Thema | Kulturation 2/2003 | Kulturelle Differenzierungen der deutschen Gesellschaft | Kristina Bauer-Volke | Ostdeutschlands Problem mit der kulturellen Substanz. Gesellschaftliche Dimensionen des kulturellen Wandels
| [Mit diesem Text leitet die Verfasserin den Band „Labor Ostdeutschland. Kulturelle Praxis im gesellschaftlichen Wandel“
ein, den sie gemeinsam mit Ina Dietzsch im Auftrag der Kulturstiftung
des Bundes herausgegeben hat. Interessenten bestellen ihn unter
info@kulturstiftung-bund.de.]
Vor einigen Jahrzehnten spielte das Berliner Ensemble das Stück vom
braven Soldaten Schwejk. Da Schwejk bekanntlich dahergelaufene Hunde
verkaufte, als seien sie von edelster Rasse, gehörte ein solcher auch
in die Vorstellung am Theater. Für die zahlreichen Aufführungen wurde
deshalb der Hund einer Schauspielerin für 40 Mark pro Abend und die
Hälfte des Theaterferienhonorars für Ensemblemitglieder eingestellt. Da
die Schauspielerin am Stadtrand wohnte und offensichtlich keine Lust
verspürte, ihr Haustier zu den häufigen Auftritten zu begleiten,
schickte das Theater allabendlich auf eigene Rechnung ein Taxi, in das
sich am Wegesrand auch andere Schauspieler der Inszenierung gesellten,
um sich eine lange Bahnfahrt auf eigene Kosten zu sparen. Ähnlich trug
es sich nach dem Ende der Vorstellungen zu.
Diese Geschichte erzählte die Schauspielerin Steffi Spira kurz vor
ihrem Tod am Krankenbett, wo man sich aus Anlass von Hanns Eislers 40.
Todestag versammelt hatte. [1] Ihre Schilderung hat Schmunzeln
hervorgerufen, denn sie weckte die Erinnerung an Zeiten, in denen man
beim Theaterspielen noch andere Sorgen hatte als das Geld.
Hunde mit Tariflohn, Urlaubsgeld und eigenem Chauffeur sind längst
nicht mehr Gegenstand der Debatte darüber, was sich die Theater leisten
können. Vielmehr scheint in vielen Fällen die Frage angebracht, ob wir
uns das Theater selbst leisten wollen – denn von können kann angesichts
der Klagen aus zuständigen Finanzverwaltungen kaum noch die Rede sein.
Dasselbe gilt für Orchester, Chöre und Ballettensembles, seit kurzem
auch für Museen, schon lange für Bibliotheken. Spricht man in diesem
Zusammenhang dann noch von Ostdeutschland, verschärft sich die Lage
zusehends, denn die neuen Bundesländer besitzen mehr Kulturlandschaft,
als Kommunen und Länder finanzieren können. Das Missverhältnis ist
strukturell und auch nicht durch das inzwischen regelmäßig praktizierte
Schließen einzelner Häuser, Ensembles und Klangkörper zu beheben. Im
Gegensatz zu München, Köln und anderen westdeutschen Städten, deren
gerade angekündigte Kürzungen der Kulturhaushalte viel Aufsehen
hervorriefen, leiden die neuen Bundesländer schon seit geraumer Zeit an
chronischer Unterfinanzierung, die nicht selten mit drastischen
Einschnitten auch bei jahrhundertealten künstlerischen Institutionen
einhergeht. Die Bilanz von dreizehn Jahren Kulturpolitik im vereinten
Deutschland kennt eine lange Liste von solchen Negativereignissen:
Geschlossen wurden zahlreiche Bühnen und Orchester, darunter das
Orchester Neustrelitz, der Opernchor und das Musiktheater Potsdam, das
Wittenberger Orchester, das Schauspiel Erfurt, das Theater Frankfurt
(Oder). Noch mehr Theater wurden fusioniert oder in den Sparten
eingeschränkt [2], und dass der Abbau damit noch nicht zu Ende ist,
beweisen die angekündigten Schließungen der Theater Zeitz und
Nordhausen, des Stadtmuseums Weimar, der städtischen Galerie Schwedt
und vieler weiterer Institutionen.
Andererseits scheint Kultur trotz der Finanzmisere in den neuen
Bundesländern zu boomen – positive Nachrichten von dort werden
vorrangig in den Feuilletons verkündet: Zahlreiche Kunstfestivals in
ganz Ostdeutschland erregen internationales Aufsehen, Museen
verzeichnen Besucherrekorde; Ausstellungen, Inszenierungen und
temporäre Projekte zeugen von kultureller Vielfalt. Man könnte meinen,
der Mangel befördere die künstlerische Kreativität. Viel
wahrscheinlicher ist jedoch, dass im Schatten der erfolgreichen Events
das stetige Kulturangebot verloren geht. Schon häufen sich die
Warnungen, dass die Kürzungen an die »kulturelle Substanz«
Ostdeutschlands zu gehen drohen. [3] Bleibt die Frage, was das wohl ist
und was zu tun ist, um ihren Verlust zu verhindern.
1. Die Sehnsucht nach der deutschen Nation: Der Einigungsvertrag und der Begriff der »kulturellen Substanz«
»Wenn ich mit der europäischen Einigung noch einmal zu beginnen hätte, würde ich mit der Kultur beginnen.« (Jean Monnet) [4]
Der Begriff »kulturelle Substanz« ist für Ostdeutschland mehr als eine
rhetorische Figur. Eingeführt wurde er, als im Zuge des
Einigungsvertrages das kulturelle Erbe der DDR in Form ihrer
Kulturstätten in die Verantwortung der Bundesrepublik überging. Die
Motivation, im Vereinigungsprozess gerade die Kulturstätten zu sichern,
erwuchs, das wurde inzwischen vielfach beschrieben, dabei aus der
Grundannahme, dass Kunst und Kultur im Gegensatz zu Rechts-,
Wissenschafts- und Wirtschaftssystem der DDR »in den Jahren der Teilung
– trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten in Deutschland
– eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation«
gewesen seien und nun »einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag
im Prozess der staatlichen Einheit ...« [5] leisten würden. Mit einer
enormen und einmaligen Übergangsfinanzierung [6], die unter anderem die
Hälfte der laufenden Kosten aller ostdeutschen Theater, vieler Museen
und anderer Kultureinrichtungen deckte, gab man den Ländern und
Kommunen Zeit für notwendige Strukturanpassungen und Neuorganisation.
Insgesamt zahlte der Bund in den Jahren 1991 bis 1993 drei Milliarden
DM, die sowohl den laufenden Betrieb vieler Spielstätten als auch die
bauliche Instandsetzung von Kirchen, Denkmalen, Theatern und
historischen Gebäuden sicherten. Eventuell notwendige Schließungen,
Personalreduzierungen und Fusionen sollten selbstbestimmt von Ländern
und Kommunen entschieden und durchgesetzt werden.
Unter »Substanz« verstand man dabei vor allem Stätten des kulturellen
Erbes, denn der Artikel 35 sicherte – auf Grundlage der Empfehlungen
einer 1989 eingesetzten deutsch-deutschen Kulturkommission – vor allem
jene Kulturinstitutionen, die durch jahrhundertealte Traditionen als
nationales Kulturgut galten – weil sie die gemeinsamen
kulturgeschichtlichen Wurzeln repräsentierten – und auf deren
Wiederbelebung es bei der Vereinigung Deutschlands für die Zukunft des
neuen deutschen Staates anzukommen schien. Zu ihnen zählten nach einem
im Vertrag postulierten »weiten« Kulturbegriff Museen, Theater, Archive
und Sammlungen, Schlösser, Kirchen und Gärten, auch einige
Bibliotheken, die meisten Gedenkstätten (so sie nicht als
sozialistische galten), Orchester und Festspiele. [7] Dass es sich
dabei mehrheitlich um Institutionen der Hochkultur handelte,
widersprach nicht nur dem erweiterten Kulturbegriff, wie er seit den
siebziger Jahren in Westdeutschland durchgesetzt wurde und sowohl die
freie Kunstszene als auch die Soziokultur einschloss, sondern auch dem
weiten Verständnis von Kultur in der DDR, das sich auf Hoch- und
Breitenkultur bezog und ebenso großen Wert auf »Kulturarbeit« legte wie
auf »künstlerisches Schaffen«.
Im Rückblick kann dies kaum verwundern, denn es handelt sich um den
gesetzlich verankerten Auftrag des Bundes, Kulturstätten von nationaler
Bedeutung zu fördern. Aus der damaligen Sicht und vor dem Hintergrund,
dass man hier um nicht weniger als die »kulturelle Substanz«
verhandelte, führte die praktizierte Kulturauffassung jedoch dazu, dass
kulturelle Differenzen und aus ihr hervorgegangene DDR-spezifische
Institutionen ebenso wenig beachtet wurden wie die zeitgenössische
Kunstproduktion außerhalb der Institutionen. Auf diese Weise fielen die
Gruppen der freien Szene, die bis dahin bis auf wenige Ausnahmen aus
politischen Gründen in der DDR eben nicht institutionalisiert worden
waren und in Nischen fernab jedweder staatlicher Förderung existiert
hatten, zumindest vorerst erneut aus der Wahrnehmung bzw. Förderung.
Ebenso erging es zahlreichen betrieblichen Kulturhäusern, die einen
Großteil der Breitenkultur gesichert hatten. Eingedenk der damit
einhergehenden Einschränkungen hieß es in einer Denkschrift zum
Vereinigungsvertrag folgerichtig, dass »nicht alle künstlerischen
Aktivitäten in dem beitretenden Gebiet weitergeführt werden« können.
»Die kulturelle Substanz soll jedoch gewahrt werden.« [8]
Obwohl diese Debatte um »kulturelle Substanz« und ihre Konzentration
auf institutionalisierte Hochkultur als Ausdruck eines gemeinsamen
kulturellen und künstlerischen Erbes von Anfang an auf Kritik stieß,
die sich vor allem auf die Auslassungen bezog und eine genaue Analyse
von Wert und Unwert der ostdeutschen Kulturlandschaft forderte, war
Artikel 35 des Einigungsvertrags ein glückreicher Umstand für die
ersten Jahre des Wandels. Der Kulturbetrieb der DDR hatte auf Grundlage
staatlicher Regeln und Wertvorstellungen funktioniert, war durch
zentral bereit gestellte Ressourcen geplant, inhaltlich gesteuert und
finanziert worden. Das System kultureller Institutionen, über das die
DDR 1989 verfügte, bildete ein dichtes und höchst ausdifferenziertes
Netz, das ebenso ländliche Regionen wie auch verschiedene soziale
Schichten und ihre spezifischen Kulturbedürfnisse einschloss. Die Liste
der als Erbe der DDR überlieferten Kulturinstitutionen verzeichnete zum
Zeitpunkt der staatlichen Vereinigung 217 Theater und Spielstätten, 87
Orchester, 955 Museen und 9 Künstlergedenkstätten, 112 Musikschulen und
99 Musikunterrichtskabinette, 9349 Bibliotheken, 250000 gesetzlich
geschützte Baudenkmale und historische Stadtkerne.
Eine Studie über Standortverteilung und territoriale Struktur staatlich
geleiteter Kultureinrichtungen [9] aus dem Jahr 1987 führt eindrücklich
vor Augen, dass es sich bei der kulturellen Infrastruktur der DDR
tatsächlich um eine Flächendeckung handelte, die in keinem anderen Land
Europas erreicht worden sein dürfte. Unter der Maßgabe, die
»sozialistische Persönlichkeit allseitig zu entwickeln«, waren
innerhalb nur weniger Jahrzehnte Instrumente entwickelt und Strukturen
aufgebaut worden, die auch kleinste Ortschaften mit Angeboten aus Kunst
und Kultur versorgten und jedem unabhängig von Einkommen und sozialem
Stand eine aktive Teilnahme daran ermöglichten.
