KULTURATIONOnline Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik
Nr. 24 • 2021 • Jg. 44 [19] • ISSN 1610-8329
Herausgeberin: Kulturinitiative 89
 Start  Reports  Themen  Texte  Zeitdokumente  Kritik  Veranstaltungen 
 Editorial  Impressum 


ThemaKulturation 2/2004
Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn: Kultur
Dieter Segert
Staatssozialismus als gemeinsames und trennendes Erbe der ostmitteleuropäischen Gesellschaften
Beitrag auf der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn - wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen Situation" im Februar 2004
Beitrag auf der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn - wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen Situation" im Februar 2004

Beginnen möchte ich mit einer persönlichen Reflexion. Ich kann da nicht umhin, nachdem Herr Wojciechowski hier sein Leben reflektierte, blicke auch ich an einem Punkt auf meines zurück, nämlich auf meine Beziehung zu diesem Raum. Ich bin an diese Universität 1970 gekommen, da habe ich begonnen zu studieren und zwar Marxistisch-Leninistische Philosophie und diesen Raum – den Senatssaal - kenne ich natürlich gut. Der sieht noch fast genauso wie früher, bloß diese Büsten hier am Rand sind, wenn ich mich recht erinnere, neu und diesen etwas merkwürdigen Teppich dahinten kenne ich auch nicht so richtig.

Ich möchte mich an zwei Dinge erinnern: In diesem Raum stehe ich jetzt - in immerhin fünfunddreißig Jahren - zum dritten Mal in einer Rednerposition. Schon das freut mich natürlich. Das erste Mal war es in einer Parteiversammlung der Sektion Marxistisch-Leninistische Philosophie, unter den Augen des Genossen Günter Schabowski. Damals war er ja noch Mitglied des Politbüros und Parteisekretär von Berlin und noch nicht der Aufklärer über die Scheußlichkeiten der DDR-Politbürokratie, der er nach 1989 geworden ist. In dieser Versammlung ging es darum, dass Günter Schabowski von Erich Honecker hergeschickt worden war, um zu schauen, ob sich nicht ein „Sumpf“ in dieser Parteiorganisation verbergen würde, denn es gab so verschiedene Gerüchte über Studenten, die Kritik äußerten an der Informationspolitik des Zentralkomitees und das sei doch alles ganz fürchterlich. Und ich durfte dann in dieser Parteiversammlung - es war ja alles organisiert in diesem Sozialismus - durfte also „organisiert“ etwas zum Praktikum der Studenten unserer Sektion im volkseigenen Betrieb Narva sagen.

Den gibt es ja heute auch nicht mehr, aber wir hatten uns damals im Betrieb umgeschaut, hatten Glühlampen produziert und untersucht, wie dort der Wettbewerb organisiert ist. Ohne dass ich jetzt allzu sehr abschweifen will, aber Günter Schabowski sagte dann nachher im kleineren Kreis, zu dem auch ich gehörte - Sie sehen also, ich gehörte gewissermaßen zum engeren Führungszirkel der Sektion - sagte Günter Schabowski dann: Ja, also ... (ich kann es leider nicht nachmachen, der berlinerte schrecklich) er hätte ja nicht zugehört, was die Leute hier gesagt haben. Er wüsste sowieso, das sei ja alles gestellt gewesen. Aber: in die Augen hätte er uns geschaut um zu sehen, ob das wahr ist, was wir sagen. Das war - fand ich damals für mich, der ich ja nun auch nicht ständig mit dem Politbüro verkehrt habe - doch ein interessantes Erlebnis.

Das zweite Mal stand ich hier im Jahre 1993, glaube ich. Da hielt ich meine Antrittsvorlesung genau von diesem Platz. Ich hatte damals eine C3-Professur befristet bekommen. Für die Befristung hatte der Berliner Senat gesorgt. Aber ich war ja immerhin einer der beiden Professoren mit DDR-Biografie, die noch unter den insgesamt 16 Hochschullehrern Fachbereichs Sozialwissenschaften waren. Eine ist sogar heute noch da.

