Thema | Kulturation 1/2004 | Film- und Fernsehgeschichte | Tanja Baran | Zum 215. Jahrestag der Französischen Revolution DANTON von Andrzej Wajda (1983) – Versuch einer Analyse
| Der
Film basiert auf dem Theaterstück SPRAWA DANTONA (Die Sache Danton) von
Stanislawa Przybzyszewska aus dem Jahre 1929. Das Stück ist hierzulande
so gut wie unbekannt und so sucht man auch vergeblich in den
einschlägigen Nachschlagewerken nach dem Namen der Polin/1/.
SPRAWA DANTONA war 1975 mit großem Erfolg zum erstenmal von Wajda
am Warschauer Theater gespielt worden, nachdem es in den 30ern
ignoriert wurde/2/.Wajda inszenierte das Stück dann noch zwei weitere
Male, bevor er es von Jean-Claude Carrière unter seiner, Agnieszka
Hollands und Boleslaw Michaleks Mitarbeit, zum Drehbuch umarbeiten
ließ.
"Ich gab Carrière zunächst eine Textauswahl des Stückes von
Stanislawa Przybzyszewska. Ich selbst hatte das Stück bereits dreimal
am Theater inszeniert, hatte also genügend Gelegenheit gehabt,
festzustellen, was am besten über die Rampe kommt. Aber die endgültige
Form des Drehbuchs, hat Carrière geschrieben." /3/
Wajda hat die bei Przybyszewska sehr ausführlichen Szenen für das
Drehbuch kürzen und Unnötiges entfernen lassen. "Es stimmt, dass sich
ein Theaterstück weniger gut für eine Verfilmung eignet als ein Roman.
Ein Drama ist das schwierigste literarische Genre, weil es vom Autor
verlangt, alles in Dialogen zu sagen. Was das Stück ‚Die Sache Danton’
anbetrifft, ist es mehr eine dramatische Chronik als ein Theaterstück
im strengen Sinne."/4/
Stanislawa Przybyszweska wurde 1901 als illegitime Tochter ihres
bis heute berühmteren Vaters Stanislas Przybzyzewski geboren. Ab 1909
lebt sie immer wieder in Paris, von daher rührt auch ihr Interesse für
die französische Geschichte, von 1914 bis 1917 in Wien. Noch nicht ganz
volljährig, ist sie Zeugin der Oktoberrevolution, deren glühende
Anhängerin sie wird. So erklärt sich, dass Przybyszewska die
Konfrontation der Meinungen, den Gegensatz von Danton und Robespierre,
in persönliche und leidenschaftliche Begriffe umsetzt. Erst 34 Jahre
alt, stirbt sie 1935 /5/.
Wajda hält es für ihr großes Verdienst, dass sich das Bild des
Robespierre durch ihr Stück verändert hat. Im Gegensatz zum
Büchnerschen, entwirft Przybyszewska ihn als Inkarnation des
aufrichtigen Revolutionärs, sie versucht seine Persönlichkeit in ein
anderes Licht zu stellen und Argumente dafür zu liefern, warum die
Revolution am Ende verlieren musste. Das profunde Wissen über die
Geschichte bewahrt sie aber nicht davor, fanatische Anhängerin
Robespierres zu werden. 1929 schreibt sie in einem Brief: "I am still
more deeply in love with Robespierre than I was five years ago. No one
has ever had such a decisive influence on me as that man, thanks to
whom I discovered morality - the highest spiritual concept of
humanity."/6/
Gerade ihre so stark ausgeprägte Leidenschaft für den
"Unbestechlichen" ist verantwortlich für die voreiligen Rückschlüsse
auf seine besten Absichten und seine Unschuld für das Dilemma der
Revolution. Aimé Guedj meint, dass SPRAWA DANTONA stark von Albert
Mathiez, einem französischen Historiker/7/, inspiriert und zum Ruhm von
Robespierre geschrieben wurde. Die Figur Danton diente dazu, diesen
noch stärker hervorzuheben.
Szenen, Bilder, Dialoge, selbst Wörter finden sich im Film ohne
große Veränderungen wieder. Doch Wajdas Film sei zum Ruhm Dantons und
Robespierre diene dazu, das hervorzuheben/8/. "Das Theaterstück ‚Die
Sache Danton’ ist vom Bolschewismus infiziert, dies ist ein Geständnis
der Autorin selbst. Bei Wajda verhält es sich gerade anders, sein Film
ist antibolschewistisch."/9/
Przybyszewska fliehe nicht in die Geschichte, um ihrer Epoche zu
entfliehen, sondern um eine Antwort auf die Probleme zu suchen, die
sich ihr stellen. "Wir leben in einem monströsen Jahrhundert, in einer
monströsen Welt und wir sind selber Monster", schreibt sie an ihren
Freund Slonimski, 10. September 1927. "Ein tragisches Gefühl des Lebens
inspiriere ihr Werk und damit ihren Robespierre, weit entfernt von
ihrem Ziel, das sie sich ursprünglich gesteckt habe", schreibt Aimé
Guedj/10/.
Somit habe der Stoff eine Entwicklung von der revolutionären
Tragödie zum konterrevolutionären Pamphlet gemacht. Bei Przybyszewska
ist die Revolution ein positiver Wert, diametral entgegengesetzt der
Terror als negativer Wert. Bei Wajda handelt sie dagegen von zwei
Negativwerten, die sich gegenseitig begründen. Die Verherrlichung der
Revolution bei Przybyszewska und kontrastierend bei Wajda die totale
Verdammnis der Revolution, stellen für Guedj ein großes Problem dar.
Dieser Vorwurf an Wajdas Film sei zunächst einmal dahingestellt.
Man kann sich bei Przybyszewskas umfangreichem Stück nicht des
Eindrucks von "Schwarz-Weiß-Malerei" erwehren, so dass Danton eindeutig
in die Position des Verräters der Revolution gerät. Deswegen sahen sich
Wajda und sein Drehbuchautor Jean-Claude Carrierè gezwungen, die
Lobeshymnen auf Robespierre in der Drehbuchvorlage zu entschematisieren
und gleichzeitig die psychologischen und politischen Seiten des Stückes
zu vertiefen.
Begleitumstände und Produktionsbedingungen von DANTON
In den Tagen des "Polnischen Oktober"/11/ (1956) hatte Gomulka
einmal gesagt: "Keine Nation unter den Völkern der Welt ist
empfindlicher für die Frage der Unabhängigkeit und Souveränität als die
polnische"./12/ Gomulka wusste wovon er sprach, schließlich war er
selbst zweimal aktiv in die politischen Prozesse eingebunden, die 1956
und 1970 zu Arbeitskämpfen in Polen führten.
Mit der blutigen Niederschlagung des Aufstands der Arbeiter von der
Danziger Lenin-Werft im Dezember 1970 geht auch die Ära Gomulka zu
Ende. Sein Nachfolger wird Edward Gierek. Auch in seiner Amtszeit kommt
es zu Arbeiterunruhen. Eine Erhöhung der Lebensmittelpreise gibt den
Ausschlag. Trotz Steigerung der Reallöhne, Einfrieren der Preise für
Grundnahrungsmittel und einer Öffnung zum Westen hin, ist die
Finanzlage Polens katastrophal/13/.
Die Arbeiterunruhen von 1976 haben u.a. zur Folge, dass Arbeiter
und Intellektuelle einander näher kommen. Namhafte polnische
Persönlichkeiten gründen im Herbst des gleichen Jahres das "Komitee zur
Verteidigung der Arbeiter" (KOR) unter ihnen auch Andrzej Wajda,
zunächst mit dem Ziel den 1976 Verhafteten zu helfen. Bald jedoch
entwickelt sich das KOR zu einer von der Partei gefürchteten kritischen
Macht. Gemeinsam mit den Arbeitern gründet man eigene Zeitschriften und
einen Untergrund-Verlag, der zahlreiche Broschüren und Bücher
herausgibt, darunter Werke bekannter polnischer Exil-Autoren. Die
kulturelle "Normalisierung" wirkt sich auf den Film ebenfalls positiv
aus. Die Öffnung des polnischen Kinos wird zu einem nicht unbedeutenden
Teil der Gründung der freien Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc"
zugeschrieben /14/.
Im März 1978 entsteht in Danzig durch Vermittlung eines
KOR-Mitarbeiters das "Gründungskomitee freier Gewerkschaften für das
Küstengebiet". Es folgen weitere Gründungen, so eines "Provisorischen
Komitees für die Selbstverteidigung der Bauern" (Ende Juli 1978) und
eines "Komitees der freien Gewerkschaften von Westpommern" (Oktober
1979). Langsam zeichnet sich ab, dass es um den Aufbau einer
gesellschaftlichen Gegenmacht geht. Die "Charta der Arbeiterrechte" vom
August 1979 bringt die freie Gewerkschaftsbewegung einen entscheidenden
Schritt weiter, da sie neue Richtlinien für Löhne, Arbeitszeit und
Arbeitssicherheit entwirft. Darin wird als wirkungsvollste Form des
Handelns der Streik genannt.
Vier Jahre nach dem letzten Versuch werden im Juli 1980 die
Fleischpreise erhöht. Nach Streiks in Lublin und anderen Orten bricht
am 14. August 1980 auf der Danziger Lenin-Werft schließlich jener
Streik aus, der die weiteren Geschicke Polens bestimmen sollte wie kein
anderer Streik in der Geschichte dieses an Arbeitskämpfen so reichen
Landes. Der Streik auf der Lenin-Werft in Danzig hat von Anfang an
politischen Charakter. Denn neben höheren Löhnen fordern die Arbeiter
die Wiedereinstellung der entlassenen Streikführer des Jahres 1970, die
Errichtung eines Denkmals für die Opfer von 1970, die Einführung des
Streikrechts, die Abschaffung der Zensur, Pressefreiheit und den Zugang
zu den öffentlichen Medien zwecks Veröffentlichung autorisierter
Berichte über die Streiks. Außerdem verlangen sie die Aufhebung der
Privilegien des Sicherheitsdienstes, der Miliz und des Parteiapparats
sowie Abschaffung der Geschäfte für Privilegierte und schließlich
Mindestlöhne und die Einführung der 40-Stunden-Woche.
An der Spitze des sofort gebildeten Streikkomitees steht der
Elektromonteur Lech Walesa. Nicht zuletzt ein besonderes
Streikverhalten - man bleibt auf dem Betriebsgelände - hilft, dass die
Situation nicht eskaliert und nicht, wie die Jahre zuvor,
Polizeieinheiten die demonstrierenden Arbeiter zusammenschlagen und
-schießen.
Die Streiks dehnen sich bis Ende August auf ganz Polen aus. In den
Tagen um den 1. September 1980 verhandeln Vertreter der Regierung in
Danzig, Stettin und in Oberschlesien mit den Streikkomitees der
"Solidarnosc". Diese lassen sich von Mitgliedern der KOR und des "Klubs
der katholischen Intelligenz" beraten. Die Vertreter der Regierung
nehmen dabei im Prinzip die meisten Forderungen der Streikkomitees an,
vor allem die Zulassung einer partei- und regierungsunabhängigen
Gewerkschaft.
In Polen selbst wird die Gründung der "Solidarnosc" als Revolution
empfunden. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Demokratisierung über
das ganze Land. Parteichef Gierek muss am 5. September 1980
zurücktreten/15/, und binnen kurzem zählt "Solidarnosc" rund zehn
Millionen Mitglieder, fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung Polens.
Prominente Kulturschaffende stellen sich an die Spitze
neugegründeter unabhängiger Künstlerverbände - so Andrzej Wajda an die
des Polnischen Filmverbandes. Eine Atmosphäre des Aufbruchs ergreift
das Land. Bis zu 90% der Arbeiter aus der Filmindustrie sollen in der
Bewegung sein. Ihren ersten Kongress halten sie Anfang Oktober 1980 ab.
Wichtige Reformen werden angenommen, wie z.B. dass der Regisseur einer
Filmeinheit das Recht bekommt, gegen die Entscheidung des
Kultusministeriums ein Veto einzulegen und dass jede Produktionseinheit
finanziell unabhängig und eigenverantwortlich für die Produktion wird.
Dem Regime bislang zu sehr loyale Produktionseinheiten werden
aufgelöst, mit der Begründung keine künstlerisch und sozial relevanten
Filme gemacht zu haben. Mehr als ein Dutzend verbotener Filme werden
dem polnischen Publikum zugänglich/16/. In der Periode von 1977 bis
1981 widmete sich der Großteil der Regisseure zeitgenössischen Themen.
Dies war eine bislang unbekannte Tendenz in der Geschichte des
polnischen Kinos der Nachkriegszeit.
Bereits am 5. Dezember 1980 äußert die sowjetische
Nachrichtenagentur TASS in einem kurzfristig einberufenen Gipfeltreffen
der Warschauer-Pakt-Staaten die Zuversicht, dass Polen eine
sozialistische Lösung seiner Probleme finden werde. Dies wird als
Androhung einer Intervention verstanden. Da in Polen praktisch
Pressefreiheit herrscht, werden auch zunehmend antisowjetische Stimmen
hörbar. Die Sowjetunion reagiert darauf - was nicht überrascht -
gereizt.
Ob die Gefahr einer drohenden militärischen Invasion wirklich
bestand, darüber besteht bis heute noch kein Konsens. Im Juni 1980 war
aus Moskau zu hören, dass die Warschauer Genossen der Begünstigung der
"Konterrevolution" beschuldigt wurden und man sprach von
"antisozialistischen Kräften", vor denen die polnischen Kommunisten
kampflos Schritt für Schritt zurückwichen.
Die wirtschaftliche Situation Polens allerdings bessert sich auch
unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen nicht. Immer wieder
brechen Streiks aus. Im Februar 1981 wird daher die Regierung
umgebildet. Ministerpräsident wird General Jaruzelski, der aber auch
weiterhin Verteidigungsminister bleibt. Innerhalb der Partei verschiebt
sich so die Macht von einer zivilen in eine militärische Richtung. Ab
Oktober und November 1981 werden von der Partei- und Staatsführung
schwere Angriffe gegen die "Solidarnosc" geführt. Auch gegen die
getroffenen Vereinbarungen wird vorgegangen. Um den für den 17.12.
geplanten "Tag des Nationalen Protestes" zur Erinnerung an den 17.
Dezember 1970 zu verhindern, ruft die Regierung Jaruzelski am 13.
Dezember das Kriegsrecht aus. In der über Rundfunk und Fernsehen
veröffentlichten Erklärung heißt es:
"Unser Vaterland steht am Abgrund. Das Erbe vieler Generationen und
das aus Schutt und Asche wiederaufgebaute polnische Haus sind der
Zerstörung preisgegeben. Das Staatsgefüge löst sich auf. Der
dahinsiechenden Wirtschaft werden täglich neue Wunden zugefügt. Immer
beschwerlicher werden die menschlichen Lebensbedingungen. [...]
Ich gebe hiermit bekannt, dass sich heute der Militärrat der
Nationalen Rettung konstituiert hat. Der Staatsrat hat heute um
Mitternacht nach den Bestimmungen der Verfassung den Kriegszustand für
das ganze Land proklamiert. [...]
Die Nation ist stark und klug genug, um ein leistungsfähiges,
demokratisches Regierungssystem zu entwickeln. In einem solchen System
werden die Streitkräfte dort bleiben können, wo sie hingehören, nämlich
in den Kasernen. [...]
Wie es keine Abkehr vom Sozialismus gibt, so gibt es keine
Rückkehr zu den fehlerhaften Methoden und Praktiken aus der Zeit vor
dem August 1980.[...]" /17/
Sofort wird der "Solidarnosc" jede Tätigkeit untersagt, ihre
führenden Männer, auch Lech Walesa, und andere Oppositionelle werden
interniert. Eine nächtliche Ausgangssperre wird verhängt, das
Telefonnetz gesperrt und überwacht. Alle Verbindungen mit dem Ausland
unterbrochen, Streiks und Demonstrationen verboten.
Nach der Ausrufung des Kriegsrechts demonstrieren viele
Filmeinheiten ihre Opposition zur Regierung und boykottieren die
offiziellen Medien. Die Journalisten-, Schriftsteller-, Graphiker- und
Schauspielervereinigungen werden aufgelöst. Die Vereinigung der
polnischen Filmemacher allerdings nicht, obwohl dies lange Zeit in der
Schwebe gehalten wird; sie wird sozusagen vorübergehend aufgehoben
/18/. Die Zeitschriften „Kino“ und „Ekran“ werden eingestellt, „Film“
erhält Ende März die Erlaubnis, wieder zu erscheinen. Viele Künstler
werden arretiert. Aber Persönlichkeiten und Firmen, die Verträge mit
dem Ausland haben, können diese wahrnehmen, so auch Wajda. Die Zensur
wird wieder drückender: vier Wochen nach dem triumphalen Erfolg des
Films CZLOWIEK Z ZELAZA (Der Mann aus Eisen) wird dieser aus den Kinos
zurückgezogen /19/. In ganz Polen verbreitet sich Angst und Empörung:
Jaruzelskis Nahziel war die Konsolidierung des Staates, wo nötig,
mit harter Hand. Seit April 1982 war sie in gewissem Maße erreicht. Die
nächtliche Ausgangssperre wird aufgehoben und zahlreiche Internierte
entlassen. Obgleich sich weiterhin Zusammenstöße zwischen der Polizei
und "Solidarnosc"-Anhängern ereignen, erlaubt die Militärregierung
schon im Oktober die Neugründung von Gewerkschaften. Im November 1982
wird Walesa aus der Haft entlassen.
Am 22. Juli 1983, dem Staatsfeiertag des kommunistischen Polen,
hebt General Jaruzelski den "Kriegszustand" auf. Der alte Zustand wird
damit jedoch nicht wiederhergestellt. Ein für zwei Jahre gültiges
"Gesetz über besondere juristische Regelungen im Zeitraum der
Überwindung der gesellschaftlichen-wirtschaftlichen Krise" führt die
Kriegsrechtsregelung weiter und verschärft sie zum Teil noch. Die
"Solidarnosc" bleibt bis 1989 formal verboten, sie existiert aber
trotzdem, halb Gewerkschaft und halb politische Partei /20/.
Warum diese Ausführlichkeit? Es geht um die Frage, inwieweit Wajdas
Film DANTON von 1983 ein Gegenbild zur Gesellschaft entwirft. Dass kann
man m.E. nur dann beurteilen, wenn man die gesellschaftlichen und
politischen Ereignisse dieser Jahre kennt und es ist nicht
uninteressant, dass in diesem Zusammenhang auch Begriffe fallen, die
direkt mit dem Frankreich von 1789/94 tun haben. Die Zulassung der
unabhängigen Gewerkschaft "Solidarnosc" wurde als Revolution empfunden,
d.h. der gesellschaftliche Einschnitt war so stark, dass ihm
übergeordnete Bedeutung beigemessen wurde. Damit einher ging eine
Entwicklung von Selbstorganisation, die sich in der Bildung von
Komitees ausdrückte. Auch wenn man nicht das Pariser Volk und seine
selbstverwaltete Kommune mit der polnischen Arbeiterschaft vergleichen
kann, so fällt zumindest eines auf: dass in Zeiten von
gesellschaftlich-politischer Umstrukturierung, administrative Aufgaben
von Bürgern wahrgenommen werden. Es geht hier nicht darum, einen
gemeinsamen Nenner für die Vorgänge in Polen von 1979 bis 1985 und die
in Frankreich von 1789 bis 1795 zu finden. Es soll lediglich darauf
hingewiesen werden, unter welchen Eindrücken Wajdas Arbeit an dem Film
DANTON entstand.
In einem Interview sagt Wajda zur Entstehung des Drehbuchs: "Aber
nicht nur das Stück lieferte mir Elemente für den Film, ich konnte auch
meine eigenen Erfahrungen im Hinblick auf das Verhalten der Leute in
solch einer Situation verwenden. 1981, das Jahr, in dem die Arbeit an
‚Danton’ ursprünglich geplant war, gab mir wertvolles Material, denn
ich konnte in Polen die Hoffnungen, Zweifel und Erschöpfung der
Arbeiter miterleben" /21/.
Schon im Januar 1981 war für DANTON der Vertrag einer
französisch-polnischen Koproduktion abgeschlossen worden. Der Film
sollte zu einem Teil in Polen und zum anderen in Frankreich gedreht
werden. Zwei Tage bevor der Regisseur und sein polnisches Team nach
Frankreich reisen sollten, wurde das Kriegsrecht verhängt.
In FILM QUARTERLY liest man dazu:
"Actually the film's troubles began on December 12, 1981, when
martial law was declared. Film Polski, the coproducer of the film, did
not allow Wajda to film crowd scenes in Cracow fearing demonstrations"
/22/.
Die ganze Produktion musste neu durchdacht und aufgebaut werden.