Galt die Studie von 1987 noch der weiteren Planung der kulturellen
Infrastruktur, um Disproportionen wie Ausstattungsdefizite und
Minderversorgungen auszugleichen, richtete sich der mit der staatlichen
Vereinigung und der nachfolgenden Gründung von Bundesländern in
Ostdeutschland notwendig gewordene Strukturwandel darauf, ehemals
zentralistisch organisierte Strukturen in das föderalistische System
der Bundesrepublik zu überführen, das kulturelle Selbstverwaltungsrecht
der Kommunen herzustellen, inhaltliche Deckelung durch Kunstfreiheit zu
ersetzen und misswirtschaftlich geführte Strukturen zu bereinigen. Dass
trotz der Maßgabe, dabei die »kulturelle Substanz« zu bewahren, die
Institutionen zum Teil radikal dezimiert wurden, ist vielen Akteuren
allerdings erst im Laufe der folgenden Jahre bewusst geworden. Zuerst
betroffen waren die betrieblichen und gewerkschaftlichen
Kultureinrichtungen wie Kulturhäuser und Jugendklubs [10] mit den ihnen
angegliederten Laienzirkeln, Zirkeln des Volkskunstschaffens etc. Sie
wurden mit den Betrieben, LPGs und Gewerkschaften, die dem plötzlichen
und nicht abgefederten Umbruch von der sozialistischen Planwirtschaft
zum Wettbewerb des Markts nicht gewachsen waren, geschlossen oder, weil
man sie sich nicht mehr leisten konnte und neue Träger nicht in Sicht
waren, »eingespart«. Die wenigen Ausnahmen wurden anderen
Haushaltsressorts zugeordnet und dann in den Bereichen für Familie,
Jugend und Soziales geführt. Ähnliche Prozesse spielten sich auf
bezirklicher bzw. kommunaler Ebene im Bereich der Bibliotheken, Clubs
und Kinos ab, deren Finanzierung und damit Existenz oft abrupt endete,
oder sie wurden aus dem kommunalen Auftrag in die Marktwirtschaft
entlassen.
Institutionen der Hochkultur wie Theater und Museen, historische
Stätten und Gartenanlagen gingen in die Hoheit von Ländern und Kommunen
über – ein Tatbestand, der mit Auslaufen der Sonderförderungen
unweigerlich zum finanziellen Kollaps geführt hätte, wäre der Bund
nicht auch nach 1993 immer wieder durch institutionelle Mitfinanzierung
der laufenden Kosten und von Baumaßnahmen und Anschaffungen
eingesprungen (etwa im Leuchtturmprogramm, das 1995 erstmals aufgelegt
wurde, oder im Förderprogramm »Kultur in den neuen Ländern« ab 1998).
[11] Die Unterstützung des Bundes ist freilich nur ein geringer Teil
jener quasi gesetzlich vereinbarten, auf Substanzerhalt ausgerichteten
kulturellen Transformation. Die zweifelsohne größten Leistungen der Re-
und Umorganisation oblagen den Ländern, die hierbei unterschiedliche
Wege gingen und ein eigenes Verständnis ihrer kulturellen Substanz
erprobten.
Eine wegweisende und deshalb am häufigsten beschriebene
Gesamtkonzeption stellte Sachsen 1994 mit dem »Kulturräumegesetz« vor.
Unter der Prämisse, das Land an der Elbe explizit nicht als
ostdeutschen, sondern als europäischen Kulturraum zu etablieren,
unterteilte man das Gebiet des Freistaats in elf teils historisch
begründete, teils neu gefundene Regionen bzw. Unterräume, die eine
administrative Einheit zur Finanzierung von Kunst und Kultur nach einem
»Solidarprinzipmodell« ermöglichten. Innerhalb dieses
Finanzierungszweckverbandes wurden alle kulturellen Institutionen
aufeinander abgestimmt und Reformen, die auch Einsparungen und
Dezimierungen beinhalteten, unter regionalen Versorgungsaspekten
durchgeführt. Mit dieser Strategie entwickelte Sachsen eine
Flexibilität, die kulturelle Versorgung sowohl in ländlichen Räumen als
auch in urbanen Zentren und sowohl Stätten der Hochkultur als auch der
Breitenkultur zu sichern. [12] Zum Konzept gehörte die Zusammenlegung
von Ensembles zu so genannten Kulturraumorchestern, die an
verschiedenen Orten spielen und das kostenintensive Ensembletheater
sinnvoll ersetzen können oder regional autonome Mittelvergaben für
Projekte bzw. Institutionen aus allen künstlerischen Sparten
ermöglichen.
Auf anderen Wegen versuchten die anderen Länder ihre kulturelle
Infrastruktur zu erhalten und zu erweitern: Während Thüringen die
Hauptaufgabe in der Reform der beispiellos dichten (und deshalb auf
Dauer nicht finanzierbaren) Theater- und Orchesterlandschaft sah,
konzentrierte sich Sachsen-Anhalt auf seine besonderen
kulturhistorischen Traditionen, die dem Land den ehrenvollen Beinamen
»kulturelles Kernland« Deutschlands eingebracht hatten. Kulturelle
Substanz verortete man deshalb in den zahlreichen historisch
bedeutsamen jahrhundertealten Baudenkmalen, in Schlössern und Burgen,
die die »Straße der Romanik« bilden. Brandenburg setzte seinerseits auf
Reformen eines Gesamtensembles kultureller Institutionen. Zu den
zahlreichen Maßnahmen, die dem Erhalt und der Stärkung kultureller
Substanz dienen sollten, führte man unter anderem die
»Kulturland«-Kampagne ein (vgl. Voesgen/Bachmann: Kulturland
Brandenburg) – eine Strategie, die auf Vernetzung unterschiedlicher und
oft recht weit voneinander entfernter Kulturinstitutionen zielte, um
damit eine »Erhöhung der touristischen Attraktivität der Region«, eine
»vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Land Brandenburg,
seinem kulturellen Erbe und seinen kulturellen Potentialen« und die
Stiftung »höherer Identität der Bewohner mit ihrer Region« sowie die
»Stärkung der kulturellen Infrastruktur und Weiterentwicklung der
kulturellen Netzwerke« [13] zu erreichen. Mecklenburg-Vorpommern – ein
in vier Regionen geteiltes Flächenland, dessen kulturelle Infrastruktur
vielfältig ist, aber im Gegensatz zu Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen kaum von klar identifizierbaren Kernthemen charakterisiert
wird – ist gerade erst dabei, sich zur Kulturregion zu erklären, denn
als solche hatte das von ländlichen Gebieten und großen
Naturlandschaften gekennzeichnete Land bislang nicht gegolten. Die
Bemühungen galten deshalb sowohl dem Erhalt der kulturhistorisch
bedeutsamen Stätten und der Reform der Theaterlandschaft als auch der
Etablierung von zahlreichen Musikfestivals, um den (Natur-)Tourismus,
eine der Haupteinnahmequellen des Landes, zu stärken.
2. Die unliebsamen Künstler:
Kultur außerhalb der »kulturellen Substanz«
»Vielleicht war es der Euphorie des Wieder-zusammen-Kommens
geschuldet, dass die Politik zu sehr auf eine noch zu definierende
Einheit fixiert war, die sie in gemeinsamen kulturgeschichtlichen
Wurzeln wähnte, als dass in vierzig Jahren gewachsene Unterschiede
Berücksichtigung gefunden hätten. Diese Auslassungen sollten später
dramatische Folgen zeigen, als statt der Kunstwerke, die in der DDR
entstanden waren, ihre Produzenten als politisch korrumpiert auf den
Prüfstand gezerrt wurden und die Vorverurteilung ausschließlich an den
biografischen Verfehlungen festgemacht wurde.« (Herbert Schirmer) [14]
Die Behandlung der ostdeutschen Kulturlandschaft als »kulturelle
Substanz« ist einer der bemerkenswertesten Vorgänge in der Geschichte
der deutschen Vereinigung. In ihm vollzog sich nicht nur symbolisch,
sondern höchst materiell ein wichtiger Teil des (gesamt)deutschen
nation building. Die mit der Einführung des Begriffes »kulturelle
Substanz« vollzogene Bedeutungsaufladung und Transzendierung
kultureller Institutionen zu Trägern des kulturellen Gedächtnisses
lieferte die Grundlage für das Wiedererstehen der Deutschen als geeinte
Kulturnation in Europa. Geradezu paradox müssen vor diesem Hintergrund
die Kämpfe und Auseinandersetzungen anmuten, die sich zeitgleich
vollzogen – ebenfalls in der Kultur, jedoch außerhalb derer, die zur
Substanz erklärt worden war.
Hatte Artikel 35 des Einigungsvertrages das materielle Kulturerbe der
DDR quasi unter staatlichen Schutz gestellt, widerfuhr den Künstlern
nicht selten das Gegenteil. Viel ist inzwischen über die –
absichtsichtsvolle oder gedankenlose – Nichtachtung und Entwertung
ostdeutscher Lebensentwürfe und Wertvorstellungen, über die missglückte
Vereinigung auf der Ebene der »Lebenskultur« geschrieben worden – die
vielfältigen Voraussetzungen und Auswirkungen sollen hier nicht
rekapituliert werden. Hier ist von Bedeutung, dass der Großteil dessen,
was als kulturelle und künstlerische »Software« verstanden werden kann,
im Gegensatz zur gesetzlich gesicherten »Hardware« nicht nur nicht zur
Substanz (und auch nicht zur Repräsentationskultur) des neuen
Deutschlands gezählt, sondern aus dieser aktiv ausgeklammert wurde.
Am deutlichsten wird dies am Streit um Wert und Unwert der bildenden
Kunst der DDR, der ebenfalls als paradigmatischer Vorgang der
kulturellen Vereinigung beider deutscher Staaten verstanden werden kann
– und sich gänzlich anders darstellt als die Vorgänge um Artikel 35. Er
soll an dieser Stelle in seinen Grundzügen nachgezeichnet werden –
einerseits, weil er stellvertretend für zahlreiche Auseinandersetzungen
um das künstlerische Erbe der DDR stehen kann, andererseits, weil seine
Besonderheiten Einblicke in die Verschiedenheit kultureller Prämissen,
in das Politische der Kunst und die Schwierigkeiten der kulturellen
Vereinigung ermöglichen.
»Deutsche Kunst ist ein anderes Thema als deutsche Musik und
deutsche Dichtung. Es ist anders, weil die Deutschen anders damit
umgegangen sind, weniger selbstbewußt und deshalb mit mehr Beteuerungen
und Rechtfertigungen, als sie es sonst nötig hatten.« (Hans Belting) [15]
Mit der absichtsvoll undiplomatischen Aussage des Malers Georg
Baselitz, alle Künstler der DDR seien »Arschlöcher«, weil sie »die
Freiheit der Kunst, die Liebe und das Leben verraten« [16] hätten,
begann der Bilderstreit im selben Jahr, da Artikel 35 verabschiedet
wurde. Er sollte über ein Jahrzehnt dauern und das kulturelle Klima des
vereinten Deutschlands nachhaltig beeinflussen. Baselitz – durch seine
Ausreise aus der DDR und den ihr folgenden internationalen Erfolg in
der Bundesrepublik als Autorität in Sachen Kunst der DDR anerkannt –
lieferte dabei nur das Stichwort. Ihm antwortete ein vielstimmiger Chor
von Kunsthistorikern, Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern, denen
es allerdings weniger um die Kunst als vielmehr um die Verstrickungen
der Künstler mit dem Staat und der Staatssicherheit ging.
