Thema | Kulturation 2/2003 | Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn: Kultur | Christine Wagner | Nirgends ganz zu Hause: Polinnen in Berlin
| Ivona
ist verzweifelt. Fast ein Jahr ist sie nun mit diesem Deutschen
verheiratet, hat ein Kind von ihm. Im goldenen Westen, so hatte sie
gehofft, könnte sie endlich wer sein. Obwohl sie studiert hatte, fand
sie keine so gut bezahlte Arbeit, mit der sie all ihre Wünsche hätte
befriedigen können. Über ein Eheanbahnungsinstitut, das ausschließlich
polnische Frauen an deutsche Männer vermittelt, hatte sie ihn kennen
gelernt. Und schnell hatte der Kleinunternehmer der grazilen Polin das
Himmelreich auf Erden versprochen. Nun saß sie fest zwischen all dem
Schickimicki. Einmal wagte sie es, ungefragt das Haus zu verlassen.
Schnell hatte er das Schloss gewechselt. Nein, ihren Beruf auszuüben,
erlaubt er ihr nicht. Es gibt ja genug Arbeit im Haus und zur Not in
der Firma. Wenn sie nicht mit ihm schlafen will, schlägt er sie, bis
sie ihm gehorcht. Und wenn sie sich wehrt, höhnt er zynisch: Ohne mich
bist du nichts, du kleine Schlampe. Ich bin in Deutschland zu Hause -
nicht du. Außerdem bringe ich das Geld nach Hause.
Hier in der Fremde fühlte Ivona das erste Mal, wie tief im Inneren sie
einsam war. In Polen war ihr das nicht aufgefallen. Aber wo wollte sie
hin? Zu Hause verdiente sie nicht genug, um für sich und das Baby
ausreichend sorgen zu können. Nicht mal mehr als zwei Jahre muss ich
durchhalten, schwört sie sich immer wieder. Und dann baue ich mir hier
in Deutschland ein von Männern unabhängiges Leben auf. Dann kann mich
endlich von diesem Monster scheiden lassen und bekomme als Ausländerin
von den deutschen Behörden die Aufenthaltsgenehmigung geschenkt.
Der deutsche Mann ahnt wohl, dass sein auf Macht gebautes Glück nicht
von Dauer sein wird. Und so lässt er seinen Jähzorn an dem Kind aus,
noch bevor Ivona sich von ihm trennen kann. Ob er die Scheidung vor ihr
einreichen wird, wenn sie bei einer hier in der Stadt lebenden
polnischen Freundin Unterschlupf sucht?
Ewa pendelt seit zwei Jahren zwischen der Kleinstadt bei Warschau und
Berlin. Nur ein paar Monate, so hatte die Mittvierzigerin sich
geschworen, wolle sie den Bahnstress auf sich nehmen. In ihrer Heimat
findet sie bei 40 Prozent Arbeitslosigkeit keine Arbeit. Woher aber
soll sie das Geld für das Studium der Tochter nehmen, der es ja mal
besser gehen soll? Und die Bedürfnisse wachsen ja auch mit der in
Deutschland verbrachten Zeit. Also schuftet sie lieber von montags bis
freitags gegen Mittag täglich zwölf Stunden, um dann ins polnische
Zuhause zurück zu fahren. Ohne zu jammern und zu klagen. Ihr
Arbeitnehmer, für den sie ohnehin etwas billiger ist als einheimische
deutsche Kräfte, hatte sie mit falschen Versprechungen gelockt. Doch
sie tut sich mit anderen Pendlerinnen zusammen, die sich auch in
Urlaubszeiten oder bei Krankheiten helfen, und setzen ihn selbstbewusst
unter Druck. Da er nicht will, dass die illegale Beschäftigung ans
Tageslicht kommt und er sich Ärger mit den Behörden wegen illegaler
Schwarzarbeit einhandelt, zahlt er dann doch wie vereinbart.
Katarszyna aus einem kleinen Dorf nahe der Grenze zur Ukraine hat auf
eine Annonce geantwortet. Balletttänzerin für Auftritte in deutschen
Bars gesucht, stand da. Begeistert antwortet sie und hofft, etwas Geld
von dem in Deutschland Verdienten auch den Daheimgebliebenen zukommen
lassen zu können.
