Text | Kulturation 2/2008 | Ina Dietzsch | Zusammen sind wir super!
Die SuperIllu – ein neues Medium jenseits neuer Medien?
| Zusammen sind wir super!
Die SuperIllu – ein neues Medium jenseits neuer Medien? [1]
Dieser Text untersucht die SuperIllu als ein Medium, das sich
selbst als eines der wenigen versteht, die sich den Themen und Belangen
der Menschen im Osten Deutschlands widmen, und er geht der Frage nach,
inwieweit mit ihr ein diskursiver Raum für Kritik im Sinne einer
Gegenöffentlichkeit eröffnet wird.
In der Euphorie, die sog. neuen Medien zu untersuchen, wird m. E.
das Zeitungs- und Zeitschriftenlesen unterschätzt. Auch wenn viele
Printmedien abnehmende Umsatzzahlen verzeichnen hat die BILD-Zeitung,
so wird vom Unternehmen selbst geschätzt, täglich etwa 10 Millionen
Leser [2], das Informationsblatt für Fachhändler für Zeitungen und
Zeitschriften hat eine Auflage von 31.000 und gerade bin ich in
Wittenberge auf einen Zeitungsladen gestoßen, der 1700 verschiedene
Titel führt. Das Lesen von Zeitungen ist nach wie vor eine wichtige
Alltagspraxis, über die in modernen Gesellschaften Zugehörigkeiten
hergestellt werden, um die sich Sozialität und Alltagspraxen
organisieren und in der sich Bilder von Gesellschaft (re-)produzieren.
Am Beginn meiner ethnografischen Forschung zum Zeitungsmarkt habe
ich in einem Berliner Zeitungsladen eine Woche lang das
Verkaufsgeschehen teilnehmend beobachtet. Weil Zeitungsverkauf allein
sich nicht lohnt, werden hier außerdem Brötchen und Kaffee angeboten
sowie Lotto, Süßigkeiten und ein breites Sortiment an Zigaretten. Damit
hat der Laden die typische Mischung, in der Zeitungen und Zeitschriften
üblicherweise verkauft werden – ein Kiezladen mit täglicher
Stammkundschaft. Drei Beobachtungen aus dieser ersten Feldphase sind
dabei besonders bemerkenswert. Erstens die Verlängerung der
allmorgendlichen Routinen aus der privaten Wohnung in den Laden hinein:
Hier wird gefrühstückt – in der Regel immer das Gleiche. Hier wird die
morgendliche Zeitung gekauft – auch immer die gleiche. Und dies in der
Regel jeden Tag etwa zur gleichen Zeit. Zweitens fällt auf, wie in
dieser Art von Kiezladen die Kinder der erwachsenen Kunden bereits in
den Gebrauch von Geld und nebenbei auch in den Zeitungsmarkt hinein
sozialisiert werden, indem sie z.B. von ihren Eltern angehalten werden,
das Geld hinzureichen oder sich eine Kinderzeitschrift aus dem riesigen
Angebot auszusuchen, aus dem jedes einzelne Heft mit besonderer
Aufmachung versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Nicht nur das Lesen
sondern auch das Kaufen von Zeitungen ist also offensichtlich ein
alltagskulturell bedeutsamer Akt, der u. a. in die Wohnumgebung und
Nachbarschaft integriert und zugleich Marktverhalten einübt. Drittens
haben mich meine Beobachtungen das Zeitungsregal völlig neu verstehen
lassen – als eine Wissensordnung, in der sich verschiedene Formen von
Öffentlichkeit und ihre Positionierungen zueinander zeigen: Zeitungen
und Zeitschriften in einem Regal sind nicht zufällig angeordnet,
sondern sie folgen einem elaborierten Ordnungsprinzip. Ein sog.
