Thema | Kulturation 2/2003 | Deutsche Kulturgeschichte nach 1945 / Zeitgeschichte | Carsten Schröder | „Horch, was kommt von draußen rein“: Die X. Weltfestspiele 1973 – eine Wende im Verhältnis von Bundesrepublik und DDR?“
| „Horch,
was kommt von draußen rein“: Die X. Weltfestspiele der Jugend und
Studenten 1973 in Ost-Berlin – ein Ausdruck der Wende im Verhältnis von
Bundesrepublik und DDR?“
Zur Begrüßung der bundesdeutschen Delegation bei der Eröffnungsveranstaltung der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten
in der Hauptstadt der DDR (28.7. – 5.8.1973) ertönte das schwäbische
Volkslied „Horch, was kommt von draußen rein“. Die erste Zeile des
Liedes ermunterte den Ersten Sekretär des Zentralrats der FDJ, Günther
Jahn, in einer Auswertung des Festivals, zu der Äußerung, „der von
draußen rein komme, (könne) doch nur vom Ausland kommen“. /1/
Jahn frohlockte über den Fauxpas, der den westdeutschen Besuchern
vermeintlich mit der Auswahl der Begrüßungsmelodie unterlaufen war und
deren Inhalt die Interpretation der Anerkennung der DDR als souveränen
Nationalstaat erlaubte. Dabei verschwieg er jedoch wohlbedacht die
zweite Zeile, aus der hervorging, dass jene schwäbische Volksweise
nicht unüberlegt ausgesucht worden war. Sie lautet: „Wird wohl mein
fein’s Liebchen sein.“
Die Auslegung der gesamten Handlung des Liedes einer unerwiderten und
vergeblichen Liebesgeschichte, bei der die DDR, im übertragenen Sinne,
den Part des um Anerkennung werbenden Liebhabers und die Bundesrepublik
die Rolle des heftig umworbenen „Feinliebchens“ eingenommen hätte, wäre
wohl der tatsächlichen Situation zwischen beiden Staaten zu nahe
gekommen. So handelte es sich doch auch bei ihnen um eine exklusive
Sonderbeziehung, bei der die DDR heftig um die Anerkennung der
Bundesrepublik warb, nicht jedoch, und da endet die Verwendbarkeit des
Volkliedes als Parabel für das deutsch-deutsche Verhältnis, um sich mit
ihr zu vereinen, sondern um als eigenständiger Staat anerkannt zu
werden. Die Bundesrepublik wiederum, verweilt man noch ein letztes Mal
bei dem Gleichnis, war, im Gegensatz zu „Feinliebchen“, sehr wohl dazu
willens, sich noch zu Lebzeiten mit der DDR zu vereinigen, jedoch mit
abnehmender Tendenz.
Ein Ausdruck dieser Entwicklung sind die bundesrepublikanischen
Wahrnehmungen von der DDR während der X. Weltfestspiele, die im
Mittelpunkt meiner Magisterarbeit „„Horch, was kommt von draußen rein“:
Die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973 in Ost-Berlin – ein
Ausdruck der Wende im Verhältnis von Bundesrepublik und DDR?“ stehen.
Ich untersuche die West-Wahrnehmungen der sozial- und
christdemokratischen Festivaldelegation sowie der Presseorgane „Zeit“,
„Spiegel“, „Frankfurter Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“,
„Westdeutsche Allgemeine“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Welt“
unter der Berücksichtigung der Thesen des Politologen Jens Hackers und
des Historikers Hubertus Knabe.
Hacker kam 1992 zu dem Ergebnis, dass sich die bundesdeutschen Medien
zu „einem guten Teil“ im Verlauf der sechziger Jahre mit dem Status quo
in Europa und damit auch in Deutschland abgefunden hatten. Er
unterstellte den überregionalen Zeitungen mit Ausnahme der „FAZ“, der
Springer-Presse, des „Rheinischen Merkurs/Christ und Welt“ und Rudolf
Augsteins, einen entscheidenden Anteil daran gehabt zu haben, dass „der
Gedanke der Offenhaltung der deutschen Frage“ ins Hintertreffen geriet.
Dies führte er u.a. auf die Bereitschaft zur Übernahme der DDR-These
von der Entwicklung zweier unterschiedlicher Nationen in Deutschland
zurück. (Hacker 1992, S. 279, 314, 280)
Knabe stellte im Jahr 2001 fest, dass der Meinungsumschwung gegenüber
der DDR in den sechziger Jahren nicht in erster Linie auf den Einfluss
der Staatssicherheit zurückzuführen war, sondern viele westdeutsche
Journalisten „von sich aus dazu bereit waren, die SED-Herrschaft zu
akzeptieren und die kritische Auseinandersetzung mit dem politischen
System in Ostdeutschland zurückzustellen.“ (Knabe 2001, S. 414)
Anlehnend an die beiden Wissenschaftler ist die erkenntnisleitende
Frage, ob sich in den westdeutschen Medien und bei den westdeutschen
Delegationsteilnehmern die von Hacker und Knabe festgestellte Tendenz,
dem SED-Staat einen „Schein von Legitimität“ (Knabe 2001, S. 414) zu
verleihen, und die Bereitschaft zu einer „Bi-Nationalisierung“
aufzeigen lässt. Im Gegensatz zu Hacker und Knabe geht es mir jedoch
nicht darum, eine „Abrechnung“ mit sogenannten „Schönfärbern und
Helfershelfern der SED-Diktatur“ vorzunehmen.
Im Vordergrund der Bearbeitung der West-Wahrnehmungen des X. Festivals
in Politik und Publizistik steht das Interesse nach den Motiven für
eine gewandelte bundesdeutsche Sicht der DDR und der Frage der Nation
Anfang der siebziger Jahre, die im Kontext der Verabschiedung des
Grundlagenvertrages am 21. Juni 1973 und der damit verbundenen Aufgabe
des Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik steht. Damit soll
diese Arbeit ein Beitrag sein zur Beurteilung des öffentlichen
Meinungswandels im Bezug auf die DDR auf der Grundlage von Eckhard
Jesse, Jens Hacker und Hubertus Knabe.
Jesse geht davon aus, dass die wohlwollende Einschätzung der DDR vor
1989 einerseits aus der Berichterstattung von Journalisten resultierte,
die von einer „(Teil-) Identifizierung“ des Bürgers mit dem System
ausgingen, „westliche besserwisserische Arroganz“ vermeiden und nicht
zu einer Erschwerung des Lebens der DDR-Bürger beitragen wollten.
Andererseits vermutet er, dass die zunehmend kritische Sicht auf die
Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem „antikapitalistischen Impuls“
der Studentenbewegung Ende der sechziger Jahre der DDR zugute kam und
zu „blinden Flecken“ in der Sichtweise der Journalisten führte. (Jesse
1996, S. 6)
Nach Hacker haben die Hoffnungen in der linksliberalen und
sozialdemokratischen Publizistik, „mit einer auf Kooperation
gerichteten Deutschland-Politik Bonns eine Liberalisierung der DDR
erreichen zu können“, zu „deutschen Irrtümern“ geführt. Er konstatiert
bei denjenigen, die das Status-quo-Denken und damit die
Aufrechterhaltung der Teilung aus historischen und
sicherheitspolitischen Gründen vertreten haben sollen, zwei Linien: Die
einen übernahmen die DDR-These von der Entwicklung zweier
unterschiedlichen Nationen in Deutschland, die anderen gingen von einem
„Wettstreit der Systeme“ aus, in dem die DDR mit einem umgestalteten
Sozialismus die Möglichkeit hatte, ihre Eigenständigkeit zu bewahren.
(Hacker 1992, S. 288; 280)
Eine vergleichende Analyse der Positionen linksliberaler,
liberalkonservativer und konservativer Presseorgane zur DDR und der
Frage der Nation Mitte der sechziger Jahre und Anfang der siebziger
Jahre, die für meine Fragestellung von hohem Wert gewesen wäre,
existiert leider noch nicht. Ebenso wenig gibt es eine Monographie, die
sich mit den Standpunkten der Jungen Union und der Jungsozialisten zu
dieser Problematik auseinandersetzt. Die X. Weltfestspiele sind bisher
noch nicht aus dem bundesrepublikanischen Blickwinkel untersucht
worden. (Breßlein 1973a, Lippmann 1973, Goltz 1978, Mählert/Stephan
1996, Wolle 1998, Rossow 2000)
Der Wahrnehmungsbegriff orientiert sich an der Definition der
„Wahrnehmungsmuster“ von Thomas Rüdiger. Rüdiger differenziert zwischen
Wahrnehmungsänderungen im Längsschnitt, im Wandel der Zeitperioden einerseits und Wahrnehmungsunterscheidungen
im Querschnitt in der verschiedenen Wahrnehmung einer
politisch-sozialen Konstellation andererseits. (Rüdiger 1997, S. 772)
An dieses Verständnis anknüpfend untersuche ich, inwieweit sich die
West-Wahrnehmungen während der X. Weltfestspiele voneinander
unterschieden und ob es darüber hinaus im Zeitraum von Mitte der
sechziger Jahre bis Anfang der siebziger Jahre bei einigen
Presseorganen und Parteien zu Wahrnehmungsänderungen gekommen ist.
Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von dem Zeitpunkt der
Entscheidung des Internationalen Vorbereitungskomitees in Sofia für die
DDR als Veranstaltungsort der Weltfestspiele am 20. Januar 1972 bis zum
Abschluss der westdeutschen Berichterstattung und ostdeutschen
Auswertung Ende November 1973.
Die Quellensituation war im Bereich der Medien hervorragend, da das Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung
eine Zusammenstellung der Berichterstattung vom Sommer 1973 zur
Verfügung stellte. Für die Untersuchung der Wahrnehmungen der Jungen
Union und Jungsozialisten wurden in erster Linie Festivalberichte,
Reden, Briefe und Pamphlete aus dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung
ausgewertet. Dabei erwiesen sich die Archivalien der Christdemokraten
als wesentlich ergiebiger als diejenigen der Sozialdemokraten.
Die ostdeutschen Quellen des Politbüros, des Zentralkomitees, des
Zentralrats der FDJ und der Staatssicherheit stammen aus dem Bestand
der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv und der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.
Sie sind derart umfassend, dass sich ein ähnliches Festival ohne
Probleme anhand dieser Unterlagen erneut veranstalten ließe. Zur
Relativierung der offiziellen Festivalbeurteilung der SED werden des
Weiteren die Resultate der Studie Jugend und Internationalismus des soziologischen Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ) ausgewertet.
Einleitend werden die Positionen der Parteien und Medien zur DDR und
der deutschen Frage Mitte der sechziger und Anfang der siebziger Jahre
erläutert, um vor diesen Hintergrund die Berichterstattung der
Presseorgane und das politische Verhalten beurteilen zu können. Darauf
folgt eine kurze Einführung in die Geschichte der Weltfestspiele
verbunden mit einer Darstellung der einjährigen nachrichtendienstlichen
und ideologischen Vorbereitungszeit in der DDR mit der Zielsetzung,
einen Einblick in die Inszenierung der Demonstration von Weltoffenheit
und Liberalität zu geben, die Gegenstand der West-Wahrnehmungen war.
Daran schließt sich der Hauptteil der Arbeit an, der sich den
Wahrnehmungsänderungen der Jungsozialisten, der JU und der ausgewählten
überregionalen Presseorgane widmet. Abschließend werden im letzten
Kapitel die bundesdeutschen Wahrnehmungsergebnisse den
Schlussfolgerungen des Politbüros, des Zentralkomitees der SED, des
Zentralinstituts für Jugendforschung und der Staatssicherheit
gegenübergestellt.
1. „Sozialistische Nation“ in der DDR – Abkehr vom Provisoriumsvorbehalt in der Bundesrepublik?
Die bundesdeutschen Teilnehmer fuhren zu einer Zeit in die DDR, die in
der historischen Forschung zu den „guten“ (Niethammer 1994, S.110) oder
sogar den „erfolgreichsten Jahren“ (Staritz 1996) der DDR gezählt wird.
Nach dem Abschluss des Grundlagenvertrages mit der Bundesrepublik am
21. Juni 1973 erfreute sich die „kommode Diktatur“ (Grass 1995) der
internationalen Anerkennung von 88 Staaten. Im Sommer 1973 stand der
Eintritt in den Völkerbund (18. September 1973) kurz bevor.
Auch innenpolitisch waren die frühen siebziger Jahre eine Zeit des
Umbruchs. Knapp zwei Jahre vor Beginn der Weltfestspiele war Walter
Ulbricht während des VIII. Parteitages der SED als erster Vorsitzender
des Zentralkomitees von Erich Honecker abgelöst worden, der einen
gegenwartsorientierten Politikwechsel einleitete. Der ehemalige Erste
Sekretär der FDJ erklärte die Periode des „Aufbaus des Sozialismus“
offiziell für beendet und läutete die sogenannte Phase der „Einheit von
Wirtschafts- und Sozialpolitik“ ein. Honecker richtete die gesamte
Planung auf eine Gesellschaftspolitik aus, die die materiellen
Interessen der Arbeiter in den Vordergrund stellte, die bestehenden
Ungleichheiten überwinden und die Situation der sozial schlechter
Gestellten verbessern sollte (Staritz 1996, S. 281.) Die Wende zum
„Konsumsozialismus“ (Staritz 1996, S. 281), zu einer „Art
sozialistischer Wohlstandsgesellschaft“ (Wolle 1998, S. 41), bedeutete
für die Mehrheit der DDR-Bürger einen erheblichen Zuwachs an
Lebensstandard – auch wenn dieser, wie sich später zeigte, auf tönernen
Füßen stand. In der Frage der deutschen Nation bewahrte Honecker
Kontinuität zu seinem Vorgänger. Er übertrug, wie Ulbricht, die neue
Sprachregelung Breschnews von der Herausbildung einer „sozialistischen
Nation“ auf die DDR. Demnach entwickelte sich in der DDR eine
„sozialistische Nation“, die der „bürgerlichen“ in der Bundesrepublik
gegenüberstand. Die Bundesrepublik galt in dieser Lesart als
„imperialistisches Ausland“. (Winkler 2002, S. 294)
Die scheinbare Aussichtslosigkeit einer Wiedervereinigung nach dem
Mauerbau am 13. August 1961 führte in der Bundesrepublik bereits Mitte
der sechziger Jahre dazu, dass der Diskurs über die deutsche Frage von
einer „allmählichen Abkehr vom Ziel eines deutschen Nationalstaates“
geprägt war. (Winkler 2002, S. 243) Eine Debatte in der katholischen
Zeitschrift „Hochland“ über den Provisoriumscharakter der
Bundesrepublik sowie Reiseberichte der „Zeit“ aus der DDR, die von
einem „noch zaghaften Staatsbewusstsein“ (Dönhoff/Sommer 1965, S. 113)
in der DDR kündeten, zeigten, dass sowohl in konservativen und
linksliberalen als auch in liberalkonservativen Kreisen der Wille zu
einer Wiedervereinigung verebbte und die Frage, ob sich die Bürger
beider deutschen Staaten noch als eine Nation verstanden oder verstehen
sollten, nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. (Winkler 2002, S.
247) So traten Franz Josef Strauß, Vorsitzender der CSU, der
linksliberale Publizist Peter Bender und der Vorsitzende der FDP,
Walter Scheel, für eine Europäisierung der deutschen Frage unter
Aufgabe der nationalstaatlichen Betrachtung Deutschlands ein. (Strauß
1966, Bender 1968, Scheel 1968, S. 368) Burghard Freudenfeld, Initiator
der Hochland-Debatte, forderte die Preisgabe des
Provisoriumsvorbehaltes, um die Entwicklung eines
bundesrepublikanischen Staatsbewusstseins zu fördern (Freudenfeld 1967,
S. 421-433), und zwei ihn unterstützende ebenfalls liberalkonservative
Politikwissenschaftler plädierten für die Entwicklung eines
bundesdeutschen Nationalbewusstseins (Buchheim 1967, S. 31) und die
Bildung eines „westdeutschen Patriotismus“ (Besson 1970, S. 459).
Die führenden Politiker der beiden großen Volksparteien widersetzten
sich der Anziehungskraft des partikularistischen liberalen Zeitgeistes.