Der Impuls ist freilich verständlich. Die repressive Kunstpolitik der
DDR hatte ein enormes Missverhältnis zwischen staatlich genehmer und
staatlich verfemter Kunst hervorgebracht; die Verletzungen und
Demütigungen derer, die zur Gruppe der Ausgegrenzten gehörten, waren
entsprechend groß. Der mit dem Ende des Kontrollsystems empfundene
Befreiungsschlag kann deshalb kaum überschätzt werden, die hitzige
Debatte nahm hier ihren Anfang. Die nachhaltige Dominanz des
politischen über den ästhetischen Diskurs ist damit jedoch nur
ungenügend erklärt. Der Streit um die bildende Kunst der DDR war von
Anfang an auch ein Kampf um die »richtige« und die »falsche« Kunst und
damit um deutsch-deutsche Feindbilder, die über Jahrzehnte genährt
worden waren, seit Ende der vierziger Jahre sowohl die sowjetische als
auch die amerikanische Besatzungsmacht die Kunst zum Symbolfeld der
Politik auserkoren hatten. Obwohl vor allem westdeutsche Museen und
Kunstwissenschaftler seit Ende der siebziger Jahre den Kalten Krieg auf
dem Gebiet der bildenden Kunst mit engagierten und kritischen
Ausstellungen unterbrochen und Annäherungen ermöglicht hatten, wurden
die Unterschiede in den Kunstauffassungen 1990 fundamentaler als je
zuvor zum Ausgangspunkt für die Debatten. Die immer wieder politisch
manifestierten und funktionalisierten Gegensätze sind mit Freiheit und
Pluralität der Kunst auf der einen, mit Parteilichkeit und
Volksverbundenheit der Kunst, zwei Doktrinen des sozialistischen
Realismus, auf der anderen Seite grob umrissen. Dass beide Dogmen zwar
treffend die Kulturpolitik, aber nur scheinbar die Kunstproduktion des
jeweiligen deutschen Teilstaates beschreiben, gehört zu den hart
erkämpften und längst nicht selbstverständlichen Erkenntnissen unserer
Zeit.
»Die beiden großen Fragmente Deutschland gleichen den beiden Hälften
eines in der Mittelsenkrechten zerbrochenen Spiegels, dessen
Bruchkanten nun beim Versuch, sie wieder ineinanderzupassen, leise
knirschen, wobei in Folge der Reibung lauter kleine Glaspartikel zu
Boden rieseln. Da die beiden Spiegelteile nicht plan, sondern in einem
leichten, kaum wahrnehmbaren Winkel zueinander stehen, sieht sich der
Betrachter darin irritierender Weise doppelt. Das ist der visuelle
Aspekt, mithin ist es der Aspekt der bildenden Kunst. Die Künstler, und
nicht nur sie [...] verhalten sich dabei [...] immer noch so, als kämen
sie aus verschiedenen Welten, die nichts miteinander zu tun haben
wollen. Die Maßstäbe zur Beurteilung ihrer Kunst sind dermaßen
unterschiedlich geeicht, dass sie überhaupt nicht zusammenpassen
wollen.« (Eberhard Roters) [17]
Die Auseinandersetzungen beschränkten sich von Anfang an nicht auf
interne wissenschaftliche Debatten. Bereits die Antworten auf Baselitz
hatten unter großer publizistischer Anteilnahme stattgefunden und die
scheinbar so einige deutsche Kulturnation in zwei Lager geteilt. [18]
Die im Laufe der Jahre wechselnden Schauplätze sollten dabei genauso
symbolisch werden wie die Themen und Personen, an denen sich die
Debatte immer neu entfachte: Zwei der ersten Spielstätten sollten sich
in Berlin befinden, dessen Identität sich vor der neuerlichen
Hauptstadtwerdung aus dem Bild der euphorisch wiedervereinten Nation
speiste. Fast zeitgleich spielten sich hier die Konflikte um die
Wiedervereinigung der Akademie der Künste und der Nationalgalerie ab.
Beide Institutionen hatten während der Teilung in einer ost- und einer
westdeutschen Ausgabe existiert, wobei beide genuin kulturelle bzw.
künstlerische Einrichtungen auch politische Manifestation des
Andersseins waren. So selbstverständlich es erschienen war, die beiden
Teile (wieder) zu vereinigen, so kompliziert stellte sich der konkrete
Vorgang dar. In der Akademie führte er zum Austritt von zahlreichen
westdeutschen Mitgliedern, weil man den ostdeutschen Kollegen, allen
voran den bildenden Künstlern, in Anlehnung an Baselitz künstlerische
Qualität und menschliche Aufrichtigkeit absprach. [19] Dass die
ostdeutschen Künstler nicht zur künstlerischen Elite Deutschlands
gezählt wurden, zeigte sich auch im Streit um die Neuhängung der
ständigen Sammlung in der Nationalgalerie im West-Berliner Haus am
Kulturforum. Stein des Anstoßes hier war die »Ostkoje«, eine kleine,
innerhalb der ständigen Ausstellung separat gehängte Auswahl von Werken
Sittes, Heisigs, Stötzers, Tübkes und anderer, international durchaus
anerkannter Künstler. [20] Zu den differenzierteren unter den Kritiken
gehörte der Vorwurf, dass die Kuratoren der Nationalgalerie »in den
selben Räumen einerseits nach Kriterien nationaler und internationaler
Bedeutsamkeit auswählte(n), für die DDR aber das Prinzip der
pragmatischen Dokumentation von Beständen angewandt« [21] haben. Andere
Stimmen sollten viel radikaler argumentieren [22] und den Arbeiten
ihren Status als Kunstwerk aberkennen.
Die Zuspitzung, ob Kunst der DDR nach westdeutschen und also
internationalen Maßstäben überhaupt als Kunst oder nur als historisches
Dokument zu bewerten sei, entsprach dabei durchaus dem Zeitgeist. Im
selben Jahr, da die Öffentlichkeit um die Berechtigung der Ostdeutschen
in der Nationalgalerie stritt, veranstaltete das Deutsche Historische
Museum Berlin eine Podiumsdiskussion mit dem Titel »Wohin mit der
Kunst?« [23]. Im Mittelpunkt standen in diesem Fall Werke, die aus
Gebäuden von Parteien, Massenorganisationen und Betrieben in den Besitz
der Treuhand-Gesellschaft übergegangen waren und nun ihrer weiteren
Verwendung harrten. Das mehr oder minder zufällig entstandene Konvolut
umfasste Arbeiten unterschiedlichster Herkunft, Machart und Qualität,
die Spannweite reichte von Künstlern, deren Arbeiten auch in
westdeutschen Museen gesammelt worden waren, bis hin zu
propagandistischen Kantinendekorationen. Die öffentlich geführte
Verständigung über das »Wohin« erreichte den Konsens, die Bestände in
eigens eingerichteten Depots zu sichern und wissenschaftlich zu
bearbeiten. Nur kurze Zeit später erwirkten die ostdeutschen
Bundesländer und Berlin die Übergabe der Werke nach dem Fundortprinzip.
Auf diese Weise entstanden das Depot auf der Burg Königstein, das
wenige Jahre später nach exzellenter wissenschaftlicher Bearbeitung und
Präsentation [24] wieder aufgelöst wurde, und die bereits 1991
angelegte Sammlung der Burg Beeskow, deren Geschichte allerdings
weniger erfolgreich sein sollte. [25]
Die Frage, ob Kunst oder nicht, wurde so verschoben. Unter anderem auf
ein Ausstellungsprojekt des Deutschen Historischen Museums, das sich
dem Auftragswesen der DDR widmen sollte – und damit wiederum
kulturgeschichtlich und nicht ästhetisch argumentierte. Zwei
Bedingungen für den folgenden Eklat waren damit bereits gegeben: die
Tatsache, dass über Kunst (oder historische Dokumente?) in einem
Geschichts- und nicht in einem Kunstmuseum verhandelt wurde sowie die
Dominanz der Frage, unter welchen (staatlich regulierten) Bedingungen
die Werke entstanden waren, und die so implizierte direkte Kopplung von
Kunst und Staat. Als die Ausstellung unter dem Titel »Auftrag: Kunst«
im Sommer 1995 dann 42 chronologisch geordnete Werke als beispielhaft
für die Kunstproduktion der DDR und ihre Entstehungsbedingungen
präsentierte [26], zeigte sich zum ersten Mal in vollem Ausmaß, von
welch enormer gesellschaftlicher Relevanz der Bilderstreit war.
Emanzipiert von der vermeintlichen Öffentlichkeit der Feuilletons,
führte das Publikum in der Ausstellung und den bereit liegenden
Besucherbüchern harte Debatten über die Bilder und Klischees, mit denen
die Kuratoren in ihrer suggestiv gehangenen Schau operierten – ein bis
dahin nicht voraussehbarer Vorgang, der den Bilderstreit endgültig aus
den internen Debatten des Kunstbetriebs heraushob und zur öffentlichen
Angelegenheit werden ließ. Was die Kuratoren in ihrer
wissenschaftlichen Herangehensweise und mit dem Blick von außen nicht
beachtet hatten, war die starke emotionale Bindung des ostdeutschen
Publikums an bildende Kunst. Dabei handelte es sich weniger um eine
Identifikation mit den oft propagandistischen Werken, sondern um einen
Gesprächsraum, der sich über Jahrzehnte herausgebildet hatte. Der
DDR-Staat hatte die bildende Kunst nicht nur in Bezug auf politische
Indienstnahme und Kontrolle zur Chefsache erklärt, sondern auch in
Bezug auf ihre Rezeption. Von den ersten Kunstausstellungen in Dresden
an, waren hunderte Kollektive zur Kunst geführt, mit dem Bitterfelder
Weg waren Laien zu Künstlern gemacht und Künstler in die Betriebe
geschickt worden; das Ideal des »neuen Menschen«, wie es in den
fünfziger Jahren postuliert worden war, kam nicht ohne kulturelle und
künstlerische Kompetenz aus. Die auf einem eigentlich
bildungsbürgerlichen Ideal fußende erzieherische Funktionalisierung
hatte künstlerisch absurde und oft repressive Auswirkungen. Genauso,
wie sich jedoch die Künstler im Laufe der Jahrzehnte gegen die
Indienstnahmen und Abhängigkeiten durchzusetzen lernten, eignete sich
das Publikum Kunst als Gesprächsraum an, wurden die Ausstellungen zu
einer nur begrenzt kontrollierbaren Gegenöffentlichkeit, zu Räumen der
Verständigung über Propaganda, Utopien und Realität des Lebens in der
DDR. Ob es sich dabei um die staatstragenden Dresdner
Kunstausstellungen oder kleine, oft nicht genehmigte Privatschauen
handelte: Kunstwerke, allzumal Gemälde, hatten für breite
Bevölkerungsschichten etwas mit dem eigenen Leben zu tun, und die
Aushandlung, ob und warum man sich mit ihren Inhalten und Intentionen
(oder der Verweigerung derselben) identifizierte oder eben nicht, war
kein romantischer Akt, sondern eine Verständigung über Nähe und Ferne
zum Staat, über Realität des eigenen Lebens und Postulate des mächtigen
Ideologieapparates.
