines Erachtens der Unterschied zwischen
Heil auf der einen und Benjamin und Brecht auf der anderen Seite. In
ihrem Bemühen um Instandsetzung der unterprivilegierten Bevölkerung und
in ihrem sozialen Engagement hingegen sind sie einander durchaus
vergleichbar. Insofern halte ich das folgende Zitat von Palmier für
begründet: „Carl Heil, ebenso wie Benjamin, betrachtete seine Mitarbeit
am Radio als einen einfachen Broterwerb. Er war sich der Neuartigkeit
des Vorganges bewusst, all dessen, was noch zu erfinden war, um [aus
dem Radio] ein wahres Kulturinstrument zu machen.“ /212/
Heil entwickelte im Dienste des Radios technische Neuerungen. Er
wählte progressive Inhalte und strebte danach, kulturelle
Bildungsinhalte durch sein Engagement an der Werag zu vermitteln. Im
folgenden Kapitel möchte ich in gegebener Kürze der Frage nachgehen,
inwiefern Heil mit seinen Einstellungen zu Aufgaben und Inhalten des
Rundfunks die Vorstellungen seines Arbeitgebers Hardt - und somit der
Werag als Institution - teilte.
VII.
Die Werag - ein idealer Arbeitgeber für den jungen Rundfunkpionier?
Besonderheiten der Werag
„Er [der WDR] trägt so alle Welt zu aller Welt, schlägt Brücken von
Stand zu Stand, und schafft, wie nichts vor ihm es getan, für jedermann
und für alle wechselseitig jene große Grundlage vernünftigen Lebens der
Menschen untereinander: Weltkenntnis.“ /213/
Ernst Hardt, der Intendant der Werag, war Mitbegründer der
Demokratischen Partei./214/ Als überzeugter Liberaler war er bestrebt,
mit der Werag aus dem Rundfunk ein Bildungsinstrument zu machen. In
seiner Funktion als Intendant wollte Hardt dazu beitragen, das
Proletariat kulturell zu erziehen, was er etwa mit der „Stunde des
Arbeiters“ zu verwirklichen suchte. /215/ Insofern sah er es als
Aufgabe des Radios, „als ein treuer Diener, welcher seinem Herrn als
Mensch zum Menschen nahesteht, [...] seinen Herrn unmerklich [zu]
führen, wenn der Herr aus Arbeitsmüdigkeit des richtigen Weges nicht
achtet und unbewusst in die Irre reiten will, als ein treuer
aufrichtiger Wegführer und Wegweiser.“ /216/ Erich Kästners Fabian
hätte ihm auf diesen Wunsch wahrscheinlich geantwortet: „Du willst,
träumst du, das Kleinbürgertum sammeln und führen [...] und das
Proletariat einbürgern. Und dann willst du helfen, einen Kulturstaat
aufzubauen, der dem Paradies verteufelt ähnlich sieht. Und ich sage
dir: Noch in deinem Paradies werden sie sich die Fresse vollhauen!“
/217/
Eine Beurteilung der Werag in politischer und gesellschaftlicher
Hinsicht kann nur gelingen, wenn man ihre Vertreter, Inhalte und
Sendemodalitäten im Rundfunkkontext der Weimarer Republik betrachtet.
Bereits im Hinblick auf die an ihr beschäftigten Personen fällt zum
Beispiel auf, dass trotz der Bestimmungen der Überwachungsausschüsse
[die die Anstellung von (Partei-) kommunisten verboten] das ehemalige
KPD-Mitglied Hans Stein als Dezernent für Wirtschaft und Soziales eine
leitende Stellung innerhalb der Rundfunkanstalt einnahm. Auch Alexander
Maass, aktives Mitglied der kommunistischen Partei, war mit seiner
prominenten Sprechertätigkeit vor dem Mikrophon fest in das
Sendegeschehen eingebunden.
Haltung zur Zensur
Trotz dieser souveränen Missachtung der von den
Überwachungsausschüssen festgelegten Regeln allerdings unterstützten
Hardt wie Stein die Zensur: Da es pro Region nur eine Rundfunkanstalt
gäbe, habe das Publikum nicht die Möglichkeit, ebenfalls im Medium
Radio Kritik an Beiträgen zu äußern. Im Prinzip also bemängeln die
beiden Rundfunkverantwortlichen die mediale Struktur des Radios.
Aufgrund der mangelnden Möglichkeit einer Antwort dürften ihrer Meinung
nach extreme und einseitige Positionen im Rundfunk keine Verbreitung
finden. Dieses Verbot galt für linke Äußerungen genauso wie für rechte.
Tatsächlich erinnert sich Heil daran, dass zum Ende der Weimarer
Republik politisch rechts gesinnte Gruppierungen zwar im Kölner Radio
ihre Meinung äußern durften, jedoch nur in einem gewissen Rahmen: Sie
mussten sich an das vorher mit der Sendeleitung abgesprochene Skript
halten. Sobald sie während der Sendung vom Skript abwichen, hatte der
Ansager Weisung, sie zu unterbrechen. Diese Erfahrung machte laut Heil
eine „völkische“ /218/ Gruppe, die volkskundliche Blubo-Sendungen zu
verbreiten suchte. Auf diese Art der Intervention seien „neutrale“
Sendungen mit einem „einfach bourgeoisen Charakter“ /219/ entstanden.
Dass die Zensur ebenso für kommunistische Positionen galt, wird in
einem Brief von Alexander Maass an G.W. Pijet klar. Dieser hatte sein
Stück „Mietskaserne“ der Werag vorgeschlagen, woraufhin Maass schreibt:
„Mit der ,Mietskaserne‘ ist es natürlich Kappes. [...] Du weißt doch
auch, dass es heute ganz unmöglich ist, das im WDR irgendwie
unterzubringen. Bei unserer Sendestelle ist es genauso beschissen wie
woanders auch.“ /220/
Mit dieser Gleichsetzung allerdings irrte Maass ganz
offensichtlich. Aus einer Durchsicht der Werag-Bände /221/ sowie aus
den Erinnerungen Heils wird klar, dass die Werag eine der wenigen
Institutionen in der Medienlandschaft der Weimarer Republik war, die
erst im März 1933 gleichgeschaltet wurde - die anderen hatten ihre
Gleichschaltung im Grunde bereits vor 1933 erfahren. In der Akte 11095
des „Historischen Archives“ ist zu lesen: „13.3.1933 war es dann
soweit: Der Rundfunk wurde ,gleichgeschaltet‘. Hausverbot und
Entlassung von Intendant Ernst Hardt, Dr. Hans Stein, Fritz Worm, Hans
Ebert, Hermann Spitz, Els Vordemberge, Walter Stern, Dr. Hanns Ulmann,
Dr. Wilhelm Tigges usw. usw.“ Heil äußert sich im Interview mit Herrn
und Frau Brès folgendermaßen: „Bis zum Ende - oder genauer bis zu
Hitlers Machtergreifung - haben wir an der Werag in Köln eine große
Unabhängigkeit genossen und den Druck der Nazis nicht gespürt. Die
Nazis hatten keinen Einfluss auf unsere Sendungen: die Programme wurden
von unserem Intendanten erstellt, der ein Liberaler war. Und zum
Beispiel der Intendant von Frankfurt, Flesch - der eine andere Meinung
vertrat - konnte in unsere Sendegestaltung nicht reinreden oder etwas
gegen sie unternehmen. Weder er, noch die aus München, Stuttgart oder
Berlin.“ /222/ Natürlich muss auch diese Aussage Heils relativiert
werden: Wie Frau Dr. Mohl bestätigt, konnten Hardt und Stein nicht
umhin, ihre inhaltlichen Grenzen im voraus auszuloten und die Zensur zu
antizipieren, um auf diese Weise eine gewisse thematische Freiheit zu
behalten. Dies wird auch der Grund für Maass’ Vermutung gewesen sein,
dass Pijet mit seinem Hörspiel „Mietskaserne“ keine Chance auf
Akzeptanz bei der Werag hatte, zeichnete Pijet doch in seinem Stück auf
besonders erschütternde Weise das Elend des Proletariats am Beispiel
der Bewohner eines Berliner Mietshauses nach./223/
Umgehung der Zensur
Eine linksliberale Gesinnung belegen die vom 09.01.1928 bis zum
05.08.1931 wöchentlich stattfindenden „Gespräche über Menschentum“. In
diesen Sendungen, die „ein Novum in der Rundfunkpraxis“ darstellten,
diskutierten Hardt, Dr. Stein, Fritz Worm und Prof. Honigheim - als
Vertreter der unterschiedlichsten gesellschaftstheoretischen Positionen
- die Entstehung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat. Die
Besonderheit lag darin, dass sie kein Manuskript verwendeten, sondern
dass ihre Gespräche erst im Moment der Aufnahme vor dem Mikrophon
entstanden. Damit setzte sich Hardt abermals über die ursprünglichen
Beschlüsse des Überwachungsausschusses hinweg und erreichte eine
weitere Ausnahmeregelung.