Belegungsschema, dass die Vertriebe den Händlern beratend zu Verfügung
stellen, führt dazu, dass in einer quasi europaweiten Standardisierung
Zeitungen und Zeitschriften in den Regalen nach bestimmten Kriterien
geordnet werden, die den Blick kanalisieren und Impulskäufe anregen
sollen. „Umsatzsteigerung durch Präsentationsoptimierung“ heißt das
Grundprinzip – also die Vielfalt vor allem übersichtlich
präsentieren.[3]
Belegungsschema für ein mittelgroßes Angebot (alle Repros: DPOM)
Dieses Grundprinzip behandelt zunächst noch alle Waren gleich und hat
vor allem die Funktion, „das üppige Angebot“ in Tableauform
überschaubar zu machen.[4] Damit repräsentiert das Zeitungsregal einen
typischen Ausschnitt aus der modernen Alltagswelt: Komplexität und
einen Versuch ihrer Reduktion.
Gleichzeitig ist das Zeitungsregal ein machtvolles,
hierarchisierendes Ordnungsmodell für Wissen, denn die Positionierung
der einzelnen Zeitschriften entscheidet auch über deren Sichtbarkeit
bzw. Präsenz im öffentlichen Raum gegenüber anderen. Verschiedene
Faktoren sind an der Entscheidung darüber beteiligt, was überhaupt ins
Regal kommt und was nicht. Um nur kurz einige zu nennen: das
Remissionssystem und damit indirekt verbunden das Kaufverhalten [5] der
Kundschaft und deren soziale Mischung, aber auch die Raumgröße des
Ladens, die individuellen Vorstellungen des Händlers von einem guten
Sortiment sowie seine finanziellen Möglichkeiten usw. Bei der
Positionierung der einzelnen Produkte finden sich dann zudem z.B. die
Blick- oder Greifhöhe potentieller Kunden berücksichtigt (nach dem
Mechanismus Männer sind größer, Kinderzeitschriften müssen weit unten
liegen, um zugänglich zu sein usw.). Außerdem folgt das Belegungsschema
in seinen Kategorisierungen vertrauten Mustern, nach denen sich Wissen
in modernen Gesellschaften machtvoll strukturiert und es reproduziert
diese damit zugleich. Ein Subordnungsprinzip stellt dabei
erwartungsgemäß die Geschlechterdifferenz dar. Jedes Zeitungsregal hat
Frauenzeitschriften und eine Männerecke – in Deutschland als Erotik,
Motor, Sport, Computer-Ecke unterschieden, in anderen europäischen
Ländern explizit als Männersache benannt. [6] In der Betrachtung des
Zeitschriftenregals als Wissensordnung lässt sich also auch etwas
verstehen, über die (nicht- nur marktgesteuerten) Selektionsprozesse,
die mit darüber entscheiden, was entgegen der Fiktion bürgerlicher
Öffentlichkeit, nicht für jeden und zu jeder Zeit zugänglich ist und
darüber, wie sich einige der Selektionsmechanismen auf besondere Weise
stabilisieren.
Umgesetztes Belegungsschema
Trotz solcher Modell-Vorgaben wie dem Belegungsschema und trotz des
automatisierten Rücklaufsystems, das den Händlern die Bestellungen
weitestgehend aus der Hand nimmt, verfügen die Einzelhändler noch über
einigen Spielraum in diesem Aufmerksamkeitsmanagement: Sie können das
Modell-System stützen oder unterlaufen, je nachdem, wie sie selbst über
die konkrete Platzierung der einzelnen Zeitschriften entscheiden.
Besonders sichtbar wird dieser Handlungsspielraum, wenn man
verschiedene Zeitungs- und Zeitschriftenläden daraufhin vergleicht, ob
sie rechte Tageszeitungen und indizierte bzw. pornografische
Zeitschriften im Angebot haben und wo sie diese platzieren. Meine
Gespräche haben gezeigt, dass dies sehr abhängig von der persönlichen
Haltung der Ladeninhaber sowie ihrer Verkaufsmoral ist. Sie ziehen so
auch individuell Grenzen des Sortiments, wenn sie aus moralischen
Gründen die Nationalzeitung bzw. die sog. FFK-Heftchen nicht verkaufen.
Händler und Vertriebe befinden sich also in permanenter Aushandlung
über das Sortiment.
Die auf diese Weise von verschiedenen Akteuren produzierte und
reproduzierte Wissensordnung des Regals (einschließlich ihrer Grenzen)
schließt zugleich an die Alltagsroutinen der Käufer und Käuferinnen an.