»Die Kunstdoktrinen des Ostens und des Westens, die Wahrheit ohne
das Neue oder das Neue ohne die Wahrheit, waren beide auf
entgegengesetzte Weise falsch. [...] Gottseidank gab es zwar sowohl im
Osten wie im Westen Leute, die keiner Doktrin folgten und eine
ostwestliche Einigung daher hätten zustande bringen können. Jetzt aber
hat mit dem Westen auch die ›Avantgarde‹ gesiegt, und jetzt können
daher die, die es sich auf ihrem Terrain mittlerweile bequem gemacht
haben, die historischen Verlierer von oben herab belehren oder die
anderweitig ›verstrickten‹ DDR-Künstler anrempeln.« (Adolf Dresen) [27]
Diese Art der Aneignung ist nicht zu unterschätzen. Genau das taten
jedoch nicht nur die Ausstellungsmacher des Deutschen Historischen
Museums, sondern auch die vieler anderer Ausstellungen – zuletzt 1999
in Weimar, als der dritte Teil der Ausstellung »Aufstieg und Fall der
Moderne« eine krude Auswahl von Werken der DDR-Kunst in der einst als
Gauforum konzipierten Stadthalle in direkter Nachbarschaft zu NS-Kunst
und vor LKW-Plastikplanen zeigte. Die nachträgliche und vielleicht
sogar unbeabsichtigte Enteignung der Kunst zugunsten fragwürdiger
Thesen mobilisierte in Weimar tatsächlich Massen. [28] Dass dies
ausgerechnet in dem Jahr geschah, da die Stadt Goethes und Schillers
zur Kulturhauptstadt Europas gewählt worden war, verlieh dem Eklat eine
besondere Note. Ein Plakat, das die PDS an der Fassade des Gebäudes
aufgehängt hatte, trug die Worte: »Kunst ist unser Reichtum und unser
Gedächtnis. Die kulturelle Substanz darf keinen Schaden nehmen.« [29]
Gesprächsräume existierten ebenfalls im Theater, in der Musik und in
der Literatur. Auch um letztere sollte sich die Nation streiten, die
Auseinandersetzungen fanden in der Vereinigung der PEN-Clubs und in den
Debatten um »Verstrickungen« einzelner Schriftsteller mit dem DDR-Staat
und seinen Institutionen ähnliche Höhepunkte. In allen Fällen gab die
offensichtliche kulturelle Verschiedenheit Anlass für Anfeindungen, aus
denen eher Fremdheit denn Annäherung erwuchs – in der Vorstellung von
der einigen Kulturnation gab es keinen Platz für Differenz.
Inzwischen haben sich die Wogen geglättet – ohne dass es dafür einen
erkennbaren Anlass gab. Auch wenn es bisher nur wenige
gleichberechtigte Gesamtschauen [30] zur deutschen Kunst nach 1945 gibt
und (sozialistischer) Realismus nach wie vor ein Reizwort ist, haben
sich die Debatten auf andere Themen verlagert. Im Mai des Jahres 2003
wurde in Leipzig die Ausstellung »sieben mal malerei« eröffnet – eine
Ausstellung, die vom langjährigen Leiter der Frankfurter Kunsthalle
Jean Christoph Amann in einer Fernsehkultursendung geradezu
enthusiastisch gelobt und in ihrer visionären Kraft für zeitgenössische
Kunstproduktion hervorgehoben wurde. Gezeigt wurden Arbeiten von sieben
jungen Malern, Studenten der Leipziger Hochschule für Grafik und
Buchkunst, Schüler von Arno Rink und Sighard Gille – und die neue
Generation der »Leipziger Malerschule«, deren konsequenter Realismus
einst das genaue Gegenteil zur westdeutschen Kunst darstellte. Aus
demselben Hause kommt Neo Rauch, dessen Werke seit Jahren zur
internationalen Spitze zeitgenössischer Kunst gezählt werden.
3. Mit oder ohne Einigungsvertrag:
Wie viel Substanz steckt in der »neuen« Kultur?
Nicht nur in der bildenden Kunst sollte sich der Strukturwandel für die
KünstlerInnen schwieriger gestalten als der Erhalt von Institutionen.
Inklusive der Beschäftigten an Theatern, Chören, Orchestern und anderen
Institutionen zählte man 1990 zirka 96600 KünstlerInnen [31], die von
ihrer Arbeit in den verschiedenen künstlerischen Sparten lebten. Laut
Deutscher Orchestervereinigung [32] gingen in Ostdeutschland bis 2001
allein 1400 Stellen für Orchestermusiker verloren, und der Druck, der
auf Orchestern, Chören, Ballett- und Theaterensembles ruht, durch
Dezimierung weitere Einsparungen zu ermöglichen, wird, so scheint es,
nur da geringer, wo die Grenzen des Möglichen bereits ausgereizt
wurden. Die Befürchtungen, dass der Erhalt kultureller Substanz zur
Mumifizierung leer gesparter Hüllen verkommt, sind inzwischen ebenso
geläufig wie die Tatsache, dass sich mit dem Rücken zur Wand nur selten
erfolgreich verhandeln lässt.
Mindestens ebenso dramatisch wie die Diskrepanz zwischen dem Erhalt von
Kulturstätten bei gleichzeitiger Abschaffung der Künstlerschaft ist die
Tatsache, dass mit der Konzentration auf das Bewahren der so genannten
kulturellen Substanz der Blick auf die neue Kultur Ostdeutschlands
verloren geht – obwohl es nach der Vereinigung zahllose Neugründungen
von freien Künstlergruppen, Kunstvereinen, Galerien, Bühnen und
Verlagen gab.
Die größte Gründungswelle in der freien Szene ereignete sich in den
ersten Jahren nach 1989. Mit dem Zerfall des DDR-Kunstsystems, das eine
freie Szene faktisch nicht vorgesehen hatte, ergriffen hunderte von
Akteuren die Chance, Kunst, die bisher nur mit dem Status des Amateurs
oder ohne jeglichen Status in Nischen existiert hatte, zu
institutionalisieren. Allen voran gingen Theatergruppen: Noch 1990
legte die enorme Anzahl von Neugründungen in Berlin nahe, innerhalb des
Theaterverbands der DDR ein Büro freier Gruppen als
Interessenvertretung ins Leben zu rufen – eine Initiative, die mit
Auflösung des Berufsverbandes jedoch ebenso schnell wieder verschwand
wie sie sich konstituiert hatte, ohne dass das Ziel, Einfluss auf die
Vergabe von Senatsmitteln zu gewinnen, erreicht worden war. [33]
Ähnlich erging es der »Theateroffensive Ost«, die 1992 auf Schloss
Bröllin gegründet wurde, aber ebenfalls kein eigenes Netzwerk
etablieren konnte. [34] Der missglückten Strukturschaffung zum Trotz
gründeten sich in zahlreichen ostdeutschen Städten und Gemeinden freie
Sprech- und Tanztheatergruppen – exemplarisch genannt seien das
Projekttheater und die »Blaue Fabrik« Dresden, die »Theaternative C«
Cottbus, das »Theater am Rand« in Zollbrücke (vgl. Tom Mustroph:
Eintritt ist Austritt), das Figuren-Theater Winter in Mecklenburg, das
Tanztheater Bettina Owczarek in Brandenburg, das Theater »3K« im
thüringischen Mühlhausen oder die »Fabrik« in der Potsdamer
Schiffbauergasse – einige wenige Beispiele für zahlreiche Aus- und
Neugründungen freier Gruppen und Bühnen in den neuen Bundesländern. [35]
Entscheidend für die freie Szene war die Etablierung des zweiten
Arbeitsmarkts, der einige Jahre lang sogar als alternative
Entwicklungsmöglichkeit für Kunst und Kultur galt und wesentlich zur
kulturellen Vielfalt in den neuen Bundesländern beitrug. Ungewöhnlich
viele ostdeutsche Künstler aller Sparten – unter ihnen viele, die ihre
feste Stelle an städtischen Bühnen und Ensembles verloren hatten –
erhielten über ABM- und SAM-Stellen Arbeitsmöglichkeiten; zahlreiche
freie Theatergruppen, soziokulturelle Zentren, künstlerische Projekte
an Schulen und auf kommunalen Spielplätzen, Kommunikations- und
Kulturzentren in ländlichen Räumen wurden durch diese Stellen
realisiert. Aus gesamtdeutscher Perspektive bestand das Novum dabei
nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Tatsache, dass es sich
dabei um einen selbstbewussten Prozess handelte, der sich schnell vom
Bedürftigkeitsimage von Arbeitslosen als »Staatsgeldempfängern«
emanzipierte (vgl. Konstanze Kriese: Von Schneeballeffekten und
Durchlauferhitzern) – ein Experiment, aus dem ein ostdeutscher
Sonderweg erwuchs, kulturelle Vielfalt trotz leerer Kassen zu
ermöglichen. Mit der fast vollständigen Einstellung der Fördermaßnahmen
wurde er jedoch schneller wieder zerschlagen, als sich nachhaltige
Strukturen ausbilden konnten. Zu den Institutionen, die zeigen, wie
viele Potenziale dem Prozess innewohnten, zählt das Theaterhaus Jena:
In Thüringen, dem Land mit den meisten Stadttheatern und den höchsten
Kulturausgaben pro Kopf gelegen, gilt allein seine Existenz als Wunder.
Einst das erste freie Theatergebäude der Stadt und Experimentierstätte
für Architekten und Künstler des Bauhauses, wurde es in der DDR ab 1965
als Stadttheater geführt. Ähnlich wie in den Jahren zuvor diente die
Bühne hauptsächlich als Nebenspielstätte des Deutschen Theaters in
Weimar und anderer thüringischer Bühnen – ein unbefriedigender Zustand,
dessen Veränderung die Stadt 1987 mit dem Abriss des Zuschauerhauses zu
erzwingen suchte. Erfolglos, wie sich herausstellen sollte, zurück
blieb eine Ruine mit intakter aber unbespielter Hinterbühne. Diese
besetzten zwei junge Dramaturginnen Ende 1989 und nutzten das Haus für
freie Theaterproduktionen – so erfolgreich, dass die Stadt Jena die
Bühne zum neunten Theaterhaus des Landes umwandelte. Das Konzept war
gleichermaßen überraschend wie gewagt, denn das neue Ensemble
rekrutierte sich aus Absolventen der Potsdamer Schauspielhochschule
»Ernst Busch«, denen der damalige Jenaer Kulturstadtrat befristete
ABM-Stellen angeboten hatte – ein zu dieser Zeit beispielloser und
nicht selten skeptisch betrachteter Vorgang in der deutschen
Theaterlandschaft. Doch das neue Ensemble versetzte nicht nur die
Thüringer in Erstaunen. Mit dem programmatischen Auftakt
»WüsteGegenZeit« etablierte es sich mit experimentellen, oft
gattungsübergreifenden (Co-)Produktionen, die stetig mehr Publikum
anziehen – nicht zuletzt, weil das Theater einen Jugendtheaterclub
betreibt, der Inszenierungen von Jugendlichen für Jugendliche umsetzt.
Bereits 1993 wurde das Theaterhaus in eine gemeinnützige GmbH
umgewandelt, deren Gesellschafter ausschließlich durch
Ensemblemitglieder gestellt werden; erst 1998/99 wurde die
Theaterhausruine vollständig saniert.
Obwohl neue Bühnen und freie Gruppen laut Erhebungen des
Bundesverbandes freier Theater [36] längst ebenso viel Publikum
anziehen wie die städtischen Häuser, gibt es bisher keine Anzeichen
dafür, dass sie zur »kulturellen Substanz« gezählt werden. Diese
richtet sich weiterhin auf Institutionen des kulturellen Erbes und so
genannte Leuchttürme, von denen man sich inzwischen nicht mehr die
innerdeutsche kulturelle Vereinigung, sondern touristische
Attraktivität und überregionale Ausstrahlung erhofft (vgl. die Beiträge
von Sven Crefeld und Ralf Schlüter). Es gehört deshalb zur Normalität,
dass die Förderungen für die freie Szene und kleinere,
leuchtturmungeeignete Institutionen ständig geringer werden. Und doch
liegt es nicht am Geld allein.