Frau Dr. Mohl, die die stenographische Mitschrift der „Gespräche
über Menschentum“ einsah, bestätigt, dass die Gespräche keinen
revolutionären Charakter hatten, in ihnen aber doch konträre
Standpunkte in einer Weise diskutiert wurden, wie es im
zeitgenössischen Rundfunkgeschehen nicht üblich war. Des weiteren
stellte sie fest, dass die Gespräche im Jahre 1931 „fahriger“ wurden,
was damit zu erklären ist, dass Sendebedingungen und Redefreiheit
verschärften Kontrollen unterlagen. Hardt und Stein widersprachen mit
dieser Sendereihe keineswegs ihrer Forderung nach Zensur: Bestand diese
ihrer Auffassung nach doch lediglich im Verbot von Einseitigkeit der
Darstellung, bzw. Verbreitung extremer Positionen. Indem in den
„Gesprächen über Menschentum“ die Vertreter unterschiedlicher Meinungen
und sozialkritischer Hintergründe zusammentrafen, übernahmen diese
gleichsam wechselseitig die Aufgabe, ihre Gesprächspartner zu
kritisieren und in Frage zu stellen. Insofern erfüllte sich die
Forderung des Staates, der Rundfunk habe als Kulturfaktor nicht
politisch zu sein, in Hardts Leitung der Werag nicht: Ein Gespräch
zwischen Vertretern unterschiedlicher Wertvorstellungen, die über die
Entstehung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat sprachen, konnte
nicht unpolitisch sein.
Gegen einen Ausschluss der Unterprivilegierten
Wenn Hörburger konstatiert, dass „in den ersten Jahren Sendespiel
und Hörspiel nur begrenzt die Masse jener erreichen konnten, die durch
Ausbildung und ökonomischen Status vom allgemeinen Kulturbetrieb
ohnehin ausgeschlossen blieb“ /224/, so unternahm die Werag spätestens
im Jahre 1930 - mit der Einführung der Sendereihe „Mensch und Welt“ -
ernsthafte Versuche, einem Ausschluss der Unterprivilegierten aus der
Rezeption von kulturellem Bildungsgut entgegenzuwirken. Zu diesem
Schluss komme ich nach der Lektüre von Willi Schäferdieks Bericht für
das „Historische Archiv des WDR“. /225/ Indem nämlich den Arbeitslosen
Abhörstätten zur Verfügung gestellt wurden, verfügten sie zumindest
über die technischen Voraussetzungen, um die Sendung zu verfolgen.
Um allerdings das Verständnis der in kulturellen Dingen dieser Art
unerfahrenen Zuhörer zu ermöglichen, wurden grundsätzlich
Hörspielinszenierungen, „oder geeignete Darbietungen aus der Opern- und
Musikabteilung“ mit einer „entsprechende[n] Einführung“ versehen.
Außerdem wurden die Sendungen des Westdeutschen Rundfunks „unter
sachkundiger Leitung“ auch in den Abhörstätten diskutiert.
Man kann also davon ausgehen, dass Hardt sein Konzept der Erziehung
des vierten Standes /226/ durchaus mit radiotechnischen Mitteln
durchzusetzen versuchte, dass er tatsächlich eine „Menschwerdung durch
den Rundfunk“ für möglich hielt.
Fazit
„Comme un pacifiste votant à gauche.“ /227/
Über Heils politische Einstellung wissen wir, dass er den
Kommunisten nahe stand, ohne der KPD beigetreten zu sein. Er ist also
im politischen Spektrum weiter links als Hardt einzuordnen, war aber,
wie jener, ein Vertreter der Demokratie. Offensichtlich waren die
beiden Rundfunkmänner auch in ihrer Auffassung von der Funktion und den
Aufgaben des Radios nicht weit voneinander entfernt. So engagierte sich
Heil in erster Linie für die Inhalte und Sendeformate, die auch Hardt
besonders am Herzen lagen: für die Inszenierungen von Hörspielen, für
die Vermittlung von bürgerlichem Bildungsgut und für Sendungen, mittels
derer Unterprivilegierten diese Inhalte nahegebracht werden sollten.
Heil sprach davon, dass er und seine Kollegen an der Werag bis zu
Hitlers Machtergreifung unabhängig in Programmfragen waren, indem Hardt
das Programm weitgehend unbehelligt von den Nazis zusammenstellen
konnte. Allerdings geht Heil an keiner Stelle auf die Zensur ein, die
seitens der Überwachungsausschüsse auf das Programm ausgeübt wurde.
Hatte Heil vielleicht deshalb unter äußerlichen zensorischen Maßnahmen
nicht gelitten, weil er die Gefahr der Zensur immer mitdachte, diese
gleichsam antizipierte, und sich derart mit seinen Inhalten auf das
thematisch Mögliche beschränkte? Heil hat sich , was bereits aus der
Analyse seiner medientheoretischen Position hervorging, in den Dienst
des Mediums Radio gestellt . Zum einen instrumentalisierte er das
Radio, um Inhalte und Themen den Menschen nahe zu bringen, die
ansonsten von einem derartigen Reflexionsprozess ausgeschlossen gewesen
wären. Zum anderen versuchte er in seiner Arbeit, die Grenzen des
Radios neu zu stecken, indem er innovative Techniken ausprobierte. In
diesen seinen Interessen wurde er von und durch Hardts Werag in vollem
Umfang unterstützt.
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die Werag ein idealer
Arbeitgeber für den Rundfunkpionier Carl Heil war. Dies gilt insofern,
als sich Heil bei der Werag optimale Arbeitsbedingungen - angesichts
der Rahmenbedingungen einer Radiotätigkeit in der Weimarer Republik -
boten. Denn hier fand er den nötigen Raum und die Möglichkeiten vor, um
seiner sozialpolitischen Überzeugung, seinem technischen
Experimentierwillen und seiner Suche nach der adäquaten Form Ausdruck
zu verleihen.
Anmerkungen
1 Aus Platzgründen hat die Verfasserin diverse Quellen und
weiterführende Informationen – sowohl hinsichtlich der Quellen des
Historischen Archives als auch anderer Herkunft – nicht angeführt. Bei
Interesse wenden Sie sich bitte an die Kulturation-Redaktion, die
Anfragen an die Verfasserin weiterleiten wird.