Als man nahe daran war aufzugeben, wie Angelika Heinick im RHEINISCHEN
MERKUR schreibt, kam der Film dennoch zustande, dank der massiven
Unterstützung durch französische Produzenten und das Engagement des
Kultusministers Jack Lang Ein Umstand der später noch zu viel Unmut von
Staatsseite führte /23/. Das Kulturministerium gab einen Zuschuss von
drei Millionen Franc. Der polnische Staat übernahm ein Zehntel der
Produktionskosten von insgesamt 25 Millionen Franc /24/.
Die finanzielle Unterstützung seitens der neuen Regierung war, wie
wir aus späteren Reaktionen wissen, nicht ganz uneigennützig. Zu
Frankreich muss man sagen, dass die im Frühjahr 1981 stattgefundenen
Wahlen überraschenderweise einen Sieg der Sozialisten brachten. Bei den
Präsidentschaftswahlen setzte sich Francois Mitterrand gegen Giscard
d'Estaing durch und bei den Wahlen zur Nationalversammlung gewannen die
Sozialisten ebenfalls die absolute Mehrheit.
Der Film entstand letztendlich in Zusammenarbeit von GAUMONT, LES
FILMS DU LOSANGE, FILM POLSKI, unter Beteiligung des Kulturministeriums
Paris und der Mitarbeit der PRODUKTIONSGRUPPE X Warschau. Wajda begann
am 21. April 1982 im Schloß Guermantes, in der Region Seine-et-Marne,
mit den Dreharbeiten zu DANTON.
Um die Produktion zu vereinfachen, ließ Wajda die Robespierristen
von polnischen Schauspielern und die Dantonisten von französischen
Schauspielern spielen. "Von Anfang an stand für mich fest, dass
Depardieu Danton und Pszoniak Robespierre ist - und weil sich beide im
Film nur einmal begegnen und sonst getrennt wirken, kam ich auf die
Idee einer getrennten, französisch-polnischen Besetzung. [...] Ich
wollte die Polen nicht französisch sprechen lassen, weil ich finde, es
entsteht eine gewisse Trägheit, wenn ein Schauspieler in einer ihm
fremden Sprache spricht, die er nicht genau erfühlt - was seine
Reaktion auf den Partner einschränkt, verlangsamt." /25/
DANTON hatte in Paris im Januar 1983 und in Warschau zwei Wochen später Premiere.
Hypothesen zur Lesart des Films
"Mein Film wird sehr realistisch. Er betrifft schließlich den
ersten politischen Prozess moderner Prägung in der Geschichte mit allen
seinen Attributen der Manipulation, der Intrigen und der
Massenhysterie. Das fasziniert mich am meisten - und die Tatsache, dass
jede Revolution ihre gefährlichen, kritischen Momente erlebt. Wenn sie
ihre Ziele nicht erreicht, muss sie zu Mitteln greifen, die konträr zu
ihrer Idee sind - zu den Ideen, die die Geburt der Revolution motiviert
haben. Darin liegt die Tragödie der Revolution." /26/
Der Drehbeginn von DANTON fiel, wie bereits erwähnt, in die Zeit
des Ausnahmezustands, was ihn zum einen verzögerte und zum anderen die
Aufnahmen im eigenen Land unmöglich machte. DANTON wurde also zu einem
Exil-Film.
Geschichte kann als Bilder- und Mythenfundus fungieren. Die
Aufarbeitung französischer Geschichtsmythen durch einen polnischen
Filmregisseurs verwundert zunächst. Bei näherer Betrachtung entdeckt
man jedoch, dass die Auseinandersetzung der Polen mit Frankreich eine
lange Tradition hat. Die Anfänge findet man bereits im Zeitalter der
Französischen Revolution. Polens Geschichte war in dieser Epoche
überaus bewegt und mit Sicherheit vermutet man nicht, dass Polen noch
vor Frankreich eine geschriebene Verfassung hatte: die
Mai-Konstitution, die jedoch von der Opposition verhindert wurde und
nie in Kraft trat. In Frankreich trat die neue bürgerliche Verfassung
am 3. September 1791 in Kraft. Die Präambel beinhaltete die berühmte
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom August 1789. Der Film
weist immer wieder, wenn auch sehr versteckt, auf diese hin.
Ich verstehe DANTON heute, 12 Jahren nach seiner Entstehung, als
ein "Lehrstück" über Demokratieenthusiasmus und Demokratiezerstörung.
Im Laufe der Zeit, im Wettlauf mit der Revolution haben sich bei Danton
und Robespierre zwei Konzepte von Staatsführung, die von den inneren
und äußeren Umständen aufgerieben werden, entwickelt.
Der Film ist eine Parabel, d.h. ein Gleichnis, um eine
allgemeingültige sittliche Wahrheit, die des menschlichen Scheiterns
und der menschlichen Unzulänglichkeit an dem Beispiel der Französischen
Revolution zu veranschaulichen. Personifiziert in den Charakteren
Dantons und Robespierres steht ihr individueller Konflikt für einen
allgemein gesellschaftlichen. Dieser, auf einer Metaebene neben dem
psychologisch-menschlichen Konflikt stattfindende, tiefere Dissenz,
vermittelt sich dem Zuschauer nicht beim ersten Sehen. Er versteckt
sich hinter den Haltungen der Akteure und in den Bildern Wajdas.
In seiner Grundaussage ist der Film keineswegs pessimistisch, er
lässt Anhaltspunkte finden, die das Bild einer Offenheit der Situation
und damit Veränderbarkeit des geschichtlichen Ablaufs erkennbar werden
lassen. Der Film versucht den Orten, an denen Politik stattfindet,
nachzuspüren. Wie losgelöst von menschlichen Empfindungen vollzieht
sich Politik? Welche idealen Konzepte von Demokratie beherrschen die
großen Köpfe der Zeit?
Wajda entwirft mit DANTON in seinen Abläufen ein sehr klar
strukturiertes Bild - wir sehen abwechselnd die Akteure in ihrem
Umfeld, die Figuren werden nicht als Werkzeuge einzelner Oligarchien im
Hintergrund vorgeführt, auch wenn sie jeweils von Interessengruppen
umgeben sind, sondern sie agieren zu jedem Zeitpunkt aus sich selbst
heraus. Etwas verbindet Danton und Robespierre in ihrer unterschiedlichen
Haltung: sie sind beide erschöpft, ihre Physis ist angegriffen. Die
Ereignisse der letzten Jahre haben bei beiden Männern ihre Spuren
hinterlassen.
Wajda vermeidet es geradezu, den Zuschauer verführen oder ihn in
seinem Sinne manipulieren zu wollen; das genaue Gegenteil bezweckt er:
die Augen des Zuschauers werden vielmehr für die geschichtlichen
Prozesse offen gehalten. In DANTON begegnen uns zwei große politische
Köpfe, die beide trotz guter Absichten und humanitärer
Menschheitsentwürfe in das Fahrwasser der Politik und einer nur schwer
anzuhaltenden "Maschinerie" geraten. Auch wenn es in DANTON um die
großen menschlichen Entwürfe geht, so ist doch auffällig, dass
Volksszenen auf ein Minimum zusammengestrichen sind. Das ist nicht
zufällig. Der Film konzentriert sich auf die beiden Antipoden.
Meine Hypothese lautet: Wajda stellt mit DANTON die Tragödie der
Revolution dar und darin liegt eine Gegenanalyse zur marxistisch
orientierten polnischen Geschichtsschreibung.
Analyse des Films
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass ich mich zur Analyse und
Interpretation des Films auf die französische Version mit englischen
Untertiteln stütze und nicht auf die deutsche Fassung, da sie um einige
Sequenzen gekürzt wurde /27/. Wie anfangs formuliert soll die Analyse
des Films auf Grundlage der Ideologiekritischen Methode anhand der
Strukturalistischen Analyse gemacht werden.
Die Ideologiekritische Methode untersucht, inwieweit der Film
geprägt ist, von kollektiven Bewusstseinsstrukturen (Ideologien) und ob
diese die Handlung strukturieren bzw. ihr entsprechen. Haben
systemstabilisierende oder systemverändernde Theorien des
Gesellschaftssystems, in dem der Film entstanden ist, Eingang in die
filmische Darstellung der Wirklichkeit gefunden? /28/
Dramaturgischer Aufbau des Films
Die Untersuchung der dramaturgischen Struktur des Films möchte ich an den drei zentralen Kategorien der Dramaturgie vornehmen:
1. Figur(en)
Figur ist zu verstehen als Charakter, ausgestattet mit Motivationen
(Ziele, Interessen und Zwecke)
2. Fabel
Fabel ist zu verstehen als Verknüpfung von Begebenheiten und
Handlungen zwischen Anfang, Mitte, Ende
3. Konflikt
Konflikt ist zu verstehen als Gegensatz oder Widerspruch innerhalb der Figur
(innerer Konflikt) oder als Einwirkung von anderen Figuren (äußerer
Konflikt), letzterer besonders sichtbar in Kollisionen (kollidierenden Handlungen).
Die drei Kategorien bilden die Bestandteile der dramatischen
Handlung, stehen untereinander in Wechselbeziehung und gehen auf
unterschiedliche Weise auseinander hervor. Die Untersuchung dieser
Wechselwirkungen lässt die verschiedenen Anteile und Gewichtungen
innerhalb der dramaturgischen Struktur erkennen:
Womit bewirkt die Figur eine Entwicklung und Entfaltung der
Konflikte? Welche Konflikte bewegen die Figur? Durch welche
Begebenheiten und Handlungen wird die Figur charakterisiert?
Die drei Komponenten kann man sich schematisch in einem Dreieck
FABEL – FIGUR - KONFLIKT vorstellen /29/. Im Folgenden soll ein
Figuren-Handlungsmodell für Danton und für Robespierre aufgestellt
werden: In den ersten Szenen wird der Ort und die Zeit eingeführt und
zugleich eine Atmosphäre vermittelt. Morgendämmern in Paris im Frühling
des Jahres 1794, dem II. Jahr der Republik. Die Lage ist angespannt,
davon zeugt die übergroße Vorsicht (Straßensperre) mit der
neuankommende Fahrzeuge kontrolliert werden. Eine Kutsche, die aus dem
Blau der Nacht auftaucht, wird im Gegensatz zu den anderen ohne große
Umstände durchgelassen. Textfetzen: "Er ist es! Ich habe ihn erkannt!"
Die Kutsche fährt weiter über den Platz der Republik. In der Mitte
thront unheilsschwer und schwarz verhüllt die "Sichel der
Gerechtigkeit", die Guillotine. Ein Blick aus der Kutsche (erste und
einzige subjektive Kamera) auf die "gnadenlose" Maschine und dann sieht
man Danton.
Die Szenerie wechselt in das Zimmer Robespierres. Herein kommt die
Haushälterin Eleonore und lässt den Tag beginnen, sie öffnet die
Rouleaus und ordnet die Gegenstände, der große Revolutionär liegt noch
im Bett. Ermattet und krank sieht er aus und dieser Eindruck verstärkt
sich noch, als ihm Eleonore Tee ans Bett bringt. Damit sind auch die
Hauptfiguren, Danton und Robespierre, exponiert und von vornherein ist
die Konzentration auf diese beiden Figuren gelenkt worden.
Draußen auf der Straße steht die Bevölkerung nach Brot an. Es gibt
kaum Lebensmittel und die wenigen nur auf Bezugsschein. Spitzel sind
unterm Volk, die die Stimmung belauschen. Sie ist miserabel, was sich
ändert, als die Kutsche mit Danton auftaucht. Jubel bricht aus.
Diese Handlung zeigt deutlich den Stellenwert der Danton von den
Pariser Menschen beigemessen wird. Er ist etwas Außergewöhnliches, und
der Jubel deutet auch auf seine Rolle als Hoffnungsträger hin. Das
geschickte szenische Arrangement Wajdas erlaubt es, dass die äußeren
Konflikte (kein Brot), die die Menschen gemeinsam vor dem Bäckerladen
auf der Straße warten lassen, nicht nur dazu führen, dass der für
längere Zeit verreiste Danton so stürmisch und begeistert empfangen
werden kann, sondern auch, dass der Handlungsstrang vor dem Haus
Robespierres zum "Stehen" kommt.
Robespierre ist aufgestanden und beobachtet den Tumult von oben
herab, von seinem Fenster aus. Die Kamera zeigt ihn von unten. Der
Bildausschnitt erweckt den Eindruck von Eingeschlossenheit. Im
Gegensatz zu Danton, der von Menschenmassen eingerahmt und umzingelt
wird, ist Robespierre von Mauern geschützt. Es ist nicht nur eine
räumliche Distanz. Die Massenhysterie erweckt bei Robespierre Neid,
wodurch ein Charakterzug der Figur illustriert wird.
Die drei parallel laufenden Handlungsstränge sind an dieser Stelle
zu einer räumlichen und zeitlichen Einheit zusammengeführt worden, ohne
dass sie miteinander kollidieren.
Wenn auch Robespierres Augen ganz dem Geschehen auf der Straße
gehören, so hört er doch unterdessen die Worte, die ihm Héron vom
Sicherheitsausschuss aus der noch frischen Druckfahne einer neuen
Ausgabe des "Vieux Cordelier" vorliest:
"The Public Safety Committee sees despotism as a necessary measure.
They agree with Macchiavelli that the greater good excuses minor evils
[...] the last defence against despotism is a free press [...]". /30/
Robespierre gibt zu verstehen, dass solche Gedanken nicht
verbreitet werden dürfen. Die Aufforderung zur Beschlagnahmung der
Auflage treibt die Handlung zum ersten Mal durch eine Entscheidung der
Figur Robespierre voran. Das ist der Ausgangspunkt für die Verknüpfung
der Handlungen, die letztendlich zur dramatischen Fabelentwicklung
führt. Die Situation wird sich in einer wesentlichen Komponente
verändern, die Entscheidung von Robespierre bleibt nicht ohne Folgen.
Die amerikanische Drehbuchschule nach Syd Field nennt das einen
PLOT POINT, ein Ereignis oder Zwischenfall, der die Fabel voranbewegt
und aktiv in die Handlung eingreift. Brecht nannte in seiner eigenen
Arbeit am Stück diese markanten Punkte in der Fabel DREHPUNKTE der
Handlung, Aristoteles sprach von der PERIPETIE.
In der nächsten Szene werden wir Zeuge wie die Druckerei zerstört
und der Drucker verhaftet wird. Wajda arbeitet sehr genau, um eine
Atmosphäre der Angst und Bedrohung aufzubauen, die die Stimmung dieser
Tage wiedergibt und ein aussagekräftiges Licht auf die Verhältnisse in
Paris wirft (die Szene beginnt mit einer Nahaufnahme von
zersplitterndem Glas; sinnlose Zerstörung der Druckerei). Das Wort
Despotismus klingt nach.
Auch hier arbeitet Wajda wieder mit einer parallelen Darstellung
der Ereignisse. Nachdem wir Zeuge der Zerstörung wurden, kehren wir ins
Haus von Robespierre zurück. Währenddessen scheint der noch kurz zuvor
schlaffe und abgekämpfte Robespierre neue Kräfte gewonnen zu haben. Er
lässt sich von seinen Barbieren fertig für den Ausgang frisieren.
Durch St. Justs Auftritt erfahren wir, dass Robespierre seit langer
Zeit zum erstenmal aufgestanden ist, was sicherlich mit der Rückkehr
Dantons zusammenhängt. Von St. Justs Erscheinung geht ein zwiespältiger
Eindruck aus: Zeichen für sein nahes Verhältnis zu Robespierre ist der
mitgebrachte Kirschblütenstrauß. Unerwartet hart wettert er gegen
Danton, den politischen Gegner, was nicht nur sein hitziges Temperament
beweist, sondern auch auf einen Konflikt hindeutet. Er greift Danton
als verschwörerischen Staatsstreichler und Desmoulins als Aufwiegler
gegen die Komitees an. St. Just treibt Robespierre mit seinen Reden in
einen inneren Konflikt, die ihn vor die Frage stellt, ob sein alter
Freund die Revolution tatsächlich verraten will? Robespierre weist
erste Worte St. Justs von einer Ausschaltung Dantons entschieden
zurück.
Aber der Auslöser für die Entfaltung eines äußeren Konflikts ist
bereits durch die Verhinderung der Verbreitung des Presseorgans der
Dantonisten gelegt worden. Bisher gab es scheinbar nur einen latenten
Konflikt zwischen sogenannten Robespierristen und Dantonisten. Dantons
Rückkehr und die Eskalation dieses Konflikts fallen dabei nicht
zufällig zusammen.
Dieser Eindruck wird noch erhärtet, als St. Just auf dem Weg zum
Wohlfahrtsausschuss wütend ein Plakat von einer Häuserwand abreißt, auf
dem steht: "Les Committee son la dictature" (Die Komitees sind die
Diktatur).
Robespierre wird in den ersten sechs Szenen für uns zwar als
körperlich schwach charakterisiert, dafür aber als psychisch stark.
Eine respektvolle Person, deren Willen man gehorcht, die man aber im
Gegenteil zu Danton nicht "anfassen" kann. Auf der einen Seite der
Revolutionär Danton, der spürbar beim Kontakt mit den Massen aufblüht,
entgegen dem ernsthaften, gemessenen Revolutionär Robespierre, der den
Beinamen der "Unbestechliche" bekommen hat.
Im Wohlfahrtsausschuss angekommen, ein wenig zu spät, schlägt
Robespierre auf seine Verteidigung Dantons, den die Ausschussmitglieder
bereits der konterrevolutionären Tätigkeit anklagen, offener Missmut
entgegen. Er hat es zunächst schwer sich gegen die Mehrheit
durchzusetzen. Sein innerer Konflikt wird gleichzeitig als äußerer
öffentlich - weil er von Billaud-Varenne, Couthon, Collot und den
anderen angegriffen wird. Robespierre sagt es deutlich: Er will solche
ernsthaften Anschuldigungen nicht auf Gerüchten basieren lassen. Dann
erst fügt er bei, dass er eigenmächtig die Zeitung Camilles Desmoulins
hat verbieten lassen. Aber Robespierres Worte, dass er nicht an Dantons
Redlichkeit glaube, zeigen auch seine innere Zerrissenheit.
Andererseits weiß er, dass Danton als Idol exzeptionelles Recht genießt
und nicht exekutiert werden kann, da sonst die Bourgeoisie in die Arme
der Gegenrevolution getrieben würde.
Robespierre ist es, der im ersten Achtel des Films die Handlung
führt. Erst setzt er sie in Gang, doch dann scheut er im
Wohlfahrtsausschuss die weiteren Konsequenzen zu scheuen und lässt eine
Verzögerung zu (retardierendes Moment). Danton ist unterdessen im
Konvent aufgetaucht. Eine fieberhafte Stimmung herrscht dort. Sein
Freund General Westermann unterbreitet ihm sofort seine Aufstandspläne.
Danton ist davon unbeeindruckt (gleiche Konstellation wie in der Szene
Robespierre - St. Just).
Die Fabel charakterisiert Danton als furchtlosen Mann, er offenbart
zum ersten Mal eine prägende Facette seines Charakters: Ausharren,
Abwarten und der unerschütterliche Glaube, ganz Paris stehe hinter ihm.
Man könnte dieses Verhalten auch als Arroganz, Überheblichkeit und
"Blindheit vor der Gefahr" interpretieren. Danton hat jetzt die
Möglichkeit zur Reaktion /31/. Aber während er mit Westermann redet,
ist er noch mit anderen Dingen beschäftigt (lüftet die Decke einer
Holzstatuette; beschaut den Verkaufsstand ausgestellter Bilder und
Kokarden). Nur weil Dantons Freunde nicht locker lassen und auf eine
Reaktion für die erlittene Demütigung pochen, gibt Danton dem Drängen
nach und lässt über Bourdon im Konvent Stimmung gegen den
Geheimpolizisten Héron machen, dem Verantwortlichen bei der Zerstörung
der Druckerei. Dass dadurch natürlich in erster Linie Robespierre
angegriffen werden soll, beweist die Freude der Dantonisten über das
hektische Verlassen des Konvents durch den Mann vom
Sicherheitsausschuss. Eilig läuft er zu dem noch tagenden
Wohlfahrtsausschuss herüber, um von der drohenden Verhaftung Hérons
durch Verabschiedung eines Dekrets zu berichten. Wajda verfolgt
weiterhin das Prinzip der parallelen Handlungen, eine bewusste Form der
Dramatisierung.
Die Dantonisten haben somit eine Antwort auf Robespierres
Provokation gegeben, der Konfliktknoten ist weiter geschürzt worden.
Entgegen dem vielleicht naheliegenden Versuch, diese Reaktion mit einem
erneuten Gegenschlag zu beantworten, geht Robespierre einen
unerwarteten Weg, den des Dialogs. Er will Danton noch am gleichen Tag
treffen. Die weitere Zuspitzung des Konflikts ist für einen kurzen
Moment gebannt.