Eugen Gerstenmaier, Bundestagspräsident und stellvertretender
Bundesvorsitzender der CDU, bedauerte es 1968, dass der
parlamentarische Rat 1948/49 nur ein „Provisorium“ gründete und sich
nicht dazu entschloss, „den größten, freiheitlich verfassten Teil
Deutschlands als deutschen Kernstaat mit dem Deutschen Reich zu
identifizieren und die sowjetisch besetzten deutschen Länder und
Provinzen als das zu bezeichnen, was sie in der Tat und Wahrheit auch
sind, nämlich deutsche Gebiete, deren Bewohner durch fremde
Besatzungsgewalt an der Ausübung ihrer Reichsbürgerrechte gehindert
werden.“ Gerstenmaier betrachtete es als Aufgabe der „nationalen
Erziehung“, den Jüngeren im Bewusstsein zu halten, „daß ganz
Deutschland und nicht die Bundesrepublik oder der Herrschaftsbereich
Ulbrichts unser Vaterland ist.“ (Gerstenmaier 1967/68, S. 149-150)
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Helmut
Schmidt, räumte zwar die „Unmöglichkeit“ einer nationalstaatlichen
Einheit in naher Zukunft ein, wies aber darauf hin, dass ihre
Realisierung von „äußeren Umständen und vom Willen der Deutschen in
beiden Teilen Deutschlands“ abhing. Schmidt wandte sich gegen eine
Reduzierung des bundesdeutschen Nationalbewusstseins auf den
Geltungsbereich des von Freudenfeld formulierten Staatsbewusstseins. Er
sah darin die Gefahr, dass die Bundesdeutschen sich aus ihrer
historischen Verantwortung für das Schicksal der Ostdeutschen stehlen
würden, indem sie sich in die „Idylle einer bundesdeutschen Nation“
flüchteten (Schmidt 1968, S. 559, 562).
Dass die beiden großen bundesrepublikanischen Volksparteien auch Anfang
der siebziger Jahre trotzdem nicht mehrheitlich bereit waren, von der
Vorstellung einer deutschen Nation abzurücken und das Staatsziel einer
Wiedervereinigung in Frage zu stellen, manifestierte sich in dem
„Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik.“
Der Grundvertrag war nach den Leitlinien gestaltet worden, die Willy
Brandt am 28. Oktober 1969 in seiner Regierungserklärung als Kanzler
der sozialliberalen Koalition folgendermaßen - stark verkürzt -
formuliert hatte: Um ein weiteres Auseinanderleben der deutschen Nation
nach zwanzig Jahren der Gründung der DDR und BRD zu verhindern, gelte
es, „über ein geregeltes Nebeneinander zu einem Miteinander zu kommen.“
Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR stellte der Bundeskanzler
dabei außer Frage, indem er den „besonderen“ Charakter des
Verhältnisses beider Teile Deutschlands betonte. (Texte zur
Deutschlandpolitik, Bd. IV, S. 12, 48, 12)
Obwohl die Bundesrepublik mit diesem Vertragswerk den seit ihrer
Gründung vertretenen Anspruch, als alleinige Rechtsnachfolgerin des
Deutschen Reiches auch die einzige Vertreterin deutscher Interessen zu
sein, aufgab (Hallstein-Doktrin) und die Grenzen zur DDR akzeptierte,
bedeutete der Grundvertrag weder die Anerkennung der DDR als souveräner
Nationalstaat, noch die Aufgabe des Wiedervereinigungsgebotes des
Grundgesetzes. Dies stellte das Bundesverfassungsgericht klar, welches
von der CSU, in der Absicht das Vertragswerk zu verhindern, um die
Überprüfung des Grundvertrages auf seine Konformität mit dem
Grundgesetz gebeten worden war. Karlsruhe gab am 31. Juli 1973 die
Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bekannt, hob den Fortbestand des
Deutschen Reiches hervor und wies darauf hin, dass die Bundesrepublik
als Staat mit ihm identisch war, im Bezug auf die räumliche Ausdehnung
jedoch nur teilidentisch. Daraus wurde abgeleitet, dass die
Verfassungsorgane die Wiederherstellung der politischen Einheit nicht
als politisches Ziel aufgeben durften und verpflichtet waren, ihre
Politik auf die Erreichung dieses Ziels auszurichten und alles zu
unterlassen, was die Wiedervereinigung verhindern könnte. Die DDR galt
dementsprechend als Teil Deutschlands und konnte nur als Inland und
nicht als Ausland angesehen werden, die Grenzen zwischen beiden Staaten
wurden als jenen „ähnlich“ definiert, die zwischen den Bundesländern
West-Deutschlands existierten. Der Vertrag regelte vor allem
„inter-se-Beziehungen“. (Winkler 2002, S. 313-314)
Die überwiegende Mehrheit der CDU/CSU lehnte die „Neue Ostpolitik“ der
SPD ab, dennoch wurde nach Tiggemann eine Öffnung der Bundesrepublik
zum Ostblock unterstützt. (Tiggemann 1998, S. 165, Hacke 1994, S. 42)
Timothy Garton Ash geht im Gegensatz zu Tiggemann sogar davon aus, dass
die „theoretische Akzeptanz“ der Christdemokraten für die Ostpolitik
der SPD bereits 1972 vorhanden war. Er begründet diese Aussage mit der
gemeinsamen Entschließung aller im Bundestag vertretenen Parteien im
Mai 1972 zur Ratifizierung der Moskauer und Warschauer Verträge, die
sowohl die formalrechtliche Position der Bundesrepublik hinsichtlich
der deutschen Frage als auch die grundsätzlichen Prioritäten der
Westintegration Adenauers bestätigt habe. (Ash 1993, S. 53-54) Für
Heinrich August Winkler war die Rede des christdemokratischen
Bundeskanzlers, Kurt-Georg Kiesinger anlässlich eines Staatsaktes zum
Tag der deutschen Einheit am 14. Juni 1967 ein Anzeichen dafür, dass
die „Befürworter von Realismus in der Ostpolitik“ an Einfluss gewannen.
(Winkler 2002, S. 259) Kiesinger befürwortete „Gespräche und
Vereinbarungen, welche die durch die erzwungene Spaltung geschaffene
Not lindern und die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen
Beziehungen zwischen den Deutschen bessern solle, welche verhindern
sollen, daß das deutsche Volk sich von Jahr zu Jahr auseinanderlebt.“
(Texte zur Deutschlandpolitik, Bd. 1, S. 82)
Jungsozialisten als Vorreiter der Entspannungspolitik
Die „Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten“ nahm für sich in
Anspruch, Vorreiter der Verständigungs- und Ostpolitik innerhalb der
Bundesrepublik zu sein. Sie plädierte bereits zwei Jahre vor dem
umstrittenen neuen Linkskurs im Jahr 1969 auf dem Bundeskongress in
Mainz (1967) für die Akzeptanz der Oder-Neiße-Grenze, die Preisgabe des
Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik und die Anerkennung der
DDR als „gleichberechtigten Verhandlungspartner“. Das Bekenntnis zur
Wiedervereinigung blieb von den Konzessionen an die deutsche
Zweistaatlichkeit unberührt:
„Es bleibt unser Ziel, die beiden Staaten wiederzuvereinen.“ /2/
Nach der „Linkswendung“ im Jahr 1969 wurde die Entspannungspolitik zu
einem wichtigen Bestandteil der neuen sozialistischen Zielsetzung.
(Wilke 1983, S. 91) Der marxistisch ausgerichtete Vorsitzende, Karsten
Voigt betrachtete die Entspannung als eine wesentliche
Grundvorrausetzung für die Errichtung des Sozialismus in der
Bundesrepublik und in Westeuropa. In diesem Zusammenhang forderte Voigt
die „völkerrechtliche Anerkennung“ der DDR mit der Begründung, ohne
dieses Zugeständnis sei eine Entspannung nicht zu bekommen. (Die Welt,
29.12.1969)
Junge Union nimmt Abschied von liebgewordenen Klischees
Die Junge Union näherte sich bereits 1970 dem Entspannungskurs der
sozialliberalen Koalition an. Gerhard Reddemann, Mitglied im
Deutschlandrat der Jungen Union und Chefredakteur der
christdemokratischen „Entscheidung“, forderte im selben Jahr dazu auf,
von „liebgewordenen Klischees“ wie dem Glauben an eine „formale
Renaissance des Deutschen Reiches“ Abschied zu nehmen. Reddemann ging
davon aus, dass sich nach einem Generationswechsel in beiden deutschen
Staaten eine neue Bewusstseinslage zur Frage der Einheit gebildet
hatte. In der Bundesrepublik demontierte seiner Meinung nach die
Aussichtslosigkeit einer baldigen Wiedervereinigung, die Zweifel an den
Fehlern des kapitalistischen Wirtschaftssystems, das Gefühl der eigenen
Sicherheit durch das Gleichgewicht der beiden großen Militärkomplexe
und die zunehmende Entfremdung zu den Ostdeutschen die Ablehnung des
SED-Staates und den Willen zu einer Wiederherstellung der deutschen
Einheit.
In Ostdeutschland registrierte Reddemann das Entstehen eines
„DDR-Bewußtseins“, hervorgehend aus den wirtschaftlichen Erfolgen der
DDR, einem „Gemeinsamkeitsgefühl“ in Abgrenzung zu den „satten
Bundesbürgern“ und den „‚Bonzen’“ im Parteiapparat sowie einer
Anpassung an die „sozialistischen Realitäten“. Dennoch wollte er aus
dieser Entwicklung nicht folgern, dass sich die Bevölkerung in beiden
Teilen Deutschlands mit der Teilung abgefunden hatte. Die
Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands sah der
Journalist nach wie vor als Aufgabe seiner Partei an, ordnete jenes
Ziel jedoch dem der Freiheit der DDR-Bürger unter. (Reddemann 1970, S.
329, 331-333)
Westmedien und die Deutschlandpolitik Willy Brandts
Die Berichterstattung westdeutscher Zeitungen und Zeitschriften von der
DDR Anfang der siebziger Jahre orientierte sich wesentlich an der
Deutschlandpolitik Willy Brandts. /3/ Die linksliberalen Printmedien,
wie „Stern“, „Zeit“, „Westdeutsche Allgemeine“, „Frankfurter
Rundschau“, „Süddeutsche Zeitung“ und „Spiegel“, unterstützten die
sozialliberale Ostpolitik des „Wandels durch Annäherung“. (Winkler
2002, S. 219) Sie teilten die Auffassung, dass die Anerkennung der DDR
Bedingung einer Entspannung zwischen Ost- und Westdeutschland war. Es
wurde davon ausgegangen, dass sich die DDR, nach einer Anerkennung
durch die Bundesrepublik stabilisieren würde und die politische Führung
erst dann zu einer Liberalisierung von „oben“ bereit wäre, wenn ihre
Existenz nicht mehr in Frage stünde. Die wohlwollende Einstellung zur
Ostpolitik führte zu einer Berichterstattung über die DDR, in der immer
seltener der Unrechtscharakter des totalitären Systems und die
Unzufriedenheit der Bürger mit ihrem nicht demokratisch legitimierten
politischen System thematisiert wurden. Im Vordergrund stand eine milde
Betrachtung der DDR-Führung, in der Absicht, sie damit zu Reformen
bewegen zu können, und eine positive Einschätzung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der realsozialistischen Volkswirtschaft.
Die These des „intellektuellen Architekten der Ostpolitik“ (Ash 1993,
S. 266) Peter Bender, dass die Mauer nicht anders durchlässig gemacht
werden könne, als durch eine „relative Angleichung des Lebensniveaus
auf beiden Seiten“, war bei linksliberalen Journalisten weit
verbreitet. (Bender 1968, S. 219) Die mangelnde Bewegungsfreiheit für
die Pressearbeit in der DDR, die sich auch nach der Gestattung von
Korrespondenten im Rahmen des Grundlagenvertrages nicht wesentlich
verbesserte, schränkte die Aussagekraft journalistischer Analysen stark
ein. Dennoch wurde die Beeinträchtigung der Berichterstattung immer
seltener angemessen in Rechnung gestellt.
Die, der Deutschlandpolitik Willy Brandts kritisch gegenüberstehenden
Zeitungen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, der „Rheinischer
Merkur“, „Deutsche Zeitung Christ und Welt“ sowie die Erzeugnisse der
Springer-Presse nahmen eine distanziertere Position zur DDR ein und
widersetzten sich einer Anerkennung. Sie wiesen auf die
Menschenrechtsverletzungen in und an den Grenzen des sozialistischen
Staates hin und verloren nach den Einschätzungen des Politologen Jens
Hacker das Ziel der staatlichen Einheit nicht aus dem Auge. (Hacker
1992, S. 317)
2. Die X. Weltfestspiele in der DDR
Die Vorentscheidung zur Vergabe der X. Weltfestspiele nach Ost-Berlin
fiel bereits im September 1971 anlässlich einer Exekutivtagung des WBDJ
in Valparaiso (Chile). Am 19. und 20. Januar 1972 wurde die Wahl
offiziell. Der Koordinierungssekretär der IX. Weltfestspiele, Jean
Diard, schlug in Sofia auf einer konstituierenden Tagung des
Internationalen Vorbereitungskomitees (IVK) der Weltfestspiele die DDR
als nächsten Veranstaltungsort vor. Die Vertreter aus 47 Ländern nahmen
die Idee einhellig an. (Breßlein 1973a, S. 24)
Für das X. Festival wurde die Losung „Für antiimperialistische
Solidarität, Frieden und Freundschaft“ ausgegeben. Ziele der
kommunistischen Veranstaltung waren u.a. die Demonstration der
internationalen Solidarität mit dem „heldenhaften Kampf der Völker
Vietnams, Laos und Kambodscha“, die Forderung nach einem Rückzug der
Amerikaner aus Indochina und die Einstellung ihrer Unterstützung für
die politischen Regimes in Saigon, Vientane und Phnom Pen. Des Weiteren
sollten die Weltjugendfestspiele die Solidarität mit sozialistischen
Befreiungsbewegungen in arabischen Ländern, in Afrika, Lateinamerika
und Asien, sowie mit den „bedeutenden Kampfaktionen der Jugend und
Studenten in den kapitalistischen Ländern gegen die Ausbeutung durch
Monopole, Unterdrückung, für die Durchsetzung ihrer Rechte und
Bestrebungen, für tiefgreifende ökonomische und soziale Veränderungen
und für Demokratie“ zum Ausdruck bringen. /4/
Nicht weniger wichtig als diese Zielsetzungen war die einmalige
Gelegenheit für die SED-Führung, die DDR auf internationaler und
nationaler Ebene als weltoffenes und selbstbewusstes Land zu
präsentieren, deren Bürger scheinbar fest hinter „ihrem“ politischen
System standen.
Die „Parteikommission zur Vorbereitung und Durchführung der X.
Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973“, das Sekretariat des
Zentralrats der FDJ und das Organisationskomitee übernahmen die
Organisation des Festivals. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS)
begann mit der Vorbereitung von Maßnahmen zur Gewährleistung von
Ordnung und Sicherheit.
Für die Auseinandersetzung mit westdeutschen Besuchern wurde das Wissen
über das kommunistische Manifest von Karl Marx aufgefrischt, Zahlen und
Fakten der DDR gelernt, die Statuten der Jungen Union, der
Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und der Jungsozialisten
durchgenommen sowie die gesamten Passagen des Grundlagenvertrages
behandelt. (Die Welt, 06.08.1973) In allen Grundorganisationen und
Gruppen der FDJ fanden „Zirkel junger Sozialisten“ zur Einstimmung der
potentiellen Teilnehmer auf die antiimperialistische Zielrichtung des
Festivals statt. Junge Arbeiter konnten sich zusammen mit Studenten an
der Ost-Berliner Universität zu den FDJ-Studientagen im März 1972 oder
in tausenden Agitatorenkollektiven in den Bezirken der DDR unter der
Leitung eines FDJ-Agitators „fortbilden“. (Breßlein 1973a, S. 23)
Nachrichtendienstliche Vorkehrungen beugen inneren Konflikten vor
Die Festivalveranstalter sorgten nicht nur für eine theoretische
Vorbereitung der jungen DDR-Bürger auf den Kontakt mit der
westdeutschen Delegation, sie bereiteten auch praktische Maßnahmen vor,
um „kritische Situationen“, welche medienwirksam für die westlichen
Journalisten sein konnten, gar nicht erst entstehen zu lassen. (Wolle
1998, S. 164-166) Das MfS verhinderte bis zum 28. Juni 1973 die Reise
von 2 720 sogenannter „negativer Personen“ nach Ost-Berlin. Gegen 2 073
Personen wurde Haftbefehl erlassen, insgesamt 800 Menschen mussten die
„Hauptstadt der DDR“ verlassen oder hatten eine Aufenthaltsbeschränkung
erhalten. /5/
Die Behörde Erich Mielkes nahm während der als Aktion „Banner“
bezeichneten, nachrichtendienstlichen Festivalarbeit entscheidenden
Einfluss auf die Kandidatenauswahl. Personen, die nach Ansicht der
Staatsschützer nicht Gewähr dafür boten, die Republik „würdig“ zu
vertreten, wurden abgelehnt. Zu den Gründen für eine Absage gehörten
kriminelle Delikte, „mangelnde politische Zuverlässigkeit“, „dekadentes
Auftreten“ und „unmoralisches oder rowdyhaftes Verhalten“. /6/
Zur „Sicherstellung“ der Überlegenheit der ostdeutschen Jugendlichen
bei kontroversen Diskussionen wurden als FDJler verkleidete Mitarbeiter
des MfS eingeschleust, die bei kritischen Situationen „konsequent“ die
Politik der Partei und der Regierung der DDR zu vertreten hatten. /7/
Sie sollten gefährliche Flugblätter einsammeln, dokumentieren und
regelmäßig detaillierte Berichte über ihre Arbeit abliefern.