2 Dieser fand wahrscheinlich Anfang der 80er Jahre statt.
3 Heil zitiert nach: Brès, Éveline und Yvan. Carl Heil. Speaker
contre Hitler. Mit einem Vorwort von Jean-Michel Palmier. Paris, 1994,
S. 34.
4 Gehört heute zu Wuppertal.
5 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 23.
6 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 26.
7 Heil beschreibt, wie der Leiter der Schule, Pastor Niemöller -
obwohl Heils Vater Sozialdemokrat war - durchsetzte, dass Heil in die
Präparandenanstalt aufgenommen wurde. Das Heil konfessionelle
Einrichtungen besuchte, lag daran, dass es in Deutschland im Gegensatz
zu Frankreich keine nicht-religiösen Schulen gab - ein Umstand, der ihm
nicht besonders gefiel (siehe Brès 1994, S. 28).
8 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 28.
9 Heil beschreibt die wirtschaftliche Situation 1921 als
bekanntermaßen derart schlecht, dass die Mehrzahl der mit ihm zusammen
examinierten Lehrer keine Anstellung bekam (Vgl. Brès 1994, S. 31).
10 Ich halte mich bei dieser Aufzählung an Heils eigene Aussagen,
wie sie bei Brès dokumentiert sind; Sabine Schiller-Lerg ordnet die
verschiedenen Fächer den einzelnen Professoren in anderer Weise zu.
Auch besteht Verwirrung hinsichtlich Heils Studium der
Theaterwissenschaft bei Carl Niessen: Das Institut wurde erst 1929
gegründet, also sind vorher theaterwissenschaftliche Vorlesungen
möglich und wahrscheinlich gewesen, nicht aber bereits deren Zuordnung
zu einem so lautenden Studiengang. In Roussels Interview findet sich
dazu folgende Aussage: „Il [Heil] s’est fait inscrire en études
théâtrales (Theaterwissenschaft), mais il n’était pas possible de
passer un examen dans cette matière.“ („Er schrieb sich in
Theaterwissenschaft ein [ihrer Meinung nach bereits 1921], aber es war
nicht möglich, in diesem Fach eine Prüfung abzulegen.“
Roussel-Interview mit Heil, geführt am 1. und 3.6.1983, S. 1).
11 Er analysierte dafür zahlreiche Darstellungen, die im Laufe der
Zeit angefertigt wurden: Bilder, Opern und Dramen sowie deren
Inszenierungen. Unter einem historischen und kulturellen Gesichtspunkt
untersuchte er die jeweilige Art, wie der ursprüngliche Text
interpretiert wurde. (Vgl. Brès 1994, S. 51).
12 So Carl Heil in seinem Wiedergutmachungsantrag an den WDR. In
diesem Punkt allerdings widerspricht er sich später in dem Interview,
das er dem Ehepaar Brès geben wird: Dort sagt er aus, dass er während
der gesamten Zeit an der Werag nebenher studierte, wenn auch nur „auf
kleiner Flamme“, dass er auch seit 1929 am theaterwissenschaftlichen
Institut bei Carl Niessen Vorlesungen besuchte (es aber nicht möglich
war, dort sein Examen abzulegen) und dass er währenddessen an seiner
Doktorarbeit schrieb, die 1932 (!) beinahe beendet gewesen sei. Er habe
sie aber schließlich doch nicht fertiggestellt, weil der Lehrberuf sie
nicht zwingend erforderte. Das heißt also zum einen, dass zumindest
nicht ausschließlich die Arbeit an der Werag ihn von der Fertigstellung
seiner Dissertation abgehalten hatte, dass er zum anderen auch 1932
nach wie vor im Sinn hatte, Lehrer zu werden und nicht Radioexperte.
Als weiteren Grund, seine Doktorarbeit nicht im Jahre 1932 beendet zu
haben, nennt Heil die Tatsache, dass er ein Jahr Pause in seinen
Studien einlegen wollte, um sie dann gegebenenfalls wieder aufzunehmen
(siehe Brès 1994, S. 51).
13 Siehe Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 1.
14 Siehe Schiller-Lerg, Sabine. Mit den Ohren sehen. Carl Heil
(Charles Hébert) 1901-1983 – eine Rundfunkbiographische Skizze. In:
Mitteilungen des Studienkreises für Rundfunk und Geschichte[StRuG]
10(1984)4, S. 334 f. 15 Palmier in: Brès 1994, S. 11.
16 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 32.
17 Vgl. Ebenda.
18 Dienstbescheinigung für Carl Heil, ausgestellt am 1. März von Rudolf Rieth, als dieser ihn entlassen musste.
19 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 40.
20 Es hieß also auch die zum Sender dazugehörige Zeitschrift Werag.
21 Schiller-Lerg 1984, S. 335. Diese Einschätzung deckt sich fast
wörtlich mit der von Herrn und Frau Brès: „Et si, durant la période
précédente, son travail d’acteur au théâtre - ainsi qu’au cinéma où il
semble avoir tenu de petits rôles -, ne procédait manifestement pas de
grandes ambitions artistiques[...].“ (Brès 1994, S. 34.) Aufgrund
dieser Übereinstimmung der beiden Texte lässt sich schlussfolgern, dass
Schiller-Lerg, ebenso wie Brès, Filmrollen meint, die Heil in
Deutschland während seiner Arbeit bei der Werag bekommen hat. Heil
dazu: „Sogar in Deutschland habe ich in einigen Filmen mitgespielt,
aber tatsächlich nur in hausgemachten Kulturfilmen, die durch das Radio
hergestellt wurden.“ (Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 45.)
22 Man wird also, angesichts der sich entsprechenden
Einschätzungen wie Formulierungen, davon ausgehen müssen, dass
Schiller-Lerg wie Brès lediglich der Überzeugung sind, dass Heils
theater- bzw. filmschauspielerische Ambitionen nicht besonders groß
waren.
23 Dies erwähnen Schiller-Lerg und Brès. Tatsächlich ist aber das Todesurteil noch nicht gefunden worden.
24 „pour des raisons de sécurité“ (Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 6).
25 Siehe Schiller-Lerg 1984, S. 335 und S. 339.
26 Siehe Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 7.
27 Auf diesen Tatbestand werde ich später näher eingehen.
28 Carl Heil spricht hier lediglich von „émissions
nationales-socialistes de Hitler“, ohne näher auf den Inhalt einzugehen
(Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 57). Außerdem hatte ein Denunziant
gemeldet, daß Heil das Zubehör für einen Rundfunksenders besaß und
nutzte - irrte sich dabei jedoch: Als Arbeitswerkzeug wurde Heil die
neueste Version eines Empfangsgerätes zur Verfügung gestellt, das außen
am Haus montiert war und bis zum Dach reichte (siehe Brès 1994, S. 57).
Ein Mitbewohner führte die Polizisten direkt zu Heils Wohnung, in dem
Wissen, dass sich in einer anderen Wohnung die tatsächlichen
Materialien befanden, um geheime Sendungen herzustellen. Während die
Polizisten Heils Wohnung durchsuchten, hatten die anderen Mieter Zeit,
den illegalen Sender verschwinden zu lassen.
29 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 60.
30 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 64.
31 Brès 1994, S. 64 f.
32 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 65.
33 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 66.
34 Schiller-Lerg 1984, S. 338 f.
35 Vgl. Brès 1994, S. 71.
36 Brès 1994, S. 72.
37 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 72.
38 Brès 1994, S. 72.
39 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 85.
40 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 94.