Und das dritte Mal also heute. Und Sie sehen, man kommt nicht ganz drum herum, sich der eigenen Identität doch von Zeit zu Zeit zu vergewissern. Das berührt eben auch meinen Text. Der ist zwar nicht ganz durch eine „ostdeutsche Sicht“ geprägt, wie Uwe Rada in seiner Moderation vermutet hat, sondern, wie ich hoffe, durch eine osteuropäische Betrachtungsweise.

Damit will ich eine spezifische Identität andeuten, die sich bei mir herausgebildet hat. Wobei ich weder den Osten oder das Europäische allein betonen möchte, denn das gehört in meiner Sicht zusammen. Also: ich fühle mich OST-europäisch, aber europäisch ist das auch. Das damit verbundene Problem habe ich in meiner Überschrift formuliert: Der Staatssozialismus als gemeinsames und trennendes Erbe der ost-mitteleuropäischen Gesellschaften. Und nach dieser Vorrede halte ich mich nun an meinen Text und lese ihn vor, damit es schneller geht.

Wir alle wissen, ist Erben häufig mit Streit verbunden. Das ist beim gesellschaftlichen Erbe des Staatssozialismus nicht anders. Noch fünfzehn Jahre nach seinem Ende ist der Streit nicht verstummt. Er bildet eine wichtige Grundlage für den Parteienwettbewerb in Polen, Ungarn, Tschechien, auch in Deutschland, in Ostdeutschland, wenn man will. Noch eine Warnung vorweg: Ich will im Folgenden etwas von gestrigen Vorträgen abweichen, will nicht über harte Fakten, sondern von Interpretationen reden. Heute ist ja der Vormittag der Interpretationen und weichen Faktoren. Mir geht es weniger um die Analyse selbst als um Bewertungen, die die Art künftiger Analyse beeinflussen sollen.

Meine Aufmerksamkeit gilt zunächst der Analyse in der Sozialwissenschaft, aber sie ist letztlich auf einen sensiblen politischen Bereich gerichtet, den der Identität. Bezogen auf das Erbe des Staatssozialismus geht es im Folgenden weniger um materielle Güter als um die Biografie derer, die in ihm gelebt haben. Insofern handelt es sich - vor allem bezogen auf die Gruppe der Osteuropäer ab dem Geburtsjahrgang 1965 und älter - um einen Streit über die Deutung der eigenen Biografie, um Identitätsbestimmung.

Im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen steht eine Frage: Wie ist der Platz des Staatssozialismus in der Geschichte Ost-Mitteleuropas zu bestimmen? Diese Frage nährt sich aus der Erkenntnis von Paradoxien des Übergangs vom Staatssozialismus zum Postsozialismus. Paradoxien wachsen im Spannungsfeld von Analyse und Interpretation. Ich habe zunächst drei formuliert.

Von drei Paradoxien die erste: das Erbe einer eindeutig nicht demokratischen Ordnung erhöht die Chancen auf eine demokratische Entwicklung in der Region. Mir geht es da um die Chancen der Demokratie im Verhältnis zu 1918, 1945 und 1989. Ich beobachte und vermute, dass wir 1989 eindeutig größere demokratische Chancen haben. Und das ist meines Erachtens mit dem Staatssozialismus verbunden.

Zweitens: Aus dem uniformen Staatssozialismus entwickeln sich sehr verschiedene postsozialistische Gesellschaften.

Drittens: Die meisten Staatsparteien der Region, vormals Träger der Diktatur, sind heute zuverlässige Akteure von Wettbewerbsdemokratien. Zur Erinnerung: ich rede über Ost-Mitteleuropa.

Beim Lesen des sehr interessanten Sammelbandes des Hallenser Ethnologen Chris Hanis über den Postsozialismus, habe ich eine vierte Paradoxie gefunden: Die versuchte Umkehr vom landwirtschaftlichen Großbetrieb aus der Zeit vor 1989 zum natürlichen Typ des bäuerlichen Familienbetriebes scheiterte am Widerstand der ländlichen Bevölkerung selbst. Das ist von Ethnologen in Bulgarien und in Ungarn untersucht worden und es gibt dafür natürlich auch, scheint mir jedenfalls, obwohl ich kein Agrarspezialist bin, Belege aus anderen postsozialistischen Gesellschaften.

Diese Paradoxien erwachsen aus dem Spannungsfeld zwischen verbreiteten Erwartungen, die auf Überzeugungen fußen und den tatsächlichen Erfahrungen im praktischen Wandlungsprozess seit 1989.