Aus der Einschätzung der Veranstalter, dass die vermeintlich von dem
SPD-Parteivorstand gelenkten „sozialdemokratischen Kräfte“ die
westdeutsche Festivaldelegation in den Griff bekommen wollten und sie
im Sinne ihrer sozialdemokratischen Politik zum Nachteil der
„marxistisch-leninistischen Kräfte“ in der Bundesrepublik zu
instrumentalisieren beabsichtigten, wurde eine andere praktische
Maßnahme gezogen. /8/ Ungefähr 400 politisch erfahrene Funktionäre der
SDAJ, des MSB Spartakus und der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)
bekamen eine gesonderte Einladung zur Teilnahme an den Festspielen in
einer sogenannten „Touristendelegation“, die nicht zur westdeutschen
Delegation gehörte. Sie waren als „politische Reserve“ gedacht und
sollten in „notwendigen Situationen“ als „natürliches Gegengewicht“ zu
Jugendgruppen aus West-Berlin und der Bundesrepublik zum Einsatz
gebracht werden. /9/
3. Die sozialdemokratische Delegation: „Wir werden doch hier
nicht den großen Otto losmachen, schließlich wollen wir die nächsten
fünf Jahre konkrete Politik betreiben.“ (Wolfgang Roth)
Insgesamt 55 Mitglieder der sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation,
u.a. Karsten Voigt (Koordinator der sozialdemokratisch orientierten
Verbände), Klaus-Uwe Benneter, Wolfgang Biermann, Klaus-Detlef Funke,
(Sprecher), Johano Strasser und Günter Schulz, besuchten unter der
Leitung ihres Vorsitzenden Wolfgang Roth die DDR. Zu der
Juso-Delegation gehörten auch die SPD-Bundestagsabgeordneten Herta
Däubler-Gmelin, Rolf Heyen, Harald Schäfer, Dieter Schinzel und Rudolf
Hauck. (Der Spiegel, 23.07.1973)
Die Jungsozialisten erklärten, sie wollten nur dann nach Ost-Berlin
kommen, wenn die Verbände des Bundesjugendrings mitsamt der Jungen
Union teilnehmen und ungehindert politisch arbeiten dürften und die
Einladung Rudi Dutschkes durch Wolfgang Biermann akzeptiert würde.
Karsten Voigt verlangte, dass die West-Berliner an der westdeutschen
Delegation teilnehmen konnten. Eines systematische Vorbereitung der
Jusos fand im Gegensatz zur ostdeutschen FDJ im Vorfeld nicht statt,
die daraus resultierende Heterogenität des Erscheinungsbildes der
Jugendorganisation war durchaus beabsichtigt, wollte man doch die
DDR-Bürger mit der Pluralität der Argumente als Kennzeichen einer
demokratischen Gesellschaft konfrontieren. (Interview mit Karsten
Voigt, 25.09.2002)
Die Spannweite der sozialdemokratischen Positionen reichte von dem
aufkläreririschen Anspruch, den anderen Teilnehmern ein „objektives
Bild von der bundesrepublikanischen Wirklichkeit“ zu vermitteln (Rudolf
Hauck) (Breßlein 1973a, S. 30), über den „Austausch von Gedanken“
(Dieter Schinzel), der Vertretung des „demokratischen Sozialismus“ und
der Fortführung der Entspannungspolitik (Klaus Detlef Funke und
Wolfgang Roth) (Der Spiegel, 23.07.1973) bis zur Anerkennung der DDR
als ausländischem souveränen Nationalstaat von Karl-Heinz Hansen.
Dieter Schinzel, SPD-Bundestagsabgeordneter, äußerte gegenüber der
„Welt“, dass ein Austausch von Standpunkten beabsichtigt war, nicht
jedoch Provokation oder eine „absolute Verbrüderung“. (Die Welt,
06.08.1973) Der Sprecher der Juso-Delegation, Klaus-Detlef Funke,
betrachtete das X. Festival als „Chance“ zur Verfechtung des
„demokratischen Sozialismus“ und hoffte mit seiner Partei „selbst
gestaltend eingreifen zu können.“ (Der Spiegel, 23.06.1973)
Wolfgang Roth, Vorsitzender der Jusos, bekundete die Absicht, die
„konsequent-sozialistische“ Position seiner Organisation und die damit
verknüpften „gesellschafts- und außenpolitischen Vorstellungen“ zur
Diskussion stellen zu wollen. Inhalt der politischen Arbeit sollte das
„Konzept der Doppelstrategie“. /10/ Zu einer Einlösung dieses
Versprechens kam es jedoch nicht. Die Juso-Delegation verfuhr nach
einer anderen Strategie, die Roth gegenüber dem „Spiegel“ (06.08.1973)
in folgende Worte fasste:
„Wir werden doch hier nicht den großen Otto losmachen, schließlich
wollen wir die nächsten fünf Jahre konkrete Politik betreiben.“
Die jungen Politiker diskutierten mit FDJlern über den demokratischen
Sozialismus, nahmen an Seminaren gegen den Imperialismus in Afrika und
Südamerika teil, trafen sich mit Abgeordneten der Volkskammer und
hielten eine Rede auf dem Bebelplatz. Kritik und Streit gegenüber der
„kommoden Diktatur“ (Wolle 1998, S. 227) der DDR kam dabei jedoch nur
sehr unterschwellig zur Sprache und wurde derart formuliert, dass es
den Gastgeber nicht brüskierte. Der „Spiegel“ fasste die
„realpolitische“ Linie der Jusos am sechsten August treffend zusammen:
„Gegen ihren heimischen Ruf legten nämlich die Jungsozialisten in
der Hauptstadt der DDR Wert auf taktische Selbstbeherrschung – bis hin
zur rednerischen Biederkeit. Statt des berühmt gärenden Wahrheitseifers
beherrschte sie der eingeschworene Vorsatz, das Regime Honecker bei
seinen augenfälligen Lockerungsbemühungen nicht zu verschrecken.“
Der erste öffentliche Rede eines Vorstandsmitgliedes der SPD in der DDR nach dem Mauerbau
Besonders deutlich wurde die zurückhaltende Milde gegenüber der
SED-Diktatur in einer Rede des Juso-Vorsitzenden am ersten August auf
dem Bebelplatz vor 10.000 ausgesuchten Zuhörern. Der Parteivorstand der
SPD sah in der erstmaligen Gelegenheit des öffentlichen Auftritts eines
Vorstandsmitgliedes in der DDR nach dem Mauerbau, die Möglichkeit zur
Darstellung des „freiheitlich demokratischen Sozialismus“ vor einem
„internationalen Forum“ in „klarer Abgrenzung gegenüber der
kommunistischen Ideologie.“ (Kölner Stadtanzeiger, 25.07.1973)
Wolfgang Roth beschränkte sich aber in der Ansprache auf eine
Darstellung der Anteile der Jungsozialisten an der Entspannungspolitik
und auf eine Verurteilung der Aufrüstungspolitik der NATO. Die
einzigartige Chance zu einer Kritik an der DDR, die auch aus der
Position des demokratischen Sozialismus
der weit links von der Mutterpartei stehenden Jusos möglich gewesen
wäre, wurde verspielt. Dabei waren die Ausgangsvoraussetzungen gut. Das
Redemanuskript musste keine Zensur unterlaufen. Es wäre ein Leichtes
gewesen, wie der Juso-Präside Loke Mernzika dem „Spiegel“ später
eingestand, rhetorisch einen „vollen Rundumschlag“ einzubringen. (Der
Spiegel, 06.08.1973)
Die Ansprache „Warum die Jugend Entspannungspolitik braucht“ fand
anlässlich des Meetings „Für Frieden, internationale Sicherheit und
Zusammenarbeit“ am ersten August auf dem Bebelplatz statt. (abgedruckt
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.08.1973) Etwa 10.000
organisierte Zuhörer, unter ihnen der Ministerpräsident der DDR, Willi
Stoph, das Politbüromitglied Günter Mittag und der Staatssekretär,
Michael Kohl, Ostberliner Delegationsleiter bei den Verhandlungen mit
der Bundesregierung, stellten das Auditorium. (Die Welt, 02.08.1073)
Roth vertrat den Standpunkt, dass schon zum Zeitpunkt der Vergabe der
X. Weltfestspiele nach Ost-Berlin im September 1971 drei
„Kampfesforderungen“ gewiss gewesen waren, die „Anerkennung der nach
dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Grenzregelung in Europa, die
Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten und
die gleichberechtigte Teilnahme beider Staaten an internationalen
Organisationen und internationalen Ereignissen“. Diese Ziele seien nun
erreicht worden, dank der Leistungen von Leonid Breschnew, Edward
Gierek, Erich Honecker, Willy Brandt und einer breiten Mehrheit aus der
Bevölkerung und Jugend in allen vier Staaten, welche die
Entspannungspolitik unterstützten. Erfolgreich gekämpft wurde nach Roth
in erster Linie von den „fortschrittlichen Kräften“ gegen die
sogenannten „konservativen und reaktionären Kräfte“, in der
Bundesrepublik vor allem von den Jusos gegen die „Propaganda von
Springer und Strauß“.
Die „Gegner einer künftigen Friedensordnung“ lokalisierte Roth bei den
„europäischen Staaten der NATO“. Dort halte die Logik des
„kapitalistischen Wirtschaftssystems“ einen „industriell-militärischen
Komplex im internationalen Maßstab“ am Leben. Aus dieser Sichtweise
erklärte sich auch die Forderung, dass die Abrüstung in den
NATO-Staaten ebenso verwirklicht werden sollte wie in den Gebieten des
Warschauer Paktes. Als einen langfristigen Ausweg aus dem Mechanismus
schlug der Vorsitzende den Kampf in antikapitalistischen Aktionen für
ein sozialistisches Wirtschaftssystem vor, wie ihn seine Organisation
schon betriebe. Für die nähere Zukunft sah Roth vor allem zwei Aufgaben
zu bewältigen: Erstens sollten erhöhte Anstrengungen auf dem Gebiet der
Abrüstung in allen europäischen Staaten angestrebt werden, die einen
Abbau der Wehrpflicht bedeuten könnten, und zweitens sollte eine
„schrittweise Beseitigung der Behinderung von Reisen und des
Austausches“ zur Erweiterung der Zusammenarbeit führen.
Die SED- und FDJ-Führung konnte nach der Ansprache aufatmen; abgesehen
von der Forderung nach uneingeschränkten Austausch von Meinungen und
Ideen war weder indirekte noch direkte Kritik am System der DDR zur
Sprache gekommen. Die „geradezu aufregende Milde“ des
SPD-Vorstandsmitgliedes (Der Spiegel, 06.08.1973) machte sogar eine
vollständige Veröffentlichung des Manuskriptes im „Neuen Deutschland“
am zweiten August möglich.
Der Vorsitzende war seiner „realpolitischen“ Strategie treu geblieben.
Er hatte nicht den „großen Otto“ losgemacht. Roth rückte die SPD mit
dieser Rede in die Nähe der Position Peter Benders, der sich seit 1968
für eine vorbehaltlose Anerkennung der DDR einsetzte. (Bender 1968)
Dadurch, dass er lediglich das Interesse seiner Partei an einer
Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten
hervorhob, dabei aber nicht auf den besonderen Charakter dieser
Beziehungen einging, der nach Willy Brandt darin bestand, dass beide
Staaten füreinander nicht Ausland sein konnten (Texte zur
Deutschlandpolitik, Bd. IV, S. 12), erweckte das Vorstandsmitglied der
SPD den Eindruck, die Jungsozialisten würden den Anspruch auf nationale
Souveränität der DDR akzeptieren und hätten sich von ihrer, auf dem
Bundeskongress in Mainz (1967) beschlossenen, Zielsetzung zur
Wiedervereinigung beider deutscher Staaten verabschiedet. (Die Andere
Zeitung, 04.01.1968) Dieses Ergebnis wiegt umso schwerer vor dem
Hintergrund der Aussage des ehemaligen Vorsitzenden Karsten Voigts,
dass die Frage der Einheit bei „der damaligen Generation der Jusos sehr
viel relevanter (war), als (sie) in der nachfolgenden Generation“
gewesen ist. (Interview mit Voigt, 25.09.2002)
Ein zweiter Schwachpunkt der Ansprache bestand in der ausbleibenden
Darstellung des „demokratischen Sozialismus“. Roth versuchte dies
dadurch zu entschuldigen, dass er nicht als Vorsitzender einer
Organisation, sondern als Mitglied der Delegation gesprochen hatte. Es
sei deshalb darum gegangen, die „Initiativen der Jugend für eine engere
Zusammenarbeit in Europa in den Vordergrund zu stellen.“ (Süddeutsche
Zeitung, 04.08.1973) Diese Ausflucht wirkte jedoch wenig überzeugend,
da der Vorsitzende als „einfaches“ Mitglied der bundesdeutschen
Delegation die frühen Leistungen seiner Organisation für die
Entspannungsbemühungen besonders hervorgehoben hatte.
Indem Roth für ein sozialistisches System eintrat, dabei aber eine
Erläuterung der Vorstellungen der Jungsozialisten über dessen
demokratischen Charakter unterließ, nahm er in Kauf, dass bei den
Adressaten der Rede der Eindruck entstehen konnte, die
Nachwuchsorganisation der regierenden Partei in der Bundesrepublik
verfolge eine politische Zielrichtung, die sich nur unwesentlich von
derjenigen der führenden Partei der DDR unterschied. Roth verstieß
durch diese „Unterlassung“ gegen den „Abgrenzungsbeschluss“ des
Parteirats der SPD vom 26. Februar 1971, der eine „Verwischung“ der
grundsätzlichen Gegensätze, die „sozialdemokratische und
kommunistischen Zielvorstellungen voneinander trennten“ nicht zuließ.