Nach Schätzungen der deutsch-deutschen Kulturkommission hatten Ende
1989 20000 freiberufliche KünstlerInnen existiert. Artikel 35 des
Einigungsvertrags war in einer Beziehung auf sie eingegangen: Die
Aufgabe der Stiftung Kulturfonds, Rechtsnachfolgerin des »Kulturfonds
der DDR« und noch 1990 unter der letzten DDR-Regierung als Einrichtung
des öffentlichen Rechts mit dem überführten Vermögen der SED und
zusätzlichen Bundesmitteln gegründet, galt der Förderung von
zeitgenössischer Kunst in den neuen Bundesländern. Neben Stipendien,
Druckkosten- und anderen Zuschüssen, die seitdem an Autoren,
Komponisten, bildende und andere Künstler vergeben werden, führte die
Stiftung zwei von ehemals fünf Künstlerhäusern der DDR weiter: das
Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop und das Künstlerhaus Wiepersdorf in
Brandenburg – zwei Häuser, die bis heute [37] einen wichtigen Beitrag
zur Förderung von zeitgenössischer Kunst in den neuen Bundesländern
leisten und dabei von Anfang an nicht auf spezifisch ostdeutsche oder
regionale Kunstszenen, sondern auf internationale Kontexte und
genreübergreifende Konzepte setzten (vgl. Inga Rensch: Nomaden).
Auch auf Länderebene wurden Künstlerhäuser, Kulturstiftungen und
Kunstvereine gegründet sowie Preise gestiftet, um die zeitgenössische
Kunstproduktion zu befördern. Trotzdem ist Gegenwartskunst kein Ausweis
der neuen Bundesländer, allzu oft begegnet man gar der Vermutung, dass
in Ostdeutschland (sieht man von der nicht unter »ostdeutsch«
subsumierbaren Szene Berlins ab) keine nennenswerte zeitgenössische
Kunstszene existiere oder das künstlerische Format der jungen
Generation schlicht nicht ausreiche, um den Sprung in die
Öffentlichkeit zu schaffen. Auf gewisse Weise mag der Bilderstreit
hierbei nachwirken, denn er verfestigte nicht nur pauschale Vorurteile
über die Kunstproduktion in Ostdeutschland, sondern bedingt auch, dass
es seit Jahren weit mehr retrospektive als zeitgenössische
Ausstellungen gibt. Umfragen in den neuen Bundesländern ergaben zudem,
dass fast überall Institutionen fehlen, die eine Rezeption von
zeitgenössischer Kunst ermöglichen. Während in den alten Bundesländern
jede größere Stadt über moderne Kunsthallen, Kunstvereine und/oder
etablierte Künstlerhäuser verfügt, die Ausstellungen und Messen
veranstalten und zum Anker eines dichten Netzwerkes von Galerien,
temporären Projekten, privaten Akademien, Sommer-Pleinairs etc.
geworden sind, gibt es in Ostdeutschland nur wenige Städte, in denen
eine zeitgenössische Kunstszene existiert. Als einzige überregional
bedeutsame Zentren werden immerhin Leipzig und Dresden erkannt, wo die
Kunsthochschulen im Verbund mit städtischen Museen, Galerien,
Kunstmessen [38] und -vereinen eine »Szene« und dazugehörige Strukturen
ausgebildet haben [39] und zeitgenössische Kunstproduktion auch
überregional wahrnehmbar stattfindet.
Zu den wenigen institutionellen Neugründungen außerhalb Sachsens
gehören das Neue Kunsthaus Ahrenshoop und das Kunsthaus Avantgarde in
Apolda, letzteres widmet sich sowohl Ausstellungen zur klassischen
Moderne als auch der Präsentation zeitgenössischer Kunst. In anderen
Städten übernehmen Museen wie die Staatliche Galerie Moritzburg in
Halle, die Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus, das Museum für
junge Kunst in Frankfurt (Oder) oder das Altenburger Museum zumindest
partiell die Funktion, zeitgenössische Kunstproduktion in die
Öffentlichkeit zu bringen – staatliche Häuser, die jedoch als
Einzelfälle gelten und als solche den Strukturmangel nicht ausgleichen
können (vgl. Interview mit Annegret Laabs). Hinzu kommt, dass
Ostdeutschlands Kunstmarkt fast ohne private Sammler auskommen muss.
Finanzkräftige Liebhaber junger Kunst werden selbst in Sachsen
vermisst, wo es ausreichend Galerien und Ateliers bekannter Künstler
gibt und Kunstmessen ausgerichtet werden, um sie bekannt zu machen.
Die äußerst geringen Budgets, die Länder und Kommunen für die Förderung
von freien Projekten zur Verfügung stellen, werden unter den
zahlreichen kleinen Vereinen, Produzentengalerien und Häusern der
zeitgenössischen Kunst aufgeteilt. Zu ihnen zählen das Kunsthaus
Erfurt, die ACC-Galerie Weimar, das jährlich stattfindende
Kunstfestival »Rohkunstbau« im brandenburgischen Spreewald und Schloss
Rheinsberg, das sich seit der Wende zu einem der wichtigsten Zentren
für modernes Musiktheater entwickelt hat – konzeptionell hervorragende
Institutionen der zeitgenössischen Kunst, die in den Werbebroschüren
der Städte und Regionen jedoch nur selten Erwähnung finden. Nach wie
vor setzt Ostdeutschland auf seine »kulturelle Substanz«, die in den
Stätten des kulturellen Erbes und damit in der Hochkultur verortet
wird. Zu den problematischsten Effekten dieser Prioritäten gehört die
Tatsache, dass junge Künstler die Städte ihrer Ausbildung so schnell
wie möglich verlassen [40], weil sie für sich keine Chance einer
künstlerischen Entwicklung sehen.
4. Wider den Abgesang!
Chancen in der Krise
Laut Kulturstatistiken [41] liegen die Kulturausgaben der neuen Länder
pro Kopf weit über denen der alten. Die Ergebnisse sind weithin
sichtbar: Kulturhistorisch bedeutende Orte sind zu neuer Blüte gelangt,
die Innenstädte von Weimar, Meißen, Neuruppin, Görlitz, Saßnitz,
Dresden, Potsdam, Leipzig, Gotha, Naumburg, Meiningen, Weimar sind
renoviert und saniert, viele der einst verfallenen Schlösser und
Burgen, Bürgerhäuser und Denkmäler, Theater und Museen sind unter hohem
finanziellen Aufwand wiederhergestellt. Beschaut man die Fassaden, gibt
es kaum Gründe, daran zu zweifeln, dass der Osten wieder blüht.
Im Oktober 2002 veranlassten die Zeitschrift stern, das
Meinungsforschungsinstitut McKinsey, T-Online und das ZDF die bisher
größte Datenerhebung zur regionalen Zufriedenheit in Deutschland.42 An
erster Stelle der 97 Regionen umfassenden Liste steht Osnabrück. An
letzter Dessau. Davor, auf den Rängen 74 bis 96, alle anderen
ostdeutschen Regionen inklusive Berlin. Ein Stern-Reporter, der
losfuhr, um nach den Gründen zu forschen, kolportierte die Antwort
eines Lokalredakteurs: »Dessau sei früher etwas Besonderes gewesen –
Bauhaus, Industriestadt, Gartenreich Dessau-Wörlitz –, heute sei den
Dessauern der Stolz auf ihre Heimat abhanden gekommen. Am liebsten
würde er woanders wohnen. ›Die Jungen sind weggezogen, die Alten sind
geblieben. Das ist ziemlich deprimierend.‹« [43]
Ostdeutschlands Hauptprobleme liegen nicht in der Kultur, sondern im
Ausbleiben des wirtschaftlichen Aufschwungs, in überdurchschnittlich
hohen Arbeitslosenzahlen, in anhaltender Abwanderung der jungen und
mittleren Generationen, in Überalterung und niedrigen Geburtenraten, in
leer gezogenen (obwohl frisch renovierten) Stadtkernen und verwaisten
ländlichen Regionen. Die Entwicklungsprognosen sind durchgängig
negativ. Der eigentliche Tiefpunkt der Entwicklung wird für 2013
erwartet, wenn in kleinen Unternehmen ein Generationenwechsel notwendig
wird, der mangels ausgebildeter Nachwuchsfachkräfte nicht bewältigt
werden kann. Fachleute nennen dies den »blockierten
Generationenaustausch« – ein Phänomen, für das es bisher keine Modelle
des Umgangs gibt. Reformkonzepte in Deutschland gehen immer noch von
Wachstum und der Möglichkeit der Regulierung aus. Die entscheidenden
Entwicklungen in Ostdeutschland sind jedoch von Schrumpfung,
Deregulierung und Polarisierung gekennzeichnet.
Unter diesen Bedingungen ist Kultur weniger denn je staatlich
finanzierbar. Privatwirtschaftliche und bürgerschaftliche Strukturen,
die mit Spenden, Sponsoring, public-private-partnerships oder privatem
finanziellem Engagement in die Bresche springen könnten, existieren in
Ostdeutschland jedoch nur in wenigen Fällen. Bis auf Ausnahmen bedeutet
das weiteren Kulturabbau. Das letzte Jahr hat uns deshalb zahlreiche
politische Offensiven für den Erhalt der (ost-)deutschen
Kulturlandschaft beschert – das Modell von Theatern als
Weltkulturerbestätten, Theaterschutzverbünden, neue
Finanzierungsmodelle, in Plädoyers für Opern und Theater als Orte der
kulturellen Bildung und ästhetischen Erziehung. Braucht es einen
staatlichen Artenschutz für Künstler, Museen, Orchester und Theater?
»In der Begegnung mit den Künsten lernen wir, unsere Subjektivität –
unsere innere Vielfalt auszuprägen, unsere geistige Unabhängigkeit auf
der Basis der Gewissheit kultureller Identität. Die Künste erschließen
Grundlegendes, aber nicht Selbstverständliches: Sie trainieren die
Wahrnehmungsfähigkeit, sie schulen die emotionale Intelligenz ebenso
wie das Vermögen, über plurale Weltsichten nachzudenken.« (Christina
Weiss) [44]
»Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit.« (Otto Schily) [45]
Es gehört zu den stärksten deutschen Idealen, dass Kunst Gesellschaft
heilen, ihrer unaufhörlichen Veränderung Festigkeit und
Selbstvergewisserung entgegensetzen kann. Künstler gelten als die
Kreativen der Gesellschaft und als diejenigen, die in einer
Gemeinschaft Reflexivität ermöglichen, die zu neuen Lebensentwürfen
inspirieren und in sinnlich-sinnhafter Gestalt das Wertegefüge in
Bewegung bringen, die auf spezifische Weise Zukunftsmöglichkeiten
erkunden und Grenzen des Möglichen ausloten. Doch die Bedeutung, die
bis heute der Kunst zugeschrieben wird, gerät in jüngster Zeit in einen
immer krasseren Widerspruch zu den tatsächlichen Bedingungen ihrer
Produktion.