In der politikwissenschaftlichen Theoriebildung wurden jene Überzeugungen, die gewissermaßen den Ausgangspunkt dieser Paradoxien bilden, im Theorem des Staatssozialismus als totalitärem System oder als totalitäre Diktatur kristallisiert. Das ist die Folie, die dem Vorhergesagten zugrunde liegt. Nur wenn man von diesem Theorem ausgeht, ist das, was da steht, eine Paradoxie, weil es einem eigentlich als nicht ganz möglich erscheint. Verbunden ist dieses Theorem mit einem geschichtlichen Verständnis der Entwicklung zwischen 1945 und 1989 als politisch erzwungene Abweichung vom natürlichen Pfad ost-mitteleuropäischer Tugend. 1989 wird andererseits als endlich ermöglichte Rückkehr zur Normalität begriffen. Nun sei die Geschichte wieder nach Ost-Mitteleuropa zurückgekehrt. Die eigentliche Tradition der betreffenden Gesellschaften liege in der Zeit davor. Entsprechend wurde durch die institutionsbildenden Eliten in diesen Ländern gehandelt. Die Verfassung der dreißiger Jahre wurde zugrunde gelegt für die Verfassungsbildung danach. Das trifft insbesondere auf die baltischen Staaten zu, in der das zum Teil auch direkt die Folie dann für die neue Verfassung wurde oder Übergangsverfassung zumindest. In Ungarn besann man sich auf die Regierungszeit von Miklós Horthy und Graf Bethlen. Die Slowakei begann sich auf die kurze Zeit eines – wenn auch vom Dritten Reich – abhängigen – eigenen Staates unter Josef Tiso zu besinnen, die erste tschechoslowakische Republik erstrahlte für die postsozialistische tschechische Öffentlichkeit in herrlichen Farben. Marschall Pi³sudski erschien in Polen uneingeschränkt denkmalswürdig. Um nicht missverstanden zu werden, will ich hier betonen, meine Gegenthese zu diesem historischen Possenspiel soll nicht etwa den Staatssozialismus in den Farben der DDR im goldenen Licht erstrahlen lassen. Mir geht es wissenschaftlich nur um die kritische Diskussion der Analyseinstrumente für einen wichtigen historischen Abschnitt der Region Ost-Mitteleuropa. Politisch geht es mir um die Einsicht, dass es problematisch ist, große Teile der eigenen Biografie einfach abzulegen, zu verdrängen oder gar umzubiegen.

Und inzwischen ist ja der Abstand zum Werteschock der Jahre 1989/90 auch groß genug, um Gelassenheit wieder einziehen zu lassen. Mir ist als studierter Philosoph die Eule der Minerva eingefallen, die in der Dämmerung zu fliegen beginnt. Wenn der Staatssozialismus aber mehr als nur eine omnipotente Herrschaftsstruktur und ein gesellschaftlich kulturelles Vakuum war und andererseits auch nicht das Himmelreich der Arbeiter und Bauern, was ist dann eigentlich sein Platz in der ost-mitteleuropäischen Geschichte?

Es handelt sich im Folgenden nur um eine grobe Skizze, die sich auf mein Buch "Die Grenzen Osteuropas" (Campus-Verlag Frankfurt, 2002) gründet (es liegt auf dieser Tagung leider nicht aus, weil ich nicht in der Lage war, auf meinen Wegen zwischen Bonn und Berlin das Buch zu beschaffen). Auch hier sind es selbstverständlich drei Punkte, wie bei allen, die an Hegel geschult sind. Aber es sind keine dialektischen Schritte, sondern es sind einfach drei Punkte dieser Skizze.