41 Siehe Brès 1994, S. 76 f.
42 Siehe Schiller-Lerg 1984, S. 339: Sie zitiert hier „ein Blatt
mit den Lebensdaten von C.H. und seiner Familie“, das ihr von Heils
Schwester, Carola Fischer, überlassen wurde und in dem Carl Heil über
seine Frau schreibt: „Als meine Verlobte war sie mir 1934 nach Paris
nachgekommen, wurde aber nicht als ,réfugiée‘ angesehen, weil sie
Deutschland nicht aus Verfolgungsgründen - sie hatte sich in keiner
Form politisch betätigt - verlassen hatte.“ Tatsächlich schreibt Heil
in seinem Wiedergutmachungsantrag an den WDR, dass er verheiratet sei.
Die Scheidung muss also nach März 1954 stattgefunden haben. Herr und
Frau Brès schreiben in ihrem Buch über Heil ebenfalls nur wenig über
seine Verlobte, z.B. dass sie Gymnastiklehrerin war und ihrem Mann nach
Paris nachreiste. Auf meine Nachfrage, warum sie so wenig über Heils
Frau berichtet haben, erzählte mir Herr Brès, dass er Frau Heil
lediglich einmal Anfang der vierziger Jahre im Zug in Südfrankreich
begegnet sei. Es bleibt beispielsweise unklar, ob Frau Heil interniert
war, und wie ihr weiteres Leben aussah. Heil habe sie nie zur Familie
Humez oder Brès mitgebracht, sie nie erwähnt und sei auch Fragen
bezüglich ihrer Person stets ausgewichen.
43 Siehe Brès 1994, S. 79 sowie Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 12.
44 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 79 f.
45 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 80.
46 Hinsichtlich einer ausführlichen Beschreibung der Streitereien
zwischen den Emigranten in ideologischen Fragen siehe Brès 1994, S. 86,
bzw. Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 11: Hier spricht Heil nur von
Streitereien in der Redaktion des Pariser Tageblatts.
47 Der Name verwirrt: Die Sendungen wurden in Paris produziert,
dann per Kabel nach Straßburg geleitet. Dort ausgestrahlt, konnten sie
in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern empfangen
werden.
48 Siehe Brès 1994, S. 95 f.
49 Siehe Schiller-Lerg 1984, S. 340. Diese Angaben stehen im
Widerspruch zu Heils Ausführungen: Gerade am Tag seiner Entlassung
wurde die Bezahlung pro Sendung von 10 auf 15 Francs erhöht, wobei
jeder Sprecher zwei Sendungen, gegebenenfalls auch mehr sprach (siehe
Brès 1994, S. 110).
50 Schiller-Lerg 1984, S. 340.
51 Ebenda. Der fehlende Beleg dieses Zitates macht ein weiteres Mal
die verzwickte Quellenlage deutlich, der man sich bei einer
Beschäftigung mit Heils Leben und Werk gegenüber sieht. 52 Siehe Brès 1994, S. 100.
53 „Die Elsässer protestierten gegen die ,preußischen Stimmen‘,
obwohl die Stimme unseres Hauptansagers Carl Heil, der aus dem
Rheinland kam, ohne jedoch den Dialekt zu sprechen, offensichtlich
keineswegs preußisch klang. Heil war das Vorbild eines klugen und
vorsichtigen Sprechers. Aber die Kreise, die den unbequemen Straßburger
Sender verschwinden lassen wollten, bedienten sich aller Argumente.“
(Hans Jacob über Heil in: Brès 1994, S. 105.)
54 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 110.
55 Siehe Brès 1994, S. 111.
56 Siehe Brès 1994, S. 113.
57 So Schiller-Lerg 1984, S. 340. Die Eheleute Brès sprechen von
Mai 1940, ohne allerdings ein genaues Datum zu nennen (siehe Brès 1994,
S. 113 f.). Im Nachruf wiederum, den Hélène Roussel und das Ehepaar
Brès gemeinsam verfassten (der aber nie veröffentlicht wurde), ist der
13. Mai als Internierungsdatum angegeben. 58 Siehe Brès 1994, S. 121.
59 Siehe Brès 1994, S. 137.
60 Siehe Brès 1994, S. 139: Heil äußert sich nicht zu der Art der Arbeit, die er verrichten konnte.
61 Brès 1994, S. 139.
62 „C’est à cause de Carl Heil que nous nous sommes mariés.“ (Interview mit Herrn und Frau Brès am 05.03.2003 in Valence.)
63 Zitiert nach Brès 1994, S. 143.
64 Schiller-Lerg 1984, S. 341.
65 „Dank dem großen Durcheinander, das aufgrund der großen
Ansammlung von Gefangenen bestand, wurde Carl Heil nicht vor Ort
liquidiert.“ (Brès 1994, S. 152.)
66 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 162.
67 Brès 1994, S. 164. Hier muss allerdings angefügt werden, daß ich
beim Besuch des Ehepaares Brès den Brief von René Morel sah, in dem er
sich durchaus kritisch Heil gegenüber äußerte, hinsichtlich dessen
Rolle als Blockältester zwei. Als ich Herrn Brès danach fragte,
erklärte er das mit einem generellen Deutschenhass seitens Morel
(Interview mit Herrn Brès). Herr Brès mochte mir den Brief nicht zur
Abschrift zur Verfügung stellen, ließ ihn mich auch nicht ganz lesen.
Man könnte nun schlussfolgern, dass Brès in ihrem Werk bemüht waren,
ein rein positives Bild von Heil zu zeichnen, das keine negativen
Seiten zuläßt. Wirklich überprüfen lässt sich diese These leider kaum
noch, da die Quellenlage aufgrund ihrer nur sehr spärlichen Dokumente
keinen wirklich objektiven Blick gestattet. In einem Telefonat mit dem
bereits erwähnten Journalisten Dietmar Schellin vertrat dieser die
These, dass die Aussagen des Ehepaares Brès historisch nicht
verifizierbar seien (Telefonat vom 12.03.2003). Dieser Auffassung
stehen wiederum die wenigen Dokumente, die es gibt, entgegen: In ihrer
Darstellung der Fakten konnte ich dem Ehepaar keine Falschdarstellung
nachweisen. In der persönlichen Wertung ihres Freundes Carl Heil
überwiegt wohl die Sympathie den objektiven Blick. Dass hierbei ein
gefärbtes Bild entsteht, ist allerdings auch nur bei dem Morel-Brief zu
sehen. Im gesamten anderen Briefverkehr, den sie zur Erstellung ihrer
Heil-Biographie mit dessen ehemaligen Freunden, Kollegen, Vorgesetzten,
Mitinhaftierten etc. führten und in den ich Einblick hatte, ist kein
einziges negatives Wort über Heil zu finden. Im Gegenteil: Alle
sprechen sich für Carl Heil aus, den sie ausnahmslos als menschlich
makellos, künstlerisch talentiert und gesellschaftlich wie politisch
agil beschreiben. Letztlich wird also auch hier die subjektive
Wahrnehmung der Akteure und ihrer Beziehungen zu Heil deutlich. Auf
Heils wahrscheinliche Überzeugungen gehe ich ausführlicher im folgenden
Kapitel ein.
Einschränkend anzumerken sei hier noch, dass sich im Historischen
Archiv des WDR ein Bericht des Sprechers der Werag, Albert Oettershagen
befand, der sich klar negativ über Heil äußerte. Allerdings ist der
gesamte Bericht, wie vom Historischen Archiv selbst vermerkt: „stark
subjektiv, teilweise abfällig und verletzend“, und das nicht nur in
Bezug auf Heil, sondern in Bezug auf alle seine ehemaligen Kollegen:
Rudolf Rieth, Cläre Hansen, Helene Guermanova, etc. Ich halte es nicht
für sachdienlich, ihn hier zu zitieren, weil er neben seiner
selbstgefälligen Darstellung an diversen Stellen eindeutig inhaltliche
Fehler begeht. So spricht er etwa von Heil als von einem „Jude[n]“.