Er nahm im Gegensatz zum SPD-Politiker Richard Löwenthal, dem Verfasser
des Papiers „Zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Kommunismus“,
nicht die Herausforderung der Kommunisten an, die mit der „friedlichen
Koexistenz“ keine „ideologische Koexistenz“ verbanden. Die Rede ließ
das Bekenntnis zur rechtsstaatlichen Demokratie sowie zur politischen
und geistigen Freiheit vermissen, welches in dem „Abgrenzungsbeschluss“
für die Sozialdemokratie für „unabdingbar“ erklärt worden war. /11/
Roth verpasste die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass sich trotz der
Entspannungspolitik seiner Partei nichts an ihrer ablehnenden Haltung
gegenüber dem politischen System der DDR verändert hatte. Hätte Roth
wahrhaftig die „Idee des demokratischen Sozialismus unter eindeutiger
Abgrenzung gegenüber jedem als ‚Antiimperialismus’ getarnten
Pseudo-Sozialismus“ vertreten, wie es Walter Osten wider besseren
Wissens im „Vorwärts“ behauptete, dann wäre damit durchaus eine
angemessene Kritik an der DDR zu verbinden gewesen. (Vorwärts,
02.08.1973) Denn auch die „Reformsozialisten“, zu denen Roth gehörte
und die eine Mehrheit innerhalb der Jungsozialisten ausmachten, konnten
sich den „demokratischen Sozialismus“ nicht ohne Demokratie, die
Erlaubnis einer Opposition, Rechtstaatlichkeit und Presse- und
Meinungsfreiheit vorstellen. (Strasser 1974, S. 8)
„Ich habe nur 5 Finger an einer Hand...“ Das Parlamentariertreffen mit Honecker in Niederschönhausen
Neben der Roth-Rede bot ein Parlamentariertreffen im Schloss
Niederschönhausen die zweite exklusive Gelegenheit für die
sozialdemokratische Delegation, die deutschlandpolitische Position
ihrer Partei darzulegen. Am fünften August 1973 trafen sich die
SPD-Abgeordneten Karl-Heinz Hansen, Erich Meinike, Harald B. Schäfer,
Dieter Schinzel, Karl-Heinz Walkhoff sowie der stellvertretende
Landesvorsitzende der Hamburger FDP, Gerhard Weber, und der
stellvertretende Vorsitzende der DKP, Herbert Mies, zu einem
Arbeitsessen mit Vertretern der FDJ-Fraktion der Volkskammer unter der
Leitung von Egon Krenz und Erich Honecker. (Der Spiegel, 06.08.1973)
Honecker wies auf das gemeinsame Interesse beider Staaten hin, nämlich
der Sicherung des Friedens. Er forderte zur Erfüllung des
Grundlagenvertrages ‚nach Buchstaben und Geist’ auf beiden Seiten auf
und hob hervor, dass mit der DDR als „Realität“ zu rechnen sei. Zu den
Vorstellungen der westdeutschen Parlamentarier über die „richtige“
Verwirklichung des Sozialismus nahm der Erste Sekretär der SED eine
distanzierte Position ein. Seiner Meinung nach war die Errichtung des
Sozialismus die Angelegenheit des Volkes eines jeden Staates. Mit den
Worten: „Da mischen wir uns nicht ein. “
gab die „Süddeutsche Zeitung“ am sechsten August die Meinung Honeckers
wieder. Diese Devise hätte auch auf die Rede Wolfgang Roths zutreffen
können. Denn jener versagte sich, ebenso wie Honecker, einer Kritik am
System des „anderen Staates“.
Anders war es bei dem Gespräch im kleinen Rahmen mit den
SPD-Parlamentariern. Sie äußerten im Gegensatz zu Roth Kritik an der
Regierung der DDR und legten ihr Sozialismusverständnis dar. Aus einem
Bericht über das Treffen an das Politbüro geht hervor, dass die
SPD-Abgeordneten mehrmals auf ihre Position des „demokratischen
Sozialismus“ ohne die Diktatur des Proletariats aufmerksam gemacht
hatten. Sie betonten, zwar auf der Grundlage des Marxismus zu stehen,
nicht aber mit den „Schlussfolgerungen“ des Leninismus
übereinzustimmen. Allein der FDP-Abgeordnete Gerhard Weber machte
gegenüber dem politischen System Ostdeutschlands Zugeständnisse. Er
räumte ein, „daß der unter den Bedingungen der Entwicklung nach 1945
von der DDR beschrittene Weg eine Möglichkeit“ wäre. /12/
Die Kritik am Realsozialismus beschränkte sich auf Berufsverbote von
sozialistischen Intellektuellen in der CSSR und der UdSSR im
Allgemeinen und im Besonderen auf das Auftrittsverbot des Liedermachers
Wolf Biermann in der DDR. Im gleichen Zusammenhang brachten die
Abgeordneten aber auch ihre Ablehnung gegenüber dem
„antikommunistischen Beschluss“ der Ministerpräsidenten sowie dem
Berufsverbot von Kommunisten in der Bundesrepublik zum Ausdruck und
relativierten insofern ihre Kritik an den sozialistischen Staaten.
Abgesehen von dem Quäntchen Kritik überwogen jedoch Sympathie und
Anerkennung für die Leistungen des Gastgebers – die bis zur Annäherung
an Honeckers Deutschlandkurs auf Kosten der eigenen Parteiposition
gingen. Harald B. Schäfer sprach sich in aller Namen beeindruckt
gegenüber dem Stolz aus, den Erich Honecker bezüglich der jungen
DDR-Generation zeigte. Schäfer betonte des Weiteren, dass sich unter
dem Ersten Sekretär der SED „viel zum Guten gewandt“ hätte und man für
die Zukunft optimistisch wäre. Gerhard Weber war imponierten die
„Demonstrationen der Jugend“ sowohl in ihrer „politischen Aussage“ als
auch in der „organisatorischen Meisterschaft“. Karl-Heinz Walkhoff
erklärte sich zur Zusammenarbeit mit kommunistischen Genossen bereit,
zeigte sich aber gegenüber Bündnissen mit der DKP und SDAJ sehr
zurückhaltend:
„Ich habe nur 5 Finger an einer Hand, 2 davon kann ich anderen
reichen, 3 brauche ich, um glaubwürdig in meiner Partei zu sein.“
Karl-Heinz Hansen distanzierte sich in bemerkenswerter Weise von der
Ost-Politik seiner Partei. Er warb um Verständnis in der DDR dafür,
dass „sie“ in der Bundesrepublik „manches“ nicht so deutlich zur
Sprache bringen könnten, um die Position der „Regierung Brandt“ nicht
zu gefährden und weiter auszubauen. Hansen konstatierte, für ihn wäre
die DDR „Ausland“, er vertrete nicht den „Standpunkt von
Sonderbeziehungen“ zwischen beiden deutschen Staaten. /13/ Da „sie“
sich aber immer von der Position der Partei und Regierung leiten
ließen, könnte man von ihnen diese Offenheit in der Bundesrepublik
nicht erwarten.
4. Wahrnehmungen der christdemokratischen Delegation: Freiheit vor Einheit?
Die Junge Union nahm 1973 nach neun vorangegangenen Festspielen das
erste Mal an der kommunistischen Jugendveranstaltung teil. Die
Entscheidung zur Reise nach Ost-Berlin fiel ihr nicht leicht und wurde
erst in letzter Minute endgültig getroffen. Dies hatte zur Folge, dass
nur 17 Teilnehmer in die DDR reisen konnten, da das Besucherkontingent
der bundesdeutschen Delegation schon erschöpft war.
Zu den siebzehn maßgeblichen Teilnehmern der JU gehörten Elmar Brok
(Pressesprecher der JU), Eberhard Diepgen, Klaus Landowsky
(Vorsitzender der JU-Berlin), Heinz-Viktor Simon (Beauftragter für
Jugendfragen der JU) und Hermann Kroll-Schlüter (stellvertretender
Bundesvorsitzender des BDKJ, MdB, Mitglied im Ausschuss für Jugend,
Familie und Gesundheit). Außerhalb dieser Delegation waren noch
Heinrich Lummer (Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner
Abgeordnetenhaus) und der Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzenden
der CDU in Hamburg, Dietrich Rollmann, nach Ost-Berlin gekommen. (Der
Spiegel, 06.08.1973)
Im Gegensatz zu den Abgeordneten der SPD und den Jusos vertraten die
Christdemokraten keinen Annäherungskurs gegenüber der SED-Führung, um
dort einen „Wandel“ – hin zu einer Liberalisierung der DDR von „oben“ -
anzustoßen. Sie setzten auf einen Wandel von „unten“ und suchten
deswegen das Gespräch auf der „Straße“ oder in der Provinz. Dort traten
sie für die Vorzüge eines freiheitlichen Systems ein und nahmen dafür
eine Provokation der SED-Führung und eine Gefährdung des
Entspannungskurses der SPD in Kauf.
Die jungen Konservativen waren daran interessiert, in der DDR dem
offiziellen Bild von ihrer Jugendorganisation als einen Hort für
„Revanchisten, Kriegstreibern und bösen Kapitalisten“ entgegenzuwirken.
/14/ Sie wollten die Darstellung der Bundesrepublik nicht den
linksorientierten Verbänden, die die westdeutsche Delegation
dominierten, überlassen. Dieses Vorhaben setzte einen behutsamen Umgang
mit den ostdeutschen Gesprächspartnern voraus, der sich in der
Anerkennung ihrer Aufbauleistungen und der Aussparung des Themas der
Zugehörigkeit der Deutschen aus Ost und West zu einer Nation
niederschlug.
Das provokante Auftreten gegenüber der DDR-Administration in der
Öffentlichkeit stand im starken Gegensatz zur milden Behandlung der
Bürger des sozialistischen Landes. Als die jungen Konservativen, unter
ihnen sechs West-Berliner, mit der bundesdeutschen Delegation während
der Eröffnungsveranstaltung am 28. Juli in das Stadion der Weltjugend
einmarschierten, drehten sie der SED-Führung beim Passieren
demonstrativ den Rücken zu, so dass diese das Logo „JU“ auf den gelben
T-Shirts zu Gesicht bekamen. Damit wollte die Partei zum Ausdruck
bringen, dass West-Berlin kein eigenes politisches Gebilde war, sondern
Bestandteil der Bundesrepublik. (Interview mit Landowsky, 16.08.2002)
Des Weiteren sollte deutlich werden, dass sie nicht nach Berlin
gekommen waren, um „einem antidemokratischen Gastgeber Reverenz zu
erweisen“, sondern wegen der Gespräche mit den DDR-Bürgern. (Brok 1973,
S. 20) Einen Tag später konnten die FDJler in einem 15.000-fach
verteilten Flugblatt auf dem Alexanderplatz von der konkreten Kritik
der Jungen Union an der Legitimität des politischen Systems
Ostdeutschlands und deren vager Vorstellung von Entspannung lesen.
Die Pamphlete enthielten einen Aufruf zur Reform der Gesellschaft zum
Nutzen des Menschen und nicht eines Systems oder Apparates.
„Menschlicher Fortschritt“, so hieß es, sei nur in Freiheit erreichbar.
/15/ Die JU forderte, in Anspielung auf die DDR, die „Verwirklichung
der Menschenrechte in einer freiheitlichen und demokratischen
Gesellschaftsordnung“ durch „freie Wahlen, unzensierte Presse [und]
freie Meinungsäußerung“. Sie sprach sich „gegen die Bevormundung der
Völker durch politische Doktrin, gegen den totalen Herrschaftsanspruch
einer Ideologie, (...) gegen die Bevorzugung einzelner Klassen, sei es
in Ausbildung und Beruf, gegen Beschränkung der Arbeitsmöglichkeiten
von Wissenschaftlern und Intellektuellen, gegen Bürokratie, Dirigismus
und totalen Staat“ aus. Die Vorstellungen der Partei zur
Entspannungspolitik blieben gegenüber der Kritik an totalitären
Herrschaftssystemen auffallend unpräzise. Der geistige Urheber des
Textes, Klaus Landowsky, sah es als Aufgabe der Entspannungspolitik
seiner Organisation an, die Zusammenarbeit „mit Staaten anderer
Gesellschafts- und Wertordnungen“ zu verstärken, in „Bereichen, in
denen es gemeinsame Interessen gibt.“
Auffällig war auch ein anderes Defizit des Flugblattes. Die Option
einer Wiedervereinigung in einer, wie weit auch immer, entfernten
Zukunft und die Frage der Zugehörigkeit der Deutschen zu einer Nation
wurden nicht angesprochen. Dies war umso erstaunlicher, hatte doch die
bayerische Schwesterpartei der Union im Mai desselben Jahres durch die
Überprüfung des Grundlagenvertrages auf seine Vereinbarkeit vor dem
Bundesverfassungsgericht zwar nicht dessen Inkraftsetzung verhindern
können, aber die Festschreibung der Wiederherstellung der politischen
Einheit als politisches Ziel der Verfassungsorgane erreicht. (Winkler
2002, S. 313-314)
Dadurch, dass weder in dem wichtigsten Flugblatt der Jungen Union noch
in ihren in Zeitungsberichten ausgewerteten politischen Aussagen bei
Diskussionen eine klare Haltung zur Frage der Wiedervereinigung zu
vernehmen war, wurde deutlich, dass die Partei der Position Gerhard
Reddemanns, Mitglied im Deutschlandrat der Jungen Union und
Chefredakteur der christdemokratischen „Entscheidung“, folgte.
Reddemann hatte 1970 die Freiheit der DDR-Bürger vor die Einheit
Deutschlands gestellt. Er definierte die Realisierung des
„Selbstbestimmungsrechtes des deutschen Volkes“ als primäres Ziel
seiner Organisation und hoffte, das daraus die Entstehung der
staatlichen Einheit erfolgen würde. (Reddemann 1970, S. 334)
Tausend kleine Gespräche jenseits des Alexanderplatzes
In der zweiten Hälfte des Festivals veränderte die Partei ihre Taktik
hin zu den sogenannten „Tausend kleinen Gesprächen“ jenseits der großen
Veranstaltungsorte. /16/ Die spektakulären Aktionen hatten sich als
ungeeignetes Mittel zur Aufnahme von persönlichen Kontakten erwiesen.
Kader der FDJ und Mitglieder des SDAJ und des MSB-Spartakus behinderten
massiv die angestrebten Diskussionen. In der privateren Atmosphäre
ergaben sich häufig Diskussionen mit systemkritischen Intellektuellen,
Christen und Künstlern. /17/
Die Wahrnehmungen Klaus Landowskys, Herman Kroll-Schlüters und Elmar
Broks ergaben, mit Ausnahme Dietrich Rollmanns, ein weitaus
differenzierteres Bild der politischen Einstellungen der ostdeutschen
Teilnehmer als die Medienberichterstattung bundesrepublikanischer
Journalisten.
Klaus Landowsky: Erfolgsbewusstsein, kein Staatsbewusstsein
Landowsky verfügte durch Verwandte in der DDR über einen guten
Kenntnisstand der politischen Befindlichkeiten der Ostdeutschen. Dies
hielt ihn davon ab, wie etwa Dietrich Rollmann und der mit ihm
sympathisierende „FAZ“-Journalist Georg Reißmüller (Frankfurter
Allgemeine Zeitung, 07.08.1973), die gesamte DDR im Stil des Kalten
Krieges der fünfziger Jahre undifferenziert in Bausch und Bogen zu
verdammen, ohne Rücksicht auf die in den letzten Jahrzehnten erbrachten
Aufbauleistungen der Ostdeutschen zu nehmen.
„Am liebsten wäre es dem Reißmüller und diesen Leuten gewesen, wir
hätten nach dem zweiten Tag gesagt, der Kommunismus ist ein hartes
System und wir reisen ab. Das stimmt aber nicht und das wäre auch nicht
gut gewesen, weil da viele Leute waren, die ja sehr differenziert
gedacht haben, und wir wollten denen ja gar nicht ihren Aufbaustolz
nehmen...“
Dennoch konnte der West-Berliner keine Systemkonformität erkennen. Die,
vor allem in der linksliberalen und sozialdemokratischen Presse
hervorgehobene, steigende Identifikation der DDR-Bürger mit „ihrem“
Staat reduzierte Landowsky auf ein „Erfolgsbewusstsein“ über die
persönlichen Leistungen.
„...es ist ein Erfolgsbewusstsein, kein Staatsbewusstsein gewesen. (...) Keiner hat für Hammer und Sichel eingestanden...“
Anzeichen einer Entfremdung der neuen, überwiegend nach dem Mauerbau in
der DDR sozialisierten Ost-Generation, deren Vertreter wenig daran
interessiert waren, auf dem Festival „Gemeinsamkeiten“ mit ihm
herzustellen, konnten Landowsky nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Ähnlichkeiten zu den Bundesdeutschen größer waren als die Unterschiede.
(Interview mit Landowsky, 16.08.1973)
Er hielt die von FDJ-Funktionären vertretenen Meinungen nicht für
repräsentativ und schätzte die Zahl der „kritischen“ DDR-Jugendlichen
auf 70 bis 80 Prozent. (B.Z., 07.08.1973) Dennoch stand bei den
Gesprächen mit Kritikern und Anhängern das Thema einer
Wiedervereinigung nicht zur Debatte – obwohl auf lokaler Ebene die
Tatsache, Bürger einer Stadt zu sein, durchaus diskutiert wurde.
(Landowsky, 16.08.2003)
Elmar Brok: Die große Masse der Jugendlichen hat sich angepasst
Im Mittelpunkt der Diskussionen mit DDR-Bürgern standen der Meinung des
Pressesprechers der Jungen Union, Elmar Brok, nach die
freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik, die
Menschenrechte und offene Fragen über die Mauer und den Schießbefehl.
(Deutsches Monatsblatt 8, 1973) Das, von Landowsky konstatierte
„Erfolgsbewusstsein“ wurde auch von Brok registriert. Er wies darauf
hin, dass „durchgehend ein gewisser Stolz über die vollbrachten
Leistungen“ festgestellt werden konnte, obwohl Uneinigkeit darüber
bestand, ob diese „trotz oder wegen des Systems“ erbracht worden waren.