Als ihr scheinbar künftiger Arbeitgeber sie mit den anderen Frauen über
die Grenze gebracht hat, verliert er plötzlich seine gute Mine. Und
nimmt den Frauen ihren Pass ab. Macht ihnen klar, dass sie demnächst in
einem Puff für ihn arbeiten werden. Die Kosten für Miete, Essen und
natürlich den Transport zieht er von Lohn ab, so dass kaum etwas
bleibt. Und wer sich aufmüpfig zeigt, wird schnell an einen anderen
Zuhälter weiterverkauft. Der schlägt und züchtigt sie, bis sie seinem
Willen gehorcht. Wie aussteigen aus diesem Ring? Und was bringt es ihr
schon, als Zeugin gegen den Menschenhändler auszusagen. Sie wird ja
doch abgeschoben. Und muss gedemütigt zurück in ihr Dorf. Was für eine
Schande. Meine Familie wird mir nie vergeben.
Drei Schicksale von polnischen Frauen, die hier in Berlin landen. Die
meisten von ihnen kommen aus Ostpolen und fühlen sich als Verlierer der
Wende. Wie Deutschland leidet Polen unter seiner Spaltung. Und auch bei
den Nachbarn sind es vor allem die Frauen aus dem Osten besonders der
mittleren Jahrgänge, die wie schon in sozialistischen Zeiten über
Gebühr mit Familie und Beruf belastet sind.
Wenigen, vor allem aus der jüngeren Generation, gelingt - als Bankfrau
z.B. - der Aufstieg als “Businessman”. Oft zu einem sehr hohen Preis,
der die Aufgabe aller traditionellen polnischen Werte einschließlich
der starken familiären Bindungen verlangt.
In Polens Geschichte war es für Frauen selbstverständlich, wie ihre
Männer dem romantischen Motto “Gott-Ehre-Vaterland” zu folgen. Ihr
stand es zu, stark zu sein, klaglos alle häuslichen Pflichten zu
übernehmen, das Geld zu verwalten und den Lebenskreis der Familie zu
organisieren. Und damit treu für das Weiterleben der patriotischen
Ideale zu sorgen. Obwohl viele Polinnen erstmals nach dem letzten Krieg
eine berufliche Ausbildung absolvierten und in den Arbeitsprozess
einstiegen, gewannen sie nie ein Selbstbewusstsein für ihre Stärke. Sie
nahmen die Mehrfachbelastung gutmütig hin. Oder anders gesagt: Sie
waren emanzipiert und konservativ zugleich - selbständig und abhängig,
klug und untertan, erfolgreich und auch noch elegant und schön. Selbst
in der Zeit des Sozialismus, wo sie noch eine weitere Aufgabe zu
bewältigen hatten: den materiellen Mangel geschickt auszugleichen und
nach neuen Quellen zur Versorgung der Familie Ausschau zu halten.
In der Zeit des Umbruchs in den 80er Jahren engagierten sich Frauen
massenweise in der Gewerkschaft “Solidarnosc”. Obwohl sie 50 Prozent
der Mitglieder ausmachten, äußerten sie zu wenig – und wenn, dann zu
allgemeinen politischen Zielen. Dass Frauen sich auch für ihre
ureigensten Interessen engagieren können, um der Doppelbelastung von
Beruf und Familie entgegen zu wirken, war den wenigsten bewusst. Und so
gaben sich nicht als besondere Gruppe zu erkennen. Frauen, die
versuchten, weibliche Probleme zur Sprache zu bringen, ließen sich mit
Argumenten wie “Dies alles später, jetzt zählt vor allem innere
Solidarität” zurückweisen. Wieder war sie das Opfer. Und viele sind es
noch immer. Frauen sind in Polen weit mehr von der Arbeitslosigkeit
betroffen. Die meist zu teuren Kindergärten werden geschlossen. Dafür
dürfen sie mit dem kleiner gewordenen Budget haushalten. Die Zahl der
Frauen, die sich weiterbilden und studieren, sinkt. Die Zahl der Frauen
in staatlichen Institutionen und Gremien ist die niedrigste seit 50
Jahren. Wie Ewa Maria Slaska, Chefredakteurin der deutsch-polnischen
Literaturedition “Wir” schreibt, scheuen sich viele Männer nicht mehr,
in der Öffentlichkeit der Frau ihren Platz am Herd zuzuweisen. Und
Frauen stimmen ihnen zu. Die Kirche unterstützt dieses Zurück zu alten
polnischen Werten gnadenlos - wie 1992 durch den staatlichen Erlaß des
Antiabtreibungsgesetzes oder die Bemühungen des Sejm, Scheidung und das
Zusammenleben ohne Trauschein zu erschweren. Zwar gibt es mittlerweile
in Polen eine feministische Szene - aber im Parlament ist sie so gut
wie nicht vertreten. Viele Polinnen hoffen auf die Mitgliedschaft ihres
Landes in der Europäischen Union - und damit auf mehr Menschenrechte.
