Thema | Kulturation 2/2004 | Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn: Kultur | Dieter Segert | Staatssozialismus als gemeinsames und trennendes Erbe der ostmitteleuropäischen Gesellschaften Beitrag
auf der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn -
wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen
Situation" im Februar 2004 | Beitrag
auf der Tagung "Die Deutschen und ihre östlichen Nachbarn -
wirtschaftliche und kulturelle Aspekte der neuen europäischen
Situation" im Februar 2004
Beginnen möchte ich mit einer persönlichen Reflexion. Ich kann da nicht
umhin, nachdem Herr Wojciechowski hier sein Leben reflektierte, blicke
auch ich an einem Punkt auf meines zurück, nämlich auf meine Beziehung
zu diesem Raum. Ich bin an diese Universität 1970 gekommen, da habe ich
begonnen zu studieren und zwar Marxistisch-Leninistische Philosophie
und diesen Raum – den Senatssaal - kenne ich natürlich gut. Der sieht
noch fast genauso wie früher, bloß diese Büsten hier am Rand sind, wenn
ich mich recht erinnere, neu und diesen etwas merkwürdigen Teppich
dahinten kenne ich auch nicht so richtig.
Ich möchte mich an zwei Dinge erinnern: In diesem Raum stehe ich
jetzt - in immerhin fünfunddreißig Jahren - zum dritten Mal in einer
Rednerposition. Schon das freut mich natürlich. Das erste Mal war es in
einer Parteiversammlung der Sektion Marxistisch-Leninistische
Philosophie, unter den Augen des Genossen Günter Schabowski. Damals war
er ja noch Mitglied des Politbüros und Parteisekretär von Berlin und
noch nicht der Aufklärer über die Scheußlichkeiten der
DDR-Politbürokratie, der er nach 1989 geworden ist. In dieser
Versammlung ging es darum, dass Günter Schabowski von Erich Honecker
hergeschickt worden war, um zu schauen, ob sich nicht ein „Sumpf“ in
dieser Parteiorganisation verbergen würde, denn es gab so verschiedene
Gerüchte über Studenten, die Kritik äußerten an der Informationspolitik
des Zentralkomitees und das sei doch alles ganz fürchterlich. Und ich
durfte dann in dieser Parteiversammlung - es war ja alles organisiert
in diesem Sozialismus - durfte also „organisiert“ etwas zum Praktikum
der Studenten unserer Sektion im volkseigenen Betrieb Narva sagen.
Den gibt es ja heute auch nicht mehr, aber wir hatten uns damals im
Betrieb umgeschaut, hatten Glühlampen produziert und untersucht, wie
dort der Wettbewerb organisiert ist. Ohne dass ich jetzt allzu sehr
abschweifen will, aber Günter Schabowski sagte dann nachher im
kleineren Kreis, zu dem auch ich gehörte - Sie sehen also, ich gehörte
gewissermaßen zum engeren Führungszirkel der Sektion - sagte Günter
Schabowski dann: Ja, also ... (ich kann es leider nicht nachmachen, der
berlinerte schrecklich) er hätte ja nicht zugehört, was die Leute hier
gesagt haben. Er wüsste sowieso, das sei ja alles gestellt gewesen.
Aber: in die Augen hätte er uns geschaut um zu sehen, ob das wahr ist,
was wir sagen. Das war - fand ich damals für mich, der ich ja nun auch
nicht ständig mit dem Politbüro verkehrt habe - doch ein interessantes
Erlebnis.
Das zweite Mal stand ich hier im Jahre 1993, glaube ich. Da hielt
ich meine Antrittsvorlesung genau von diesem Platz. Ich hatte damals
eine C3-Professur befristet bekommen. Für die Befristung hatte der
Berliner Senat gesorgt. Aber ich war ja immerhin einer der beiden
Professoren mit DDR-Biografie, die noch unter den insgesamt 16
Hochschullehrern Fachbereichs Sozialwissenschaften waren. Eine ist
sogar heute noch da.
Und das dritte Mal also heute. Und Sie sehen, man kommt nicht ganz
drum herum, sich der eigenen Identität doch von Zeit zu Zeit zu
vergewissern. Das berührt eben auch meinen Text. Der ist zwar nicht
ganz durch eine „ostdeutsche Sicht“ geprägt, wie Uwe Rada in seiner
Moderation vermutet hat, sondern, wie ich hoffe, durch eine
osteuropäische Betrachtungsweise.