68 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 166.
69 So der Bericht von Albert Camet und René Morel, die aus dem
Transport gefangener Kranker fliehen konnten (Brès 1994, S. 168).
70 Scherer in: Berliner Morgenpost (1967-10-8), S. 55.
71 Es handelt sich um einen Brief an den NWDR vom November 1955, in
dem er um eine „laufende Unterstützung“ bittet. Es ist interessant,
dass weder im Interview mit Brès noch in dem mit Roussel kritische
Worte Heils hinsichtlich seiner Tätigkeit am französischen Rundfunk
nach dem Kriege erscheinen. Haben diese entsprechende Passagen
weggelassen, oder war Heil vielleicht zu dezent, als dass er vor
Franzosen ihren Rundfunk schlecht machen bzw. sich über die Tätigkeit
an eben diesem beschweren wollte?
72 Ich habe im Archiv des WDR nur eine Bestätigung dafür gefunden,
daß Heil eine einmalige Wiedergutmachung von DM 15.000,- bekommen hat,
der Antwortbrief auf die Frage nach einer laufenden Unterstützung
allerdings ist der Akte nicht beigelegt.
73 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 174 ff.
74 Brès 1994, S. 178.
75 So war es Marcel Marceau, der Heil, als dieser sich wegen
Wirbelsäulenschmerzen an ihn wandte und nach einem Doktor in Paris
fragte, seine Hausärztin empfahl. Diese überwies ihn an einen
Spezialisten, der Parkinson diagnostizierte (siehe Brès 1994, S. 180).
76 Scherer in: Berliner Morgenpost 69(1967-10-8), S. 55.
77 Ebenda.
78 Siehe Roussel-Interview mit Heil 1983, S. 3.
79 Schiller-Lerg 1984, S. 341.
80 Ebenda.
81 Dies erwähnt auch Marie-Luise Scherer in ihrem Artikel über
Heil: „Festwochen locken ihn nach Berlin“ in der Berliner Morgenpost
69(1967-10-8), S. 55. 82 Dieses Datum findet sich auch bei Palmier (in: Brès 1994, S.
16). Schiller-Lerg hingegen gibt den 18. November als Sterbedatum an
(Schiller-Lerg 1984, S. 342).
83 Charles Ford über Carl Heil, zitiert nach: Brès 1994, S. 179.
84 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 26.
85 Dieser Ehrgeiz hatte Heil nach eigener Aussage zum Schreiben seiner Dissertation veranlasst (siehe Brès 1994, S. 51).
86 Der schrieb unter anderem das Lustspiel in drei Akten: Ausflug
in die große Welt (Berlin 1937) und, zusammen mit Heinz Edelmann, Stube
17, ein Volksstück aus dem Kriege in vier Bildern (Berlin 1940).
87 Palmier in: Brès 1994, S. 11.
88 Brès 1994, S. 40.
89 Über das Kennenlernen zwischen Wolf und Heil steht bei Brès:
„Ihr Treffen fand am Radio in Köln statt, wo Friedrich Wolf hinkam, um
seine kommunistischen Kameraden zu treffen: sie haben ihm Carl Heil
vorgestellt, der ihren Ideen sehr nahe stand, ohne allerdings Mitglied
der Partei zu sein.“ (Brès 1994, S.43.) Diese Aussage ist unklar
formuliert, denn welche kommunistischen Kameraden gab es schon am
Kölner Sender zu treffen? Obwohl vom Überwachungsausschuss verboten,
beschäftigte die Werag trotzdem Parteikommunisten, wie etwa Alexander
Maass, oder ehemalige Parteimitglieder wie Hans Stein. 90 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 52.
91 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 52 f.
92 Siehe dazu Brès 1994, 56 f.
93 Vgl. Brès 1994, S. 56.
94 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 66. Wobei sich hier natürlich
die Frage stellt, ob Heil überhaupt in Elberfeld, geschweige denn als
Lehrer an einer Schule, hätte bleiben können: er war bereits zu
bekannt, so dass die Nazis ihn bald ausfindig gemacht hätten. Die
Überzeugung, aus politischen Gründen auszuwandern, beinhaltet also auf
jeden Fall auch das Wissen um ein schweres zukünftiges Schicksal bei
einem Verbleib in Deutschland.
95 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 54.
96 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 162.
97 Braun in: Dichtung und Rundfunk. Reden und Gegenreden.
Verhandlungsniederschrift der Arbeitstagung „Dichtung und Rundfunk“ in
Kassel-Wilhelmshöhe am 30. September und 1. Oktober 1929. Berlin, 1929.
S. 77.
98 So bestätigen Herr und Frau Brès, dass Heil ein „Regisseur und
Spezialist der Geräuschkulisse in unzähligen gesprochenen und
musikalischen Stücken der Werag“ war (Brès 1994, S. 49).
99 Das genaue Datum ist in der Zusammenstellung verschiedener
Artikel, die sich im HA WDR befindet, nicht vermerkt, es handelt sich
allerdings um einen „Rückblick auf das Wochenprogramm vom 24. bis 31.
Aug. 1932“. 100 Dortmunder Generalanzeiger vom 11.09.1932. Dass die
Einschätzung so ganz falsch nicht sein kann, belegt Heil selbst, indem
er in seinem Wiedergutmachungsantrag an den NWDR schreibt: „Nach meiner
Entlassung sind Sendungen und Sendereihen, die z.B. große
Montageansprüche stellten, aus Mangel an einem geeigneten Nachfolger
abgesetzt worden.“ 101 Vgl. Brès 1994, S. 46.
102 Dortmunder Generalanzeiger vom 11.09.1932.
103 Siehe ebenda.
104 Der Name mag verwirren: Neben dem Sender Werag trug außerdem
die diesen Sender illustrierende Programmzeitschrift den Namen. Sie
erschien wöchentlich und enthielt außer der Ankündigung des Programms
Hintergrundinformationen etwa über einzelne Personen am Sender, über
bestimmte Herstellungsverfahren von Sendungen, über Neuigkeiten des
Mediums Radio oder über gesellschaftliche Ereignisse, die in den
Sendungen verhandelt wurden (sportlicher, künstlerischer sowie
politischer Natur).
105 Es gibt diverseste Bezeichnungen für das Drama im Radio. So
fand ich in der Werag unter den Ankündigungen Begriffe wie: Hörspiel,
Märchenspiel, Lehrspiel, Hörbild, Schelmenstück, Spiel für den
Rundfunk, ironisches Kurzstück, Kasperlspiel. Im folgenden werde ich
die Gattungsbezeichnung Hör- bzw. Sendespiel als Überbegriff für all
seine Ausprägungen verwenden und nicht jedesmal im einzelnen
differenzieren. 106 Insofern warnte Heil auch Frau Rossbach vor der horrenden
Arbeit, die sie bei dem Vorhaben erwarte, die Werag-Bände kritisch zu
sichten: „Heiß wird es Ihnen, selbst an eisigkalten Tagen, werden - das
kann ich Ihnen [...] kühn voraussagen - , wenn Sie sich an die
Verwertung des WERAG-Materials machen. So viel kritische Untersuchung,
so viele Ergänzungen und Erläuterungen verlangt es, soll ein
einigermaßen wirklichkeitsnahes Bild jener schöpferischen Jahre
entstehen, sollen Programmangaben nicht bloße, vieldeutbare Begriffe
bleiben, sondern klare, konkrete Inhalte bekommen. Eine Heidenarbeit!“
Carl Heil im Brief an Frau Dr. Rossbach am 05.08.1967.