Sie bietet verlässliche Platzierungen und führt dazu, dass z.B. TV- und
Tageszeitungen so positioniert sind, dass man sie blind greifen kann.
Mit dieser körperlichen Praxis des quasi blinden Zugreifens geht die
Wissensordnung damit in die Selbstverständlichkeit von Alltagroutinen
ein und wird ein weiteres Mal unhinterfragt (ungesehen) reproduziert.
Die zweite Frage, die nach dem Status der SUPERIllu in dieser
Wissensordnung, möchte ich mit der Diskussion darüber verbinden, welche
Form von Öffentlichkeit sie repräsentiert. Bürgerliche Konzepte von der
öffentlichen Sphäre denken diese oft identisch mit einem politischen
Verständnis von der Gesellschaft. Doch dieses Verständnis ist nichts
Fixes und Selbstverständliches, sondern darüber, was legitimerweise
öffentlich ist, muss im ständigen Streit bzw. Kampf immer wieder
verhandelt werden, die Grenzen dafür immer wieder neu bestimmt werden.
[7]
Die Vorstellung von der Existenz hegemonialer sowie
Gegenöffentlichkeiten, wie sie vor allem im geschlechterpolitischen
Zusammenhang entwickelt wurde, hilft da nur bedingt weiter. Michael
Warner z.B. hat ein Konzept vorgestellt, in dem er von Öffentlichkeiten
und Gegenöffentlichkeiten spricht (Warner 2002). Man kann seinem
Verständnis von Öffentlichkeiten insoweit folgen, dass es sich dabei um
sich selbst-organisierende soziale Einheiten handelt, die in engem
Zusammenhang mit der Zirkulation von Texten stehen und sich über die
Aufmerksamkeit gegenüber diesen Texten konstituieren. Mit
Öffentlichkeiten wird dabei in der Regel ein Verhältnis unter Fremden
beschrieben, die in öffentlicher Rede persönlich oder unpersönlich als
solche adressiert werden und sich selbst auch als Öffentlichkeiten
verstehen.
Gegenöffentlichkeiten sind dann solche, die sich durch ihre
Spannung mit der „breiten Öffentlichkeit“ definieren und die
strukturiert sind durch alternative Dispositionen oder Protokolle und
durch andere Auffassungen davon, was gesagt werden kann und was wortlos
funktioniert (ebd.: 56) In der Regel sind sie aber auch als soziale
Einheiten gedacht, deren Ziel es ist, die herrschenden Normen und
Regeln gesellschaftsweit zu verändern.
Erweitert man dieses Verständnis von Gegenöffentlichkeiten auf
anders politisch ausgerichtete Formen, so z.B. Migratinnenpresse (vgl.
Darieva 2005), linke und rechte Presseerzeugnisse, die nicht auf den
Markt kommen oder solche, die gesetzlich verboten sind, dann wird
dieser Begriff der Gegenöffentlichkeiten schwierig, weil sich diese (1)
durch verschiedene Grade des „Gegens“ unterscheiden – also in ihrer
Spannung zu hegemonialen Formen, aber auch (2) durch ihre Ressourcen
bzw. ihre Motivationen, Teil dieser zu werden bzw. überhaupt werden zu
wollen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob das
homogen vorgestellte Objekt eines solchen „Gegens“ überhaupt noch zum
Tragen kommt, wie es für die geschlechterpolitischen
Gegenöffentlichkeiten in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik mit
der „spießigen, prüden bürgerlichen Öffentlichkeit“ oder für die
oppositionellen Öffentlichkeiten in der DDR mit der „Ideologie der
politischen Elite“ noch zu beobachten war. Wie sehen
(Gegen-)Öffentlichkeiten heute aus wenn – wie es H.J. Vogel von der
Arbeitsgemeinschaft „Offene Kirche“ 2004 in der linken Zeitschrift telegraph
schrieb: „zwar die unterdrückten Nachrichten (...) nicht mehr ganz so
verborgen sind und durch administrative Geheimhaltung unwirksam
gemacht“, aber “durch Überflutung mit Informationsmüll zum Verschwinden
gebracht werden?“ [8] Befinden sich Gegenöffentlichkeiten also in der
Krise? [9] Die Kriterien, die Warner angelegt hat, können m. E. nur als
Anregung dienen, Öffentlichkeiten innerhalb einer hierarchischen
Ordnung und in Bezug aufeinander genauer beschreiben zu können. Doch
sie müssen auch danach befragt werden, wie sie ihr „Gegen“ eigentlich
konstruieren.