Die nun folgende Szene ist eine der wichtigsten des ganzen Films,
in jederlei Hinsicht: schauspielerisch, dramaturgisch, auch was die
misé en scene und den Dialog betrifft. Diese Szene ist die einzige in
der sich Danton und Robespierre begegnen, deswegen hat sie eine ganz
eigene Identität und Spannung. Vom Dialog her ist sie überraschend
offen und deutlich:
Für den Abend hat Danton zu einem Essen eingeladen. Die beiden
Kontrahenten gehen aufeinander zu, Robespierre durch das Angebot zum
Dialog (Deeskalation) und Danton durch das Arrangement der Verabredung.
Für den Genießer und Ästheten Danton muss alles stimmen, selbst die
Farbe des Blumenstraußes bestimmt er, nichts bleibt dem Zufall
überlassen. Zu guter Letzt werden alle Freunde Dantons als potentielle
Mithörer der Tür verwiesen. Die beiden großen Männer der Revolution
Robespierre und Danton sollen allein miteinander reden, ganz privat
/32/. Diese Privatheit wird am Ende der Sequenz aber wieder
aufgebrochen, wenn deutlich wird, dass die Dantonisten im Nebenraum
gelauscht haben.
Die Ausgangspunkte beider sind verschieden, der "Unbestechliche"
lehnt alle kulinarischen Angebote der Gegenseite ab, das gehört mit zur
Taktik der Demonstration von Stärke und Macht. Den entscheidenden
Akzent setzt Danton, indem er das von Robespierre dargebotene Glas bis
zum Rand mit Likör füllt. Mit äußerster Konzentration gelingt es
Robespierre nicht einen einzigen Tropfen zu verschütten. Diese
deutliche Provokation lässt ihn ansetzen, Danton soll mit seinen
Anschuldigungen gegen ihn aufhören:
"State publicly that you're joining us...".
Robespierres Konflikt, dass sein einstmaliger Parteigänger nicht
mehr mit ihm zieht und sein inneres Unwohlsein überträgt er in seine
Forderung an Danton. Danton lässt Robespierre beginnen, er hat das
Treffen anberaumt. Er kommt erst dann aus der Defensive, als seine
Person gefragt ist. Zwar seien ihre Ansichten dieselben, aber nur er,
Danton, habe den Mut, diese auch laut zu äußern. Robespierre dagegen
sei zum Büttel der Komitees geworden. Er selbst habe sich, dadurch dass
er von keinem Komitee vereinnahmt sei, die Freiheit bewahrt, laut und
öffentlich seine Meinung über die Herrschaft der Komitees zu äußern,
Robespierre hingegen nicht. An diesem Punkt scheiden sich die Geister
und - es wird deutlich gesagt - Danton stellt das Individuum über die
Masse, bei Robespierre muss es sich dem Willen der Mehrheit
unterordnen, auch wenn das mit den eigenen Meinungen kollidiert oder
schlimmer noch, es von dem Irrtum der Mehrheit überzeugt ist. Erstens
wird deutlich, dass Robespierre und Danton ein unterschiedliches
Konzept von Freiheit und Gleichheit haben. Zweitens, dass beide Männer
zwar dieselben Überzeugungen hatten, nicht aber die gleichen Mittel zur
Durchsetzung ihrer Ziele wählen und auch nicht das gleiche Tempo
anschlagen.
Robespierre: "Stop the revolutionary impetus and you kill the revolution."
Danton: "What people want is to eat and sleep in peace."
Zornig wird Danton, als Robespierre über das Volk als eine in
Prozenten auszudrückende Masse redet. Hier meldet sich auch Dantons
Eitelkeit zu Wort. Von nichts und niemandem lässt er sich übers Volk
belehren, gerade ihm fühlt sich der ehemalige Advokat verbunden und
nahe. Dantons gewaltiger Gefühlsausbruch wird also nicht unbedingt von
einem äußeren Konflikt gesteuert, im Gegensatz zu Robespierre, sondern
eine private Diskreditierung verletzt ihn so sehr, dass er
handgreiflich wird . Dieser Ausbruch ist nicht mehr rückgängig zu
machen. Robespierres innerer Konflikt vergrößert sich, die Hoffnung
Danton zurückzugewinnen, ist dahin und sein persönliches Ego tief
verletzt. Dazu kommt die Erkenntnis, dass sich der politische Kampf
zuspitzen wird. Der äußere und der innere Konflikt bedingen sich
gegenseitig.
Diese Szene ist ein wichtiger Drehpunkt in der dramaturgischen
Struktur. Zwischen den beiden Hauptfiguren steht ein unlösbarer innerer
und äußerer Konflikt, auf den beide reagieren müssen. Die
zusammengeführten Handlungsstränge werden nun wieder in zwei parallel
verlaufende Handlungen aufgetrennt.
Danton verkennt die Lage, wenn er, nachdem ihn Robespierre verlassen hat, sagt:
"Now, I've got him. I've got him".
Womit fragen wir berechtigterweise? Der Zuschauer ist irritiert
über Dantons Gelassenheit, wie er sich in Sicherheit wiegt und keinen
Gedanken daran verschwendet, zu fliehen, noch zu einem Präventivschlag
auszuholen. Hätte er hier zusammen mit Westermann den offenen Kampf
gesucht, wäre die Fabel anders verlaufen. So aber lässt er seinen
Worten, dass er ihn in der Hand habe, keine Taten folgen. Danton ist an
diesem Punkt als dramaturgische Figur inaktiv.
Dass sich Danton in Sicherheit wiegt, ist auch dramaturgisches
Prinzip zur Erzeugung einer äußeren Spannung beim Zuschauer, da dieser
auch die Aktivitäten der Gegenseite vorgeführt bekommt.
Robespierre flüchtet sich zu seinem letzten, "wahren" Freund, zu
Camille Desmoulins, dem eine tragische Schlüsselrolle im Kampf der
beiden Männer zukommt. Spätestens in dieser Szene wird deutlich, dass
ihn ein gewisses Maß an Mitschuld trifft. Das Dilemma aber ist, dass er
unschuldig schuldig ist. Sein hohes Ethos von Integrität und Ehre
halten ihn davon ab, auf Robespierres Angebote einzugehen. Robespierre
sagt über sein Kommen:
"You're in grave danger. I came to warn you. You don't realize.
Your life's at stake". Diese persönliche Warnung verwundert nicht mehr,
wenn man weiß, dass Desmoulins ein alter Studienkollege /33/ und Freund
Robespierres ist, der aber die Anschuldigungen gegen die Regierung in
der nie erschienenen 7. Nummer des "Vieux Cordelier" erhoben hatte.
Fast scheint es, als wollte sich Robespierre eine endgültige
Vergewisserung einholen, dass diese Worte Camilles eigene waren und es
wäre auch möglich gewesen, sich ein Zugeständnis von Desmoulins
einzuholen, dass sich Danton falsch verhalten hat /34/. Aber dazu kommt
es nicht. Camille zeigt klar und deutlich, dass er auf der Seite
Dantons steht.
Desmoulins wirkt in entscheidendem Maße auf den Verlauf der
Handlung ein, auch indem er Robespierre aus seinem Haus "wirft". Nicht
nur Danton scheint Robespierre gegenüber keinen Respekt mehr zu haben,
sondern auch sein alter Freund Camille. Es ist nicht unwahrscheinlich,
dass Robespierres Entschluss, Danton zu exekutieren, hier seine
endgültige Motivation bekommt. In diesem Sinne könnte man den Blick
Robespierres auf Camille deuten, als dieser ihn zurückstößt. Nun weiß
Robespierre, dass er mehr als nur einen Gegner zu fürchten hat und er
weiß auch, dass er kämpfen will und muss. Davon zeugt, dass er die
Sitzung (er kommt wie immer etwas verspätet) des Wohlfahrtskomitees mit
den Worten eröffnet: "In one hour you'll send the police to arrest Danton" /35/ .
Der beschriebene Konflikt führt dazu, dass Robespierre an dieser
Stelle nur die eine Lösung, die Verhaftung Dantons sieht. Durch diese
Entscheidung wirkt er zum wiederholten Male aktiv auf den Fabelverlauf
ein. Doch bei diesem einen Entschluss allein bleibt es nicht, er kann
nicht verhindern, dass mit Danton noch weitere Unliebsame aufs Schafott
wandern sollen. Die Fabel bekommt an dieser Stelle eine Eigendynamik,
die Robespierre zwingt, die Flucht nach vorn anzutreten, um die
Situation weiterhin unter seiner Kontrolle zu behalten. So auch jetzt,
wo man, um die Konventsmitglieder Danton, Desmoulins, Delacroix und
Philippeaux zu verhaften, die Zustimmung der Mitglieder des
Sicherheitsausschusses benötigt. Diese werden zur Sanktionierung
genötigt. Von jetzt an entfernt sich Robespierre mehr und mehr von
seinen eigenen Grundsätzen und begeht mit jeder Entscheidung ein neues
"Verbrechen". So, als er sich die Geschworenen für den Prozess aussucht
und statt der vorgeschriebenen zwölf nur sieben wählt, weil diese
absolut verlässlich sind. Gleichzeitig wird durch das überstürzte
Handeln die Situation als äußerst dramatisch charakterisiert.
Kontrastiert wird die Dynamik durch Danton, der sich ohne offene
Handlungsabsicht nach Hause begeben hatte.
Robespierres stärkster innerer Konflikt besteht nicht in der
Arretierung Dantons, sondern in der Desmoulins. Ihn, so hatte er noch
am Anfang gesagt, wolle er auf seine Seite ziehen, das versuchte er zum
vorletzten Male durch seinen Besuch bei ihm zu Hause und zum letzten
Male im Gefängnis Luxemburg. Wäre Robespierre dort nicht auf dem Gang
Philippeaux begegnet, der seinen Mitgefangenen erzählt: "Robespierre's
waiting for you out there", hätte Camille vielleicht noch eine Chance,
zu einem allerletzten Gespräch mit Robespierre gehabt. Eventuell wäre
er auf dessen Linie eingeschwenkt /36/, d.h. die Angriffe wären
gestoppt und in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift alle früheren
Aussagen wiederrufen worden. Aber wie gesagt, das wurde vereitelt und
in dem Wissen, dass Robespierre vor der Tür auf ihn wartet, liegt die
Tragik der Situation, denn Desmoulins Ethos von Solidarität verbietet
es ihm, jetzt seine Freunde im Stich zu lassen und sich zu retten. Die
hohe Anspannung, der innere Konflikt der Figur, rauszugehen oder
drinnen zu verharren, entlädt sich in einem Witz Delacroix', der dem
Überbringer sagt, er solle Robespierre ausrichten, Desmoulins sei nicht
zu Hause, was abermals eine schwere Demütigung für Robespierre
darstellt.
Dreimal hat er sich erniedrigen lassen, einmal von Danton als
dieser ihn tätlich angriff und beleidigte und zweimal von Camille, der
ihn beim ersten Mal aus seinem Haus "wirft" und sich dann durch einen
Scherz von seinen Freunden vor Robespierre verleugnen lässt. Der Film
schafft es nicht - und dies ist im gewissen Sinne eine Schwäche - sich
des Eindrucks zu erwehren, dass diese persönlichen Beleidigungen und
Kränkungen Robespierres zu einem Großteil seine Entscheidung bedingen,
sich der Querdenker zu entledigen. Zumindest hat er an diesem Punkt
vergessen, was er noch am Morgen im Wohlfahrtsausschuss sagte: "When it
comes to the good of the nation. I'd stoop to anything."
Am nächsten Tag im Konvent: Die Gefahr für Robespierre besteht
darin, dass die Entscheidung der vergangenen Nacht vom Konvent
revidiert wird. Robespierre muss daher mit allen Mitteln versuchen, die
Stimmung gegen Danton anzuheizen. Das scheint am Anfang der Sitzung
bereits vereitelt zu werden, denn die Nationalversammlung ist durch die
Nachricht Panis, der die Abgeordneten vor Beginn der Sitzung von der
Verhaftung Dantons unterrichtet, in emotionalen Aufruhr versetzt. Die
Abgeordneten der Ausschüsse werden von ihren Parlamentskollegen mit
Buhrufen empfangen. Für einen Moment scheint gar eine gewaltsame
Auflehnung möglich.
Der Dantonist Legendre stellt den Antrag, die Arretierten sollten
vor dem Konvent angehört werden, so dass dieser zu dem Schluss käme,
dass es persönliche Feindschaft oder Eifersucht seien, die diesem
Entschluss Vorschub geleistet haben. Das geht direkt an die Adresse
Robespierres /37/.
Der geschürte äußere Konflikt forciert sein Eingreifen, Robespierre
verschafft sich Gehör. Saint Just zerreißt zu diesem Zwecke die
Rednerliste und lässt sich von Barère den Treppenaufgang zur
Rednertribüne freihalten. Mit einer bravourösen Rede schafft es
Robespierre entgegen allen Zwischenrufen, den Konvent auf seine Linie
zu bringen, d.h. die Angeklagten werden nicht die Möglichkeit bekommen,
sich vor dem Konvent zu verteidigen und Saint Just wird seine
Anklageschrift verlesen. Robespierres Hauptargument ist seine Absage an
jegliche Art von Privilegien für einzelne Abgeordnete. In einer
Republik zu deren Grundsätzen die Gleichheit gehört, besteht darin eine
notwendige Konsequenz /38/. Zugleich bringt Robespierre Zweifel an der
Rechtmäßigkeit der Verhaftung Dantons mit einem Misstrauensantrag an
die Regierung in Zusammenhang. Aus einem Zwischenruf "Long live the
Committees!" entwickelt Robespierre sein Prinzip der Notwendigkeit
solch drastischer Maßnahmen, schließlich blicke jeden Tag die ganze
Welt auf Frankreich. Und eine unmissverständliche Drohung an die
Versammlung: "Only the guilty tremble", treibt eine große Mehrheit zum
robespierristischen Lager, alle anderen ziehen es vor zu schweigen. Die
Botschaft ging nicht zuletzt an Legendre und Bourdon und beide
verstehen, dass sie sich keinen Moment länger in Gefahr begeben
sollten, so dass der erste Robespierre huldigt und der zweite sich als
ein Opfer von Dantons Doppelzüngigkeit bezeichnet und sich ebenfalls
zum Knecht Robespierres macht.
"If a criminal's fall must bring me down with him, what of it? For
the Revolutionary personal danger can never outweigh duty!" Die Pflicht
gegenüber dem Kollektiv wird so über individuelle Freiheit gestellt.
/39/
"It's a political trial. And politics has nothing to do with
justice "/40/, hatte Philippeaux, der fortab nur noch in Büchern Trost
findet, zu dem aufgelösten Desmoulins gesagt. Danton, der sich widerstandslos hat festnehmen lassen, ist mit
seinen Freunden ins Gefängnis Luxemburg gebracht worden. Er begründet
seine Regungs- und Tatenlosigkeit mit den Worten: "We had to let them do it. To open the people's eyes! To show them what the Committees are capable of! There was no other way!"
Noch ist Danton der Meinung, daß allein schon die Ungeheuerlichkeit
seiner Verhaftung den Menschen die Augen öffnen wird. Dass diese
Aussage vornehmlich auf den Konvent gemünzt ist, entpuppt sich wenige
Augenblicke später. Er ist der große Redner, als den ihn auch
Robespierre bezeichnete. Dantons Passivität erscheint im Nachhinein als
Taktik. Aber erneut holen ihn die Ereignisse ein, denn den Gefangenen
wird mitgeteilt, dass sie dem Revolutionstribunal vorgeführt werden
("The Convention approved the charges"), der gleichzeitig tagende
Konvent hat also Robespierres Antrag zugestimmt.
Aber Danton gibt nicht auf, mit allem ihm zur Verfügung stehenden
Mitteln will er um die Freiheit kämpfen. In der Stunde der Not regt
sich bei ihm der Verteidigungsinstinkt. Er zeigt sich von einer neuen
Seite, nicht mehr müde und gelangweilt, sondern angriffslustig und
entschlossen. Der innere Konflikt, eines "Verbrechens" verleumdet zu
werden, dessen sich Danton unschuldig fühlt und die drohende politische
Niederlage, die im Tod enden wird, treiben ihn zum Duell. Noch ahnt er
nicht, dass sich sein Gegner, ihm nicht mehr stellen wird.
So betritt Danton den Saal des Revolutionstribunals noch in bester
Laune und Siegerpose, nimmt sein Bad in der Menge, um alsdann zu
erkennen, dass er mit keinem gerechten Prozess rechnen kann. Er sitzt
auf der Anklagebank mit stadtbekannten Kriminellen. Alle Versuche
seinerseits die spitzfindigen Intriganten kraft seiner Worte und Reden
zu bezichtigen und damit die Ungerechtigkeit transparent zu machen, als
auch die ihm zustehenden Zeugen zu bekommen, scheitern an den
unablässigen Maßnahmen, die die Komitees ersinnen. Treibende Kraft ist
hier Robespierre, immer unterstützt von dem ihm ergebenen Saint Just.
Der Prozess, der sich im Film über drei Tage hinzieht, gestaltet
sich bei Wajda zum eigentlichen Höhepunkt des Films. Der angehäufte
Konfliktstoff findet hier seine Auflösung. Gleichzeitig ist er auch
grausamer Beleg für staatliche Willkür, Justizmord und die Verachtung
der Menschen- und Bürgerrechte. Von vornherein ist dem Zuschauer klar,
dass es für Danton aus diesem Prozess kein Entrinnen geben wird. Alles
ist ihm versagt. Seine Reden werden nach Möglichkeit unterbunden. Keine
Adresse darf sich an das Volk wenden, keine Journalisten sind
zugelassen. Die Öffentlichkeit soll über den Verlauf des Prozesses im
Unklaren gehalten werden. Wachen stehen vor der Tür und halten einige
Personen von der Zeugenschaft im Prozess ab, so zu Anfang die Frau
Desmoulins. Der Forderung der Angeklagten nach Zeugen wird nicht
entsprochen, was aus Panis wird, der von Danton die Worte zugerufen
bekommt: "Panis, run to the Convention. Tell them we want the Comittee.
Say we're beeing muzzled. Run!", erfährt der Zuschauer nie. Stattdessen
erlässt der Konvent ein Dekret, indem das Revolutionstribunal
ermächtigt wird, ohne Unterbrechung bis zur Verurteilung zu verhandeln
und diejenigen vom Prozess auszuschließen, die die Regierung angreifen.
Dieser Tatbestand erfüllt sich gewissermaßen sofort nach Inkrafttreten
des Dekrets, das wieder einmal von Saint Just durchgesetzt wurde (was
aber nicht gezeigt, sondern nur von ihm selbst angedeutet wird).
Sämtliche Angeklagten werden von der Verhandlung ausgeschlossen. Zuvor
hatte der Sicherheitsausschuss Legendre zu einem Geständnis gezwungen,
wonach Lucile Desmoulins Anführerin einer Verschwörung gegen den
Konvent sei, deren Ziel in der Befreiung der Dantonisten bestünde. Auch
dies führt dazu, dass sich die Geschworenen für ausreichend informiert
halten und auf die Frage, ob sie "[...] convinced that the accused took
an active part in the conspiracy" die Angeklagen für "guilty of
participation in a plot to corrupt the nation's representatives in
order to discredit and destroy the government?" halten mit "Yes"
antworten, worauf alle Angeklagten zum Tode verurteilt werden.
Danton und seine Freunde, denen das Urteil in den Kellern der
Conciergerie verlesen wird, sind entsetzt über den unendlichen Verrat
an der Revolution.
Auch wenn es nach Dantons großer Rede am 2. Prozesstag noch so
aussah, als könne er sein Schicksal abwenden, so ist dies nicht der
Fall. Der Prozess hat sich in der Darstellung Wajdas bewusst als
Selbstläufer charakterisiert, gleich einer Lawine, die einmal ins
Rollen gekommen, nicht mehr aufgehalten werden kann. Das zeigt auch
Wajdas Parallelmontage zum Platz der Revolution auf der schon die
Guillotine für die kommenden Enthauptungen präpariert wird, noch bevor
das Urteil gesprochen wurde.
Zum Schluss des Films gibt es in dem Sinne keine Entscheidungen
mehr, weil längst alles entschieden ist. Robespierre bleibt als
tragischer Held zurück, zwar hat er für den Moment den äußeren Konflikt
und damit die Bedrohung einer Entmachtung abgewandt, aber seinen
inneren Konflikt konnte er nicht entscheiden. Sein innerer Konflikt hat
vielmehr noch eine Steigerung erfahren durch seine persönliche Schuld,
die er mit diesem Justizmord auf sich geladen hat. Er zieht vor der
Geschichte die Decke übers Gesicht und sagt: "The Revolution has taken
the wrong turning."