107 Carl Heil im Brief an Frau Dr. Rossbach am 05.08.1967.
108 So spielt er etwa am 14.03.1929 den Sklaven in Kalif Storch
[Werag, 4(1929)10, S. 15], am 04.07.1929 den Priester in Hamlet [Werag,
4(1929)26, S. 17], eine der Stimmen in Lenzens Soldaten am 01.10.1929
[Werag, 4(1929)39, S. 13 f.], den Zeitungsverkäufer in der Mordaffäre
Duppler von Auditor am 26.07.1929 [Werag, 4(1929)29, S. 18] oder den
Anführer der Wachen in der Entführung aus dem Serail am 14.07.1929
[Werag, 4(1929)28, S. 10].
109 Da sich Heil selbst nicht zu dieser Tätigkeit geäußert hat,
ist es vorstellbar, dass er hier eher eine stimmlich unterstützende
Funktion einnahm, als dass er selbst längere Partien gesungen hat. Im
Interview mit Roussel erzählt er, er habe auch für einige Opern die
„akustische Kulisse“ arrangiert (siehe Roussel-Interview mit Heil 1983,
S. 4, der Ausdruck wird im Interview selbst auf deutsch verwendet ).
110 Wobei selbst der Regisseur in der Werag nicht immer genannt
wird; folglich kann Heil bei Hörspielen Regie geführt haben, aber
dennoch nicht im Programm aufgeführt worden sein. 111 Frank Warschauer bringt den entscheidenden Unterschied
schlicht auf den Punkt: „Nie gab es dies: ein unsichtbares Theater. Nie
gab es dies: den Schauspieler, der nicht geschaut werden kann.“
(Warschauer. Schauspieler und Sprechspieler. In: Funkköpfe. 46
literarische Porträts. Berlin 1927, S. 52 ff. Zitiert nach: Rundfunk
und Geschichte [RuG] 27(2001)1/2, S.36.)
112 So stellt Rudolf Rieth beispielsweise im Jahre 1929 in
unregelmäßigen Abständen, aber ungefähr einmal wöchentlich, in seiner
Lesestunde Sequenzen aus Gottfried Kellers Werk vor [Siehe etwa Werag,
4(1929)4, S. 9 ].
113 Heil: „Ich sollte also einen neuen Beruf erlernen, der nichts
mit dem Theater zu tun hatte.“ (Brès 1994, S. 34.) Heil spricht hier im
Original von „métier“, was sowohl Beruf, als auch Tätigkeit, Handwerk
oder Beschäftigung bedeuten kann.
114 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 35.
115 Werag 7(1932)28, S. 81.
116 Werag 7(1932)28, S. 83.
117 Werag 7(1932)30, S. 160.
118 Ebenda. Wie in diesem Zitat auch, wird Heils Vorname oft mit K
statt mit C geschrieben. Bezeichnenderweise geschieht das in der
Programmzeitschrift Werag hauptsächlich bei Ankündigungen seiner
Mitwirkung in musikalischen Stücken. Ist diese Fahrlässigkeit, daß die
Personen seinen Namen falsch schrieben, auf die nur geringe Anwesenheit
Heils in dieser Abteilung zurückzuführen?
119 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 49.
120 Inszenierung vom 29.07.1932 [Siehe Werag 7(1932)30, S. 177].
121 Siehe Brès 1994, S. 44.
122 Mit inhaltlicher Hinsicht meine ich, dass durch die Art der
Betonung, der Rollenverteilung, sowie durch Streichungen, Heil hier
möglicherweise eigene Aussagen in den Stücken transportieren konnte.
Über den Auswahlprozess der Stücke, mögliche eigene Vorschläge
seinerseits, bzw. deren Ablehnung durch Hardt oder den
Überwachungsausschuss, ist leider nichts bekannt. 123 So Rudolf Rieths Urteil in der Dienstbescheinigung, die er Heil bei dessen Entlassung am 31.03.1933 ausstellte.
124 Inszenierung vom 26.03.1932 [Siehe Werag 7(1932)12, S. 533].
125 Inszenierung vom 05.02.1932 [Siehe Werag 7(1932)5, S. 193].
126 Inszenierung vom 09.04.1932 [Siehe Werag 7(1932)14, S. 39].
127 Die Titel für Sendungen dieser Zielgruppen heißen hingegen „Wir
basteln aus Erbsen und Bohnen einen Hühnerhof“ [Werag 4(1929)17, S.
15], „Püppchen hat Geburtstag“ [Werag 4(1929)35, S. 9], oder auch „Wir
zeichnen und malen Negerköpfe“ [Werag 4(1929)23, S. 11].
128 Siehe Werag 7(1932)34, S. 371.
129 Dortmunder Generalanzeiger, Datum unbekannt, wohl 01.09.1932.
130 Inszenierung vom 10.02.1933 [Siehe Werag 8(1932)6, S. 35].
131 Inszenierung vom 05.01.1933 [Siehe Werag 8(1932)1, S. 31].
132 Historisches Archiv des Westdeutschen Rundfunks [HA WDR], D 498.
133 „Damit sich ein Same der Menschheit rette/ Besetzt Fatuonia,
die Raumrakete!/ Sie wird vermittels von Pulver und Flossen/
Parabolisch auf den Mond geschossen:/ Dort mag, indes wir hier
untergehn,/ Eine neue Menschheit entstehn“.
134 „Gott wollt nicht, dass wir auf Erden/ Des letzten Trostes
ohne werden:/ Drum liess er unsre lieben Narren/ Nicht des Weges zum
Monde karren“. 135 So in Max Ophüls „lustigem Hörspiel“ Fips und Stips auf der
Weltreise in der Inszenierung vom 03.11.1930 [Siehe Werag 5(1930)44, S.
139].
136 Beispielsweise am 28.05.1928 Im Weissen Röss’l, wo er den Kellner Franz spielt [Siehe Werag 3(1928)22, S. 10].
137 So etwa am 21.10.1928 in Der Freischütz [Siehe Werag 3(1928)43, S. 10].
138 Inszenierung vom 25.01.1932 [Siehe Werag 7(1932)4, S. 135].
139 Inszenierung vom 18.02.1932 [Siehe Werag 7(1932)7, S. 287].
140 Inszenierung vom 16.12.1930 [Siehe Werag 5(1930)50, S. 331].
141 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 46. Heil spricht hier von
seiner Tätigkeit an der Werag, obwohl er den heutigen Namen des Kölner
Senders verwendet.
142 Eine erste Phase von Beginn des Sendespiels bis etwa 1927, in
der es noch kaum originäre Hörspiele gab, eine zweite von 1927 bis
1930, der progressivsten Phase des Weimarer Hörspiels sowie eine dritte
Phase, die bis zu Hitlers Machtergreifung reicht und in der die
repressive Tätigkeit der Überwachungsausschüsse sozialkritische
Elemente aus den Hörspielen weitestgehend verbannte.
143 So konnte er etwa zusammen mit Rieth S.O.S. in Paris zu einer
Zeit aufführen, in der das Stück in Deutschland bereits verboten war.
144 Siehe ebenda.
145 Siehe ebenda.
146 Siehe ebenda.
147 Siehe Werag 7(1932)43, S. 23.
148 Inszenierung vom 22.07.1932 [Werag 7(1932)29, S. 131].
149 Siehe ebenda.
150 Brès 1994, S. 34.
151 Stadt-Anzeiger für Köln und Umgebung vom 13.01.1933.
152 Stadt-Anzeiger für Köln und Umgebung vom 13.01.1933.
153 Dortmunder Generalanzeiger vom 11.09.1932.
154 Auf diesen Aspekt werde ich ausführlicher im Zusammenhang mit der Radau um Kasperl-Inszenierung eingehen.
155 Brès 1994, S. 178 f.
156 Brief von Heil an Frau Dr. Rossbach vom 05.08.1967.
157 Zu dieser Einschätzung kommt das Kölner Tageblatt am 12.03.1932
hinsichtlich der Inszenierung von Der Maharadschah von Haidarabad am
11.03.1932.