Folgt man der bisherigen Logik, dass Kultur solange gefördert wird, wie
der Staat es sich leisten kann, werden die Kultureinrichtungen
weiterhin drastisch reduziert, in Ostdeutschland allzumal. Die bereits
begonnenen Szenarien zu Ende gedacht bedeutet das: Übrig bleibt Kunst,
die sich auf dem Markt behaupten kann und, im besten Falle, kulturelle
Leuchttürme, an denen die Nation ihr Selbstbild vom Kulturstaat
Deutschland noch eine Weile pflegen kann. Will man mit der Logik
brechen, braucht es einen klaren Richtungswechsel, der Argumente für
Kunst und Kultur benötigt, um ihnen eine feste Rolle in der
Gesellschaft einzuräumen. Dafür ist allerdings nicht Artenschutz nötig,
sondern das Erkennen und Ausloten der Funktionen, die Kunst und Kultur
in der Gesellschaft übernehmen.
Die kulturelle Praxis in Ostdeutschland gibt hierfür Anhaltspunkte:
Nirgendwo sonst hat Kultur einen solchen Bedeutungszuwachs erfahren wie
in den neuen Bundesländern. Auch der viel zitierte Vergleich mit
Nordrhein-Westfalen erfasst weder Qualität noch Quantität der
kulturellen Bedeutungskonjunktur in Ostdeutschland. In immerhin fünf
historisch, landschaftlich und ökonomisch sehr unterschiedlich
geprägten Ländern erhofft man sich von Kultur nicht nur
Wirtschaftskraft und (inter-)nationale Ausstrahlung, sondern sie
stiftet lokale und regionale Identität, innerstädtische Kommunikation
und sozialen Zusammenhalt, wo andere gesellschaftliche Faktoren, die
dies leisten könnten, in kürzester Zeit wegfielen.
Das Ende von Industriezweigen und Wirtschaftsstandorten wird an vielen
Stellen von Kultur gefolgt, an die Stelle von Industriearbeit treten
Kulturtourismus und Kulturindustrie. Paradigmatisch wird diese
Ersatzfunktion von Kultur an der Internationalen Bauausstellung »Fürst
Pückler Land« in der Lausitz sichtbar, wo innerhalb eines Jahrzehnts
ein Austausch von Bergbau- durch Kulturarbeit stattfinden soll. Die
Dimensionen, die dieses Projekt erreicht, sind vielfältig und kaum zu
überschätzen, denn es geht keineswegs um einen einfachen Ersatz,
sondern um eine grundsätzliche Richtungsänderung, die alle Fragen des
Lebens in der Region betrifft (vgl. den Beitrag von Rudolf Woderich und
das Interview mit Rolf Kuhn) und von der totalen landschaftlichen
Umgestaltung bis zur »Umerziehung« von klassischen Bergleuten zu
kleinunternehmerischen Kulturdienstleistern umrissen ist. Die IBA ist
eines der größten Unternehmungen in den neuen Ländern, und sie wird
entsprechend mit immensen Beträgen aus Land und Bund gefördert. Was in
der Lausitz als groß angelegtes, multidimensionales Konzept entwickelt
und umgesetzt wird, ist an den meisten anderen Orten nicht mehr als ein
vager Wunschtraum von einer Zukunft jenseits der
Industriearbeitsgesellschaft. Ob es sich um die sächsischen Kleinstädte
Grimma, Zschadraß (vgl. Kunst statt Heimat: Das Museum Zschadraß) oder
Görlitz, um die brandenburgischen Dörfer Netzeband oder
Dreiskau-Muckern, um die thüringischen Städte Wittenberg, Naumburg,
Weißenfels, um den brandenburgischen Landkreis Märkisch-Oderland oder
um die sieben deutsch-polnischen Grenzregionen entlang der Oder/ Neiße
handelt, in der Regel – und die Beispiele sind recht willkürlich
gewählt – ist Kultur im Verbund mit der jedoch weitaus seltener
bemühten Wissenschaft das einzige, was zu einer Vision für den Ort/die
Region zu taugen scheint, seit die Hoffnungen auf ökonomische
Stabilisierung aus eigener Kraft immer häufiger als Illusion enttarnt
werden. Die Potenziale von Kulturwirtschaft sind dabei oft bemühte,
aber selten konkret erlebbare Argumente für Kultur. Zu den
erstaunlichsten Initiativen in den neuen Bundesländern zählt deshalb
die Grafik+Design-Schule Anklam (vgl. den Beitrag von Andreas Wessel),
die, aus eigener Kraft und bisher eher im Kampf mit den Mühlen der
Bürokratie als kulturpolitisch unterstützt, Perspektiven für einen Ort
zu zeichnen vermag, in dem es sonst nur selten gute Nachrichten gibt.
Kunst und Kultur übernehmen zahlreiche soziale Aufgaben. Davon zeugt
sowohl das KunstRaumSchiff Stubnitz in Rostock, das Jugendlichen in
einer von Abwanderung stark betroffenen Region Ausbildungsplätze und
Freizeitangebote bietet (vgl. den Beitrag von Simone
Tippach-Schneider), als auch die Stadt Schwedt an der Oder, die wie
alle mittleren Städte der Region mit Arbeitslosigkeit, Abwanderung und
ökonomischer Perspektivlosigkeit umzugehen hat (vgl. Dietrich Mühlberg:
Ein Theater mit Zukunft?). Im Gegensatz zur Nachbarstadt Frankfurt
(Oder), die ihr städtisches Kleist-Theater schloss, investiert Schwedt
in die Uckermärkischen Bühnen und das gemeinschaftsstiftende Moment
eines multifunktionalen Theaterhauses. Solche Art
Richtungsentscheidungen bleiben jedoch auch in Ostdeutschland eine
Ausnahme – viele Kulturinstitutionen werden trotz ihrer hohen Akzeptanz
in der Region ständig gekürzt, nicht selten zugunsten von
Kulturkonzepten, die sich an Erbestätten orientieren und dabei den
offensichtlichen Kulturbedürfnissen nicht gerecht werden (vgl. den
Beitrag von Simone Hain über
Hoyerswerda).
.
»Und dieses ganze Geschrei, die ›Krise des Theaters‹, immer wieder
große Debatten. [...] Theater ist Krise. [...] Es kann nur als Krise in
der Krise funktionieren, sonst hat es überhaupt keinen Bezug zur
Gesellschaft außerhalb des Theaters.«
(Heiner Müller) [46]
Kunst schafft die so dringend benötigten Gesprächsräume für den
radikalen Wandel in Ostdeutschland. Die Werkleitzbiennale des Jahres
2000 zum Beispiel trug den Titel »real work« und widmete sich in
Filmvorführungen, Diskussionen, Interviews und Ausstellungen den
Zusammenhängen von Kultur, Arbeit und Identität. Das Interesse des
größtenteils regionalen Publikums war enorm – während der Biennale
debattierte es über die Veränderungen von Kunstbetrieb und kultureller
Produktion, über die Bedeutung von Arbeit für den »Sinn des Lebens« und
neue Kulturbedürfnisse der jungen Generationen. Ähnliches wäre von
Christoph Schroths Theaterfestival »Zonenrandermutigung« oder den
Stelzen-Festspielen bei Reuth zu berichten. Das Festival des
osteuropäischen Films in Cottbus (vgl. »Connecting Cottbus«) bringt der
Stadt nicht nur überregionale Ausstrahlung, sondern ermöglicht auch
interkulturelle Verständigung mit den polnischen Nachbarn und trägt so
auf lebensweltlicher und künstlerischer Ebene zur Umsetzung der
EU-Osterweiterung bei. Der Erfolg zahlreicher Künstlergruppen und
Bühnen, die sich künstlerisch mit dem Leerstand in urbanen Zentren und
städtischen Peripherien (vgl. Jan Turowski: Kunst statt Leerstand), mit
der Zukunft der Arbeit und ihren Bedingungen (vgl. »Die
Arbeitslosenoper« sowie Karl-Otto Sattlers Beitrag zur Künstlergruppe
»Reinigungsgesellschaft«) auseinandersetzen, bestätigt, dass Kunst und
Kultur längst konkrete gesellschaftliche Bedürfnisse und Funktionen
erfüllen. Dabei eröffnen sie nicht nur Plattformen der Verständigung,
sondern sie sind selbst Modelle für alternative Konzepte. In einer
Gesellschaft, in der Arbeit ständig flexibilisiert und entstetigt wird,
übernimmt der Kunst- und Kulturbereich in der besonderen Art und Weise,
wie künstlerische Arbeit organisiert ist [47], Vorreiterfunktionen im
Umgang damit. In Regionen, in denen selbsttragende wirtschaftliche
Perspektiven zunächst nicht mehr zu erwarten sind, gewinnen
kulturwirtschaftliche Konzepte an Bedeutung. In Städten und
Landkreisen, in denen mit den Betrieben Kulturhäuser und Jugendklubs
geschlossen wurden, können Theater und Künstlerhäuser
gemeinschaftsstiftende Funktionen übernehmen. Nicht zuletzt ist es ein
Wert an sich, dass Kultur den deprimierenden Meldungen über die
Entwicklungen Ostdeutschlands ein Trotzdem entgegensetzen kann.
Allerorten hört man von der Notwendigkeit neuer Leitbilder und Visionen
für die Entwicklungen in Ostdeutschland, doch die »blühenden
Landschaften« haben bis jetzt keinen Nachfolger gefunden. Bisher gibt
es nur wenige Debatten darüber, welche Potenziale in Kunst und Kultur
für die Bewältigung des gesellschaftlichen Wandels stecken und wie viel
Vision und Leitbild aus ihr zu gewinnen ist. Vor dem Hintergrund der
schlechten Entwicklungsprognosen für Ostdeutschland wird in Zukunft
nichts an Kultur selbstverständlich sein. Der Begriff der kulturellen
Substanz war nicht geeignet, um mit dem Verständnis von Kultur als
Kostenfaktor zu brechen. Diese Barriere wäre überwindbar, würden wir
(frei nach Bourdieu [48]) über die Ertragsaussichten unseres
»kulturellen Kapitals« nachdenken. Die Bilanzen für Kultur in
Ostdeutschland sähen auf einmal viel besser aus.
Anmerkungen
[1] Dank an Jürgen Marten, der sie mir bei einem Treffen zur Vorbereitung dieser Studie berichtete.
[2] Zusammenhängende Übersichten über Schließungen und Fusionen von
Theatern, Orchestern und Chören in den neuen Bundesländern und den
damit einhergehenden Abbau künstlerischer Belegschaft existieren nicht.
Quellen liefern aber die Zeitschrift »Bühnengenossenschaft«, Fachblatt
der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger, oder die
Veröffentlichung Arnold Jacobshagens »Strukturwandel der
Orchesterlandschaft« (2000), die mit Unterstützung der Deutschen
Orchestervereinigung entstand.
[3] Zuletzt in der Presserklärung des Deutschen Kulturrats am 11. Juli
2003: Die kulturelle Substanz in Ostdeutschland darf keinen Schaden
nehmen
[4] Monnet, Jean; 1978: Erinnerungen eines Europäers. München/Wien
[5] Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 31. August 1990, Artikel 35
[6] Im Rahmen des »Substanzerhaltungsprogramms Kultur« zum Beispiel in
Höhe von 1,5 Mrd. DM und des Infrastrukturprogramms des Bundes mit 720
Mio. DM. Beide Programme sorgten 1991 bzw. 1991–1995 für einen
Ausgleich regionaler Benachteiligungen und förderten sowohl
überregional bedeutsame wie regionale Einrichtungen und
Veranstaltungen. Das Denkmalschutzsonderprogramm ermöglichte (in Ost
und West) die Sicherung, Restaurierung und Erhaltung von Baudenkmalen,
die Kirchenbauförderung erhielt zusätzliche 260 Mio. DM, der Fonds
Projektmittel Kulturelle Einheit erhielt 25 Mio. DM. Vgl. dazu:
Bundesministerium des Innern (Hrsg.); 1996: 5 Jahre Kulturförderung für
die neuen Länder. Bonn
[7] Eine nach Ländern geordnete Liste der im Substanzerhaltungsprogramm
von 1991 aufgenommenen Institutionen findet sich ebenda, S. 134 ff.