Boleslaw Michalek sagt über den Film: "Die dramatische Stärke des
Films resultiert aus der maximalen Intensität die Wajda jeder Szene
gab: er ordnet die Szenen gleichzeitig logisch, chronologisch und
dramatisch. Das Wichtigste bei der Inszenierung ist aber die
Dramatisierung jeder Szene: das, was interessiert ist nicht das
Informative oder das Didaktische, sondern das Konfliktpotential" /41/.
Wajda hat für die Dramaturgie des Films das Prinzip der linearen
Kausalität gewählt. Dabei ist jedes Handeln einer Figur zugleich AKTION
(Ursache für Folgendes) und REAKTION (Folge einer Ursache). Wenn also
Robespierre trotz zugesicherter Meinungsfreiheit (URSACHE) beschließt,
die Zeitung Desmoulins zu verbieten (KONFLIKT, AKTION, KOLLIDIERENDE
HANDLUNG), muss er auch mit dem Gegenschlag der Dantonisten rechnen
(WIRKUNG, REAKTION).
Dabei folgt die dramaturgische Linie der historischen
Linienführung. Der Zusammenhang von Demokratie, Bedrohung, Utopismus
und Terror in der Französischen Revolution kann in der Analyse
Kategorien für die Analyse von kollektiven Bewusstseinsstrukturen
ergeben, was später noch genauer untersucht werden soll.
Strukturen der Gestaltung und die Ästhetik des Films
Zur Kameraarbeit Igor Luthers /42/ sagt Andrzej Wajda:
"Die Form der Revolution, ist die Abwesenheit der Form [...] Wenn
man diese Abwesenheit der Form fotografieren will, muss man ihr einen
klassischen Rahmen geben, dem Film einen Stil geben, der so
traditionell wie möglich ist. Wenn die Kamera das Chaos unterstreicht,
hätte man ein konfuses Bild. Also brauchten wir eine Optik, die so
objektiv wie möglich ist: die 50er und 35er deformieren am wenigsten,
diese beiden Optiken haben wir während des ganzen Films benutzt [...]
Außerdem sollte sich die Kamera möglichst in der Höhe des menschlichen
Auges befinden, nicht viel höher und nicht viel tiefer, damit das
Ergebnis so objektiv wie möglich sein konnte, ein ruhiger Blick auf
diesen ganzen Wahnsinn." /43/
Diese Worte beschreiben die Kameraarbeit Igor Luthers, mit dem
Wajda bereits bei der Produktion "Pilatus und andere", nach dem Roman
"Der Meister und Margarita" von Bulgakow, für das ZDF
zusammengearbeitet hatte, /44/.
Wajda und Luther versuchen möglichst in Plansequenzen zu drehen, so
dass manchmal wahre Kunststücke gelingen, wenn - wie z.B. in der
Konventsszene, der Kamerastandpunkt so gewählt ist, dass ein einziger
Kameraschwenk es ermöglicht, die ganze Szene ohne Schnitt zu zeigen.
Die von Wajda so gewünschte Objektivität ergibt, dass aus einer gezielt
sparsam eingesetzten Kameraführung auch eine geringe Schnittfrequenz
resultiert /45/. So sind Kamera und Montage gleichermaßen
objektivierend.
Die Kamera wird der Dramaturgie unterworfen. Es gibt wenig Groß-,
dafür umso mehr halbnahe Aufnahmen. Die Kamera versucht auf Distanz zur
Figur zu bleiben. Sie schmeichelt nicht der Figur, ist nicht in sie
verliebt, sondern zeigt ihre Wirkung auf Distanz. Beispiel dafür ist
die Sequenz in der Vorhalle des Konvents. Die Szene ist sehr an die
Schauspielern und ihren Texten orientiert. Westermann drängt Danton
dazu, gegen die Komitees zu handeln, doch Danton lehnt jeden Aufstand
ab, weil er nicht glauben kann, dass er in Gefahr ist. Die Kamera ist
immer auf Augenhöhe und fixiert die Personen, im besonderen Danton.
Es gibt wenig Frosch- oder Vogelperspektiven, nur wenn die Reden
der Revolutionäre im Konvent ihren Höhepunkt erreichen und das
Taktische unterstrichen werden soll, sehen wir das
Manipulativ-Künstliche Bourdons durch eine Froschperspektive zur Schau
gestellt. Und während Robespierre vor dem Konvent die Verhaftung
Dantons fordert, ist die Kamera so platziert, dass sie nicht wie üblich
den Redner von vorn zeigt, sondern in einer Seitenansicht von schräg
unten. So verharrt sie einen kurzen Moment auf den Beinen Robespierres.
Der Zuschauer sieht, wie Robespierre sich bei seinem Antrag auf die
Zehenspitzen stellt, um sich größer zu machen, als er ist. Das Motiv
erscheint später in der Atelierszene in abgewandelter Form noch einmal.
Ein anderes Beispiel ist der Prozess: Am ersten Tag wird uns Danton
aus der Sicht eines Zuschauers im Publikum gezeigt. Als Danton zu
seiner Rede ansetzt, fährt die Kamera zurück, entfernt sich vom
Protagonisten, eine eher ungewöhnliche Kameralösung, die den "ruhigen
Blick auf den ganzen Wahnsinn" wahrt. Als sich jedoch das Blatt immer
mehr zuungunsten Dantons wendet, wechselt die Kamera am zweiten Tag
ihren Standpunkt. Sie erzählt nun aus der Sicht des Tribunals und des
Anklägers.
Die veränderte Situation der Figur wird also auch durch einen
veränderten Kamerastandpunkt und eine unterschiedliche Bildführung
unterstrichen. Am Ende der Verhandlung sind die Anklagebank und der
Saal leer. Ein langsamer Schwenk führt aus einer Raumtotalen über das
Gericht, den Ankläger, die Geschworenen zu Lucile Desmoulins, die bei
der Urteilsverkündung in Ohnmacht fällt. Welch' ein Kontrast zur Hektik
des ersten Verhandlungstages.
Es gibt keinen durchgehenden "point of view" einer der handelnden
Figuren, so dass die Parallelität der Handlungsstruktur auch in der
Erzählperspektive ihre Entsprechung findet. Wajda ermöglicht dadurch
eine Betrachtung der Ereignisse aus mindestens zwei unterschiedlichen
Perspektiven, was der Hinterfragung gängiger Bilder sehr entgegenkommt.
Zu Beginn des Films, als Danton nach Paris zurückkehrt, zeigt die
Kamera seine Fahrt über den Platz der Republik. Mit seinem Blick aus
der Kutsche auf die Guillotine (subjektive Kamera), kündigt sich
bereits Dantons Ende an. Gleichzeitig wird damit dem Aspekt Raum
gegeben, weshalb Danton nach Paris zurückgekehrt ist: um dem Terror ein
Ende zu setzen.
Wenn im Wohlfahrtsausschuss heftig diskutiert wird, schwenkt die
subjektive Kamera schnell über die einzelnen Mitglieder, so dass sie
blitzartig ihre Meinungen vorbringen können. Als dann Robespierre das
Wort ergreift, verharrt das Bild bis zum Ende seiner Rede in einer
Nahaufnahme seines Gesichtes, wodurch seine Rede eindringlicher und
überzeugender wirkt, als alle schnell vorgebrachten Argumente zuvor. Am
Ende hat er fast alle überzeugt.
Das Dekor tritt hinter dem intensiven und oft exaltierten Spiel der
Schauspieler zurück. Wajda hatte auf diesem übertriebenem Spiel
bestanden. Am heftigsten tritt es beim Fleischer Legendre zutage, wenn
er ans Rednerpult des Nationalkonvents tritt und fordert, dass Danton,
bevor ihm der Prozess gemacht wird, vom Konvent gehört wird. "Für die
polnischen Schauspieler ist das normal, das ist bei uns Tradition, aber
bei den französischen Schauspielern hat man den Eindruck, sie verhalten
sich jenseits der Norm" /46/.
An Luthers Fotografie ist vor allem die Farbtönung ins Blau
auffallend. Bildkompositorisch ausgehend von dem klassischen
Naturalismus der Malereien Jacques-Louis Davids, dem visuellen
Propagandisten der Französischen Revolution, kamen Wajda und Luther zu
dem Schluss, dass sie den Film gerne in klare Hell-Dunkel Gegensätze
tauchen wollten. Dafür war sogar eine Spezialbehandlung notwendig bei
der die Farben reduziert wurden.
Vorbild für DANTON war NAPOLEON von Abel Gance, den Wajda kurz
zuvor in der restaurierten Coppola-Version in Amerika gesehen hatte. So
entstand für Robespierre-Szenen ein kalt-blaues, silbrig-scharfes Bild,
das eine spezifische Stimmung von Tod und Verzweiflung schafft und für
Danton lebendige, schreiende, fleischige Farbnuancen /47/.
In Robespierres Zimmer sind auch die Wände in dieses graukalte Blau
getüncht. Der Farbeindruck ist so stark, dass man glaubt zu frieren.
Diese Einheit von Blau und Robespierre wird nur an ganz wenigen Stellen
durchbrochen. Ist Robespierre im Wohlfahrtsausschuss, verschwindet
dieses Blau zugunsten eines silbrig-weißen Bilds. Durch die großen
milchigen, quadratischen Fenster im Hintergrund fällt das kalte Licht
herein. Auch wenn Robespierre zum Haus Camille Desmoulins kommt,
herrschen blauen Farben vor. Volker Baer schreibt im TAGESSPIEGEL vom
29. April 1983: "Die äußere Unfrohheit, die sich in Farben und Tönen
ausdrückt, signalisiert die innere Unfreiheit der Menschen."
Beim Betrachten der Standfotos vor dem Revolutionstribunal fällt in
der Gegenüberstellung der Szenen etwas Eigentümliches auf. Wajda lässt
Dantons Rede am ersten Tag in den bekannten lebendigen, fleischigen
Farben beginnen. Danton ist kraftvoll und kämpferisch. Je mehr Zeit
verstreicht und so gewisser das Todesurteil für Danton wird, desto mehr
verblassen die kräftigen Farben, um endlich in ein kaltes Blau
überzugehen. Allegorisch betrachtet, könnte man sagen, obwohl
Robespierre während des Prozesses nicht anwesend ist, spürt man seine
Präsenz und seinen Einfluss auf den Prozess in der Einfärbung des
Bildes mit seinem kalten, gefrierenden Blau.
Diese Form-Entscheidung hat natürlich auch ihre inhaltliche
Entsprechung. Die kalten Farben haben für die abgebildete Person
Robespierre einen Induktionseffekt. Er wirkt kühl, trotz der in der
Handlungsebene vermittelten menschlichen Züge, durch sein Zugehen auf
Danton und vor allem auf Camille.
Im Konvent herrschen braune und grüne Farbtöne vor. Im warmen Braun
leuchtet das edle Holz der Bänke und Balustraden und tannengrün die
drapierten Stoffbahnen, die ringsherum laufen.
Die Umgebung der Handlung dient der Figurencharakterisierung,
sozial und individuell. Erst in der Umgebung bekommt die Handlung ihre
Spezifikation. D.h., in den Räumen Robespierres bewegt man sich anders
als im Haus Dantons. Die wenigen Details, die sich in Robespierres
Zimmer finden, charakterisieren ihn als Figur. Das Attribut, das man
ihm gegeben hat, "unbestechlich" zu sein, zeigt sich in seiner
spärlichen, spartanischen, nur auf den Zweck orientierten Einrichtung.
Nirgends findet sich ein schmuckvolles Detail, keine Dinge ohne
Gebrauchswert. Bei Robespierre finden wir Bett, Stuhl, Tisch und Buch
und diese Dinge werden in ihrer sinnfälligen Bedeutung benutzt. Darüber
hinaus gibt es nichts. Als Eleonore am Anfang des Films das Zimmer
betritt, klappt sie ein Buch zusammen, das auf dem Schreibtisch
Robespierres liegt. Ohne Worte wurde dem Zuschauer zu verstehen
gegeben, dass Robespierre auch wenn er krank ist, in seinen Büchern
liest und arbeitet. Wie anders hingegen das Haus Dantons, in dem die
Räume angefüllt mit Gegenständen wie Bücher, Bilder und Hausrat sind.
Hier kann ein Buch schon mal zur Dekoration werden.
Der Handlungsraum, definiert durch die Architektur und das Dekor,
weist ein paar interessante Aspekte auf. Die Figuren wirken oft wie
Gefangene ihrer Umgebung. Die Hintergründe werden, wie schon erwähnt,
nie in ihrer ganzen Fülle gezeigt. Das hat nicht unbedingt etwas mit
den Widrigkeiten von Studioaufnahmen zu tun, sondern ist beabsichtigt.
Danton und seine Freunde sind immer wieder von Säulen eingegrenzt. So
ist die Vorhalle des Konvents antikisierend, ein von Säulen bestimmter
Raum. Sie können umlaufen werden, sich aber auch zwischen die Figuren
stellen, als unüberwindbare Schranken, und sie schützen vor unliebsamen
Zuhörern, so dass die Säulen gleichzeitig eine Atmosphäre der
Konspiration hervorrufen. Als Panis nach dem Sieg Bourdons im Konvent
Danton warnen möchte, verschwindet er hinter der massiven Dominanz der
ihn einklemmenden Säulen. Als dann Danton durchs Bild läuft, hat man
den Eindruck von überdimensionalen Gitterstäben. Auch im Hause Camilles
herrschen im Flur Säulen vor, die sich gefährlich aus der Horizontalen
in die Schräge bewegen.
Alles ist abgeschnitten von Mauerecken, Straßenecken, Gängen und Gittern.
Die Tonebene ist bei Wajda von immenser Wichtigkeit. Die Musik wurde eigens für den Film von Jean Prodromides komponiert.
Die Musik ist immer außerszenisch und wird somit nicht von den
Protagonisten wahrgenommen, sondern nur vom Zuschauer. So kündigt sich
beispielsweise Dantons Rückkehr nach Paris dem Zuschauer durch die
Musik an, die er bis in das Haus Robespierres hört. Auch wenn man zu
diesem Zeitpunkt die Bedeutung der Musik noch nicht genau einschätzen
und interpretieren kann, so ist die Atmosphäre unheilverkündend. Die
Musik ist ein beständiger Begleiter und Kommentator der Bilder. Sie
kennt mehrere Tonfarben, die von metallenen, atonalen Geräuschen bis zu
chorischen Gesängen, zu fast oratorienhaftem Jubel reichen.
Bei der Begrüßung Dantons zu Beginn seiner Ankunft in Paris durch
die Menge, ist die Musik aufbrausend laut, bis sie bei der Begleitung
der Todeskandidaten auf ihrem Weg zum Schafott in Lärmen und Klagen
versinkt.
Urs Mühlemann sieht in der Musik Wajdas den Kommentar des
Geschehens auf eine emotionale Ebene gehoben, "mittels einer
Chor-Messe, die sich kantatenhaft zu einer Art Revolutions-Passion
entwickelt." /48/
Thematische Motive
Untersucht man den Film auf inhaltliche, wiederkehrende Topoi, so
kommt man an drei zentralen Motiven nicht vorbei Die Macht, die Angst,
und die Erschöpfung. Die Macht ist wichtig für Robespierre und auch Danton sagt, er
habe sie, weil das Volk auf seiner Seite stehe. Die Macht, die er haben
könnte, wenn es Robespierre und seinen Wohlfahrtsausschuss nicht mehr
gäbe, will er nicht.
Philippeaux: "We all want to back you just reassure us that you want to abuse your power."
Danton: "I don't want power."
Philippaux: "So you say now."
Danton: "No. I don't want power. I'm 35 years old and I look 60. I'm tired."
Danton scheint sich mit dem zu begnügen, was er erreicht hat.
Ganz anders Robespierre, er befürchtet, wenn er Danton dem Henker
übergibt, das Volk gegen die Ausschüsse und diese gegen den Konvent
aufzubringen. Damit verlöre er den Rückhalt im Volk und somit die
Macht.
Die Angst ist ein oft wiederholtes Motiv. Die Revolutionäre
bezichtigen sich ihrer gegenseitig: Dabei fällt auf, dass Robespierre
zugibt, sie zu haben und Danton dagegen nicht.
In der Sitzung des Wohlfahrtsausschusses sagt Robespierre: "In no
case can I allow Danton to go on trial." Billaud-Varenne antwortet ihm:
"Robespierre, you're scared!" und Robespierre gibt zu, nachdem er weit
ausholt, um die anderen davon zu überzeugen, dass es den Selbstmord
bedeutet, wenn man Danton exekutiert: "Terror is despair, nothing else.
Yes, Billaud, I'm scared. So scared of terror that to avoid it. I'll
make any compromise, stoop to the basest humiliation." Robespierre hat Angst vor dem Terror und doch sieht er keine
andere Möglichkeit, als ihn aufrecht zu erhalten und noch zu
verschärfen. Je größer die Angst Robespierres, umso weniger scheint
Danton von ihr heimgesucht zu werden, ein Fehler wie sich herausstellen
wird. So stellt Danton Panis, der ihn vor Mitgliedern des
Wohlfahrtsausschusses warnt, die Frage:
Danton: "Robespierres agrees?"
Panis: "I don't know yet. I'm going."
Danton: "Afraid?"
Panis: "I'd rather not be seen with you."
Weil Danton Angst nicht zu kennen scheint, schätzt er auch die Lage
falsch ein und wiegt sich bis zum Ende in Sicherheit. Er meint, seine
Freunde könnten nicht verhaftet werden, ganz egal, was sie täten. Er
sagt, hinter ihm stehe ganz Paris. Robespierre ist kein Volksidol im
Sinne Dantons, aber er hat immer versucht, den Forderungen der Straße
Vorschub zu leisten. Seine Ungewissheit über die Stimmung im Volk ist
größer als die Dantons. Robespierre hält das Volk für einen
unberechenbaren Faktor. Vielleicht ist deshalb seine Angst größer.
Am Ende wird die Angst in Bildern beschworen, die zu seinem Kollaps
geführt hat. Er selbst wähnt sich jetzt dem Wahnsinn nahe. Mit
schreckensgeweiteten Augen und schweißgebadet liegt er kraftlos in
seinem Bett. Diese Bilder unterstreichen seine Tragik. Danton hingegen
geht in der Pose des Märtyrers aufs Schafott. /49/
Von Angst befallen ist auch das Volk von Paris. Wie sehr man sich
fürchten muss, verdächtig und ein Feind der Revolution zu sein, zeigt
die Szene vor dem Bäckerladen. Jeder scheint vor dem anderen Angst zu
haben. Das ruft aber auch andere Assoziationen hervor.
Die Sansculotten, eine soziale Bewegung aus dem Volk, die zum Teil
auf Egalitarismus ausgerichtet war, führte zu manchen Auswüchsen. Sie
sind es, die im Gefolge des Militärkommandanten in der Nacht vom 30.
auf den 31. März Danton in seinem Haus verhaften. Sie sind auch bei der
Hausdurchsuchung der Druckerei Desennes dabei und bewachen den
Prozesssaal des Palace de Justice vor unliebsamen Zuschauern.
Die Sansculotten stehen bei Wajda für die übersteigerte Hysterie
der nicht aufgeklärten Volksmassen, die das Denunzieren als
Bürgerpflicht begreifen und Abscheu haben vor allem, was die
Einstimmigkeit stören könnte.
Die Zuflucht zur Gewalttätigkeit bei ihnen entsteht aus einer
Grundbedingtheit der Gruppenpsychologie. Vor dem Hintergrund dieser
revolutionären Mentalität tauchen die beiden leidenschaftlichen Wünsche
aller Volksmassen auf: die Gleichheit und das rächende Gericht auf. Die
Guillotine, die "Sichel der Gleichheit", schafft die Illusion, dass
beiden Wünschen Genugtuung widerfährt. Aber sie ist dennoch nichts
weiter als eine vermeintliche Lösung für die realen Widersprüche /50/.
M.E. findet sich hier in der Szene vor dem Bäckerladen der erste
Hinweis auf eine Beziehung des filmischen Kommunikats zur kollektiven
Bewusstseinsstruktur der polnischen Gesellschaft. Wajda hat bei
verschiedenen Gelegenheiten bestätigt, dass die Verhängung des
Kriegsrechts ihn tief berührt und auch seine Interpretation von DANTON
beeinflusst hat /51/. In einer Kritik zur Aufnahme des Films in Polen
heißt es: [...] sehen die Polen in "Danton" in erster Linie eine
Anspielung Wajdas auf die polnischen Verhältnisse" /52/.
In diesem konkreten Beispiel hat Wajda auch auf die wirtschaftliche
Lage in Polen angespielt. Die Allegorie von französischer
Lebensmittelknappheit zu polnischen Verhältnissen wird in erster Linie
so vom polnischen Publikum empfunden. Das liegt im kollektiven
Bewusstsein begründet. Das bedeutet weiterhin, dass sich im Sinne
Ferros dieser Punkt als Gegen-Analyse zur Gesellschaft werten lässt.