Brok ging, anhand seiner Gespräche in Ost-Berlin davon aus, dass sich
die Jugend der DDR vereinfachend in drei Gruppen einteilen ließ:
Die Mehrheit der Jugend hatte sich aus Gründen des beruflichen
Fortkommens oberflächlich angepasst. Bei ihnen bestand der Wunsch nach
Freizügigkeit und Menschenrechten, die Diktatur einer Partei wurde
abgelehnt. Dennoch lehnten sie aber auch „nicht alles“ ab und förderten
eine Affinität zur Konvergenztheorie zu Tage. Die zweite Gruppe setzte
sich aus Oppositionellen zusammen, die überwiegend aus kirchlichen
Jugendkreisen kamen. Zu ihnen gehörten auch Künstler und
Intellektuelle, die, im Gegensatz zu entsprechenden Kreisen in der
Bundesrepublik, den Konservativen besonders aufgeschlossen
gegenübertraten. Brok ging sogar soweit zu behaupten, die Junge Union
wäre für die Letzteren zu einem „Symbol der Freiheit“ geworden.
Gegenüber den ersten beiden Gruppen wurde die dritte Variante der
„Überzeugten und Aktivisten“ als „sehr klein“ eingeschätzt. (Die
Entscheidung 9, 1973, S. 19-20)
Dietrich Rollmann: Millionen in der DDR wollen die Wiedervereinigung lieber heute als morgen
Dietrich Rollmann nahm eine Sonderrolle unter den anwesenden
CDU-Mitgliedern in Ost-Berlin ein. Wie kein anderer versuchte er die
Einheit von Volk und Nation zu betonen und postulierte öffentlich das
Ziel einer Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. /18/ Die
spektakuläre Art seines Auftretens und die teilweise sehr plakativ
vorgetragenen Argumente führten jedoch dazu, dass sich an seiner
Präsenz weniger eine inhaltliche Diskussion als eine Debatte über die
„große Schau“ des „Einzelkämpfers Rollmanns“ entzündete. (Kölner
Stadt-Anzeiger, 01.08.1973)
Besonders beispielhaft für das Wirken Rollmanns war eine Aktion am 29.
Juli auf dem Alexanderplatz, die u. a. zum Ausschluss des
CDU-Politikers aus der Delegation der Arbeitsgemeinschaft der
Evangelischen Jugend (AEJ) am 31. Juli führte. (Frankfurter Rundschau,
03.08.9173) Der Bundestagsabgeordnete stellte sich dort als Hamburger
vor, der das Gespräch mit seinen „Landsleuten“ suchte. Er kritisierte
das Verbot westdeutscher Medien innerhalb Ostdeutschlands und
behauptete, dass Millionen in der DDR die Wiedervereinigung lieber
heute als morgen wollten. (Neue Rhein Zeitung, 01.08.1973) Die
umherstehenden FDJler reagierten mit Gelächter, lehnten die Bezeichnung
Landsleute ab, erklärten ihn bei der Frage der Wiedervereinigung zu
einem „Lügner“ (Kölner Stadt-Anzeiger, 01.08.1973) und buhten ihn aus
als, er im Anschluss noch die FDJ mit der Hitlerjugend verglich, indem
er sie als „konfliktfreie Staatsjugend, wie man sie aus einer
vergangenen deutschen Epoche kennt“ bezeichnete. (Kölnische Rundschau,
02.08.1973)
Drei Tage nach dem Ausschluss veröffentlichte die „Frankfurter
Rundschau“ Auszüge aus einer Presseerklärung Rollmanns. Er erklärte,
zwar während seiner vielfältigen Gespräche überzeugte Kommunisten
angetroffen zu haben, die „entschiedenen Gegner des Systems der DDR“
wären aber in der Mehrzahl gewesen. (Frankfurter Rundschau, 03.08.1973)
Ende August bekam der Hamburger noch einmal in einem Interview mit dem
katholisch-konservativen „Rheinischen Merkur“ die Gelegenheit, seine
Vorstellungen zum Thema der deutschen Nation zu äußern (24.08.1973).
Rollmann antwortete auf die Frage, ob er neue Einsichten in Ost-Berlin
gewonnen habe folgendermaßen: Die „Landsleute in der ‚DDR’“ dürften
nicht abgeschrieben werden. Es wäre notwenig, mit ihnen „in jeder
Beziehung“ verbunden zu sein, wollte man auch in der Zeit des geteilten
Landes eine Nation bleiben.
Hermann Kroll-Schlüter: FDJler haben Wiedervereinigung unter sozialistischen Vorzeichen nicht aufgegeben
Der Bundestagsabgeordnete Kroll-Schlüter ging mit der Ansicht
Landowskys konform, dass in der Bundesrepublik der Aufbaustolz der
DDR-Bürger gewürdigt werden müsse und die Zeit einer einfachen
Schwarz-Weiß-Sicht auf die DDR, die auf Kosten der Ostdeutschen ginge,
beendet werden solle.
Im Gegensatz zu Brok, der behauptete, die Mehrheit der ostdeutschen
Festivalteilnehmer hätte sich lediglich aus Gründen des beruflichen
Fortkommens angepasst und Landowsky, der die Anzahl der „kritischen“
Jugendlichen auf 70-80 Prozent schätzte, ging Kroll-Schlüter davon aus,
das der „Einzelne“ versuchte, sich über seine Leistungen zum
Wiederaufbau in der DDR einzurichten, „getragen von der Hoffnung, daß
es ihm in der Zukunft besser geht“, und die Mehrheit bereit wäre, sich
mit ihrem Staat zu arrangieren. Er rief dazu auf, diese Erkenntnis zu
akzeptieren. (Festival-Nachlese, Oktober 1973, S. 36-37) Dem entsprach
auch die Kategorisierung der teilnehmenden DDR-Jugendlichen. Der
Christdemokrat teilte seine Gesprächspartner in drei Gruppen ein und
ließ dabei auch ihre Einstellung zu einer Wiedervereinigung nicht außer
Acht.
Die erste setzte sich aus führenden Mitgliedern der FDJ zusammen, die
sich auf Grund wirtschaftlicher, kultureller, sportlicher oder
ideologischer Leistungen für eine Teilnahme zu den X. Weltfestspielen
qualifiziert hatten. Diese Jugendlichen waren zwar nicht fanatisch,
vertraten ihre politischen Ansichten und Absichten aber kompromisslos,
was an der aggressiven Ablehnung der Bundesrepublik und der Option
einer möglichen Wiedervereinigung deutlich wurde.
Die zweite Gruppe bestand aus FDJlern, die eine „sozialistische
Grundposition“ besaßen und einer Wiedervereinigung nicht abgeneigt
gegenüberstanden – jedoch nur unter sozialistischen Vorzeichen. Hier
war man zur Kritik am eigenen System bereit und fand auch Verständnis
für Argumente des Gegenübers.
Die Angehörigen der dritten Kategorie hatten eine kritische bis
ablehnende Haltung gegenüber ihrem Staat. Nichtorganisierte
Jugendliche, aber auch FDJler waren zwar stolz auf persönliche
Leistungen und bereit, sich mit der DDR zu arrangieren. Im Falle einer
Wiedervereinigung jedoch, hätten sie gegenüber der zweiten Gruppe kein
sozialistisches Deutschland, sondern eine Mischung aus beiden Systemen
gewollt. Einer einseitigen Begünstigung des westdeutschen Systems
widersprach ihrer Meinung nach die Überstrapazierung der Freiheit im
Westen mit all ihren negativen Nebenwirkungen. /19/
5. Die DDR und deren Bürger aus der Sicht der bundesdeutschen Printmedien
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die Deutschen aus der DDR sind erwachsen geworden
Nur wenige westdeutsche Korrespondenten zog das X. Festival derart in
seinen Bann, wie Rüdiger Moniac und Herbert Neumann, die für die
„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichteten. Beide verloren im Verlauf
der neun Tage die kritische Distanz zur DDR, die eigentlich Kennzeichen
der liberalkonservativen Zeitung war, so dass sich die Herausgeber am
Ende des Festivals dazu veranlasst sahen, das ungewohnt positive
DDR-Bild der Journalisten durch einen bissigen Kommentar zu
relativieren. Im Mittelpunkt der Berichterstattung Moniacs und Neumanns
stand eine wohlwollende Betrachtung der DDR-Bürger und der SED-Führung.
Sie gingen, wie ihre linksliberalen Kollegen, davon aus, die
Weltfestspiele hätten die zunehmende Identifikation der Ostdeutschen
mit der DDR demonstriert und somit zur Steigerung des Selbstwertgefühls
und der internationalen Anerkennung der Staatsführung erheblich
beigetragen. Lediglich am Rande wurde die eingeschränkte Freizügigkeit
der DDR-Bürger kritisiert.
Im Gegensatz zu anderen westdeutschen Journalisten, wie z.B. Friedrich
Herzog von der „Frankfurter Neuen Presse“, der keine Brüderlichkeit
zwischen Ost- und Westdeutschen mehr zu erkennen vermochte (FNP,
04.08.1973), ging bei Moniac mit der zunehmenden Identifikation der
Ostdeutschen mit der DDR keine Entfremdung zu den Westdeutschen einher.
Aus einer fast väterlichen und durchaus sympathisierenden Perspektive
registrierte er, dass die „Deutschen aus der DDR“ erwachsen geworden
waren.
„Jedenfalls, die Deutschen aus der DDR, die lange genug gleichsam
als Halbwüchsige in kurzen Hosen herumlaufen mussten und die Vaterfigur
im Westen haßten, sind jetzt erwachsen geworden, und sie zeigen es mit
entschiedenem Selbstbewußtsein. Es wirkt manchmal noch etwas
prononciert und gar nicht selbstverständlich, wie sie es insgeheim wohl
wünschen. Dazu braucht es noch einige Jahre des Einübens.“ (FAZ, 04.08.1973)
Herbert Neumann würdigte die Zurückhaltung der Staatsführung gegenüber
offener Kritik an der Bundesrepublik. Er erinnerte daran, dass bei der
Aufzählung „imperialistischer Länder“ die Bundesrepublik gefehlt hatte
und Arafats Ausfälle gegen Bonn nicht veröffentlicht wurden, wohingegen
eine öffentliche Rede Wolfgang Roths möglich war und diese auch noch
ungekürzt mitsamt ihrer kritischen Passagen im „Neuen Deutschland“
erscheinen konnte. Von der „preußischen“ Organisation der „X.
Weltfestspiele“ zeigte sich Neumann sehr beeindruckt und wertete sie
als einen Ausdruck eines „neuen Selbstbewußtsein“ des „neuen Staates“.
Im Vergleich zu seinen bisherigen Erfahrungen mit der DDR kam der
Korrespondent zu dem Ergebnis, dass auch bei den jungen DDR-Bürgern die
Übereinstimmung mit dem sozialistischen System so stark wie noch nie
zuvor gewesen war. (FAZ, 03.08.1973)
Rüdiger Moniac ging bei der Bewertung der jungen Ostdeutschen noch
einen Schritt weiter. Er hatte den Eindruck, dass der Stolz auf den
Status quo überwog und keiner unter den Lebensumständen in der DDR litt.
„...niemand scheint sich beschwert zu fühlen von den Umständen, in
denen er zu leben hat. Im Gegenteil: Man ist stolz, es so und nicht
anders vorzufinden.“ (FAZ, 04.08.1973)
Das „neue Selbstwertgefühl“ war für ihn Resultat eines durch die
Weltfestspiele ausgelösten kollektiven emotionalen Vorganges, an dessen
Ende die vollständige Identifikation von Mensch und Staat stand.
“Im Ergebnis fließt das Emotionale dieser Tage schließlich zusammen
zur vollkommenen Identität zwischen Mensch und seinem Staat.“ (FAZ, 04.08.1973)
In seiner Schlussbetrachtung wurde das Bild Moniacs von der überzeugten
DDR-Bevölkerung etwas facettenreicher. Er stellte fest, dass nur der
geringste Teil unter „ihren“ Bürgern zu „linientreuen Kommunisten“
zählte, dennoch sich aber ein nicht zu „kleiner Teil“ der älteren
Generation und eine Mehrheit der überwiegend in der DDR sozialisierten
Jugend mit ihrem Staat trotz Kritik im wesentlichen „eins“ fühlten. Dem
„zweiten deutschen Staat“ gestand er zu, die Suche nach einem „Image“
mit der Veranstaltung der „X. Weltfestspiele“ erfolgreich abgeschlossen
zu haben. (FAZ, 06.08.1973)
Das letzte Wort der „FAZ“ zu den Weltfestspielen übernahm der
Mitherausgeber Johann Georg Reißmüller, der nicht auf dem Fest anwesend
gewesen war. Er gestand den Veranstaltern zu, das erfolgreichste
„Propagandaunternehmen“ seit der Gründung der DDR durchgeführt zu haben
und führte es allein auf die „geschickte Regie der Organisatoren
drüben“ zurück, dass sich in Westeuropa der Eindruck festgesetzt hätte,
das Festival wäre ein „Plebiszit“ für die feste Position der SED in der
Bevölkerung gewesen. Reißmüller meinte, die Diktatur hätte „Handschuhe“
angelegt, was die Ostdeutschen aber nicht beirrte, davon auszugehen,
dass ihr Land ein „Zwangsstaat“ sei. Sie arrangierten sich zwar mit
ihm, vergäßen darüber aber nicht sein wahres Gesicht. (FAZ, 07.08.1973)
Die Welt: FDJ-Kader haben sich als bessere und selbstbewusstere Kombattanten erwiesen
Jens Hacker schreibt, das „Flaggschiff des Springer-Verlages“ habe sich
nach der Proklamation der „neuen Deutschland-Politik“ durch die
sozialliberale Koalition im Jahr 1969 nicht dazu veranlasst gesehen, im
Sinne des Zeitgeistes das Ziel der Herstellung der staatlichen Einheit
aus dem Auge zu verlieren. (Hacker 1992, S. 317) Die Artikel der „Welt“
über das X. Festival lassen, zumindest für den Juli und August 1973,
einen gegenteiligen Eindruck entstehen. Zwar gab es keine Annäherung an
den linksliberalen Entspannungskurs, wie bei Moniac und Neumann in der
„FAZ“ - so wurde der Unrechtscharakter des politischen Systems der DDR
wie in keiner der anderen ausgewerteten Zeitung kritisiert. Die
Konzentration der Berichterstattung auf die politisch überzeugten
FDJler ließ jedoch die Stimme der DDR-kritischen ostdeutschen
Teilnehmer ins Hintertreffen geraten.
Der Hauptberichterstatter der „Welt“, Friedhelm Kemna, sah die
Weltfestspiele vornehmlich unter dem Aspekt eines deutsch-deutschen
politischen Kräftemessens, bei dem es um die Verteidigung zweier
gegensätzlicher Gesellschaftsordnungen, nicht aber um die deutsche
Frage ging. Dieses war seiner Meinung nach mit einem klaren Sieg der
FDJ über die, von Sympathisanten, Linksliberalen und demokratischen
Sozialisten dominierte bundesdeutsche Delegation ausgegangen.
Kemna ging von der Grundvoraussetzung aus, dass die Jugend der DDR im
Gegensatz zu der Jugend der Bundesrepublik, „wahrhaft repräsentativ“
auf dem Festival vertreten war. (Welt, 06.08.1973) Vor diesem
Hintergrund bleibt wenig verständlich, warum die „Welt“ nicht die
einzigartige Gelegenheit zu einer exakteren Darstellung des gesamten
Spektrums der ostdeutschen Jugend wahrnahm. In den insgesamt 17
Artikeln der Zeitung zu den Weltfestspielen gab es nur einen kurzen
Hinweis darauf, dass das kritische Potential unter den FDJlern nicht
unerheblich war. Dort wurde der ostdeutschen Jugend zugute gehalten,
dass sie mehr „kritisches Bewusstsein, mehr Selbstsicherheit und mehr
Misstrauen gegenüber Programmen und Ideologien aller Couleur“ zeigte,
als es manche in der bundesdeutschen Delegation angenommen hatten.
