Thema | Kulturation 2/2004 | Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn: Kultur | Helmut Holter | Grenzübergreifende Raumplanung im südlichen Ostseebogen Beitrag
auf der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn -
wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen
Situation" im Februar 2004 | Beitrag
auf der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn -
wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen
Situation" im Februar 2004
Als ich zu dieser Veranstaltung eingeladen wurde, war ich sofort bereit
herzukommen, weil es die Gelegenheit bietet, unsere „praktische Sicht“
in Mecklenburg-Vorpommern in die Debatte über die Folgen der
EU-Osterweiterung einzubringen. Aber zuerst möchte ich die Fragen
beantworten, die eben aufgeworfen wurden: Es gibt in Vorpommern den Ort
Alt Warp. Es gibt in Westpommern den Ort Nowe Warpo, also Neu Warp.
Zwischen beiden Orten, die nur einen Steinwurf voneinander entfernt
sind, fanden so genannte Butterfahrten statt, die immer sehr beliebt
waren. Ab dem 1. Mai 2004 nun gibt es diese Butterfahrten nicht mehr.
Sie haben vielleicht davon gehört, dass die Reederei Adler und andere
Betroffene protestiert haben, um eine Verlängerung zu erreichen. Dass
der Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union kommen wird, war
ja bereits vor Jahren klar und die Raumplaner und mein Ministerium
mussten sich mit Konsequenzen und Folgen auseinander setzen. Unter
anderen wurde dabei die Frage gestellt, was in dieser kleinen Region
Alt und Neu Warp passieren muss, damit die Menschen in dieser Gegend
eine Zukunft haben – sowohl auf der polnischen Seite als auch auf der
deutschen Seite. Daraus sind dann konkrete Konzepte für eine
touristische Nutzung entstanden. Was kann man in diesem Gebiet tun,
damit Touristen kommen? Wie gibt man den Menschen in dieser kleinen
Region eine Perspektive? Dieses Beispiel macht deutlich, dass – nach
der deutschen Vereinigung – die EU-Osterweiterung mit dem Beitritt der
Republik Polen, der Republik Tschechien und der anderen Kandidaten,
eine der größten politischen Herausforderung sein wird, die wir zu
meistern haben.
Es geht dabei auf der einen Seite sicherlich um Stabilität, es geht
aber auch um Wirtschaftswachstum, es geht um die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit, es geht um die kulturelle Entwicklung, und es geht
besonders um ein Miteinander der Menschen in Europa. Die nationalen
Grenzen, die hier auf der Tagung auf den verschiedenen Karten gezeigt
wurden, werden verschwinden. Und nun steht vor uns die Frage: Was muss
in der Ostseeregion geschehen, was passiert in dem Verhältnis zwischen
Mecklenburg-Vorpommern und Polen? In dieser Situation erinnert man sich
immer gerne an die Geschichte. Herr Stoll hat das eben noch mal am
Beispiel Stettin deutlich gemacht.
Einen anderen Vergleich bietet die Geschichte der Hanse und der
Hansestädte – die Geschichte einer erfolgreichen Kooperation. Und wenn
man dann darüber spricht, wie sich die Ostseeregion in den vergangenen
Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat, wird man sehr schnell darauf
kommen, dass es im Westen und im Norden der Ostseeregion durchaus
Kooperationsverbindungen gab. Der südliche Ostseebogen, also das
heutige Mecklenburg-Vorpommern, die ehemalige DDR, Polen, Kaliningrad
und die baltischen Republiken – also die ganze Ostseeregion - hat an
dieser Entwicklung eben nicht teilgehabt. Das nachzuholen haben sich
die Raumordnungsminister in der Ostseeregion zum Ziel gestellt.
Nachzuholen, was im Norden, in Skandinavien und im Westen bereits gang
und gäbe ist. Dabei darf man sich nicht auf Deutschland und Polen
beschränken, sondern man muss die Region im Ganzen sehen. Im Projekt
Südlicher Ostseebogen, South Baltic Arc, geht es um die Zusammenarbeit
in der Raumplanung. Mecklenburg-Vorpommern hat die Federführung.
Es geht um mehr als die bilaterale Beziehung zwischen zwei Staaten.