Neben dem Rückgriff auf die Färbung der Bilder bei Gance, fällt die
Ähnlichkeit der beiden "Unbestechlichen" auf. Es ist erstaunlich, wie
sehr Wajdas Robespierre dem von Gance ähnelt und auch Behrendts Gustav
Gründgens reiht sich ohne Brüche in diese Reihe ein. Die Schauspieler
Van Daele und Wojciech Pszoniak schauen wie Zwillinge aus. Das genaue
Gegenteil sind die beiden Dantons. Bei Gance ist Danton (Kubitsky)
fett, derb und vulgär. Einer, der mit bloßen Händen Eisen zerbricht und
unentwegt vor Anstrengung und Begeisterung schwitzt. In einer wilden
Montage zeigt uns Gance diesen "Rohling", wie er für das Todesurteil
des Königs plädiert. Ebenso abschreckend Fritz Kortner als Danton.
Wie anders ist dagegen der Danton Gérard Depardieus, er hat viel
feinere und menschlichere Züge. Wahrscheinlich ist er der erste Danton,
der nicht fett und hässlich zu sein braucht und damit auch das
Furchteinflößende seiner Person verliert. Gérard Depardieus Danton hat
zwar nichts von der Ungestümheit verloren, besitzt aber Eleganz im
Handeln. Er kann verspielt wie ein Kind sein, wenn seine Gedanken um
den Blumenstrauß für das Diner kreisen und furchtlos-männlich, als man
ihn aus seinem Schlafgemach heraus verhaftet. Wajdas Danton ist, gerade
weil er psychologisch angelegt ist, menschlich und privat. Keinem
Revolutionär wurde bislang gestattet, so ungeschönt und unheroisch
dargestellt zu werden.
Die Revolutionäre Wajdas verdanken ihre Größe allein ihrer
unermüdlichen Arbeit und ihrer Rhetorik, d.h. der Überzeugungskraft
ihrer Worte. Sie sind keine "fertigen" Charaktere wie bei Abel Gance,
sondern sie wurden dazu in der kurzen, rasend schnell vergehenden
revolutionären Zeit. Aus dem Nichts tauchen sie auf und schlagen sich
an die Spitze der Bewegung. Jetzt, vier, fünf Jahre nach dem Ausbruch
der Revolution kann man die ersten Ermüdungserscheinungen feststellen.
Danton sähe nichts lieber als Frieden und damit die Möglichkeit, sich
zurück auf seine Landgüter zu ziehen (Gegenbild). Sicher gehört er zu
denen, den die Revolution reich gemacht hat. Aber diesen Reichtum hat
er sich durch Geschäfte, wenn auch nicht immer ganz sauber,
erwirtschaftet. Jetzt ist er 35, aber er fühlt sich wie 60. Dass es
Robespierre ähnlich geht, dass auch er erschöpft und abgekämpft ist,
zeigt nicht nur die Anfangsszene, die ihn nach fünfwöchiger Krankheit
wieder aufstehen lässt, sondern vor allem auch das Ende. Wieder
versucht er leichenblass zu sich selbst zu finden. Aber er weiß nicht
mehr, ob sein Verstand noch zuverlässig arbeitet.
Die Konfrontation zweier Überzeugungen, das Zusammenprallen von
Danton und Robespierre wird zu einem intellektuellen Kampf zweier
ebenbürtiger Gegner. Es ist aber zugleich auch das Zusammenprallen
zweier ebenbürtiger Interpreten: Gérard Depardieu gibt dem Danton Fülle
und Vitalität, Kraft und Witz, die freilich alle nach und nach
versagen, als er merken muss, dass sich das Volk die Augen über den
Terror nicht öffnen lassen will.
Wojciech Pszoniak zeichnet Robespierre mit einer eindrücklichen
intellektuellen Kühle und zugleich mit großer Angst. Am Ende erkennt er
bitter und ernüchtert, dass man den falschen Weg eingeschlagen hat,
dass, wenn alles nur in Terror endet, sich die Demokratie als Illusion
herausstellen könne.
Metaphern
Ein Kind in der Kunst deutet an, es geschehe noch etwas, behauptet
Karsten Witte in seiner Kritik zu DANTON in der ZEIT /53/. Ein nacktes
Kind steht für Unschuld, ein nacktes Kind, das die Menschenrechte- und
Bürgerrechte "eingedrillt" bekommt, ist eine starke Metapher für den
Zustand der Revolution, ein aussichtsloses Unterfangen, weil sie nur
noch mit drakonischen Mitteln Einsicht zu verschaffen vermag.
Zum Symbol für die Unmenschlichkeit der Revolution wird Lucile
Desmoulins Baby, das angstvoll schreit und weint, als Robespierre und
Camille ihre Unterredung führen. Das Kind ist wie ein Seismograph der
menschlichen Situation. Lucile nimmt es mit in den Prozesssaal. Dort
ist sie Zeugin wie die Angeklagten vom Prozess ausgeschlossen werden.
Verzweifelt hält sie das fast nackte Kleine ihrem Mann entgegen, wie
eine Mahnung. Längst wurde für den Irrglauben, der Revolution alles
opfern zu müssen, auch die Zukunft der Kinder zerstört.
Ein Knabe, der kleine Bruder der Haushälterin, steht zu Beginn des
Films nackt und frierend in den eisig-blauen Räumen Robespierres und
wird gewaschen. Dabei muss er immer wieder die Finger zur Strafe
vorstrecken, wenn er die Artikel vergessen hat. Am Ende des Films
taucht der Junge noch mal auf, nun hat er seine Lektion schon recht gut
gelernt. Dieses Bild steht für mehrere Dinge: Niemals ist jemand
verletzbarer, als wenn er nackt ist. Dieses Kind wird gedemütigt.
Robespierre sagt: "That liberty, like a child, needs tears and pain
to reach maturity." Unter Tränen muss man im Frankreich von 1794 die
Menschen- und Bürgerrechte lernen, um eines Tages zur Reife zu
gelangen, eine Weiterführung der Doktrin: Tugend und Terror, "[...] die
Tugend ohne die der Terror unheilvoll ist, der Terror ohne den die
Tugend machtlos ist" /54/. Am Schluss wird der Junge, der eigentlich
Hoffnungsträger sein müsste, zum lebendigen Symbol für die einsetzende
Erstarrung, als er Robespierre die Artikel wie zur artigen Gratulation
aufsagen darf, will Robespierre den Jungen streicheln. Seine Hand
nähert sich dem revolutionären Nachwuchs. Eine Geste des Delegierens
oder Entgleitens? Beides, sagt Wajda, in Ambivalenz. Der Kleine
erstarrt im Weiß und seine Worte werden von dem eunuchenhaft klingenden
Geschrei der Musik übertönt. Das Gefühl, dass die Seele dieses Kindes
bereits zu tief verletzt wurde, bleibt und man wird den Gedanken nicht
los, dass derjenige, der die Menschenrechte mit Schlägen eingebläut
bekommen hat, Schaden davon getragen haben muss, der sich vielleicht so
äußern wird, dass er statt die Rechte zu verteidigen, sie eines Tages
revidieren wird.
Die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte taucht in dinglicher
Form als Anschlag zweier Gesetzestafeln auf. Derart nicht nur im
Konvent, sondern auch an verschiedenen anderen Handlungsorten: bei
Robespierre zu Hause hängt sie über dem Bett, im Wohlfahrtsausschuss
steht sie an die Tapecerien gelehnt, aber nie wird ihr besondere
Aufmerksamkeit zuteil. Héron geht an ihr vorbei, als er bei Robespierre
zur Tür hinausgeht und St. Just, als er hereinkommt. Die Väter der
Menschenrechte schenken ihrem "Kind" kein Augenmerk mehr, das ist
Zeichen für den Zustand der Revolution, die sich von ihren
Anfangsidealen weit entfernt hat.
Die Guillotine ist zu dem Schreckenssymbol der Französischen
Revolution geworden. Jedes Kind kennt sie. Und Wajda schildert die
einzige Szene, in der das Messer in Aktion gerät, besonders lang und
ausführlich. Tausende ließen unter ihr das Leben, ob es der König, die
Königin, die Girondisten, Madame Roland oder die Hébertisten waren, vor
ihrem Anblick waren alle gleich. So kennen wir die "Sichel der
Gerechtigkeit" bis dato nur schwarz verhangen.
Noch vor der Verurteilung Dantons wird der Umhang abgenommen und
die Bretter gereinigt. Die Vorbereitungen zur Hinrichtung laufen
mechanisch präzise ab. Stroh wird auf dem Boden verteilt, es soll das
Blut aufsaugen. Große Körbe für die herunterfallenden Köpfe werden
aufgestellt.
Dantons Hinrichtung, die bekanntlich die letzte dieses Tages war,
wird besonders ausführlich gezeigt. Mit auf den Rücken gebundenen
Händen steigt Danton die Stufen zum Schafott hoch und dreht sich noch
ein letztes Mal um. Doch sein Blick ist nicht auf die reglose Masse
gerichtet, sondern geht ins Unendliche. Als ob Robespierre seinen Blick
zu spüren scheint, zieht er die Decke über den Kopf. Dann wird Danton
auf das Kippbrett gelegt und sein Kopf durch die Rundung geschoben, die
seinen Hals umschließt. Unentrinnbar wie Schlachtvieh auf der Bahre
liegt er da. Das Messer setzt sich in Bewegung zu einer lang
andauernden Abfahrt, bis es den Kopf Dantons vom Rumpf abtrennt.
Die Guillotine wurde zum Synonym für Schrecken und Terror.
Ornamente der Revolution
In Wajdas DANTON finden sich viele Ornamente der Revolution. Er
konfrontiert den Zuschauer unentwegt mit Details der Französischen
Revolution: das sind zum einen die, die offen für die Revolution
werben, wie z.B. das Mädchen, das in der Vorhalle des Konvents Kokarden
zum Anstecken verkauft. Diese sind in den Farben der Revolution blau,
weiß, rot und jeder, der sie trägt, gibt damit zu verstehen, dass er
den Grundsätzen der Revolution anhängt, den Grundsätzen Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit.
In der Halle des Konvents sind die Säulen des Baldachins mit
blau-weiß-roten Bändern geschmückt, auf ihren Köpfen thront die
Sansculottenmütze, der rote Schlapphut. Die Tracht der Sansculotten hat
sich auf immer in das Gedächtnis Europas eingeschrieben: Kurze Jacken
(carmagnoles), die auf die Kleidung der Bauern und Arbeiter
zurückgehen. Röhrenhosen mit Latz vorne, denen sie ihren Namen
verdanken. Denn Sansculotte heißt nichts anderes als "ohne Kniehose",
womit das modisches Standeszeichen des Adels gemeint war, der Kniehosen
trug. Die unbestrumpften Füße steckten in einfachen Holzschuhen, den
sabots/55/. Der revolutionärste Teil der Sansculottentracht war die
rote phrygische Mütze, die der Kleidung der Galeerensklaven
nachempfunden und zum Symbol der Revolution schlechthin wurde. Ihr
unfrisiertes und ungepudertes Haar galt ebenfalls als Ausdruck
revolutionärer Gesinnung /56/.
Von besonderer Komik ist die Szene im Café Rosé, in der der in den
Farben der Trikolore gehaltene Blumenstrauß von Danton gegen einen rein
blauen ausgetauscht wird, weil der "Unbestechliche" doch nur bleu,
bleu, bleu liebe. Auch dies eine Anspielung auf die Grundfarbe Blau,
die im Film für Robespierre steht.
Auch für die Gaumenfreuden hat man sich einen besonderen Spaß
ausgedacht - und Danton kann sich darüber wie ein kleines Kind freuen
-, so erklingen die Speisen in den merkwürdigsten, revolutionierten
Namen: "Turbot «Right-arm man» style formerly maître d'hôtel,
Vol-au-vent in Convention sauce, formerly called caper sauce, Quails
emigré style with onions, and to finish, fruit in Varennes sauce."
Die Anhänger Robespierres tragen an ihrer Kleidung Attribute der
Revolution. Billaud-Varenne hat ein rotes Halstuch umgebunden, der
"Büttel" des Konventsausschusses eine rote Schärpe um den Bauch, Collot
d'Herbois und Barere rote Revers und St. Just trägt ein rote Weste.
Nicht so die Dantonisten, sie sind wie ihre Umgebung in Brauntönen
gekleidet - und da sie keine "reinen" Revolutionäre mehr sind, finden
sich bei ihnen auch keine Kokarden oder sonstige schmückenden Details.
Die beiden großen Revolutionäre verzichten ebenfalls auf Accessoires.
Robespierre bevorzugt in seiner Kleidung auffallend dunkle Farben und
trägt die Kniehosen und weiße Strümpfe. Dazu den typischen Bürgerrock
aus schwarzem Tuch, mit einem hellen Schal oder einem Hemd mit Bordüre.
Danton trägt im Gegensatz zu Robespierre gerne rote, edle samtene
Stoffe. Als Danton allein zu Hause am kalten Kamin sitzt und verloren
mit seiner Perücke spielt, nimmt er seinen roten Rock, bevor er seiner
Frau Lebewohl sagt und wirft ihn zum Zeichen, dass er in dieser
Republik nicht länger Bürger sein will, vor die Tür.
Am Ende des Films als sich Lucile Desmoulins, die während der
Enthauptung ihres Mannes zugegen war, sich mit den Bändern ihres
Umhanges symbolisch den Hals zuschnürt, sind auch diese rot. Diese
Szene deutet auf das baldige Ende Luciles hin.
Historischer Kontext und Interpretation
Hier soll zweierlei versucht werden:
An dieser Stelle sollen, abgeleitet von Dilthey, vier Fragen zum Zusammenhang Individuum und Geschichte gestellt werden:
1. individuelle Lebensgeschichte im Kontext der Französischen Revolution/Vergleich Wajda
2. Selbstreflexionen in den historischen Reden und ihre Bearbeitung bei Wajda,
3. Gegenüberstellung der Biographie mit Kritik am geschichtlichen Ergebnis und
4. Sinn und Bedeutung der Biographien
und
herausgefunden werden soll, in welcher Weise und in welchen Szenen
sich kollektive Bewusstseinsstrukturen (Ideologien) der Gesellschaft
widerspiegeln (Suche nach dem Latenten) und inwieweit Wajda im Sinne
Ferros eine Gegen-Analyse/Gegen-Geschichte entwirft.
Wo finden wir die Geschichte der Ideen?
Dabei wird die angedeutete Reihenfolge der Fragen (1-4) nicht konsequent eingehalten werden können.
Der nun folgende historische Kontext ist durch die
Vergangenheitsform gekennzeichnet, wohingegen die Sachverhalte der
Filmfabel im Präsenz wiedergegeben werden, der besseren Unterscheidung
wegen.
Zum Verständnis des Jahres 1794 und seiner Vorgänge, die
schließlich zur Verurteilung und zum Tode des Volktribuns Danton
führten, ist es unerlässlich, sich die Vorgeschichte der Ereignisse in
Erinnerung zu rufen.
Ich stütze mich im nun Folgenden neben der Sammlung von
Quellentexten aus Markovs "Revolution im Zeugenstand" auf Exzerpte aus
den gedruckten Reden von Danton und Robespierre und auf die sehr
ausführliche Beschreibung der letzten Tage Dantons in Bluches
Biographie.
Die Biographien im historischen Verlauf der Französischen Revolution als Vorgeschichte des Films
George-Jacques Danton, 1759 in Arcis-sur-Aube, einem kleinen Dorf
in der Champagne, 150 Kilometer südöstlich von Paris als Sohn eines
Staatsanwalts geboren, war seit 1787 Rechtsanwalt. Sein Biograph
Frédéric Bluche beschreibt ihn als schwer durchschaubaren und
zwiespältigen Charakter. Bei Danton sei nur eines gewiß, so Bluche,
eine große Leitidee, für die er eingetreten sei, habe es nie gegeben
/57/.
Zunächst soll auf die Anhaltspunkte, die uns der Film zu den Biographien beider Männer gibt, eingegangen werden.
Danton gehörte seit 1790 zusammen mit Camille Desmoulins und
Jean-Paul Marat dem radikalen und volksnahen Klub der Cordeliers an.
Für den jungen Advokaten Danton wurde der Klub zur Bühne.
Robespierre verweist auf diese Leistungen Dantons im Wohlfahrtsausschuss:
"It was he (Danton, Anm. d. V.) who set up our revolutionary cell in 1790 and 1791."
Er verteidigt hier Danton gegen die radikalen Anschuldigungen
seiner Freunde. Ein Mitglied des Wohlfahrtsausschusses erinnert nämlich
an das Massaker auf dem Marsfeld im Juli 1791, an dem Danton zwar nicht
direkt beteiligt war, es aber "mitangestiftet" hatte.
Zum Hintergrund: Nach der entdeckten Flucht des Königs war das Volk
von Paris von den Cordeliers und anderen Gesellschaften zu einer
Kundgebung wider die Monarchie aufgerufen worden. Eine Petition für die
Ausrufung der Republik sollte auf dem "Altar des Vaterlandes", der auf
dem Marsfeld errichtet worden war, unterzeichnet werden. Unter dem
Vorwand, gegen eine Störung der öffentlichen Ordnung vorzugehen, wurde
die Versammlung zerstreut. Das Kriegsrecht (!) wurde verkündet und die
Nationalgarde Lafayettes stürzte auf das Marsfeld und eröffnete ohne
Warnung das Feuer. Etwa 50 Menschen wurden getötet. Ebenso brutal
verlief die nachfolgende Unterdrückungsaktion. Eine Verhaftungswelle
wurde ausgelöst, bei der sich Marat und Danton vorübergehend verbergen
mussten /58/.
Robespierre war 1758 in Arras geboren worden. Er entstammte einer
alteingesessenen, aber nicht gerade wohlhabenden Bürgerfamilie. Wie
schon erwähnt, ging Robespierre gemeinsam mit Camille Desmoulins zur
Schule. Er wurde wie sein Vater Anwalt. Nachdem er im April 1789 vom
Dritten Stand seiner Heimatstadt zum Abgeordneten der Generalstände
gewählt worden war, kämpfte er sich langsam nach oben. Schon früh hatte
sich Robespierre dem "Jakobinerklub" angeschlossen (1789). Dort
sammelte er die streitbarste Schicht der revolutionären Bourgeoisie um
sich.
Im Spätsommer 1792 erwarb sich Danton große Verdienste um die
Revolution. Nachdem er an der Vorbereitung, jedoch nicht Durchführung
des Volksturms auf die Tuilerien (10.8.1792), dem Amtssitz des Königs,
mitgewirkt hatte, wurde Danton noch am selben Tag von der
Gesetzgebenden Versammlung zum Justizminister im Provisorischen
Exekutivrat berufen /59/.
Camille Desmoulins schreibt über den 10. August 1792 an seinen
Vater: "Mein lieber Vater! Aus den Zeitungen haben Sie die Nachrichten
vom 10. August erfahren. Es bleibt mir nur übrig, Ihnen das
mitzuteilen, was mich angeht. Mein Freund Danton ist von der Kanone
Gnaden Justizminister geworden; dieser blutige Tag musste, zumal für
uns beide, so enden, dass wir zusammen erhöht wurden: zur Macht oder
zum Galgen [...]" /60/.
Immer wieder hat Danton behauptet, dass er den 10. August
vorbereitet und durchgeführt habe: "Ich habe den 10. August gemacht!"
Wir kennen dieses Zitat aus dem Film: In der Konventsszene, als es um
die Anklage Dantons geht, bekunden einige Abgeordnete durch ihren Ruf:
"Der Mann des 10. August!" die Tragweite seiner Reputation /61/.
Als Danton Westermann in der Vorhalle des Konvents trifft, sagt er zu ihm:
"Mich, den Mann des 10. August unterstützt die Bevölkerung von ganz Paris." /62/
Danton übernahm kraft seiner Popularität und seinem Rückhalt im
Gemeinderat die Führung im Provisorischen Exekutivrat. Zu seinen
Aufgaben zählte die Leitung und Überwachung der Justiz, die Revolution
vom 10. August in der Provinz zu verankern und den Boden des
Vaterlandes gegen die Invasion zu verteidigen.
Danton soll sich um die Ressortgeschäfte seines eigenen
Ministeriums wenig gekümmert haben, wie er überhaupt kein
systematischer und ausdauernder Arbeiter gewesen sein soll /63/.
Dieses Danton-Bild findet sich auch bei Wajda, vielleicht in etwas
abgemilderter Form, wieder. Robespierre ist der Arbeitsamere von
beiden. Deutlich zu erkennen, dass er, obwohl noch nicht ganz genesen,
aufsteht, um die Regierungsgeschäfte weiterzuführen und dazu bis weit
nach Mitternacht im Wohlfahrtsausschuss sitzt, debattiert und Dekrete
verabschiedet.
