Thema | Kulturation 2/2005 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Simone Tippach-Schneider | Über die Landwirtschaft als Sujet und über den Verlust der Kunstautonomie
| (Anläßlich der Ausstellung Ein weites Feld – Landwirtschaft in der Malerei der DDR, siehe die Ankündigung in der Rubrik Report)
In ihrem Aufruf vom 11. Juni 1945 hatte die KPD die Enteignung der
Großgrundbesitzer und die Übergabe des Bodens an landarme Bauern
gefordert und am 12. August 1945 das Sekretariat des ZK den ersten
Entwurf einer Bodenreformordnung beraten. Daraufhin waren die Bezirks-
und Kreisleitungen der Parteien aufgefordert, in den
Bauernversammlungen um Unterstützung zu werben. Im September 1945
wurden dann auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone sämtliche
Großgrundbesitzer mit über 100 Hektar Land, aber auch Eigentümer
kleinerer Ländereien entschädigungslos enteignet. Die in den Dörfern
gebildeten Bodenreformkommissionen erfassten die konfiszierten Güter,
die dazugehörigen Gebäude und das entsprechende Inventar und verteilten
einen Teil der Agrarflächen, des Viehbestandes und des Inventars durch
Losentscheid an Landarbeiter, Kleinbauern und Neusiedler, meist
Vertriebene aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße. Ein weiterer
Teil der enteigneten Güter wurde verstaatlicht und später den
„Volkseigenen Gütern“ zugerechnet. [1]
Werner Haselhuhn, Abgeerntete Felder, 1974
Die Bodenreform wurde als Voraussetzung zur Ausrottung des
Faschismus und Militarismus mit ihren gesellschaftlichen Wurzeln
propagiert. Sie war nach dem Ende des 2. Weltkrieges die entscheidende
Maßnahme zur Neuorganisation der Eigentumsverhältnisse und sollte
„...den Jahrhunderte alten Traum der landlosen und landarmen Bauern auf
Übergabe des Gutslandes in ihr Eigentum verwirklichen“, wie es in der
Verordnung der Provinzialverwaltung Sachsen vom 3. September 1945
heißt. [2] Verschiedene Aufrufe sollten die Bodenreform ebenso
historisch und politisch legitimieren. Auf weit verbreiteten Plakaten
standen Losungen wie: „Was 1525 endet in Blut und Verrat – Ward 1945
vollendete Tat” oder „Junkerland wird Bauernland”. Die Zuteilung von
Land sicherte zumindest für eine gewisse Zeit die Selbstversorgung und
war so Überlebenshilfe für mehrere hunderttausend Menschen. Aber die
Zuteilung von Land erfolgte oft ohne dass die Neubauern ausreichend
Kenntnisse von der Landwirtschaft besaßen und ohne Blick auf die
Effektivität der oftmals viel zu kleinen Flächen. Obwohl die
Bodenreform anfänglich begrüßt wurde, verlor sich bald die ungeteilte
Zustimmung, nicht zuletzt auf Grund der Abgaben an die Sowjetische
Militäradministration. Viele Neubauernhöfe konnten sich nicht dauerhaft
stabilisieren. Im Zuge des Wiederaufbaus der Industrie verließen viele
Menschen ihre Höfe und zogen in die Stadt. [3]
Walter Womacka, Bodenreform, 1972
Für diese Periode zwischen dem Ende des Krieges und der Gründung
der DDR im Jahre 1949 finden sich nur wenige künstlerische Arbeiten,
darunter von Arno Mohr, Rudolf Bergander und Otto Nagel, die sich den
neuen Verhältnissen gewidmet hatten. Erst mit den ersten Gründungen
landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften begannen die bildenden
Künstler verstärkt die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen auf
dem Land zu thematisieren. Im Juni 1952 war im thüringischen Dorf
Merxleben die erste LPG gegründet worden. In den folgenden Monaten
sollte die Kollektivierung mit aller Macht durchgesetzt werden. Klein-
und Mittelbauern, die sich widersetzten, wurden mit hohen Zwangsabgaben
drangsaliert. Nach dem Aufstand am 17. Juni 1953 kippte die Stimmung,
der harte Kurs wurde zunächst aufgegeben. Von 1958 bis 1960 schlossen
sich dann die letzten bäuerlichen Betriebe teilweise unter Druck in
landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zusammen. Das
anfängliche Interesse der bildenden Künstler galt vor allem der neuen