Denn wenn man über Verkehrsverbindungen spricht, dann reden wir um
Verkehrsverbindungen auf der Straße und auf der Schiene entlang der
Ostseeküste. Wir sprechen da von Via Hanseatica, von Lübeck bis Riga,
und eigentlich müsste auch Russland beteiligt sein. Diese Via
Hanseatica hat eine Rolle bei unserer Konzipierung der Küstenautobahn
gespielt, die ja 2005 fertig sein wird. Jetzt stellt sich die Frage:
Wie geht es eigentlich östlich von Stettin weiter? Was passiert in
puncto Straßennetz und Autobahn im Norden Polens? Darüber habe ich oft
mit den polnischen Kollegen, insbesondere aus den
Ostsee-Woiwodschaften, diskutiert. Meines Erachtens ist es wichtig,
dass die Ostseeanrainerstaaten sowohl die Ostseeautobahn als auch das
Schienennetz rund um die Ostsee schließen. In Mecklenburg-Vorpommern
haben wir 2002 eine Initiative für Großgewerbestandorte gestartet. Die
polnischen Partner betrachten diese Initiative mit Aufmerksamkeit, da
wir die Planungen schon im Vorfeld so weit vorantreiben wollen, dass
ein Investor ggf. sehr schnell mit weiterer Unterstützung und
Erschließung rechnen kann.
Zwischen den Beitrittsregionen gibt es einen riesengroßen
Unterschied: Die großen Städte befinden sich in den neuen
Mitgliedsländern der Europäischen Union. Bei uns im Norden kommt
Stettin als Metropole mit 420.000 Einwohnern hinzu. Sie hat doppelt so
viele Einwohner wie unsere größte Stadt Rostock. Stettin hat eine Werft
und andere gewerbliche Unternehmen mit einem großen
Wirtschaftspotenzial. Und auf der deutschen Seite in
Mecklenburg-Vorpommern haben wir die bundesweit größte Arbeitslosigkeit
von 30 Prozent. Die Hoffnungen konzentrieren sich also auf diese
Metropole Stettin: In ihrem wirtschaftlichen Einzugsgebiet soll auch
diesseits der Grenze Arbeit entstehen, soll die Beschäftigungsarmut,
soll die Arbeitslosigkeit sinken.
Es gibt weitere grenzübergreifende Vorhaben – etwa das Projekt der
UBB – der Usedomer Bäderbahn. Sie ist eine Tochter der Deutschen Bahn
AG. Wir wollen, dass diese Usedomer Bäderbahn nicht in Ahlbeck vor der
Grenze endet, sondern bis nach Swinemünde weiterfährt.
Wir arbeiten am Ausbau von Grenzübergängen. Ich will keine
Einzelheiten kommentieren, das sind nationale Fragen. Entscheidend aber
ist, ob denn auf polnischer Seite überhaupt die Voraussetzungen
bestehen, Grenzübergänge zu öffnen. Denn oftmals fehlen dort die
entsprechenden Straßenanbindungen.
Ein weiterer Kooperationspunkt ist ein gemeinsames
deutsch-polnisches Tourismus-Konzept im Naturpark Usedom-Wolin – der
deutschen und der polnischen Inselseite. Da liegen planerische
Vorarbeiten vor, die jetzt in einzelnen Projekten umgesetzt werden
müssen.
Deswegen haben wir uns entschieden, die Zusammenarbeit in
internationalen Projekten auszuweiten. Die Raumordnungsminister der
Ostseeanrainerstaaten haben das bei ihrer Konferenz im September 2001
in Wismar deutlich gemacht und ein gemeinsames strategisches Dokument
verabschiedet.
Zu diesen internationalen Projekten gehört eines namens – in
Abkürzung – VASAB 2010. Hier wird ein integriertes
Küstenzonenmanagement entwickelt. Ein Beispiel: Im Greifswalder Bodden
sollen Konflikte zwischen der Nutzung durch den Menschen und dem Schutz
des Gewässers, der Natur und der Tierwelt erkannt und ausgeschlossen,
beziehungsweise minimiert werden. Dazu haben wir vor einiger Zeit eine
Untersuchung für den Greifswalder Bodden durchgeführt, dies auch mit
der Fragestellung: Wie kann das Befahren des Greifswalder Boddens mit
Sportbooten, Segelbooten und Motorbooten erlaubt und gleichzeitig der
Vogelschutz gewährleistet sein? Aus dieser Untersuchung entstand unser
Konzept der so genannten räumlichen und zeitlichen Entflechtung, zu dem
in der vergangenen Woche Naturschutzverbände, Tourismusverbände und
andere Beteiligte Vereinbarungen abgeschlossen haben. Im Konzept werden
Bootsführern auf dem Greifswalder Bodden enge Vorschriften gesetzt,
Teile des Gewässers sind tabu oder zeitweise gesperrt. Dieses
integrierte Küstenzonenmanagement wollen wir auf die anderen Regionen
der südlichen Ostseeküste ausdehnen.