Erstens: Die staatssozialistischen Diktaturen sind als Reaktion auf Konflikte und Spannungen ihrer Zeit entstanden, die andere als die heutigen waren. Das klingt ein bisschen trivial, ist aber nicht so einfach und nicht so selbstverständlich. Um diese Diktaturen verstehen zu können, muss man an ihren historischen Ort zurückkehren. Im Anfang des Staatssozialismus war nicht schon sein Ende sichtbar. Man kann den Staatssozialismus keinesfalls allein von seinem Ende her verstehen. In Ost-Mitteleuropa standen am Beginn des sozialistischen Aufbruchs periphere kapitalistische Gesellschaften. Sie waren in Sozialstruktur, Wirtschaft, Kultur und Politik halbmodern und hinter denen Westeuropas zurückgeblieben und von ihnen abhängig. Ihre politische Kultur war nationalistisch dominiert. Sie waren 1945 vom Krieg mit seinen dramatischen Erfahrungen von Millionen Menschen gekennzeichnet. Staatssozialismus sollte zuerst als eine Antwort auf diese Situation verstanden werden. Das ist eine der Antworten damals. Er war ein Versuch, den Entwicklungsrückstand aufzuholen, der als die nationale Existenz bedrohend begriffen wurde. Der Marxismus-Leninismus wurde die Ideologie dieser nachholenden Modernisierung staatssozialistischer Prägung. Legitimität in breiteren Kreisen gewann die Diktatur aus dem genannten Umfeld. Staatssozialistische Diktaturen sind Entwicklungsdiktaturen, das verbindet sie mit ihren Vorgängern aus der Zwischenkriegszeit.

Zweitens: Die staatssozialistischen Diktaturen waren ursprünglich Unterschichtendiktaturen. Sie waren es bezogen auf ihr Führungspersonal ganz eindeutig, das waren bekanntlich mehrheitlich einfache Arbeiter, Handwerker und arme Bauern, also kleine Leute. Sie waren es auch deshalb, weil sie eine soziale Umwälzung realisierten, in denen das Unterste der Gesellschaft nach oben kam und das Oberste nach unten. Kommunisten kamen 1945 bis 1949 nicht nur mit Hilfe sowjetischer Panzer oder auf den Spitzen sowjetischer Bajonette an die Macht, sie waren nicht nur deshalb politisch erfolgreich, weil sie die Gewaltelemente besonders brutal einsetzten oder auch nicht nur durch ihre listige Salamitaktik, wie es ja damals hieß, sondern weil ihre Politik den damaligen Interessen und Hoffnungen von nicht kleinen Teilen der Bevölkerung entsprach. Landreform und Enteignung in der Industrie und in anderen Bereichen Kaderpolitik und Bildungsreform trugen klare soziale Farben. Es gab natürlich Verlierer dieser Reform. Abstiege ganzer sozialer Schichten, es gab aber eben auch soziale Aufstiege und Gewinner. Und das in erheblichem Ausmaß, also diese soziale Bewegung in der Gesellschaft von oben nach unten und von unten nach oben erfasste ziemlich große Teile der Bevölkerung, natürlich nicht alle. György Ránki und Iván T. Behrendt, zwei bekannte ungarische Wirtschaftshistoriker, schätzen den Umfang der von Auf- und Abstiegen direkt Betroffen auf zirka ein Viertel der Bevölkerung, aber das ist immerhin schon eine ganze Menge. Das prägte diese Gesellschaft nicht nur im Jahrzehnt nach 1945.

Nur nach 1989 gab es allenfalls wieder einigermaßen im Umfang vergleichbare Umwälzungen in unseren Gesellschaften. Der Staatssozialismus hatte anfangs durch diese soziale Ausrichtung die Unterstützung eines größeren Teils der Bevölkerung. Er stützte sich insofern nicht nur, wie die Totalitarismustheorie auch der sehr viel klügeren Ausrichtung von Hanna Ahrendt vermutet, auf Ideologie und Terror. Er stützte sich in erheblichem Maße eben auch auf Interessen der Bevölkerung.

Dritte These: Im Verlaufe der folgenden Jahrzehnte ergab sich dann ein umfassender, bisher immer noch zu wenig erforschter sozialer Wandel, der am Ende der achtziger Jahre dazu führte, dass die staatssozialistische Diktatur wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Zwischen diesem Anfang und dem Abgang gab es eben diese Differenz des Wandels. Das will ich eigentlich hier nur sagen. Ich denke, dass dieser Zusammenbruch - und das ist meine Interpretation, die natürlich widerlegt und bestritten werden kann - ich denke, dass dieser Zusammenbruch aus Ungleichzeitigkeiten und strukturellen Defiziten des spezifischen Modernisierungsweges dieser Staaten erklärt werden muss. Die Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre waren nur sehr begrenzt wirksam geworden. Strukturelle Funktionsdefizite der formellen Institutionen ließen sich nur noch in gewissem Maße durch informelle Netzwerke ausgleichen, der durch Modernisierung entstandene „kulturelle Überschuss“, das ist ein Begriff von Rudolf Bahro, scheuerte sich überall am engen Gehäuse der Parteidiktatur wund.