Damit will ich eine spezifische Identität andeuten, die sich bei
mir herausgebildet hat. Wobei ich weder den Osten oder das Europäische
allein betonen möchte, denn das gehört in meiner Sicht zusammen. Also:
ich fühle mich OST-europäisch, aber europäisch ist das auch. Das damit
verbundene Problem habe ich in meiner Überschrift formuliert: Der
Staatssozialismus als gemeinsames und trennendes Erbe der
ost-mitteleuropäischen Gesellschaften. Und nach dieser Vorrede halte
ich mich nun an meinen Text und lese ihn vor, damit es schneller geht.
Wir alle wissen, ist Erben häufig mit Streit verbunden. Das ist
beim gesellschaftlichen Erbe des Staatssozialismus nicht anders. Noch
fünfzehn Jahre nach seinem Ende ist der Streit nicht verstummt. Er
bildet eine wichtige Grundlage für den Parteienwettbewerb in Polen,
Ungarn, Tschechien, auch in Deutschland, in Ostdeutschland, wenn man
will. Noch eine Warnung vorweg: Ich will im Folgenden etwas von
gestrigen Vorträgen abweichen, will nicht über harte Fakten, sondern
von Interpretationen reden. Heute ist ja der Vormittag der
Interpretationen und weichen Faktoren. Mir geht es weniger um die
Analyse selbst als um Bewertungen, die die Art künftiger Analyse
beeinflussen sollen.
Meine Aufmerksamkeit gilt zunächst der Analyse in der
Sozialwissenschaft, aber sie ist letztlich auf einen sensiblen
politischen Bereich gerichtet, den der Identität. Bezogen auf das Erbe
des Staatssozialismus geht es im Folgenden weniger um materielle Güter
als um die Biografie derer, die in ihm gelebt haben. Insofern handelt
es sich - vor allem bezogen auf die Gruppe der Osteuropäer ab dem
Geburtsjahrgang 1965 und älter - um einen Streit über die Deutung der
eigenen Biografie, um Identitätsbestimmung.
Im Zentrum der nachfolgenden Ausführungen steht eine Frage: Wie ist
der Platz des Staatssozialismus in der Geschichte Ost-Mitteleuropas zu
bestimmen? Diese Frage nährt sich aus der Erkenntnis von Paradoxien des
Übergangs vom Staatssozialismus zum Postsozialismus. Paradoxien wachsen
im Spannungsfeld von Analyse und Interpretation. Ich habe zunächst drei
formuliert.
Von drei Paradoxien die erste: das Erbe einer eindeutig
nicht demokratischen Ordnung erhöht die Chancen auf eine demokratische
Entwicklung in der Region. Mir geht es da um die Chancen der Demokratie
im Verhältnis zu 1918, 1945 und 1989. Ich beobachte und vermute, dass
wir 1989 eindeutig größere demokratische Chancen haben. Und das ist
meines Erachtens mit dem Staatssozialismus verbunden.
Zweitens: Aus dem uniformen Staatssozialismus entwickeln sich sehr verschiedene postsozialistische Gesellschaften.
Drittens: Die meisten Staatsparteien der Region, vormals
Träger der Diktatur, sind heute zuverlässige Akteure von
Wettbewerbsdemokratien. Zur Erinnerung: ich rede über Ost-Mitteleuropa.
Beim Lesen des sehr interessanten Sammelbandes des Hallenser Ethnologen Chris Hanis über den Postsozialismus, habe ich eine vierte
Paradoxie gefunden: Die versuchte Umkehr vom landwirtschaftlichen
Großbetrieb aus der Zeit vor 1989 zum natürlichen Typ des bäuerlichen
Familienbetriebes scheiterte am Widerstand der ländlichen Bevölkerung
selbst. Das ist von Ethnologen in Bulgarien und in Ungarn untersucht
worden und es gibt dafür natürlich auch, scheint mir jedenfalls, obwohl
ich kein Agrarspezialist bin, Belege aus anderen postsozialistischen
Gesellschaften.
Diese Paradoxien erwachsen aus dem Spannungsfeld zwischen
verbreiteten Erwartungen, die auf Überzeugungen fußen und den
tatsächlichen Erfahrungen im praktischen Wandlungsprozess seit 1989.