Auf der Grundlage dieses theoretischen Zugangs werde ich im
Folgenden versuchen, hier sehr verkürzt - die Positionierung der
SUPERIllu im Gefüge von Öffentlichkeiten zu beschreiben. Die These ist
dabei, dass mit der SUPERIllu etwas Neues auf den Markt kommt, das
einerseits Ähnlichkeiten mit Gegenöffentlichkeiten im bisherigen Sinne
aufweist, z.B. in dem sie sich zum Anwalt der sonst nur sehr
undifferenziert dargestellten „Ostdeutschen“ und ihrer Angelegenheiten
macht. Aber zugleich weist sie, nicht nur in den Verkaufszahlen,
deutliche Gemeinsamkeiten mit etablierten Presseerzeugnissen auf. [10]
Sie repräsentiert damit eine neue, flexible Form von Öffentlichkeit,
die beides und zugleich keines von beiden darstellt.
Cover der SUPERillu aus der frühen Phase (1991)
Als die SUPERillu 1990 auf den Markt kam, hatte sie zwar nackte
Frauenkörper auf dem Cover, aber sie war keine Sexzeitschrift, die sich
ohne weiteres in die Männerecke des Regals ordnen ließe. Es lassen sich
eher große Ähnlichkeiten mit den St. Pauli-Nachrichten aus Anfang der
1970er Jahre feststellen, die damals durchaus als eine
geschlechterpolitische Gegenöffentlichkeit verstanden werden konnten.
Andererseits ist die SUPERillu in keiner Weise vergleichbar mit den
St.Pauli-Nachrichten, wenn man die Konsequenz betrachtet, mit der dort
Ende der 1960er und Anfang 1970er Jahre die Dinge in Frage gestellt
worden waren.
"Vor der Wende mußte Meike aus Berlin die häßliche blaue FDJ-Bluse
anziehen. Heute trägt sie am liebsten Reizwäsche"
Gemeinsam haben beide zunächst, dass neben pornografischen Bildern
und Kontaktanzeigen aufklärerische, politisch brisante Texte zu finden
sind (Redakteure der St. Pauli-Nachrichten waren damals u. a. Stefan
Aust und Günter Wallraff). Und während andere Erotikmagazine meist
durchgestylte Studioaufnahmen mit Profimodellen präsentierten, bildeten
die St. Pauli-Nachrichten eher die Durchschnittsfrau (oder den
Durchschnittsmann) ab. „Fotografieren Sie Ihren Liebling“ (in
erotischer Pose) – war beispielsweise eine Rubrik. [11] Eine ähnliche
findet sich in der Superillu in den 1990ern mit der Überschrift „Sex,
Spiele und Video. Die neue Freiheit im Wohnzimmer“. [12] In beiden
Fällen ging es darum, Themen in die Öffentlichkeit zu bringen, die
zuvor nur im Privaten verhandelt wurden.
„Hosen runter!“
Auch die SUPERillu von 1991 diskutiert in einem stark
sexualisierten Rahmen politisch brisante Themen kritisch:
Mauerschützenprozesse bzw. Prozesse gegen DDR-Regierungsmitglieder
(„Honecker, Stell Dich!“ ist ein Artikel überschrieben) und Texte wie
„Tatort Treuhand“, der über Vereinigungskriminalität berichtet.
„Tatort Treuhand“
Doch während in den St. Pauli-Nachrichten alles was Spaß macht erlaubt
war und sie sich eher aufklärerisch an individualisierte Einzelpersonen
richteten, ist die SUPERillu für Frauen und Männer in Partnerschaften
oder Familienzusammenhängen gemacht. Den Menschen aus der DDR in
heterosexuellen Partnerschaften, die möglicherweise durch die
Zumutungen nach der Wende prekär geworden sind, will sie helfen, sich
in der neuen Gesellschaftsordnung zurechtzufinden und behandelt u. a.
solche Fragen wie: Wie gehe ich mit neu erwachenden sexuellen Wünschen
meines Partners oder meiner Partnerin um? Wo sind die heißesten Parties
in Ostdeutschland? Aber auch: Wie findet man das richtige Auto? Und:
Wie verhält man sich bei einem Banküberfall?