158 So die Kölnische Zeitung, Nr. 11, hinsichtlich des gleichen Stückes.
159 Das Kölner Tageblatt am 18.11.1932 anlässlich der Inszenierung
von Elwenspoeks Hörbild: Der letzte Kaiser von Mexiko am 17.11.1932.
160 Zitiert nach Brès 1994, S. 49 f.
161 Brès 1994, S. 37.
162 Dass sich der Aufnahmeprozess von Geräuschen generell als
äußerst mühevoll erwies, zeigt auch Heils Erzählung, die davon
berichtet, dass er im Auftrag Ernst Hardts für dessen Inszenierung des
Hörspiels Ein Mann erklärt einer Fliege den Krieg von Wilhelm
Schmidtbonn in den Kölner Zoo fuhr, um Urwaldstimmen aufzunehmen.
„Welch Urwaldohrenschmaus bei der Ankunft: Die Elefanten trompeteten,
als hätten sie ein Dutzend ,Afrika spricht‘-Filme zu synchronisieren.“
Als sie jedoch, nachdem alle anderen Tiere aufgenommen waren, endlich
auch ihren Auftritt haben sollten, seien alle Dickhäuter, bis auf „ein
massiges Weibchen, dem sich ein stattliches Elefantenbaby unter den
Bauch geklemmt hatte“, bereits in das Elefantenhaus gegangen. Da das
Weibchen keine Geräusche von sich geben wollte, versuchten die
Radioleute alles mögliche, um dem Tier verwertbare Laute zu entlocken.
Sie schienen es mit ihren Animationsversuchen zu stören, denn
irgendwann habe sich das Tier unvermittelt umgedreht, um ins schützende
Haus zu gelangen. Beim Versuch, Mutter und Kind davon abzuhalten,
klemmte ein Wärter das Weibchen aus Versehen in der Tür ein: Und „höre
da: anderthalb Trompetenstöße! Nicht gerade üppig als Ergebnis von
mindestens eineinhalbstündigen Bemühungen, aber immerhin etwas;
vorausgesetzt, dass die Dagobertstraße im entscheidenden Augenblick
noch mitgeschnitten hatte. Das Glück war uns günstig. Die Schreckens-
oder Schmerzensschreie [...] waren in Wachs gegraben. Man bedenke: auf
einer ganzen Platte nichts als das. Außerdem waren mehrere Wachsplatten
in Erwartung des unberechenbaren akustischen Ereignisses nutzlos vertan
worden. [...] Auf jeden Fall hatte ich ein weiteres - wenn auch
winziges - Element, mit dem ich bei der Direkt-Montage zaubern konnte.“
[Es verwundert, dass Heil diese so mühevoll und kostenintensiv
aufgenommenen Tiergeräusche nicht nochmals für seine Radau um
Kasperl-Inszenierung verwertete, sondern statt dessen unecht klingende
Imitationen anfertigte (siehe Radau um Kasperl. Hörspiel für Kinder,
zwei Szenenausschnitte. Deutsches Rundfunkarchiv [DRA], DRA-Nr.
52.12453, Archivnummer 2782367).]
163 Ich halte mich bei der Beschreibung dieser Inszenierung an die
(unveröffentlichte) Hausarbeit von Jette Röltgen. Sie diskutiert in
ihrer Arbeit außerdem das kritische Potential des Stückes und
vergleicht die beiden Inszenierungen miteinander.
164 Röltgen, Jette. Walter Benjamins Hörspiel „Radau um Kasperl“.
Kasperl und der Rundfunk. Eine Geschichte mit Lärm. Hausarbeit
(unveröff.). Berlin, 2002. S. 8.
165 Röltgen 2002, S. 13 f.
166 Brès 1994, S. 48.
167 L’Antenne. 7(1931)411. S. 36.
168 Hinsichtlich seines Vornamen, wohl auch seiner Identität,
besteht Uneinigkeit: So ist in der Radiozeitschrift L’Antenne vom
25.01.1931 zu lesen, daß die Übersetzung von einem „M. J. Denis“
vorgenommen wurde - M. steht hier höchstwahrscheinlich für Monsieur
[L’Antenne. 7(1931)411, S. 37]. In der gleichen Zeitschrift ist
allerdings zwei Wochen später zu lesen: „Das Stück wurde von M. M.
Denis übersetzt- der nicht M. M. Denis, Autor von ,Maître des Ames‘
ist.“ (Auch hier steht wohl wieder das erste M. für Monsieur. Richtig
übersetzt hieße es also in diesem Fall „Herr M. Denis“ [L’Antenne.
7(1931)409, S. 36]. Dennoch scheint der Vorname einmal mit J, ein
anderes Mal mit M zu beginnen.
169 Wolf, Friedrich. Hörspiele. Laienspiele. Szenen. GW in sechzehn Bänden. Bd. 7. Berlin/Weimar, 1965. S. 28.
170 Wolf 1965, S. 9.
171 May, Rainhard. S.O.S., RAO ... RAO, Foyn – „Krassin“ rettet
„Italia“ – Die mediale Urform und der Bogenschuss in Preußens medialer
Öffentlichkeit (Ein Zwischenbericht). In: Einspruch. Mitteilungen der
Mitglieder und Freunde der Friedrich-Wolf-Gesellschaft e.V. 8(2001), S.
46.
172 Wobei ich hier Mays Überlegung interessant finde, dass nämlich
Wolf selbst die funktechnischen Aspekte seines Hörspiels nicht zur
genüge logisch durchdacht hat (siehe dazu May 2001, S. 47).
173 Pongs, Hermann. Das Hörspiel. Stuttgart, 1930. S. 24.
174 „[...] funkisch ist es, weil die dramatische Aktion wesentlich
durch Funkspruch vor sich geht durch die funkgetragene Stimme; funkisch
ist es durch das darin verwirklichte Ethos einer menschlichen
Kollektivität, einer weltweiten Hilfsbereitschaft.“ (Pongs 1930, S. 23
f.)
175 Nämlich am 05.11.1929 in der Funk-Stunde Berlin (siehe May 2001, S. 46).
176 May 2001, S. 46.
177 Siehe dazu Werag 4(1929)44, S. 19.
178 Der Sender gehörte zur Compagnie Française de Radiophonie. Heil
sagt im Interview, daß dieser Sender hauptsächlich Werbung, Konzerte
und Hörspiele anbot (siehe Brès 1994, S. 44).
179 Pressedienst. In: Stiftung Archiv Akademie der Künste [SadK], Friedrich-Wolf-Archiv [FWA], M 190 (2), 2.
180 Brief vom 15.10.1930. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
181 Rieth widerspricht hier Heil: Er schreibt im Februar 1931 an
Friedrich Wolf, dass sie „4 lange Proben“ hatten (Brief vom 02.02.1931.
In: SAdK, FWA M 190 (2), 3), während Heil von zehn Proben spricht.
Angesichts der Jahre, die zwischen der Pariser Inszenierung und Heils
Interview liegen, denke ich, dass man sich in diesem Fall an die noch
frische Erinnerung Rieths in seinem Brief an Wolf halten sollte.