(Welt, 06.08.1973)
Es hätte den „Welt-Berichterstattern“ Diethart Goos, Werner Diederichs
und Friedhelm Kemna eigentlich ein Leichtes gewesen sein müssen, über
die zahlreichen Ostdeutschen zu schreiben, denen etwa der konservative
Bundestagsabgeordnete Hermann Kroll-Schlüter einen Willen zur
Wiedervereinigung zuerkannte. /20/ Das Schweigen der „Welt“ zur
deutschen Frage nährt die Vermutung, dass sich auch in dieser Zeitung,
die den Leitsatz der Einheit Deutschlands in ihrem Programm trug,
Tendenzen zu einer Abfindung mit dem Status quo der deutschen Teilung
mehrten.
Der Spiegel: Berichterstattung über Oppositionelle
Der „Spiegel“ enthielt sich weitgehend der optimistischen
Neuenschätzung der SED-Führung der anderen linksliberalen Zeitungen.
Zwar wurde die „Offenheit und Opulenz“ sowie die „krampflösende
Wirkung“ der „erstmals freigegebenen öffentlichen Diskussion mit der
Außenwelt“ auf das Ende der Ära Ulbricht zurückgeführt, doch die Frage,
ob die Weltfestspiele ein Ausdruck der beginnenden inneren
Liberalisierung der DDR waren, fand keine nähere Betrachtung. Vielmehr
zeigte die ausführliche Berichterstattung über den „wahren Sänger der
DDR“, Wolf Biermann, dessen Festivallied nicht akzeptiert wurde, die
Grenzen der „Festivalfreiheit“ auf. (Spiegel, 06.08.1973)
Im Vordergrund der Artikel Peter Brügges stand eine leicht ironische
Darstellung des Auftretens der bundesdeutschen Delegation in
Ost-Berlin, bei der besonders die selbstauferlegte Zurückhaltung der
Jungsozialisten kritisiert wurde. Er bezeichnete sie als „kein
erhebendes Programm“ für die erstmalige Gelegenheit zur Aussprache der
„deutschen Wahrheit“ während der Weltfestspiele. Der Jungen Union warf
Brügge vor, „Isolation“ zu ihrem Programm erhoben zu haben. Insgesamt
macht der Journalist im Zeitraum des Festivals keine verallgemeinernden
Aussagen zur Einstellung der ostdeutschen Teilnehmer zur Bundesrepublik
und der DDR. Immerhin wurde an einer Stelle ihr „unverhohlener Hunger
nach deutschen Kontakten“ hervorgehoben (Spiegel, 06.08.1973).
Die Zurückhaltung galt wohl dem Bemühen, nicht dem „Spiegel-Report über
die Jugend in der DDR“ vorzugreifen, der Mitte August erschien. Hieraus
ging das Bild einer opportunistischen Jugend hervor, die sich zwar mit
den Mächtigen zu arrangierten wusste und die Angebote in Ausbildung und
Beruf wahrte, im Privatleben jedoch Distanz zur SED hielt, sich nicht
politisch engagierte und ihre Freizeit ‚privat in der Clique’
verbrachte, wo beim Konsumieren westdeutscher Radiosender offen Kritik
an der DDR geübt wurde. (Spiegel, 13.08.1973) Von der „wachsenden
Identifizierung der DDR-Deutschen zu ihrem Staat“ und dem „gewissen
Stolz“ auf die DDR, wie es „Zeit“ (Zeit, 10.08.1973) und „Westdeutsche
Allgemeine“ (WA, 06.08.1973) anhand der Weltjugendfestspiele
feststellten, wurde im „Spiegel“ nicht berichtet, ebenso wenig wurde
der Wiedervereinigungswillen der Ostdeutschen thematisiert.
Frankfurter Rundschau: Auftakt zur Konkretisierung der Politik der friedlichen Koexistenz ist gelungen
Die „Frankfurter Rundschau“ hielt sich mit Aussagen zur politischen
Bewusstseinslage der teilnehmenden DDR-Bürger auffällig zurück. Eine
Charakterisierung der DDR-Jugend als staatstreu ging aus den Zeilen
Hans Lerchbachers nicht hervor. Im Mittelpunkt der Berichterstattung
stand die Frage nach der Bedeutung der „X. Weltfestspiele“ für den
deutsch-deutschen Entspannungsprozess. In diesem Kontext galt es schon
als Fortschritt, wenn einander einst feindlich gegenüberstehende
Jugendverbände aus Ost und West kleine Freundschaftsgesten
austauschten.
„...wenn das Außergewöhnliche zur Selbstverständlichkeit wird.
Junge Pioniere überreichten artig Blümchen, junge Unionisten dankten
ebenso artig.“ (FR, 30.07.1973)
Das Resümee der linksliberalen Zeitung musste den Veranstalter
erfreuen. Der DDR wurde zu einer „stolzen, aber gleichzeitig gezügelten
Selbstdarstellung“ gratuliert, sie hätte ihren „zweiten Platz im
sozialistischen Lager hinter der Sowjetunion (..) unterstrichen“. Das
„X. Festival“ wertete Lerchbacher als gelungenen Versuch, das
friedliche Nebeneinander von Bundesrepublik und DDR zu realisieren. Die
Zukunft der Entfaltungsmöglichkeiten für die Bürger der DDR blieb für
den Journalisten jedoch im Ungewissen. Der Leitartikel endet mit der
Frage, ob der Meinungsaustausch auch dann noch möglich wäre, wenn sich
nach dem UN-Beitritt der Informationsfluss verstärken würde. (FR,
06.08.1973)
Westdeutsche Allgemeine: Das selbstverständliche Gefühl der Zugehörigkeit zur DDR
Die „Westdeutsche Allgemeine“ ging einen Schritt weiter als die
„Frankfurter Rundschau“. Für Frank Gebhardt waren das
„selbstverständliche Gefühl“, zur DDR zu gehören, und der „gewisse
Stolz“ auf die Leistungen des sozialistischen Landes größer, als man es
im Westen erwartet hatte. Sein Resümee mündete in den Aufruf,
unabhängig davon, wie man zu dieser Entwicklung stehe, das
Selbstverständnis in Zukunft stärker anzuerkennen und zu respektieren.
Dies sei von Vorteil für den „Fortgang der Normalisierung“ des
Verhältnisses zwischen Bundesrepublik und DDR. (WA, 06.08.1973)
Süddeutsche Zeitung: Das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen ist für die meisten engagierten FDJler kein bedeutsames Thema mehr
Die „Süddeutsche Zeitung“ enthielt die ausführlichste und
differenzierteste Berichterstattung über die bundesdeutsche Delegation.
Wie in der „Westdeutschen Allgemeinen“ und der „Zeit“ wurde auch hier
davon ausgegangen, dass ein hoher Teil der Jugend fest hinter „ihrem“
Staat stehe und das Interesse am Selbstbestimmungsrecht der Deutschen
und an der freien Marktwirtschaft nur noch zweitrangig bestünde.
„Das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen und die freie
Marktwirtschaft sind, so erscheint es jedenfalls, für die meisten
engagierten FDJler keine bedeutsamen Themen mehr.“ (SZ, 01.08.1973)
Pragal vermutete, dass sogar die SED-Führung von dem „hohen Grad der
Selbstsicherheit“ des „großen Teils der Jugend dieses Landes“
überrascht war. Der Redakteur bezeichnete die Weltfestspiele als
gelungenen Test, der für die Staatsführung ergeben hätte, dass eine
„gewisse Dosis Weltoffenheit“ der inneren Stabilität nicht schade.
Daraus folgerte er, es wäre der SED nun möglich „Schranken abzubauen“
und „Restriktionen“ zu mildern“. Eine Rückkehr zum strikten
Abgrenzungskurs der DDR hielt Pragal nur noch für „schwer vorstellbar“.
(SZ, 05.08.1973)
Die Zeit: Die DDR-Jugend schüttelt über den bundesrepublikanischen Begriff einer deutschen Nation verständnislos den Kopf
In der „Zeit“ wurde, wie in keiner anderen ausgewerteten Zeitung, die
steigende Identifikation der DDR-Bürger mit ihrem Staat als ein Faktum
angesehen, dass schon seit längerer Zeit bekannt war und deswegen nicht
große Verwunderung hervorrufen konnte. Die X. Weltfestspiele dienten
der Bestätigung eines Bildes von der DDR, dass schon seit Mitte der
sechziger Jahre in der Redaktion der linksliberalen Hamburger Zeitung
vorherrschte und Ergebnis einer DDR-Reise der leitenden Redakteure
gewesen war. Im Jahr 1964 besuchten Marion Gräfin Dönhoff, Theo Sommer
und Rudolf-Walter Leonhardt mehrere Städte in den Bezirken
Ostdeutschlands. Die Begegnung mit Politfunktionären,
Betriebsdirektoren, Künstlern, Arbeitern und Bauern führte bei den
Journalisten zu dem Resultat, die DDR hätte sich aus
bundesrepublikanischer Perspektive zu einem „fernen Land“ entwickelt.
Marion Gräfin Dönhoff bezeichnete es als das „Erschreckendste“ der
Reise, dass ihnen „auf Schritt und Tritt“ eine „von Grund auf
verschiedene Weltauffassung“ begegnete. Die Gemeinsamkeiten der
Deutschen in Ost und West, von denen sie ausgegangen war, schienen kaum
noch zu bestehen. Der aus Leipzig stammende „Wahlhamburger“
Rudolf-Walter Leonhardt steigerte sich sogar zu der Aussage, das
Verständnis zwischen den Deutschen nach fast zwanzigjähriger Trennung
wäre geringer als jenes zwischen England und Amerika, die sich trotz
über zweihundertjähriger politischer Teilung noch mühelos auf englisch
unterhalten könnten. Leonhardt gestand zwar ein, dass es schwer zu
beantworten wäre, wie sich die Gruppen der „Mitläufer, Gegenläufer,
Resignierten und Opportunisten“ innerhalb der Bevölkerung der DDR
zahlenmäßig zueinander verhalten würden. Er vermutete aber, dass es
mehr Befürworter des Systems und weniger Gegner gab, als man in Bonn
bereit war zuzugeben. Die Mittelgruppe, diagnostizierte der Redakteur,
und hielt sich dabei für übereinstimmend mit den drei anderen
Journalisten, wäre die derjenigen gewesen, die „weder aktiv für noch
aktiv gegen die DDR und ihre Regierung“ waren.
Theo Sommer ging einen Schritt weiter. In dem „Freilichtmuseum
deutscher Vergangenheit“ war seiner Meinung nach ein „noch zaghaftes
Staatsbewusstsein“ am Entstehen. An ihm wurde die „Andersartigkeit“ der
DDR in Kontrast zur Bundesrepublik sichtbar. Dieser Verschiedenheit
wären sich die DDR-Bürger auch in zunehmendem Maße bewusst. Sommer
führte das wachsende „Staatsbewusstsein“ auf einen „Schöpferstolz“
zurück, den die Ostdeutschen im Laufe der Zeit ob ihrer eigenen
Leistungen, die trotz aller Widrigkeiten erbracht wurden, verspürten.
Der Prozess führte über eine „gewisse Identifizierung“ zu einem
„Sich-Abfinden“ mit der „gesonderten Existenz“. Als Ergebnis des
„Sich-Abfindens“ wollte Sommer jedoch nicht verstanden wissen, dass die
Bürger sich zu Kommunisten entwickelten. Diese Option hielt er auch in
Zukunft für unwahrscheinlich. Anhand seiner vielen Begegnungen kam der
Journalist zu dem Schluss, dass lediglich fünf oder zehn Prozent der
Menschen für das Regime waren und ebenso viele dagegen. Die übrigen 80
bis 90 Prozent würden sich gezwungenermaßen in den Verhältnissen
„einrichten“ (Dönhoff/Sommer 1965, S. 89 ff.).
Die Einschätzung in der „Zeit“ 1973 unterschied sich wesentlich von der
nur knapp zehn Jahre früheren aus dem Jahre 1964. Jetzt ging es darum,
eine neue Generation zu bewerten, die zum größten Teil in dem
sozialistischen Staat sozialisiert worden war. Insofern ist es nicht
ganz zutreffend, dass der Ost-Berliner Korrespondent Haug von Kuenheim,
darauf verwies, die Erkenntnis „einer wachsenden Identifizierung der
DDR-Deutschen zu ihrem Staat und seinen Errungenschaften“ hätte keine
Neuigkeit dargestellt, da „westliche Kenner“, womit wahrscheinlich die
„Zeit-Reisenden“ aus dem Jahre 1964 gemeint waren, dieses schon „vor
Jahren“ feststellten. (Zeit, 10.08.1973) Im Jahr 1964 hatten Dönhoff,
Sommer und Leonhardt lediglich eine Entfremdung der DDR-Bürger
gegenüber ihren westdeutschen Nachbarn konstatiert, waren jedoch nicht
zu dem Ergebnis gekommen, die Mehrheit der Ostdeutschen stehe hinter
„ihrem“ politischen System. Neun Jahre später behauptete von Kuenheim
anhand des Erlebnisses der „X. Weltjugendfestspiele“, die neue
Generation befürworte das Leben in der DDR, obwohl ihm bewusst war,
dass die SED-Führung nicht unwesentlich an der Inszenierung dieses
Bildes mitgearbeitet hatte.
„... die über ein Jahr dauernde Vorbereitung der FDJler, die
Auswahl der Kader und die Existenz der Mauer schlossen jeden Eklat von
vornherein aus. So konnte sie (die SED-Führung) der Welt getrost
zeigen, dass in ihrem Land eine Generation von Deutschen herangewachsen
ist, die das Leben im sozialistischen Staat, genannt DDR, bejaht. Diese
Erkenntnis ist nicht neu.“ (Zeit, 10.08.1973)
Die Problematik der mangelnden Repräsentativität der auf dem Festival
anwesenden DDR-Jugend wurde trotz des Wissens, dass diese besonders
ausgewählt waren, bei der Einschätzung derselben nicht in Rechnung
gestellt. Der Korrespondent zeichnete das Bild von einer neuen
selbstbewussten Generation, die in der Diskussion mit westdeutschen
Delegierten fest einen sozialistischen Standpunkt vertrat.
Kuenheim gewann anhand dieser Begegnungen den Eindruck, dass die Frage
einer deutschen Nation für die neue Generation nur noch von
untergeordneter Bedeutung war und sich dadurch eine geringere
Attraktivität der konservativen im Gegensatz zur sozialdemokratischen
Delegation ergab.
„Sie [die DDR-Jugend] hörte den Argumenten des CDU-Abgeordneten
eher gelangweilt zu und schüttelte über den bundesrepublikanischen
Begriff einer deutschen Nation verständnislos den Kopf: Budapest liegt
ihr näher als Hamburg.“ (Zeit, 10.08.1973)
Die Zukunftsaussichten des deutsch-deutschen Verhältnisses wertete der
Korrespondent positiv. Er zog aus seiner Erkenntnis, dass die
DDR-Jugend die „Probe“ der freien Diskussion gegenüber Andersdenkenden
bestanden hatte und die SED-Führung sich fähig zeigte, als „weltoffener
Staat“ eine eigene Rolle einnehmen zu können, zwei Schlussfolgerungen
für die weitere Entwicklung. Einerseits könnte die Staatsführung „die
Schraube schwerlich zurückdrehen“, sie müsste sich auf die Kritik ihrer
Bürger einstellen und eine „Vielzahl von Meinungen“ zulassen.
Andererseits werde ihr langfristig keine andere Möglichkeit bleiben,
als ihren Bürgern auch „jenseits“ der Mauer die Chance zu einer
Erprobung ihres Selbstbewusstseins zu geben. (Zeit, 10.08.1973)
6. Die ostdeutsche Rezeption der X. Weltfestspiele: Ergebnisse des
Politbüros, der Staatssicherheit und des Zentralinstituts für
Jugendforschung relativieren die West–Wahrnehmungen
Die ostdeutsche Auswertung der X. Weltfestspiele stand in den
wesentlichen Punkten der Frage der Nation, der Neigung zu einer
Wiedervereinigung, des damit verbundenen Eigenstaatsbewusstsein der
DDR-Bürger und der Bereitschaft zur Abgrenzung von der Bundesrepublik
und der Sozialdemokratie in einem starken Gegensatz zu den überwiegend
positiven Ergebnissen der westdeutschen Medien und der konservativen
und sozialdemokratischen Delegation.
Schon in der Vorbereitungsphase deutete sich an, dass die
Entspannungspolitik der SPD unter den potentiellen Teilnehmern des X.