Bemerkenswert stark sind Themen vertreten, die im Osten
vermeintlich besonders interessieren und die zugleich eine Differenz
zwischen Ost und West betonen. [13] Seit 1991 hat der noch immer
amtierende Chefredakteur Jochen Wolff dabei großen Einfluss, der damals
aus den alten Bundesländern kam und Erfahrung hatte – er kam von Quick
(der ersten Deutschen Illustrierten, die durch Oswald Kolle in den
1970er Jahren eine immense Auflagenstärke erfuhr) und später der Neuen
Welt – einer explizit unpolitischen Familien-Illustrierten. Die Auflage
der SUPERillu ging zurück und stieg wieder an, je nachdem wie die
Redaktion es verstand, auf die sich verändernden Wünsche der
Leserschaft einzugehen.
Das führte 1993 zu einem entscheidenden Wandel in der Aufmachung,
in dessen Zuge in vielerlei Hinsicht etwa das Profil entstand, das auch
heute noch erfolgreich ist: das nackte Covergirl verschwand, das Girl
der Woche wurde von der Mitte des Heftes nach hinten verbannt und in
einem Editorial des Chefredakteurs ist zu lesen: „SUPER ILLU erfand im Herbst 1990 die Begriffe ‚Ossi’ und ‚Wessi’
als griffiges Kürzel für die Bürger der neuen und alten Bundesländer.
Damals wollten wir auf humorvolle Weise die Unterschiede zwischen Ost
und West herausarbeiten. Aber der harte Alltag der Einheit hat die
ursprüngliche Bedeutung dieser Kunstworte aufgerieben. ‚Wessi’ steht
heute für kaltschnäuzig, arrogant, besserwisserisch. ‚Ossi’ für leicht
beschränkt, ewig jammernd, anmaßend. (...) Ich verspreche es Ihnen.
SUPER ILLU-Redakteure werden ‚Ossi’ und ‚Wessi’ künftig nicht mehr in
die Textcomputer schreiben.“ [14]
Typisches Cover des Jahrgangs 2007
Damit hat Wolff der Zeitschrift quasi einen politischen Auftrag
gegeben, dessen Spuren sich noch heute in dem Werbeslogan „Zusammen
sind wir super“ finden. Eine besondere Präsenz hat Wolff als Person
jedoch innerhalb der neuen Bundesländer auch dadurch gewonnen, dass er,
nun in Berlin wohnend, die Zeitschrift zum Hauptsponsor der „Goldenen
Henne“ machte – dem Medienpreis „Ostdeutschlands“, der jährlich in
Erinnerung an Helga Hahnemann im Friedrichstadtpalast verliehen wird
und beliebter und einziger öffentlicher Treffpunkt dessen ist, was man
eine „Ostprominenz“ nennen könnte. Hier feiert sich die Elite der
SUPERIllu – Community in Gegenwart der Zuschauer- bzw. Leserschaft.
SUPERillu ist Promotor der „Goldenen Henne“
Heute präsentiert sich die Zeitschrift im Pressekatalog selbst in
der Sparte „Illustrierte, politische Presse“ - als „die große deutsche
Illustrierte“ mit „Aktuellem aus Wirtschaft, Politik und Zeitgeschehen,
als kompetenter Ratgeber in allen Lebenslagen“ mit „umfangreichem
Unterhaltungsteil“ und mit dem Zusatz: „besondere Kompetenz bei der
Berichterstattung neue Bundesländer.“ Die anvisierte Leserschaft:
Schwerpunkt junge Familien und beruflich aktive, interessierte Männer
und Frauen“. [15] Während die St. Pauli-Nachrichten heute unter Erotik
laufen und sich als „Lustblatt Nr.1- jeden Monat eine gute Nummer“
präsentieren sowie als „Informationsblatt für Hamburger Insider-Tipps,
Aufregendes aus dem Milieu“.