182 Brief von Rieth an Wolf am 02.02.1931. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
183 Siehe Brès 1994, S. 45.
184 Brief von Rieth an Wolf am 02.02.1931. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
185 Pressedienst im Februar 1931. In: SAdK, FWA M 193 (2), 2.
186 Hier also findet sich erneut ein Widerspruch zwischen Heils und
Rieths Darstellung. Soll man, weil doch Heil selbst für die Geräusche
zuständig war, nun seiner Version Glauben schenken? Ich tendiere dazu.
187 Brief von Rieth an Wolf vom 02.02.1931. In: SAdK, FWA M 190 (2), 3.
188 So schreibt Rudolf Rieth an Friedrich Wolf nach der Aufführung:
„[...] die Tatsache, dass zum ersten Mal in einem französischen Sender
die Internationale gespielt wurde, [...] erregte nicht geringes Staunen
bei den Kollegen.“ (In: SAdK, FWA M 190 (2), 3).
189 Ohr und Antenne. Rundfunkkritik der Woche. In: SAdK, FWA 190 (2), 2.
190 Ebenda.
191 L’Humanité 4(1931)4, S. 5.
192 Gringoire 3(1931)7, S. 2. Es ist angesichts einer solchen
Kritik besonders schade, daß kein Regiebuch mehr, geschweige denn eine
Aufzeichnung der Inszenierung existiert. 193 Hier besteht wohl ein Fehler, da die Musik von Kneip, nicht von Radio-Paris arrangiert wurde.
194 L’Humanité 4(1931)4, S. 4.
195 Ebenda.
196 Ebenda.
197 L’Antenne. 7(1931)411, S. 36.
198 Siehe La Parole Libre 10(1931)145. S. 1.
199 L’ami du peuple du soir (1931-02-01), S. 6.
200 La Parole Libre. 10(1931)145. S. 1.
201 Siehe ebenda.
202 Gringoire 3(1931)7, S. 2.
203 L’Antenne. 7(1931)411. S. 36.
204 L’ami du peuple du soir (1931-02-01), S. 6.
205 Palmier in: Brès 1994, S. 13.
206 Heil zitiert nach: Brès 1994, S.49 f.
207 Ebenda.
208 Hörburger, Christian. Das Hörspiel der Weimarer Republik. Versuch einer kritischen Analyse. Stuttgart, 1975. S. 311.
209 Vergleichbar in ihrem sozialen Engagement.
210 Röltgen 2002, S. 4.
211 Brès 1994, S. 46.
212 Palmier in: Brès 1994, S. 12.
213 Ernst Hardt in: Werag 7(1932)2, S. 43.
214 Siehe Dahl, Peter. Arbeitersender und Volksempfänger.
Proletarische Radio-Bewegung und bürgerlicher Rundfunk bis 1945.
Frankfurt am Main, 1978. S. 89. 215 Dieser Wunsch lässt sich auch aus folgendem Ausspruch Hardts
ersehen: „Es hieße aber den Weltlauf verkennen, wollte man nicht
einsehen, dass die Form einer zukünftigen Gesellschaft, die aus dem
Spannungsausgleich zwischen heutigem Bürgertum und heutiger
Arbeiterschaft entstehen wird, wesentlich bedingt sein muss von der
seelischen Weite und kulturellen Reife eben dieser Arbeiterschaft.“
(Rundfunkjahrbuch 1929, S. 232.) Dahl dazu: „Der Westdeutsche Rundfunk
hat in seiner Stunde des Arbeiters sich bemüht - und ich glaube mit
Erfolg sich bemüht - dem Menschlichen des Arbeiters nach bestem
Einfühlungsvermögen jenseits aller Politik mit seelhaften Werten
gegenüberzustehen. Stunde des Arbeiters, das hieß zum Beispiel: 64
Wochen hintereinander jeden Sonntag Eine Doppelstunde Goethe, oder, von
Hardt persönlich, als Beitrag zur Arbeiterbildung, sechs Folgen Was ist
ein Kunstwerk?“ (Dahl 1978, S. 89 f.)
216 Ernst Hardt in: Werag 7(1932)2, S. 43.
217 Kästner, Erich. Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. München, 1994. S. 54.
218 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 50.
219 Ebenda.
220 Brief vom 01.05.1931. Zitiert nach Groth, Peter. Hörspiele und
Hörspieltheorien sozialkritischer Schriftsteller in der Weimarer
Republik. Studien zum Verhältnis von Rundfunk und Literatur. Berlin,
1980. S. 149.
221 Die unterschiedliche Programmgestaltung im März und April des
Jahres 1933 ist frappierend. Zu Beginn des Monats März wird in der
Zeitschrift noch das reguläre Werag-Programm angekündigt. Am 02.04.33
beginnt die allabendliche Reichssendung „Stunde der Nation“, fünf Tage
später wird vom Südfunk in Stuttgart Hitlers Rede „Dem Kämpfer um das
neue Deutschland“ übernommen, die vom nationalsozialistischen
Männerchor untermalt wird. Zu Hitlers Geburtstag am 20.04.33 folgt
einer „Schulfunkfeierstunde aus Anlass seines Geburtstages“, zwanzig
Minuten später die Sendung Mensch und Welt mit dem Thema: „Zu Hitlers
Geburtstag“. An die Lesung aus Hitlers „Mein Kampf“ schließt sich die
„völkische Erneuerung: eine westdeutsche Feier“ an [Siehe Werag
8(1933)14/16]. Die nächste Titelseite der Werag-Ausgabe ziert bereits
der neue kommissarische Intendant: Dr. Heinrich Glasmeier. In der Werag
steht dazu: „Als Kavallerist hat Dr. Glasmeier, namentlich im ersten
Kriegsjahr, manche Attacke geritten. Er wird sie auch als
Rundfunkintendant zu reiten wissen, wenn es gilt, die Grundbegriffe des
neuen Wollens, Blut, Volk und Scholle, in die Herzen der Hörer zu
pflanzen.“ [Werag 8(1933)17, S. 1/2.]
222 Heil zitiert nach: Brès 1994, S. 50.
223 So äußert beispielsweise ein Bewohner des Hauses angesichts der
Bemühungen der Feuerwehr, eine Familie zu retten, die aus finanzieller
Not im Begriff war, sich in ihrer Wohnung mit Gas zu vergiften: „Was
sich jetzt so allit um een bekimmert. Wenn man verhungert, kreht keen
Hahn nach einem.“ (Pijet 1931 in: Würffel, Stefan Bodo (Hrsg.). Frühe
sozialistische Hörspiele. Frankfurt, 1982. S. 139.) Zusätzlich zu der
ungeschönten Darstellung der Zustände wollte Pijet sein Stück mit der
Internationalen enden lassen. Es ist unklar, ob er das Stück mit diesem
Schluss bei der Werag einreichte, zumindest aber schrieb Wolf im Juli
1930 an Pijet: „Der Ausklang in die Internationale ist m.E. etwas
gewaltsam. Ich weiß, wir verlangen für uns heute einen
vorwärtsweisenden, positiven Abschluss ... keine bloße Elendsdramatik.
aber die andere Gefahr ist, dass solche ,Aktschlüsse‘ leicht ,Walze‘
werden und dann grade nicht mehr wirken.“ (Wolf, Friedrich. An Gen.
Pijet, Berlin. In: Briefe. Eine Auswahl. Berlin, 1958. S 114.)
224 Hörburger 1975, S. 56 f.
225 Hardt in: Rundfunkjahrbuch 1929, S. 227.
226 Hardt in: Rundfunkjahrbuch 1929, S. 227.
227 „Wie ein Pazifist, der links wählt“. So lautet Heils Antwort
auf die Frage des Ehepaars Brès, wie er sich politisch in den dreißiger
Jahren definiert habe (Brès 1994, S.57).
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