Landwirtschaftstechnik, die eine großflächige Bewirtschaftung der
Felder zur Folge hatte und auch zu einem veränderten Landschaftsbild
führte. Maler, die schon immer auf dem Dorf gelebt hatten, verstanden
ihren Lebensraum als Quelle der Inspiration und sich selbst nicht
selten als Chronisten der neuen Zeit. Doch den Kulturfunktionären war
das zu wenig. Die „neuen Menschen“ und das „neue Leben“ auf dem Lande
sollten zu einem zentralen Bezugspunkt in der Malerei werden. Mit Hilfe
des neu geschaffenen Kulturfonds wurden wochenlange Studienaufenthalte
der Künstler auf dem Dorf finanziert. Staatliche Förderprogramme halfen
den speziell von Landwirtschaft geprägten Norden des Landes mit jungen
Künstlern zu besiedeln. Im Laufe der Jahre wurde die Arbeit selbst zum
Gegenstand der Malerei – als Ausgangspunkt für die formsetzende und
zweckmäßige Tätigkeit, in ihrem Verhältnis zum Rohstoff, zu den
Produktionsmitteln und der eigentlichen Produktivkraft Mensch. Mit
ihrer Instrumentalisierung verlor die Kunst allerdings deutlich an
Autonomie. Hans Eisler nannte dies einen Rückfall in den Zustand
magisch-ritueller Kultbilder und verglich die Funktion des so genannten
Sozialistischen Realismus mit der Höhlenmalerei: „Wir brauchen
Kartoffeln, also – eine Kartoffelkantate!“ [4]
Tom Beyer, Landschaft mit Kornfeld, ca. 1965
Bei der Kollektivierung der landwirtschaftlichen Produktion ging es
nicht allein um eine ökonomische Stärkung, angestrebt war vor allem
eine ideologisch bedingte Gesellschaftskonstruktion durch
wirtschaftliche Fusionierung, die letztlich auch zu einer Nivellierung
von Unterschieden in der ländlichen Bevölkerung führte. Die Folgen
dieses Ansinnens waren weitreichend. Die Entfremdung der Bauern von
ihrem Boden nahm beständig zu, proportional dazu sank die Produktivität
der LPG. Erst in den siebziger und achtziger Jahren, mit zunehmender
Rationalisierung der Produktion, erlebten die Genossenschaften einen
wirtschaftlichen Aufschwung. [5] Die Tier- und Pflanzenproduktion wurde
ohne Rücksicht auf landwirtschaftliche Kreisläufe und wachsende
ökologische Belastungen getrennt. Zugleich entstanden Großbetriebe mit
bis zu 6.000 ha Fläche in der Pflanzenproduktion und Milchvieh- und
Mastanlagen mit über 20.000 Tieren. Und ausgerechnet die bildenden
Künstler, die man ursprünglich als Propagandisten auf das Land geholt
oder die das Dorf als Zufluchtsort gewählt hatten, entwickelten sich
nun inmitten der Intensivierung von Tier- und Pflanzenproduktion zu
Skeptikern und Rufern. „Die Ökonomen, die hier am Werke sind, sind
drauf und dran, noch diese letzte Bauminsel zum großen Feld zu machen.
Und sie sind drauf und dran zu vergessen, (eben Gedankenlosigkeit),
dass dieser landwirtschaftliche Produktionsraum der Lebensraum der
Menschen ist“, schrieb Wolfgang Mattheuer 1974 über sein Bild „Ein
weites Feld“. [6] Ebenso hatten Studienreisen in die Sowjetunion und
die Begegnung mit zum Teil unwirtlichen Regionen die Sicht der Maler
auf die Landschaftsstrukturen im eigenen Land verändert.
Conrad Querner, Bauer Rehn, 1952
In den achtziger Jahren übernahmen die LPG auch kommunale Aufgaben:
Straßen wurden instand gesetzt, Einkaufsmöglichkeiten geschaffen,
Kindergärten, Schulen und Kulturhäuser gebaut. Die Betriebe konnten es
sich leisteten, Sozialleistungen hoch zu subventionieren und
Betriebsarbeitsgemeinschaften großzügig zu finanzieren. Zudem waren
immer ausreichend Geldmittel vorhanden, um zur Ausgestaltung der neuen
Gebäude mehrere Kunstwerke in Auftrag zu geben oder Bilder anzukaufen.
Oft entschied der LPG-Vorsitzende selbst, ob und bei wem Bilder in
Auftrag gegeben wurden. Die Künstler nahmen sich nun auch der offiziell
tabuisierten Themen in der Landwirtschaft an, wie zum Beispiel der
Umwelt- und Gesundheitsgefahren oder der Massentierhaltung, und kehrten
sich in ihrer Malerei verstärkt den Metaphern bzw. transzendenten oder
surrealen Verrätselungen zu.