Auch, dass eine Frau Präsidentin in Polen werden soll, ist ein Zeichen
hoffnungsvollen Aufbruchs.
Was aber treibt einen Teil der deutschen Männerwelt Polinnen auf die
Hitliste heiratsfähiger ausländischer Frauen zu setzen? Es ist wohl
nicht nur die Nähe der beiden Länder. Die Vermutung drängt sich auf,
dass sie die wirtschaftliche Not der Polinnen ausnutzen und somit die
Geschichte gern ein Stück rückwärts drehen möchte. Statt sich dem
eigenen Mangel an Anpassungs- und Beziehungsfähigkeit zu stellen und
somit der Auseinandersetzung mit starken Frauen nicht auszuweichen.
Opfer, auf die sie ihre - oft auch von Frauen, vor allem ihren Müttern
- erlittenen Kränkungen projizieren und abreagieren können. Sie
solidarisieren sich unbewusst mit einem großen Teil ihrer
Geschlechtsgenossen in Polen, ohne sich selbst in Frage zu stellen.
Sanftmütige, grazile Polinnen, die im Sinne des Patriarchat erzogen
wurden, machen es ihnen leicht, indem sie unbewusst freiwillig und der
Not gehorchend ihre Opferrolle annehmen und meist zu spät merken, in
welche Falle sie tappen. Ist sie zugeschnappt, bleibt ihnen nur noch
die Chance, die Dummheit der Männer auszunutzen und feinfühlig deutsche
Gesetze zu umschiffen oder sie passend für sich zu machen. Wer leidet,
wird halt klüger.
Wie Frau Lesniak von “Zapo”, der beim Polnischen Sozialrat in Berlin
bestehenden “Zentralen integrierten Anlaufstelle für PendlerInnen aus
Osteuropa” sagte, ist die von deutschen Männern ausgehende Gewalt oft
höher als die von Männern, die einst von Polen nach Deutschland
auswanderten und sich eine Frau aus ihrem Herkunftsland suchten. Aber
auch die unterschwellige Diskrimierung von Polizei und Justiz bei
Razzien und dem schnellen Bedürfnis nach Ausweisungen von Frauen, die
mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, gibt zu denken.
Abgesehen davon, dass frau keinem in hierarchischen Strukturen
eingebundenen Beamten unterstellen möchte, die Dienste polnischer
Frauen in Anspruch zu nehmen: diejenigen, die mit Senat und Ämtern
zusammenarbeiten, um den in Not geratenen Frauen zu helfen, wissen
genug von Schikane und Willkür zu berichten (auch die Journalistin, die
bei ihrer Recherche von polnischen Mitarbeitern und Sozialarbeitern
sofort Unterstützung unterhielt - im Unterschied zum Landeskriminalamt,
dass sich mit der Herausgabe von Informationen bedeckt hält, damit aber
auch der Öffentlichkeit die differenzierte Betrachtung von
Schwarzarbeit und Menschenhandel erschwert). Was z.B. hat eine Frau
davon, die sich als Zeugin in einem Prostitutionsprozess zur Verfügung
stellt? Sie darf mitunter drei- bis vier Jahre warten, bis es zum
Prozess kommt. Sie ist im Land nur geduldet, muss vom minimierten
Sozialhilfesatz leben, darf nicht arbeiten oder eine Schule besuchen.
Und hat auch keinen Anspruch auf therapeutische Hilfe, die sie so
dringend bräuchte. Der Mut der Frauen wird nicht belohnt. Zumal sie oft
auch von Zuhause unter Druck gesetzt werden, zu schweigen. Um in die
alte Opferrolle zurückzukehren. Und hat sie dann endlich ausgesagt -
wird sie abgeschoben. Nur die Gerichts- und Abschiebekosten muss sie
nicht wie die anderen Ausgewiesenen tragen. Und bei der Einklage des
Unterhaltes bekommt sie wenigstens eine akzeptable Abfindung - anders,
als wenn sie von ihrem Heimatland aus klagen würde. Wie sehr diese
Frauen mitunter unter Lebensgefahr stehen, blendet die mitfühlende
Justiz aus. Zuhause erwartet sie Demütigung und manchmal auch der
Rausschmiss aus der Familie. Möglicherweise wartet im Flugzeug auch ein
neuer Zuhälter. Die haben längst herausgefunden, das abgeschobene
Frauen im Flugzeug hinten sitzen. Und so geht es, kaum auf heimatlichen
Boden gelandet, mit neuen Papieren zurück auf den deutschen Strich.