Danton hingegen geht zwar nach seiner langen Abwesenheit, während
der er mit seiner jungverheirateten Frau in Flitterwochen war, als
erstes in den Konvent - zum Ort des politischen Geschehens, ohne aber
persönlich an der Debatte teilzunehmen. Wie viel angenehmer ist es ihm,
den Ausgang der Debatte in der Vorhalle zu erwarten und derweil ein
"Gläschen" Wein zu trinken.
Wajda schönt nichts am Danton-Bild, d.h. er zeigt auch die
negativen Seiten von Danton. Darauf deutet auch ein weiterer
Kritikpunkt am Volkstribun, der von einem Ausschussmitglied zur Sprache
gebracht wird hin: "The letter found in Mirabeau's safe openly denounced Danton's plotting."
Danton war in zweifelhafte Verwicklungen mit dem im April 1791
verstorbenen Mirabeau verstrickt. Diesem glühenden Revolutionär konnte,
durch nach seinem Tod aufgetauchte Dokumente, nachgewiesen werden, dass
er im Geheimen mit dem Hof zusammengearbeitet hatte.
Wie im Sommer 1789, in den Tagen von Varennes, wird auch 1792 im
Bewusstsein der Massen wieder die Angst übermächtig. Der Mythos von
einer ausgedehnten Aristokratenverschwörung versetzt die Öffentlichkeit
in Erregung /64/. Hier liegen die Anfänge des terreurs begründet. Wie
kam es dazu?
Die von vielen Historikern als irrational bezeichnete Angst, die
sich aus der militärisch verzweifelten Lage und aus der Nachricht von
einer royalistischen Revolte ergeben hatte, bestärkte die Ansicht: der
Feind ist überall!
Die Commune, die neue Macht des 10. Augusts, die die alten
Stadtverwaltungen verjagt hatte, ergriff die Initiative zu einer
Schreckenspolitik. Das bedeutet einen Vorgriff auf die kommenden Jahre.
Alles wurde mit dem Begriff "verdächtig" besetzt. Die Stadt- und
die Gemeindeverwaltungen bekamen im August 1793 Exekutivrechte
übertragen, d.h. das Recht zu polizeilichen Nachforschungen und
Ausstellen von Haftbefehlen. 3000 Verhaftungen von "Verdächtigen", d.h.
von "Konterrevolutionären" erfolgten. Am 2. September kommt es zu den
berüchtigten "Septembrisaden", bei denen mehr als 1100 Häftlinge zu
Tode gebracht wurden, wovon fast ¾ unpolitische Kriminelle waren.
Dantons Fehlleistung lag in der Tatsache begründet, dass er diese
Ausschreitungen in seiner Funktion als Justizminister nicht
verhinderte. Als weitere unmittelbare Auswirkung des Sturms auf die
Tuilerien erzwang die Legislative die Amtsenthebung Ludwig XVI.
Gleichzeitig entsprach sie der Forderung Robespierres nach Bildung
eines "Nationalkonvents", auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts.
Zentrales Anliegen war die Schaffung einer neuen Verfassung.
Am 21. September 1792 trat der Konvent zusammen, Danton und
Robespierre zählten mit zu den ersten der 749 Abgeordnete /65/ und
beide gehörten seit den ersten Sitzungen des Konvents zum Flügel der
Montagne (Bergpartei). Die Monarchie wurde für abgeschafft erklärt; am
nächsten Tag, dem 22. September, schlug Billaud-Varenne vor, die
offiziellen Dokumente auf "das Jahr I der Republik" zu datieren. Am 25.
September 1792 rief der Konvent die eine und unteilbare Republik aus.
Anfang März 1793 hatte der Konvent auf Antrag Dantons ein
außerordentliches Kriminalgericht beschlossen, das ohne Möglichkeit
einer Berufung oder Revision "über jede konterrevolutionäre
Unternehmung, jedes Attentat gegen Freiheit, Gleichheit, Einheit und
Unteilbarkeit der Republik, gegen die innere und äußere Sicherheit des
Staates über alle Verschwörungen zu Wiederherstellung der Monarchie"
urteilen sollte /66/. Danton gab vor dem Konvent eine Erklärung ab: "Ich fühle, wie
ungeheuer wichtig es ist, gerichtliche Maßregeln zu ergreifen, um die
Konter-Revolutionäre zu bestrafen. Denn nur um ihretwillen ist dies
Tribunal nötig. Dies Tribunal soll den obersten Gerichtshof der
Volksrache ersetzen [...] Das Volk, dem man diese Tage [gemeint sind
die Septembermorde vom 2. bis zum 6. des Jahres 1792,Anm. d. V.] so
häufig in so grausamer Weise zum Vorwurf gemacht hat, hätte sie nicht
mit Blut befleckt, wenn damals schon ein Tribunal bestanden hätte"
/67/.
Der Konvent behielt sich die Ernennung der fünf Richter, der 12
Geschworenen und vor allem die Anklageerhebung vor. Nicht genug,
unterstützte Danton im Konvent auch noch den Antrag, dass der
öffentliche Ankläger beim Revolutionstribunal einen Verschwörer auch
ohne vorherige Verabschiedung eines Anklagedekrets verfolgen und dass
die Immunität der Abgeordneten aufgehoben werden konnte.
Der Revolutionsgerichtshof wurde - wir sehen es im Film - zu einem
gefügigem Werkzeug Robespierres und wandte sich damit auch gegen
Danton. Im Film weist Danton auf das Zustandekommen des
Revolutionstribunals durch seine Initiative während des 1. Prozesstages
hin, als ihm Fouquier verbieten will, sich ans Volk zu wenden:
"I founded the tribunal, so I ought to know the rules!"
Darin liegt der Fatalismus der Geschichte, die Absurdität und
Tragik. Die Mittel zur Erhaltung der Republik verkehren sich gegen ihn
selbst.
Das weist auf die Frage 3 hin, wo die Gegenüberstellung der
Biographie mit der Kritik am geschichtlichen Ereignis aufgeworfen
wurde: Wenn Wajda zur Sprache kommen lässt, dass Danton das
Revolutionstribunal ins Leben rief, dann war dies eine verkehrte
"Weichenstellung" und bedeutet insofern eine Kritik am geschichtlichen
Ergebnis. Der Terror wurde bereits vor 1794 institutionalisiert worden
und an diesem Punkt werden wir von ihm an die Anfänge des Terrors
erinnert, an denen ja Danton nicht ganz unschuldig war.
Diese Kritik zielt auch schon auf die Sequenz ab, in der
Robespierre ohne jeden Skrupel und entgegen den Bestimmungen des
Tribunals in despotischer Manier, statt zwölf Geschworener nur sieben
zum Prozess zuließ, weil nur diese ihm als ausreichend zuverlässig
erschienen.
Im Sinne der Bedeutung der Biographie Dantons (Frage 4) beinhaltet
sein Einwurf aber auch, dass Wajda Danton als Mitverschulder der
politischen Situation sieht. Zur Verdeutlichung dieser Autorenposition
lässt er Danton folgende Worte sprechen: "The Revolution is like Saturn it devours its own children" .
Alsbald wurden die Überwachungsausschüsse geschaffen, die die
Ausländer und Verdächtigen überwachen sollten und deren Aufgabe es auch
war, Zulieferer für den Revolutionsgerichtshof zu werden.
Mit dem im April 1792 eingesetzten "Wohlfahrtsausschuss" übernahmen
neun Männer die Führung Frankreichs und konzentrierten in den nächsten
Monaten immer stärker die Macht auf sich, so dass man von
diktatorischen Vollmachten sprechen kann ( um Haftbefehle erlassen,
waren sie darüber dem Konvent rechenschaftspflichtig).
Faktisch wurde die Vollzugsgewalt, in Gestalt des Wohlfahrts- und
Sicherheitsausschusses /68/, zum Eckpfeiler der später initiierten
Revolutionsregierung, dem sich der Gesetzgeber, d.h. die
Nationalversammlung 1794 mehr und mehr unterwarf. Danton gehörte dem
"Wohlfahrtsausschuss" kurzzeitig an, wurde aber dann abgewählt.
Seit der Zuwahl Robespierres bestand der "Wohlfahrtsausschuss" nur noch aus kompromisslosen Montagne-Abgeordneten /76/.
Fatalerweise bedeutete Dantons Ausscheiden aus dem
"Wohlfahrtsausschuss" auch, dass er von Informationen abgeschnitten war
und Robespierre freie Hand überließ. Denn hätte Danton noch im Frühjahr
1794 im Ausschuss gesessen, wäre seine Verhaftung mit Sicherheit nicht
bzw. nicht so ohne weiteres beschlossen worden. Es ist wohl nicht
falsch zu behaupten, dass gerade die Zuwahl Robespierres mit zu Dantons
schnellem Ende beitrug.
Im Film erleben wir nur noch den "Großen Wohlfahrtsausschuss", wie
er seit September 1793 hieß, als die "Herrschaft des Schreckens"
offiziell eingeleitet wurde. Zur Zeit als Danton unter Anklage gestellt
wurde, bestand das Gremium aus folgenden Mitgliedern: Barère,
Billaud-Varenne, Carnot, Collot d'Herbois, Couthon, Jeanbon
Saint-André, Lindet, Prieur de la Côte d'Or, Prieur de la Marne,
Robespierre und St.-Just. Herault de Séchelles war bereits am 17. März
1794 verhaftet worden und wurde mit den Dantonisten zusammen
guillotiniert.
Die Umstände der Zeit geboten, auf ein Regieren nach der
Verfassung, die zwar im September 1793 vom Konvent angenommen wurde,
nicht jedoch in Kraft trat, zu verzichten und zum Mittel der
Notstandsdiktatur zu greifen.
Dadurch dass Danton diese Politik unterstützte und alle Macht für
den "Wohlfahrtsausschuss" forderte, arbeitete er kontinuierlich an der
Institutionalisierung der Herrschaft des radikalen Terrors mit. Sein
Eintreten für die "Schreckensherrschaft" zeigt aber auch, dass es zu
diesem Zeitpunkt noch keinen Vertrauensbruch im Verhältnis Robespierre
- Danton gegeben haben kann, denn sonst hätte sich der "Volkstribun"
nicht mit solcher Konsequenz seine Sturzes vorbereitet.
Danton hatte schon am 1. August 1793, als er im Konvent den Vorsitz
führte, beantragt, den Wohlfahrtsausschuss zu einer provisorischen
Regierung umzubilden, um damit eine Machtkonzentration für die
übergeordneten Interessen des innen- und außenpolitisch bedrohten
Landes zu schaffen:
Das "Programm" der "Revolutionsregierung" lautete: §1 "Die
Provisorische Regierung Frankreichs bleibt bis zum Friedensschluss
revolutionär." /69/
Die französischen Statute assoziieren einen Vergleich mit der Rede Jaruzelskis vom 13.12.1981:
"Das Staatsgefüge löst sich auf. Der dahinsiechenden Wirtschaft
werden täglich neue Wunden zugefügt. Immer beschwerlicher werden die
menschlichen Lebensbedingungen. [...]
Ich gebe hiermit bekannt, dass sich heute der Militärrat der Nationalen Rettung konstituiert hat."
Ähnlichkeiten in den Gründen und der Intention beider Erlasse sind durchaus vorhanden.
Zwei Monate vor Dantons Tod hielt Robespierre im Konvent eine Rede
über "die Prinzipien der politischen Moral" (5.2.1794). Darin
unterschied er die Feinde der Republik in zwei Kategorien: Ultras und
Citras. Unter Ultras verstand er die Hébertisten, unter Citras, die
Gemäßigten bzw. Nachsichtigen, darunter auch Danton. An seine Adresse
gingen folgende Worte:
"Die inneren Feinde des französischen Volkes haben sich in zwei
Parteien, gleichsam in zwei Armeekorps geteilt. Sie marschieren unter
verschiedenartigen Fahnen und auf verschiedenen Straßen, aber sie
marschieren zum gleichen Ziel. Dieses Ziel ist die Desorganisation der
Volksregierung, der Sturz des Konvents, d.h. der Triumph der Tyrannei
[...]. Der falsche Revolutionär steht vielleicht noch öfter diesseits
als jenseits der Revolution: Er ist gemäßigt, er ist toll von
Patriotismus - wie es sich gerade fügt. Er ist unerbittlich gegen die
Unschuld, aber nachsichtig gegen das Verbrechen [...]" /70/.
Mit dem "falschen Revolutionär", der nachsichtig gegen das
Verbrechen sei, war Danton gemeint, dessen Freunde und Geschäftspartner
wegen verschiedener Affären im Gefängnis saßen. Danton hatte ihnen
nicht öffentlich abgeschworen. Die Worte Robespierres waren eine offene
Kampfansage an alle, die hinter der Maske des Patriotismus versuchten,
die Revolution für ihre Zwecke zu missbrauchen. Jeder, der sich fortab
gegen die hier aufgestellten Richtlinien wandte, war demnach ein Feind
der Republik.
Ein allgemeines Klima des Misstrauens entstand, keiner traute mehr dem anderen.
Im Oktober 1793 hatte Danton für mehr als einen Monat Paris verlassen.
Der historische Kontext des Films
Verbot des "Vieux Cordelier".
Am 20. November hatte Danton wieder die politische Bühne betreten.
Ein erster Vorstoß gegen die "Nachsichtigen" erfolgte am 26.11.1793.
Dieser "Vorstoß gegen die Nachsichtigen" setzt bei Wajda mit der
Rückkehr Dantons im Frühling 1794, durch die Beschlagnahmung des "Vieux
Cordeliers" ein. Der Film beginnt mit dieser Rückkehr Dantons, lässt
sie aber im Gegensatz zum eigentlichen Datum erst sehr viel später
geschehen: im Frühjahr 1794. Das ist notwendig, damit Wajda die Idee
von einer Einheit der Zeit, in der sich die Geschichte vollzieht,
visualisieren kann. /71/
Auf Robespierres Zuneigung konnte Danton nicht mehr vertrauen, denn
ihr Verhältnis war seit dem Januar 1794 merklich abgekühlt. Danton und
seine Freunde befanden sich auf einem selbstmörderischen Kurs. Sie
handelten nicht und glaubten sich stark genug, den Ausschüssen
entgegenzutreten. Danton, der sich für die "Kampagne der Nachsicht"
stark gemacht hatte, war mit "Blindheit" geschlagen. Er hielt sich für
unersetzlich. Er glaubte, eine unerschütterliche Institution zu sein,
auch jetzt noch, da Robespierre aufgehört hatte, ihn zu verteidigen.
Wajda verlegt einen Großteil seines Films auf die Darstellung
dieser Blindheit Dantons. "Wer sollte es wagen, mich zu verurteilen?"
ist eine Phrase Selbstüberschätzung, ebenso wie "Freunde von mir können
sie nicht verurteilen" . Diese Selbstüberschätzung wirft ein fatales
Bild auf Danton. Zum einen kann man ihm eine Mitschuld an seinem
eigenen Untergang in Rechnung stellen, zum anderen relativiert es das
Bild des Films, das ansonsten Danton positiver bewertet. Diese
Widersprüche zeigen wie ambivalent Wajda mit seinem Film bleibt. Diese
"Blindheit" Dantons ist durch zu starken Idealismus hervorgerufen.
Ähnliche Beobachtungen hatte Wajda bei den Menschen während der
Revolution in Polen, 18 Monate vor Drehbeginn notiert.
Die Gründe für das Zerwürfnis zwischen Danton und Robespierre
liegen, wie schon in der Analyse der dramaturgischen Struktur
hervorgehoben, einige Monate vor dem eigentlichen Beginn des Films.
Camille Desmoulins brachte ab dem 5. Dezember 1793 eine neue
Zeitung heraus, den "Vieux Cordelier". Robespierre zeigte sich
zufrieden mit der Zeitung, denn zunächst wurden Lobeshymnen auf seine
Politik angestimmt. Das änderte sich jedoch ab der dritten Nummer, die
eine prinzipielle Berechtigung der Revolutionsregierung bestritt und
die vierte Nummer schließlich, forderte die Freilassung von 200.000
Verdächtigen und die Schaffung eines Begnadigungsausschusses.
Robespierre reagierte zunehmend verärgert. In seiner berühmten
Schmährede gegen den Journalisten vom 18. Nivôse des Jahres II (7.
Januar 1794) hieß es:
"Camille Desmoulins hatte versprochen, seinen politischen
Abweichungen und seinen auf Irrtümern beruhenden, alle Seiten des
‚Vieux Cordelier’ durchziehenden, übel klingenden Vorschlägen
abzuschwören. Camille hat aber, aufgeblasen durch den Riesenerfolg
seiner Nummern und die niederträchtigen Lobeshymnen, die ihm die
Aristokraten freigebig spenden, diesen Pfad nicht verlassen, auf den
der Irrtum ihn geführt hat. Seine Schriften sind gefährlich; sie
beleben die Hoffnung unsere Feinde [...] Ich beantrage, dass die
Zeitungen von Camille hier in der Gesellschaft verbrannt werden, um ein
Exempel zu statuieren" /72/.
Bei Wajda gibt es eine Anspielung auf diesen Vorfall. In der
gleichen Nacht als sich Robespierre und Danton zu einer Aussprache
getroffen haben, geht der "Unbestechliche" auch zu Camilles Desmoulins.
Er will ihm zu verstehen geben, dass die Lage der Dantonisten und damit
auch seine, ernst ist und verlangt von Camille, dass er alles Bisherige
widerruft.
"Remember, Robespierre! Burning a newspaper is no answer.",
antwortet Camille und hält ihm beschwörend den "Vieux Cordelier" unter
die Nase.
In der letzten Ausgabe des "Vieux Cordelier" (19. März 1794) hatte
Camille Desmoulins die Neubesetzung des "Wohlfahrtsausschusses"
gefordert und Barère vorgeworfen, er weigere sich, Frieden zu
schließen. Der Vorbereitungen der Neuausgabe wird die Verhaftung des
Druckers Desenne ein jähes Ende bereitet. Daraufhin greifen Danton und
seinen Freunde Bouchotte und den Polizisten Héron an, einen Agenten der
Ausschüsse, der zwar kurzfristig verhaftet (20. März), aber alsbald auf
Intervention Couthons und Robespierres wieder freigelassen wird. Soweit
die bekannten historischen Tatsachen.
Die Episode, dass Robespierre die Druckerei zerschlagen lässt, hat
sich jedoch so nicht zugetragen. Wajda fügt sie als dramaturgisches
Stilmittel ein. Sie ist ein Symbol für die staatliche Gewalt.
Nachweislich hatte Robespierre die drastische Maßnahme in seiner Rede
gefordert. Wajda lässt durch Héron das ausführen, was Robespierre
selbst angekündigt hatte. Der Sinn wird durch diese Beifügung also
nicht entstellt.
Ein weiteres Beispiel für die Unterdrückung der Pressefreiheit sind
die Szenen während des Prozesses. Kein Journalist darf die Verteidigung
Dantons notieren bzw. veröffentlichen. Wieder ist die Angst der Sieger.
Danton darf nicht mit seinen Reden der Revolution entgegengesetzte
Gedanken in die Köpfe der Menschen einpflanzen. Worte sind, wie
Robespierre über Camilles Zeitung gesagt hatte, gefährlich. Damit wird
ein verfassungsmäßig zugeschriebenes Menschenrecht verletzt: das Recht
auf Pressefreiheit.
Richtig dargestellt, im Sinne des historischen Verlaufs, sind auch
die Reaktionen, die Robespierres Rede im Konvent hervorrief. Hier war
Legendre aufgestanden und hatte gesagt:
"Robespierre, I never said Danton was above the law!"
Der Kritik am geschichtlichen Ergebnis ist noch der Nachsatz
Legendres beizufügen. Er hat, wie Bourdon, Danton verraten, gleich
zweimal. Zuerst als er mit Robespierre sympathisiert, um seine eigene
Haut zu retten und dann, als er das Zeugnis der angeblichen
Verschwörung Desmoulins Frau unterschreibt. Die Geschichte kennt immer
wieder Beispiele von Denunziantentum. An dieser Stelle bedeutet die
Rückgratlosigkeit zweier Dantonisten, dass der Gewalt der Ausschüsse
zugearbeitet, statt entgegengetreten wird. Das letztendliche Ergebnis,
der Tod Dantons, wird dadurch beschleunigt.