In der politikwissenschaftlichen Theoriebildung wurden jene
Überzeugungen, die gewissermaßen den Ausgangspunkt dieser Paradoxien
bilden, im Theorem des Staatssozialismus als totalitärem System oder
als totalitäre Diktatur kristallisiert. Das ist die Folie, die dem
Vorhergesagten zugrunde liegt. Nur wenn man von diesem Theorem ausgeht,
ist das, was da steht, eine Paradoxie, weil es einem eigentlich als
nicht ganz möglich erscheint. Verbunden ist dieses Theorem mit einem
geschichtlichen Verständnis der Entwicklung zwischen 1945 und 1989 als
politisch erzwungene Abweichung vom natürlichen Pfad
ost-mitteleuropäischer Tugend. 1989 wird andererseits als endlich
ermöglichte Rückkehr zur Normalität begriffen. Nun sei die Geschichte
wieder nach Ost-Mitteleuropa zurückgekehrt. Die eigentliche Tradition
der betreffenden Gesellschaften liege in der Zeit davor. Entsprechend
wurde durch die institutionsbildenden Eliten in diesen Ländern
gehandelt. Die Verfassung der dreißiger Jahre wurde zugrunde gelegt für
die Verfassungsbildung danach. Das trifft insbesondere auf die
baltischen Staaten zu, in der das zum Teil auch direkt die Folie dann
für die neue Verfassung wurde oder Übergangsverfassung zumindest. In
Ungarn besann man sich auf die Regierungszeit von Miklós Horthy und
Graf Bethlen. Die Slowakei begann sich auf die kurze Zeit eines – wenn
auch vom Dritten Reich – abhängigen – eigenen Staates unter Josef Tiso
zu besinnen, die erste tschechoslowakische Republik erstrahlte für die
postsozialistische tschechische Öffentlichkeit in herrlichen Farben.
Marschall Pi³sudski erschien in Polen uneingeschränkt denkmalswürdig.
Um nicht missverstanden zu werden, will ich hier betonen, meine
Gegenthese zu diesem historischen Possenspiel soll nicht etwa den
Staatssozialismus in den Farben der DDR im goldenen Licht erstrahlen
lassen. Mir geht es wissenschaftlich nur um die kritische Diskussion
der Analyseinstrumente für einen wichtigen historischen Abschnitt der
Region Ost-Mitteleuropa. Politisch geht es mir um die Einsicht, dass es
problematisch ist, große Teile der eigenen Biografie einfach abzulegen,
zu verdrängen oder gar umzubiegen.
Und inzwischen ist ja der Abstand zum Werteschock der Jahre 1989/90
auch groß genug, um Gelassenheit wieder einziehen zu lassen. Mir ist
als studierter Philosoph die Eule der Minerva eingefallen, die in der
Dämmerung zu fliegen beginnt. Wenn der Staatssozialismus aber mehr als
nur eine omnipotente Herrschaftsstruktur und ein gesellschaftlich
kulturelles Vakuum war und andererseits auch nicht das Himmelreich der
Arbeiter und Bauern, was ist dann eigentlich sein Platz in der
ost-mitteleuropäischen Geschichte?
Es handelt sich im Folgenden nur um eine grobe Skizze, die sich auf
mein Buch "Die Grenzen Osteuropas" (Campus-Verlag Frankfurt, 2002)
gründet (es liegt auf dieser Tagung leider nicht aus, weil ich nicht in
der Lage war, auf meinen Wegen zwischen Bonn und Berlin das Buch zu
beschaffen). Auch hier sind es selbstverständlich drei Punkte, wie bei
allen, die an Hegel geschult sind. Aber es sind keine dialektischen
Schritte, sondern es sind einfach drei Punkte dieser Skizze.
Erstens: Die staatssozialistischen Diktaturen sind als
Reaktion auf Konflikte und Spannungen ihrer Zeit entstanden, die andere
als die heutigen waren. Das klingt ein bisschen trivial, ist aber nicht
so einfach und nicht so selbstverständlich. Um diese Diktaturen
verstehen zu können, muss man an ihren historischen Ort zurückkehren.