Schon Frauen, die bei Razzien im Gefängnis landen, sind nicht
geschützt. Es ist meist der Zuhälter, der den Rechtsanwalt besorgt,
damit sie den Knast verlassen können - und so wieder in den
fangsicheren Händen des Zuhälters landen. Frau Lesniak weist darauf
hin, dass bei deutschen Ämtern “in letzter Zeit weniger von
Menschelhandel die Rede” sei, sondern “mehr von Bekämpfung von
Kriminalität”. Ein geschickter Schachzug der von Männern dominierten
Beamtenwelt: Das Problem der Frau rückt damit in den Hintergrund. So
wird sie zum Problem - und zum Mittel auf dem Weg, kriminelle Banden
auszuhebeln. Und wenn sie wie der Mohr ihre Schuldigkeit getan hat, ist
nicht von Interesse, was aus ihr wird.
Aber auch Polinnen, die Berlin als ihre neue Heimat angenommen haben,
fühlen sich diskrimiert. Eine Diplomatin der polnischen Botschaft
wollte ihren sechsjährigen Junge in eine Schule schicken, wo er deutsch
und polnisch gleichermaßen lernen kann. Nur drei davon gibt es in
Berlin. Weil der Anfahrtsweg zu weit war, schickte sie ihren Jungen auf
eine deutsche Schule. Dort beschwerte sich die Lehrerin empört, dass er
nach drei Wochen immer noch nicht deutsch sprechen kann... Wer in
Berlin eine Schule sucht, auf dem er das polnische Abitur ablegen
möchte, sucht vergeblich. Obwohl die Polen die zweitgrößte Minderheit
in Berlin sind. Anders als die Japaner. Die aber dürfen in der
deutschen Hauptstadt japanisches Abitur machen.
Polnische Frauen mit hoher Bildung müssen in Berlin fast immer mit dem
sozialen Abstieg rechnen. Laut Abkommen zwischen Polen und Deutschland
erkennen die Deutschen die Schule ihres Nachbarn nicht als gleichwertig
an. Wer hier studieren will, muss das deutsche Abitur nachmachen. Wer
aber in Polen studiert hat, der darf hier zwar seinen Diplom- oder
Magistertitel tragen - Arbeit bekommt er deswegen noch lange nicht. Und
oft erteilt der Senat auch aus arbeitsrechtlichen Gründen keine
Zulassung.
“Die Frauen, die sich an uns wenden, denken, sie sind die
Entrechteten”, sagt Joanna Lesniak vom Polnischen Sozialrat, die schon
vielen Frauen aus Osteuropa geholfen hat. Die selbstbewußte Powerfrau,
die in den 80er Jahren wegen des Kriegsrechts in Polen nach Berlin kam,
klärt die in Not Geratenen über ihre Rechte auf und, begleitet sie zu
den Ämtern. Die “Zapo” vermittelt ÄrztInnen und Rechtsbeistand in
Gerichtsverfahren. Sie besucht die Frauen in Abschiebehaft und bietet
Deutschkurse an. Hilft bei der Familienzusammenführung, berät bei der
Entwicklung von Zukunftsperspektiven, ungeklärten Arbeitsverhältnissen,
bei Ehescheidungen und der Rückkehr nach Polen. Die besonders
Schutzbedürftigen, wie die Zeuginnen in Menschenhandelsprozessen,
finden Unterkunft in der Zufluchtswohnung, wo sie sich mit anderen
Frauen austauschen können, die Ähnliches erlebt haben und nach den zum
Teil traumatisierenden Erfahrungen wenigstens etwas zur Ruhe kommen
können.
“Viele Frauen trauen sich nach vielen Jahren das erste Mal, eine Schule
zu besuchen und selbständig zu leben”, freut sich Frau Lesniak über
Frauen, die aus ihren unglücklichen Zwangsehen herausfinden. “Jahrelang
haben sie alles nur aus dem Blickwinkel der Familie gesehen. Jetzt aber
fangen sie endlich an zu leben.” Es sind wohl diese Glücksmomente in
ihrer Arbeit, die sie immer wieder von Neuem motivieren.
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