Konventsrede Robespierres zur Verhaftung der Dantonisten. Danton
ist vor seiner Verhaftung in der Nacht zum 31. März 1794 mehrmals vor
dem "Wohlfahrtsausschuss" gewarnt worden. Am Abend des 30. März empfing
er den Besuch Panis', der ihm u.a. von Lindet aus dem
Wohlfahrtsausschuss geschickt worden war. Danton wusste nun, dass die
Komitees über seinen Fall beraten. Dennoch rührte er sich nicht /73/. Wajda hat an den Vorgängen nichts geändert. Er bewegt sich eng an
der historischen Realität. Anders verhält es sich im Fall zur Anordnung
des Verhaftungsdekrets. Im Film heißt es:
Robespierre: "In one hour, at 3.30, you'll send the police to arrest Danton."
St. Just: "Danton and his accomplices too!"
Antworten: "Tonight?" - "It's madness!" - "Out of the question!"
In der Überlieferung gestaltete sich die Szene genau umgekehrt. Am
anderen Morgen herrschte im Konvent eine aufgebrachte Stimmung.
Legendre, seit dem 1. Germinal Präsident des Jakobiner-Klubs, verlangte
die Anhörung der in der Nacht verhafteten Abgeordneten vor der
Versammlung. Bei Wajda heißt es:
"We have just heared to our amazement that four deputies of the
Convention were arrested last night. Danton amongst them! I demand that
they be heared in this House. So that you may judge for yourselves,
whether it isn't personal enmity or jealousy which lie behind this
outrageous decision!"
Bei Wajda bekommt Legendres Antrag eine private Note. Er
unterstellt Robespierre, dass die Entscheidung keine von staatlicher
Seite aus vorbeugende gewesen ist, sondern aufgrund persönlich
verletzter Eitelkeiten gefällt wurde. Wajda benutzt die fiktive
Bemerkung zur dramatischen Zuspitzung und zur Betonung des
psychologischen Konfliktpotentials.
Die nun folgende Antwort Robespierres ist einer der Höhepunkte des
Films und bedeutet einen Wendepunkt im Geschehen, auf den schon in der
Analyse hingewiesen wurde. Bei Wajda wird sie zu einer Kritik am
geschichtlichen Ergebnis. Diese Sicht erklärt sich aus dem Monolog, den
Robespierre hält. Bei Wajda bricht nach Legendres Antrag ein großer
Tumult aus. Alles scheint im Drunter und Drüber des Konvents offen und
dann verschafft St. Just Robespierre in einem Willkürakt den Zugang zum
Rednerpult. Die folgende Rede ist aus dem Film wörtlich wiedergegeben:
"It's been quite a while since our debates were fired with such
passion. (Gelächter) Yes, the issue is of great importance and the
argument is this: Do we put certain individuals above the Republic?
Legendre demands that the accused be allowed to take the stand! Zwischenrufe: We all do! -Let's hear Danton's side!
You are willing, then, to grant this man what you have refused all
others. On what grounds? Does Legendre maintain that Danton is a
privileged citizen who may be placed above the law? He deserves some
consideration.
Zwischenruf: So say we all. Let's hear Danton!
(Robespierre stellt sich auf die Zehenspitzen) The Republic was
created by the people as a whole. If there is one amongst us who would
dare say: "I alone had the King arrested?" No one merits the right to
claim privilege! For us the privileged do not exist! (Es wird ruhiger
im Konvent. Sonnenstrahlen von links oben fallen auf Robespierre)
Justice? Don't you trust the Revolutionary Tribunal.
Präsident des Konvents: The Tribunal is irreproachable. We all trust it.
Robespierre: We'll see if the Convention is firm enough to bring Danton to justice or if it contests St. Just's report.
Zwischenrufe: We challenge the indictment! -No! You`ve done well.
Robespierre: Those who shout "Long live Danton!" Do they think he
deserves special justice? If so abolish the Public Safety Committee and
try us.Zwischenrufe: We find no fault with the Committees. -Long live
the Committe!
(Robespierre reißt die Arme hoch) Every day, the world is watching us.
We must show no weakness, no moral cowardice . What would become
France if we lost the trust of the French? I wish to have beside me
upright and just men. Because innocence, that primordial virtue should
not and cannot fear public scrutiny (Beifall) I propose that Legendre's
motion be rejected. Then St. Just will read the indictment.
Zwischenrufe: Who's for Robespierre motion? Who's opposed? -You're
mad! If Danton falls, we all do! -Fools! You'll all be massacred! Robespierre: Such statements make you guilty in my eyes. After
deliberation, the Convention has confirmed its faith in the Committees.
Only the guilty tremble. Bourdon blickt beschämt und ängstlich zu Boden
Zwischenruf: This crime will bring you crashing down, Robespierre!
Robespierre: Of course, there we have the most common of arguments.
(Robespierre schreit) Well, what of it? Assuming there is some such
obscure law of Providence. If a criminal's fall must bring me down with him, what of it? For the Revolutionary personal danger can never outweigh duty!
Die Argumentation ist lückenlos. Es gibt vier Punkte, die wichtig dabei sind:
1. Würde man Legendres Antrag zustimmen, dann hieße das, Danton
Privilegien zu genehmigen, die kein anderer vor ihm genoss. Und für
Republikaner gibt es keine Privilegien.
2. Danton im Konvent anzuhören, hieße dem Revolutionstribunal und
den Komitees das Misstrauen auszusprechen, beide sind aber über jeden
Zweifel erhaben.
3. Nicht nur die Franzosen blicken auf den Konvent, sondern die ganze Welt und deshalb darf man keine Schwäche zeigen; und
4. sollte auch Dantons Sturz, den seinen nach sich ziehen, so
überwiege die revolutionäre Pflicht und Schuldigkeit über persönliche
Interessen.
Die Essenz Robespierres Rede ist im marxistischen Sinne die Pflicht
des Einzelnen sich den Forderungen der Masse unterzuordnen. Dahinter
verbirgt sich nachstehende Ideologie: Die Wahrheit der revolutionären
Grundsätze und ihrer Institutionen ist absolut. Jeder, der sich gegen
sie auflehnt, ist ein Konterrevolutionär. Und das wiederum deutet auf
gängige Praktiken in Wajdas Heimat hin. Die Vorherrschaft der Partei
ist unantastbar.
Deswegen kann es auch keine speziellen Rechte geben, weil spezielle
Rechte für Privilegien einiger weniger ständen. Es sind aber alle frei
und gleich an Rechten, so lautet der Artikel 1 der Menschen- und
Bürgerrechte von 1789, also hieße dies gegen die "heiligen und
unveräußerlichen" Rechte zu verstoßen.
An zwei Stellen greift Robespierre die Zwischenrufe auf, als jemand
schreit: "Dummköpfe, ihr werdet alle guillotiniert!" und: "Dieses
Verbrechen wird auch deinen Kopf kosten, Robespierre!" Geschickt
versteht es Robespierre, seine Absichten als tadellos hinzustellen,
indem er sagt: Wer von Massaker redet, hat Angst, wer Angst hat, der
hat ein schlechtes Gewissen, wer ein schlechtes Gewissen hat, ist
schuldig und damit gehört er zu den "Verdächtigen". Robespierre aber
kennt keine Angst, selbst wenn ihm jemand prophezeit, dass dieses
Verbrechen ihn stürzen wird, so antwortet er ihm, dass er nur seine
Pflicht als Revolutionär erfülle - das, was er seinem Vaterland
schuldig ist und das jeder Revolutionär so handeln müsse.
Diese Rede ist ein perfektes Beispiel von Dialektik. Wenn man sich
das Zwiegespräch von Danton und Robespierre in Erinnerung ruft, weiß
man, dass es sich dabei nicht um die Autorensicht handelt, denn Danton
hatte Robespierre gegenüber das Individuum über die Masse gesetzt.
Der Prozess gegen die Dantonisten vor dem Revolutionstribunal
Zur Quellenlage im Besonderen ist zu sagen, dass es sehr schwierig
ist, eine ausgewogene Darstellung des Dantonistenprozesses zu geben.
Wir besitzen weder eine vollständige, noch eine authentische Mitschrift
der Verhandlung. Das offizielle, von dem Vorsitzenden Herman und dem
Gerichtsschreiber Ducray unterzeichnete Protokoll ist gefälscht /74/.
Man weiß aber nicht, ob es mehr oder weniger gefälscht ist als das
Bulletin du Tribunal révolutionaire, das die halbamtliche Version
präsentierte, die dann in den Zeitungen wiedergegeben wurde.
Das Ziel dieser Fälschungen ist offensichtlich: Es ging darum, die
Angeklagten in einem möglichst schlechten Licht erscheinen zu lassen,
und, was Danton betrifft, den zweiten Prozesstag, den des 14. Germinal,
als besonders lang darzustellen, um die gekürzte Wiedergabe der
Verteidigungsrede, die das Bulletin abdruckt, plausibler zu machen.
Keine dieser Prozessmitschriften ist zufriedenstellend, ohne
Widersprüche. Der folgende Bericht, der sich auf das Protokoll des
Gerichtsschreibers bezieht, muss vor diesem Hintergrund gelesen werden.
Im Luxemburg-Gefängnis hatten die Dantonisten kurz vor Mitternacht
die amtliche Anklageschrift erhalten. Sie wurden nun zur Conciergerie
überführt, dem Vorzimmer des Revolutionstribunals. Am nächsten Tag
(2.April) begann der Prozess.
Danton, der so oft sein leidenschaftliches Temperament unter Beweis
gestellt hatte, ließ Verhaftung und Gefangenschaft widerspruchslos über
sich ergehen. Dies lässt sich nicht allein durch jenen Zustand
apathischer Gleichgültigkeit erklären, der in den letzten Wochen seines
Lebens oft zutage getreten war. Vielmehr muss man annehmen, dass er
sich von seiner Verteidigung Freispruch und Triumph erwartete.
Wahrscheinlich ist es überflüssig darauf hinzuweisen, dass dieser
Prozess zu einem der ungerechtesten der Geschichte gehört. Und mit
Sicherheit kann man denjenigen Recht geben, die behaupten, zu
Revolutionszeiten könne man keine ausgewogenen, fairen Prozesse
erwarten. Die Revolution hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Bei Wajda wird der Prozesshergang zum Höhepunkt des Films, und
zweifellos können Parallelen zu politischen Strafverfahren in Polen
jener Jahre gezogen werden.
Wie bereits unter den biographischen Aspekten angesprochen, legt
bei Wajda Fouquier die verminderte Geschworenenzahl auf Anordnung
Robespierres fest.
An dieser Stelle sei noch auf eine markante Verwandtschaft zwischen
Kläger und Angeklagtem hingewiesen. So waren Fouquier-Tinville und
Camille Desmoulins Cousins. Die Ironie der Geschichte will es, dass
Fouquier auf Bitten seines Cousins von Danton in dieses Amt eingesetzt
wurde /75/.
Gegen elf Uhr kamen im Saal der Freiheit, der ehemaligen großen
Kammer des Krongerichts, das Gericht und die Angeklagten zusammen. Zum
ersten Tag ist der Saal randvoll mit Menschen angefüllt. Einige sind
auf die hohen Fensterbänke ausgewichen. Danton wird wie ein Held vom
Volk begrüßt, es greift nach den sich ihm darbietenden Händen.
Nach bewährtem Rezept hatte man zugleich mit den vier politischen
Angeklagten andere Unliebsame vor Gericht gestellt /76/. Dadurch hatte
Fouquier-Tinville die Möglichkeit, die Dantonisten mit den Angeklagten
der Indien-Kompanie-Affäre gleichzusetzen.
"People of France! What have I common with this scum? Who dared put
this thieves next to me? Are we, the spearhead of the Revolution to be
tired as petty criminals?"
Groß und ausladend sind Dantons Gesten
Wajda spitzt diese gerichtliche Farce zu, indem er
Fouquier-Tinville nach Verlesung der Anklageschrift bereits an die
Geschworenen die Frage richten lässt:
"Has the jury heard enough?"
Danton bekommt das Wort erteilt. Wajda gibt dem Volkstribun
ausreichend Gelegenheit, am Ende seines Lebens seine Bedeutung für
Frankreich und die Revolution zu reflektieren: "France! (heftiges
Läuten) Five years I've been your leader. My name is stamped on every
page of your history. True or false?"
Danton sieht sich bereits als zur Geschichte gewordene Figur. Diese
Bewertung im historischen Kontext kommt einem Nachruf gleich. Aus den
Worten Dantons spricht Wajda. Hier lehnt sich Wajda mittels Danton
gegen die ideologische Starre eines Geschichtsbildes, das nur in
Robespierre den vorbildlichen Revolutionär sieht und in Danton einen
Bestechlichen, Korrumpierten und Konterrevolutionären. Mit den in
Dantons Rede enthaltenen Begriffen von Humanität und Frieden treten der
revolutionären Realität Gegenbilder entgegen. Danton sieht sich als
Friedensstifters, Begründer der Volksjustiz und über jeden Zweifel
erhabenen Revolutionärs ( "I conspired for peace, amnesty, respect for
the law and public order"). Aber Wajdas Revision, wird da sie aus dem
Munde Dantons stammt, relativiert.
Einer der Richter ruft Danton zu:
"You're accused of corruption. You've sold yourself."
"Sold myself?" antwortet Danton kämpferisch, "There is no price for
a man like me! (Gelächter) Don't expect a revolutionary to argue cooly.
I'll take all day if need be ."
Danton wird zum Sprachrohr der Kritik Wajdas an der Geschichte. Sie
wird geübt durch Dantons Worte, die die Methoden der
Revolutionsregierung offen legen:
"What a parody of justice!", sagt Danton.
Dantons Forderung nach Anhörung von Zeugen, nach dem Auftreten
seiner Ankläger wird nicht entsprochen. Vielmehr wird ihm per Dekret,
das Wort entzogen.
"When you mean to ruin a man, you throw the book at him. It's an
old thick. But I see it's been improved, to fit in with the times. Now
it ignores the law it pretends to serve."
Wajda gibt im Danton-Prozess vor allem seine persönliche Sichtweise
auf die Ereignisse der vorangegangenen Zeit. Dabei muss die tatsächlich
überlieferte Verteidigung Dantons zwangsläufig wegfallen. Stattdessen
entwickelt Wajda aus Dantons Verteidigung eine Anklage.
"Why must I be killed? Only I can tell you. It's because I'm sincere, because I tell the truth and because I scare them."
Wajda kennt die Methoden Künstler, im Falle oppositioneller
Meinungen, mundtot zu machen. Zuletzt hatte er sie während des
Kongresses der Filmschaffenden gespürt, als durch die Ausrufung des
Kriegsrechts seine Rede zum "Künstler und der Macht" vereitelt wurde.
Die Rede Dantons prangert die Ideologie, die ihre Feinde überall
wittert, an. Die Filmrealität ist zwar vordergründig die des
Dantonistenprozesses, aber dahinter verbirgt sich eine massive Kritik
an der polnischen Realität.
Dantons Rede ist auch eine Hymne an die Menschlichkeit und die Demokratie.
"What forces us, what fate moves us to condemn instead of forgive?
To kill instead of save life? What brought forth this bloodbath and
where will it end, if it ever does?" "Whas I wrong?" fragt sich Danton.
"Dazzled by the Revolutionary ideals, they have forgotten the Revolution itself!
Fearing the returns of tyrants, they have become tyrants themselves!"
Hinter jedem Standpunkt Dantons verbirgt sich ein Gegenbild zur
gesellschaftlichen Realität, die alle zusammen eine Gegengeschichte
bilden.
Danton soll Stunden gesprochen, seine Stimme dabei allmählich
heiser geworden sein. Am Ende schien er das Publikum für sich gewonnen
zu haben. "I'm inmortal because I am the people. The people are with me."
Die Angeklagten sind zur Urteilsverkündung nicht mehr im
Gerichtssaal und aufgrund der Ventôse-Dekrete wurden die Güter aller
"Feinde der Republik" beschlagnahmt, um Notleidende zu entschädigen. In
der Urteilsverkündung hieß es: "[...] Wird das Vermögen der Republik
übergeben".
Danton: "It'll all collapse in three months at the most!"
Danton hat damit den Tod Robespierres vorweggenommen, der ihm
tatsächlich drei Monate später folgte. In dem Bewusstsein, dass die
Revolution einen ihrer besten Köpfe verloren hat, übergibt sich Danton
seinem Schicksal. In den Bildern Wajdas stirbt er einen Märtyrertod.
Auch hier gilt noch einmal das Wajda-Zitat: "Jede Revolution erlebt
ihre gefährlichen, kritischen Momente. Wenn sie ihre Ziele nicht
erreicht, muss sie zu Mitteln greifen, die konträr zu ihrer Idee sind -
zu den Ideen, die die Geburt der Revolution motiviert haben. Darin
liegt die Tragödie der Revolution bereits unter den biographischen
Aspekten." /77/
Am Ende betreibt Robespierre Selbstreflexion. Er liegt leichenblass
in seinem Bett, seine Augen sind schreckensgeweitet. Es scheint, als
sei ihm die Tat zum vollen Bewusstsein gekommen.
"It seems to me that all I've believed in, all I've lived for has
collapsed for ever. The Revolution has taken the wrong way. [...] the
nation can't govern itself and democracy is only an illusion."
Diese Worte Robespierres wirken wie Peitschenhiebe. Alle Illusionen
mit denen er angetreten war sind zunichte. Es scheint keine Lösung zu
geben, so als wäre der Verrat an der Demokratie eine Zwangsläufigkeit.
Aber so schlimm Robespierres Worte auch zu sein scheinen, sie
beschreiben doch immerhin eine Einsicht, eine Erkenntnis - auch wenn
sie zu spät kommt.
Diese Erkenntnis besagt, dass es hätte anders verlaufen können,
wenn man rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt hätte. Vieles hätte
dafür anders sein müssen, Radikalität ist ein schlechter Helfer.
"Losschlagen" sagt der Film deutlich, ist kein Mittel um Konflikte zu
lösen. Und um ihre Ursachen zu erkennen, muss man immer einen kühlen
Kopf bewahren.
Der Film ist und bleibt in seinen Aussagen ambivalent. Er birgt
Widersprüche in sich, d.h. seine Protagonisten sind nicht eindeutig
festlegbar. So zeigt uns Robespierre am Ende, dass er ein Herz hat -
eine Qualität, die er lange versuchte nicht zum Vorschein kommen zu
lassen. Danton hingegen hat bei allen Sympathien, die wir für ihn
empfinden - und Leute seines Schlages werden immer die größten
Sympathienträger sein - menschliche Schwächen.
Mit der polnischen Interpretation kollidiert Wajdas Geschichtsbild, darauf wurde bereits hingewiesen.
Aber Wajda sagt deswegen nicht, dass die Revolution sinnlos war. Man darf nicht vergessen, dass sein Film nicht die Französische Revolution zeigt, sondern nur einen eng gewählten Ausschnitt.
Er selbst sagt: "Je mehr ich über die Revolution nachdenke, desto
klarer sehe ich alle aus ihr resultierenden Entwicklungen, von denen
ich einige in meinem Leben selbst erfahren habe und die heute noch
unser europäisches Leben prägen: die Versuche, die Kunst zu
beeinflussen, die Art zu malen oder Theaterstücke zu schreiben, das,
was gerecht ist, und das, was ungerecht ist, das, was dem Volk dient,
und das, was dem Volk schadet." /78/
Mit dem Tod Dantons stellt sich die Frage nach Sinn und Bedeutung
seines Lebens. Wie bereits festgestellt wurde, war Dantons Position in
der Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Masse eine andere als
die Robespierres. Danton sprach darüber im Café Rosé. Er betrachtet das
Individuum als frei, insofern, dass das es selbstbestimmend ist und
diese Grundsätze im Denken des Volkes zu verankern, kann als ein
wesentlicher Punkt seines Wirkens und seiner Absichten verstanden
werden. Robespierres Haltung in diesem Punkt erfahren wir aus seiner
Rede vor dem Konvent. Er sieht die Notwendigkeit der Übereinstimmung
des individuellen Willens mit dem allgemeinen Willen. In diesem Punkt
bezieht er sich auf den Rousseausche Begriffe, auch auf den der
"Tugend".
Wahrscheinlich hat es eine persönliche Begegnung beider Männer 1778
gegeben, die neben seinen Schriften einen so nachhaltigen Eindruck bei
Robespierre hinterlassen hatte, dass er der großen Linie der Ideologie
Rousseaus immer treu blieb /79/.
Die Bedeutung von Dantons Leben und Tod besteht in der deutlichen
Hervorkehrung, dass mit der Verurteilung Dantons kein
Konterrevolutionär entlarvt, sondern ein Justizmord begangen wurde. Die
Revolution hat sich von ihrem demokratischen Ursprung so weit entfernt,
dass Danton geopfert werden musste. Sie hat zu Mitteln gegriffen, die
konträr zu ihren Ideen steht. Im Aufzeigen dieses Irrtums der
Geschichte besteht der Sinn von Dantons Leben.