Der fast synchron und äußerlich gleich verlaufende Zusammenbruch der formellen Institutionen des Staatssozialismus legte aber sehr differenzierte und sich voneinander unterscheidende Gesellschaften frei. Bisher wissen wir nur eine Menge über die Unterschiede in der politischen Arena, die sind ja einfach sichtbarer. Es gab eben die polnische Solidarnoœæ als eine antikommunistische Massenbewegung eines ganzen Volkes oder doch zumindest erheblicher Teile desselben und es gab eben den rumänischen Umsturz, der offensichtlich in den Hinterstuben des Parteiapparates und wie man kürzlich in einem Fernsehfilm sehen konnte - ich weiß nicht, ob das so ganz belegt ist - durch starke äußere Unterstützung bedingt zustande kam. Also diese Unterschiede sind bekannt. Weniger bekannt, weniger in ihren historischen Wurzeln erforscht, ist die soziale Ausdifferenzierung, die nach 1989 überall sichtbar geworden ist. Ich siedle diese historischen Wurzeln der Ausdifferenzierung im Spätsozialismus an, einer Phase der Entwicklung, die etwa ab Ende der fünfziger Jahre einsetzt. Es handelt sich dabei um nicht intendierte Folgen der staatssozialistischen Modernisierung und es handelt sich dabei auch um Ergebnisse der Tätigkeit von Teilen der Elite in verschiedenen Ländern, also Reformern von Subeliten des Staatssozialismus und von Gegenkräften, von Gegeneliten, ihren Sympathisanten und Unterstützern.

Schließlich am Schluss ganz kurz: Was ist denn nun die Hinterlassenschaft dieser staatssozialistischen halben, deformierten, aber doch erfolgreichen Modernisierung innerhalb der Jahrzehnte vor 1989 in der Gegenwart? Was haben wir geerbt?

Was ich sage, kann natürlich nur ganz kurz sein und ist sicher angreifbar. Wirtschaftlich ist eine ausgedehnte traditionelle Industrie und eine dieser traditionellen Industriegesellschaften entsprechende Infrastruktur einschließlich der dazugehörigen Umweltschäden überkommen. Bei mir steht in Klammern: Last und Chance. Kulturell haben wir am Ende eine weitgehend gut ausgebildete Bevölkerung mit einer Lebenshaltung, die der in Westeuropa nicht unähnlich ist. Die gab es 1945 nicht, aber die gibt es 1989. Allerdings mit sehr großen Erwartungen an den Staat bezüglich seiner sozialen Absicherungsaufgaben: Ein wichtiger Vorteil und ein uneingelöster, vielleicht nicht einlösbarer Auftrag. Und politisch haben wir heute Elitegruppen und ein Wahlvolk, die beide demokratischen Machtprinzipien verpflichtet sind, die sich aber schwer tun, einen Konsens in Grundfragen zu finden: Vorzug und Problem.

In diesen Ländern der Region hat sich ein spezifischer Typ des Kapitalismus herausgebildet, der mächtige Leistungsanreize hervorgebracht hat, aber der auch große Teile der Bevölkerung in eine soziale Abwärtsspirale geschleudert hat. Ob die gefundene Form von Produktion und Leben nachhaltig sein kann, muss also bezweifelt oder darf zumindest kritisch nachgefragt werden.

Aber, Problem und Hoffnung - Hoffnung und Problem zugleich, es beginnt am 1. Mai eine neue Entwicklungsphase Ost-Mitteleuropas. Die Antwort darauf, ob die begonnene Entwicklungsphase zukunftsfähig sein wird, ist nach dem Beitritt der acht Staaten der Region zur Europäischen Union kein rein ost-mitteleuropäisches Problem mehr. Die EU wird östlicher, das Erbe des Staatssozialismus hat den Westen wieder erreicht, von dem es zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einmal ausgegangen war.