Dieter Rex, Erntelandschaft, 1987
Die Ausstellung „Ein weites Feld“ zeigt Stationen einer Jahrzehnte
währenden Auseinandersetzung der Bildenden Kunst mit Entwicklungen der
kollektivierten bzw. sozialistischen Landwirtschaft, wobei vor allem
Gemälde und Grafiken aus dem Kunstarchiv Beeskow sowie einzelne
Exponate der „Bauern-Galerie“ aus den Meininger Museen präsentiert
werden. Im Mittelpunkt der recherchierten Entstehungs- und
Nutzungeschichten stehen wichtige Lebensabschnitte der Künstler, ebenso
ihre Beweggründe aber auch die Veränderungen in der Agrarwirtschaft
selbst. Zudem wurden in den Kontext der jeweiligen Bildbetrachtung ein
bis zwei weitere Kunstwerke aus verschiedenen Sammlungen einbezogen, um
unter anderem zu verdeutlichen, inwieweit sich die Maler über viele
Jahre inhaltlich und künstlerisch mit dem gleichen Thema
auseinandersetzten. Zwei Künstlergenerationen – Lehrer und Schüler –
hatten die Beziehungen und Ereignisse in der Landwirtschaft zu ihrem
Bildgegenstand erklärt und mit ihren Kunstwerken immer auch auf die
zwiespältigen Ansichten über die Umgestaltungen auf dem Lande reagiert.
Jedes Bild hat seine Geschichte, in der sich verschiedene
Bedeutungsschichten überlagern: das Leben des Künstlers, die
Entwicklungen auf dem Dorfe seit 1945, die Bestimmung des Bildes nach
seiner Fertigstellung und seine Nutzung bis in die Gegenwart. Die
Darstellung der vielfältigen Beziehungen bzw. Dialoge eröffnen dem
Leser wechselnde Perspektiven auf gesellschaftliche Ereignisse in der
Agrar- und Kunstpolitik, verdeutlichen aber ebenso die Anstrengungen
einzelner Künstler, sich von der Instrumentalisierung ihrer Werke als
Mittel der Verständigung und des moralischen Austauschs wegzubewegen.
Spätestens im kulturhistorischen Kontext erweisen sich die Kunstwerke
als entweder „systemstabilisierende Bestätigungsillustrationen“ [7]
oder aber als verschlüsselte systemkritische Bildmitteilungen.
„Autonomie – als westliche Kategorie eines vom Markt getragenen freien
Austausches der Werke und Ideen – war in der DDR strukturell nicht
möglich, sie spiegelte sich allenfalls in individuellen Lebensentwürfen
einer wirtschaftlichen Autarkie als bohèmehafte Verweigerung. Oder aber
im vollständigen Rückzug. Das Maß der Selbstreferntialität als einzig
möglicher Konstruktion des Autonomen muß an dieser Kunst versagen.“ [8]
Anmerkungen
[1] Vgl. Arnd Bauerkämpfer: Von der Bodenreform zur
Kollektivierung. Zum Wandel der ländlichen Gesellschaft in der
Sowjetischen Besatzungszone Deutschland und DDR. 1945 -1952, in:
Hartmut Kaelbe, Jürgen Kocka, Hartmut Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der
DDR, Stuttgart 1994, S. 119 ff.
[2] Verordnung der Provinzialverwaltung Sachsens über die
Durchführung einer demokratischen Bodenreform. Die Landesverwaltungen
der Länder Mecklenburg, Sachsen, Thüringen und die Provinzialverwaltung
Brandenburg erlassen in den folgenden Tagen ähnliche Verordnungen. 3.
September 1945.
[3] Vgl. Konrad Breitenborn, Manfred Wille: Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt, Halle/Saale 1999, S. 22 ff.
[4] Hans Bunge: Fragen Sie mehr über Brecht. Hans Eisler im Gespräch, München 1970, S. 316.
[5] Vgl. Barbara Schier: Alltagsleben im „sozialistischen“ Dorf.
Merxleben und seine LPG im Spannungsfeld der SED-Agrarpolitik
(1945-1990), Münchner Beiträge zur Volkskunde, Münster 2001, S. 159 –
168.
[6] Uwe M. Schneede: Wolfgang Mattheuer. Ein Künstler der DDR. Katalog der Ausstellung in Hamburg, 1977, S. 7.
[7] Matthias Flügge: Der Gegenstand. Die Sammlung, in: Jahresringe,
Kunstraum DDR, Eine Sammlung 1945 – 1989, Dresden 1999, S. 18.
[8] Ebd. S. 15.
Bildnachweis
Alle Abbildungen: Kunstarchiv Beeskow
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