Im Anfang des Staatssozialismus war nicht schon sein Ende sichtbar. Man
kann den Staatssozialismus keinesfalls allein von seinem Ende her
verstehen. In Ost-Mitteleuropa standen am Beginn des sozialistischen
Aufbruchs periphere kapitalistische Gesellschaften. Sie waren in
Sozialstruktur, Wirtschaft, Kultur und Politik halbmodern und hinter
denen Westeuropas zurückgeblieben und von ihnen abhängig. Ihre
politische Kultur war nationalistisch dominiert. Sie waren 1945 vom
Krieg mit seinen dramatischen Erfahrungen von Millionen Menschen
gekennzeichnet. Staatssozialismus sollte zuerst als eine Antwort auf
diese Situation verstanden werden. Das ist eine der Antworten damals.
Er war ein Versuch, den Entwicklungsrückstand aufzuholen, der als die
nationale Existenz bedrohend begriffen wurde. Der Marxismus-Leninismus
wurde die Ideologie dieser nachholenden Modernisierung
staatssozialistischer Prägung. Legitimität in breiteren Kreisen gewann
die Diktatur aus dem genannten Umfeld. Staatssozialistische Diktaturen
sind Entwicklungsdiktaturen, das verbindet sie mit ihren Vorgängern aus
der Zwischenkriegszeit.
Zweitens: Die staatssozialistischen Diktaturen waren
ursprünglich Unterschichtendiktaturen. Sie waren es bezogen auf ihr
Führungspersonal ganz eindeutig, das waren bekanntlich mehrheitlich
einfache Arbeiter, Handwerker und arme Bauern, also kleine Leute. Sie
waren es auch deshalb, weil sie eine soziale Umwälzung realisierten, in
denen das Unterste der Gesellschaft nach oben kam und das Oberste nach
unten. Kommunisten kamen 1945 bis 1949 nicht nur mit Hilfe sowjetischer
Panzer oder auf den Spitzen sowjetischer Bajonette an die Macht, sie
waren nicht nur deshalb politisch erfolgreich, weil sie die
Gewaltelemente besonders brutal einsetzten oder auch nicht nur durch
ihre listige Salamitaktik, wie es ja damals hieß, sondern weil ihre
Politik den damaligen Interessen und Hoffnungen von nicht kleinen
Teilen der Bevölkerung entsprach. Landreform und Enteignung in der
Industrie und in anderen Bereichen Kaderpolitik und Bildungsreform
trugen klare soziale Farben. Es gab natürlich Verlierer dieser Reform.
Abstiege ganzer sozialer Schichten, es gab aber eben auch soziale
Aufstiege und Gewinner. Und das in erheblichem Ausmaß, also diese
soziale Bewegung in der Gesellschaft von oben nach unten und von unten
nach oben erfasste ziemlich große Teile der Bevölkerung, natürlich
nicht alle. György Ránki und Iván T. Behrendt, zwei bekannte ungarische
Wirtschaftshistoriker, schätzen den Umfang der von Auf- und Abstiegen
direkt Betroffen auf zirka ein Viertel der Bevölkerung, aber das ist
immerhin schon eine ganze Menge. Das prägte diese Gesellschaft nicht
nur im Jahrzehnt nach 1945.
Nur nach 1989 gab es allenfalls wieder einigermaßen im Umfang
vergleichbare Umwälzungen in unseren Gesellschaften. Der
Staatssozialismus hatte anfangs durch diese soziale Ausrichtung die
Unterstützung eines größeren Teils der Bevölkerung. Er stützte sich
insofern nicht nur, wie die Totalitarismustheorie auch der sehr viel
klügeren Ausrichtung von Hanna Ahrendt vermutet, auf Ideologie und
Terror. Er stützte sich in erheblichem Maße eben auch auf Interessen
der Bevölkerung.
Dritte These: Im Verlaufe der folgenden Jahrzehnte ergab
sich dann ein umfassender, bisher immer noch zu wenig erforschter
sozialer Wandel, der am Ende der achtziger Jahre dazu führte, dass die
staatssozialistische Diktatur wie ein Kartenhaus zusammenbrach.
Zwischen diesem Anfang und dem Abgang gab es eben diese Differenz des
Wandels. Das will ich eigentlich hier nur sagen. Ich denke, dass dieser
Zusammenbruch - und das ist meine Interpretation, die natürlich
widerlegt und bestritten werden kann - ich denke, dass dieser
Zusammenbruch aus Ungleichzeitigkeiten und strukturellen Defiziten des
spezifischen Modernisierungsweges dieser Staaten erklärt werden muss.