Ein anderes Projekt heißt – abgekürzt – SuPortNet. Darin soll ein
Netz von Sportboothäfen aufgebaut werden, sodass Segel- und Motorboote
die Häfen innerhalb eines Tages erreichen können. Heute sind Tagestörns
und Tagesreisen von einem Hafen zum anderen Hafen noch gar nicht
möglich.
Ein Beispiel deutsch-polnischer Zusammenarbeit der Gegenwart ist
auch die Wiederbelebung gemeinsamer Geschichte und Kultur: Mit der
Ausstellung „Wege zur Backsteingotik“ haben wir in
Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Jahren einen großen Erfolg gehabt und
verzeichnen immer noch steigendes Besucherinteresse. Jetzt wird im Juni
2004 die europäische Route der Backsteingotik eröffnet – wieder von uns
Hanseaten. Es geht uns um mehr als "nur" um wirtschaftliche Effekte. Es
geht darum, das verbindende kulturelle Erbe darzustellen und zu nutzen.
An diesem Beispiel kann sichtbar werden, wie wichtig überregionale
Projekte für das größer werdende Europa sind.
Die gemeinsame Raumplanung dient auch einer Zusammenarbeit in der
Arbeitsmarktpolitik. Mecklenburg-Vorpommern hat vor zwei Jahren ein
neues Programm gestartet, das so genannte Arbeitsmarkt- und
Strukturentwicklungsprogramm Mecklenburg-Vorpommern. In einigen der
Projekte aus diesem Programm wird mit der polnischen Seite kooperiert.
Wir sind im gesamten Programm konsequent den Weg der Regionalisierung
der Arbeitsmarktpolitik gegangen. Die vier Regionen in
Mecklenburg-Vorpommern erhalten finanzielle Mittel und entscheiden
selbst über die Förderung von Projekten. Das funktioniert erfolgreich
im regionalen Arbeitsmarkt. Die Mittel stammen aus dem Europäischen
Sozialfonds. Diese Strukturfonds soll es zwar ab 2007 weiterhin geben,
aber die Mittel werden dann auch auf Polen, Lettland, Tschechien und
andere Länder verteilt. Wir werden also weniger zur Verfügung haben und
da steht immer wieder die Frage nach mehr Qualität von Projekten.
Wir haben darauf mit einem Aktionsprogramm reagiert – dem Programm Osterweiterung der Europäischen Union, Schaffung einer interkulturellen Gesellschaft im Ostseeraum.
Mit diesem Projekt wollen wir Sprachkompetenz entwickeln,
interkulturelle Veranstaltungen durchführen, über Kultur und
Entwicklung des Nachbarn informieren. Praktikanten werden ausgetauscht
und ein Kompetenzzentrum wird aufgebaut.
Dass grenzübergreifende Programme und Projekte überhaupt zustande
kommen, ist nicht selbstverständlich. Es wurde möglich, weil wir uns in
Brüssel für eine Veränderung der fördertechnischen Vorschriften der so
genannten Strukturfonds eingesetzt haben. Denn es war innerhalb der
Europäischen Union nicht möglich, Menschen anderer Länder in eigenen
Projekten zu beschäftigen. Wir haben eine Öffnung dieser Klausel
erreicht, sodass sowohl auf der polnischen Seite, wenn es ab 1. Mai
dort die Strukturfonds gibt, deutsche Teilnehmer dabei sein können,
aber auch auf der deutschen Seite polnische Teilnehmerinnen und
Teilnehmer mitarbeiten können. Das war uns sehr wichtig.
Eines der Projekte ist dabei der Beratung der polnischen Kollegen
im Umgang und Einsatz der Strukturfonds gewidmet, da auf polnischer
Seite bisher die Erfahrung fehlt. Im Haus der Wirtschaft in Stettin
sind dazu schon Vortragsreihen gelaufen, die mit 200 bis 300 Zuhörern
völlig ausgebucht waren. Das Haus der Wirtschaft wird finanziert über
Industrie- und Handelskammern, unter anderem auch der Ingenieurkammer
aus Mecklenburg-Vorpommern.