Die Rehabilitierung Dantons begann im Zweiten Kaiserreich, auf
Anregung des Positivisten und Oberschulrats Arsène Danton (1814-1869),
eines entfernten Verwandten Dantons. So bereitete die III. Republik dem
"Mann des Volkes" einen posthumen Triumph. Die Errichtung von
Danton-Denkmälern in Arcis-sur-Aube (1888) und in Paris, am Boulevard
Saint-Germain (1891) zeugen davon. Trotz der von dem Historiker Mathiez
beigebrachten Dokumente und Beweise ("Anti-Dantonist"), trotz der
glänzenden, strengen und doch differenzierten Synthese Georges
Lefèbvres, ist die Debatte widersprüchlich geblieben. /80/ Wajda bemerkt zu seinem DANTON-Film:
"[...] Auf diese Weise konnte ich mich an einer Diskussion über die
Französische Revolution beteiligen, als ein Mensch, der ein Erbe, ein
Kind dieser Revolution ist. In unserem polnischen Leben hat die
Französische Revolution immer eine sehr wichtige Rolle gespielt. Ihre
Ideen von Freiheit, Individualität, Demokratie haben wir adaptiert."
/81/
Wie die Interpretation gezeigt hat, waren die vier Fragen angeregt
von Dilthey, sehr hilfreich. Am Ende sollen die Ergebnisse auf drei
Thesen gebracht werden.
These 1: Über die Durchsetzung der Revolution wurden die Inhalte
der Revolution vergessen. Eine Meinung, die Danton im Sinne einer
Wertung des geschichtlichen Ergebnisses vertritt.
These 2: Danton wird zum Sprachrohr der Autorenmeinung, die von "Gegenbildern" gegenüber der polnischen Staatsmacht geprägt ist.
These 3: Der dialektische Diskurs (Danton-Robespierre) illustriert
die Funktion des Terrors, der eine konfliktreiche Situation schafft
zwischen den Forderungen der Politik und des Rechts und zwischen dem
Gemeinwohl und der universellen Moral. Für den Terror in der Geschichte
steht vor allem Robespierre.
These 4: Die Revolution verfolgen, heißt nicht in die Falle des
Terrors tappen und somit Wiederholungen vermeiden. Eine Meinung, die
Wajda vertritt.
Anmerkungen
1 Ich benutzte ein Exemplar des Henschelverlages, das allerdings nicht über den Buchhandel verfügbar ist, für diese Studie.
2 So berichtet Wajda in dem Interview in der "Süddeutschen Zeitung" vom 4. 2. 1983.
3 Interview mit Wajda aus der Pressemappe des deutschen Verleihs; zit. Wajda, Pressemappe
4 Wajda, Pressemappe.
5 Beauvois, Daniel: Chronique "L'Affaire Danton" de Stanislawa
Przybyszewska. In: Annales Historiques de la Revolution Francaise, n
240, (April-Juni) 1980, S. 294-305.
6 zit. nach Foot, P. Paul Gems: "The Danton Affaire" in Barbical Theatre. In: Times Literary Supplement 347, n 4, 1986, p 816.
7 Mathiez, Albert: La Révolution française, 3 Bde., Paris 1922/27.
8 Der Vergleich von Film und Stückvorlage bestätigt das.
9 Guedj, Aimé: De "L'Affaire Danton" de S. Przybyszewska au
"Danton" de Wajda. In: Pensée, n 242 (November-Dezember) 1984, S. 25.
10 ebda., S. 39.
11 Bezeichnung für den polnischen Neubeginn 1956 unter Wladyslaw
Gomulka, nachdem dieser offiziell rehabilitiert worden war; verstanden
als Synonym für einen Sozialismus ohne Furcht und Terror, im Sinne
eines "demokratischen Sozialismus mit menschlichem Antlitz".
12 Roos, Hans: Geschichte der polnischen Nation: 1918-1985. 4. Aufl., Stuttgart 1986, S. 157.
13 1980 hatte Polen 24 Millionen Dollar Auslandsschulden.
14 Weschler, Lawrence: Poland's banned films. In: Cineaste, 13:13-14, 1984.
15 Er war der Korruption beschuldigt worden und wurde aus dem ZK ausgeschlossen.
16 Darunter auch die Filme "Acht Tage in der Woche" von Alexander Ford (1957) und "Hands up" von Jerzy Skolimowski (1967).
17 Bednarz, Klaus u. Hirth, Peter: Polen. München und Berlin 1991, S. 94 f.
18 Warchol, Tomasz. Polish Cinema. The end of the beginning.
S&S, 55:190-194, n 3, 1986. Tomasz Warchol ist ein polnischer
Emigrant, der in den USA lehrt und speziell die Filme aus der Periode
des Vorkriegsrechtes (1977-81) bewertet. Zum Kongress der polnischen
Filmemacher in Warschau vom 11.-12. Dezember 1983 sei noch vermerkt,
dass Wajda und die gesamte Führungscrew zurücktreten mussten, damit der
Kongress abgehalten werden konnte, der dann eine neue Führung wählen
sollte. Ohne diesen Kompromiss wäre die Vereinigung aufgelöst worden.
In: Mead, Gary: Poland. Film-makers and the government. S&S,
53:79-79, n 2, 1984.
19 Martin, Marcel und Plazewski, Jerzy: Polen. In: Cinéma du monde, n 374:132-136, Juli/August 1982.
20 Siehe zu diesem Abschnitt die jeweiligen Kapitel bei Bednarz,
Klaus u. Hirth, Peter: Polen. München und Berlin 1991; Fuhrmann, Rainer
W.: Polen. Geschichte, Politik, Wirtschaft. 2. Aufl., Hannover 1990;
Meyer, Enno: Grundzüge der Geschichte Polens. 3. Aufl., Darmstadt 1990.
21 "Ich bin nicht entmutigt." Wajda im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 4.2.1983.
22 Film Quarterly. 37, n 2:27-33, 1983/84, p. 28.
23 "Für den ehemaligen Theaterschauspieler Lang war dies eine
Möglichkeit unter anderen, die Haltung der neuen Regierung zu den
Verhältnissen in Polen auszudrücken". Nach: Heinick, Angelika: "Wie ein
Tier schlafen". In: Rheinischer Merkur, 20.1.1983.
24 nach Chimeli, Rudolph: Danton ist der Westen, Robespierre der Osten. In: Süddeutsche Zeigung, 19.1.1993.
25 Hanck, Frauke: In der Krise wird die Revolution zur Tragödie. In: Frankfurter Rundschau, 12.12.1982.
26 Interview Wajda, Pressemappe
27 Hinzu kommt, dass die deutsche Fassung im Unterschied zur
französischen nicht den vielzitierten, vorherrschenden Blauton der
Bilder hat.
28 vgl. Silbermann, Schaaf, Adam: S. 99-100.
29 Bausteine zu einer Filmdramaturgie, hrsg. v. der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf". Potsdam 1992.
30 Ich zitiere im Folgenden die englischen Untertitel der französischen Originalfassung.
31 "Indem nun aber die kollidierende Aktion eine entgegengesetzte
Seite verletzt, so ruft sie in dieser Differenz die gegenüberliegende
angegriffene Macht gegen sich auf, und mit der Aktion ist dadurch
unmittelbar die Reaktion verknüpft." In: Bausteine zu einer
Filmdramaturgie, hrsg. v. der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad
Wolf". Potsdam 1992, S.5.
32 Das zeigt sich im Dialog: "I want to provide normal living
conditions for 80% of the people.", sagt Robespierre. Danton antwortet:
"We're not at the Tribunal."
33 Robespierre und Camille Desmoulins kennen sich seit 1769, da
war Robespierre als elfjähriger ins Collège Louis le Grand aufgenommen
worde, das auch der zwei Jahre jüngere Desmoulins besuchte; s. Massin,
S. 15.
34 Diese Spekulation scheint nicht ganz unberechtigt, schließlich
sagt Danton , als er von Camille Desmoulins erfährt, daß die Zeitung
beschlagnahmt wurde: "If you're scared, run to Robespierre, tell him I
forced you to write."
35 Die Zeitangabe "In one hour [...]" demonstriert vorausblickend den zeitlichen Rahmen der nachfolgenden Parallelhandlung.
36 Camilles Verzweiflung, die ihn nach dem Gespräch mit Robespierre
zu Danton gezogen hatte, machen diese Annahme wahrscheinlich, da sagte
er nämlich: "I was as blind as a bat. Now my eyes have been opened."
37 "Das dramatische Handeln aber beschränkt sich nicht auf die
einfache störungslose Durchführung eines bestimmten Zwecks, sondern
beruht schlechthin auf kollidierenden Umständen, Leidenschaften und
Charakteren und führt daher zu Aktionen und Reaktionen, die nun
ihrerseits wieder eine Schlichtung des Kampfs und Zwiespalts notwendig
machen." In: Hegel, G. W. F.: Die dramatische Poesie. In: Ästhetik 2.
4. Aufl., Berlin (Ost) 1984, S. 513. Genau diese "Leidenschaft"
Legendres, mit der er Robespierre persönlich angreift, führt zu einer
Reaktion der Revolutionärs.
38 § 2 der Verfassung von 1793: "Die Regierung ist eingesetzt, um
dem Menschen den Gebrauch seiner natürlichen und unverjährbaren Rechte
zu verbürgen. Diese Rechte sind Freiheit, Gleichheit, Sicherheit,
Eigentum."
39 Im Abschnitt "Historischer Kontext und Interpretation" werde ich noch genauer auf diese Sequenz eingehen.
40 Im Deutschen ist dieser Satz noch eindeutiger interpretiert: Die
Politik funktioniert nach einer Mechanik, die nichts mit Gerechtigkeit
zu tun hat.
41 Martin, Marcel und Plazewski, Jerzy: Polen. In: Cinéma du monde, n 374:132-136, Juli/August 1982.
42 Der Slowake Igor Luther ist Absolvent der Filmhochschule FAMU in Prag.
43 Wajda, Pressemappe.
44 Interview mit Luther aus der Pressemappe des deutschen Verleihs; zit. Luther, Pressemappe.
45 Ganz im Gegenteil zu Abel Gance' Napoleon, dessen Montage sehr viel wertender ist.
46 Wajda, Pressemappe.
47 Luther, Pressemappe.
48 Mühlemann, Urs: Danton. In: Zoom, 10/1983, S. 17-20.
49 "Kierunki", Journal der katholischen Gauchisten: "Keiner der
Gegner gewinnt. Der mysteriöse Märtyrer Danton ist trotz allem weniger
tragisch."
50 Furet, S. 271.
51 s.a. Szporer, Mieczyslaw: Andrzej Wajda's Reign of Terror:
Danton's Polish Ambiance, in: Film Quarterly, 37, N2, 1983/84, S. 29.
52 Warszawa, Andrea: "Danton" in Warschau. In: Die Tageszeitung, 16.2.1983.
53 Witte, Karsten: Am Draht. Andrzej Wajda und seine neuen Arbeiten. In: DIE ZEIT, 29.4.1983.
54 Robespierre über die politische Situation der Republik (18.11.95). In: Robespierre, S. 329.
55 Wir bekommen sie zu Gesicht in der Szene , in der den zum Tode
Verurteilten die Haare geschnitten werden und ein sabot in Großaufnahme
die Haare zur Seite kehrt.
56 Die durch die Französische Revolution ausgelöste Modewelle, die
sich zu einem großen Teil für antike Modelle begeisterte. Das
entscheidende dieser Zeit war, daß Kleidungsstücke fortan mit
politischen Bekenntnissen besetzt wurden. So war der schwarze Tuchrock
- das Kostüm Robespierres und St. Justs im Film - das Ehrenkleid der
Jakobiner. Der Maler David, der als Begründer des Realismus in der
Malerei des 19. Jahrhunderts gilt, wurde neben seiner Tätigkeit im
Sicherheitsausschuss der größte Modeschöpfer seiner Zeit und als
solcher mit der Schaffung eines Nationalkostüms beauftragt. Vgl. Thiel,
Erika: Geschichte des Kostüms - die europäische Mode von den Anfängen
bis zur Gegenwart. Berlin (Ost) 1980, S. 269/271.
57 Frédéric Bluche ist stets bemüht, kein geschöntes und
unkritisches Bild seines Protagonisten zu entwerfen, vielmehr betont er
die negativen Seiten Dantons. So skizziert Bluche sehr ausführlich das
Bild des korrupten Dantons: "Nur Naive weigern sich, das zu tun. [...]
Tatsächlich scheint Danton bereits seit 1789 von London und von den
Agenten des Herzogs von Orléans gekauft worden zu sein". In: Bluche, S.
73. Übrig bleibt der Eindruck, dass er seinen Helden nicht besonders
schätzte. Eine übermäßige Vorliebe Bluches zu Details und Dialogen
machen die Biographie unübersichtlich, so dass man einen roten Faden
vermisst. Karlheinz Dederke schreibt in seiner Rezension im
"Historisch-Politischen Buch" (Jg. 37, 1989, S.8): "Bluche zerstört die
Danton-Legende vom lebensvollen Volkstribun. In beinahe
positivistischer Weise stellt er die Chronologie der Korruption Dantons
zusammen. Für ihn ist der Liebling des Peuple ein reiner Opportunist,
der nie eine große Leitidee hatte, für die er sich einsetzte; aber in
der Revolution sei ein Typ wie er, der beinahe intuitiv Massenemotionen
zu entfachen, zu benutzen und zu lenken verstand, unentbehrlich".
Ganz anders geht Massin mit der Figur seiner Biographie um. Für
ihn ist Robespierre der positive Held, der sich eines
"Konterrevolutionären" entledigen musste.
58 Markov, 1789, S. 179. Es kommt zur zeitweisen Schließung des
Klubs der Cordeliers. Am 4. August war gegen Danton wegen einer Rede
("Eure Führer sind Verräter") Haftbefehl erlassen worden. In diese Zeit
fällt Dantons später auf soviel Argwohn gestoßene Reise (Flucht?) nach
England. Rückkehr nach Paris am 9. September 1791.
59 Die Gesetzgebende Versammlung tagte vom 1.10.1791-10.8.1792.
60 Camille Desmoulins, Generalsekretär des Justizdepartements,
Paris, 15. August 1792; zit. n. Markov, Zeugenstand, Bd.2, S.287/88.
61 Bluche, S. 155/156.
62 So nur in der deutschen Fassung zu hören.
63 Pfister, Kurt (Hg.): Danton. Prozesse der Weltgeschichte. Bd. II, München 1947.
64 Die unsichere wirtschaftliche und soziale Situation verstärkte
die Gerüchte und die Furcht vor Räuberbanden, die durchs Land zogen.
Die Landbevölkerung reagierte mit Panik und Plünderungen.
Im Juni 1791 erfolgte der Fluchtversuch des Königs nach Varennes.
65 Die Zahl der Abgeordneten schwankt, bei Bluche sind es 750, s. S. 189.
66 s. Dantons Rede vor dem Konvent am 10. März 1793: "Zeigen wir
uns schrecklich, damit das Volk es nicht zu sein braucht!". In: Markov:
Zeugenstand, S.367. Von diesem Bekenntnis geht eine Doppelbedeutung
aus, die die Absicht ausdrückt, einerseits das Volk vor sich selbst zu
bewahren und andererseits den Konvent zum Herrscher über das Volk zu
erheben.
67 aus: Georges-Jacques Danton: Redner der Revolution. Bd. VIII.
Berlin 1926, S. 48. Dieses sonst sehr nützliche Buch hat den Nachteil,
dass es nicht auf seine ursprünglichen Quellen verweist bzw. angibt,
wie viele Fassungen es gibt, und von wem die deutsche Übersetzung
stammt.
68 Der Sicherheitsausschuss hatte am 17.10.1792 die Nachfolge des
Untersuchungsausschusses der Konstituante und des
Überwachungsausschusses der Legislative angetreten. Er übte
Polizeigewalt aus und wachte auch über die innere Sicherheit. Nach
einer Erneuerung im Januar 1793 gehörten fast alle Mitglieder zur
Montagne. Vom 14. September 1793 bis zum Thermidorumsturz (27.7.1794,
Fall Robespierres) gehörten ihm folgende, jeden Monat wiedergewählte
zwölf Montagnarden an (nur einigeNamen finden sich bei Wajda wieder):
Amar, Moise Bayle, David, Dubarron, Jagot, Elie Lacoste, Lavicomterie,
Lebas, Louis (du Bas-Rhin), Rühl, Vadier und Voulland. Zur Zeit der
Jakobinerherrschaft lenkten seine Mitglieder den revolutionären Terror.
Entsprechend dem "Gesetz gegen die Verdächtigen" vom 17.9.1793, mit dem
die Zeit des "Großen Terrors" begann, beauftragte der
Sicherheitsausschuss die Revolutionskomitees mit deren listenmäßiger
Erfassung. In dem Gesetz dazu hieß es: "Die Mitglieder des Ausschusse
können die Verhaftung irgendeiner Person nur anordnen, wenn mindestens
sieben von ihnen versammelt sind und der Beschluss mit absoluter
Mehrheit der Stimmen gefordert wurde". In: Geschichte in Quellen.
Amerikanische und Französische Revolution. München 1982, S. 377.
69 Markov, Die Große Revolution, S. S. 521.
70 Über die Prinzipien der politischen Moral. In: Robespierre,
Maximilian. Reden: Habt Ihr eine Revolution ohne Revolution gewollt?
Leipzig 1956, S. 318-345.
71 Darauf deutet auch der Untertitel zu Beginn des Films hin, in
dem es explizit heißt: "Paris, Frühling 1794 im Jahr II der Republik"
und widerlegt damit die Datierung fast aller Filmkritiken auf Ende
November 1793, als Danton von Arcis-sur-Aube zurückkehrt. Die
Journalisten haben zwar Recht mit ihrer Anmerkung, Danton war
tatsächlich im November für längere Zeit auf dem Land gewesen. Wajda
erzählt seinem Film nur die letzte Woche aus Danton Leben, so dass er
die Rückkehr auf einen späteren Zeitpunkt verlegte.
72 Robespierre, S. 134.
73 Bei Bluche heißt es: "Er bleibt in seinem Arbeitszimmer in der
Nähe des Ofens sitzen, den Körper über die Feuerstelle gebeugt, in
Gedanken versunken, um von Zeit zu Zeit aus seiner Bewegungslosigkeit
herauszukommen und heftig im Feuer herumzustochern. Dann hört man ihn
tiefe Seufzer ausstoßen und abgehackte Worte sprechen [...]". Bluche,
S. 395.
Diese Szene beschwört geradezu die Bilder aus Andrzej Wajdas Film.
74 Bei Pfister heißt es: "Der Protokollführer Coffinhal hat die
Berichte, besonders die Verteidigungsreden der Angeklagten, im Auftrag
von Robespierre gekürzt und verfälscht". A.a.O., S. 59
75 s. Bluche, S. 405.
76 Neben Fabre und Chabot betraf das: Basire, Delaunay, Hérault der
Séchelles, den Spanier Guzmann, die Bankiersbrüder Frey und den General
Westermann (nach Furet, S. 324). Nach Angabe Bluches gab es noch einen
14. und 15. Angeklagten: Diederichsen, den dänischen Sekretär Freys und
d'Espagnac. Ebda. S. 406 ff. Chabot, Basire und Delaunay hatten versucht aus der Liquidation
der Indienkompanie persönliche Vorteile zu erzielen. Die Aufdeckung der
"Verschwörung des Auslandes" um den Skandal der Indienkompanie führte
infolge der Bedeutung der bloßgestellten Persönlichkeiten, des Umfangs
der enthüllten Bestechlichkeit und der Enthüllung von Querverbindungen
zwischen Spekulanten und feindlichen Agenten zu einem Skandal von
politischer Tragweite. Dies sind die "Kriminellen", die zu Dantons
Entsetzen mit ihm auf die gleiche Anklagebank gesetzt wurden.
Verzweiflung befällt Danton, der erkennt, dass er kaltblütig
ausgeschaltet werden soll. Die Anklageschrift nimmt auf den Skandal der
Indienkompanie Bezug. Vgl. Markov, Die große Revolution, S. 333 f.
77 Wajda, Pressemappe.
78 Wajda, Pressemappe.
79 Die Überschrift des 1. Kapitels Massins Robespierre-Biographie
lautet: Die Verteidigung der Menschenrechte - Der Sohn Jean-Jacques
Rousseaus; ebda., S.13.
80 Bluche, Epilog, S. 421-425. Bluche schließt seinen Epilog: "Das
gewaltige Talent des polnischen Filmemachers Andrzej Wajda, der 1983
einen prächtigen, aber voreingenommenen Danton drehte, wird leider kaum
dazu beitragen, diese Debatte zu klären". Auch Bluche konnte keine
abschließende Beurteilung geben, so dass die nun seit dem
19.Jahrhundert andauernde Debatte nicht als beendet angesehen werden
kann.
81 Wajda, Pressemappe.
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