[8] Denkschrift zum Einigungsvertrag, ebenda, S. 131
[9] Strittmatter, Thomas; 1987: Standortverteilung und territoriale
Struktur staatlich geleiteter Kultureinrichtungen als Bestandteil der
kulturellen Infrastruktur der DDR. Diss. A an der Humboldt-Universität
zu Berlin, eingereicht 1987
[10] Laut der Erhebung Thomas Strittmatters existierten Ende der 80er
Jahre 1100 Kulturhäuser, die teils staatlich, teils von Betrieben,
Genossenschaften des Handwerks und der landwirtschaftlichen Produktion
geleitet und finanziert wurden, und fast 10000 Jugendklubs mit
differenziertesten Veranstaltungsprofilen und Aufgabenbereichen im
breitenkulturellen Bereich und dem der Künstlerförderung.
[11] Eine ausführliche Darstellung über das kulturellen Engagement des
Bundes in den neuen Ländern bietet neben den Veröffentlichungen des BMI
der Artikel von Saad, Sebastian; 2000: Mitten auf dem Weg: Von der
Nothilfe zur nachhaltigen Entwicklung. In: Kulturpolitische
Mitteilungen Nr. 99, IV/2002, S. 24 ff.
[12] Über die Schwierigkeiten, in die das Gesamtkonzept durch die
angekündigte Mittelreduzierung gerät, berichtet Tobias Knoblich in:
»Kulturelle Substanz. Einigungsvertrag und gegenwärtige Kulturpolitik.«
In: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 99, IV/2002, S. 35 ff.
[13] Zitiert aus der Selbstdarstellung des Vereins Kulturland Brandenburg e.V. im Netz unter www.kulturland-brandenburg.de
[14] Schirmer, Herbert; 2002: Kulturpolitische Wege. Der Artikel 35 und
die Folgen. In: Hoffmann, Hilmar; Schneider, Wolfgang (Hrsg.); 2002:
Kulturpolitik in der Berliner Republik. Köln
[15] Belting; Hans; 1992: Die Deutschen und ihre Kunst. Ein schwieriges Erbe. München
[16] Georg Baselitz in der Zeitschrift »Art« im Oktober 1990
[17] Roters, Eberhard; 1993: Über den Schatten springen – Mich gibt es
doppelt. In: Akademie 1993, Ausstellungskatalog der Akademie der
Künste, Berlin, S. 19
[18] Dass diese keineswegs mit ost- bzw. westdeutsch zu
charakterisieren sind, wirft einen erhellenden Blick auf eine
innerdeutsche Auseinandersetzung. Obwohl der Bilderstreit gemeinhin als
»deutsch-deutsche« Debatte gilt, entsprach die Realität diesem Bild
nie. Vielmehr teilten sich die Lager in Anhänger der Position, dass,
wie Baselitz es formuliert hatte, in einem totalitären Staat gar keine
»wirkliche« Kunst entstehen konnte, und Vertreter der Meinung, dass
Kunstbetrieb und Kunstproduktion nicht gleichzusetzen, und aus der
Kulturpolitik nur bedingt Rückschlüsse auf die tatsächlich entstandene
Kunst zu ziehen sind. Beide Auffassungen waren sowohl in Ost- als auch
in Westdeutschland präsent.
[19] Vgl. dazu zum Beispiel die Beiträge von Eberhard Roters, Matthias
Flügge und Michael Freitag sowie Jörn Merkert in: Akademie 1993,
Ausstellungskatalog der Akademie der Künste, Berlin 1993
[20] Wenige Jahre später sollte die Nationalgalerie diesen Schritt
korrigieren – seit der letzten Neuordnung der Sammlung ist kein
einziges Werk aus DDR-Zeiten mehr in der ständigen Ausstellung zu
sehen. Trotzdem blieb die Neue Nationalgalerie – freiwillig – weiterhin
Zentrum der Auseinandersetzungen, indem sie zum Beispiel anlässlich der
Absage der Willi-Sitte-Ausstellungen am Germanischen Nationalmuseum
Nürnberg zum Bildvergleich aufrief. Im Sommer 2003 wird sie eine
weitere Ausstellung zur Kunst in der DDR eröffnen.
[21] Freitag, Michael; 1994: Preußische Härte. In: neue bildende kunst, Heft 3/1994, S. 62–64
[22] Vgl. zum Beispiel Hüneke, Andreas; 1994: Auferstehung des Fleischers. In: kritische berichte 22.1994, Heft 3, S.34–38
[23] Die dazu gehörige Publikation: Flacke, Monika (Hrsg.), 1994: Auf der Suche nach dem verlorenen Staat, Berlin
[24] Vgl. Rehberg, Siegfried; Kaiser, Paul (Hrsg.); 1999: Enge und
Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Junius Verlag
[25] Die Sammlung enthält mehr als 20000 Werke, zahlreiche Bibliotheks-
und Katalogbestände sowie die Kunstsammlung aus dem Besitz des
Magistrats von Berlin (Ost). In den ersten Jahren unter Leitung Herbert
Schirmers veranstaltete die Burg entscheidende Ausstellungen zum Thema
Kunst in der DDR; es existierten umfassende Planungen, die Burg u.a.
durch Kooperationen mit Universitäten zum wissenschaftlichen Zentrum
für Forschungen zum Thema auszubauen. Leider sind diese Bemühungen
gescheitert. Mit Schirmers Entlassung versank Beeskow in eine Art
Tiefschlaf, einzige Ausnahme stellte die 1997 ausgerichtete Ausstellung
»Rahmenwechsel« dar, die in Vorwegnahme des Eklats von Weimar den
öffentlichen Unmut auf sich zog, weil man die ausgestellten Werke in
»Petersburger Hängung«, aber zumeist ungerahmt präsentierte. Die
Chance, die Burg zum wissenschaftlichen Zentrum auszubauen, scheint
vertan, weil diese Rolle inzwischen andere Institutionen übernahmen
(zum Beispiel Prof. S. Rehbergs Sonderforschungsbereich an der TU
Dresden); es gibt zwar in unregelmäßigen Abständen kleinere, aber keine
ständige Ausstellung, immer wieder steht die Beheizung des Depots auf
dem Spiel, der inzwischen legendäre Hausmeister, der als einziger
Zugang zum Depot ermöglichte, wurde wegen der üblichen Finanzierungsnot
und des Auslaufens von ABM-Stellen entlassen.
[26] Der Katalog zur Ausstellung sollte das Thema viel differenzierter
angehen, doch fiel er aus der öffentlichen Wahrnehmung. Publikum und
Öffentlichkeit verhandelten über den öffentlichen Teil des Projekts.
Der Katalog: Flacke, Monika (Hrsg.); 1995: Auftrag Kunst. 1949–1990.
Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik, Berlin
[27] Dresen, Adolf; 2001: Wer weiß, wo Gott wohnt? Bemerkungen zur
Situation unseres Theaters. In: Theater der Zeit, Mai 2001, S. 9
[28] Der Weimarer Bilderstreit ist in der gleichnamigen
Veröffentlichung dokumentiert: Der Weimarer Bilderstreit. Szenen einer
Ausstellung. Eine Dokumentation, Weimar 2000
[29] Dabei soll keinesfalls unterschlagen werden, dass es auch andere
Tendenzen und ernsthafte Vermittlungsversuche gab: Während die
Großausstellung »Deutschlandbilder« 1997 im Berliner Gropiusbau nach
Intervention westdeutscher Malerfürsten weniger Werke der DDR-Kunst als
geplant und zudem in einer abgetrennten, dialogunfähigen Koje zeigte,
richtete die Grundkreditbank die erfrischend undogmatische Ausstellung
»Ostwind« aus. Auf den Eklat in Weimar antwortete die Ausstellung
»Jahresringe« Matthias Flügges in Apolda. Noch lang bevor der
SED-Forschungsverbund der FU Berlin mit seiner Veröffentlichung
»Eingegrenzt – Ausgegrenzt« alte Feindbilder revitalisierte, hatte der
Museumspädagogische Dienst Berlin in Zusammenarbeit mit dem Kulturfonds
mit der Veröffentlichung »Kunstdokumentation DDR/SBZ« eine bisher
unerreicht differenzierte Gesamtschau zu Kunstbetrieb und
Kunstproduktion der DDR vorlegt und bewiesen, dass man sowohl von Kunst
als auch von ihren repressiven Bedingungen und sowohl von
»Verstrickung« als auch von Befreiung berichten konnte. Während die
großen Bühnen in Berlin, Weimar und zuletzt im Germanischen
Nationalmuseum Nürnberg einen Eklat nach dem anderen provozierten,
zeigten Museen in Dresden, Leipzig, Rostock, Frankfurt (Oder),
Regensburg, Chemnitz, Mannheim und Iserlohn, dass Kunst der DDR
keineswegs in Schemata zu packen ist, dass Generationenkonflikte und
vielfältige Beziehungen zur internationalen Kunst aufschlussreicher
sein können als immer neue Versuche, das Auftragwesen zu beschreiben,
dass innerkünstlerische Entwicklungen ebenso spannungsreich sind wie
außerkünstlerische, und dass sowohl historische als auch internationale
Vergleiche erkenntnisreicher sein können als die Isolation der Werke.
[30] Darunter die 2002 erschienene Publikation von Thomas, Karin: Kunst in Deutschland nach 1945. Köln
[31] Vgl. Stange, Constanze; 2000: Kunst–Erwerbsarbeit–Geschlecht. Zur
Ungleichheit von Künstlerinnen und Künstlern in Sachsen-Anhalt. Halle,
S. 37 ff.
[32] Skript des Statements von Gerald Mertens, Geschäftsführer der
Deutschen Orchestervereinigung, auf der Veranstaltung »Auftakt oder
Abgesang? Zur Situation der Orchester und Chöre in Ostdeutschland« am
21. Januar 2001 in Berlin
[33] Diese Funktion erfüllt heute – für die gesamte freie Szene Berlins – der »Rat für die Künste«.
[34] Anstelle einer spezifisch ostdeutschen Interessenvertretung, muss
an dieser Stelle auf den Bundesverband freier Theater e.V. verwiesen
werden. Ihm schlossen sich zahlreiche freie Gruppen und Bühnen an, in
ihm sind auch die Landesverbände Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg,
Sachsen-Anhalt vertreten.
[35] Einen detaillierten Überblick zur freien Theaterszene in
Ostdeutschland bietet Sina Solaß in ihrer Magisterarbeit »Die freie
Theaterszene Ostdeutschlands – Entwicklungen seit der Wende«, vorgelegt
im Mai 2002 am Institut für Theaterwissenschaft der Universität
Leipzig. Die vollständige Arbeit ist unter www. solass.de einzusehen.
[36] »Die Höhlen von Lascaux oder: Brauchen Freie Theater Geld vom
Staat?« Offener Brief des Bundesverbandes Freier Theater e.V. an den
Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kunst und der
Medien vom 2. November 2000, www.freie-theater.de
[37] Erst 2003 wurde bekannt, dass der »Kulturfonds« aufgelöst werden
soll. Was mit den beiden Künstlerhäusern geschehen wird, ist bis jetzt
unklar.
[38] Die Dresdner Kunstmesse gilt als einzige überregional bedeutsame
in den neuen Bundesländern. Versuche, ähnliches zu etablieren,
unternahmen Thüringen mit der »Arthuer« und Sachsen-Anhalt, keine von
beiden schaffte bisher jedoch den Sprung über die Region hinaus.