Außerhalb der Strukturfonds, die in den Ländern umgesetzt werden,
gibt es dann noch Programme, die Gemeinschaftsinitiativen sind zum
Beispiel Equal. Equal soll Methoden fördern zur Bekämpfung von
Diskriminierungen und Ungleichheiten jeglicher Art im Zusammenhang mit
dem Arbeitsmarkt. Dazu werden regionale Netzwerke entwickelt, die die
Probleme vor Ort lösen sollen. Das ist sinnvoll und gerade in der
Equal-2-Phase setzen wir derzeit Schwerpunkte auf die Osterweiterung
der Europäischen Union und auf die Zusammenarbeit im Ostseeraum.
Nun könnten Sie fragen, was die anderen Landesministerien denn dazu
beitragen. Die Landesregierung hat Vereinbarungen mit den
Woiwodschaften Pommern und Westpommern. Es gibt eine gemeinsame
Kommission „Raumordnung und Arbeitsmarkt“. Wir haben Expertengruppen
eingerichtet, die über die nationale Grenze hinweg zum Entwicklungsraum
beraten und planen. In den Expertengruppen „Arbeitsmarkt“ werden
beispielsweise Seminare in Westpommern und in Pommern geplant.
Demnächst führen wir mit beiden Woiwodschafts-Arbeitsämtern Treffen
durch, um Wissen auszutauschen. Ergebnisse dieser Arbeit finden Sie
auch auf der Homepage des Arbeitsministeriums unter
www.am.mv-regierung.de. Wir bereiten Jugendliche auf die erweiterte EU
vor. Zum Beispiel haben wir gemeinsam mit der deutschen Stiftung
Denkmalschutz Jugendbauhütten eingerichtet. Es gibt sieben Bauhütten in
Deutschland, davon zwei in Mecklenburg-Vorpommern, eine in Wismar und
eine in Stralsund. In Stralsund haben wir begonnen, deutsch-polnische
Jugendliche in dieser Jugendbauhütte im freiwilligen Jahr der
Denkmalpflege zu beschäftigen. In Rothenklempenow, einem kleinen Dorf
an der polnischen Grenze, arbeitet eine Koordinierungsstelle für den
interkulturellen Jugendaustausch „Jugendbegegnung“. Hier wird die erste
gemeinsame deutsch-polnische Berufsausbildung organisiert – für den
Metallbereich und das Gastgewerbe. Und hier wird sehr deutlich, welchen
Enthusiasmus die jungen Leute haben. Sie absolvieren täglich acht
Stunden Berufsausbildung und danach lernen sie die Sprache des
Nachbarn. Und wenn dann die Deutschen zur Disko nach Stettin fahren,
ist das auch ein Ausdruck für Veränderungen.
Ich kann jetzt nicht alle Projekte beschreiben. Neben dem großen
Entwurf muss die größere EU für die Menschen nachvollziehbar und
erlebbar sein. Die Menschen müssen sagen können: Ich habe etwas davon.
Ich als Unternehmer habe was davon, ich als Arbeitsloser habe was
davon, ich als Bürgermeister habe was davon, ich als Lehrer habe was
davon.
Im vergangenen Jahr haben wir in Schwerin ein zweitägiges
Dialogforum durchgeführt. Die polnische und die tschechische Regierung
hatten um einen Erfahrungsaustausch und um gemeinsame Strategien für
die Grenzregion gebeten. Ich war in 2003 Vorsitzender der Arbeits- und
Sozialministerkonferenz und habe bundesweit eingeladen. Alle
Beteiligten haben sehr deutlich gemacht, dass wir ein Netzwerk
brauchen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsämter aus
Bayern, aus Sachsen, aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, durchaus
auch aus Berlin, mal in ihre Partnerregion gehen und in den dortigen
Arbeitsämtern arbeiten. Auf der anderen Seite sollten Polinnen und
Polen zu uns kommen und praktische Erfahrungen mitnehmen. Das
angelesene Wissen ist das eine, der Alltag das andere.
Und deswegen, meine Damen und Herren, bin ich der Überzeugung, dass
man durch gute Beispiele, durch gute Projekte, die Erweiterung der
Europäischen Union nicht nur unterstützen kann, sondern regelrecht
gestalten kann. Informationsaustausch, gemeinsame Arbeit an Projekten
kann Vorurteile ausräumen. Man wird bald nicht mehr in nationalen
Grenzen denken, sondern in Regionen.
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