Festivals eine größere Wirkung entfaltet hatte, als es der SED lieb
sein konnte. Die Inhalte der Regierungserklärung Willy Brandts
(18.01.1973) und des Grundlagenvertrages nährten die Hoffnung auf eine
Erleichterung des Reiseverkehrs zwischen beiden deutschen Staaten und
eine baldige deutsche Wiedervereinigung und ließen das Feindbild von
der sogenannten „imperialistischen BRD“ dahinschmelzen. Die Führung der
SED und FDJ hatte erhebliche Schwierigkeiten, ihre Lesart der
„friedlichen Koexistenz“, aus der keine „ideologische Koexistenz“
resultieren durfte, durchzusetzen.
Aus einer Rede auf dem Lehrgang des Zentralrats für die
Bezirksdelegationsleitungen und 500er-Blockleiter Ende Mai 1973, nur
zwei Monate vor Beginn des Festivals, kam eine pessimistische Bilanz
der ideologischen „Sattelfestigkeit“ der Teilnehmer zum Ausdruck.
„Viele Jugendliche verstehen den Zusammenhang zwischen der Politik
der friedlichen Koexistenz und der Verschärfung des Klassenkampfes
zwischen Sozialismus und Imperialismus nur ungenügend. Die
sozialdemokratischen Parolen vom ‚Recht auf Selbstbestimmung aller
Deutschen’, von der ‚Einheit der deutschen Nation’, vom ‚Austausch
freier Ideen’ und ähnlichem werden nicht immer als konterrevolutionäres
Programm des imperialistischen Gegners erkannt.“ /21/
Einen Monat später bekam der erste Sekretär des Zentralrats der FDJ,
Günter Jahn, alarmierende Briefe von den Bezirkssekretären der
zentralistischen Jugendorganisation aus Erfurt, Gera, Frankfurt/Oder
und Wismut. Sie berichteten von Unstimmigkeiten und Kontroversen über
die Positionen der FDJ zur „friedlichen Koexistenz“, dem Besuch
Breschnews in der Bundesrepublik und den USA, den Verhandlungen
Honeckers mit Wehner (30. Mai 1973), der Wehrpflicht, der
Wiedervereinigung und dem Verhältnis zur Sozialdemokratie. Die
Diskussionen betrafen die Innenpolitik der DDR, das deutsch-deutsche
Verhältnis und die bundesdeutsch-sowjetischen Beziehungen.
Bei allen Streitgesprächen spielte die ostdeutsche Interpretation der
„friedlichen Koexistenz“ die Schlüsselrolle. Nach der offiziellen
Lesart war diese von der DDR der Bundesrepublik „aufgezwungen“ worden
und musste von ihr akzeptiert werden, da Westdeutschland auf Grund
einer weltweiten Verschiebung des Mächteverhältnisses zum Vorteil des
Sozialismus in die Defensive geraten war. /22/ Die proklamierte
„Überlegenheit“ des Sozialismus rief Fragen und Schlussfolgerungen
hervor, die den Bezirksleitern der FDJ missfielen.
In Erfurt entstand eine Diskussion über die Notwendigkeit der
Verteidigungsbereitschaft, die in „dem bisherigen Maße“ nunmehr für
unnötig gehalten wurde. /23/ Die Führungskader der Festivaldelegation
des selben Bezirkes äußerten Unverständnis über den Besuch Breschnews
in der Bundesrepublik (18.5.1973), es fiel ihnen schwer zu verstehen,
warum mit kapitalistischen Ländern verhandelt wurde, obwohl der
Sozialismus doch angeblich in der Offensive gewesen war.
Die schärfste Kritik rief der Anteil der eigenen Regierung an der
Entspannungspolitik hervor. In Erfurt und Gera fanden die Verhandlungen
und Begegnungen Honeckers mit Wehner (30.5. -31.5. 1973) und Brandts
mit Breschnew ein zweigeteiltes Echo. Die Einen zeigten wenig
Verständnis dafür, dass trotz einer inneren Abgrenzung zur
Bundesrepublik Verhandlungen mit derselben geführt wurden und sahen in
den Gesprächen ein Verstoß gegen die offizielle Linie der Partei, die
Sonderbeziehungen zwischen beiden Staaten verneinte. (SAPMO-BArch,
DY24/9143)
In Gera wurde der Besuch Breschnews als Ergebnis des „großen Beitrages“
gewertet, den Willy Brandt für den Entspannungsprozess geleistet hätte.
Ein Teil der FDJler in Erfurt ging sogar davon aus, dass es zu einer
„schrittweisen Wiedervereinigung“ kommen würde. Eine große Rolle bei
der positiven Einschätzung der Entspannungspolitik spielte die
Bewertung der sowjetischen Position. Diese wurde im Gegensatz zur
eigenen Politik, die als inkonsequent angesehen wurde, als elastischer
und konstruktiver eingeschätzt.
„Genosse Breschnew hätte von der Verbesserung der Beziehungen mit
der BRD gesprochen, wir würden jedoch die Abgrenzung in den Vordergrund
stellen.“ /24/
In Gera erhoffte man sich als Ergebnis dieser Politik das
Zustandekommen des Reiseverkehrs in das „kapitalistische Ausland“. Der
Bericht des Bezirkssekretärs von Frankfurt/Oder ergab, dass innerhalb
der Auswahl der dortigen Festivaldelegation die Frage der
DDR-Nationalität im Sinne der SED-Linie nicht geklärt war. Es
existierte die Auffassung, dass die Nationsfrage solange ungelöst war,
wie es zwei deutsche Staaten gab. /25/ Die Bezirksleitung Wismut hatte
mit der Wirksamkeit der sozialdemokratischen Ostpolitik zu kämpfen. Die
Losungen der SPD wie beispielsweise über den „freien Austausch von
Ideen“ fielen auf fruchtbaren Boden, so dass der Bezirkssekretär Fritz
Fischer eingestehen musste, dass von „vielen Jugendlichen“ eine
Annäherung beider Gesellschaftssysteme für möglich gehalten wurde. Er
führte diese Einsicht darauf zurück, dass die sozialdemokratische
Politik nicht mehr als imperialistische Politik durchschaut würde. /26/
Obwohl sich die ideologische Vorbereitung auf diese kritischen Punkte
konzentrierte, der „Nymbus“ Brandts gezielt zerstört werden sollte und
die ostdeutsche Interpretation des Grundlagenvertrages als endgültige
Bestätigung der deutschen Zweistaatlichkeit immer wieder unterstrichen
wurde, konnte sich die Abgrenzungspolitik der DDR gegenüber der
Bundesrepublik bei den Teilnehmern nicht behaupten. /27/
Aus einer Studie des Zentralinstituts für Jugendforschung (ZIJ) geht
hervor, dass deutlich weniger als die Hälfte (42 %) der befragten
Teilnehmer die Notwendigkeit einer weiteren vollständigen Abgrenzung
von der „imperialistischen BRD“ „vollkommen“ befürworteten. /28/ Bei
einem Fünftel (21 %) der 8100 interviewten Jugendlichen, von denen
etwas mehr als ein Drittel (2800) an den Weltfestspielen teilgenommen
hatten, stieß die Abgrenzung auf Ablehnung. Die überwiegende Mehrheit
(77 %) aller Befragten befürwortete eine Vereinigung zwischen der DDR
und der Bundesrepublik. Etwa zwei Drittel gingen allerdings davon aus,
der daraus entstehende Staat hätte ein sozialistisches System, ein
Drittel hielt es für möglich, dass er die Merkmale beider Systeme
tragen würde.
Die von den westdeutschen Medien vielfach hervorgehobene
Diskussionssicherheit der FDJler stellte sich in deren Eigensicht
weniger überzeugend dar. Von den 2800 befragten Festivalteilnehmern
gaben nur etwas weniger als 100 an, sich mit Vertretern
sozialdemokratischer, „offen reaktionärer“ und maoistischer
Auffassungen „auf jeden Fall“ erfolgreich auseinandersetzen zu können.
(WFS III., S. 129) Nur 59 % Teilnehmer fühlten sich in der Lage, die
Frage, warum es keine „einheitliche Nation“ gibt, „sehr sicher“ in
Argumentationen begründen zu können. Ein Fünftel (ca. 20%) aller
Befragten konnte sich nicht erfolgreich in dieser Thematik
auseinandersetzen. Warum der „Sozialdemokratismus“ eine
„antikommunistische Ideologie“ sein sollte, konnten von denjenigen, die
meinten, sich auf „jeden Fall“ erfolgreich mit Vertretern
sozialdemokratischer Auffassungen auseinandersetzen zu können,
lediglich 36 % erklären. (WFS III., S. 126)
Die „Weiteren Schlussfolgerungen aus der Durchführung der X.
Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ des Politbüros übernahmen fast
wortwörtlich das negative Resümee des Leipziger Jugendinstituts zur
Entwicklung des Feindbildes bei den ostdeutschen Jugendlichen:
„Die Parolen des Gegners von der angeblich weiterbestehenden
‚Einheit der Nation’ und den ‚besonderen Beziehungen’ zwischen der DDR
und der BRD bleiben bei einem Teil der Jugendlichen nicht wirkungslos.
Vielen Jugendlichen fällt es noch schwer, das reaktionäre Wesen des
Imperialismus zu erkennen, wenn es durch eine raffinierte Propaganda
verschleiert wird.“ /29/
Von dieser Problematik abgesehen, fiel der Grundtenor des, unter der
Leitung des Politbüromitgliedes und Sekretärs des ZK der SED Paul
Verner verfassten Papiers überwiegend positiv aus. Der Bericht ergab,
dass sich sowohl die „Einstellung der Jugend zur DDR“ als auch der
„Stolz auf die sozialistischen Errungenschaften“ stabiler entwickelt
hatten. Beides wurde aber nicht auf die unmittelbare Wirkung der
Weltfestspiele, sondern auf die Friedenspolitik von SED und Regierung,
die Erfolge der Außenpolitik, die wirtschaftliche Entwicklung, die
soziale Sicherheit und die guten Bildungsmöglichkeiten zurückgeführt.
Demgegenüber räumten die Politbüromitglieder Siegfried Lorenz und
Albert Norden den Weltfestspielen eine ungleich höhere Bedeutung für
die politische Bewusstseinsbildung der Jugendlichen ein. Lorenz, Leiter
der Abteilung Jugend des ZK der SED und Mitglied des Parteistabes „X.
Festival“, wertete das Ereignis als „großen politischen Erfolg“ der
DDR. Er ging davon aus, dass sich das weltweite Ansehen des „Arbeiter-
und Bauern-Staates“ mitsamt seiner „sozialistischen Metropole“ erhöht
hatte und meinte, die „internationale Autorität“ der DDR, die sich
während der Veranstaltung gezeigt habe, hätte dazu verholfen „alles
revanchistische Gerede von der ‚Einheit’ der Nation (...) beiseite zu
schieben.“ An die Adresse der Bundesrepublik gewandt, forderte Lorenz:
„Angesichts des Selbstbewusstseins, der echten Begeisterung der
Jugendlichen der DDR und der Freizügigkeit und Toleranz, die in Berlin
zutage traten, müsse man im Westen von alten Klischee-Vorstellungen
über die innere Stabilität des Regimes in der DDR und über die
politische Haltung ihrer Jugend Abschied nehmen.“ /30/
Norden wertete das Festival als „überzeugenden Ausdruck des gewachsenen
Bewusstseins der Jugend der DDR“. Mit Freuden stellte er fest, die FDJ
habe „mit der erfolgreichen Vorbereitung und Durchführung der
Weltfestspiele eine große Bewährungsprobe bestanden und sich als
starke, optimistische, vorwärtsdrängende und fest mit dem Sozialismus
verbundene Kraft erwiesen.“ /31/
Die Quintessenz des Staatssicherheitsdienstes entsprach im Wesentlichen
derjenigen des Politbüros, mit einem kleinen Unterschied. Der 2.
Sekretär der SED Kreisleitung des MfS, Horst Felber, räumte ein, dass
man innerhalb des Nachrichtendienstes nicht mit einem derart
durchschlagenden Erfolg der FDJ gerechnet hatte.
„Wer konnte vorher annehmen, dass unsere FDJ eine solche politische
Schlagkraft entwickeln und diese ideologische Schlacht so erfolgreich
bestehen würde, wie es sich in diesen Tagen dann wirklich zeigte.
Natürlich waren wir keine Pessimisten. Wir haben alles für diesen
Erfolg getan und fest an ihn geglaubt. Aber das Ausmaß und der
tatsächliche Erfolg waren so nicht vorauszusehen.“
Im Rückblick machte Felber die innere Stabilität der DDR für das
„Scheitern gegnerischer politischer Kräfte“ verantwortlich und gestand
den teilnehmenden ostdeutschen Jugendlichen zu, sich „glänzend“ bewährt
zu haben. Aus den offenen Bekenntnissen der FDJler zur Führung von
Partei und Regierung in Konfrontationen mit politisch Andersdenkenden
leitete der Staatssicherheitsbedienstete eine gestiegene „patriotische
und internationalistische Haltung“ ab. /32/
Das Gesamtergebnis der Aktion „Banner“ zu den sogenannten
„feindlich-negativen Handlungen/Vorkommnissen“ in der DDR während der
Weltjugendfestspiele war erstaunlich. Im Vergleich zu anderen in ihrem
Aufwand ebenbürtigen, operativen Aktionen, wie jene zum 20. Jahrestag
der DDR (Aktion „Jubiläum“) und dem VIII. Parteitag der SED (Aktion
„Meilenstein“) war die Anzahl der registrierten politischen
Zwischenfälle sehr gering. Aus der „Gesamteinschätzung“ der Aktion
„Banner“ geht hervor, dass während der Vorbereitung und Durchführung
des Festivals keine „Vorkommnisse“ registriert wurden, die die
Sicherheit und Ordnung ernsthaft gefährdeten. Die politisch-operative
Lage war in Ost-Berlin und allen Bezirken der DDR normal und stabil
gewesen. Festgestellte „feindliche Handlungen“ waren
Einzelerscheinungen ohne besondere „Gesellschaftsgefährlichkeit“ und
traten nicht konzentriert auf. Von den 73 registrierten „Vorkommnissen“
fielen 38 auf Ost-Berlin und 35 auf die Bezirke der DDR. Die fünf Fälle
„staatsfeindlicher Hetze“ wurden, unter Berücksichtigung der für die
Zeit des Festivals festgelegten Toleranzgrenze, als niedrig
eingeschätzt. /33/
7. Fazit
Die Auswertung der Artikel, Reden, Ost-West-Begegnungen und
Festivalberichte der bundesdeutschen Politiker und Journalisten hat bei
den linksliberalen und sozialdemokratischen Presseorganen und den
Jugendorganisationen von CDU und SPD einen begrenzten Wandel des
bundesrepublikanischen Verhältnisses zur DDR und zur Frage der Nation
ergeben. Anhand der West-Wahrnehmungen der DDR während der X.
Weltfestspiele konnte gezeigt werden, dass nach dem Abschluss des
Grundlagenvertrages die Bereitschaft zu einer Akzeptanz der
SED-Herrschaft anstieg. Sie war verbunden mit einer abnehmenden Tendenz
zur kritischen Auseinandersetzung mit dem politischen System in
Ostdeutschland.
Die West-Wahrnehmungen waren weiterhin ein Ausdruck dafür, dass sich
die Neigung zur einer Abkehr vom Staatsziel einer Wiedervereinigung
Anfang der siebziger Jahre verstärkte und auch auf Parteien und
Presseorgane ausweitete, die Mitte der sechziger Jahre noch an der
Vorstellung von „einer“ deutschen Nation festhielten. Obwohl kein
Politiker und Journalist im Zusammenhang mit der DDR von der
Herausbildung einer Nation oder eines Nationalbewusstseins sprach,
waren die benutzten Begriffe zur Charakterisierung des Verhältnisses
der DDR-Bürger zu ihrem Staat ein Anzeichen dafür, dass die
Einschätzung einer beginnenden „Bi-Nationalisierung“ im geteilten
Deutschland weit verbreitet war.
Die Bereitschaft zu einer zunehmenden Akzeptanz des „SED-Staates“ und
das Erkennen einer „DDR-Identität“ zeigte sich wesentlich stärker bei
der bundesrepublikanischen Publizistik als in der sozial- und
christdemokratischen Delegation der Jugendvertreter. Werden die
Maßnahmen der Staatssicherheit und der FDJ zur ideologischen
Vorbereitung des Festivals und die Ergebnisse des ZIJ, die einen
starken Einheitswillen der ostdeutschen Teilnehmer verzeichneten und
von einer abnehmenden Bereitschaft der Akzeptanz des SED-Feindbildes
von der „imperialistischen BRD“ sprachen, bei einer Bewertung der
West-Wahrnehmungen in Rechnung gestellt, so ist davon auszugehen, dass
die West-Wahrnehmungen wesentlich stärker von Wunschdenken und
Vorurteilen gegenüber der DDR geleitet waren als von einem Einblick in
die tatsächliche innenpolitische Situation Ostdeutschlands.