[39] Dazu zählen der Kunstverein »Freunde zeitgenössischer Kunst
Sachsen«, die Galerie für Zeitgenössische Kunst und das Museum für
bildende Kunst, die LIGA-Galerie und die Galerie Eigen+Art in Leipzig,
in Dresden das »Kunst Haus«, der Kunstverein Hellerau, zahlreiche
private Galerien wie das »Raskolnikow« oder Gebrüder Lehmann. Außerdem
geht Dresden den Aufbau einer städtischen Galerie mit Fokus auf
zeitgenössische Kunst an.
[40] Eine erste Untersuchung legte die Burg Giebichenstein in Halle
vor: Stange, Constanze, 2001: Absolventinnen und Absolventen der Burg
Giebichenstein – Hochschule für Kunst und Design Halle. Eine empirische
Studie.
[41] Z.B. im Jahrbuch der Kulturpolitik, Berlin 2001 + 2002
[42] Veröffentlicht im Netz unter: www.stern.de/politik/perspektivedeutschland/index.html
[43] Grill, Markus; 2003: Osnabrück hui, Dessau pfui. In: Stern vom 22. April 2003
[44] Aus der Rede von Christina Weiss, Beauftragte der Bundesregierung
für Kultur und Medien, im Deutschen Bundestag am 29.10.2002. zitiert
nach: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 99, IV/2002, S. 4
[45] Otto Schily auf dem Kongress des Forum Ostdeutschland: Sicherheit in der freiheitlichen Ordnung, Dessau 2002
[46] Zitiert aus: Müller, Heiner; 1995: Theater in der Krise.
Arbeitsgespräch vom 16. Oktober 1995. In: Ich Wer ist das. Arbeitsbuch.
Theater der Zeit, Berlin 1996, S. 143
[47] Vgl. Röbke, Thomas; 2000: Kunst und Arbeit. Künstler zwischen Autonomie und sozialer Unsicherheit. Klartext-Verlag Essen
[48] Bourdieu, Pierre; 1991: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt/Main, 1991
Auswahlbibliografie
Ackermann, Manfred; 1991: Der kulturelle Einigungsprozess.
Schwerpunkt: Substanzerhaltung. Forum deutsche Einheit bei der
Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn.
Arbeitsgruppe »Zukunft von Theater und Oper in Deutschland«
(Hrsg.); 2002: Bündnis für Theater: Wir brauchen einen neuen Konsens.
Zwischenbericht. Berlin.
Canaris, Ute; Rüsen, Jörn (Hrsg.); 2001: Kultur in Nordrhein-Westfalen. Zwischen Kirchturm, Förderturm und Fernsehturm. Stuttgart/Köln.
Dittmer, Mareike; 2003: Der übersehene Unterschied.
Zeitgenössische Kunst und ihre Voraussetzungen im Osten: eine
Momentaufnahme. In: Vorgänge, Heft 1/ 2003, Opladen, S. 69 ff..
Baretzko, Dieter; 2003: Havanna liegt an der Saale. Ein
Busbahnhof für Uta von Naumburg, keine Maulbeeren für Weißenfels: Es
droht der Abriss Ost. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.4.
2003, S. 46.
Belting, Hans; 1992: Die Deutschen und ihre Kunst. Ein schwieriges Erbe. München.
Bundesministerium des Innern (Hrsg.); 1996: 5 Jahre Kulturförderung für die neuen Länder. Bonn.
Dresen, Adolf; 2001: Wer weiß, wo Gott wohnt? Bemerkungen zur Situation unseres Theaters. In: Theater der Zeit, Mai 2001.
Dümcke, Cornelia; 2002: Kultur und Tourismus in den neuen
Ländern – eine Untersuchung am Beispiel der kulturellen Leuchttürme und
Gedächtnisorte. Berlin.
dies. ; 2000: Expertise Theater und Orchester in Mecklenburg-Vorpommern. Berlin.
Ebert, Hiltrud; 2003: Wo sind die bildenden Künstlerinnen?
Erklärungsversuch über das »Verschwinden« einer ostdeutschen
Künstlerinnengeneration aus der Kunstszene Berlins. In: Binas, Susanne;
2003: Erfolgreiche Künstlerinnen. Arbeiten zwischen Kulturbetrieb und
Eigensinn. Klartext-Verlag Essen.
Flacke, Monika (Hrsg.); 1994: Auf der Suche nach dem verlorenen Staat. Berlin.
dies. ; 1995: Auftrag Kunst. 1949–1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik. Berlin.
Glaser, Hermann; 2001: Zu schade für bloße Alibi- oder
Feigenblattfunktion. Überlegungen zur Eigenständigkeit der Kultur. In:
Parlament 20/2001.
Grill, Markus; 2003: Osnabrück hui, Dessau pfui. In: Stern, vom 22. April 2003.
Groschopp, Horst (Hrsg.); 1992: Kultur in Deutschlands Osten. Band 32 der Mitteilungen aus der Kulturwissenschaftlichen Forschung, Berlin.
Hartung, Werner; Wegner, Reinald; 1995: Studie zur Vorbereitung der Theater- und Orchesterkonferenz Sachsen-Anhalt. Hannover.
Hörnigk, Therese; Masuch, Bettina; Raddatz, Frank M.; 1998: Theater Kultur Vision. Arbeitsbuch. Theater der Zeit. Berlin.
Knoblich, Tobias; 2002: Kulturelle Substanz. Einigungsvertrag
und gegenwärtige Kulturpolitik. In: Kulturpolitische Mitteilungen Nr.
99, IV/2002, S. 35 ff.
Koch, Thomas; 1991: Deutsch-deutsche Einigung als Kulturproblem.
Konfliktpotentiale nationaler Re-Integration. In: Deutschland Archiv
Heft 1/1991.
Kracht, Günter; 1993: Die kulturelle Substanz der
DDR-Gesellschaft. In: Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen
Forschung, Band 33, Berlin.
ders. ; 1995: Rekonstruktion des Verschwundenen und Projektion
des Gegenwärtigen. Kulturtheoretische Überlegungen zum kulturellen
Wandel in Ostdeutschland. In: Mitteilungen aus der
kulturwissenschaftlichen Forschung, Band 35, Berlin.
Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg.); 2001: Mitdenken,
umdenken, vorausdenken. Ideen für eine Kulturpolitik der Zukunft. Heft
93 der Kulturpolitischen Mitteilungen, Bonn.
dies. ; 2001: kunst.macht.kulturpolitik. Dokumentation des Kulturpolitischen Bundeskongresses 2001. Bonn.
Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt; 1997: Antwort der
Landesregierung auf die große Anfrage der CDU »Zur Kulturpolitik in
Sachsen-Anhalt«. Drucksache 2/3468, Magdeburg.
Kultusministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern; o.J.:
Diskussionsgrundlage für eine Kulturkonzeption der Landesregierung
Mecklenburg-Vorpommern..
Landesarbeitsgemeinschaft soziokultureller Zentren und
Initiativen Sachsen (Hrsg.); 1998: Soziokultur in Sachsen. Ein
gesellschaftliches Experimentierfeld, Dresden.
Mühlberg, Dietrich; Pietsch, Herbert (Hrsg.); 1994:
Kultur-Enquete. Worin besteht der kulturelle Wandel in Ostdeutschland,
wohin verläuft er, und wie kann er wissenschaftlich untersucht werden?
Band 34 der Mitteilungen aus der kulturwissenschaftlichen Forschung,
Berlin.
Raabe, Paul; 2001: Blaubuch. Kulturelle Leuchttürme in
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen. Erste Auflage Berlin 2001, zweite Auflage Berlin 2003.
PDS im Bundestag (Hrsg.); 2000: Soziale Lage von Künstlern. Anhörung der PDS-Bundestagsfraktion am 12.12.2000, Berlin 2000.
Rehberg, Siegfried; Kaiser, Paul (Hrsg.); 1999: Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Junius Verlag.
Ritter, Waldemar; 2000: Kultur und Kulturpolitik im vereinigten Deutschland. Hrsg. vom Deutschen Kulturrat, Bonn/Berlin.
Röbke, Thomas; 2000: Kunst und Arbeit. Künstler zwischen Autonomie und sozialer Unsicherheit. Klartext-Verlag Essen.
Roters, Eberhard; 1993: Über den Schatten springen – Mich gibt
es doppelt. In: Akademie 1993, Ausstellungskatalog der Akademie der
Künste, Berlin, S. 19.
Ruben, Thomas; Wagner, Bernd (Hrsg.); 1994: Kulturhäuser in Brandenburg. Eine Bestandsaufnahme, Potsdam.
Saad, Sebastian; 2002: Mitten auf dem Weg: Von der Nothilfe zur
nachhaltigen Entwicklung. In: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 99,
IV/2002, S. 24 ff.
Sahner, Heinz; 1994: Regionalentwicklung: Kultur als Standortfaktor. Halle und sein Umland – unterschätzte Möglichkeiten. Halle.
Scheytt, Oliver; 1994: Kommunale Kulturpolitik und die Folgen
der Wiedervereinigung. In: Thomas Heinze (Hrsg.); 1994:
Kulturmanagement, Opladen.
Schirmer, Herbert; 2002: Kulturpolitische Wege. Der Artikel 35
und die Folgen. In: Hoffmann, Hilmar; Schneider, Wolfgang (Hrsg.);
2002: Kulturpolitik in der Berliner Republik, Köln.
ders. ;2003: Ein schmaler Übergang zwischen anything goes und rien ne va plus, In: Das Parlament, 16.4.2003.
Solaß, Sina; 2002: Die freie Theaterszene Ostdeutschlands – Entwicklungen seit der Wende. Leipzig.
Stange, Constanze; 2000: Kunst – Erwerbsarbeit – Geschlecht. Zur
Ungleichheit von Künstlerinnen und Künstlern in Sachsen-Anhalt. Halle,
S. 37 ff.
dies. ; 2001: Absolventinnen und Absolventen der Burg
Giebichenstein – Hochschule für Kunst und Design Halle. Eine empirische
Studie. Halle.
Strittmatter, Thomas; 1987: Standortverteilung und territoriale
Struktur staatlich geleiteter Kultureinrichtungen als Bestandteil der
kulturellen Infrastruktur der DDR. Diss. A an der Humboldt-Universität
zu Berlin, eingereicht 1987.
ders. ; 1992: Tendenzen und Probleme der Umgestaltung der
kulturellen Infrastruktur in den neuen Ländern. Informationen zur
Raumentwicklung. Bonn.
ders.; 1993: Kultureller Umbau – Fakten und Trends aus
Brandenburg. Hauptergebnisse einer Studie zur Entwicklung der
kulturellen Infrastruktur. In: Kulturforschung 8/1993, S. 6 f.
ders. ; 2002: Bestandsaufnahme der kulturellen Infrastruktur in Sachsen-Anhalt. Teil A: Arbeitsbericht, Halle/Berlin.
Voesgen, Hermann; Bachmann, Götz; 2002: Evaluation der Landeskampagne Kulturland Brandenburg. Potsdam.
Vogt, Matthias (Hrsg.);2000: Kultur im ländlichen Raum: Das Beispiel Mittelsachsen. Leipzig
Internetadressen:
www.freie-theater.de.
www.freunde-aktueller-kunst.de.
www.kulturarena.de .
www.gzkl.de (Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig).
www.jenaonline.de/
www.theaterhaus.
www.kunsthaus-erfurt.de.
www.theater-anklam.de/vineta/.
www.rohkunstbau.de.
www.werkleitz.de.
|
| |