Die SUPERillu ist in ganz Deutschland über den Pressevertrieb
beziehbar, aber sie ist in den neuen Bundesländern deutlich präsenter
und wird dort häufiger gekauft. Während man in westdeutschen
Zeitungsläden höchstens ein oder 2 Hefte findet, sind es in einem
großen Supermarkt in der ostdeutschen Provinz 20 oder mehr. Auch
besitzen die Händler unterschiedliche Kenntnisse über die Zeitschrift,
die sie demzufolge an verschiedenen Plätzen im Regal einsortieren. In
der Regel jedoch findet sie ihren Platz in einer Reihe mit Klatsch- und
Tratsch-Blättern, was nur einer Seite des vielschichtigen Konzeptes der
Zeitschrift Rechnung trägt. Toralf Staudt schrieb 2000 in der „Zeit“:
“Das Image der krawalligen Busenpostille, als die sie vor zehn Jahren
gegründet wurde, klebt zäh an der Superillu. Das ärgert Wolff. (...) Im
Missionarston spricht Wolff davon, was für ein seriöses Magazin er und
seine 40 Redakteure heute machen.“ [16] Und in der Tat, hier findet man
heute Interviews mit Merkel, Milbradt, Gysi, Thierse, Beckstein,
Stolpe, Struck und Ringstorf sowie eine permanente Beobachtung der
wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland von verschiedenen
Seiten. Für Wolff stellen politische Themen einen wichtigen Anker für
die Seriosität der Zeitschrift dar, wie er mir im Interview
versicherte. [17]
Jenseits von neuen Medien ist die SUPERillu dabei im wörtlichen
Sinne, wie es der Titel des Textes nahe legt, nicht mehr – denn sie
verfügt über eine eigene Internetversion mit entsprechenden Blogs und
eine eigene Online-Redaktion. Besonders erfolgreich ist dabei die
Aktion „Mein Ostdeutschland“ gewesen, in dessen Rahmen seit Sommer 2007
Tausende Fotos von LeserInnen ins Netz gestellt wurden – Fotografien
des Alltags, Urlaubsbilder etc.
Grundsätzlich richtet sich die SUPERIllu an Ostdeutsche in den
neuen und den alten Bundesländern. Aber sie ist auch ein kommerzielles
Unternehmen, das Möglichkeiten zur Erweiterung der potentiellen
Leserschaft braucht. Dieses Wachstumspotential schafft sie sich, indem
die Zeitschrift potentiell an alle Deutschen adressiert ist („Zusammen
sind wir super!“). Damit reagiert sie zugleich auf eine entscheidende
Befindlichkeit in den neuen Bundesländern, denn hier will niemand mehr
zu explizit als ostdeutsch angesprochen werden. Als Deutsche
angesprochen und mit den richtigen Themen inhaltlich adressiert, bricht
die SUPERillu damit potentiell die Ethnisierung der Ostdeutschen auf
und verschiebt das Selbstverständnis der anvisierten Leserschaft hin
zum prekarisierten, „entsicherten“ und vom Abstieg bedrohten Teil der
deutschen Mittelschicht (mit ihren Berichten über das Leben mit Hartz
IV, mit Erfolgsgeschichten und solchen des Scheiterns von Klein- und
Mittelständischen Unternehmern). [18]
Geschlechterpolitisch lässt sich sagen, dass die Zeitschrift zwar
die eindeutige Vergeschlechtlichung im Zeitungsregal unterläuft – sie
kann weder als Männer- noch aus Frauenzeitschrift identifiziert werden,
auch wenn Frauen den größeren Teil der Leserschaft ausmachen. [19]
Zugleich aber wird mit ihr die heteronormative Brille reproduziert. Die
SUPERillu ist damit ein Produkt der im telegraph konstatierten
Krise der politischen Gegenöffentlichkeit. Sie schafft eine
Öffentlichkeit, die sich mit der Auswahl der Themen und in der Art, wie
sie behandelt werden, mal explizit mal eher implizit, immer wieder in
Spannung zu Spiegel, Focus, Zeit, der FAZ etc. als dem westdeutschen
Mainstream der bürgerlichen Blätter begibt. Doch sie sucht nicht den
unversöhnlichen Konflikt mit ihnen.