Die Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre waren nur sehr begrenzt
wirksam geworden. Strukturelle Funktionsdefizite der formellen
Institutionen ließen sich nur noch in gewissem Maße durch informelle
Netzwerke ausgleichen, der durch Modernisierung entstandene „kulturelle
Überschuss“, das ist ein Begriff von Rudolf Bahro, scheuerte sich
überall am engen Gehäuse der Parteidiktatur wund.
Der fast synchron und äußerlich gleich verlaufende Zusammenbruch
der formellen Institutionen des Staatssozialismus legte aber sehr
differenzierte und sich voneinander unterscheidende Gesellschaften
frei. Bisher wissen wir nur eine Menge über die Unterschiede in der
politischen Arena, die sind ja einfach sichtbarer. Es gab eben die
polnische SolidarnoϾ als eine antikommunistische Massenbewegung eines
ganzen Volkes oder doch zumindest erheblicher Teile desselben und es
gab eben den rumänischen Umsturz, der offensichtlich in den
Hinterstuben des Parteiapparates und wie man kürzlich in einem
Fernsehfilm sehen konnte - ich weiß nicht, ob das so ganz belegt ist -
durch starke äußere Unterstützung bedingt zustande kam. Also diese
Unterschiede sind bekannt. Weniger bekannt, weniger in ihren
historischen Wurzeln erforscht, ist die soziale Ausdifferenzierung, die
nach 1989 überall sichtbar geworden ist. Ich siedle diese historischen
Wurzeln der Ausdifferenzierung im Spätsozialismus an, einer Phase der
Entwicklung, die etwa ab Ende der fünfziger Jahre einsetzt. Es handelt
sich dabei um nicht intendierte Folgen der staatssozialistischen
Modernisierung und es handelt sich dabei auch um Ergebnisse der
Tätigkeit von Teilen der Elite in verschiedenen Ländern, also Reformern
von Subeliten des Staatssozialismus und von Gegenkräften, von
Gegeneliten, ihren Sympathisanten und Unterstützern.
Schließlich am Schluss ganz kurz: Was ist denn nun die
Hinterlassenschaft dieser staatssozialistischen halben, deformierten,
aber doch erfolgreichen Modernisierung innerhalb der Jahrzehnte vor
1989 in der Gegenwart? Was haben wir geerbt?
Was ich sage, kann natürlich nur ganz kurz sein und ist sicher angreifbar. Wirtschaftlich
ist eine ausgedehnte traditionelle Industrie und eine dieser
traditionellen Industriegesellschaften entsprechende Infrastruktur
einschließlich der dazugehörigen Umweltschäden überkommen. Bei mir
steht in Klammern: Last und Chance. Kulturell haben wir am Ende
eine weitgehend gut ausgebildete Bevölkerung mit einer Lebenshaltung,
die der in Westeuropa nicht unähnlich ist. Die gab es 1945 nicht, aber
die gibt es 1989. Allerdings mit sehr großen Erwartungen an den Staat
bezüglich seiner sozialen Absicherungsaufgaben: Ein wichtiger Vorteil
und ein uneingelöster, vielleicht nicht einlösbarer Auftrag. Und politisch
haben wir heute Elitegruppen und ein Wahlvolk, die beide demokratischen
Machtprinzipien verpflichtet sind, die sich aber schwer tun, einen
Konsens in Grundfragen zu finden: Vorzug und Problem.
In diesen Ländern der Region hat sich ein spezifischer Typ des
Kapitalismus herausgebildet, der mächtige Leistungsanreize
hervorgebracht hat, aber der auch große Teile der Bevölkerung in eine
soziale Abwärtsspirale geschleudert hat. Ob die gefundene Form von
Produktion und Leben nachhaltig sein kann, muss also bezweifelt oder
darf zumindest kritisch nachgefragt werden.
Aber, Problem und Hoffnung - Hoffnung und Problem zugleich, es
beginnt am 1. Mai eine neue Entwicklungsphase Ost-Mitteleuropas. Die
Antwort darauf, ob die begonnene Entwicklungsphase zukunftsfähig sein
wird, ist nach dem Beitritt der acht Staaten der Region zur
Europäischen Union kein rein ost-mitteleuropäisches Problem mehr. Die
EU wird östlicher, das Erbe des Staatssozialismus hat den Westen wieder
erreicht, von dem es zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
einmal ausgegangen war.
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