Die entspannungspolitische Vorstellung, dass eine Liberalisierung der
DDR eine Anerkennung des ostdeutschen Staates voraussetzt, führte nicht
nur bei den linksliberalen und sozialdemokratischen Medien zu einem
schönfärberischen Bild von der DDR, in dem kritische Bürger nur am
Rande vorkamen, die Frage des Bestehens einer deutschen Nation
weitgehend ausgeklammert war und dem politischen System ein „Schein von
Legitimität“ durch die Betonung der engen Bindung zwischen Staat und
Bürger verliehen wurde. (Knabe 2001, S. 414)
Es hat sich gezeigt, dass auch die „FAZ“, die nach Hacker seit 1969
nicht das Ziel der Herstellung der staatlichen Einheit aus dem Auge
verloren haben soll (Hacker 1992, S. 317), zusammen mit der „Zeit“, der
„Westdeutschen Allgemeinen“ und der „Süddeutschen Zeitung“ zu der
Gruppe der bundesrepublikanischen Zeitungen gehörte, die am
wohlwollendsten aus Berlin über die „kommode Diktatur“ (Grass 1995)
berichteten, die „Festivalfreiheit“ als Auftakt einer beginnenden
Liberalisierung der DDR ansahen und im Gegensatz zu „Spiegel“,
„Frankfurter Rundschau“ und „Welt“ dazu bereit waren, Anzeichen der
Herausbildung einer sozialistischen Nation zu verzeichnen.
Anhand der Auswertung der wenigen Quellen der sozialdemokratischen
Delegation wurde ersichtlich, dass, wie bei der Mehrheit der
ausgewerteten linksliberalen Presseorgane, die Bereitschaft der
sozialdemokratischen Teilnehmer zu einer Akzeptanz des politischen
Regimes der DDR größer war, als das Festhaltens an der Vorstellung der
Existenz einer Nation im geteilten Deutschland. Bei einer
Gesamteinschätzung dieser Delegation dürfen jedoch nicht nur das
„Vergaloppieren“ Roths auf dem Bebelplatz und das Verhalten Hansens im
Gespräch mit Honecker berücksichtigt werden. Aus der
Medienberichterstattung und den persönlichen Gesprächen mit Voigt und
Roth ging hervor, dass die Jungsozialisten während der X.
Weltfestspiele in Seminaren und in Diskussion außerhalb der offiziellen
Veranstaltung die freiheitlichen Grundsätze der Bundesrepublik
ausdrücklich verteidigten. Sie unterstützten die Teilnahme von
Oppositionellen und ermöglichten Christdemokraten den Besuch der X.
Weltjugendfestspiele, der wiederum Vorraussetzung der Darstellung der
konservativen Kritik an der DDR in der DDR war.
Das Auftreten der konservativen Festivalteilnehmer ließ keine Anzeichen
einer zunehmenden Akzeptanz des politischen Systems der DDR erkennen,
auch konnte nicht die Bereitschaft zu einer Abkehr von der Vorstellung
einer deutschen Nation festgestellt werden. Es ist dennoch notwendig
hervorzuheben, dass die deutsche Frage in Flugblättern und Diskussionen
der Mitglieder der Nachwuchsorganisation der Union einen geringeren
Stellenwert einnahm als die Kritik an der Freizügigkeit der DDR und aus
den persönlichen Berichten der Jungpolitiker die Bereitschaft eines
Registrierens von DDR-Bewusstsein zu erkennen war, die jedoch nicht so
weit ging, den Ostdeutschen ein eigenes Nationalbewusstsein zu
unterstellen. Diese Tatsache legt den Schluss nahe, dass die Junge
Union im Gegensatz zum rechten Flügel ihrer Partei, in Ost-Berlin
repräsentiert durch Rollmann, dazu willens war, der Realisierung des
Selbstbestimmungsrechtes der Ostdeutschen die Wiederherstellung der
staatlichen Einheit Deutschlands unterzuordnen.
Die West-Wahrnehmungen von der DDR während der X. Weltfestspiele waren
ein Ausdruck dafür, dass im Kontext der Entspannungspolitik der
sozialliberalen Koalition, des Grundlagenvertrages und der
internationalen Anerkennung der DDR die Bereitschaft in der
Bundesrepublik zur Akzeptanz der DDR und damit der deutschen Teilung
gewachsen war. So unterschiedlich auch die Motive für eine gewandelte
Sicht der DDR und der deutschen Frage bei den westdeutschen
Korrespondenten und Politikern waren, sie liefen doch auf ein Ergebnis
hinaus: Die deutsche Frage geriet bei den untersuchten westdeutschen
Parteien und Presseorganen ins Hintertreffen. Die Bundesrepublik blieb
das „Feinliebchen“ der DDR-Bürger, die nach wie vor an der Vorstellung
einer Wiedervereinigung festhielten. Die DDR war für die
bundesdeutschen Presseorgane und Parteien ein Partner geworden, dessen
Eigenständigkeit man trotz Kritik akzeptierte, auf dessen
Liberalisierung und Demokratisierung man hoffte und zu dem man
gut-nachbarschaftliche Beziehungen pflegen wollte. Ein besonderes
Verhältnis, das zu einer Vereinigung führen konnte, so ist zumindest
das Ergebnis der Auswertung der West-Wahrnehmungen während des X.
Festivals, wurde Anfang der siebziger Jahre nur noch von wenigen
angestrebt.
8. Anmerkungen und Literatur
Anmerkungen
/1/ SAPMO-BArch, DY 24/8163, Stenographisches Protokoll der 9. Tagung
des Zentralrates der FDJ vom 16.10. 1973, Referat des 1. Sekretär der
FDJ Günther Jahn, Die Aufgaben der Freien Deutschen Jugend nach den X.
Weltfestspielen und in Auswertung der 10. Tagung des ZK der SED, Bl. 35.
/2/ „Entschließungen zur Deutschland- und Ostpolitik. Bundeskongreß der
Jungsozialisten in der SPD, Mainz 1967“, in: Die Andere Zeitung,
04.01.1968.
/3/ Berichterstattung aus der DDR in den siebziger/achtziger Jahren:
Frieden, innerdeutsche Beziehungen, Freiheit und Menschenrechte, in:
Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und
Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Frankfurt/Main 1995, S. 658.
/4/ Aufruf des IVK nach der Tagung in Sofia (19.-20.1.1972), in:
Zentralrat der FDJ (Hg.), Geschichte der Weltfestspiele der Jugend und
Studenten (Kurzdokumentation der Abteilung Agitation), Berlin 1973, S.
18.
/5/ BStU, MfS HA IX, Nr. 5355, Auszüge aus Berichten der HA K,
Verhinderung von Reisen negativer Personen in die Hauptstadt (Punkt 5),
Bl. 1-2.
/6/ BStU, MfS 4853 ZAIG, Einführende Bemerkungen zur Informierung über
den „Gesamtplan der Maßnahmen zur Gewährleistungen der Sicherheit
während der X. Weltfestspiele“, erarbeitet von den Ministerien des
Inneren, der Nationalen Verteidigung und der Staatssicherheit, am 25.
Juni von Honecker bestätigt, Bl. 3. Unter den „negativen Personen“
verstand man besonders ehemalige jugendliche Strafgefangene, die sich
in Berlin treffen wollten, Ibid., Bl. 7.
/7/ BStU, MfS-HA PS 1007, Schulungsmaterial zur Vorbereitung der
Angehörigen der Hauptabteilung PS auf die Aktion ‚Banner’, Mai 1973,
Bl. 44.
/8/ SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/14323/1, Zu einigen Fragen der X.
Weltfestspiele in der BRD und in Westberlin – Schlußfolgerungen und
Konsequenzen für ihre weitere Vorbereitung und Durchführung,
21.05.1972, Bl. 2.
/9/ BStU, MfS-HA PS 1007, Schulungsmaterial zur Vorbereitung der
Angehörigen der Hauptabteilung PS auf die Aktion ‚Banner’, Mai 1973,
Bl. 18.) (SAPMO-BArch, DY 30/vorl. SED/14323/1, Zu einigen Fragen der
X. Weltfestspiele in der BRD und in Westberlin – Schlussfolgerungen und
Konsequenzen für ihre weitere Vorbereitung und Durchführung,
21.05,1972, Bl. 8.
/10/ Unter der „Doppelstrategie“ verstanden die Jusos die Durchsetzung
des „demokratischen Sozialismus“ in der Verbindung von
außenparlamentarischer Mobilisierung mit institutionellen Reformen.
Fenner 1977, S. 75.
/11/ „Zum Verhältnis von Sozialdemokratie und Kommunismus“
(Entschließung des Parteirats vom 26. Februar 1971), in: Vorstand der
SPD (Hg.) Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
1970-72, Bonn 1973, S. 558-559.
/12/ SAPMO-BArch, DY30/ J IV 2/2 J – 4862, Information über ein
Gespräch von Vertretern der FDJ-Fraktion der Volkskammer der DDR mit zu
den X. Weltfestspielen anwesenden Abgeordneten des Bundestages der BRD,
ohne Datum, Bl. 2.
/13/ Hansen wird vermutlich die linken SPD-Abgeordneten gemeint haben.
/14/ ADCP, Landesverband Berlin, III-12-1707, Brief von Heinz-Viktor
Simon an die Mitglieder der JU Steglitz und die Mitglieder des
Kreisvorstandes der CDU sowie an die Delegierten und Ersatzdelegierten
der Ortsverbände zum Kreisparteitag, 22,08,1973, Bl. 3.
/15/ ADCP, Landesverband Berlin, III-12-A1707, Deshalb nehmen wir an den 10. Weltfestspielen teil.
/16/ BStU, MFS-AS, Nr. 432/73, Bd.2, Sicherheitskonzeption.
Arbeitsgruppe Ausländische Festivalteilnehmer, Bereich II, Referat 2,
Berlin 4.7.1973, Bl. 6.
/17/ Die Aufzeichnungen der Staatssicherheit zeugen von einer
besonderen Attraktivität der Konservativen auf die sogenannten
„negativen Personen“. „Im Verlauf der X. Weltfestspiel wurde eine
steigende Tendenz der Anzahl bekanntgewordener Kotaktaufnahmen
negativer Jugendlicher der DDR zu Angehörigen der BRD-Delegation bzw.
zu Bürgern der BRD und Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West)
die sich in der Hauptstadt der DDR aufhielten, sichtbar. Obwohl sich
das negative bis feindliche Auftreten solcher Jugendlicher im Rahmen
von Diskussionsgruppen, insbesondere wenn in diese Mitglieder der
‚Jungen Union’ einbezogen waren, bis zum Abschluß der X. Weltfestspiele
zugenommen hatte, haben sich diese Aktivitäten nicht zu einem
Schwerpunkt entwickelt. Die Mehrzahl der DDR-Jugendlichen konnte
identifiziert werden, Maßnahmen zur weiteren Aufklärung und Bearbeitung
werden durch die zuständigen operativen Diensteinheiten eingeleitet.“
BStU, MfS-ZAIG 13644, Gesamteinschätzung der feindlich-negativen
Handlungen bzw. Vorkommnisse in der Hauptstadt und in den Bezirken der
DDR in Vorbereitung und Durchführung der X. Weltfestspiele, ohne Datum,
Bl. 21.
/18/ Die Auswertung der westdeutschen Zeitungen und Akten der
Konrad-Adenauer-Stiftung ergaben, dass kein anderes Mitglied der CDU
öffentlich derart stark das Ziel einer Wiedervereinigung vertrat.
/19/ ADCP, Junge Union, IV-007-153/1, A310, Kroll Schlüter, 10.
Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ostberlin vom 28. Juli – 5.
August 1973, 01.11.1973, Bl. 17-18.
/20/ ADCP, Junge Union, IV-007-153/1, A310, Kroll-Schlüter, Hermann,
10. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ostberlin vom 28. Juli –
5. August 1973, 07.11.1973, Bl. 17 ff.
/21/ SAPMO-BArch, DY 24/E 14620, Die Aufgaben der Freien Deutschen
Jugend bei der unmittelbaren Vorbereitung der X. Weltfestspiele der
Jugend und Studenten in Berlin, Der Hauptstadt der DDR, Rede auf dem
Lehrgang des Zentralrates der FDJ am 22. Mai 1973 an der
Jugendhochschule Wilhelm Pieck, Verfasser unbekannt, Bl. 12-16.
/22/ SAPMO-BArch DY 24/8585, Argumentationshinweise für die
Mitgliederversammlung der FDJ im März 1973 zum Thema: „Die
Überlegenheit unser sozialistischen Ideologie in der
Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus“, ohne
Datum, Bl. 4.
/23/ SAPMO-BArch, DY24/9143, Brief des Bezirkssekretärs Klaus D.
Waschau der Bezirksleitung der FDJ an Günther Jahn vom 7. Juni 1973,
Bl. 4.
/24/ SAPMO-BArch, DY 24/9143, Zu einigen Fragen der Führungstätigkeit
im Monat Mai, besonders in der Auswertung des Lehrganges an der
Jugendhochschule (von Kurt Zahn, Gera, 6.6.1973, Bl. 10.
/25/ SAPMO-BArch, DY 24/9143, Persönliche Information an den 1.
Sekretär des Zentralrates der FDJ (ohne Autor), Frankfurt/Oder, Mai
1973, Bl. 4.
/26/ SAPMO-BArch, DY 24/9143, Bericht der Gebietsleitung Wismut von Fritz Fischer vom 7.6.1973, Bl. 6.
/27/ „Wir müssen unsere Jugendliche auf die X. Weltfestspiele so
vorbereiten, daß die Jugend der DDR gegen Brandts Nymbus auftritt.
(...) Dabei gilt es auch den Nymbus Brandt zu zerstören. Solche Fragen
wie: Ist denn Franco nicht schlimmer als Brandt? oder Wenn wir unseren
Jugendlichen den Vorschlag unterbreiten würden Nixon den
Friedensnobelpreis zu verleihen, so würde das nur Lachen auslösen. Aber
mit Brandt ist dem Imperialismus gelungen, ihn mit einem Heiligenschein
zu umgeben, der zwar nicht ewig währen wird, den wir aber in der
ideologischen Arbeit beachten müssen.“ BStU, MfS SED – KL 1106,
Aufzeichnung von einer Beratung des Leiters der Abteilung Jugend beim
ZK der SED, Genossen Siegfried Lorenz, mit den Leitern der Kommissionen
für Jugend und Sport bei den Bezirksleitungen der SED, 1.1.1973, Bl.
142 ff.
/28/ Zentralinstitut für Jugendforschung (Hg.), Jugend und
Internationalismus. Untersuchungen zum Entwicklungsstand des
sozialistischen Internationalismus der DDR-Jugend. Festivalstudie III,
Leipzig, November 1973. (Konzeption: Dr. Peter Förster), Tabelle 11, S.
38 u. 39.
/29/ SAPMO-BArch, DY30/vorl. SED/14349, Weitere Schlußfolgerungen aus
der Durchführung der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten,
Beschluß des Politbüros vom 9. Oktober 1973, Bl. 4-5, WFS III., S. 145.
/30/ SAPMO-BArch, DY 30/vor. SED/18052, Siegfried Lorenz,
Hauptergebnisse der X. Weltfestspiele. In: Abschließende Informationen
über die Arbeit des Ministerrates und seiner Organe zur Unterstützung
der Durchführung der X. Weltfestspiele, 06.08.1973, Bl. 3-4; 23-24.
/31/ SAPMO-BArch, DY30/IV 2/1/478, Bericht des Politbüros, formuliert
von Albert Norden zur 10. Tagung des Zentralkomitees am 02.10.1973, Bl.
40-41.
/32/ BStU, MFS-SED – KL 3788, Referat des Genossen Felber zur Anleitung
des 1. Sekretärs der Parteiorganisation/Grundorganisation der SED am
20.08.1973, Bl. 16-17; 3-4.
/33/ BStU, MfS-ZOS 1173, „Gesamteinschätzung der feindlich-negativen
Handlungen bzw. Vorkommnisse in der Hauptstadt und den Bezirken der DDR
in Vorbereitung und Durchführung der X. Weltfestspiele“.
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