Anmerkungen
1 Der Text ist auf der Grundlage von Materialien entstanden, die
ich im Rahmen des vom britischen ESRC geförderten Projektes „Sociality
and Rhetoric Culture in the Interpretation of Situations: an
Anthropological Theory and its Application in East Germany” an der
Durham University erhoben habe. Sein Vortragsstil ist beibehalten.
2 Diese Zahlen entstehen, in dem die Umsatzzahlen mit einem
bestimmten Schlüssel multipliziert werden, der das Ergebnis von
Untersuchungen zum LeserInnenverhalten ist und mit dem man dem Umstand
Rechnung trägt, dass ein Exemplar von Zeitungen und Zeitschriften
jeweils durch mehrere Hände geht und so von mehreren LeserInnen gelesen
wird. 3 Broschüre „Erlebniswelt Presse“ des Bundesverbandes Presse-Grosso, Stand 06/02, noch aktuell in 2007.
4 Zur Rolle des Tableaus im Prozeß der Wissensproduktion und
–ordung vgl. Latour, Bruno: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen
zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt/M. 2000.
5 Ein automatisiertes System berechnet das Verhältnis von Lieferung
und Verkauf über eine bestimmte Zeit und errechnet dann den Umfang der
neuen Lieferung.
6 So z.B. in Ungarn ferfi lápok – Männerseiten oder Männerzeitschriften.
7 Dafür exemplarisch kann z.B. die Arbeit der Bundeszentrale für
jugendgefährdende Medien und deren Veränderungen seit den 1950er Jahren
angesehen werden.
8 Hans-Jochen Vogel in telegraph 1 7/11/ 2004, S.7.
9 Und müssen wir nicht zudem unser Verständnis von
Gegenöffentlichkeiten noch vielmehr dynamisieren, weil sie als „soziale
Einheiten “ eine äußerst hohe Fluktuation haben und ihre Eigenschaften
sich im Zeitverlauf verändern?
10 Ca.430.000 im Mai 2008 (http://daten.ivw.eu/index.php?menuid=2&u=&p=&detail=true, Zugriff 1.7.08).
11 Vgl. verschiedene Ausgaben der St.Pauli-Nachrichten 1971.
12 SUPERillu am 91.1.1992, S. 4/5.
13 In jedem Heft werden unter Lesern und Leserinnen die
Unterschiede zwischen Ost- und Westmännern bzw. Ost- und Westfrauen
diskutiert, und von der SUPERillu sogar Studien in Auftrag gegeben, die
die Meinungen der Leser und Leserinnen ergänzen oder ggf. auch
berichtigen sollen.
14 Jochen Wolff, Editorial in SUPERillu 10/1993
15 Presseproträts. Der Wegweiser zum erfolgreichen Presseverkauf,
Frühjahr/Sommer 2007. Hg. Von Ralf Deppe und Peter Strahlendorf.
16 Toralf Staud „Die Zeit“ 4/2000.
17 Interview mit Jochen Wolff am 21.05.2008.
18 Mit nach wie vor mit einer gewissen „Ostlastigkeit“, die sich
z.B. in Bezug auf die Geschlechterbilder darin äußert, dass
Alleinerziehende als Normalität erscheinen, während sonst insgesamt
auffällig stark an die heterosexuelle Paarwahrnehmung angeschlossen
wird. Angekommen ist sie bei den LeserInnen in den alten Bundsländern
noch nicht. Für diese ist die Zeitschrift nicht attraktiv, wie ich von
vielen meiner GesprächspartnerInnen hörte, vor allem deshalb, weil sie
die Prominenten nicht kennen. Gerade hat das automatische
Remissionssystem eines Zeitungsladens in einer westdeutschen
Kleinstadt, den ich beobachte, die SUPERillu aus dem Sortiment
genommen. „Die geht hier nicht“ sagt die Verkäuferin und läßt sich auch
nicht davon irritieren, dass ich sie eigentlich kaufen wollte.
19 Interview mit Jochen Wolff am 21.05.2008.
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